Zur Begriffsgeschichte des 'Paradoxon'
(1933)–K. Schilder– Auteursrecht onbekendMit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen ‘Paradoxon’
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Kapitel III
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§ 1. Einleitung.Bis dahin fanden wir, wie schon gesagt wurde, drei Haupttypen des Paradoxons. Typ I lag auf der sog. ‘horizontalen Linie’ des Denkens, aber indem er dieser ‘horizontalen’ Linie weiter folgte und auch auf dieser Linie zu Korrekturen des Denkens kam, wollte er die logischen Schwierigkeiten überwunden sehen. Typ II lag in der Schneidung der ‘horizontalen’ Linie des Denkens (der ‘Spekulation’) einerseits, und der ‘vertikalen’ Linie der Offenbarung (der Ewigkeit, des ‘Ganz-Anderen’) andererseits und bedeutete darin einen Sieg, der durch dieses ‘Ganz-Andere’ über das aktuelle unparadoxe Denken errungen war Typ III lag wieder auf der ‘horizontalen Linie’, aber dann so, dass das Denken gerade in dem Paradox sich selbst in seiner horizontalen Bewegung aus eigener Kraft zur Ueberwindung geführt hatte. In rohen Umrissen sind hier schon die Grenzen angedeutet, innerhalb welcher die heutige Problemstellung hinsichtlich des Paradoxons sich bewegt. Was jetzt in der wissenschaftlichen Diskussion sowohl auf philosophischem als auf theologischem Gebiet mit Bezug auf dieses Thema in den Vordergrund tritt, gibt wohl Variationen dieses | |||||||||||||||||
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dreifachen Grundtypus und konstruiert wohl Begriffe, in denen sich diese Grundtypen kreuzen, aber doch wird der Kern der Debatten deutlich immer wieder beherrscht durch die Termini dieser Probleme: eine horizontale und eine vertikale Linie auf der einen Seite, und die Möglichkeit eines sich homogen behauptenden Denkens oder die eines ‘gebrochenen’ oder auch die eines sich selbst aus dem Widerspruch konstituierenden Denkens andererseits. Man kann Variationen von dieser Problemstellung geben, z.B. in Karl Heims Dimensionen, aber wie wir noch sehen werden, ist dies im Grund eine Variation über das Thema der horizontalen und der vertikalen Linie, die sich begegnen, das Thema des Existentiellen, dem das ‘Ganz-Andere’ (Numinose) begegnet. Eine wie starke Neigung die wissenschaftlichen Diskussionen in der letzten Zeit zeigen, um neue oder alte Problemstellungen zu zwingen in das Schema der ‘horizontalen’ und ‘vertikalen’ Linie, des im Widerspruch gegebenen ‘Durchbruchs’ oder ‘Aufbaus’ des Denkens, wird wohl deutlich aus dem Versuch, den Gottlob Spörri gewagt hat, um den durch J.J. Gourd in die Religionsphilosophie eingeführten Begriff des ‘l'incoordinable’ mit dem ‘bestimmten Etwas’ zu verbinden, das nach Kierkegaard, wie Spörri meint, ‘aller Logik und Abstraktion widersteht und deshalb jedes System notwendig transzendiert, und das wir (Spörri) mit Gourds Incoordinablem zu identifizieren vermochten.’Ga naar voetnoot1) Wir erwähnen diesen Versuch nicht, weil wir ihn für besonders gelungen halten; denn schon die blosse Tatsache, dass neben Kierkegaard und Karl HeimGa naar voetnoot2) auch Heinrich RickertGa naar voetnoot3) von Spörri als Kronzeuge für ‘l'incoordinable’ aufgerufen wird, mahnt zur Vorsicht gegenüber der Linie Kierkegaard- | |||||||||||||||||
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Gourd, die er zieht, und erweckt Zweifel an der Rechtmässigkeit der Verbindung von ‘l'incoordinable’ mit dem Paradox.Ga naar voetnoot1) Nein, wir weisen auf diese Einzelheit aus einem anderen Grund hin: sie zeigt, wie stark jetzt die Neigung ist, den Gedanken der Paradoxalität, wie er sich innerhalb des Rahmens der nach-kierkegaardschen Problemstellung variieren lässt, in der wissenschaftlichen Diskussion auftreten zu lassen. Bei Spörri, dessen Buch u.a. unter den Auspizien Karl Barths und Karl Heims erschienen ist, ist diese Neigung so stark, dass er sich sogar zur Uebereilung verleiten lässt. Wenn Gourd z.B. spricht über ‘la folie de la croix’ und Gott vorstellt als den, der uns ‘la plus haute représentation objective du hors la loi’ gibt, und damit den Gedanken verbindet, dass ‘la dialectique réligieuse en relevant l'incoordinable se met par le même fait hors la loi’Ga naar voetnoot2), dann zieht Spörri eine Parallele zu ‘dem Wort des Paulus’ von der ‘Torheit des Kreuzes’, die - sagt Spörri weiter - ‘aller menschlichen Weisheit d.h. Erkenntnisfähigkeit(!) zuwider, d.h. der rationalen Moralität incoordinabel ist’.Ga naar voetnoot3) Aber hier wird doch auf allzu unbesonnene Weise die σοφία von 1. Kor. 1 als Erkenntnisfähigkeit aufgefasst, wiewohl schon aus der Tatsache, dass Paulus Jes. 29, 14 zitiert (ἀπολῶ τὴν σοφίαν τῶν σοφῶν), und demgemäss behauptet, dass Gott diese ἐμώϱανε (Vs. 19, 20), deutlich erhellt, dass die ‘menschliche’ (besser wäre: ‘fleischliche’) Weisheit hier nach ihrem Inhalt gemeint ist. Paradoxe Konstruktionen haben also wohl das Interesse, auch von religiösem Gesichtspunkt aus. Vor ungefähr 700 Jahren schrieb Wilhelm von Auvergne, dass man keinen Gläubigen antreffen würde, der nicht eher ‘einräumt, Bejahung und Verneinung könnten vom nämlichen Gegenstand ausgesagt werden, als ein Glaubensartikel sei un- | |||||||||||||||||
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wahr.’Ga naar voetnoot1) Später hörten wir auch Hoornbeek im gleichen Sinn reden (contra Weigel). Aber für viele ist die hier als eine Ungereimtheit abgewiesene hypothetische Behauptung selber ein Glaubensartikel. Wir werden deshalb kurz einige Entwicklungslinien sehen lassen, die das starke Wieder-in-den-Vordergrund-Treten des Paradoxons auf theologischem und philosophischem Gebiet als Erscheinung der Gegenwart erklären können. Nicht immer wird ein direkter Zusammenhang zwischen den Richtungen und Personen, die später genannt werden, aufzuweisen sein, aber in ihrer Begegnung auf dem Areopag der heutigen Geistesbewegung berühren sie sich in der Tat oder werden sie sich berühren. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Tatsache, dass wir das Auftreten eines Grundtypus III bei Vaihinger-Dieck erwähnten, keineswegs die Behauptung in sich schloss, dass die wissenschaftliche Diskussion sich so scharf mit der hier gefundenen Problemstellung beschäftigt hat. Es ist uns bei unsrer Uebersicht der heutigen mathematischen Probleme wohl etwas anderes deutlich geworden. Aber, abgesehen von dem, was wir schon dort über eine analoge Problemstellung Haitjemas bemerkten, dürfen wir doch nicht vergessen, dass mit dem Aufwerfen der Frage, ob das Denken sich in und durch den Widerspruch ‘saniert’ und emporsteigt zur Feststellung dessen, was richtig ist, doch ein wesentliches Element der Problemstellung berührt ist. Und das ist für uns von Bedeutung, weil es in der neueren Philosophie Analogien hat, insofern auch darin dialektische Konstruktionen auftreten. Und dann nicht unbeabsichtigt, wie bei Dieck, der das Wort ‘Paradox’ nur gebrauchte, wo er es schon anwesend fand, sondern absichtlich, wie wir sehen werden. Siegfried Marck sieht sogar hier und da ‘Dialektik in ihrer orthodoxen Form’ auftreten.Ga naar voetnoot2) | |||||||||||||||||
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§ 2. Rudolf Ottos Anknüpfung an die Kantisch-Fries'sche Religionsphilosophie.1. Wiewohl die akute Wendung, die Kierkegaards geniale Problemstellung in den Begriff des Paradoxons gebracht hat, am stärksten auf die Geister eingewirkt hat und am deutlichsten zu erkennen ist in der dialektischen Theologie und ihrer Umgebung, so fangen wir unsere im vorhergehenden § angekündigte Uebersicht nicht bei ihr, sondern bei Rudolf Otto an. Wir tun das nicht nur aus der Ueberlegung heraus, dass sein Auftreten besonders in späteren Jahren durch sein Nachdrucklegen auf das Irrationale in der Idee des Göttlichen parallel verlaufen ist zu der Hervorhebung des paradoxen Charakters der Glaubenserkenntnis von seiten Karl Barths c.s., sondern auch weil die Wurzeln von Ottos Begriff des Numinosen c.a. schon liegen in seiner schon lange vor Karl Barths Auftreten fallenden Veröffentlichung aus dem Jahre 1909: Kantisch-Fries'sche Religionsphilosophie.Ga naar voetnoot1) Von seiten eines Herolds der dialektischen Theologie, Th.L. Haitjema, sind Bedenken dagegen erhoben worden, dass von E.D. Kraan, K. Schilder ein Zusammenhang konstatiert wurde zwischen der paradoxen (glaubenskritischen) ‘Irrationalität’ bei Kierkegaard-Barth einerseits, und dem Irrationalen, ‘Befremdlichen, Paradoxen, Antinomischen’Ga naar voetnoot2) bei Rudolf Otto andrerseits. Im Anschluss an die von | |||||||||||||||||
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K.H. RoessinghGa naar voetnoot1) gemachte Unterscheidung zwischen dem Irrationalen in Gott als Glaubensobjekt (metaphysisch, Otto) einerseits, und dem Irrationalen in theologisch-erkenntnis-kritischem Sinn (Kierkegaard, Barth, Haitjema) andererseits, kam er dazu, diese beiden Richtungen sehr scharf auseinander zu halten.Ga naar voetnoot2) Bei dem einen (Kierkegaard-Barth) sei das ‘Irrationale’ konsequent und ausschliesslich in theologisch-erkenntniskritischem Sinn gebraucht, bei dem anderen (Otto) habe das Irrationale (nur) einen Platz in der Metaphysik der Theologie; Otto sei nur der Metaphysiker in der Würdigung des Irrationalen. Abgesehen nun von der Tatsache, dass dies keine ganz richtige Wiedergabe von Roessinghs Meinung war (denn dieser wies schonGa naar voetnoot3) hin auf das Vorkommen von rationalen neben irrationalen Elementen in Ottos Gottesidee), scheint uns doch die Behauptung eines solchen radikalen Gegensatzes, der hinsichtlich des gedankenschematischen Ortes des Irrationalen zwischen Kierkegaard-Barth und Otto bestehen soll, nicht ganz berechtigt. Was diesen Punkt angeht, wird jede scharfe Unterscheidung schon widerlegt durch Ottos eigene, an H. RickertsGa naar voetnoot4) Charakterisierung von Ottos Standpunkt geknüpfte Bemerkung, dass er, Otto, um den ‘Gegenstand’ des psychischen Akts der Religion zu ‘finden’ (!) sich der ‘Methode der Selbstbesinnung’ bediente, ‘um von (!) dieser weiterzugehen zur Sachbesinnung’.Ga naar voetnoot5) Und besonders diese wichtige Tatsache wurde vielleicht in dieser Argumentation von Haitjema übersehen, dass Ottos Auffassung in seinem religionsphilosophischen Standpunkt wurzelt, wie dieser schon im Jahre 1909 in obenerwähntem Buch dargelegt wurde, zum Teil auch schon in dem 1904 zum ersten Male | |||||||||||||||||
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erschienenen Werk: Naturalistische und religiöse Weltansicht, in dem auch Fries (mit seiner anthropologischen Vernunftkritik) wiederholt zitiert wird. Wir werden denn auch kurz einigen Hauptgedanken davon nachgehen müssen. Dazu besteht umsomehr Grund, weil Otto noch i.J. 1923 und 1929Ga naar voetnoot1) in seiner Darlegung des Begriffs des Numinosen sich nicht nur des Ausdrucks ‘das Ganz-Andere’ (auch bei Kierkegaard-Barth bekannt) bedient hat, nicht nur dies ‘aliud valde’ von Augustins ‘Suche’ losgelöst hat,Ga naar voetnoot2) um - wiewohl mit Beibehaltung des Elements der Anamnesis - doch auch das des ‘Aufgehens’, des ‘Durchbruchs’, des ‘plötzlichen Aperçu’ (Goethe) in dem ‘Erleben’ des Numinosen festzuhalten und in den Vordergrund zu stellen,Ga naar voetnoot3) sondern auch ausdrücklich erklärt, dass er sich anschliesst an die Fries'sche ‘anthropologische Methode’, die ‘in Wahrheit eine Methode der Selbstbesinnung’ ist.Ga naar voetnoot4) So wird es für den, der sich Kierkegaards Struktur des Paradoxons erinnert, deutlich, dass in der Tat ein grosser Gegensatz besteht zwischen Kierkegaard-Barth auf der einen, und Otto auf der anderen Seite, aber man kann diesen Gegensatz nicht so qualifizieren wie Haitjema es tat. Sowohl Kierkegaard wie Otto begegnen dem ‘Irrationalen’ auf dem Weg theologisch-erkenntnistheoretischer Untersuchungen, nur ist beider Ausgangspunkt auf diesem erkenntnistheoretischen Weg verschieden, aber nicht das Betreten dieses Weges. 2. Uebrigens lässt sich der bestehende Kontrast schon schnell finden. Wer z.B. die heutigen dialektischen Theologen immer wieder Schleiermacher kritisieren hört, den trifft es schon gleich, dass bei Otto-Fries in einem äusserst wichtigen Punkt starke Uebereinstimmung mit Schleiermacher vorhanden ist; nämlich in der ‘Ahn(d)ungslehre’. Fries - so zeichnet Otto dessen Entwicklungsgang - Fries ist wohl ein ‘ausge- | |||||||||||||||||
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sprochener Schüler Kants’, aber will doch in einem Kardinalpunkt Kants Linie verlassen. Kant - konstatiert Otto, mit UnrechtGa naar voetnoot1) - Kant hatte geschlossen ‘von der Apriorität einer Erkenntnis auf die Idealität des darin erkannten Gegenstandes’; Fries jedoch sah hierin einen ‘Trugschluss’ und hatte ein Auge für die Armut jener ganzen Sackgasse, ‘in die sich bei ihm (Kant) die Religionsphilosophie verlaufen musste und hat’.Ga naar voetnoot2) Aus dieser ‘Sackgasse’ möchte er sie nun befreien durch seine Lehre von der ‘Ahndung’ d.h. in jenem Punkt, in dem er sich aufs engste mit Schleiermachers ‘Anschauung und Gefühl des Universums’ ‘berührt’.Ga naar voetnoot3) Was diese Ahn(d)ung betrifft, - unter HinweisGa naar voetnoot4) auf einen Ausspruch aus einer von Kants vor-kritischen Schriften und im Anschluss an das Buch von Jakob Friedrich Fries: ‘Wissen, Glaube und Ahndung’Ga naar voetnoot5), stellt Otto schon im Jahre 1904 die These auf, dass ‘in Gefühl und Ahnung die Erscheinung über sich auf das wahre Wesen hinausweist,’ und erklärt, dass hier gesprochen wird von ‘den tiefen, garnicht recht kommensurabel zu machenden Eindrücken, die unmittelbar aus einem inneren Erleben, einem Auffassen von Natur und Welt und Geschehen mit der Tiefe des Gemüts aufbrechen können’.Ga naar voetnoot6) Hier wird eine Verwandtschaft mit der platonischen Anamnesis-LehreGa naar voetnoot7) und mit Schleiermachers Reden über die Religion ausgesprochen.Ga naar voetnoot8) 3. Es ist hier also zum besseren Verständnis notwendig, von Otto auf Fries zurückzugehen. Dieser Philosoph, der sowohl für die Philosophie als für die Mathematik (Fries'sche Schule) und für die Theologie (de Wette) Bedeutung hat, hat in mancherlei Hinsicht an Kant Kritik geübt, aber | |||||||||||||||||
