Was hat uns dieser Gast wohl zu erzählen? oder Die Jagd nach dem Nobelpreis
(1997)–Ingrid Wikén Bonde– Auteursrechtelijk beschermdZur Rezeption niederländischer Literatur in Schweden
[pagina 4]
| |
1. Einleitung1.1. Interkulturelle Beziehungen zwischen Schweden und dem niederländischen Sprachraum bis 1830.Bereits zur Zeit der Wikinger und des frühen Mittelalters gab es Handelskontakte zwischen dem Norden und dem heutigen niederländischsprachigen Gebiet.Ga naar voetnoot1 Über literarische Übersetzungen in dieser Epoche ist nicht viel bekannt. Davon ist erst im 17. Jahrhundert die Rede.Ga naar voetnoot2 Mit einem gewissen Recht kann behauptet werden, dass eine niederländische Bearbeitung des europäischen Reinecke Fuchs-Themas - die mittelniederländische Reinaerts Historie, die Schweden im 17. Jahrhundert über den Umweg der niederdeutschen und dänischen Fassungen erreichte - das erste große belletristische Werk auf schwedisch war.Ga naar voetnoot3 Die Übersetzung erschien im Jahre 1621 unter dem Titel Reyncke Fosz und verdankte, nach der Auffassung des Marburger Reinaert-Forschers MunskeGa naar voetnoot4, ihren Erfolg den Umständen, dass die ursprüngliche Version im Laufe der Jahre mit einer moralisch-didaktischen Glosse versehen und später auch vom dänischen Übersetzer in die skandinavische Umwelt transponiert wurde. Wer sich über die Beziehungen im 17. Jahrhundert zwischen den Niederlanden und Schweden orientieren möchte, sollte beginnen mit dem monumentalen Übersichtswerk Wrangels [Wrangel 1897] über die tiefgreifenden wirtschaftlichen, industriellen, wissenschaftlichen und kulturellen Einflüsse der Niederlande auf Schweden in jener Zeit. Es | |
[pagina 5]
| |
werden darin auch gewisse Hinweise hinsichtlich späterer Perioden, bis Ende des 19. Jahrhunderts, gegeben. Bei Wrangel erfährt man, dass es im 17. Jahrhundert vor allem der praktische, alltägliche und moralistische Cats war, der in Schweden Einfluss ausübte. Ein Blick in den Katalog der KB zeigte mir, dass die Bibliothek zwei Übersetzungen von Cats aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts besitzt.Ga naar voetnoot5 Cats wurde sonst aber eher nachgeahmt als übersetzt.Ga naar voetnoot6 Dasselbe gilt für z.B. De Decker, Vondel und Van der Does, von denen überhaupt keine Übersetzungen vorhanden waren. Besonders die moralisierende und die humoristische Gelegenheitsdichtung der Niederlande hat in Schweden Nachahmung gefunden. Cats wurde bekanntlich von der niederländischen Literaturwissenschaft lange als Figur zweiten Ranges abgestempelt. Obwohl seit einiger Zeit neu bewertet, wird er in absehbarer Zeit jedoch schwerlich den kanonischen Grad eines Vondel, Hooft, Bredero oder Huygens erreichen können.Ga naar voetnoot7 Vondel schrieb u.a. Gedichte zu Ehren Gustav II. Adolfs und Königin Christinas. Diese Gedichte wurden nicht übersetzt, wahrscheinlich weil beide Fürsten niederländisch beherrschten [vergl. Wrangel 1897, 202f, Grit 1994, 29-51]. Erst im 20. Jh. erscheinen Übersetzungen der Vondelgedichte (siehe unten). Das Vondelbild in Schweden verfinsterte sich im 20. Jahrhundert zunächst durch zwei schwedische Dramen über Rembrandt (von Tor Hedberg, 1927, und Axel Gauffin, 1936), in denen Vondel eine unsympathische Rolle spielt, und durch die Übersetzung zweier | |
[pagina 6]
| |
