Letterkonst
(1991)–E. Ruijsendaal– Auteursrechtelijk beschermdHet klassieke grammaticamodel en de oudste Nederlandse grammatica's
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ZusammmenfassungIn der vorliegenden Studie wird nachgeforscht, welches grammatische Modell der aufkommenden volkssprachlichen Grammatik (in diesem Falle der niederländischen) als Beispiel gedient hat und wieweit dieses Beispiel wiederum das Endprodukt der klassischen lateinischen Schulgrammatik war und auf welche Schwierigkeiten man beim Obernehmen des Modells gestoβen ist. Die Periode von der hier die Rede ist, kann fur die Niederlande ziemlich genau abgegrenzt werden: 1568-1700. Die Geschichte des Modells der lateinischen (Schul)grammatik bekommt besonderen Nachdruk, weil diese klassische Grammatik weiterhin einen unauslöschlichen Einfluβ auf die Weiterentwicklung dieser Grammatik ausgeübt hat. Das klassische Grammatikmodell, das seine Basis in der griechisch-römischen Denkwelt hatte, wurde in ihrer möglichst reduzierten und formalistischen Form nach einero recht festen Schema eines auf Kenntnisse gebauten Beschreibungsmodells konzipiert. In dem Sinne sucht dieses Forschungsbericht einen Überblick uber die grammatischen Grundlagen in Westeuropa und, ins besondere, in den Niederlanden bis zum 17. Jahrhundert, zu schaffen. Die Beschreibung jener Geschichte im engsten Sinne will die Entwicklung der grammatischen Werke in ihrer Gesamtheit beschreiben und richtet sich dabei weniger auf das Darlegen verschiedener Sprachtheorien. | ||||
Kapitel 1In diesem Kapitel ist von der philosophischen Betrachtungsweise der Sprache die Rede, von der Suche nach Verbindungen zwischen dem Denken, der Sprache und den Angelegenheiten worüber gesprochen wird. Nach Plato und Aristoteles, in deren Werken die Sprache eine Hauptrolle spielt (jedoch nicht in ‘linguistischer’ Hinsicht), sucht die Stoa durch die vorausgesetzte Parallellie der Sprach- und Denkstrukturen (Isomorphie) zu einem Beschreibungssystem zu geraten, dem aus der Praxis der gesprochenen Sprache Strukturformen zugefuhrt werden. Diese Strukturformen sind jedoch kein Selbstzweck: die Lexisgrammatik ist Teil der Lektongrammatik, die partes orationis und die Elemente der lekta sind sich gleich, sei es, daβ sie verschiedenen Bereichen angehören. Die Isomorphie des Denkens und der Sprache konnte nicht ganz befriedigend ausgearbeitet werden, aber die Leistungen der Stoa beschäftigen uns bis ins heutige Zeitalter, wie die Studien von z.B. Egli (1986) zeigen. Die Strukturformen, das spätere Fachgebiet der Grammatik, waren gleichzeitig auch ein Thema für die Philologie, die Wissenschaft die sich mit dem Studium und der Exegese literarischer Texte befaβte. Aus der Beschreibung der Regelmäβigkeiten und Unregelmaβigkeiten in den Sprachformen als Darstellung bestimmter Sprachfunktionen ging die griechische Grammatik hervor. Später bekam sie ihren Platz im ersten Teil der Sprachlehre: das Prinzip der Analogie war dabei der leitende Grundsatz. | ||||
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Die erkennbare Geschichte der technischen Grammatik fängt mit dem Werk des Thraziers Dionysius an; Fachausdrücke und Begriffe aus diesem Werk finden ihren Weg in griechische Fortzetzungen, aber auch in lateinische Übersetzungen wie die des Remmius Palaemon. | ||||
Kapitel 2Mit der Überzetzung und dem Nachfolgen der griechischen Werke und Diskussionen machen die Römer weiter. Und doch hat der römische Beitrag zur Geschichte der Grammatik einen wesentlich anderen Charakter: die systematische Beschreibung (ratio) und das Studium des korrekten Sprachgebrauches (usus) erhalten besonderen Nachdruk. Varro wird für den gehalten, der die griechischen Sprachdiskussionen nach Rom gebracht hat. Mit der Übersetzung des Dionysius eröffnet Remmius Palaemon die reiche Geschichte der lateinischen Grammatik. Sie bekommt eine kanonische Form und enthalt eine Lautlehre (mit evtl. auch einer Prosodie), eine Formenlehre mit den acht partes orationis und deren Merkmale, und einen vitia ac virtutes-Teil in dem anhand von Beispielen, Stilfiguren und Stilbruche veranschaulicht werden, sodaβ hier gleichzeitig auch von Syntax die Rede ist. In der literarischen-rhetorischen Grammatik steht das Wort