Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdWas dachte Shakespeare über Poesie.
| |
[pagina 483]
| |
machen. Die Liebeserklärung wird öfters mit einem Hinweise auf die Poesie, auf bekannte Helden und Heldinnen von Gedichten, auf verliebte Dichter der Vergangenheit, Hero und Leander, Laura und Petrarch, begleitet. Sonette werden durch Liebesboten überbracht, oder an Bäume geheftet, oder der Angebeteten vorgesungen. Den Vornehmen kommt es dabei nicht allein darauf an, ihre Empfindung auszusprechen, sondern auch ihre feine Bildung und Lebensart zu beweisen, und auf das weiche weibliche Herz einzuwirken. Die allgemeine Sitte des Reimens und Musizirens mochte aus dem Süden eingeführt worden sein. Jedenfalls schweben den Stutzern Shakespeares besonders italienische Vorbilder vor: ihre beliebteste Form ist das Sonett, und die Nachahmung Italiens wird bald gepriesen, bald von Spottvögeln ausgelacht oder von älteren, strengen Moralisten missbilligt. Der spanischen Verskunst hat Shakespeare nur ein einziges Denkmal, in dem Euphuisten Don Armado der Verlorenen Liebesmüh, gesetzt, aber dieser ist an ausgesuchter Ziererei dem Besten, was unser Dichter in dieser Art geschaffen, gleich. Seine eigene Doppel-Beziehung zur Literatur, als Dichter und als Schauspieler, hat Shakespeare öfters in seinen Dramen berührt, aber ohne seinen Beruf erheben oder preisen zu wollen. Die Schauspieler erscheinen vor Fürsten und Herrn im Hamlet und in der Widerspenstigen Zähmung als niedrige, verachtete Diener der fürstlichen Vergnügungssucht, werden aber mit Huld und Gastfreundschaft empfangen, was wohl den Zuschauern zur Nachahmung vorgehalten wird. Hamlet empfiehlt sogar, sie aus dem Grunde gut zu behandeln, weil sie ‘der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters’ sind ‘Es wäre euch besser,’ fügt er hinzu, ‘nach dem Tode eine schlechte Grabschrift zu haben als üble Nachrede von ihnen, so lange ihr lebt.’ (II, 2.) Vergleichungen zwischen dem Theater und dem wirklichen Leben kommen zu wiederholten Malen, und oft an pregnanter Stelle vor: bald sollen sie die Nichtigkeit und Kürze unseres weltlichen Treibens, | |
[pagina 484]
| |
bald den Gegensatz zwischen dem eiteln Scheine und der trüben Wirklichkeit des Lebens hevorheben; stets knüpft sich Geringschätzung und Bitterkeit an die Erwähnung des Schauspielerberufs. Als er den Tod seiner Frau erfährt, ruft Macbeth aus: ‘Aus! kleines Licht!
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr
Vernommen wird; ein Märchen ist's, erzählt
Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.-’
(V, 5.) Stellen wir dies mit dem XXIX. Sonett zusammen, in welchem unser Dichter seinen verstossenen Stand betrauert, und sich selbst fast verachtet, so dringt sich uns der Schluss auf, dass er sich durch seine untergeordnete Stellung tief erniedrigt fühlte. Die Dichter behandelt er in seinen Dramen nicht viel schonender als die Schauspieler. Von einem Dutzend Dichtern, die er auftreten lässt, sind die meisten verliebte, oft lächerliche Jünglinge, einige Phantasten oder Thoren, und der gescheiteste, der Dichter in Timon von Athen, ein Schmeichler und Speichellecker. Die scharfsinningen oder gedankenschweren Bemerkungen, die er ihnen bisweilen in den Mund legt, zeugen von ihrem geistigen Werte, aber wiegen kaum die Verachtung auf, die er mit ihrem niedrigen Stande und ihrer sittlichen Unwürde verbindet. Nun haben wir die Uebersicht solcher Stellen beendigt, in welchen die Literatur nach ihrer äusserlichen Stellung in der Gesellschaft, nach Stand und Alter, Geschlecht und Bildung ihrer Repräsentanten, behandelt wird. Statt sich von Eitelkeit oder Vorliebe zum eigenen Berufe verleiten zu lassen, seiner Kunst einen hohen Rang in seiner Darstellung der Welt zuzuweisen, hat Shakespeare mit unerbittlichem, fast hartem Wahrheitssinn die untergeordnete Rolle geschildert, welche sie im XVI. Jahrhundert in England spielte. Sie war ein verachtetes Vergnügen des Volkes oder eine muntere Spielerei | |
[pagina 485]
| |