niederländischer Rembrandtromane, die ebenfalls eine negative Sicht von ihm vermitteln [Grit 1994, 40ff.].Ga naar voetnoot8 In Gauffins Drama Batavernas sammansvärjning wird ein Textfragment Vondels ins Schwedische übersetzt, und 1936 finden wir eine Übersetzung durch Ane Randel von einem der Gedichte Vondels an Gustav II. Adolf in Ord och Bild. 1937 publizierte Ane Randel in einer Lyrikanthologie eine ganze Reihe von Vondelübersetzungen (siehe S. 140).Ga naar voetnoot9 Die niederländischen Theatergesellschaften, die im 17. Jahrhundert in Schweden auftraten, führten ihre Stücke nicht auf schwedisch auf. Von Übersetzungen niederländischer Dramen ist also nicht die Rede.Ga naar voetnoot10 Was in welchen Sprachen gespielt wurde, steht nicht fest, aber die Forscher vermuten, dass u.a. Stücke Vondels, oder Bearbeitungen davon, auf dem Repertoire standen. Ob das blutige Gruseldrama Rosimunda des Arztes Urban Hiärne (1665 zum ersten Mal aufgeführt), wie man lange geglaubt hat, eine bearbeitende Übersetzung des neolateinischen Dramas Rosimunda tragoedia (1621, 1622 ins Niederländische übersetzt) des Flamen Jacob van Zevecote ist, steht nicht fest.Ga naar voetnoot11 Die Sammlungen von Literatur in niederländischer Sprache in schwedischem Besitz [Wrangel 1897, 202] und das Auftreten der Theatergruppen lassen darauf schließen, dass die Kenntnisse der niederländischen Sprache im 17. Jahrhundert beim gebildeten Publikum so verbreitet waren, dass Übersetzungen nicht vonnöten waren.Ga naar voetnoot12 Für das weniger gebildete Publikum musste dagegen übersetzt werden. Munske hat konstatiert, daß Reinaert nur dank der moralisch-didaktischen Glosse übersetzt werden konnte. Man könnte also als Motiv der | |
[pagina 7]
| |
Übersetzung den Wunsch erraten, der Volkserziehung dienlich zu sein.Ga naar voetnoot13 Etwas Ähnliches gilt für Cats, der lebensnahe Themen behandelt, wie sie heute noch die Popularität psychologischer Faktenbücher oder gar der vielgelesenen intimen oder persönlichen Fragespalte der Wochenzeitungen bestimmen, in Form guter Ratschläge für die große und kleine Problematik des individuellen Menschenlebens, z.B. in Bezug auf Ehe, Familie, Erziehung, Moral, Tod. Zevecotes Rosimunda entsprach dem Hang der Zuschauer nach Spannung, Gruseln und Gewaltschilderungen. Der schwedische Literaturwissenschaftler Stenström [SvD 19. Mai 1996] vergleicht das Stück amüsiert und entsetzt mit den gröbsten und gewalttätigsten Filmen im heutigen Fernsehen. Akademiker regen sich traditionsgemäß über den schlechten Publikumsgeschmack aller Zeiten auf. Wenn P.M. den Hoed (später Boer-den Hoed) in ihrer Antrittsrede als Lektorin der schwedischen und dänischen Sprache an der Universiteit van Amsterdam im Jahre 1929 über interkulturelle Verbindungen zwischen Skandinavien und den Niederlanden spricht, bemerkt sie bedauernd, dass Übersetzer und Nachfolger noch heute die weniger gute Literatur bevorzugen, so wie damals nicht etwa Vondel, sondern Cats. Sie behauptet irrtümlich, Vondel habe man weder in Dänemark noch in Schweden gekannt. Es sei unverständlich, wie der vorsichtige, sparsame, banal-triviale Cats die Schweden, die eine Vorliebe hätten für das Heroische, das Großartige und das Pompöse, je habe fesseln können. Nun sei aber die Sprache Vondels weit schwerverständlicher als das wenig erhabene Geplauder von Cats. Alltäglichkeit klinge in einer fremden Sprache immer etwas weniger alltäglich [Den Hoed, 1929, 14-15]. Ganz abgesehen von der merkwürdigen Auffassung über die Vorlieben der Schweden, kann man Den Hoed entgegensetzen, dass - wie oben angezeigt - Vondel mit Sicherheit bekannt war, aber von einer gehobenen Leserschicht in der Originalsprache gelesen und für sie gespielt wurde, während Cats für die breiten Volksschichten übersetzt werden musste. Boer-den Hoed hat die Möglichkeit übersehen, dass es auch damals schon verschiedene Arten von Lesergruppen gab, genau wie sie auch die Mentalität der Schweden generalisiert. | |
[pagina 8]
| |