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‘erscheint’ in seiner schon erwähnten Schrift ‘Wissen, Glaube und Ahndung’ (Jena 1805) ‘noch immer als Kantianer’,Ga naar voetnoot1) obgleich jedoch als einer, der Kants System weiter ausbilden und anthropologisch begründen will. Um das zu erreichen, bedient er sich der Methode der anthropologischen Deduktion. ‘Auch der Kritizismus’, so schreibt er, ‘hat seinen geheimen, esoterischen Unterricht, aber seine Geheimnisse sind nicht Mysterien, sondern Arcana der inneren Physik.... Diese Arcana bestehen in dem Geheimniss einer anthropologischen Deduktion aller philosophischen Grundsätze’.Ga naar voetnoot2) Ganz in Uebereinstimmung damit wendet er auch gegen Jacobi, an den er sich übrigens oft anschliesst, ein, dass er Bedenken trage gegen ‘die sonderbare Idiosynkrasie, welche die deutsche Philosophie in ihren letzten Periode gegen alle Psychologie gezeigt hat’; denn er, Fries, interpretiert den Spruch des delphischen Apoll (Selbsterkenntnis ist die Wurzel aller menschlichen Weisheit) folgendermassen: ‘Philosophische Anthropologie (ist) die einzige wissenschaftliche Quelle philosophischer Einsicht’.Ga naar voetnoot3) Dieser Ausspruch vom Jahre 1812 wird 1821 aufrecht erhalten, wenn von ‘Erkenntnis, Gemüt und Thatkraft’ gesagt wird, dass ‘jedes von diesen Vermögen dem Verstande seine eigenthümlichen Zwecke der Wahrheit, Schönheit und des Guten für die ganze höhere Ausbildung unseres Lebens vorschreibt’.Ga naar voetnoot4) Dieser Grundgedanke wird konsequent aufrechterhalten; 1818 wird behauptet, dass ‘alle ethische Lehre auf Anthropologie ruht’Ga naar voetnoot5) und 1832, dass ‘die Ethik subjektive Teleologie und praktische Naturlehre bleibt’.Ga naar voetnoot6) | |||||||||||||||||
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Dieses methodische Prinzip macht Fries jedem ‘Realismus’ abgeneigt, wie er z.B. von Wagner vertreten wird und in dem man ‘geradezu mit Gott und aus Gott zu beginnen scheint’; ‘und was kann einem da wohl noch fehlen, wenn man den einmal hat?’Ga naar voetnoot1) Nein, ‘die Annahme einer.... positiven Offenbarung ist.... offenbar gegen unsere jetzige Kenntniss des menschlichen Geistes und seiner Ueberzeugungsweisen. Ewige Wahrheiten können dem Geist nicht durch den Sinn und die Erzählung gegeben werden, sondern nur in ihm selbst’.Ga naar voetnoot2) Daher kommt es denn auch, dass Fries in der Vernunft den Glauben entspringen lässt;Ga naar voetnoot3) ‘der Glaube an Gott’ lebt ‘in der Vernunft eines jeden Menschen’.Ga naar voetnoot4) Gegenüber Fr. Schlegel wird denn auch behauptet, dass ‘die Scheidung des Wissens und Glaubens in dem Menschen’, nicht ausserhalb von ihm gefunden wird.Ga naar voetnoot5) Dieser letzte Gedanke wird nun weiter bei Fries in ausführlicher Weise ausgearbeitet. Hinsichtlich des ‘Wissens’: ‘wir wissen nur durch die Erfahrung um das Endliche’; daran ist unser Wissen gebunden; das Wissen wird ‘beschränkt durch den Satz, dass die Sinnenwelt nur Erscheinung sey’; das Wissen ‘nimmt seine Gegenstände aus der Anschauung’.Ga naar voetnoot6) Hinsichtlich des Glaubens jedoch: dieser nimmt seine ‘Gegenstände’ nicht aus der ‘Anschauung’; denn wir können keineswegs ‘unser Wissen zum Absoluten steigern, dadurch überheben wir uns unsrer Kraft und verlieren uns in die absolute Leere; im Gegentheil ist das einzige Mittel zum Ewigen der Glaube;’ der Glaube | |||||||||||||||||
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‘beruht auf der Ueberzeugung: es ist eine Welt der Dinge an sich, als die Ewigkeit des höchsten Guts’.Ga naar voetnoot1) ‘Wissen’ und ‘Glaube’ haben also einen verschiedenen Gegenstand; und soweit hierin das Endliche und das Ewige einander gegenübergestellt werden, muss, um dies in der rechten Weise zu verstehen, Fries' Bemerkung beachtet werden, dass Schelling nirgends Kant ‘richtiger verstanden und besser angewandt’ hat, als da, wo er ‘den Unterschied der Erscheinung und des Seyns an sich unter den fasslicheren und minder künstlichen Ausdrücken des endlichen und ewigen Seyns in sein System einführte’Ga naar voetnoot2): das Ewige ist ‘das Seyn an sich’.Ga naar voetnoot3) Beide jedoch, Wissen sowohl wie Glaube, entspringen in der Vernunft. ‘So wenig wie beym Glauben wird auch beym Wissen unser Fürwahrhalten durch den Gegenstand bestimmt, sondern nur die Thätigkeiten der erkennenden Vernunft bestimmen sich untereinander zum Wissen und zum Glauben’.Ga naar voetnoot4) Durch diese Auffassung will Fries ‘den Uebersprung vom Wissen zum Glauben’, welcher Uebersprung ‘für jede faule und für jede dogmatische (dogmatisch hier in Kantischem Sinn, cf. N. Kr. d.V., II, 1807, S. 11, K.S.) Philosophie ein salto mortale von der Philosophie zur Unphilosophie’ ist, gegen einen solchen salto mortale sichern. Auch in seiner Auffassung, dass ‘der Glaube in dem Wesen der Vernunft entspringe’, will er also der kritischen Philosophie folgen,Ga naar voetnoot5) und er glaubt nicht, dass sein ‘Glaube der Vernunft’Ga naar voetnoot6) zu identifizieren ist mit der ‘inneren intellektuellen Anschauung’, in welcher ‘die Platoniker’ ihr ‘eignes Organ’ zu entdecken meinen, ‘wodurch uns ein inneres Licht aufgeht, indem wir unmittelbar das Ewige, und mit ihm die Gottheit erkennen’. Denn, und hiermit weist Fries eine solche | |||||||||||||||||
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Verwandtschaft mit der platonischen ‘Schau’ zurück, denn der Glaube ‘hat ohne das Endliche weder Leben noch Farbe’; man muss wohl bedenken, dass dieser Glaube ‘vor dem Wissen um das Endliche, und ohne dasselbe gar nichts besagt,.... sondern sich nur durch die Reflexion dem Verstand.... kundgibt.’Ga naar voetnoot1) Von hieraus wird nun der Ort der ‘Ahndung’ bestimmt. Sie wird umschrieben als ‘die Erkenntnis durch reines Gefühl’ und ist eine ‘Ahndung des Ewigen im Endlichen’ oder ein ‘Gefühl der Anerkennung des Ewigen im Endlichen’.Ga naar voetnoot2) Schon hier ist deutlich, dass die Ahndung also eine Verbindung legt zwischen das ‘Wissen’ (um das Endliche) und den ‘Glauben’ (an das Ewige). Deutlich wird denn auch von Fries in diesem Sinn gesprochen. Die Ahndung verbindet das Ewige mit dem Endlichen und vereinigt das Endliche mit dem Ewigen.Ga naar voetnoot3) ‘Das Wissen wird beschränkt durch den Satz, dass die Sinnenwelt nur Erscheinung sey; der Glaube beruht auf der Ueberzeugung: es ist eine Welt der Dinge an sich, als die Ewigkeit des höchsten Guts; die Ahndung endlich gründet sich auf die Ueberzeugung, dass das endliche Seyn die Erscheinung des Ewigen sey, dass uns in der Natur das Ewige selbst erscheine.’Ga naar voetnoot4) So sind Wissen, Glaube und Ahnden ‘drey getrennte, von einander gänzlich verschiedene Arten der Ueberzeugung’;Ga naar voetnoot5) ‘eine positive Vorstellung des Ewigen haben wir unmittelbar gar nicht, aber durch die Vereinigung des Wissens und Glaubens in demselben Bewusstsein entsteht die Ueberzeugung, dass das Endliche nur eine Erscheinung des Ewigen sey, und daraus ein Gefühl der Anerkennung des Ewigen im Endlichen, welches wir Ahndung nennen.’Ga naar voetnoot6) | |||||||||||||||||
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4. Die Ahndungslehre von Fries bekommt eine noch schärfer umrissene Gestalt durch die erkenntnistheoretischeGa naar voetnoot1) Voraussetzung der ‘Ideen’, die anthropologische Voraussetzung des ‘Gefühls’, die ästhetische Voraussetzung ‘der ästhetischen Gesetzlichkeit’. a) Was Fries' Ideenlehre betrifft, so hat es keinen Sinn, diese hier als Ganzes zu untersuchen; sie ist übrigens nicht ganz einheitlich.Ga naar voetnoot2) Für unseren Zweck genügt es darum umsomehr, wenn wir uns hauptsächlich auf das beschränken, was er darüber bemerkt in seinem ‘Wissen, Glaube und Ahndung’ und in seiner Religionsphilosophie. Hier sind die Ideen das Mittel, durch welches die Vernunft ‘sich von dem Bedingten gegeben zum Unbedingten Ganzen der Welt erhebt’Ga naar voetnoot3); sie wirken denn auch befruchtend und formend auf sie ein.Ga naar voetnoot4) Die Ideen sind von ‘dem gemeinen Begriff’,Ga naar voetnoot5) von den ‘Naturbegriffen’, scharf zu unterscheiden und haben vor den letzteren ein grosses ‘Vorrecht’.Ga naar voetnoot6) Denn das ‘Wissen’ (ἐπιστήμη, γνῶσις) muss das Wirkliche in Natur und Menschenleben ‘allgemeinen und nothwendigen, nach bestimmten Begriffen erkannten Regeln unterordnen’; es ‘wendet immer bestimmte Begriffe auf die Anschauung an’. Aber diesem | |||||||||||||||||
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‘stehen dann unsere Ueberzeugungen von der ewigen Wahrheit, vom ewigen Leben, der Freyheit und der Gottheit entgegen als religiöse Ueberzeugungen’, und diese ewigen Grundwahrheiten ‘sprechen wir in bestimmten Begriffen der logischen Ideen oder der Ideen des Absoluten aus’. Man beachte hier die Bezeichnung: logische (oder spekulative) Ideen; sie unterscheiden sich von den ästhetischen Ideen (die nachher noch zu erörtern sind). Diese logischen Ideen treten also im Glauben auf, erheben dadurch den Glauben über das Wissen mit seinem ‘Kunstgeräthe der Begriffsbestimmungen und Beweisführungen in Nachhilfe durch die mathematische Erkenntniss’, lassen die ewige Wahrheit in Gegensatz gegen die endliche Wahrheit im Wissen um Naturerscheinungen anerkennen, aber erheben bald auch die Ueberzeugung über diese erste Stufe der ‘nur eximirenden’ Form hinaus und befähigen sie ‘zu einer Unterordnung der Wirklichkeit unter die Glaubensideen’.Ga naar voetnoot1) Weil die Idee ein Begriff ist, der seinen Gegenstand nicht positiv in der Sinnesanschauung zeigen kann, so darf man mit ‘Naturbegriffen’ oder ‘wissenschaftlichen Beurtheilungen’ die Ideen niemals verwechseln;Ga naar voetnoot2) denn dann würde das soeben verworfene ‘Kunstgeräth der Beweisführungen’ (im Wissen!) notwendigerweise zurückkehren müssen. Glaubenswahrheiten jedoch sind von ‘unmittelbarer Gewissheit’.Ga naar voetnoot3) Der Glaube selbst liegt wohl dem Wissen zu Grunde, aber der Ausspruch des Glaubens ist den Aussprüchen des Wissens ‘entgegengesetzt’.Ga naar voetnoot4) Hiermit ist denn auch bereits der ‘negative Ursprung’ der Ideen behauptet. Fries weist nachdrücklich immer wieder darauf hin; denn wer diesen Punkt vernachlässigen und ‘die Voraussetzung eines unmittelbaren Bewusstseyns vom Absoluten’ an seine Stelle setzen würde, der führte zurück | |||||||||||||||||
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zum ‘philosophischen Mystizismus’, gegen den er hierGa naar voetnoot1) und anderwärtsGa naar voetnoot2) immer wieder zu Felde zieht. Dieser negative Ursprung der Ideen wird von Fries aus dem Gegensatz von Wissen und Glauben bewiesen. Die ‘Sinnenwelt unter den Naturgesetzen’ ist nur ‘Erscheinung’; dieser oft wiederholteGa naar voetnoot3) Satz wird so interpretiert, dass ‘die Erkenntniss derselben nur die endliche Wahrheit einer bedingten menschlichen Vorstellungsweise hat’;Ga naar voetnoot4) die Vernunft ‘erkennt’ darin ‘Gegenstände, welche zwar an sich sind, aber nach einer subjektiv beschränkten Erkenntnissweise’.Ga naar voetnoot5) Aber der Glaube nimmt an, dass ‘dieser Erscheinung der Dinge wahres Wesen zu Grund liege’; er ist also ‘die erste affirmative Grundüberzeugung unseres Geistes, mit und in welcher das Wissen erst seine Bedeutung erhält, und so erkennt denn auch der Glaube in allen Erscheinungen ewige Wahrheit des erscheinenden Wesens an’.Ga naar voetnoot6) Aber zwischen dem Glauben und seinem Ausspruch muss, wie wir schon sahen, scharf unterschieden werden. Soll der Glaube zum Aussprechen der ewigen Wahrheit kommen, ‘so bedürfen wir dazu erst der negativen, schranken-verneinenden Ideen, welche an der Erscheinung alle stetigen und unvollendbaren Formen für ungültig erklären.’Ga naar voetnoot7) Es ist also eine ‘doppelt verneinende Bedeutung’, die diese logischen Ideen haben; sie machen a) die Unbedeutsamkeit des Stetigen, b) die Unbedeutsamkeit des Unvollendbaren an der Erscheinung geltend.Ga naar voetnoot8) Diese logischen Ideen stehen daher ‘den Schranken der Naturerkenntniss entgegen’. Und so bekommen wir folgendes Schema:Ga naar voetnoot9) | |||||||||||||||||
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Mit dem Absoluten (1), Vollendeten (2), Freien (3), Ewigen (4) kommt die Erkenntnis also zu ihrer ‘höchsten Bejahung’, aber sie kann diese an der wirklich gegebenen Erkenntnis nur durch die doppelte Verneinung geltend machen. Sooft sie jedoch dies tut, behauptet sich darin die Vernunft nach ihrem reinen Wesen. Denn wenn es auch so scheint, dass die Vernunft die Gedanken der Ideen der Freiheit und Ewigkeit ‘mit willkührlicher Reflexion entwirft’, so ist es in Wirklichkeit doch nicht so. (Fries sagt denn auch: ‘gleichsam mit willkührlicher Reflexion.’) Denn die Vernunft glaubt rein aus ihrem Wesen an die höchste Realität, und entwirft sich nachher jene Ideen nur, um ihren Glauben aussprechen zu können.Ga naar voetnoot1) Wenn also auch die logischen oder spekulativen Ideen von Fries inhaltlos sind (‘diese Negation der Schranken in der Idee der absoluten Realität ist in der That der einzige Inhalt,Ga naar voetnoot2) den wir unsrer spekulativen Idee verschaffen können!’), so hat doch die Ideenlehre für den Aufbau seines Systems reale Bedeutung, denn ohne sie würde die Ahndungslehre (die ja Glauben und Wissen in wechselseitigen Zusammen- | |||||||||||||||||