junger Höflinge und Edelleute. Wer sie übte wurde weder mit Ehre noch mit Reichtum belohnt, und durfte höchtens auf eine nachlässige Gnade von seiten der Grossen der Welt rechnen. Nun wollen wir unsern Betrachtungspunkt ändern, und statt der äusserlichen die inneren Verhältnisse der Poesie, ihre Stellung im Seelenleben, ihre Verbindung mit der Welt der Ideen und Gefühle ins Auge fassen, und untersuchen, ob Shakespeare ihr an innerer Würde nicht ersetzt hat, was er ihr, der harten Wirklichkeit gemäss, an aüsserem Glanze zu nehmen gezwungen war. Je höher er von seiner Kunst dachte, desto mehr musste ihn ihre bescheidene Stellung in der Welt beschämen und schmerzen, wie ja edle und selbstbewusste Naturen für unverschuldete Hintansetzung am aller-empfindlichsten sind. Die Empfänglichkeit des weiblichen Geschlechts für Liebesdichtung ist nicht geringer, als der Eifer der jungen Männer dafür. Mit wenigen Ausnahmen sind ja Shakespeare's Heldinnen süsse, zärtliche Wesen, die ganz in ihren Empfindungen für die Geliebten aufgehen, und selbst die Kraft, die sie gelegentlich beweisen, meist aus der Allgewalt ihrer Gefühle schöpfen. Solche Gemüter sind für den Wohlklang und die künstlichen Wendungen des Gesanges leicht zugänglich. Dem unbeholfenen Werber wird die Dichtung von erfahrenen Ratgebern empfohlen, dem geschickten Sänger der Erfolg geweissagt. Die Sittenlehrer verurteilen die Poesie als eine lügnerische Verführerin der Jugend, welche mit ihren süssen Klängen die Sinne bethöre. Dass der Dichter ersonnene Gefühle und Helden besingt, wird ihm von ihnen zum Vorwurfe gemacht, wie wenn er seine Schöpfungen für Wirklichkeit ausgäbe und wörtlichen Glauben verlangte. Der wackere Krieger König Heinrich der Fünfte rühmt sich selbst in seiner derben Werbung um die Prinzessin Katharina, weil er nicht reimen und lügen kann, und ein gerader, treuer Ehemann sein wird. ‘König Heinrich.... All dein Leben lang, Käthchen, zieh | |
[pagina 486]
| |
einen Mann von schlichter und ungeschnitzter Beständigkeit vor, denn der muss dir notwendig dein Recht widerfahren lassen, weil er nicht die Gnade hat, anderer Orte zu freien; denn diese Gesellen von endloser Zunge, die sich in die Gunst den Frauen hineinreimen können, wissen sich auch immer hinaus zu vernünfteln. Ei was! ein Redner ist nur ein Schwätzer, ein Reim ist nur eine Singweise.’ (V. 2.) Diese Ausnahme aber bestätigt nur den Zusammenhang, welcher bei Shakespeare in der Regel zwischen Dichtung und Liebe erscheint. Diese Verbindung weist unwiderstehlich nach der von modernen Denkern aufgestellen Lehre hin, welche die ästhetischen Empfindungen auf den Geschlechtstrieb begründen. Schon im XVIII. Jahrhundert hatten englische Schriftsteller die gegenseitige Anziehung der Geschlechter für einander zu den Quellen poetischer und künstlerischer Gefühle gerechnet. In neuester Zeit haben darwinistische Denker diese Ansicht wiederholt; wir finden sie bei Shakespeare zum Teile bestätigt. Die verliebten Edelleute der Komödien scheuen sich nicht, ihre Gelehrsamkeit zur Schau zu tragen. Besonders brüsten sie sich mit ihrer Vertrautheit mit dem griechischen und lateinischen Altertum und der petrarchischen Sonettendichtung. Die Orpheussage namentlich wird mehrmals, und stets von Höflingen, erwähnt. Eigentliche Pedanten aber sind die jungen Dichter gewöhnlich nicht. Gelehrte Thoren hat Shakespeare zumal in Verlorener Liebesmüh auf die Bühne gesetzt. Und da thut sich der Schulmeister Holofernes als affektirter Dichter und beschränkter Kritiker hervor. Was dem gewöhnlichen Verstande am fernsten liegt, ausgesuchte Gedanken, bombastische Ausdrücke, das wird von dem Schulmeister als vornehm und fein bewundert. Schwulst und Ziererei sind freilich in Shakespeares Werken, selbst an pathetischen Stellen, so häufig, und waren zu seiner Zeit in der besten Gesellschaft und bei ernsten Schriftstellern so gewöhnlich, dass seine Personen uns oft affektirt und lächerlich erscheinen, wo er sie | |
[pagina 487]
| |