Im 18. Jh. wurde nicht viel nachgeahmt oder übersetzt. Wrangel spricht von einigen wenigen religiösen und didaktischen Werken [206f]. Ein Blick in die Datenbank Luckan (‘die Lücke’, SB17) der schwedischen Nationalbibliographie (betrifft die Drucke der Periode 1700-1829) lehrte ferner, dass auch Reisebeschreibungen übersetzt wurden.Ga naar voetnoot14. Wrangel vermerkt übrigens noch nicht den Einfluss Van Effens auf Olof Dalin.Ga naar voetnoot15 Dieser Einfluss sollte ja erst 1908 von Lamm [1908] klargelegt werden. Erst im 19. Jh. entstand in Schweden wieder ein Interesse an der niederländischen Literatur. Wrangel zählt kurz die Namen ConscienceGa naar voetnoot16, Van Lennep, Ten Brink, OpzomerGa naar voetnoot17, Couperus und Vosmaer auf [207]. Die hier vorgelegte Untersuchung wird an dieses wiederum erwachte Interesse anknüpfen. Was die älteren Zeiten betrifft, gibt es sicherlich noch einiges zu erforschen. In gewissen Fällen, wo in der schwedischen Kulturgeschichte von ‘deutschem’ Einfluss die Rede ist, könnte es sich im Grunde um einen niederländischen Einfluss handeln. Das Wort ‘tyska’ umfasste in Schweden immerhin häufig auch das, was heute eindeutig mit ‘nederländska’ bezeichnet werden sollte,Ga naar voetnoot18 und außerdem wurde niederländisches Kulturgut oft über das Deutsche nach Schweden | |
[pagina 9]
| |
vermittelt. Beweise meiner Annahme müssten allerdings durch die Verfolgung einiger Einzelfälle noch vorgebracht werden. So würde ich mich z.B. gerne darin vertiefen, ob C.M. Bellman die Lieder Brederodes gekannt hat und ob es Anknüpfungspunkte gibt zwischen Viktor Rydbergs Singoalla und Cats' Het Spaens Heydinnetje. | |
1.2. Thema und Ziel der ArbeitSeit sich der literarische Rezeptionsbegriff in den sechziger Jahren durch seine Einbeziehung der Rezipienten von Literatur - der Leser - erweitert hat, bildet die Rezeptionsforschung eine eigene Richtung innerhalb der Literaturwissenschaft. Nicht der Lebenslauf eines Autors und dessen Widerspiegelung im Werk ist primär, nicht das Werk selber, sondern die Lesart innerhalb einer gewissen Gesellschaft oder Zeit. So arbeitete z.B. Jauß mit Begriffen wie Zeitgeist, Erwartungshorizont, Aufnahmeklima und Paradigmenwechsel, um zu zeigen, dass Lesart und Wirkung literarischer Werke subjektiven Kriterien unterworfen sind, je nach Standort der Leser in Zeit und Umgebung. Für die im Ausland gelegenen Forschungsstätten für die Literatur eines bestimmten Landes - die Institute für Sprache und Literatur an Universitäten - ergeben sich innerhalb dieser Disziplin Einfallswinkel und Befunde, die auf die einheimische Forschung überraschend wirken können. So zeigt z.B. die kommentierte Bibliographie der 1870-1979 aus dem Deutschen ins Schwedische übersetzten Werke [Müssener 1985] einen Sieg der schlechten Belletristik, der einheimische Germanisten sicherlich stutzen lässt, während Landin [1990], ein Schüler Müsseners, der in der ihm vertrauten Verlagswelt Material bearbeiten konnte, das sonst schwer zugänglich ist, zu der Feststellung kam, dass der Weg eines deutschsprachigen Buches zum schwedischen Leser auf einem oft ‘undurchschaubaren Spiel von persönlichen Interaktionen’ [251] beruht. Selbst konnte ich während meiner Übersetzertätigkeit konstatieren, dass der Empfang, der einem niederländischen Werk in Schweden zuteil wurde, schwer vorauszusehen war und keineswegs immer mit niederländischen Auffassungen über die Stellung des Werkes im nationalen Kanon übereinstimmte. Mir wurde auch klar, dass Kritiker und sonstige Leser manchmal sehr unterschiedlich über den Wert eines Buches urteilen. Einige Tatsachen über die Rezeption niederländischer | |
[pagina 10]
| |
