Geschichte meines Lebens
(1962)–Henry Van de Velde– Auteursrechtelijk beschermd
[pagina 412]
| |
Dreizehntes Kapitel
| |
[pagina 413]
| |
Brief meines alten Freundes Bremmer hatte mich über die Meinungsverschiedenheiten unterrichtet. Das Ehepaar Kröller hatte den Wunsch, mich an Stelle von Berlage der Firma zu verpflichten. Ich sollte in gleichem Umfang und zu denselben Bedingungen für sie tätig werden. Bevor ich mich zu den Vertragsbesprechungen nach Den Haag begab, klärte ich meine Frau über unsere verzweifelte finanzielle Situation auf, die wie ein Zentnergewicht auf mir lastete. Der Antrag der holländischen Mäzene erschien mir um so mehr als die einzige Rettung, als sich meine Hoffnungen auf einen günstigen Verkauf unsres Hauses ‘Hohe Pappeln’ als trügerisch erwiesen hatten. Bei meinem kurzen Aufenthalt in Weimar hatte mir meine Bank mitgeteilt, daß der Betrag von achtzigtausend Mark, den die neue Besitzerin des Hauses ‘Hohe Pappeln’ für mich eingezahlt hatte, von der Regierung gesperrt worden war. Unter diesen Umständen sah ich die Summe von zwanzigtausend Schweizer Franken nur zu rasch schwinden, die als Erlös unserer kleinen, an Paul Cassirer verkauften Kunstsammlung den Rückhalt unserer Existenz bildeten. Vor meiner Abreise nach Uttwil riet mir der Direktor meiner Weimarer Bank, mich wegen der Reglung meiner belgischen Staatsangehörigkeit und meines Bankguthabens unverzüglich an die Gerichte zu wenden. Er machte mich allerdings gleich darauf aufmerksam, daß die Sache vermutlich viel Zeit brauchen würde. Einige Jahre später waren infolge der deutschen Inflation aus den 1918 eingezahlten achtzigtausend Mark zweieinhalb holländische Goldgulden geworden, die gerade ausreichten, die Portokosten meines Berliner Rechtsanwaltes zu decken! Ich folgte der offiziellen Einladung des Ehepaars Kröller und fuhr nach Den Haag. Auf dem Bahnsteig in Den Haag erwartete mich der Kröllersche Chauffeur, brachte mich in das ‘Hotel des Indes’ und fuhr mich nach dem Nachtessen zu Kröllers Wohnsitz ‘Groot Haesebroek’ in Wassenaar, einem typisch holländischen Landhaus aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Herr und Frau Kröller, die ich beide auf ungefähr sechzig Jahre schätzte, empfingen mich in einem geräumigen Salon vor einem großen Marmorcheminée, in dem ein mächtiges Holzscheit glühte. Der wertvoll, aber einfach und sehr geschmackvoll eingerichtete Raum war in sanftes Licht getaucht. Man tauschte rasch die üblichen Höflichkeiten aus, bei denen sogleich | |
[pagina 414]
| |
ein herzlicher, freundschaftlicher Ton zu verspüren war. Frau Kröller überhäufte mich mit Lob über den ‘Hohenhof’ in Hagen, wo sie kurz vor dem Ersten Weltkrieg einen Besuch abgestattet hatte. Dann lenkte sie das von Anfang an in deutscher Sprache geführte Gespräch auf einige Fragen: wo und wie wir mit unseren Kindern während des Krieges gelebt hätten; darauf erkundigte sie sich, plötzlich das Thema wechselnd, was für Pläne ich für die Zukunft hätte. Ob ich Lust hätte, in Holland zu leben, und ob mir als Flamen die holländische Sprache als Fremdsprache erscheine. Nach kurzer Zeit skizzierte Herr Kröller als überlegener Geschäftsmann seinen Vorschlag. Frau Kröller schwieg, bis sich ihr Mann an sie wandte: ‘Nicht wahr, Ma, du hättest nichts dagegen, Professor van de Velde in der Position zu sehen, die bisher Berlage bei uns innehatte?’ Frau Kröller stimmte mit einem Kopfnicken lächelnd zu, was Herrn Kröller offenbar befriedigte. Dann entwickelte er ohne weitere Fragen das Programm für die nächsten Tage. Morgen, Samstag, würde mich Frau Kröller gegen neun Uhr im Hotel abholen, um zunächst die Arbeitsräume Berlages zu besichtigen. Im Anschluß daran ein rascher Besuch der Gemäldesammlung, die sich im Hause ‘Lange Voorhout Nr. 2’ befand. Pünktlich um zehneinviertel Uhr Abfahrt von Den Haag nach Hoenderloo zum Jagdschloß Sankt Hubertus, dem jüngsten Werk Berlages. Nach einer Siesta im Schloß am Nachmittag eine Besichtigung der Besitzung, die sich mit dem Schloß und seinem Teich als Mittelpunkt über zwölf bis fünfzehn Kilometer Ausdehnung erstreckt: dichte Wälder, weites Heideland, Sandwüsten, baumbestandene