als gebildet und geistreich darstellen wollte. Dem heutigen Leser ist es manchmal unmöglich, den rechten Standpunkt zur Beurteilung der Affektation bei unserm Dichter zu gewinnen. In ‘Verlorener Liebesmüh’ trifft, nach Genée's Worten, die Geissel des Spottes die Helden des Euphuismus. Ein ganzer Hofkreis wird uns vor Augen geführt, in welchem Natur und Wahrheit durch künstliches Formenwesen und mühselige Unnatur ersetzt werden. Junge gebildete und sonst verständige Menschen vergeuden ihre guten Kräfte in Grillen, und schaffen sich, entgegengesetzt den Forderungen der Natur und Vernunft, ein verkünsteltes Dasein. In der Rolle des Schulmeisters Holofernes, wie in der des Polonius im Hamlet, tritt Shakespeares spöttische Absicht ganz offen zu Tage. Die Pedanten führen die Namen lateinischer Klassiker im Munde. Polonius spricht von Plautus und Seneca, Holofernes von Virgil und Horaz, und der Narr Tonchstone in ‘Wie es euch gefällt’ macht sogar ein schauerliches Wortspiel mit Bezug auf Ovid. Englische Dichter werden von diesen Pedanten nicht genannt.Ga naar voetnoot(1) Die Kritiker, die Erbfeinde des ganzen Dichtergeschlechts, erhalten in den Rollen von Polonius und Holofernes einige leichte Seitenhiebe. | |
V.Zunächst lassen die angeführten Thatsachen eine etwas günstigere Deutung, als die obige, zu. Die Träger der literarischen Bildung sind weder die kräftigsten, noch die edelsten Gestalten in der von Shakespeare geschaffenen Welt. Sie haben aber einen eigenen Reiz, der aus der Verbindung geistiger Gewandtheit mit leichter Ironie entspringt. Was in andern Gemütern den Willen stählt oder das Herz erschüttert, das weckt bei ihnen die Phantasie zu einer spielenden Thä- | |
[pagina 488]
| |
tigkeit, welche sie den Sorgen und Pflichten des Lebens enthebt, sie tändeln mit Zuständen, wovon andere überwältigt werden, und bewahren dadurch eine Elastizität, welche sie über das gemeine Leben in einen Kreis höherer Freiheit erhebt. Selbst die Pedanten schweben in ihrem Wahne über die Erde hinweg, auf welcher rohere Wesen sich mit allem Ernste festsetzen. Die Künste sind das Erbteil sanfter Gemüter und die Gefährtinnen einer feineren Gesinnung. Die Schäferinnen, welche den plumpen Lügen des Bänkelsängers Autolycus Glauben schenken, gewinnen dadurch an naiver Liebenswürdigkeit. Hervorgehoben wird dieser Reiz des poetischen Sinnes durch den Gegensatz mit roheren Gemütern, welche dem Zauber der Künste verschlossen bleiben. Dieselben erscheinen nur ausnahmsweise symphatisch, wie der wilde Krieger Heissporn im ersten Teile von Heinrich IV, wenn er in komischer Entrüstung ausruft: ‘Ich wär ein Kätzlein lieber, und schrie Miau
Als einer von den Vers-Balladen-Krämern.
Ich hör 'nen ehrnen Leuchter lieber drehn,
Oder ein trocknes Rad die Axe kratzen;
Das würde mir die Zähne gar nicht stumpfen,
So sehr nicht als gezierte Poesie
'S ist wie der Passgang eines steifen Gauls.’
(III, 1). Die Feinde der Künste sind gewöhnlich gefühllose Seelen, die keiner edeln Regung fähig sind, oder geradezu bösartige, schlechte Charaktere, wie, in der Widerspenstigen Zähmung, die Keiserin Katharina, die ihre Laute auf dem Kopfe ihres Musiklehrers in Stücke haut. In diesem Falle müssen wir uns die Musik, wie oft im XVI. Jahrhundert, als unzertrennlich von der Dichtkunst denken, da die Laute zur Begleitung des Gesanges diente. Wie die liebenswürdigen Menschen, so sind auch die Engel Freunde der Tonkunst. Singend treten in den romantischen Schauspielen die übernaturlichen Wesen auf, | |
[pagina 489]
| |
gleichviel ob sie, wie die Hexen im Macbeth, böse, oder, wie Ariel und die lieben Feen in Sturm, oder, wie Oberon, Titania und ihr Gefolge im Sommernachtstraum, wohlthätige Geister sind. Der Gesang ist ein Zeichen ihrer höheren Natur und grösseren Gewalt. Nach dem Vorgange des Altertums steht die Musik bei Shakespeare sogar oft für Harmonie in der Weltordnung und im Seelenleben, und bezeichnet alles schöne Ebenmass und Zusammenhang in unserm Denken, Empfinden und Handeln. In der entzückenden Nachtszene des Kaufmanns von Venedig schwärmt Lorenzo am Busen der geliebten Jessica, die er aus ihres Vaters Haus entführt hat, indem er auf den gestirnten Himmel weist: ‘Auch nicht der kleinste Kreis, den du da siehst,
Der nicht im Schwunge wie ein Engel singt,
Zum Chor der hellgeaugten Cherubim.
