Grund-richtig-Volkommene, doch kurtz gefaßte Nider-Teutsch-, oder Holländische Grammatica
(1716)–Matthias Kramer– Auteursrechtvrij
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Vorrede, An den (resp.) Günstigen Leser, und Hoch-teutschen Liebhaber der Nider-teutschen SpracheEs verwundern sich nicht ohne Grund sehr viele, das gemeine Beste sich bestens angelegen seyn lassende Beförderere gelehrter Sachen: warum eine so grosse Menge allerhand gut- und schlimm,- rechtschaffen- und abgeschmackten Grammatiken von der frantzösischen Sprach hervor gekommen; und daß in unseren Teutschland fast kein vertriebener Franzos, oder sonst jemand, sich für einen Lehr-Meister von selbiger aufwerffe der nicht, um sich vor andern hervor zu thun, nach eigenen Principiis, eine gantz besondere in Druck gäbe; da doch die meisten, so man sie beym Liecht besiehet, nur liderliches, allgemeines Zeug; und da je was gut- und nutzliches darinnen, Sie selbiges andern soliden Autoren abgediebet, und sich mit fremd-, oder geborgten Federn geschmücket haben; Dannenhero auch dero meister Theil, zu grossem Schaden und Wehe-Klagen der Verlegere, in denen Buch-Läden theils vom Staub und von Mäusen gefressen, theils denen Gewürtz- und Käse-krämern zu Theil werden. Hierüber, sage ich noch einmal, verwundern | |
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sich mit mir nicht wenige; da hingegen noch bißhero, so viel mir wissend, niemand auf die Composition einer grund-richtig, rein Nider-teutschen Grammatica für die Hoch-teutschen bedacht gewesen; unangesehen, daß diese vortrefflichen Sprach, nicht allein nicht minder als die unsere, eine Grund-Sprach, nicht minder Regul-richtig, eben so Wort und Phrases-reich, eben so anmutig und nachdrücklich; sondern auch unter denen Philologis über das Vor-Alter und Rang dieser 2 Schwestern ein grosser Streit ist. Von der Nuzbar-, ja Nohtwendigkeit dieser, nemlich der Holländischen Sprache wäre viel zu sagen; allein, man betrachte nur, nebst denen vortrefflichen, in allen Wissenschaften und Künsten bereits gedruckten, und noch täglich, beyde in gebunden- und ungebundener Rede, zum Vorschein kommenden schönen holländischen Büchern, das unaufhörlich fürwehrende grosse Commercium, und die stäte Correspondentz zwischen beyden Hoch-und Nieder-teutschen Nationen, so wol in Staat- und Kriegs-, als in Kauf- und Handels-Sachen; zu welchen Verrichtungen, dafern sie anders recht ausgericht werden sollen, niemand in Zweiffel stehet, daß nicht allein, sothanen Bedienungen bey gethanen Ober- und Untern Ministris, Abgesandten, Secretariis, Kriegs-Officiers, Handels-Leuten; und folgends, der gantzen hierzu destinirt und abzurichtenden Jugend, von dieser Sprache wo nicht die vollkommene Kundschafft und Fertigkeit; wenigstens die Fundamenta, dieselbe recht zu lesen, und zu verstehen; item zu schrei- | |
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ben, und einiger Massen zu reden; absolutè nöthig seyen. Sehen wir nicht täglich vor Augen, wann die, nicht Nider-teutsch könnende Hoch-; oder vice versa, die, nicht Hoch-teutsch wissende Nider-teutschen mit einander Briefe zu wechseln, oder mündlich zu reden haben; daß sie entweder einander müssig gehen, oder Dolmetschen halten; oder aber, daß sie sich beyderseits mit dem Frantzösischen, so gut als sie es können, behelffen müssen? Sehen wir nicht auch, daß beyder Nationen Leute, dißfalls fast nur darum Frantzösisch zu lernen bemühet seynd, weilen, weder für die Hoch-teutschen eine Nider, noch für die Nieder-teutschen eine Hoch-teutsche Grammatica, und Dictionarium zu haben ist? ob sie schon wissen, daß wegen inniglicher Anverwandschaft beyderseits Grund, und Mutter-Sprachen, sie zehenmal eher diese, oder jene, als Französisch lernen könnten: Woraus dann erhellet, daß die eigentliche Ursach, warum so wenig Hoch-teutsche recht Holländisch, und vice versa so wenig Hol- und Niderländer recht Hochteutsch können, nicht von selbiger Sprachen Gering-Haltung; sondern einig und allein davon herrühre, daß es bishero an einem Manne gefehlet, welcher beyder teutschen Sprachen in gleicher Vollkommenheit erfahren, beyden Nationen zu Dienst, eine gründliche Nider-teutsche Grammaticam, und ein rechtschaffen Nider- und Hoch-teutsches Dictionarium hätte zum Stande gebracht. Es ist zwar nicht ohne, daß die Holländi- | |