Dünen, Baumschulen und eine Fasanerie - die ganze, ‘De Hoge Veluwe’ genannte Domäne in einer Ausdehnung von sechstausend Hektar. Herr Kröller würde zum Abendessen nach Schloß Hubertus kommen, zu dem entgegen der Gewohnheit keine anderen Gäste geladen seien. Am darauffolgenden Sonntag würden wir zusammen picknicken und über den üblichen Rundgang hinaus auf Entdeckungen ausgehen, die uns ohne Zweifel eine Fülle von Überraschungen bereiten würden. Von dieser teils zu Fuß, teils im Auto gemachten Exkursion kehrte ich mit Hunderten von prachtvollen Bildern zurück, die mich tief bewegten. Erinnerungen an Eindrücke tauchten wieder auf, die ich während meiner frühen Malerjahre in Wechel der Zande und Calmpthout in der Umgebung von Antwerpen empfangen hatte, aber die Bezauberung war um ein Vielfaches größer. Ich | |
[pagina 415]
| |
war wie berauscht und bereit, alles zu unterzeichnen, was die beiden Menschen, die mich in dieses Paradies gebracht hatten, von mir erwarteten. Die Landschaft des Gelderlandes rief in mir die Leidenschaft für die Malerei wieder wach, und ich dachte sogar daran, zu ihr zurückzukehren! Aber davon konnte keine Rede sein. Im Wagen auf dem Rückweg von Sankt Hubertus nach Den Haag besprach Herr Kröller mit mir der Vertrag, dessen Entwurf er sofort unterschreiben wollte, um mir dann später nach Uttwil die definitive Fassung zu schicken, die ich dann meinerseits unterzeichnen sollte. Der Vertrag verlangte von mir, die von dem Ehepaar geplanten Projekte zu entwerfen, von denen nicht einmal ein Viertel in den zwei Jahren ausgeführt werden konnte, für die ich mich ab 1. Februar 1920 verpflichtete. Nach einem Jahr der Zusammenarbeit konnten weder Herr und Frau Kröller noch ich selbst uns vorstellen, daß wir uns je würden trennen müssen. Anfänglich wohnte ich in einem kleinen Haus, das in unmittelbarer Nähe des Parkes von ‘Groot Haesebroek’ gelegen war. Herr Kröller und Herr Sam van Deventer, Kröllers ‘rechte Hand’, sahen, daß dieses Haus für unsere Familie zu klein war. Herr Kröller hatte in Schlesien eine Fabrik besichtigt, die demontable Holzhäuser in Serien herstellte. Er beauftragte mich, Pläne für ein solches zerlegbares Haus zu schaffen, das von diesem Unternehmen in Schlesien ausgeführt, demontiert, nach Holland verfrachtet und auf einem Stück Land in Wassenaar wieder aufgerichtet wurde. Diese Methode gefiel Herrn Kröller, und er bestellte für die im Park ‘De Hoge Veluwe’ beschäftigten Arbeiter drei Haustypen von verschiedener Größe. Ich gab unserem neuen Haus den Namen ‘De Tent’ - das Zelt, in der Ahnung, daß unser Aufenthalt in Holland nur von kurzer Dauer sein würde. Ich begleitete Frau Kröller oft auf ihren Fahrten zum Jagdhaus Sankt Hubertus, wo viele Einzelheiten der dekorativen Ausstattung unvollendet geblieben waren. Bei Weekend-Ausflügen fuhren wir immer den Herren - Herrn Kröller, Herrn Sam van Deventer und Bob, dem jüngsten der drei Söhne - voraus, die sich erst nach Büroschluß frei machen konnten. Wenn unser Auto im rechten Winkel abbog und durch das große Eingangstor neben der Garage, über der sich die Arbeitsräume und die Wohnung des Verwalters befanden, in die Domäne einfuhr, mißfiel mir stets diese recht unglückliche Anlage. Nach einiger Zeit konnte ich es nicht unterlassen, Frau | |
[pagina 416]
| |
Kröller auf die irrtümliche Disposition Berlages aufmerksam zu machen. Wenn mir auch nichts ferner lag, als den Fehler korrigieren zu wollen, so suchte ich doch nach einer anderen Lösung, die ich Herrn Kröller zu prüfen bat. Es fehlte nicht an Möglichkeiten an der westlichen Seite der ‘De Hoge Veluwe’, die an der Provinzialstraße von Otterlo nach Arnheim entlangführt. Die Straße durchquert unendliches Heideland und weite, hügelige Sandwüsten, die wie Wellen aussehen. Als Hindernis erschienen weitausgreifende Äste einzelner großer Bäume, die seit undenklicher Zeit den rasenden Stürmen standgehalten hatten. Ihre zerfetzten Silhouetten waren die Zeugen der Widerstandskraft, die diese Bäume als wahre Helden den Elementen der Natur und der Zeiten entgegensetzen. Kaum je ist mir die Natur unter einem tragischeren Aspekt erschienen.