So voller Harmonie sind edle Geister,
Nur wir, weil dies hinfäll'ge Kleid von Staub
Ihn grob umhüllt, wir können sie nicht hören.’
Im Übermass des Glückes seufzt die Braut:
‘Nie macht die liebliche Musik mich lustig.’
Und er erwidert:
‘Drum lehrt der Dichter
Gelenkt hab' Orpheus Bäume, Felsen, Fluten,
Weil nichts so stöckisch, hart und voll von Wut,
Dass nicht Musik auf eine Zeit verwandelt.
Der Mann, der nicht Musik hat in ihm selbst,
Den nicht die Eintracht süsser Töne rührt,
Taugt zu Verrat, zu Räuberei und Tücken;
Die Regung seines Sinns ist dumpf wie Nacht,
Sein Trachten düster wie der Erebus.
Trau keinem solchen!’
(V. 1.). Wer möchte bei solchen Klängen daran denken, dass die beiden Schwärmer den abscheulichen Juden Shylock betrogen und bestohlen haben? Wie hier die beiden Flüchtlinge vom Mondschein und der Liebe verklärt werden, so werden auch die verächtlichen Dichter oder Schauspieler in Shakespeare's | |
[pagina 490]
| |
Dramen durch den kühnen Flug ihrer Phantasie veredelt. Der Dichter in Timon von Athen ist der bedeutendste der rein literarischen Charaktere in Shakespeares Werken. Unter der Menge der Schmeichler, die den freigebigen Timon umgeben, zeichnet er sich weder durch besondere Zartheit des Gewissens, noch durch grössere Würde in seinem Auftreten aus. Aber mit welcher Tiefe spricht er von seiner Kunst, und welche hohe Sendung erfüllt dieselbe im Laufe des Stückes! Gleich anfangs sagt er in einem Gedichte die Katastrophe vorher, welche den leichtsinnigen Helden ereilen wird. Freimütig warnt die Poesie den verschwenderischen Timon vor dem unvermeidlichen Falle und vor der Falschheit seiner angeblichen Freunde. In dem Gespräche zwischen dem Dichter und dem Maler, welche beide dem Reichen ihre Erzeugnisse darbieten, wird zwischen ihren zwei Künsten eine Vergleichung angestellt, welche ganz zu gunsten der Dichtung ausfällt, da dieselbe nicht blos, wie die Malerei, das Gegenwärtige schildert, sondern mit prophetischer Gewalt auch die entfernte Zukunft voraussieht. Eine ähnliche Macht wird der poetischen Phantasie in einer oft angeführten Stelle des Sommernachtstraumes zugesprochen: ‘Wahnwitzige, Poeten und Verliebte
Bestehn aus Einbildung. Der Eine sieht
Mehr Teufel als die weite Hölle fasst;
Der Tolle nämlich. Der Verliebte sieht,
Nicht minder irr', die Schönheit Helena's
Auf einer AEthiopisch braunen Stirn.
Des Dichters Aug, in schönem Wahnsinn rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erd hinab,
Und wie die schwangre Phantasie Gebilde
Von unbekannten Dingen ausgebiert,
Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt
Daś luft'ge Nichts, und gibt ihm festen Wohnsitz.’
(V, 1.) Durch diesen idealen Gehalt wird die Poesie über die Betrachtung vereinzelter Vorfälle und Charaktere in das Gebiet | |
[pagina 491]
| |
des Allgemeinen, Ewigen, erhoben. So spricht der Dichter im Timon: ‘Mein freier Zug wird nirgend
Gehemmt durch Einzelnes, nein, segelt fort
In weiter, klarer See: kein boshaft Zielen
Vergiftet eine Silbe meiner Fahrt;
Sie fliegt den Adlerflug, kühn, stets gradaus,
Kein Wölkchen hinter sich.’