Literatur bei schwedischen Lesern festzustellen, ist das Ziel dieser Untersuchung. Im Laufe der Arbeit wurde mir immer deutlicher, dass jedes Buch von jedem Leser anders gelesen wird, dass ein Leser sich sozusagen selbst aus dem Buch herausliest, dass Lesen im Grunde - wie das Schreiben selbst - eine gewissermaßen narzissistische Angelegenheit ist.Ga naar voetnoot19 Das trifft natürlich ebenfalls innerhalb des niederländischen Sprachbereichs zu. Jeder Flame liest aus Het verdriet van België seinen eigenen Kummer heraus. Aber gleichzeitig lesen Flamen Het verdriet van België ganz anders als Niederländer, nicht zuletzt auf Grund der Sprachvarianten, die von Claus so subtil zur Charakterisierung von Personen und Situationen angewandt werden. Die Frage ist nun also, ob es bei aller individuellen Verschiedenheit vielleicht doch eine Sammlung von Eigenschaften gibt, die den ‘schwedischen Leser niederländischer Literatur’ kennzeichnen, wodurch ein Bild davon entsteht, wie sich Niederländer, Flamen und Schweden zu einander verhalten. Wenn es gelingt, so ein Bild zu entwickeln, würde die Untersuchung einen Beitrag liefern zur sogenannten Mentalitätsforschung.Ga naar voetnoot20 Es zeigte sich im Laufe der Arbeit, dass eine Bibliographie übersetzter Werke als Hintergrund der fünf Rezeptionsuntersuchungen unumgänglich war. Eine solche spricht - buchstäblich - Bände. | |
1.3. Methoden und QuellenVon den Strömungen innerhalb der Literaturwissenschaft war namentlich die Auseinandersetzung Bourdieus [1993] über das literarische Feld für diese Arbeit von Bedeutung. Seine Darstellung zeigt sehr übersichtlich das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener Lesergruppen innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Verschiebungen innerhalb des literarischen Kanons können durch eine diachronische Untersuchung des literarischen Felds konstatiert werden. Wie sich Werke aus dem niederländischen Sprachbereich seit 1830 in das veränderliche schwedische literarische Feld eingeordnet haben, ist das Thema meiner Arbeit. | |
[pagina 11]
| |
Für die Bibliographie der übersetzten Werke wurden die einschlägigen nationalen Bibliographien zu Rate gezogen sowie die in Schweden existierenden Register über Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Eine kurze Präsentierung des Quellenmaterials findet sich im Kapitel 3. Inspiriert von der Arbeit Müsseners [1985] wurde dann die so erarbeitete Bibliographie der Einzeltitel, der Beiträge in Anthologien und in Zeitungen und Zeitschriften aus verschiedenen Aspekten beleuchtet und mit einem Kommentar versehen. Für mein Verständnis der Mechanismen, die das Verhalten von Lesern bestimmen können, war die Arbeit des schwedischen Pioniers der Leserforschung, Gunnar Hansson [1988] über das Lesen von Trivialliteratur besonders aufschlussreich. Im vierten Kapitel wird die Rezeption von fünf niederländischen Nachkriegsautoren durch zwei Lesergruppen untersucht, nämlich einerseits Studenten der Abteilung für Niederländisch der Universität Stockholm, andererseits die Literaturkritiker, die die Werke der fünf Autoren rezensierten. Da es sich bei der Lesergruppe Rezensenten um eine Kategorie von Berufslesern handelt, wollte ich dieser Gruppe eine ‘natürlichere’ Gruppe nicht literarisch Geschulter gegenüberstellen. Zu diesem Zweck entwarf ich einen Fragebogen für die Studenten, die ihr Abschlussexamen in niederländischer Literatur bei mir machten. Es ging mir darum, kurz die Leser-Persönlichkeit der Examinanden zu determinieren und, die Fragen als Ausgangspunkt nehmend, ein ziemlich lockeres Gespräch über ihre Leseerlebnisse zu führen. Auf die Methode wird im Abschnitt 4.1.2. näher eingegangen. Der Fragebogen wurde im Anhang (VI) aufgenommen. Für die Analyse der Rezensionen brauchte ich eine Methode. Der schwedische Literaturwissenschaftler Yrlid [1973] bot ein frühes Beispiel der systematischen Rezensionsanalyse in Schweden. Der Niederländer Praamstra [1984] baut aus deutschen Quellen, vor allem Aschenbrenner, eine eigene Methode auf. Ausgehend von den von Yrlid und Praamstra gebotenen Ideen habe ich eine eigene Methode entwickelt, die sich für mein Material als funktionell erwies. Sie wird in Abschnitt 4.1.3. präsentiert. Die Übersetzung spielt eine besonders wichtige Rolle bei der Rezeption ausländischer Literatur. In der praktischen Übersetzerausbildung mit | |