Das von mir entworfene neue Eingangstor, von dem nur ein einziges, recht mangelhaftes Photo sich erhalten hat, stellt den ersten Versuch einer einfachen, normalen und gesunden Formensprache dar, für die der Typus des Gelderlandhofes als grundsätzliches Vorbild gilt. Die beiden Gebäude - das eine für den Förster, das andere für den Oberjägermeister - sollten in handgearbeiteten, farbigen Backsteinen ausgeführt werden, die aus einer nahe gelegenen kleinen Ziegelei hätten bezogen werden können. Wie so viele meiner Entwürfe wurden auch diese nicht gebaut.
Mein Atelier wie auch die Räume der übrigen Architekten und Zeichner waren im dritten Stock des Hauses ‘Lange Voorhout Nr. 2’ in Den Haag untergebracht. Im Erdgeschoß und dem ersten Stock befand sich die Gemäldesammlung, im zweiten Stock hatte Frau Kröller, die sich mit größtem Interesse der Sammlung widmete, ihre privaten Räume. Dort empfing sie ihre Besuche, dort trank man um elf Uhr die traditionelle Tasse Kaffee, die die Holländer aller Stände zu sich nehmen. Als passionierter Freund dieses Giftes, von dem Voltaire sagte, ‘es führe zu einem langsamen Tod’, versäumte ich es nie, Frau Kröller um diese Zeit einen Besuch abzustatten. Gegen Ende 1920 war ich in der Lage, dem Ehepaar Kröller das Modell und die Pläne für die Villa vorzulegen, die an Stelle des alten Landhauses im Park ‘Groot Haesebroek’ geplant war. Der große Salon des alten Hauses war in einen Ausstellungsraum verwandelt worden, in dessen Mitte | |
[pagina *61]
| |
117 Präfabrikation des Hauses ‘De Tent’ in der Fabrik
| |
[pagina *62]
| |
118 Haus ‘De Tent’ in Wassenaar, 1921/22
119 Halle im Haus ‘De Tent’
| |
[pagina *63]
| |
120/121 Entwürfe zum ‘Großen Museum’ im Park ‘De Hoge Veluwe’, 1921/23
122 Entwurf für das Schelde-Ufer in Antwerpen, 1926
| |
[pagina *64]
| |
123 ‘La Nouvelle Maison’ in Tervueren, Wohnhaus van de Veldes, 1927
| |
[pagina *65]
| |
124 Damen-Altersheim in Hannover, 1929
| |
[pagina *66]
| |
125 Postdampfer ‘Prince Baudouin’, 1933/34
126 Salon des Dampfers
| |
[pagina 417]
| |
sich das Modell und an dessen Wänden sich die Pläne befanden. Wir waren zu fünft: Herr und Frau Kröller, Bremmer, der künstlerische Berater Frau Kröllers, Sam van Deventer und ich. Alle billigten meine Arbeit, an der man nichts Wesentliches auszusetzen fand. Herr Kröller beglückwünschte mich im besonderen und lobte die gefundene Lösung des schwierigen Bauproblems, das die Vereinigung von Privatwohnung und Sammlung unter einem Dach vorsah, zugleich aber eine gewisse Trennung beider Teile derart verlangte, daß das Privatleben der Familie durch die Besucher der Sammlung nicht gestört würde. Trotz seiner Zufriedenheit kehrte jedoch Herr Kröller in sein Büro zurück, ohne die erwartete Entscheidung getroffen zu haben. Ich war, glaube ich, der einzige, der den Grund seiner Unentschlossenheit erkannte, die seinem geraden, jeder Zweideutigkeit abholden Charakter so gar nicht entsprach. Er sah voraus, daß die Zahl der Besucher seiner Sammlung rasch ansteigen werde, und fürchtete - obwohl mein Vorschlag gegenwärtig ausreichend erschien - die Folgen dieser Entwicklung für das private Leben seiner Familie. Die Kröller-Sammlung war in wenigen Jahren zu einer der schönsten und wertvollsten Privatsammlungen der Welt geworden. Sie wurde ständig vermehrt und stand im