(I, 1.) Das Zufällige, Vergängliche, soll also nicht den Gegenstand der Poesie bilden. Auch in ihrem Ursprung ist sie von äusserliehen Anlässen unabhängig: sie ersteht von selbst im Geiste, und sindet ihren Zweck, wie ihre Quelle, in sich selbst. Auch diese Wahrheit legt Shakespeare in den Mund des Dichters im Timon, der vom eignen Werke sagt: ‘Mussestunden
Entlockten mir so etwas. Unser Dichten
Gleicht einem Harze, das ganz leicht entquillt
Dem Baum, der es hervorbringt. Feuer bleibt
Im Stein verborgen, bis der Schlag erfolgt;
Doch unsre edle Flamme lockt sich selbst
Hervor und flieht, dem Wasserstrome gleich,
Jedwede Hemmung.’
(I, 1.) Der Leser wird in diesen Aussprüchen den Nachklang der neoplatonischen Lehre von den ewig unwandelbaren Ideen erkennen, die allem Konkreten und Vergänglichen zu Grunde liegen. Bei englischen Philosophen und Kritikern haben diese Lehren vielfach Eingang und Wiederholung gefunden. Sie beherrschen die kritische Literatur Englands von der Renaissance bis an das Ende des XVIII. Jahrhunderts. An sie knüpft sich die nicht weniger verbreitete Ansicht, dass der Dichtung eine tiefere, dauerhaftere moralische Bedeutung zukomme, als der historischen, sinnlichen Wahrheit. Im Timon bekundet sich der Moralismus dadurch, dass die durch die Handlung des Dramas veranschaulichte Lehre gleich anfangs, durch den Mund des Dichters im Stücke, verkündet wird. Fast | |
[pagina 492]
| |
dürfte man den Timon seinem Inhalt und seiner inneren Struktur nach als eine Moralität (morality-play), bezeichnen, so regelmässig entwickelt sich die ganze Begebenheit nach dem vorgeschriebenen Schema. Viel kunstreicher und innerlicher wird der moralische Wert der Dichtung im Hamlet dargestellt, wo das böse Gewissen der Verbrecher durch eine eingeschaltete Pantomime verraten und der ganze Gang des Stückes durch dieses thätige Eingreifen der Theaterkunst in die Handlung bestimmt wird. Nirgends hat Shakespeare die wohlthätige Macht der Kunst in ein helleres Licht gestellt, als durch diese Wendung seines beliebtesten Meisterwerkes. Keiner seiner Helden ist auch so tief von literarischer Bildung durchdrungen, und gefällt sich so in weitläufigen Betrachtungen über das Theater, als Hamlet. Sein Urteil über die Schauspielkunst ist der Gegenstand so häufiger Erörterungen gewesen, dass der Leser wohl kein Bedürfnis an einer neuen Besprechung desselben empfinden wird. Es ist weniger allgemein gehalten, als die schönen Stellen, die oben aus dem Timon angeführt wurden. In ihrer weisen Mahnung zum Masshalten aber entsprechen sie der tiefen Liebe unseres Dichters für allseitige Gerechtigkeit und Gleichgewicht, und erklären den vornehmen, zurückhaltenden Zug in seinem Geiste, der ihn von allem Gemeinen und Pöbelhaften fern hielt. | |
VI.Die Würde und moralische Bedeutung der Bühne aber hat er nicht allein mittelbar geschildert, indem er sie in der Handlung des Hamlet mitwirken liess, er hat sie auch in einer Anzahl von Prologen, zum Perikles, dem Wintermärchen, Heinrich dem Fünften und Heinrich dem Achten, dargestellt. In den Prologen spricht er seine Ansichten nicht mehr durch den Mund der Personen im Drama, sondern in seinem eigenen Namen, als Dichter, aus. Der Prolog Heinrichs VIII. klingt fast wie eine Entschuldigung für den traurigen Inhalt des Schau- | |
[pagina 493]
| |
spiels; da er manche tressende Aussprüche über Theater und Publikum enthält, drucken wir ihn vollständig ab: ‘Ich komme nicht mehr, dass ihr lacht. Gestalten,
Die eure Stirnen ziehn in ernste Falten,
Die traurig, gross, stark, voller Pomp und Schmerz,
So edle Scenen, dass in Leid das Herz
Zerrinnt, erscheinen heut. Die Mitleid fühlen,
Sie mögen Thränen schenken unsern Spielen,
Der Inhalt ist es wert. Die, welche geben
Ihr Geld, um etwas Wahres zu erleben,
Sie finden hier Geschichte. Die an Zügen,
Geschmückten, sich erfreun und so begnügen,
Zürnen wohl nicht: zwei Stunden still und willig,
Dann steh ich dafür ein, sie haben billig
Den Schilling eingebracht. Nur die allein,
Die sich an Spass und Unzucht gern erfreun,
Am Tartschenlärm, die nur der Bursch ergetzt,
Im langen bunten Kleid, mit Gelb besetzt,
Sie sind getäuscht; mit Wahrheit, gross und wichtig.