mit seiner Form und Bedeutung als zentral Ausgangspunkt. Die spätere Kaiserzeit kennt diesbezüglich viele Varianten, welche in zwei verschiedene Typen von Grammatiken munden. Der Einfluβ dieser Grammatiken auf die nachfolgende geschichtliche Entwicklung ist kaum zu ermessen: der Typus der einfachen Schulgrammatik mit dem oben erwähnten Inhalt, und der mehr ausführliche, gelehrte Typus, später vielfach mit den Namen der Grammatiker Donatus und Priscianus bezeichnet. Die Gliederung ist bei allen Typen die gleiche: von klein nach groβ: littera, syllaba (die Verbindung von litterae, evtl. mit Prosodie), vox/dictio, syntaxis (die Verbindung von Wörtern). | ||||
Kapitel 3Die Geschichte der mittelalterlichen Grammatik läβt sich nur schwer beschreiben, auch dann, wenn man sich ausschlieβlich auf die Entwicklung des grammatischen Modells beschränkt. Es handelt sich um einen langen ‘Auslaufer’ der antiken (dann als klassisch bezeichneten) Grammatik: Donatus und Priscianus und deren mittelalterliche Nachfolger. Daneben entwickelt sich, unter Einfluβ der direkten Kontakte mit den Werken des Aristoteles in griechischer Sprache, allmählich eine philosophische Grammatik. Die einfache Schulgrammatik findet man in den Werken des Cassiodorus, Isidorus, Alcuinus und anderer Lehrplanautoren wieder. Sie umfaβt in aufgelisteter Form die kanonischen Themen. Die Grammatik nach der karolingischen Periode wird immer mehr mit der Dialektika verbunden und die Themen sind mehr oder weniger in ‘Spalten’ aufgeteilt: Sache, Begriff und Wort werden von den Modisten wieder auf eine Linie gestellt und consignificatio spielt die Schlüsselrolle in der mittelalterlichen Grammatik. Neben den scholastischen Grammatiken wer- | ||||
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den nach wievor einfache, auch mal versifizierte, Schulgrammatiken geschrieben, in denen man zwar die neuen Auffassungen wiederfindet, ohne daβ das Wesen der klassischen Grammatik beeinträchtigt wurde. | ||||
Kapitel 4Renaissance und Humanismus kehren zum Modell der Antike zurück. Die ‘römische’ Grammatik, nach rhetorisch-literarischen Muster, wird von den Humanisten pädagogisch gestaltet: zuerst die rudimenta, die erste Aufzählung der unterschiedlichen Bausteine der Grammatik. Bei einer Gelehrtengrammatik wird aber wesentlich tiefer darauf eingegangen; dagegen wird in einer Schulgrammatik der Grundplan um viele literarische Zitate und Verweise erweitert. Es wird klar, daβ der Gebrauchszweck den Inhalt der Grammatik bestimmt, aber generell wird man eine Grammatik, welche aus vier Hauptteilen besteht, vorfinden: litterae, syllabae (mit oder ohne Einleitung in die Verslehre), partes orationis und constructio/syntaxis. Trotz der geringen Rolle, welche der Grammatik in der Auffassung von Erasmus und anderen beigemessen wird, bleibt der Grundplan beibehalten; er hat einen rhetorisch-literarischen und informativen Charakter. Die Rolle der Syntax wird wieder auf das Verbinden der Wörter reduziert. Die Theoretiker dieses Zeitalters suchen währenddessen nach neuen Wegen. Scaliger (1484-1558) gibt den Anstoβ zur theoretischen Gegenreformation: nicht der Gebrauch der Sprache (literarisch oder rhetorisch), sondern das abstrakte System der Sprache sollte erforscht werden. Ramus (1515-1572) nimmt die Physik als Ausgangspunkt und ordnet die klassischen grammatischen Begriffe dichotom an, eine Umgruppierung, die sich aber wohl einen groβen Einfluβ auf das grammatische Modell ausgeübt hat. Sanctius (1523-1601) leitet mit der Verbindung usus/ratio eine neue Epoche ein: auch hier wiederum das ständige Zurückgreifen der Theorie auf den Sprachgebrauch. Die vorherrschenden Namen in der Grammatik sind Despauterius, Lithocomus und Vossius. Ihre klassischen Grammatiken sind für die Lateinschule und für alle Wissenschaftler obligatorisch. | ||||