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hang bringt) ‘in der Luft schweben.’Ga naar voetnoot1) Ausserdem hat Fries, wie L. Nelson nachdrücklich betont, die negative Form der Ideen ganz bestimmt von ‘der positiven Grundlage der Ideen in der unmittelbaren Erkenntnis’ unterschieden.Ga naar voetnoot2) Ideen und Naturbegriffe mögen sehr scharf unterschieden werden, sie gehen doch beide aus ‘einer und derselben Grundvorstellung der reinen Vernunft’ hervor.Ga naar voetnoot3) b) Jetzt lassen wir eine kurze Darlegung des ‘Gefühls’ bei Fries folgen. Wie der Glaube vor dem Wissen voraus hat, dass er mit dem Kunstgeräte der Beweisführungen nichts zu schaffen hat - das wurde uns bei der Ideenlehre schon deutlich -, so wird auch in der Gefühlslehre Gefühl gegenüber ‘Begreifen’ und ‘Schliessen’ gestellt. ‘Verstand ist das Vermögen der mittelbaren Beurtheilung der Dinge nach Schlüssen und vorausgegebenen Begriffen, dagegen sich in Gefühl und Geschmack ein Vermögen der unmittelbaren Beurtheilung der Dinge zeigt.’Ga naar voetnoot4) Der ganze Streit über die ‘nur vermittelnde Reflexion’ kann schliesslich zurückgeführt werden auf den Streit zwischen Wahrheitenbegreifen und Wahrheitenfühlen.Ga naar voetnoot5) Diesen hiermit in rohen Umrissen angedeuteten Unterschied nun will Fries anthropologisch-wissenschaftlich klarmachen; er beabsichtigt damit weiterzukommen als Baco von Verulam und auch als Jacobi. Denn Baco von Verulam hat wohl das Verdienst, Schutz gesucht zu haben gegen die aristotelische Logik mit ihren Syllogismen usw., aber er fand ‘zum Schutz gegen den Syllogismus anstatt des Gefühls nur die Induction’, die dann ‘auf den Ursprung der sinnlichen Erkenntniss’ zurückführen musste und also doch wieder die ‘unmittelbare Wahrheit’ auf ‘Empfindung, | |||||||||||||||||
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somit auf sinnlicher Anschauung beruhen’ liess. Und Jacobi beging den Fehler, dass er das ‘in sich gewiss sein durch einen Instinct der Vernunft erklären wollte’; damit gab auch Jacobi, sagt Fries, ihm doch schliesslich wieder einen ‘sinnlichen Ursprung’.Ga naar voetnoot1) Dem gegenüber will nun Fries das Gefühl immer scharf von der Empfindung getrennt halten,Ga naar voetnoot2) es ist ein Akt des Erkenntnisvermögens; um es zu kennen, muss man erst unsere ‘logischen’ Erkenntniskräfte kennen.Ga naar voetnoot3) Dieses Gefühl (und die ‘Erkenntnisweise durch reines Gefühl’) darf denn auch nicht Dichtern, Andächtigen und Schwärmern überlassen werden, sondern soll eine Sache der Philosophie bleiben; diese muss zeigen, dass nicht der ‘dichterischen Begeisterung’ sondern dem reinen Gefühl und diesem allein das Vermögen gegeben ist, die ästhetischen Ideen (worüber wir weiter unten noch sprechen werden) ‘anzuwenden’.Ga naar voetnoot4) Um nun die versprochene wissenschaftliche Ortsbestimmung des Gefühls und zugleich seine Sicherstellung gegen Schwärmer und Empiristen auszuführen, gibt Fries eine Definition vom Gefühl, nach der es ‘die unmittelbare Selbsttätigkeit des Reflexionsvermögens’ d.h. der Urteilskraft ist.Ga naar voetnoot5) Fries verweist hier auf die Fälle, in denen wir ‘unmittelbar’ etwas wahr oder falsch finden, ‘ohne uns auf Beweis einzulassen, ohne es ganz einzusehen’Ga naar voetnoot6) Merkwürdig ist an dieser Stelle die Umsicht und die nicht ganz eingestandene Unsicherheit, mit der Fries hier seine Worte wählt: ‘wir finden oft(!) etwas wahr oder falsch, ohne(!) es ganz(!) einzusehen(!), ohne uns auf Beweis einzulassen(!), ohne uns nur genaue(!) Rechenschaft(!) geben zu können, warum wir | |||||||||||||||||
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es so finden.’ Für den angekündigten Versuch, das Gefühl wissenschaftlich-anthropologisch zu begründen, klingt diese Sprache etwas unsicher. Es scheint, dass Fries selber die hier vorhandenen ‘psychisch-anthropologischen’ Schwierigkeiten (auch hinsichtlich seiner eigenen Stellung zu Kant!) so stark gefühlt hat, dass diese Abgrenzung des Gefühls gegen die Umschreibung der englischen Empiristen, die eine Modifikation der Empfindung davon machten,Ga naar voetnoot1) und auch seine scharfe Antithese zwischen dem unmittelbar urteilenden Gefühl einerseits, und BeweisGa naar voetnoot2) und SchlussGa naar voetnoot3) als vermittelten Tätigkeiten der Urteilskraft andererseits, bedenklich viel Aehnlichkeit hat mit einer petitio principii. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man darauf achtet, dass Fries bei der Unterscheidung der drei ‘Arten des Gefühls’ gezwungen ist, neben der 2. (unmittelbaren Tätigkeit der subsumierenden) und der 3. (der reflektierenden Urteilskraft) als 1. zu ponieren eine solche ‘Art’ des Gefühls, wie sie ‘beruht nur auf dem Grade, wie weit ich mir eben jetzt der Gründe eines Urtheils bewusst bin.’Ga naar voetnoot4) Hier wird implicite anerkannt, dass das ‘Unmittelbare’ (Schlusslose) der Selbsttätigkeit der Urteilskraft im Gefühl doch eigentlich ungenügend legitimiert ist, gerade wieder von psychologisch-anthropologischem Gesichtspunkt aus. In seiner soeben erwähnten Definition schliesst Fries sich insoweit an Kant an, als das Gefühl vom Sinn getrennt wird;Ga naar voetnoot5) aber insofern glaubt er von Kant abweichen zu müssen, als Kant das Gefühl ‘nur auf Lust und Unlust beschränkt’. ‘Hätte Kant bemerkt, dass man statt Gefühl der Lust ganz im allgemeinen auch Beurtheilung der Zweckmässigkeit sagen kann, so würde dieser ganze Theil seiner | |||||||||||||||||
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anthropologischen Theorie anders ausgefallen sein.’Ga naar voetnoot1) Daher kommt es denn auch, dass die ‘ästhetische Lust’ von Kant, die bei Fries ‘intuitiv’ heisst (und in welcher ‘der Gegenstand nach Verhältnissen anschaulicher Vorstellungen als gefällig oder missfällig beurtheilt wird’), deutlich unterschieden wird von der intellektuellen Lust, die auftritt ‘bey dem, was nach Begriffen gefällt’.Ga naar voetnoot2) Erinnert man sich nun, wie der Glaube gegenüber dem Wissen vorgestellt wurde als frei von dem Kunstgeräte der Begriffsbestimmungen und Beweisführungen und wie die Ahndung die Brücke schlug zwischen Glauben und Wissen, dann ist ohne weiteres deutlich, dass diese Gefühlstheorie für die Ahndungslehre direkte Folgerungen haben muss. Man findet sie denn auch deutlich umschrieben. ‘Ueberzeugung ohne Anschauung’, - das ‘macht den gemeinen Begriff des Glaubens aus’.Ga naar voetnoot3) Wenn nun die Ahndung ihre Aufgabe (das Endliche mit dem Ewigen zu vereinigen) erfüllen will und zwar so, dass die Realität des Endlichen und des Ewigen in ein und demselben Bewusstsein zusammenkommen, dann kann, wie schon aus a) hervorging, die Ahndung dies nur tun, indem sie die Gegenstände der Anschauung bezieht auf die Ideen, und dies kann dann wieder nur durch Gefühle zustande gebracht werden.Ga naar voetnoot4) Also wird der Glaube ‘nur im Gefühl lebendig’;Ga naar voetnoot5) er kann ‘seinen Ideen das Wesen der Dinge nicht wissenschaftlich, sondern nur durch die Gefühle der Ahndung unterworfen erkennen.’Ga naar voetnoot6) Der Glaube an die Ideen des Absoluten bildet ‘das Princip, dem die Ahndung (nach ästhetischen Ideen) das in Raum und Zeit Wirkliche in Gefühlen unterordnet.’Ga naar voetnoot7) Denn die Ahndung des Ewigen im Endlichen ist nun zu verstehen | |||||||||||||||||
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als Erkenntnis durch reines Gefühl.Ga naar voetnoot1) Von hier aus wird die Ahndung für die ‘Religion’ konstitutiv, denn Religiosität ist Sache des Gefühls und damit der Ahndung.Ga naar voetnoot2) Endlich ist noch zu beachten Fries' Meinung, dass das Gefühl irrtumslos ist. Wir besprechen die Frage der Irrtumslosigkeit an dieser Stelle, ebenso wie Georg Weisz,Ga naar voetnoot3) der sie besonders mit der Gefühlslehre in Zusammenhang bringt, aber weisen nichtsdestoweniger mit Nachdruck darauf hin, dass Fries selber die Irrtumslosigkeit des Erkennens nicht mit dem Gefühl allein verbunden, sondern über das ganze Gebiet des ‘unmittelbaren Erkennens’ ausgedehnt hat, ein Gedanke übrigens, der in der Fries'schen Schule (Hessenberg, Nelson, Kastil) immer wieder aufgenommen wird. Mit der ‘Unmittelbarkeit’ des Erkennens steht oder fällt dessen Irrtumslosigkeit. Denn nach Fries ist Irrtum: ‘gesetzwidriges Fürwahrhalten’. Diese Definition verschärft das Problem, gerade für Fries; denn für den Mann der anthropologischen Deduktion, der die Einheit des Erkennens so nachdrücklich in den Vordergrund stellt und gegenüber dem Skeptizismus mit Nachdruck das Selbstvertrauen,Ga naar voetnoot4) ja sogar ‘den Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft,’Ga naar voetnoot5) predigt, muss eigentlich jede Annahme der Wirklichkeit eines gesetzwidrigen Fürwahrhaltens in se eine Versuchung zum - Skeptizismus bedeuten. Fries stellt denn auch selber sofort die Frage, wie Gesetzwidrigkeit im Erkennen möglich ist, während doch in der Natur ‘keine Kraft ihrem eigenen Gesetze widersprechen kann.’Ga naar voetnoot6) Er sucht nun der Schwierigkeit zu entkommen, indem er verweist auf die Analogie in der Natur, bei der wohl nicht eine Kraft ihren eigenen Gesetzen widerspricht, aber wohl Widerstreit entgegengesetzter Kräfte möglich ist;Ga naar voetnoot7) als solcher tritt denn hier | |||||||||||||||||
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der Wille auf gegen das Erkennen. Der Irrtum entsteht aus dem Willen, der auf das Vorstellen Einfluss ausübt, ‘indem der Wille sich nach den ihm fremden Gesetzen der Erkenntniss zu richten sucht’.Ga naar voetnoot1) Um die Einheit des Erkennens behalten zu können, muss Fries also die Einheit des menschlichen Seins, der menschlichen Existenz, wenigstens halbwegs preisgeben; denn in dem Menschen wirken entgegengesetzte ‘Kräfte’ (Wille und Erkennen), obgleich doch der Wille wieder sich nach den ihm fremden Gesetzen zu richten sucht. Nicht die Sinne, nicht die unmittelbare Erkenntnis, sondern der Wille und die willkürliche Reflexion sind es, die irren und allen Irrtum lassen ‘beruhen auf Schlüssen und folglich auf Wahrscheinlichkeitsschlüssen.’Ga naar voetnoot2) ‘Irrthum’, sagt Fries, ‘ist nur ein Fehler der Reflexion, ein Fehler im Gebrauch der gesunden Vernunft.’Ga naar voetnoot3) Die Grenzlinie zwischen irrender und nicht-irrender Erkenntnis fällt also zusammen mit der zwischen mittelbarer und unmittelbarer. Wohl irren können die ‘mittelbaren Urtheile des Verstandes’ (Schlüsse), die ‘mittelbare Einbildung’ (unvollständige Prämissen eines Wahrscheinlichkeitsschlusses!); nicht irren können die Sinne, die unmittelbare Erkenntnis der Vernunft, die Anschauung; in dem inneren Wesen der Vernunft selbst ist lauter Wahrheit.Ga naar voetnoot4) Mit Hilfe seiner Konstruktion der irrtumsfreien unmittelbaren Erkenntnis kann Fries also Wissen, Glauben und Ahndung einen Platz von gleicher Gültigkeit nebeneinander sichern.Ga naar voetnoot5) Weil weiter in dem Gefühl ein Vermögen unmittelbaren Erkennens zu sehen ist, wie sich uns zeigte, darum ist auch das Gefühl als solches irrtumsfrei. Das Gefühl handelt nicht gesetzwidrig, aber - vergl. oben über die erste der drei Arten des Gefühls - wenn das Gefühl zu Aussprüchen kommt durch Urteile und sich dann die Prämissen in Schlussketten erst einzeln | |||||||||||||||||
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denken will und vielleicht manche davon vergessen werden, dann, in dieser Reflexion also, kommt ein irriges Resultat heraus und wird das Gefühl ‘die geheime Werkstätte’ funester Vorurteile.Ga naar voetnoot1) Denn wohl von den Urteilen, nicht von der Erkenntnis gilt, dass sie eine Begründung nötig haben.Ga naar voetnoot2) c) Mit Bezug auf die ästhetische Gesetzlichkeit beschränken wir uns auf einige Einzelheiten, die mit unserem Gegenstand in unmittelbarerem Zusammenhang stehen. Wir gehen hierbei wieder aus von dem uns schon bekannten Gegensatz, den Fries zwischen dem theoretischen und dem atheoretischen Erkennen macht. Bei der Entwicklung der Begriffe Glaube, Gefühl, Ideen, Ahndung sahen wir, dass er jedesmal das unmittelbare Erkennen als atheoretisches erhob über und stellte gegenüber allem theoretischen Erkennen. So konnten wir bereits die Ahndung als ‘eine aller Theorie entgegengesetzte Ueberzeugungsweise (der “transcendentalen Urtheilskraft”) aus blossen Gefühlen’Ga naar voetnoot3) umschreiben hören. Demselben Gegensatz nun begegnen wir auch auf dem Gebiet des ‘Aesthetischen’: ‘was wir in bestimmtester Bedeutung ästhetisch nennen, ist das Eigenthum des Gefühls im Gegensatz gegen alle Theorie’;Ga naar voetnoot4) ‘das Gebiet der Aesthetik oder des Gefühls scheidet sich von aller Wissenschaft und Theorie.’Ga naar voetnoot5) ‘Das Gebiet der Aesthetik oder des Gefühls’, - dieser kurze Ausdruck beweist schon, dass mit ‘ästhetisch’ und ‘Aesthetik’ nicht auf die sinnliche Wahrnehmung gesehen wird, sondern dass unter ‘Aesthetik’, frei von der ‘strengen Etymologie’, ‘die Lehre vom Schönen und Erhabenen’ verstanden wirdGa naar voetnoot6) oder ‘reine Geschmackslehre, denn wir nennen reinen Geschmack das Vermögen der Beurtheilung des Schönen und Erhabenen’.Ga naar voetnoot7) | |||||||||||||||||