Darf, Edle, niemals Schattenwerk so nichtig
Als Narr und Kampf sich mischen, sonst entehrten
Wir uns und euch, - die uns Vertraun gewährten,
Dass wahr nur sei, was jetzt vor euch erscheint -
Und so verblieb' uns kein verständ'ger Freund.
Deshalb, weil man als weis' und klug euch kennt,
Und in der Stadt die feinsten Hörer nennt,
Seid ernst, wie wir euch wünschen. Denkt, ihr seht,
Als lebten sie, in stolzer Majestät
Des edlen Spiels Personen. Denkt sie gross,
Vom Volk umringt; denkt ihrer Diener Tross,
Der Freunde Drang; seht hierauf, im Moment,
Wie solche Macht sobald zum Fall gewend 't;
Und seid ihr dann noch lustig, möcht ich meinen.
Es könn' ein Mann am Hochzeitstage weinen.’
Dieser Schluss erinnert an die bekannte Regel des Aristoteles, dass die Tragödie Mitleid und Furcht beim Zuschauer wecken müsse. Mit den Regeln der klassischen und neoklassischen Dramaturgie war Shakespeare gewiss nicht so | |
[pagina 494]
| |
unbekannt, wie viele seiner älteren Kritiker, besonders in Frankreich, angenommen haben. Sein Freund Ben Jonson, der auch ein Schauspieldichter war, hat sich mit Aristoteles' Poetik beschäftigt, und hat Horazens Brief über die Dichtkunst ins Englische übersetzt. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass unser Dichter sich als Fachgenosse öfters mit ihm über die literarischen Lehren des Altertums und der italienischen Renaissance unterhalten habe. Seine Stellung zu den berüchtigten Regeln der neoklassischen Bühne, insbesondere zu der Regel der drei Einheiten, war eine durchaus unabhängige. Er war zu sehr mit der Gestaltung der überlieferten dramatischen Stoffe beschäftigt, in welchen er seine ganze Welt- und Lebensanschauung niederlegte, um sich viel mit literarischen Theorien aufhalten zu können. Ein leiser Spott gegen die Gesetzgeber des Parnasses und ihre künstlichen Einteilungen und Klassifikationen, klingt in Polonius' Rede durch, wenn er seinem Fürsten Hamlet eine Schauspielertruppe lobt: ‘Die besten Schauspieler in der Welt, sei es für Tragödie, Komödie, Historie, Pastorale, Pastoral-Komödie, Historiko-Pastorale, Tragiko-Historie, Tragiko-Komiko-Historiko-Pastorale, für unteilbare Handlung oder fortgehendes Gedicht. Seneka kann für sie nicht zu traurig, noch Plautus zu lustig sein. Für das Aufgeschriebene und für den Stegreif haben sie ihres Gleichen nicht.’ (II. 2.) Shakespeare selbst scheint sich wenig darum bekümmert zu haben, in welche Klasse seine Stücke eingereiht werden könnten; er dachte vielmehr daran, den inneren Forderungen des Stoffes selbst Genüge zu leisten. Mit dem Franzosen Stapfer dürfen wir in dieser Beziehung behaupten, dass ‘Shakespeare's Gleichgiltigkeit für Lehrsätze jeder Art, das rein praktische Streben seiner schöpferischen Thätigkeit, einen Grundzug seines Genies ausmacht.’ Ein unmittelbares, lebendiges Abbild des Lebens liefert uns seine Kunst, wie es im schönen Prologe zum ersten Auftritt von Heinrich dem Fünften heisst: | |
[pagina 495]
| |
‘O! eine Feuermuse, die hinan
Den hellsten Himmel der Erfindung stiege!
Ein Reich zur Bühne, Prinzen drauf zu spielen,
Monarchen um der Scene pomp zu schaun!