Kapitel 5Mit dem Entstehen moderner Staaten ändert sich auch das Verhältnis zu den Volkssprachen. Die Diskussion fangt in Italien (die Questione della lingua), das schon sehr früh berühmte Autoren in der Volkssprache kennt, an und findet ihre Fortsetzung in den anderen westeuropäischen Ländern. Überall spielen kulturelle, soziale, nationale und religiöse Beweggründe eine Rolle. Für die Niederlande müssen ausdrücklich noch zwei hinzukommende Faktoren erwähnt werden: die ersten technischen Errungenschaften und die damit verbundene invoering van de mechanistische beschouwingswijze (Dijksterhuis), welche nur mangelhaft in die überlieferten Bezeichnungen einzuordnen war, sowie auch der blühende Handel und die Handelsbeziehungen in In- und Ausland. Der Austausch neuer Entwicklungen in den Fachgebieten Mathematik, Physik, (Schiffs)baukunst, Straβen- und Kanalbau, Astronomie, Handel und Medizin, geschah vielfach in der Volkssprache, die sich dadurch gerade auf nationaler Ebene | ||||
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Ansehen verschaffte. Durch diese Entwicklung wurde die Linguistik als letzten Disziplin übersetzt. Wie auch Bonst überall waren die ersten niederländischsprachigen Grammatiken ‘Übersetzungen’ (mit den notwendigen Anpassungen) aus den damaligen vorherrschenden lateinischen Grammatiken und Orthographien. Nach einer Anfangsperiode mit Vokabularen, lateinischen Grammatiken (mit Anmerkungen und Lesarten) und kleinen Werken fur die Rechtschreibung sehen wir den ersten ernstzunehmenden Ansatz einer niederländischen Grammatik von Hand des Kaufmanns Radermacher (1568). Darin wird der Kurs angegeben: das Bedürfnis nach einer Sprachregelung war sehr groB und die überlieferte lateinische Grammatik konnte als Vorbild dienen. Natura, ars und imitatio waren dabei die Schlüsselwörter. | ||||
Kapitel 6Das Studium der wichtigsten niederländischen grammatischen Werke (unter denen auch die Grammatiken der Fremdsprachen) liefert das Material zur Analyse des klassischen Grammatikmodells in niederländischer Fassung. | ||||
Kapitel 7Eine Bemerkung vorweg zur Gliederung dieses Grammatikmodells: wir sehen eine Vierteilung Buchstabe, Silbe, Wort, Wortfügung und dazu die ausführlichen Erörterungen auf den Gebiet der Prosodie, Akzentlehre u.s.w. Der Anschluβ an die lateinische Grammatik ist vollstandig, wobei sowohl die unstrukturierten Sprachlaute wie auch das Studium des Satzes aus dem Rahmen der Grammatik fallen. Ganz nach dem Prinzip des Aristoteles werden die Werkzeuge der logica/dialectica gehandhabt:
Die Einteilung in Spezies erfolgt auf Grund der Form- und Bedeutungsmerkmale, ergänzt durch die Anordnungseigenschaften. Die Definition von Luhrman in Beziehung zur humanistischen Grammatik lautet: ‘Woordsoorten-AccidentiaModel’, wobei die accidentia (charakteristische Eigenschaften) in einer bestimmten (engen) Verbindung eine bestimmte Wortklasse hergeben. Es zeigt sich, daβ die Stelle der verschiedenen accidentia im Modell unentschieden ist, vor allem bei den accidentia die in die Nähe der essentia des Wortes geraten und somit auch in die Nähe der Grenze zwischen wesentlicher Eigenschaft und ‘anhaftender’ Eigenschaft. Die Ungewiβheiten in den Beschreibungmethoden können deren Prinzipien, welche auch in den anderen Teilen der Grammatik verwendet werden, nicht beeinträchtigen. | ||||
Kapitel 8Diese Studie will abschlieβend versuchen, die inneren und äuβeren Gesichtspunkte des ersten angewandten Grammatikmodells in niederländischer Sprache | ||||
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zusammenzufassen und auf das Wesentliche zurückzuführen. Das heiβt, daβ die klassische Grammatik ihre logische Grundlage aus der Entstehungsgeschichte in Griechenland mitbekommen hat, und daβ sie ihre endgultige Form der dann vorherrschende humanistischen Grammatiken entlehnt: die Aufgabenstellung wird implizit ubernommen, sie kennt aber zwangsläufig durch die Entwicklungsphase, in der sich die Volkssprache befindet, andere Priorititen. Das Beschreibungsmodell kann dann als eine Verarbeitung der drei Typen von Sprachthemen umschrieben werden: Bedeutung, Form und Stelle. Das Ergebnis ist eine Beschreibungsstruktur, welche sich bemüht, die linguistischen Einheiten mit einer morpho-semantischen Definition, zu beschreiben, welche weiterführt in die Unterteilung und Gliederung der Eigenschaften. Man könnte diesen Typus der Grammatik ein divisio-accidentiamodell nennen. Somit ist zugleich die doppelte Rolle der Dialektik nachgewiesen: als 2. Teil des Trivium und als Lieferant der Grundbegriffe der Grammatik.
Übersetzung: Carla Limperg-Denig |
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