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Der auf ästhetischem Gebiet herrschende Gegensatz gegen alle Theorie lässt sich nun zuallererst erkennen in Fries' Konstruktion des ästhetischen Urteils. Theoretische Urteile entstehen aus Unterordnung nach bestimmten Begriffen; sie werden gefällt auf dem Gebiet des Wissens, auf dem die Anschauung unter die mathematischen Gesetze der Physik untergeordnet wird. Aesthetische Urteile dagegen haben (vgl. oben) mit dem Gefühl zu schaffen, darum auch mit den Ideen, schliessen deshalb Beweise und Schlüsse aus, werden bestimmt durch eine Unterordnung (nach Gefühl) unter Ideen, ‘bey welcher die Urtheilskraft in ihren Gefühlen nur von unaussprechlichen Begriffen geleitet werden kann’.Ga naar voetnoot1) Der Gebrauch der Urteilskraft ist denn auch sehr verschieden, je nachdem er theoretisch oder ästhetisch ist. Im ersten Fall bilden sich durch die Kategorie positive allgemeine Gesetze, im zweiten treten Grundsätze aus Ideen auf, unendliche Urteile also mit negativen Formen. Im ersten Fall kann also die Urteilskraft subsumieren: denn in der Wissenschaft (theoretischer Gebrauch der Urteilskraft) handelt es sich darum, einen Fall der Regel unterzuordnen; im zweiten Fall jedoch kann die Urteilskraft mit dem Subsumieren nichts anfangen; alle Unterordnung ‘bleibt der reflektierenden Urtheilskraft überlassen’.Ga naar voetnoot2) Ja, es zeigt sich, dass die Kluft zwischen theoretischem und ästhetischem Urteil noch tiefer ist; denn wohl kann auch in der ‘Wissenschaft’ die reflektierende Urteilskraft wirken (Induktion), aber die dabei herrschenden Maxime werden doch wohl im allgemeinen als für die Natur geltende konstitutive Gesetze anerkannt. In der ‘idealen Ansicht der Dinge’ jedoch (einer Ueberzeugung, die über alle Wissenschaft hinausgeht) ist eine Erkenntnis nicht von, sondern aus den Ideen; das ästhetische Gesetz des Geschmacks hat darum Regeln, die für eine logische Entwicklung nicht empfänglich sind, sondern dem Gefühl eines jeden überlassen bleiben. Wohl müssen alle bei | |||||||||||||||||
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ihren Geschmacksurteilen übereinstimmen in einem gewissen Anspruch, den die ästhetischen Urteile auf Allgemeingültigkeit haben, aber dieser bleibt immer subjektiv bedingt; für die einzelne Unterordnung bleibt jeder auf sein subjektives Gefühl angewiesen.Ga naar voetnoot1) Mit der Fries'schen Konstruktion des ästhetischen Urteils hängt weiter sein Entwurf der ‘ästhetischen Idee’ aufs engste zusammen. Diese ist von der bereits besprochenen logischen Idee scharf unterschieden. Denn ‘Idee ist überhaupt eine Vorstellung, deren Gegenstand in keiner bestimmten Erkenntnis gegeben werden kann, und diese Ideen sind entweder ästhetische durch Kombination, oder logische durch Negation.’Ga naar voetnoot2) Was diese Negation bedeutet, haben wir schon gesehen; unter der Kombination versteht Fries, dass die Form einer Anschauung als Fall unter einer Regel als Anschauung dargestellt wird.Ga naar voetnoot3) Diese ‘Regel’ ist bei den ästhetischen Ideen jedoch unaussprechlich; denn ihr Gesetz kann durch keinen bestimmten Begriff ausgedrückt werden. Wohl wird die anschauliche Vorstellung der ästhetischen Idee als ein Ganzes aufgefasst, aber bei dieser Einheit der Form ist doch kein Begriff ‘von dem, was dies Ganze für ein Ding seyn soll’.Ga naar voetnoot4) Der Gegensatz zwischen logischen und ästhetischen Ideen ist also scharf gezeichnet:
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Von hier aus wird nun Fries' Lehre der ästhetischen Zweckmässigkeit oder Gesetzlichkeit verständlich. Fries unterscheidet nämlich zwischen der ästhetischen Idee selbst und Ihrer Form.Ga naar voetnoot2) Erst durch ihre Form wird sie schön und erhabenGa naar voetnoot3) und gefällt sie.Ga naar voetnoot4) Als Beispiele, an denen dieser Satz bewiesen werden kann, nimmt Fries nicht nur Volks-, Kinder-, Wiegenlieder, Anakreontische Lieder, sondern auch schöne Gebäude, die Statue, das Gemälde, das grosse Epos oder Drama. Diese alle, ‘so gut als jene Kleinigkeiten, wenn darin noch soviel Verstand, Konsequenz, Gedanke und Reflexion ist’ (gegenüber jenen ‘Kleinigkeiten’, die oft logisch gar keine Bedeutung haben), müssen doch ‘als Ganzes nur für die Anschauung als ästhetische Idee gegeben seyn und durch die Form dieser Idee gefallen’.Ga naar voetnoot5) Dies impliziert schon, dass bei ‘ästhetischer Beurtheilung’ die ‘Urtheilskraft.... nur auf die Zweckmässigkeit der gegebenen Anschauung zur Zusammenfassung überhaupt reflektirt’. Hierzu kommt noch ein zweiter Faktor; das rein ästhetische Urteil ‘beruht auf dem Gefühl des wechselseitigen Zusammen- | |||||||||||||||||
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treffens der Einbildungskraft in ihrer Freyheit mit der Gesetzmässigkeit des Verstandes’; dies folgt ja daraus, dass ‘hier’, d.h. bei dem soeben genannten Reflektieren der Urteilskraft, ‘kein Begriff vom Objekt zu Grunde liegt’.Ga naar voetnoot1) So wird ‘die Zweckmässigkeit anschaulicher Formen (im Schönen und Erhabenen) die Form der ästhetischen Idee’.Ga naar voetnoot2) Mit dieser spekulativen ästhetischen Form korrespondiert nun die teleologische ästhetische Form.Ga naar voetnoot3) Weil die höchste Idee in der praktischen Philosophie das Gesetz des Zweckes ist (worin wir ‘das Wesen der Dinge den Gesetzen des nothwendigen Zweckes oder des absoluten Werthes unterwerfen’)Ga naar voetnoot4), darum können wir uns nicht begnügen mit der interessierten Beurteilung dessen, was ‘für mich’ Zweck ist, sondern müssen wir wohl kommen zu der uninteressierten Lust am Schönen und Erhabenen selber. ‘Die Beurtheilung des Gefälligen oder Missfälligen’ nun ‘wird uninteressiert, sobald ich eine objektive Regel dessen voraussetze, was für sich als Zweck existiert oder Zweck der Natur selber ist. Wir nennen einen Gegenstand schön oder erhaben, wiefern wir ihn mit einem Gesetze der objektiven Zweckmässigkeit übereinstimmend finden, wiefern er uns das Gesetz des Zweckes selbst im Wesen der Dinge ahnden lässt.’Ga naar voetnoot5) 5. Kehren wir nun zur Ahndungslehre zurück, so ist der Uebergang leicht zu finden. ‘Beym Schönen und allem kontemplativ Erhabenen gehen wir von der Zweckmässigkeit der Natur aus, und ordnen.... so das Endliche den Gesetzen seines ewigen Wesens unter’. Dies nun geschieht nur durch die Ahndung.Ga naar voetnoot6) Und das Gefühl tritt zugleich hier auf; auch die Idee bekommt hier ihren Platz: wir sehen die Natur als ‘Widerschein’ des in der Idee ergriffenen ‘Reiches der Zwecke’, und ‘es erscheint uns.... das | |||||||||||||||||
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objektive Gesetz des Zweckes für das blosse Gefühl, indem wir die in der Natur zufällig aufgefasste Eurythmie der Form nur als einen Zweck der Natur beurtheilen können.’Ga naar voetnoot1) Die Ahndungslehre, wie sie jetzt mit der Idee, dem Gefühl und der Zweckmässigkeit in einen Zusammenhang gebracht ist, enthält folgende für unsere Untersuchung kennzeichnende Grundgedanken: a) Die Ahndung hat nur einen Platz in dem Rahmen eines antirationalistischen Gedankensystems. Wir erinnern nur an den scharfen Gegensatz zwischen vermitteltem und unvermitteltem Erkennen, zwischen Wissen und Glauben, Reflexion und Gefühl, Begriff und Idee, Aussprüchen des Wissens und Aussprüchen des Glaubens und an die Stellung, die die Ahndung immer wieder gegenüber den Termini in dieser Reihe von Gegensätzen einnahm. Nur unter diesem Gesichtswinkel ist Fries' ‘Verteidigung der Rechte des Rationalismus’ (Rel. Ph., § 8) verständlich. Er verteidigt sie gegen ‘die Phantasieen eines mystischen Empirismus’, gibt aber ‘eine Verbesserung der logischen Lehre’, und kommt so zu seinen ‘auflöslichen und unauflöslichen Wahrheitsgefühlen’, zu seiner Deduction, usw. (§ 9). b) Dieses antirationalistische Gedankensystem ist jedoch niemals anti-vernünftig. Im Gegenteil, Fries' ganzes Gedankensystem basiert, auch was den Glauben anlangt, auf dem SelbstvertrauenGa naar voetnoot2) der Vernunft, das bei Fries mehrere Male zur Sprache kommt; der Vernunft entspringen sowohl GlaubeGa naar voetnoot3) als Wissen, und das Gefühl, das ja zwischen beiden eine Brücke schlägt, ist Akt des Erkenntnisvermögens, Selbsttätigkeit des Reflexionsvermögens, wie wir sahen. Reflexion nun, als Vermögen der Wiederbeobachtung, bringt mittelbar zum Bewusstsein, was als ursprüngliche Erkenntnis der Vernunft gegeben ist.Ga naar voetnoot4) Ausserdem ent- | |||||||||||||||||
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springen, wie sich uns zeigte, sowohl Ideen als Naturbegriffe derselben Grundvorstellung der Vernunft. c) Aus der Verbindung von a) und b) folgt weiter, dass die Ahndung, wenngleich sie Glauben und Wissen, unvermitteltes und vermitteltes Erkennen verbindet, doch niemals auf Paradoxa in dem praegnanten Sinn, den Kierkegaards Gegensatz ‘Zeit und Ewigkeit’ diesem Wort gab, stossen kann. Die Antinomien der reinen Vernunft kehren auch bei Fries als Probleme zurück, aber neben dem Kantischen Lösungsschlüssel des transzendenten Idealismus glaubt Fries dann noch obendrein den seines ‘Psychologismus’ (Anthropologie) gebrauchen zu können. ‘Skandal’ in striktem Sinn für die Vernunft oder Paradox ‘sensu eminentiore’ (Kierkegaard) kann die Antinomie bei Fries niemals werden. ‘Gott’ kann hier nicht der Deus loquens sein, der der Vernunft widerspricht, denn die Idee der Gottheit ist selber die höchste Idee der Vernunft, diese hat sie ja gebildet durch die Idee der Aufhebung der Schranken der intelligiblen Welt.Ga naar voetnoot1) ‘Die Idee der Gottheit entspringt uns aus dem obersten Verhältniss der Einheit aller Erkenntniss in der unmittelbaren Erkenntniss der Vernunft’; alle Versuche, um diesen Begriff ‘des allerrealsten Wesens’ (Gott) zu etwas Positivem zu machen, sind nach Fries zum Fehlschlagen verurteilt; wir können diese Idee eines absoluten Gegenstandes der Vernunft (Gegenstand! - Kierkegaards Konsequenz jedoch war, dass Gott niemals Gegenstand sein kann) nur bestimmen durch die bei den logischen Ideen deutlich gewordene doppelte Negation.Ga naar voetnoot2) So bildet die Vernunft durch die Ideen wohl den Begriff des aliud valde (in dieser doppelten Negation nämlich), aber daraus kann denn auch nichts Positives gedacht werden. Die ‘unüberwindlichen Geheimnisse’ sind wohl Objekt der Ahndung, aber werden nicht, wie bei Kierkegaard, in dem Glauben zu alle Ahndung und ‘Spekulation’ ‘überwindenden’ Geheimnis- | |||||||||||||||||
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sen.Ga naar voetnoot1) Das ‘ganz Andere’ ist bei der Problemstellung Kierkegaards Gott, Ewigkeit; hier bei Fries ist es ‘das wahre Wesen der Dinge’ (weil dies in der Verneinung der Schranken als ‘ein Anderes denn das beschränkte Wesen der Natur’ vorkommt)Ga naar voetnoot2); es ist die ‘leere Stelle einer höchsten Einheit im Wesen der Dinge’.Ga naar voetnoot3) d) Hiermit ist denn auch die Antwort auf die Frage nach einem eventuellen Widerspruch in der Ahndung usw. bestimmt, und zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit der Idee der Gottheit. Denn diese wird gedacht a) nach der Quantität als das Ideal der Vernunft, nach der Idee der absoluten Einheit; b) nach der Qualität als das allerrealste Wesen; c) nach der Relation als der absolute Grund in dem Sein der Dinge; d) nach der Modalität als das Wesen aller Wesen, absolut notwendig. Mit Bezug auf a) gilt nun, dass die Vorstellung der Gottheit wohl nur im Gegensatz gegen das ‘theilbare Mannigfaltige überhaupt’ entworfen wird, aber die so erlangte quantitative Idee ‘bezeichnet nichts als die leere Stelle einer höchsten Einheit im Wesen der Dinge’; die Vernunft bleibt also ‘spontan’ und wird durch ihren eigenen Entwurf nicht verzehrt. Mit Bezug auf b) gilt dasselbe. ‘Der qualitative Ausdruck der Idee ist eben so nichts besagend’. Wohl meinen viele, dass in Gott und in Ihm allein ‘alle Realität bejaht ist ohne Verneinung’,.... aber das ist ein Versehen; denn man verwechselte Verneinung mit Beschränkung. Die qualitative Idee des Allerrealsten bleibt also immer ‘leer’, auch wenn man alle bejahenden Begriffe in dieser Idee vereinigen wollte. Denn man kann dafür wohl die metaphysische Regel zu Hilfe rufen, dass ‘Realitäten sich nicht widerstreiten’ und daraus dann konkludieren, dass sie sich also in einem Wesen vereinigen lassen, aber diese Regel ist hier dann auf illegitime Weise angewandt; sie ist nur ‘erschlichen’ ‘durch Ver- | |||||||||||||||||
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wechslung mit dem analytischen Satz: Realitäten widersprechen sich nicht’. In dem Widerspruch tritt immer die Negation auf; denn ‘Widerspruch ist die logische Entgegensetzung eines Begriffes und seiner Verneinung oder seines Gegensatzes’. Bevor wir jedoch die Negation ‘brauchen’ können, muss erst ‘ein Widerstreit beschränkter Realitäten das erste’ sein, das wir finden (das Nicht-rot-sein eines Gegenstandes z.B. wird nicht erkannt an seiner Farblosigkeit, sondern z.B. durch sein Grün-sein). Ein solcher Widerstreit ist also von dem logischen Widerspruch absolut zu unterscheiden. Man kann also die Gottesidee als die Idee des Allerrealsten nicht stützen auf den Satz, dass Realitäten sich nicht widersprechen; denn dieser Satz tut hier nichts zur Sache; er ist analytisch, gehört zur Reflexion; in der Idee der Gottheit jedoch geht es um Idee und Gefühl, um unmittelbares Erkennen. Und auf den anderen Satz, dass Realitäten sich nicht widerstreiten, kann man die qualitative Idee des Allerrealsten schon ebenso wenig gründen. Freilich, weil die Realitäten unserer Erkenntnis beschränkt sind, sind sie auch ‘häufig in Widerstreit mit einander’. Diesen Widerstreit finden wir jedoch, bevor wir die Negation (die sich ja bei den logischen Ideen uns schon als unentbehrlich zeigte) ‘brauchen’ können. Denken wir uns also die Beschränkung aufgehoben, dann ist damit das Denken zugleich über den Widerstreit, der in dem Beschränkten liegt, hinausgegangen. Um zu einer solchen Idee der Gottheit zu gelangen, müssten wir also mehr tun als alle Negationen wegdenken: man müsste dasjenige Positive denken, ‘für welches von keiner Negation die Rede seyn könnte’. Man bekäme dann ‘das unbeschränkte Positive’. Aber dies ist ein aussichtsloser Versuch, weil wir ‘durchaus keine Realität unseres Geistes nennen können, deren Positives nicht verschwände, indem wir es unbeschränkt denken wollten’. Darum lautet auch hier der Schluss, dass nur das Gefühl das Positive erreicht, ohne allen Begriff. Und der aus Goethes Faust bekannte, von Schleiermacher wieder aufgenommene, von Emil Brunner | |||||||||||||||||
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heftig bekämpfteGa naar voetnoot1) Vers tritt hier bei Fries in seiner ganzen Schärfe in den Vordergrund: Name ist Schall und Rauch,
Umneblend Himmelsgluth.