Dann käm', sieh selber gleich, der tapfre Heinrich
In Mars Gestalt; wie Hund' an seinen Fersen
Gekoppelt, würden Hunger, Feu'r und Schwert
Um Dienst sich schmiegen. Doch verzeiht, ihr Teuren,
Dem schwunglos seichten Geiste, ders gewagt,
Auf dies unwürdige Gerüst zu bringen
Solch grossen Vorwurf. Diese Hahnengrube,
Fasst sie die Ebnen Frankreichs? stopft man wohl
In dieses O von Holz die Helme nur,
Wovor bei Agincourt die Luft erbebt?
O so verzeiht, weil ja in engem Raum
Ein krummer Zug für Millionen zeugt;
Und lasst uns, Nullen dieser grossen Summe,
Aus eure einbildsamen Kräfte wirken.
Denkt euch im Gürtel dieser Mauern nun
Zwei mächt'ge Monarchieen eingeschlossen,
Die, mit den hocherhobnen Stirnen dräuend,
Der furchtbar enge Ocean nur trennt.
Ergänzt mit dem Gedanken unsre Mängel,
Zerlegt in tausend Teile Einen Mann,
Und schaffet eingebildte Heereskraft,
Denkt, wenn wir Pferde nennen, dass ihr sie
Denn stolzen Huf seht in die Erde prägen.
Denn euer Sinn muss unsre Kön'ge schmücken:
Bringt hin und her sie, überspringt die Zeiten,
Verkürzet das Ereignis manches Jahrs
Zum Stundenglase. Dass ich dies verrichte,
Nehmt mich zum Chorus an für die Geschichte,
Der als Prolog euch bittet um Geduld;
Hört denn und richtet unser Stück mit Huld.
Wahrend in andern Vergleichungen zwischen der Bühne und dem Leben mit Bitterkeit auf die kleinlichen Verhältnisse des Schauspielerberufes hingewiesen wird, so erscheint hier das Theater als ein edles Abbild grosser Begebenheiten. Versöhnt werden diese entgegengesetzten Anschauungen in einem schönen Ausspruche des Sommernachtstraumes. Die Königin | |
[pagina 496]
| |
Hippolyta ärgert sich über das plumpe Spiel der wackern Handwerksburschen, die das Trauerspiel Pyramus und Thisbe vor ihr aufführen, mit den Worten: ‘Dies ist das einfältigste Zeug, das ich jemals hörte.’ Der weise König Theseus aber lobt die ungelenken Schauspieler ihrer guten Absichten wegen: ‘Das beste in dieser Art ist nur Schattenspiel, und das Schlechteste ist nichts Schlechteres, wenn, die Einbildungskraft nachhilft. Hippolyta. Das muss denn eure Einbildungskraft thun, nicht die ihrige, (näml. die der Schauspieler.) Theseus. Wenn wir uns nichts Schlechteres von ihnen einbilden, als sie selbst, so mögen sie für vortreffliche Leute gelten.’ (V, 1.) So gleicht die Weisheit all Gegensätze in erhabener Harmonie des Urteils aus. | |
VII.Wenden wir uns zu der höchsten Frage, welche der kritische Geist überhaupt aufwerfen kann, der Frage nach dem Verhältnisse zwischen Kunst und Natur, so begegnen wir bei Shakespeare wieder einem versöhnenden Urteil, das an Lessings bekanntes Epigramm, Kunst und Natur, erinnert. Die als Schäferin verkleidete Fürstin Perdita im Wintermärchen spricht mit Geringschätzung von den veredelten Gartenblumen, und verschmäht sie, weil sie Bastarde der Natur genannt werden.
Perdita. ‘Ich hörte,
Dass, nächst der grossen, schaffenden Natur,
Auch Kunst es ist, die diese bunt färbt.
Polyxenes. Sei's:
Doch wird Natur durch keine Art gebessert,
Schafft nicht Natur die Art: so, ob der Kunst,
Die, wie du sagst, Natur bestreitet, gibt es
Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen.
Du siehst, mein holdes Kind, will wir vermählen
Den edlern Spross dem allerwildsten Stamm;
Befruchten so die Rinde schlechtrer Art
Durch Knospen edler Frucht. Dies ist 'ne Kunst,
Die die Natur verbessert, - mind'stens ändert:
Doch diese Kunst ist selbst Natur,’
(IV, 3.)