Begriff, sich in ein eigentliches Museum zu verwandeln. Herr Kröller zog die richtigen Konsequenzen. Die Sammlung mußte grundsätzlich aus dem Kreis des Privaten herausgenommen werden. Ich war mit Herrn Kröller völlig einer Meinung und dachte zunächst an einen Museumsbau in unmittelbarer Nähe des Hauses ‘Groot Haesebroek’. Der Park, in dem das Haus lag, war groß genug für einen derartigen Bau. Bei einer solchen Lösung wäre allerdings der Park gleichsam öffentliches Gelände geworden, was Herrn Kröller natürlich mißfiel. Nach und nach verdichtete sich bei mir die Vorstellung, daß der geeignete Ort für die Errichtung des Museums im Park ‘De Hoge Veluwe’ zu finden sei. Auf einem Ausflug im Park, den ich mit Frau Kröller unternahm, entwickelte ich ihr meine Ideen. Wir befanden uns beim ‘französischen Berg’, der mir schon seit längerer Zeit traumhaft schön vorgekommen war. Mit einer Handbewegung wies ich auf die unendliche Weite des Horizontes. Hier, so schien es mir, war der ideale Platz für das Museum, das gleichzeitig ein Zentrum kulturellen Lebens sein konnte. Von den Terrassen des mir vorschwebenden Bauwerks aus vermochten die Teilnehmer an kulturellen | |
[pagina 418]
| |
und künstlerischen ‘Begegnungen’ und Gesprächen die Schönheit der Landschaft zu genießen. Der Gedanke an solche ‘Begegnungen’ lag damals in der Luft. Einige fortschrittliche französische Künstler, Musiker, Literaturhistoriker und Kunstkritiker hatten bei einer mehrtägigen Zusammenkunft in einem Kloster das Beispiel gegeben, daß an einem abgelegenen Ort der Gedankenaustausch besonders fruchtbar sein kann. Für Kröllers, die das Format von wirklichen Mäzenen hatten, mußte die Idee etwas Faszinierendes haben. Ihre fast unerschöpflichen Mittel setzten sie in den Stand, ein kulturelles und künstlerisches Zentrum zu schaffen, dessen Verwirklichung damals besonders wichtig gewesen wäre. Das Ehepaar Kröller kannte den ‘französischen Berg’ und seine Umgebung genau, weil sie dereinst in seiner Abgeschiedenheit begraben sein wollten. Ich legte ihnen meinen Plan dar, an dieser unvergleichlich schönen Stelle das Museum zu errichten, in das die Besucher durch einen Einschnitt in der bewaldeten Düne gelangen sollten; der Umfang und die Weiträumigkeit des Museums wie seiner zugeordneten Räume für die ‘Begegnungen’ sollten dem Besucher erst zum Bewußtsein kommen, wenn er sich im Bau selbst befand. Frau Kröller besprach meinen Vorschlag noch einmal ausführlich mit Sam van Deventer, dem sie ihr volles Vertrauen schenkte. Kurz darauf ließ mich Herr Kröller in sein Arbeitszimmer rufen, um zusammen mit seiner Frau, Herrn van Deventer und mir das großzügige Projekt zu besprechen, das die Firma, deren Alleininhaber er inzwischen geworden war, während drei bis dreieinhalb Jahren mehrere Millionen kosten sollte. Von da an stand ich in enger Fühlung mit Sam van Deventer und dem Leiter des Kröllerschen Baubüros, das seit Berlages Weggang alle meine architektonischen Entwürfe auszuführen hatte. Mit dem Fortschreiten meiner Studien und Skizzen für den Vorentwurf des Museums wurde es möglich, einen genaueren Kostenanschlag zu machen. Er belief sich auf vier bis viereinhalb Millionen holländische Gulden. Die Skizzen, Pläne und Perspektiven für diesen zu Beginn der zwanziger Jahre geplanten Bau befinden sich im heutigen, in seinen Ausmaßen um ein Vielfaches bescheideneren Kröller-Müller-Museum im Park ‘De Hoge Veluwe’, das ich mehr als zehn Jahre später erbaute. Sie geben eine Vorstellung dessen, was ursprünglich beabsichtigt war, und einen Begriff von den | |