[pagina 12]
| |
theoretischem Kommentar, die ich an der niederländischen Abteilung initiiert habe (siehe S. 222), bin ich von [Nida und Taber 1969] ausgegangen, ferner von [Langeveld 1986] und von [Reiß 21983]. Eine sehr gute Übersicht der Übersetzungswissenschaft auf niederländisch gibt [Van Leuven-Zwart 1992]. James Holmes hat in meinen Augen die Essenz des literarischen Übersetzens erfasst. Nach seiner Auffassung sollte die Übersetzungswissenschaft auch die Wirkung der Übersetzung im fremden Raum behandeln: ‘we need a theory of translation function, that is, how the translation works in the recipient society’ [Holmes 1988, 95]. | |
1.4. TerminologieSpracheDie offizielle Benennung der Landessprache im Königreich der Niederlande ist Nederlands. Das ist der Terminus, der in allen öffentlichen Bereichen für Sprache und Kultur verwendet wird: Schule, Forschung, Politik und Medien. Auch im privaten Bereich - namentlich bei der jüngeren Generation - wird allmählich der Ausdruck Hollands immer seltener, und das Wort bekommt mehr und mehr ausschließlich die Bedeutung den Provinzen Nord- und Südholland zugehörig. Ferner lebt es in festen Ausdrücken weiter, z.B. Hollandse nieuwe (der grüne Hering der Nordsee), Hollands papier (geschöpftes Papier), Hollandse kap (Satteldach), und kann in dem Zusammenhang nicht ersetzt werden. Im föderativen Belgien ist die offizielle Benennung für die Sprache Flanderns (die Länder der Vlaamse Gemeenschap, nämlich die Provinzen West- und Ostflandern, Limburg, Antwerpen und Vlaams Brabant) ebenfalls Nederlands. Auch hier wird der Ausdruck in allen öffentlichen Bereichen zur Bezeichnung der Sprache verwendet. In Bezug auf die Kultur ist die Sache komplizierter. Viele Flamen ziehen es vor, von flämischer Mentalität und Kultur zu reden. Im privaten Bereich ist der Ausdruck Vlaams für sowohl Sprache wie Kultur weitverbreitet. Das parallele Vorkommen zweier Wörter für die Sprache, die sich aber im Anwendungsbereich unterscheiden - offiziell versus privat - bereitet ausländischen Journalisten viel Kopfzerbrechen. Ihr Unvermögen, die linguistischen Register auseinanderzuhalten, bereitet den Vertretern der Auslandsniederlandistik fortwährend Ärger. | |
[pagina 13]
| |
In dieser Arbeit wird für die Standardsprache der Terminus niederländisch verwendet. Geht es um Mentalität und Kultur, wird der Ausdruck niederländisch benutzt, wenn die Niederlande gemeint sind, der Ausdruck flämisch, wenn von Flandern die Rede ist. | |
LiteraturFür die Bezeichnung der Literatur der Niederlande und Flanderns gibt es verschiedene Wahlmöglichkeiten. Entweder spricht man von niederländischer Literatur und meint damit die Literatur des gesamten Sprachgebietes. Manchmal jedoch zwingen die Umstände, z.B. über die Literatur Belgiens zu reden oder zu schreiben.Ga naar voetnoot21 So wird dann unterschieden zwischen einer belgischen Literatur auf niederländisch und einer belgischen Literatur auf französisch. Wo es wichtig ist, die Literatur Flanderns von derjenigen der Niederlande zu unterscheiden, wird hier von nordniederländischer und flämischer Literatur geredet. Von flämischer Literatur haben auch flämische Literaturwissenschaftler gesprochen, wenn sie bewusst eine flämische Literaturgeschichte schreiben wollten, weil sie der Ansicht waren, die flämische Literatur habe eine eigene Geschichte.Ga naar voetnoot22 Verwirrend wirkt es allerdings, wenn niederländische Literaturwissenschaftler zwar den Ausdruck niederländische Literatur verwenden, die Flamen aber ganz auslassen, mit Ausnahme der flämischen Literatur des Mittelalters, die dadurch von den Niederländern gleichsam annektiert wird.Ga naar voetnoot23 Ferner möchte ich für die Ansichten über die niederländische Sprache und Literatur, die in den Niederlanden und Flandern bestehen, das Adjektiv intramural einführen, während ich die ausländische Sicht auf das niederländische Sprachgebiet mit extramural bezeichnen werde. Dabei schließe ich mich einer Terminologie an, die im Arbeitsbereich der | |