Die Zeile ‘Gefühl ist alles’ fehlt in diesem poetischen Zitat, aber in Fries' eigener Prosa war sie denn auch schon deutlich zu lesen. Was nun weiter die Idee der Gottheit nach Relation und Modalität betrifft (c und d), der Relation nach wird ‘in der Idee der Gottheit die Einheit der Existenz aller Dinge absolut’ gedacht und zwar so, dass ‘die mathematische Unvollendbarkeit in der Gemeinschaft der Dinge aufgehoben’ gedacht wird. Dies kann nur dadurch geschenen, dass wir ‘in der Gottheit die Idee einer höchsten Ursache über das Wesen der Dinge hinzudenken, als den Urgrund im Seyn der Dinge’. Und endlich, nach der Modalität zeigt sich ‘das Wesen der Wesen’ gegenüber dem Zufälligen als ‘absolut nothwendig’; aus der Gottheit fliesst also die ewige Ordnung der Dinge. Dies Letztere ist dann wieder nicht möglich ohne die Ideen der Pflichtgebote; so kommt es, dass die Idee der ‘ewigen Güte’, eines ‘heiligen Willens als Urgrund im Seyn’ am Schluss der Fries'schen Konstruktion übrigbleibt.Ga naar voetnoot2) Es ist also ohne weiteres deutlich, dass in der Idee der Gottheit der Widerspruch, das Paradox bei Fries ganz und gar fehlt. Gegensatz, Widerstreit, Widerspruch - sie treten wohl eben in das Gesichtsfeld bei der Entwicklung der Idee der Gottheit nach Quantität und Qualität, aber wurden schon dort als wertlos für die Struktur des Gottesgedankens verworfen; ausserdem blieben, ‘wie bey aller Idee, so auch hier die Momente der Grösse und Qualität ohne Bedeutung’.Ga naar voetnoot3) Und in der Anwendung von Relation und Modalität fehlt das Moment des Widerspruchs ganz und gar. Dies kann | |||||||||||||||||
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übrigens auch nicht anders sein; denn alle zufällige Mannigfaltigkeit wird hier im Begriff der Gemeinschaft aufgehoben gedacht,Ga naar voetnoot1) und zwar, in Uebereinstimmung mit der Gefühlslehre, ‘aus dem obersten Verhältniss der Einheit aller Erkenntniss in der unmittelbaren Erkenntniss der Vernunft’.Ga naar voetnoot2) Soweit behandelten wir die Idee der Gottheit und in Zusammenhang damit die logische Idee und ihre Negation. Wir sahen jedoch auch die aesthetische Idee in der Kombination auftreten. Es erhebt sich also die Frage, ob auch hier der Widerspruch ferngehalten werden kann. Diese Frage wird von Fries bejaht. Indem er in seiner Lehre der aesthetischen Zweckmässigkeit Stellung nimmt,Ga naar voetnoot3) betrachtet er die Religionsphilosophie als Weltzwecklehre und die praktische Philosophie als Zwecklehre (gegenüber der spekulativen Philosophie als Einheitslehre).Ga naar voetnoot4) In der Ahndung nun, die durch das Gefühl ihre ästhetische Weltansicht hat,Ga naar voetnoot5) treten als drei Klassen nebeneinander auf: die epischen, dramatischen und lyrischen Ideen.Ga naar voetnoot6) Epische: denn die intelligible Welt wird gesehen als Reich der Zwecke; die sittliche Weltordnung wird hier geahnt, das Reich Gottes auf Erden vorgestellt (republikanisch, denn jedes vernünftige Wesen ist als Mitglied durch die Autonomie seiner Vernunft Mitgesetzgeber des Reiches der Zwecke).Ga naar voetnoot7) Dramatische: unter der Idee der Freiheit wird der Widerstreit des Guten und Bösen gesehen; der Konflikt zwischen dem Zweckmässigen und dem Zweckwidrigen in der Natur tritt vor das erkennende Bewusstsein.Ga naar voetnoot8) Lyrische: die Gottheit kommt vor als Ideal des höchsten Gutes; in rythmischen und musikalischen Bewegungen sucht die lyrische ästhetische Idee das Ideal der göttlichen Welt- | |||||||||||||||||
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regierung selbst zu berühren. In all diesen drei Klassen wird also von der Zwecklehre ausgegangen; prinzipiell ist also das Paradox sensu eminentiore in der ästhetischen Weltansicht hier ausgeschlossen. Und dies geschieht so konsequent, dass auch in den dramatischen ästhetischen Ideen der Widerstreit des Guten und Bösen niemals zu einem unüberwindlichen Paradox führen kann; denn die Zweckwidrigkeit, die in der Natur erscheint, wird durch das Bewusstsein sofort unter dem Gesichtspunkt der Ueberlegenheit der Idee über das Endliche gesehen; daher wird die Zweckwidrigkeit, tragisch oder komisch, verworfen ‘als eine nur anscheinende’. Alle erscheinende Zweckwidrigkeit wird verworfen im religiösen Erkennen: das Hässliche, die sittliche Verkehrtheit, das Unglück; der Teufel ist nur der Hofnarr am göttlichen Hofe.Ga naar voetnoot1) ‘So sind in der ästhetischen Weltansicht der Religion alle Widersprüche der Spekulation zu einer Harmonie des Lebens versöhnt; allgewaltig strömt durch die Zeit die Grundmelodie der Sphärenmusik; auch alle Dissonanzen klingen aufgelöst mit ein in die Weltakkorde und heben nur die Kraft ihrer Harmonie, indem die drey ästhetischen Grundstimmungen des Geistes.... in ein Leben zusammentönen nach der ewigen Zahl unerforschtem, heiligem Gesetz’.Ga naar voetnoot2) Hier ist also bei Fries die Paradoxie in striktem Sinn nicht anwesend, weder in der Idee der GottheitGa naar voetnoot3) noch in der Weltansicht, noch in dem Verhältnis zwischen Gott und Welt, endlich und unendlich. Und wenn die Ahndung das Ewige in der Natur findet, dann kann die Natur dem Ahndungsvehikel der ‘freyen Beurtheilung’ wohl nicht ‘genug thun’, aber ihr auch nicht widersprechen.Ga naar voetnoot4) Bemerkenswert ist hierbei, dass Fries selbst einmal mit Recht erklärt hat, dass in der Konsequenz seiner Lehre des Aesthetischen (in der er wesentlich über Kant hinaus- | |||||||||||||||||
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gekommen zu sein glaubt) die Notwendigkeit einer Hervorhebung der Zeiten der homerischen Dichtung im Gegensatz zu den ‘abenteuerlichen früheren orphischen und indischen’Ga naar voetnoot1) beschlossen liegt, aber dass gerade der Gelehrte, der sich in der Religionsphilosophie am meisten an ihn anschliesst, nämlich Rudolf Otto, geendet hat mit der Hervorhebung der indischen Dichtung mit ihrer.... Paradoxalität und ihrer Versenkung in das ‘Nichts’ und das ‘leere Nichts’. Wir gestatten uns diese Bemerkung schon an dieser Stelle unserer Uebersicht, weil das Fehlen des Paradoxes bei Fries für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen ihm und Rudolf Otto von Bedeutung ist. e) Stellung und Bedeutung des ‘Geheimnisses’ in Fries' Gedankensystem werden jetzt auch durchsichtig. Während bei Kierkegaard, wie sich uns ergab, das Verhältnis des Ewigen zum Endlichen jede positive Vorstellung von ‘dem Ewigen’ verurteilt, richtet, ihm widerspricht, ist in dem transzendentalen Idealismus von Fries gerade ‘eine positive Vorstellung des Ewigen nur durch das Verhältniss desselben zum Endlichen möglich’. Weil jedoch in der Ahndung Anschauung und Begriff nicht mitwirken können, bleibt das in der Ahndung Erkannte doch ‘nothwendiges Geheimniss.’Ga naar voetnoot2) Kein vorläufiges Geheimnis ist es wie das noch Unbekannte in der Natur, sondern unauflöslich bleibt es.Ga naar voetnoot3) Mysterien ‘als Analoge für ein Arkanum’ darf man in den religiösen Geheimnissen nicht sehen; es gibt hier keinen Unterschied zwischen Geweihten und Ungeweihten. Auch hier spürt man wieder Fries' Opposition gegen die indische Mystik, die bei Otto später solch eine grosse Rolle spielen wird: wenn ein philosophischer Priester seine Schüler in die Mysterien seiner ‘Geheimlehre’ einweiht und ihnen das ‘innere Auge’ öffnet, muss diese ‘transcendentale Staarstecherey nur auf eine philosophische Verblendung hinaus- | |||||||||||||||||
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laufen’.Ga naar voetnoot1) Der Glaube an ‘das Ewige’ darf denn auch nicht sich genauer ausbilden, denn das läuft auf Anthropomorphismen und unauflösliche Antinomien hinaus, weil die Idee in Widerspruch steht zu dem endlichen Begriff. ‘Ueberhaupt jeder unaussprechliche Begriff der Urtheilskraft verwickelt uns in eine Antinomie, sobald wir versuchen ihn auszusprechen’.Ga naar voetnoot2) Darum ist das notwendige Geheimnis ein Beweis unserer Unwissenheit. Und zwar eine Vereinigung beider Arten Unwissenheit: a) der materialen, historischen (die durch das Lernen neuer Wahrheiten zu überwinden ist), b) der formalen (in philosophischen und mathematischen Dingen, Mangel an Ausbildung).Ga naar voetnoot3) Auch diese Lehre vom Geheimnis unterscheidet sich also von der Kierkegaardschen gerade wieder hierin, dass für ein Paradox stricto sensu kein Platz ist. Denn ein derartiges Paradoxon geht von dem Gedanken aus, dass das Verhältnis zwischen dem Ewigen und dem Menschlich-Existentiellen selbst wenigstens ín einer Hinsicht kein Geheimnis ist, dass man zwar nicht über Gott, aber doch wohl in der Tat über Gottes Verhältnis zu menschlichen Vernunftansichten in positivem Sinn sprechen kann; wenn man z.B. sagt, dass das ‘ganz Andere’ oder ‘der’ ‘ganz Andere’ unseren Ansichten widerspricht, sie verurteilt, in die Krisis bringt u.s.w. Hier, bei Fries, heisst es jedoch radikal: ‘Die positiven Gesetze der ewigen Ordnung und das Verhältnis des ewigen Wesens zur endlichen Ansicht unsrer Vernunft sind unüberwindliche Geheimnisse für die endliche Vernunft’. Um sie ‘aufzuklären’, also auch, um aus dem Verhältnis Gottes zu unsrer Ansicht auf den vollkommenen Widerspruch, auf das absolute Paradox zu schliessen, dazu müsste nach Fries die endliche Vernunft ‘vorher in ihrer Organisation ganz verwandelt’ sein.Ga naar voetnoot4) | |||||||||||||||||
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Denn die Behauptung des absoluten Paradoxons, in der Linie des Kierkegaardschen Denkens, geht, wie Viktor Glondys, P. Goedewaagen, Hermann Herrigel (in einer Auseinandersetzung mit Barth-Gogarten) u.A. mit Recht bemerkt haben,Ga naar voetnoot1) selber aus von einer bestimmten Behauptung über das Verhältnis des ‘ewigen Wesens’ zu der ‘endlichen Ansicht unserer Vernunft’. f) Das Geheimnis heisst denn auch bei Fries wohl ‘religiös’, aber ebenso wie sich für uns ergab, dass der Begriff ‘Glaube’ bei ihm einen ganz anderen Inhalt hat als es in den meisten theologischen und religionsphilosophischen Schriften der Fall zu sein pflegt, so hat auch das ‘religiöse Geheimnis’ bei Fries einen Inhalt, der total verschieden ist von dem, was durchweg darunter verstanden wird. Nicht nur von der ‘ewigen Wahrheit’, sondern auch von ‘dem wahren Wesen der Dinge’ im allgemeinen gilt es, dass sie für uns Geheimnis sind.Ga naar voetnoot2) Und zwar Geheimnis im absoluten Sinn; das Wort ‘Mysterium’ ist dafür noch zu schwach, denn das könnte noch den Eindruck erwecken, als ob man ‘durch irgend eine mystische Lehre oder Einweihung’ darin eindringen könnte (Mystizismus); die Benennung ‘Arcanum’ taugt ebenso wenig dafür (denn Arcana sind wissenschaftliche Geheimnisse, unter Gewerbsleuten)Ga naar voetnoot3). Nein, diese Geheimnisse werden niemand entschleiert; das liegt nicht an der ‘Lage unseres Geistes gegen die Welt’, sondern an der Struktur des Geistes selber.Ga naar voetnoot4) Diesem ‘Mangel’ in unserem Geist wird denn auch nicht durch Offenbarung abgeholfen; die ‘Idee der Religionsgeheimnisse’ ist übrigens nicht eine Konsequenz des Glaubens an eine Offenbarung, sondern ‘die | |||||||||||||||||
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Lehre von der religiösen Offenbarung ist’ umgekehrt ‘durch die Idee der Religionsgeheimnisse veranlasst’.Ga naar voetnoot1) Daher berechtigen alle von Fries weiter geredeten Worte über ‘innere’ und ‘äussere’ Offenbarung in keinem Fall die Vermutung, als ob sich in ihnen irgendwelche Affinität mit irgendeinem objektiven Offenbarungsbegriff zeigen würde. ‘Offenbarungen’ liegen (in ‘Selbsterkenntniss’) ‘in unsrem Geiste’. Fries ist selber so ehrlich, dass er erklärt, er behaupte innere und äussere Offenbarung nur, um ‘in Beziehung auf’ die Idee der Religionsgeheimnisse ‘unsre Wissenschaft mit der Symbolik unsres Volkes zu verständigen’.Ga naar voetnoot2) Symbole sind die einzigen Formen, unter welchen menschliche ‘Mittheilungen’ über religiöse Wahrheit affirmativ werden können.Ga naar voetnoot3) g) So geschieht es, dass das Geheimnis, auch als religiöses, tatsächlich in die Natur hineingetragen wird; man kann nicht einmal sagen, dass es in ihr ‘steckt’. Wenn die Vernunft in ästhetischer Unterordnung das Gesetz vom Zwecke im Wesen der Dinge anerkennt, dann ist das nach Fries eine Wirkung der Gefühle der Liebe, des Vertrauens (‘pistis’), der Religion (‘Ergebenheit’).Ga naar voetnoot4) Dieser ‘Grundsatz der besten Welt’,Ga naar voetnoot5) verbunden mit der sittlichen Zweckgesetzgebung, stellt als uninteressierte Lust die Natur unter die Zweckgesetzgebung,Ga naar voetnoot6) unterscheidet also wohl ‘das Reich der Natur’ von ‘dem Reich der Zwecke (der intelligiblen Welt)’,Ga naar voetnoot7) erkennt darin also auch wohl an, dass die Natur diese Zweckmässigkeit nicht lehrt, aber ‘bringt’ darum ‘den Glauben an die Zweckmässigkeit der Natur zur Natur hinzu’Ga naar voetnoot8) und macht so die Teleologie der | |||||||||||||||||
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Natur zum Thema der Ahndung, das damit ‘einerley’ ist.Ga naar voetnoot1) 6. Aus unserer Uebersicht, die wir hiermit beschliessen,Ga naar voetnoot2) wird deutlich, dass Fries vielfach eine eigene Stellung einnimmt. Wie sehr er sich auch an Kant anschliesst und dessen ‘kopernikanischer Wendung’ folgt,Ga naar voetnoot3) so steht er zuweilen doch auch in Opposition gegen Kant, über dessen ‘Gabe und Fehler’ er in ‘Von deutscher Philosophie u.s.w.’ besonders schreibt. Fries' Religionsbegriff ist durch die Verbindung der Religion mit der Aesthetik durchaus unkantisch. Kant nennt z.B. in ‘Der Streit der Fakultäten’ die Religion ‘den Inbegriff aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote (und subjektiv die Maxime sie als solche zu befolgen)’.Ga naar voetnoot4) Uebrigens nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in der ganzen Ahndungslehre verlässt Fries Kants Linie. Dieser hat das ‘Gefühl’ in der Philosophie sogar mit vieler Ironie besprochen und dagegen protestiert, dass man ausser den bisher geltenden drei Stufen des Fürwahrhaltens (Wissen, Glauben, Meinen) jetzt noch eine vierte hinzunahm: die Ahndung des Uebersinnlichen.Ga naar voetnoot5) Wohl kann man diesen Passus nicht mit so grossem Nachdruck gegen die Fries-Otto'sche Ahnungslehre ins Feld führen, wie F.K. Feigel es tut;Ga naar voetnoot6) denn die von Kant bekämpfte Ahn(d)ung ist eine ‘Vorempfindung | |||||||||||||||||
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(praevisio sensitiva)’, eine Vorerwartung, die ‘die Hoffnung eines Aufschlusses enthält’, aber, wie wir sahen, will die Fries'sche Ahndungslehre durch keine dieser Andeutungen gekennzeichnet sein. Dieser Passus hat jedoch insoweit Beweiskraft als Zeuge der Fries'schen Abweichung von Kant, als nämlich ein Gefühl (Ahnung), das die Begriffe nicht nötig zu haben behauptet, gerade deswegen von Kant verworfen wird.Ga naar voetnoot1) Um Fries' ideengeschichtlichen Ort zu bestimmen, hat man auch auf die Romantik hingewiesen. Und in der Tat zeigt seine Gefühlslehre beim ersten Eindruck in diese Richtung. Aber man darf hier doch nicht allzu schnell auf eine Verwandtschaft schliessen. Die Unterschiede sind dafür denn doch zu gross: wir erwähnen nur, dass Gefühl und Ahndung doch aus der Vernunft hervorkommen und mit der Reflexion verknüpft werden; dass immer wieder gegen Dichter und Schwärmer Stellung genommen wird, auch wo es sich um Gefühl und Ahndung handelt; dass hier und dort ziemlich scharf Stellung genommen wird gegen Schelling,Ga naar voetnoot2) auch mit Bezug auf das Verhältnis endlichunendlich,Ga naar voetnoot3) wie auch gegen F. Schlegel, der sich den Vorwurf gefallen lassen muss, dass er, ebenso wie ‘unsere philosophierenden Theologen’, zwei Herren zugleich dienen will, namentlich in seinem Kampf gegen Jacobi,Ga naar voetnoot4) dessen Unsinn nach Fries ‘sichselbst überbietet’.Ga naar voetnoot5) Auch gegen Schleiermacher wird ausführlich opponiert.Ga naar voetnoot6) 7. Fries' Verhältnis zur Romantik verdient noch eben besondere Aufmerksamkeit, was das Verhältnis endlichunendlich anlangt. Dies um so mehr, weil vonseiten der dialektischen Theologie, die in der Frage des Paradoxons | |||||||||||||||||