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sche Sprach einem Hoch-teutschen, wegen gedachter ihrer beyden unterlichen Aenlichkeit, nicht schwer zu verstehen seye; weßwegen auch etliche der Meynung sind: es bedürffe einer hierzu weder Grammatica, noch Dictionarium; allein, Diese bedencken nicht, was zwischen dem, eine Sprache so etwas überhaubt, und par discretion verstehen, und selbige reden und schreiben können, für ein grosser Unterschied seye. Ein Kind von zwey Jahren verstehet auch seinen Vater und Mutter; kan drum nicht auch reden, noch ihnen antworten vielweniger einen Discurs führen; So kan auch ein Kind von drey, vier à fünff Jahren gemeinlich gehen, kan drum nicht auch lauffen und springen, vielweniger Capriolen schneiden; Es kommen mir solche Leute auch vor, wie einige junge Leute (deren mir meine Tage viel unter die Hände gekommen) welche, weiln sie gut Latinisch gelernet; wann sie was in meinen Jtaliänischen kleinen, und familiaren Gesprächlein lasen, und das Meiste, ja fast alles so hin verstunden, auf die Gedancken kamen: es wäre die Jtaliänische Sprach nur ein corrupt oder verdorbens Latin, und daß es ein jeder, der nur Latinisch kan, gar leichtlich lernen könnte; allein, nachdem sie diese Sache, und zumalen den grossen Unterscheid zwischen beyder Sprachen Construction und besondern Idiotismis etwas tiefer eingesehen, da haben sie erkennen müssen, daß ihre falsche Einbildung sie geteuschet, und daß ihnen zu rechter Erlernung der Toscanisch-Romanischen Sprach, meine Grammatica Reale, und meine Dictionarien nicht allein sehr nöthige gute Dien- | |
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ste gethan; sondern haben auch befunden, daß ihnen ihr gut Latin mehr darinnen gehindert, als gefördert habe, weilen öffters einer, der nie in die Latinische Schul gangen, oder nur so genanntes Küchen-Latin gelernt, und folgends, mit solchen Ideen uneingenommen ist, das rein Jtaliänische ehender und besser erlernet, als der beste Latinist. Siehe dann, Hoch-geschätzter Leser, und Liebhaber! das seynd die einigen Motiven, welche mich (der ich zwar, dem Herkommen und Geburt-Stadt nach ein Hoch-teutscher Ga naar voetnoota aber, der angräntzenden Landschaften nach, für einen halben Holländer passiren könnte, angesetzt haben, meinen Lands-Leuten diese, in zwey kleine Theile verfasste, und vermittels eines darzu bequämten Drucks, in desto wenigere Bogen eingeschränckte Holländische Grammaticam auszufertigen: welche, als die allererste, so meines Wissens in Hoch-teutsch zum Vorschein kommen ein anderer Grammaticus zwar leichtlich abschreiben, oder auch ein auswärtiger Buch-Händler wie sie da ist, unverantwortlich nachdrucken; aber, weilen sie, GOtt sey die Ehre! in allen Stücken grundrichtig, aufs fleissigste elaborirt, und nach meiner gewöhnlichen, beyde Lehr-Art und Lehr-Ordnung eingerichtet ist, schwerlich wird verbessern können. Jch will jedennoch so ein lieblos- und wider-Christisches Nachschreiben, und Nachdrucken zu meinem grossen Schaden, keinem Christ-Ehrlichen Buch-schreiber, noch Händler zumuten, so lang daß gnugsame Exemplarien von uns | |
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um die Billigkeit werden zu bekommen seyn. Ubrigens, durchlese ein jeder hochteutscher Liebhaber dieser hüpschen Sprach, diese Grammaticam fleissig und offt; aber nach der Ordnung; er studire darinnen mit Bedacht, und fasse die fünff Haupt-Lehren samt derer Anmerckungen wol, so kann ich ihn versichern, daß er mit Göttlicher Hülffe, in wenig Zeit, ohne mündlichen Lehr Meister, seinen Zweck erreichen, und, wo nicht zum Ornat, und zur red-kunst-mässigen Zierlichkeit (weil diese aus keiner Grammatica zu erlernen, auch von keinem Ausländer gesucht wird) wenigstens zu einer seinen Congruität, (Füglichkeit) darinnen gelangen werde. Es stehet dannenhero zu hoffen, gleichwie vor 45. Jahren, als die Jtaliänische Sprach noch in Teutschland nirgend, als am Kayserlichen Hofe im Flotmar, ichs, ohne eiteln eigenen Ruhm zu reden, vermittels meinen damals schon ans Licht gebrachten Jtaliänischen Grammaticken und vollständigen Dictionarien so weit gebracht habe, daß dieselbe nunmehr nicht nur an allen Höfen beliebt, und geredt wird; sondern auch unter allen unsern nach Jtalien handelenden Kauff-Leuten gemein worden ist; daß diese meine erst neugeborne Nider-teutsche Grammatica; wie auch mein Nider- und Hochteutsches Dictionarium, eben dieses Glück haben, und gleichen effect praestiren werden. Meine (resp.) Hochgeehrten Herrn Lesere leben in Gott vergnügt und bleiben dem Autori in seinem hohen Alter gewogen, und seinen Hinterlassenen nach seinen sel. Hintritt in der Liebe wol geneiget! |
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