[pagina 14]
| |
Internationale Vereniging voor NeerlandistiekGa naar voetnoot24 gute Dienste geleistet hat. | |
1.5. Gliederung der ArbeitNach der soeben gegebenen Einführung in Thema und Methodik der Arbeit wird in Kapitel 2 überprüft, wie von einer Reihe von Bildungsinstitutionen und Informationsvermittlern die niederländische Sprache und Literatur im Laufe des 20. Jahrhunderts präsentiert worden ist und welche Personen dabei eine Rolle gespielt haben. Es sollen der Reihe nach die Universitäten, die wichtigsten Nachschlagewerke und Literaturgeschichten sowie diejenigen Zeitungen und Zeitschriften, deren Artikel via Register aufzuspüren waren, betrachtet werden. Von einigen wichtigen Zeitschriften wurden sämtliche Jahrgänge exzerpiert. In Vorworten zu Anthologien, die danach vorgestellt werden, wird eine Literatur oder ein schriftstellerisches Werk oft übersichtlich dargestellt. Der Art und Weise, in der das geschehen ist, wird ebenfalls nachgegangen. Ferner spielen Radio und Television, die anschließend behandelt werden sollen, die nicht unwichtige Rolle einer Volksuniversität. Obwohl die Erwartung, es werde der niederländischen Literatur einmal der Nobelpreis zuerkannt, noch nicht erfüllt wurde, wird ein Blick in das bis jetzt zugängliche Material des Nobelarchivs den Neugierigen zusätzlich etwas über die Arbeitsweise der schwedischen Akademie enthüllen. Es erwies sich als praktisch, die Universitäten zuerst zu behandeln, da die akademischen Lehrer meistens auch diejenigen waren, die Artikel für Nachschlagewerke verfassten. Im Abschnitt über die Universitäten werden die Akteure der folgenden Szenen somit gleichsam vorgestellt. Im dritten Kapitel wird die Arbeitsweise bei der Zusammenstellung der Bibliographien begründet und ein ausführlicher Kommentar zu ihnen geliefert. Die Zusammenfassung des Kapitels kommt in etwa auch einer | |
[pagina 15]
| |
Geschichte der niederländischen Literatur in Schweden gleich. Wir werden sehen, daß diese schwedische Geschichte der niederländischen Literatur ganz beträchtlich von der kanongesteuerten, intramuralen Literaturgeschichte abweicht, da sie in hohem Grade als Literaturgeschichte der Leser bezeichnet werden kann. Es werden ferner einige Übersetzer näher vorgestellt, da sie als besonders engagierte Leser betrachtet werden können (3.5.2.). Als Kontrast hierzu wird kurz vermerkt, wie das Bild Schwedens in den Niederlanden vermittelt wurde (3.5.3.). Das vierte Kapitel soll die schwedische Rezeption einiger hervortretender Nachkriegsautoren widerspiegeln. Dies geschieht durch Leserinterviews und Rezensions-Analysen. Auf die Problematik des Übersetzens aus dem Niederländischen ins Schwedische wird anhand der persönlichen Stilmittel der behandelten Autoren eingegangen. Zum Schluss wird in Kapitel 5 der Versuch einer Synthese der gesamten Befunde der Untersuchung unternommen. Die Arbeit wird mit den drei Bibliographien und mit einem Anhang abgeschlossen, der es dem Leser ermöglichen soll, ein visuelles Bild zu bekommen von der Popularität der Werke (Auflagenfrequenz), von den aktivsten Verlagen, den fleißigsten Übersetzern und dem durchschnittlichen literarischen Qualitätsniveau während der untersuchten Zeitspanne. Auch der Fragebogen, der als Unterlage der Leserinterviews diente, wurde beigefügt. |
|