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in grossen Zügen Kierkegaards Linie fortgeführt hat, wiederholt, zuweilen sogar mit unklarer oder unrichtiger Vorstellung oder unter Ausserachtlassung der eigentlichen romantischen Probleme,Ga naar voetnoot1) gegen die Romantik opponiert wird und das Monopol dieser Opposition, soweit sie wenigstens radikal heissen soll, beansprucht wird. Es ist merkwürdig, dass in der Opposition gegen die Romantik, auch in ihren für die These der paradoxen Wahrheit grundlegenden Problemen, Fries, Ottos Vorläufer, schwerlich an Schärfe übertroffen werden kann. Von Bedeutung ist hier sein schon erwähntes ‘Von deutscher Philosophie, Art und Kunst’, 1812 (13 Jahre nach Schleiermachers Reden). Von Fichte, dessen Philosophie die philosophische Problemstellung der Romantik so stark beeinflusst hat, nimmt Fries schon sofort Abschied: ‘der Satz: Ich bin nicht Ich, behauptet etwas absurdes’.Ga naar voetnoot2) Die ganze ‘Fichtisch-Schellingsche Schule’ richtet nur Verwirrung an.Ga naar voetnoot3) Schellings Naturphilosophie leidet an einem ‘ungeheuren’ vitium originis;Ga naar voetnoot4) er selbst leidet, wie Fries meint, an einer ‘alten Freude an Geheimnisskrämerey, an dem imponirenden einer geheimnissvoll klingenden Lehre’.Ga naar voetnoot5) Gegen Jacobi, dem er viel verdankt, der mit ihm gemeinsam Schelling kritisierte, der aber Kants Apriorismus mit Empirismus verbinden wollte, meldet Fries gerade in diesem Punkt seine Bedenken an und verteidigt ihm gegenüber ausdrücklich Kants Standpunkt; ohne Kant hängt nach seiner Meinung Jacobi mit allen seinen guten Tendenzen in der Luft.Ga naar voetnoot6) Und was Fr. Schlegel betrifft, gegen ihn wird der Vorwurf ‘willkührlich ersonnener Wortbestimmung’ (mit Bezug auf Vernunft und Verstand)Ga naar voetnoot7) erhoben. | |||||||||||||||||
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Diese und ähnliche Ausfälle gegen die Romantik sind nicht ohne Beziehung zu Fries' Verhältnis gegenüber einem ihrer Kernprobleme: dem Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen. Schelling z.B. hat nach Fries wohl das Recht zu lehren: ‘das Ewige ist das Endliche, das Freye ist das Natürliche’, aber man darf davon nicht den ganz anderen und unerlaubten Satz machen: ‘die Ewigkeit ist die Endlichkeit, die Naturnothwendigkeit ist die Freyheit.’ Denn der erste Satz beschäftigt sich mit den Gegenständen, die unter den Begriffen (Natur, Freiheit u.s.w.) stehen, und soweit ist der Satz berechtigt, denn ‘die Dinge, welche erscheinen, sind auch die Dinge an sich’. Was also erscheint unter den Gesetzen der Naturnotwendigkeit und so ‘gefunden’ wird, das steht ‘an sich’ auch unter der Idee der Freiheit. Der zweite Satz ist jedoch unerlaubt, denn er würde die Begriffe der Natur und der Freiheit zu ‘einerley Begriffen’ machen, was falsch ist. Fries' transzendentaler Idealismus verbietet also prinzipiell jegliche Paradoxie im Erkennen; auf paradoxe ‘Erscheinungen’ kann man keine ‘Lehre’ bauen; solche ‘Kinderey’ müsste man doch eigentlich nur der vorkritischen Philosophie überlassen. Wenn Schelling den brahmanischen Spruch, nach welchem Gott kleiner ist als ein Atom und unendlich grösser als das Weltall, nicht zur Andeutung der Unbegreiflichkeit eines religiösen Geheimnisses, sondern zur Aussage einer wahren höheren Erkenntnis dienen lässt, dann bringt er es eben dadurch zu nichts weiterem als zu dem ‘altklugen Geschwätz eines Kindes’.Ga naar voetnoot1) Mit höhnischen Worten wird Schellings ganze ‘Ja und Nein zugleich antwortende Lehre’ (!) über die Natur Gottes als ‘nicht seyender Grund der Existenz Gottes’ abgewiesen, gerade weil sie zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit eine Brücke schlagen zu können glaubt.Ga naar voetnoot2) Diese Opposition gegen Schelling kann nur aus einer | |||||||||||||||||
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völlig antithetischen Haltung gegenüber der ganzen Romantik erklärt werden. Denn diese hat von der Paradoxalität gelebt; als August Wilhelm Schlegel sie schliesslich davon erlösen wollte, sang sie in ihm auch ihr Schwanenlied und verzehrte mit sich selbst auch alle ihre Probleme. Wenn auch die Romantik, die ja wohl Kritik übte, aber weiter kein einziges Versprechen eingelöst hat, vielleicht keine ‘Ja und Nein zugleich antwortende Lehre’ gegeben haben mag, die ‘Ja und Nein zugleich’ behauptenden Aphorismen sind umso vielfältiger vorhanden. Man achte nur auf Friedrich Schlegel, den wir, als Propagator und Systematisator (de conatu!) der Romantik, als Beispiel wählen. F. Schlegel kann ohne Paradoxie nicht verstanden werden; Haym bezeichnet sie mit Recht als einen seiner Lieblingsbegriffe.Ga naar voetnoot1) Schleiermacher verehrt er wegen seiner Paradoxie, und zwar gerade deswegen, weil Schleiermachers Paradoxie nicht, wie meistens die von Schlegel selber, ‘mit der Thüre ins Haus fällt’, weil sie Fichtisch ist. Hier wird also für die Paradoxie bewusst eine philosophische Lehre über Unendlichkeit und Endlichkeit, das absolute und das relative Ich, für grundlegend gehalten;Ga naar voetnoot2) der eigene ‘Lieblingsbegriff’ bekommt eine philosophische Legitimation. Schellings Briefe über Kritizismus und Dogmatismus werden von Schlegel günstig beurteilt, gerade weil ‘diese Philosophie ganz im vollen Ernst recht paradox’ ist; ‘Paradoxie’ hält der Rezensent ‘für ein Zeichen der günstigsten Vorbedeutung’; ‘je kräftiger, je einseitiger, je philosophischer, je paradoxer’.Ga naar voetnoot3) Paradoxie wird sogar kirchebildend genannt: ‘giebt 's eine unsichtbare Kirche, so ist es die jener grossen Paradoxie, die von der Sittlichkeit unzertrennlich ist, und von der bloss philosophischen noch sehr unterschieden werden | |||||||||||||||||
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muss’.Ga naar voetnoot1) ‘Moralität ohne Sinn für Paradoxie ist gemein’.Ga naar voetnoot2) Die ‘Unverständlichkeit’ (man denke nur daran, wie Fries jegliche Unverständlichkeit gerügt hat) des Athenäums wird denn auch in Schutz genommen; sie kommt teils von der Ironie her, sagt Schlegel, und er begründet diese wohl ganz anders als Kierkegaard es später in seiner Doktorarbeit tun würde, aber er bringt sie doch schon in einen Zusammenhang mit dem Paradox: ‘Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was zugleich gut und gross ist’.Ga naar voetnoot3) ‘Ironie ist klares Bewusstsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos’.Ga naar voetnoot4) Die Paradoxie wird von vielen als ‘exzentrisch’ gescholten, aber Schlegel nimmt dieses Scheltwort auf und macht ein Ehrenprädikat daraus; denn die Paradoxie des philosophischen Lebens kann durch krumme Linien symbolisiert werden, die nur ‘im Bruchstück erscheinen können, weil ihr eines Centrum in der Unendlichkeit liegt’.Ga naar voetnoot5) Dass hier an anderes als an blosse Vernunftspielerei gedacht werden muss, erhellt wohl nicht nur aus einer Definition der Idee, nach welcher die Idee ‘ein bis zur Ironie vollendeter Begriff ist, eine absolute Synthese absoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende Wechsel zweier streitenden Gedanken’ (Athenäumfragmente, angef. bei Haym, 297), sondern auch aus Schlegels Besprechung des Satzes der Identität, des Satzes des Widerspruchs und des Satzes des (zureichenden) Grundes. Nicht nur mit Bezug auf die ‘Gottheit’ sind diese Sätze nach Schlegel unbrauchbar,Ga naar voetnoot6) sondern sie sind es auch nach dem ‘im gemeinen Leben gebräuchlichen Princip’, dass das Leben und überhaupt alles auf Wider- | |||||||||||||||||
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sprüchen beruht; zu diesem kommen dann noch ausserdem hinzu die beiden anderen Faktoren der ‘Gegensätze der Natur’ und der ‘Widersprüche der Wissenschaft’. Schlegel schlägt denn auch für die Logik andere Formeln vor, z.B. a = a.a - a Hiermit wird angedeutet, dass a aus zwei Gegensätzen besteht. Oder auch:d.h.: a steht in der Mitte zwischen seinem eigenen Maximum und Minimum, zwischen einem unendlich grossen und unendlich kleinen a (Schlegel versäumt hier zu fragen, ob diese Formel auf Gott anwendbar ist). Die erste Formel zeigt, sagt er, dass a aus zwei entgegengesetzten Elementen entstanden ist, die zweite, wie a stufenweise entwickelt ist. Dass hier weittragende Konsequenzen liegen für eine Theorie der Paradoxie, bedarf keines Beweises; Schlegel bemerkt schon selber, dass seine hier oben auf eine Formel gebrachten ‘Ansichten’, zusammen mit der dritten: (d.h. a auf einer gewissen Stufe seiner Progression) ‘blos im Dialog zugleich vereinigt werden können’.Ga naar voetnoot1) Die Paradoxie möge bei Schlegel nicht in einem tiefverwurzelten Grundgedanken ruhen, sie ist doch ein bleibendes Kennzeichen seines Denkens. Und es interessiert uns hier, dass bei Schlegel die Paradoxie sich mit einer gewissen Ahndungslehre verbindet. In diese Richtung zeigt schon das Aphorisma über die ‘Mysterien’; diese ‘sind weiblich; sie verhüllen sich gern, aber sie wollen doch gesehen und errathen seyn’.Ga naar voetnoot2) Oder auch die Reflexion über das Universum aus ‘Lucinde’: | |||||||||||||||||
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‘Das Universum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten’,.... ‘mit ewig unwandelbarer Symmetrie streben beide auf entgegengesetzten Wegen sich dem Unendlichen zu nähern und ihm zu entfliehen. Mit leisen, aber sichern Fortschritten erweitert das Unbestimmte seinen angebornen Wunsch aus der schünen Mitte der Endlichkeit in's Gränzenlose. Das vollendete Bestimmte hingegen wirft sich durch einen kühnen Sprung aus dem seligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen That und nimmt sich selbst verfeinernd immer zu an grossmüthiger Selbstbeschränkung und schöner Genügsamkeit’..... ‘Nun ist alles klar! Daher die Allgegenwart der namenlosen unbekannten Gottheit’.Ga naar voetnoot1) Dieser letzte Satz, der beinahe sofort an das Numinose von R. Otto erinnert, erhält noch grössere Perspektive durch den ‘Humor’, den Schlegel ‘in dieser Symmetrie des Bestimmten und des Unbestimmten’ findet; man denke hier wieder an die Ironie. Jedoch auch in direktem Sinn spricht Schlegel über die Ahndung. In dem Menschen als Bild Gottes liegen die Keime ‘zu aller Wahrheit und aller Tugend’; daher können ‘unvollkommene Ahndungen’ (z.B. bei den griechischen Philosophen mit Bezug auf christliche Gedankeninhalte) der späteren ‘Wirklichkeit’ vorhergehen; ‘wem Eines gegeben ist, der kann weiter fühlen, er ahndet wenigstens das Ganze’ und hat in diesem Ahnden, wie unbestimmt es auch sein möge, doch einen gewissen Schutz gegen die ‘Entstellungen, die den fast (!) überall sich findenden Spuren der Wahrheit beygemischt sind’.Ga naar voetnoot2) Deutlicher spricht sich Schlegel aus, wenn er die Ahndung oder, wie es heisst, ‘die das Unendliche ahnende Phantasie’ koordiniert mit der (führenden, ordnenden, schlichtenden) Vernunft und in diesen beiden die Harmonie des Bewusst- | |||||||||||||||||
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seins, das ‘in unauflösliche Gegensätze gespalten erscheint’, sich wieder ‘vollenden’ lässt.Ga naar voetnoot1) Diese (ahnende) Phantasie ist das ‘eigenthümliche Merkmal’ des Menschen; die Vernunft ist ein ‘bloss negatives Vermögen’.Ga naar voetnoot2) Demgemäss werden denn auch in die von Fr. Schlegel redigierte Zeitschrift ‘Europa’ H.v. Hastfers ‘Gespräche über Tiecks Poesie’ aufgenommen, in denen ‘das kindliche Gemüth’ ‘öfters’ gleichsam ‘ahnde(t), was das Ganze sagen will’, dafür keine Worte finden kann, sondern von dem ‘Poetischen’ ermahnt wird, sich an der inneren Stimme genügen zu lassen.Ga naar voetnoot3) Diese und ähnliche Aeusserungen von Fr. (und A.W.) Schlegel, sei es dass sie handeln von der Ahndung (des Göttlichen) in der Kunst (und der Religion)Ga naar voetnoot4) oder in der Naturwissenschaft,Ga naar voetnoot5) sei es dass sie in dem ‘Seufzen’ der ‘Creatur’ das ‘prophetisch Ahndungsvolle der Natur’ entdecken,Ga naar voetnoot6) sind schwerlich zu einer Einheit zu verbinden, ebensowenig wie Schlegels Aeusserungen über die Paradoxie, worüber wir jetzt nicht näher sprechen.Ga naar voetnoot7) Wenn man sie mit einem bestimmten Gedankensystem verbinden will, wie z.B. R. Haym es zu tun versucht,Ga naar voetnoot8) geht man | |||||||||||||||||
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leicht zu weit. Wir nannten diese zwei ‘Lieblingsbegriffe’ von Schlegel (Paradoxie, Ahndung) denn auch nur, um noch schärfer hervorzuheben, wie ein unüberwindlicher Abstand zwischen Fries und der Romantik liegt, ein Abstand, der durch A.W. Schlegels Tiraden gegen ‘Dichter’, die den transzendentalen Idealismus, für den Hemsterhuys ‘gleichsam’ als ‘ein Prophet’ gilt, zu ‘brauchen’ (!) wissen müssen, natürlich nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil erst recht und naiv in seiner Länge demonstriert wird.Ga naar voetnoot1) Man muss sich denn auch nicht dadurch in Verwirrung bringen lassen, dass Fries und seine Zeitgenossen zu gleicher Zeit über Ahndung sprechen. Fries steht diametral seinen Zeitgenossen mit ihrer Romantik gegenüber. Sie ‘dichten’ über die ‘Ahndung’, er will sie erkenntnistheoretisch begründen. Sie legen einen ‘Trieb’ dahinter,Ga naar voetnoot2) eine Sehnsucht (denn diese ‘ahnet’ Gott), er unterlegt ihr die ‘Vernunft’. Sie kommen mit ihr bei der Paradoxie zurecht, er entfernt sich immer weiter von aller Paradoxie. Bei Schlegel schlagen Ahndung und Paradoxie Verbindungsbrücken zu Jakob BöhmeGa naar voetnoot3) und zu seinen mit so grosser Vorliebe immer wieder besprochenen Indern und Buddhisten,Ga naar voetnoot4) Fries jedoch geht hochmütig an | |||||||||||||||||
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dem damals gerade aufkommenden Indismus vorbei. Obgleich Schlegels Offenbarungsbegriff schwebend genug ist, hält er doch fest sowohl an einer Geschichte der objektiven OffenbarungGa naar voetnoot1) als an einer Geschichte des Empfanges der Offenbarung,Ga naar voetnoot2) Fries jedoch lässt alles, was Offenbarung heisst, sich im menschlichen Geist vollziehen nach dem Geiste immanenten Gesetzen. Schlegel verbindet Glauben und Wissen,Ga naar voetnoot3) Fries macht eine Trennung zwischen beiden. Schlegel erschöpftGa naar voetnoot4) sich in Darlegungen über den Zwiespalt im menschlichen Bewusstsein, welchen Zwiespalt er, merkwürdig genug, einmal durch Ahndung-Vernunft,Ga naar voetnoot5) dann wieder durch die PhilosophieGa naar voetnoot6) überwinden will, Fries dagegen geht vom Selbsterkennen und Selbstvertrauen aus und baut darauf seine ganze Philosophie, Vernunftlehre und Ahndungslehre auf. Schlegel lebt von der ästhetischen ‘Kombination’, Fries kann zu ihr (und den ästhetischen Ideen) erst über die Negation gelangen. Schlegel spricht in einem Atem über das ‘prophetisch Ahndungsvolle der Natur’ und über die Unzulänglichkeit des Satzes, dass in der Natur Zweckmässigkeit sei,Ga naar voetnoot7) für Fries jedoch steht und fällt seine Ahndungslehre mit der Zweckmässigkeit der Natur. Schlegel, die Romantik, kommen via Ahndung und Paradox zum Mythos, zur Sehnsucht und ketten daran ‘Gefühl’ und ‘Ahndung’ fest, um so das sacrificium intellectus, das K. Müller mit Recht schon für der Hoch-Romantik immanent hält,Ga naar voetnoot8) zu erreichen, Fries dagegen befreit ‘Gefühl’ und ‘Ahndung’ von jeder Mythologie und aller Sehnsucht und geht an dem Paradox vorüber. Bei Schlegel heissen die ‘Geheimnisse’ ‘weiblich’ (vergl. oben), aber | |||||||||||||||||