| |
[pagina 497]
| |
In einem solchem tiefsinnigen Ausspruch, welcher weder durch den Charakter der Person, welche ihn äussert, noch durch die Situation im Drama gefordert oder bedingt ist, haben wir wohl das Recht, die eigene Ansicht unseres Dichters selbst zu vermuten. Auch eine Rede Prosperos im Sturm, wo der Zauberer sich von seinem Zauberbuche trennt, wird gewöhnlich auf Shakespeares Abschied vom Theater bezogen. Die Gewalt der Poesie ist hier wahrscheinlich gemeint, wenn Prospero den Elfen, welche alle Elemente beherrschen, zuruft: ‘Ihr Elfen,... mit deren Hülfe
(Seid ihr gleich schwache Fäntchen) ich am Mittag
Die Senn' umhüllt, Aufrühr'sche Wind' entboten,
Die grüne See mit der azurnen Wölbung
In lauten Kampf gesetzt, den furchtbarn Donner
Mit Feu'r bewehrt, und Jovis Baum gespalten
Mit seinem eignen Keil, des Vorgebirgs
Grundfest' erschüttert, ausgerauft am Knorren
Die Ficht' und Ceder; Grüft', auf mein Geheiss,
Erweckten ihre Toten, sprangen auf,
Und liessen sie heraus, durch meiner Kunst
Gewalt'gen Zwang: doch dieses grause Zaubern
Schwör'ich hier ab; und hab' ich erst, wie jetzt
Ichs thue, himmlische Musik gefordert,
...... So brech ich meinen Stab,
Begrab' ihn manche Klafter in die Erde,
Und tiefer, als ein Senkblei je geforscht,
Will ich mein Buch ertränken.’
(V, I.) Das hohe Selbstbewusstsein, das aus diesen Worten spricht, konnte bei keinem Menschen berechtiger sein, als bei dem Schöpfer der entzückenden Geisterwelt, die in Shakespeares Werken webt. Bei allen solchen Vermutungen ist jedoch der Zweifel noch immer statthaft. Wir können nicht versichern, dass unser Dichter bei den Worten Prosperos an sich selbst gedacht habe. Durchaus persönliche Äusserungen dürften wir viel eher in den Sonetten suchen, in welchen sich manche Anspielungen auf die literarische Thätigkeit vorfinden. Dieselben | |
[pagina 498]
| |
gehen aber selten über allgemeine Andeutungen hinaus; öfters weissagt der Dichter, dass die Sonette ewig dauern, und einen unsterblichen Ruhm verleihen werden. Über die Quelle dieses Wertes und den Grund dieser Hoffnungen aber erhalten wir keinerlei Aufschluss. Nur ein Sonett in der Pilgrim der Leidenschaft benannten Sammlung behandelt die Verwandtschaft zwischen Poesie und Musik, aber ohne sich über allgemeine und etwas unbestimmte Ideen zu erheben, deutet es nur auf die enge Übereinstimmung beider hin, indem es den englischen Epiker Spencer lobend nennt. | |
VIII SchlussIst es uns erlaubt, aus den kargen und oft einander widersprechenden Thatsachen, die wir zusammengestellt haben, einen Schluss zu folgern? Manche angeblich wissenschaftliche Hypothese ist auf eine ähnliche Reihe von wenig überzeugenden Belegen begründet worden, und es wäre nicht schwer, mit Hilfe einer fruchtbaren Phantasie ein luftiges Gebäude von Vermutungen auf den obigen Daten zu errichten. Aber dergleichen Spielereien zeugen von geringer Vernunft bei ihren Erfindern, und setzen bei den Lesern eine ausserordentliche Leichtgläubigkeit voraus. Lasst uns nur die unbestreitbare Thatsache festhalten, dass Shakespeare mit Scham und Ärger auf die niedrige Stufe, welche die Künstler, und besonders die Schauspieler, zu seiner Zeit in der Gesellschaft einnahmen, niedersah, dass er aber die Würde und Bedeutung seiner Kunst selbst mit edelm Selbstbewusstsein betonte. Als den Grund aus welchem seine Anschauungen hervorgewachsen sind, erkennen wir die freimütigste Aufrichtigheit an, welche weder den inneren Wert seines Berufes verkannte, noch seine äusserliche Gemeinheit ableugnete. Denken wir an die zweideutige Stellung des grossen Mannes gegenüber seinen Gönnern, dem Publikum und seinen Fachgenossen, so wird dieser Beweis seiner Wahrheitsliebe | |
[pagina 499]
| |
die Achtung und Ehrfurcht, welche seine Leser für ihn empsinden müssen, nur vermehren. Wir dürfen uns mit den Biographen freuen, das es unter den wenigen beglaubigten Nachrichten mit Bezug auf Shakespeares Person keine einzige gibt, welche ihn in unwürdigem oder schlechtem Lichte zeige. Denn den Menschen hierin vom Dichter zu trennen ist hoffentlich Keinem möglich, der seinen Shakespeare mit warmer Teilnahme gelesen hat. Brüssel, 15 Februar 1899. |
|