[pagina 419]
| |
Entwicklungsmöglichkeiten der vernunftgemäßen Gestaltung, die mein Schaffen bestimmte. Die Grundlage der Konzeption war, den Besucher nach seinem Weg durch den Park mit seinen Wäldern und Dünen zu überraschen, wenn er nach einer Straßenkurve nur den Eingang des Gebäudes und die zwei ausgreifenden Flügel sah, die ihn einladen sollten, einen von hohen Mauern umgebenen Ehrenhof zu betreten. Von da führte der Weg in eine große Halle, von wo aus der Besucher durch breite Gänge zu den Sälen und Kabinetten gelangte, die für die Werke der Malerei und Plastik von Delacroix bis zu Seurat und Rodin bestimmt waren. Der ganze mittlere Teil sollte die unschätzbare und einzigartige Sammlung der Gemälde und Zeichnungen Vincent van Goghs aufnehmen. Im Untergeschoß waren Aufenthalts- und Wohnräume für prominente Besucher vorgesehen, die an ‘Begegnungen’ oder Kongressen teilnahmen. Im Laufe des Jahres 1923 lagen die baureifen Pläne für das Museum vor. Es wurde mit den umfangreichen Terrassierungs- und Fundamentierungsarbeiten begonnen. Viertausend Kubikmeter Maulbronner Sandstein für die Fassaden waren in einzelnen behauenen Blöcken bereitgestellt, deren jeder mit einer Nummer bezeichnet war, die seinem Bestimmungsort an den Fassaden entsprach. Langsam wuchsen die unteren Teile des Bauwerkes, das nach der Aufstellung van Deventers bis dahin schon rund zweieinhalb Millionen Gulden verschlungen hatte. Die wirtschaftliche Katastrophe des Jahres 1924, die den finanziellen Zusammenbruch vieler solider Weltunternehmen zur Folge hatte, erschütterte auch die Grundlagen der Firma ‘Müller & Co.’. Die Geschichte dieses Debakels ist tragisch, und das Leben der beiden großzügigen Mäzene wurde zu einem ständigen Leidensweg. Die Ideale und Ziele des Ehepaars Kröller waren eng mit den meinen verbunden, und es liegt mir daran, festzustellen, daß sie einen entscheidenden Beitrag zu einer zukünftigen, lebendigen Museumsform geleistet haben, die an die Stelle der herkömmlichen Museen treten wird, von denen Friedhofsstimmung ausgeht. Es war mir nicht beschieden, das erste Beispiel dieser neuen Museumsform zu verwirklichen, die mit dem Gedanken der ‘Begegnungen’ aufs engste verbunden war. Der Augenblick kam nur zu bald, an dem Herr und Frau Kröller - vorübergehend, wie sie sagten - auf meine Dienste verzich- | |
[pagina 420]
| |
ten mußten. Ihre Rolle als Mäzene und Förderer kultureller Dinge konnten sie erst wieder in Aussicht nehmen, wenn ‘bessere Zeiten’ anbrechen würden. Sie erlebten sie nicht mehr. Das plötzliche Ende meiner Arbeit machte unseren Aufenthalt in Holland sinnlos, obwohl wir in unserem Haus in Wassenaar, das wir ‘De Tent’ - ‘das Zelt’ - nannten, ein schönes Heim gefunden hatten. Außerdem fürchteten sowohl die Kröllers als auch wir, daß die Enttäuschungen, die uns der Lauf der Dinge gebracht hatte, unsre Freundschaft gefährden könnten. So beriet ich mich mit Herrn Kröller, und wir kamen zum Schluß, daß es die einzig vernünftige Lösung sei, wenn ich nach mehr als zwanzig Jahren Abwesenheit in meine Heimat Belgien zurückkehrte. |
|