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Fries kann das ‘ewig Weibliche’ nicht darin entdecken: sie wollen nicht erraten sein, sind auch keine ‘Arcana’, sondern unauflöslich. So wird die Romantik von zwei Seiten radikal bekämpft: die dialektische Theologie tut es von der These des Deus loquens aus, der Kantianer J.F. Fries von der des sich selbst erkennenden Menschen aus. Die erste treibt den paradoxen Teufel der Romantik durch Beelzebub, den Obersten der Teufel (das Paradox als Kategorie!), aus, der zweite lässt die Romantik mit ihren Paradoxen eines natürlichen Todes sterben, den sie in der Tat auch schnell erlitten hat, und hält sie von allen paradoxen Teufeln und Kategorien frei. 8. Diese Uebersicht von Fries' Gedanken und diese kurze ideengeschichtliche Bemerkung lassen uns also den Gedankenzyklus sehen, in dem, wenigstens nach der Meinung von Rudolf Otto selber, die tiefsten Wurzeln liegen seiner schliesslich bei dem Paradox endenden Auffassungen über Wesen und Objekt der Religion. So bestimmt wie nur irgend möglich erklärt er, dass die Religionsphilosophie einer Kantischen und zugleich Fries'schen Grundlage bedarf. Nach seiner Ansicht hat Fries ‘das von Kant begonnene Werk der Vernunftkritik hinsichtlich unseres Gegenstandes erst vollends durchgeführt’; in der Hauptsache ist die Fries'sche Konstruktion nach Otto eine ‘dauernde Basis religionswissenschaftlicher Arbeit’, obgleich Kritik notwendig sein wird.Ga naar voetnoot1) Wir werden versuchen zu sehen, inwiefern die Linie von Fries weiterläuft bis auf Otto und von diesem weitergezogen wird. | |||||||||||||||||
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§ 3. Ottos Weg vom antiparadoxen Fries zum ‘Paradox’.1. Fries hat das Vorwort zu seiner Ethik geschrieben 3 Jahrhunderte nach dem Tage, an dem Luther den Anstoss zu seinem Reformationswerke gab: am 31. Oktober 1817. Und indem er konsequent auf eigenen Wegen weiterging, hat er ausser Kant (in dessen bekannter Doxologie auf die Pflicht) auch Luther für seine Auffassung in Anspruch genommen; denn er schrieb als Motto über dieses Vorwort Luthers Ausspruch: ‘Was der Vernunft entgegen ist, ist gewiss, dass es Gott vielmehr entgegen ist’.Ga naar voetnoot1) Wiewohl Rudolf Otto sich nun an Fries anschliesst, so zitiert er dagegen doch die bekannten ‘heftigen Ausfälle Luthers gegen die “Hure Vernunft”’ und weigert sich, den Unverstand mitzumachen, der sie grotesk nennt.Ga naar voetnoot2) Das ist ein auffallender Gegensatz und es ist nicht der einzige. Denn er läuft parallel zu dem anderen, den wir bereits in der Ueberschrift andeuteten: obwohl Otto von Fries ausgeht, der, wie wir sahen, für das Paradox keinen Platz hat, weil seine antirationalistische Haltung niemals ‘irrationalistisch’ sein wollte in der späteren Bedeutung dieses Wortes, hat er doch dem Paradox freie Bahn gemacht. Man muss hier gewiss scharf achtgeben und anerkennen, | |||||||||||||||||
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dass das Wort ‘Paradox’ bei Otto nicht vorkommt sensu eminentiore, wie wir es bei Kierkegaard fanden. Aber man würde sich versehen, wenn man meinte, dass er nur ein Paradox in dem allgemein gebräuchlichen Sinn kennt. Wenn bei ihm das ‘Paradoxale’ mit dem ‘Unfasslichen’ (und also nicht mit dem noch nicht Erfassten), identifiziert wird, dann ist diese Interpretation schon über die Linie hinaus, innerhalb welcher Paradoxe des Typus I (vgl. oben) sich bewegen. Wenn dann im selben Zusammenhang das ‘Paradoxale’ genannt wird: ‘das dem “Vernünftigen” und vernünftigerweise zu Erwartenden sich Entgegensetzende’, dann könnte man vielleicht noch an die ‘Vernunft’ denken, wie sie bei einem bestimmten Subjekt oder der gegebenen Gemeinschaft von Subjekten jetzt, hic et nunc, zu Resultaten des Denkens gekommen ist. Aber dieser Meinung wird schnell widersprochen, denn es folgt unmittelbar darauf: ‘das, was der Vernunft wider den Strich geht und zuletzt in inneren Antinomien sich steigert’.Ga naar voetnoot1) Wir vergessen nicht, dass wir hier aus einer Stelle zitieren, in welcher Otto keine eigene Theorie entwickelt, sondern referiert über religiöse Gedankenreihen, die er anderswo gefunden zu haben glaubt, in diesem Fall im Buche Hiob und bei Luther. Wir vergessen ebensowenig, dass er an einer anderen Stelle, wo er die Entwicklung des Momentes des Numinosen bespricht, dafür drei Stufen zu sehen glaubt: a) die Stufe des Nur-Befremdlichen, b) die des Paradoxen, c) die des Antinomischen; hierbei steht das Paradoxe also in der Mitte zwischen dem ‘akatalêpton’ (Chrysostomus) (a) auf der einen, und dem ‘sich in sich selbst Entzweienden’ (c) auf der anderen Seite, und hierbei ist das Paradoxe (b) nicht mehr als das, was sich ‘gelegentlich’(!) zu unseren Kategorien in Gegensatz zu setzen scheint(!), sie aufzuheben und zu verwirren scheint(!), das, was ‘wider die Vernunft’ zu gehen scheint. Aber wenn man glauben möchte, dass damit also eigent- | |||||||||||||||||
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lich bewiesen wäre, a) dass Ottos eigene Auffassung hier absolut noch nicht zu Worte kommt und b) dass das Paradox in diesem Referieren nicht über unsren Typus I hinausgeht, dann müssen wir dieser Meinung widersprechen. Denn a) wird hier in der Tat referiert, aber der Referent wählt für die Beschreibung religionspsychologischer Erscheinungen eigene Worte, lässt also sehen, was er mit diesen Worten ausdrücken will, was sich darunter mehr oder weniger (denn die Mystik führt gewissermassen mit jedem Worte Krieg) zusammenfassen lässt. Ausserdem b) wird schon in dem soeben erwähnten Passus die für den Typ I angegebene Grenze überschritten. Denn die Kategorien, denen das Paradox hier zu widersprechen scheint, sind in dem und durch das ‘Ganz Andere’ als mirum erst ‘transzendiert’; hier sind wir schon ausserhalb der Grenzen des Typus I. Ausserdem sind die Kategorien durch das ‘Ganz Andere’ ‘ohnmächtig’ gemacht: ‘es überschreitet sie nicht nur, macht sie nicht nur ohnmächtig’, sondern hat auch in ‘dem Antinomischen’ seine ‘schärfste Form’; m.a.W. zwischen diesem Paradox als Mittelstufe und dem strikt Antinomischen ist kein prinzipieller Unterschied. Das Antinomische nun tut mehr, als die Vernunft ‘in Not setzen’ (das tut schon das Paradox des Typus I): es ist eine Selbstdarstellung des ‘mirum’, das ‘in sich selber entgegengesetzt bestimmt, in Gegensatz und Widerspruch’ ist.Ga naar voetnoot1) Uebrigens wird auch anderwärts ‘das ganz Paradoxe’ mit der coincidentia oppositorum koordiniert.Ga naar voetnoot2) So bekommt das Wort neben seiner gewöhnlichen BedeutungGa naar voetnoot3) doch auch wieder die ganz andere, die wir schon andeuteten; es gibt religiöse Figuren, bei denen Otto neben gewöhnlicher Paradoxie (mehr oder weniger nach Typus I) auch auftreten sieht jene ganz andere, zur Antinomie ‘sich steigernde’ Paradoxie, die den Satz des | |||||||||||||||||
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Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten ausschaltet und sich in der coincidentia oppositorum und in der Identität der Gegensätze wiedererkennen lässt. So z.B. bei Eckart.Ga naar voetnoot1) Soweit nun Otto die religionsgeschichtlichen Phaenomene, die er uns hier darstellt, selbst mehr oder weniger in eine religiöse Praxis, welche seinen eigenen religionsphilosophischen Gedanken entsprechen würde, einschalten könnte, käme der schüchterne Gedanke in der Form einer Frage hoch, ob die in Aussicht gestellte Kritik und Weiterarbeit an (Kant und) Fries bei Otto nicht zu einem Fries schliesslich entgegengesetzten Standpunkt geführt haben. 2. Um dies zu untersuchen, achten wir einmal auf die früheren und späteren Aussagen von Otto über die religiöse Ahn(d)ung. A. Wir beginnen mit Ottos ‘Naturalistische und religiöse Weltansicht’.Ga naar voetnoot2) In diesem Werke (1904) wird Fries schon mit Zustimmung erwähnt.Ga naar voetnoot3) Es führt auch dessen bekannte Ausdrücke ein: Ahnung, Gefühl, Zweckmässigkeit, Geheimnis, Glaube, Wissen, u.s.w. Es wird jedoch schon hier deutlich, dass Otto, wenn es darauf ankommt, diesen Ausdrücken einen Inhalt zu geben, eigentlich nur zu einem sehr geringen Teil Fries beipflichtet, in den meisten Punkten von ihm abweicht und in der entscheidenden Frage viel mehr mit Schleiermacher (und also der Romantik) verwandt ist als mit dem antiromantischen Fries. Um diese Auffassung zu begründen, weisen wir nur auf einige Punkte hin. a) Schon von der Definition, die von der Ahndung gegeben wird,Ga naar voetnoot4) kann schwerlich behauptet werden, dass sie aus Fries' Gedankengängen abzuleiten ist. Man wird darauf schon vorbereitet, wenn man Otto versichern hört, dass der Gegenstand seines Satzes über ‘Gefühl und Ahndung’ so | |||||||||||||||||
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‘zart’ ist; man erinnere sich, wie Fries seine ganze Denkkraft angewandt hat, um alle Empfindlichkeiten u.s.w. seiner Gefühls- und Ahndungslehre fernzuhalten. Aber deutlicher spricht schon die Tatsache, dass Otto bei ‘Gefühl’ und ‘Ahndung’ ‘Eindrücke’ in Frage stehen sieht und von diesen Eindrücken versichert, dass sie kommen aus einem inneren Erleben (die Frage, was er mit dem ‘Auffassen von Natur und Welt und Geschehen mit der Tiefe des Gemütes’ meint, bleibe jetzt unbeantwortet; gewiss ist, dass dies ‘Auffassen’ von dem ‘Erleben’ nicht mehr zu trennen sein wird). Erinnert man sich jedoch, wie heftig Fries jedem Einschleichen der ‘Empfindung’, der ‘Sinnlichkeit’ in die Gefühlslehre widersprochen hat (Jacobi durfte nicht einmal von dem Instinkt der Vernunft sprechen) und wie sehr er das Gefühl immer wieder als Akt des Erkenntnisvermögens aufgefasst hat, dann wird dies ‘Erleben’ in ‘Eindrücken’ deutlich als unfriesisch erkennbar. Achtet man darauf, dass Otto dann in demselben Zusammenhang unmittelbar eine Parallele zu Platos Anamnesis zieht (wobei dann wieder das ‘unmittelbare Erleben und Empfinden’ ohne oder wenigstens so gut wie ohne Begriffe das tertium comparationis bildet), dann erinnert man sich demgegenüber, wie nachdrücklich Fries die Verwandtschaft zwischen seinem ‘Glauben’ und der platonischen Schau abgewiesen hat. Wir zitieren jetzt nicht mehr, sondern verweisen auf die oben gegebenen Zitate. b) Auch in seiner näheren Ausarbeitung der in Frage stehenden Begriffe kehrt bei Otto das Moment des ‘Erlebens’ immer wieder. ‘Dass Wahrheit nur in der Entzückung gefunden werde’, ist freilich, auch nach Otto, eine ‘schwärmerische’ Behauptung, aber sie hat doch ein gewisses Recht, meint er, was Fries mit seinen wiederholten Ausfällen gegen die Schwärmer ablehnen würde. Frömmigkeit mit Otto einen ‘merus enthusiasmus’ zu nennen,Ga naar voetnoot1) das würde Fries nicht tun; ebenso wenig wie er ‘Andacht’ | |||||||||||||||||
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das ‘Erleben des Mysteriums’ würde nennen wollen,Ga naar voetnoot1) weil sie dann zu mysteria der Eingeweihten oder zu Arcana herabgesunken wären. Das bei Otto immer wiederkehrende Motiv von ‘angegriffen sein von dem.... Geheimnisvollen’, von ‘unmittelbar erleben’, ‘etwas(!) spüren’Ga naar voetnoot2) usw., ist etwas wesentlich anderes als das ‘unmittelbare Erkennen’ von Fries mit seiner Vernunftkritik. Bereits hier sind die am meisten getadelten Feinde von Fries, die Mystiker, auf dem besten Weg, die mit Vorliebe aufgesuchte Gesellschaft Ottos zu werden. c) Wenn dann im weiteren Verlauf bei Otto Geheimnis und Divination,Ga naar voetnoot3) Ahnungen und Stimmungen,Ga naar voetnoot4) Irrationales und Mystisches mit dem grossen Prophetismus Israels und JudasGa naar voetnoot5) zusammen in eine Linie gestellt werden, als wären sie miteinander verwandt, dann wird es offenbar, dass hier die Linie von Fries bestimmt verlassen ist. Fries geht in allem von der Einheit der Vernunft aus, Otto spricht, bereits hier, darüber, auf welche Weise ‘fromme und naturalistische Weltbetrachtung’ einander ‘wie es scheint notwendig verletzen’.Ga naar voetnoot6) Fries leitet Ahndung und Gefühl aus seiner Anthropologie ab, Otto will Ahndung und Gefühl den ‘besten Teil’ zur Erfassung der ‘Persönlichkeit’ ‘leisten’ lassen.Ga naar voetnoot7) Es ist wahr, dass in Fries' ‘Wissen, Glaube und Ahndung’ Stellen vorkommen, die, wenn man sie von den anderen Fries'schen Werken und aus den Grundgedanken dieses Werkchens selbst loslöst, hie und da (z.B. 237-240) auf Verwandtschaft zwischen Ottos obengenanntem Werk und Fries würden schliessen | |||||||||||||||||
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lassen können. Aber Fries kann nur im Licht seiner ganzen Theorie verstanden werden. d) Ganz deutlich ist jedoch die Verwandtschaft zwischen Otto und Schleiermacher, der übrigens in Ottos Werk wiederholt neben Fries beifällig genannt wird. Wenn Schleiermacher in der Religionsphilosophie nicht vom Wort, sondern vom ‘Ich’ ausgehen will, so ist das wohl eine Problemstellung, die mit Fries' anthropologischer Deduktion wenigstens dem Klang nach Aehnlichkeit aufzeigt, aber mehr ist es eigentlich nicht. Fries geht ja doch aus vom ‘Anthropos’, Schleiermacher vom allerindividuellsten Ich. Das ‘Ich’ bei Fries ist objektiviert, das Ich als Es; Schleiermacher dagegen geht vom Ich als ‘Ich’ aus. Fries stellt die Behauptung auf, dass ‘der wahre Glaube, das Vertrauen auf Gott in jedem Menschen auf die gleiche Weise gegründet ist’;Ga naar voetnoot1) Schleiermacher dagegen individualisiert und behauptet: ‘ein Individuum der Religion.... kann nicht anders zustande gebracht werden, als dadurch, dass irgend eine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür.... zum Zentralpunkt der ganzen Religion gemacht und alles darin auf sie bezogen wird’;Ga naar voetnoot2) daher kommt es auch, dass bei ihm der Geburtstag des geistigen Lebens eines Menschen eine Wundergeschichte zu erzählen gibt; eine Wundergeschichte,Ga naar voetnoot3) vor der Fries immer so bange ist.Ga naar voetnoot4) Es ist klar, dass Otto, der die Individualität ‘vornehmlich im Gemüte wurzeln’ lässt,Ga naar voetnoot5) der sie für allein | |||||||||||||||||
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durch Intuition und Erleben, nicht aber durch Reflexion erfassbar hält,Ga naar voetnoot1) und in ausgesprochener Individualität ein Moment vom ‘Mystischen’ entdeckt,Ga naar voetnoot2) hierin mehr Schleiermacher als Fries folgt; Fries hat das volle Selbstbewusstsein viel mehr abhängig sein lassen von der Bestimmung der Position des Individuums gegenüber der Gemeinschaft,Ga naar voetnoot3) wobei also die Reflexion auftritt. e) Wenn dann auch Otto über die ‘ahnungsvollen’ Empfindungen(!) spricht, ‘die lauteres Naturleben(!) in uns auslösen kann bis hinauf in langer Skala zur trunkenen Selbstvergessenheit’, usw.Ga naar voetnoot4) dann steht er nicht mehr auf der Linie von Fries, der es ablehnt, dass die Natur selbst ‘uns aus sich die Ahndung des Ewigen aufdringt’,Ga naar voetnoot5) sondern dann ist er zu Schleiermacher übergegangen, nach dem die Anschauung des Universums (der Angelpunkt seiner Rede über das Wesen der Religion!) von einem ‘Einfluss der Angeschauten auf den Anschauenden’ ausgeht, ja sogar ‘von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren’, und nach dem sich das Universum in seiner ungebrochenen Tätigkeit(!) uns jeden Augenblick offenbart.Ga naar voetnoot6) Man beachte den Unterschied: während bei Fries der Gebildetere(!) ‘sich selbst die Spuren des Ewigen in der Natur bildet’,Ga naar voetnoot7) lässt Schleiermacher in seinem berühmten Passus Gefühl und Anschauung ‘eins’ werden in diesem mysteriösen ‘Augenblick’ (!), worin ‘ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblick ihre Seele; .... sie ist in diesem Augenblick mein Leib’. Mehr als Eleusische Mysterien hat Schleiermacher hier, wie er selbst sagt, aufdecken müssen;Ga naar voetnoot8) aber das unbewegte Gesicht von Fries ist dann auch hier von ihm abge- | |||||||||||||||||
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wandt. Und in diesem Hauptpunkt wendet sich Otto von Fries zu Schleiermacher. Denn Fries weiss auch wohl von der ‘Eigenschaft unseres Geistes’, nach der ‘jede Selbsttätigkeit desselben eines anregenden Reizes bedarf, um sich äussern zu können’, aber er nennt diese ‘Abhängigkeit unsers Lebens von anregenden Reizen’: ‘Sinnlichkeit’;Ga naar voetnoot1) und wir hörten bereits, wie weit er Gefühl und Ahndung davon getrennt hat. f) So kommt es, dass, wenn Otto Frömmigkeit und fromme Weltansicht mit dem Enthusiasmus als der ‘Kunst (!) einer dauernden inneren Erhobenheit’ verbindet,Ga naar voetnoot2) dass dann diese Auffassung, vor allem in Verbindung mit dem, was uns bereits oben offenbar wurde, wohl auf Schleiermacher, diesen ‘Herrnhuter höherer Ordnung’, zurückgeht,Ga naar voetnoot3) aber nicht auf Fries, der den Enthusiasmus ausdrücklich und ‘vor allen Dingen’ von ‘derjenigen Gemüthstimmung, die unmittelbar die Religiosität ausmacht’, unterschieden haben will, der den Enthusiasmus ‘herbeygeführt’ werden lässt durch diese Gemütsstimmung und der ihn (den E.) in unmittelbare Verbindung mit dem guten Handeln, der Pflicht-erfüllung setzt.Ga naar voetnoot4) g) Wo der Enthusiasmus auftritt, zerfliessen alle Grenzen. Daher kommt es, dass Otto im qu. Buch, obwohl er festhält an der Forderung, die Dinge ‘rational und klar’ zu machen, doch in uns, ‘sofern wir fromm sind’ (!), eine ‘Abneigung’ gegen das ‘Wasserhelle’, das Rationale, findet; die Andacht erlebt ja doch das MysteriumGa naar voetnoot5). Dies ist schon wieder eine unfriesische ‘Abneigung’, denn wir hörten Fries gegen alle Unklarheit zeugen: die Unmittelbarkeit von begriffs- und beweisloser Erkenntnis wird bei ihm nie zur Liebe zum Irrationalen. Aber es ist wohl eine Schleiermachersche ‘Abneigung’. Fries' scharfe Unterscheidung zwischen logischen und ästhetischen Ideen, und | |||||||||||||||||
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vor allem seine ‘Funktion der Ideen’, muss daher bei Otto für die ‘Sphäre des innerlichen Erlebens und Wertens’ Platz machen.Ga naar voetnoot1) Und eben in diesem Punkt, wo das ‘Negieren’ und ‘Kombinieren’ des Fries'schen Systems Platz macht für ein ‘Erleben’ (dem ja im Rausch des Kusses des Universums alle Selbst-Abgrenzung gegen das Universum, und auch alle ‘Unterordnung unter Gesetze’ fremd ist), - in diesem Punkt wird Universum und Gott durcheinander gebracht, wird Natur und Schöpfer nicht länger mit Bewusstsein unterschieden und zerfliessen die Ideen von Gott, Freiheit, Ewigkeit usw. h) Dieses Verwischen der (logischen und ästhetischen) Ideen hat seine unausbleiblichen Folgen. Denn es wird die Ursache, dass das Mysterium, das Geheimnis, das Unaussprechliche, Unbestimmbare, das bei Fries in all seinen verschiedenen Gestalten auch jedesmal ein genau abgegrenztes Gebiet, einen eigenen ‘Ort’ (Provinz) hat, von Otto in Gefolgschaft Schleiermachers aus der Reihe jener bestimmter, von einander unterschiedener Gebiete herausgehoben wird und, ohne nähere gegenseitige Abgrenzung, in ein grosses allgemeines ‘Mysterium’ aufgenommen wird. Wenn Fries ja logische Ideen von ästhetischen, Negation von Kombination unterscheidet, dann hat das Mysterium jedesmal eine eigene Provinz, je nachdem eben das Absolute (Ewige, Freye etc.) oder wohl das Geheimnis in der Natur gemeint ist. Diese beiden ineinander aufzulösen, ihre ‘Stimmen’ ineinander übergehen zu lassen, das würde Fries' Gedankengang aufs Bestimmteste widersprechen. Und doch geschieht es bei Schleiermacher-Otto (Universum, Naturgeheimnis). Ausserdem hat das Verwischen der Unterscheidung zwischen logischen und ästhetischen Ideen noch eine andere Folge: die Phantasie, die künstlerische Dichtung, der (romantische) Traum bekommen nun Rechte, die bei Fries niemals Anerkennung finden würden. Die Negation von Fries ist | |||||||||||||||||
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keine Dichtung, die die vorhandenen ‘Schranken’ unklar werden lässt oder sich darüber hinwegsetzt; im Gegenteil, die Negation der logischen Ideen kann keinen Augenblick ohne das Bewusstsein der Schranken der endlichen Vernunft gedacht werden. Und die Kombination der ästhetischen Ideen ist kein Traum, sondern eine Unterordnung unter Gesetze. Traum, Dichtung bekommen bei Fries denn auch keinen Ehrenplatz. Man beachte nur, wie er die religiösen Ueberzeugungen ‘von dem heiligen Urgrund aller Dinge’ als ‘erste Glaubenswahrheit’ darstellt, ‘von der irgend eine andere nur abgeleitet werden kann’; während die religiösen Ueberzeugungen einen ‘unmittelbaren Bestandtheil unsrer Erkenntniss’ bilden, bestehen denn auch ‘Traum und Dichtung’ (ebenso wie der Irrtum!) ‘nur aus abgeleiteten, nicht der erkennenden Vernunft, sondern nur der Einbildung und dem denkenden Verstande gehörenden Vorstellungsarten.’Ga naar voetnoot1) Wer also je die ‘Berührung’ des religiösen Subjekts mit dem Geheimnis, auch in der Natur, auf solche Weise würde sakrosankt machen wollen, dass der Unterschied zwischen dem Vertrauen auf Gott (als Grundüberzeugung) einerseits und Traum und Dichtung andererseits vernachlässigt oder verwischt werden würde, der würde sich damit gegen Fries wenden. Und dies umso mehr, weil auf diesem Standpunkt das Handeln automatisch degradiert werden würde; es ist ja doch, sagt Fries, Religiosität ‘unmittelbar nur Sache des Gefühls, aber so hoch auch alle Ideale des Gefühls seyn mögen in Andacht und Liebe, so erhält doch jedes Gefühl seinen Werth noch von einem höhern, vom Handeln. Handlung ist der letzte Beziehungspunkt unsers Wesens. Nur so viel gilt der Mensch, als er gehandelt hat, und jedes Gefühl nur so viel, als es durch Handlung ins Leben eingreift’.Ga naar voetnoot2) Hier spricht (seiner Terminologie gemäss) Fries wohl von ‘Religiosität’, aber er gibt mehr, | |||||||||||||||||
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als er verspricht: das Thema von der Religiosität geht im Fordern der Handlung über in das von der Religion. Eigentlich macht es Schleiermacher - und hier ist der Unterschied wieder fühlbar - genau umgekehrt. Er verspricht, seine Reden würden ‘von der Religion’ handeln, aber er hält das Versprechen nicht: er spricht schliesslich nur über die Religiosität. Damit hängt seine Herabwürdigung des Handelns zusammen: Religion, sagt Schleiermacher, ist kein Wissen, kein Handeln, kein Kompositum aus diesen beiden; und wie er dieses Thema seiner zweiten Rede ausführt, wird wohl aus folgendem Passus offenbar: ‘Die Moral geht vom Bewusstsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion atmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist; jenseits das Spiel seiner besonderen Kräfte und seiner Personalität fasst sie den Menschen und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muss, was er ist, er wolle oder wolle nicht’; die Religion fällt ‘aus dem Gebiete (auch) der Praxis gänzlich heraus’; ‘Praxis ist Kunst, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche’.Ga naar voetnoot1) Dieser Begriff von der Religion als ‘natürliches Gegenstück’ (und dann Aequivalent) gegen Spekulation und Moral (Wissen und Tun)Ga naar voetnoot2) hängt natürlich mit der Auffassung zusammen, dass die Religion ‘ihr ganzes Leben’ in der Natur lebt, ‘aber in der unendlichen Natur des Ganzen, des Einen und Allen’,Ga naar voetnoot3) eine Auffassung, die sich ausdrücklich als spinozistisch bezeichnet.Ga naar voetnoot4) Es ist selbstverständlich, dass auf diesem Standpunkt Traum und Dichtung eine völlig andere Wertung bekommen, als es bei Fries der Fall ist; ‘alle Gefühle’ sind Religion, ‘bei denen das Universum der eine, und auf irgend eine Art Euer eignes Ich der andre von den Punkten ist, | |||||||||||||||||
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zwischen denen das Gemüt schwebt’.Ga naar voetnoot1) Der bei Fries verhasste Terminus ‘Instinkt’ wird denn auch hier in Schutz genommen: Religion heisst Instinkt fürs Universum, das ‘Schweben ins Unbestimmte’ hat seinen eigenen Wert als Komponente der Religion.Ga naar voetnoot2) Verfolgt man nun Ottos Gedankengang im obengenannten Buch, dann wird offenbar, dass er auch hier wieder zu Schleiermachers Linie übergegangen ist. Während Fries in seinem Anti-Mystizismus das ‘geheime Licht’ ‘nur in den ästhetischen Ideen der Schönheit und Erhabenheit der Natur’ leuchten liess und die ‘dichterische Begeisterung’ nicht für imstande hielt diese Ideen anzuwenden,Ga naar voetnoot3) kommt Otto dazu, mit Schleiermacher aller didaktischen Prosa (der Fries sein Leben gab) sogleich ein Armutszeugnis auszustellen, wenn es nämlich darum geht, den ‘zarten Stoff’ der Ahndung zu besprechen.Ga naar voetnoot4) Die Erklärung für Ottos Abbiegen von der Fries'schen Linie in diesem Punkt ist leicht zu finden und führt uns zugleich zu einem weiteren Unterscheidungspunkt. Fries verlangt, wie wir bereits hörten, ausdrücklich Aufmerksamkeit für den grossen Abstand, der da liegt zwischen der These, dass die Dinge in der Natur einander widerstreiten, und der anderen, dass sie einander widersprechen; er braucht diese Bemerkung um seinen Ideen ihren Platz anzuweisen.Ga naar voetnoot5) Otto jedoch, selbst Denker und Dichter, übergeht in dem betreffenden Buch die eigentliche Ideenlehre und lässt die Ahndung, (die bei Fries die Schönheit und Erhabenheit der Natur in Ideen erkennen lässt) auch aus dem ‘Dämonisch-Rätselhaften’, dem Verwirrend-Dunklen des Schaffens der Natur ihre Eindrücke empfangen.Ga naar voetnoot6) Der Unterschied zwischen Widerstreit und Widerspruch ist hier ausser Acht gelassen. | |||||||||||||||||
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So dehnt Otto die Domäne des Geheimnisses auf Geschichte, Gemüt, Natur aus,Ga naar voetnoot1) nähert sich damit Schleiermachers Universums-Begriff (das Universum bedeutet bei SchleiermacherGa naar voetnoot2) in der Religion mehr als Gott) und zeigt, dass sein Naturbegriff und in Verbindung damit (die Geschichte!) seine Vorstellung vom Verhältnis zwischen Endlich und Unendlich, an Fichte-Plato anknüpfen will.Ga naar voetnoot3) Das heisst also: in dem für die Ahndungslehre kritischen Punkt verlässt er den anthropologisch-erkenntniskritischen Weg von Fries und sucht eine Synthese zwischen diesem und der Metaphysik Fichtes. ‘Es geht uns wie Fichte: wir reden von dem Willen, der sich selber unbewusst sich ausgiesst als bewusst- und leblose Natur’.Ga naar voetnoot4) Diese Fichtesche Anschauung gibt auch, sagt Otto, den Leitfaden in die Hand, wenn die ‘fromme Weltansicht zu Speculation übergehen will’;Ga naar voetnoot5) m.a.W.: es zeigt sich nachträglich, dass das ‘Geheimnis in der Natur’ aus Fichte aufgebaut wurde. Hier steht Otto mit dem Rücken Fries und mit dem Gesicht der Romantik zugewendet, die auch von Fichte so stark beeinflusst wurde, eben im Aufstellen der Beziehung Endlich-Unendlich. Das Tor der Romantik geht hier auf und es wird offenbar, dass Otto schon hinter ihm gestanden hat, auch als er den Namen von Fries mit dem von Schleiermacher in einem Buch verband. Nun ist auch verständlich, warum bei Otto die Welt ‘durchwaltet ist vom Hauche der Gottheit’; jedem der Israels Propheten bei ihrem eigenen Licht zu erklären pflegt, erscheint jetzt die von Otto hier gezogene Parallele zwischen dem Logos des ewigen Zeus und dem Geist Jahwes, die ja nach ihm beide die Welt mit demselben Geheimnis füllen, unlegitimierbar.Ga naar voetnoot6) Wenn nun Otto die | |||||||||||||||||
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Frömmigkeit ‘wissen’ lässt, ja noch sogar ‘zuvor’ wissen lässt, dass (nach Fichte) Gott über der nach Selbstverwirklichung dringenden Kreatur steht,Ga naar voetnoot1) oder wenn Otto die Phantasie ‘für’ uns ‘die Welt’ ‘erschaffen’ lässt,Ga naar voetnoot2) oder die Natur mit Aristoteles δαιμόνια ἀλλ᾽ οὐ ϑεῖα nennt,Ga naar voetnoot3) dann wird aus dieser Bestrebung, Fries mit den Grossfürsten der Romantik zu versöhnen, verständlich, wie dasselbe Buch, das begann mit der Behauptung, dass die Weltansichten der Frömmigkeit ‘nicht Gedichte, sondern Ueberzeugungen sind’,Ga naar voetnoot4) geendet hat mit der Erklärung, ‘fromme Weltansicht’ in der Linie von Plato-Fichte wolle doch nicht eine Weltdeutung preisgeben, wovon nachdrücklich würde gesagt werden müssen, dass sie ‘Gedicht, nicht Erkenntnis’ sei.Ga naar voetnoot5) Dann ist zugleich verständlich, wie zwar das Thema der Ahndung Otto sowohl auf Fries, als auf Schleiermacher hören lässt (man weiss, dass diese beiden Denker ungefähr gleichzeitig die Welt damit überraschten), wie aber trotzdem Otto in der Ausarbeitung davon zwischen Fries und dem Romantiker Schleiermacher hat wählen müssen. Denn Schleiermacher hat das Thema der Ahndung bereits bei den Romantikern angetroffen, aber es so ausgearbeitet, dass seine Gedanken in diesem Punkt nicht, wie es Wobbermin will,Ga naar voetnoot6) in der Fries'schen Ahndungslehre ihre Weiterführung finden konnten. Lieber unterschreiben wir denn auch die Ansicht von Bousset,Ga naar voetnoot7) dass Otto in dem hier besprochenen Buch z.T. andere Wege gegangen sei, als die der reinen Kant-Fries'schen Religionsphilosophie. Und ebenfalls ziehen wir mit Bousset zwischen | |||||||||||||||||
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Fries und Schleiermacher eine deutliche Trennungslinie;Ga naar voetnoot1) die sog. ‘psychologische Orientierung’ von Fries kann ihn nicht, wie man behauptet hat,Ga naar voetnoot2) mit Schleiermacher verbinden, denn Fries will Vernunftkritiker sein, allem Psychologismus abgeneigt. i) Aus all dem Gesagten ist schliesslich klar, dass Otto im genannten Buch den Glauben wohl wider den Schein nennt, dass aber diese Auffassung, die wir auch bereits bei einigen Dialektikern verkündigen hörten (um die Parodoxie des Glaubens damit zu betonen), von Otto unterstützt wird mit Argumenten, die keineswegs Fries entnommen sind; sie wird nämlich begründetGa naar voetnoot3) aus dem Unzugänglichsein vieler Glaubensinhalte für die ratio; aber wir sahen, dass bei Fries dies noch nicht zum Irrationalismus in seiner bekannten Prägung führt. - B. Jetzt ist Ottos Buch bemerkenswert: Kant-Fries'sche Religionsphilosophie (1909). Hier erklärt Otto, dass er das religionsphilosophische ‘Unternehmen’ von Fries ‘zu seinem eigenen macht’.Ga naar voetnoot4) Bousset sieht in dem Werk ein ‘Programm’.Ga naar voetnoot5) In diesem Buch wird vieles, was in dem erst besprochenen Werk (das wir absichtlich in seiner ersten Auflage zitierten) noch unklar schien, klar. Und viele notwendige Unterscheidungen, die dort noch fehlen, werden jetzt gemacht. Besonders fällt uns auf, dass der Unterschied zwischen Fries und Schleiermacher in einigen wesentlichen Punkten angegeben und herausgestellt wird.Ga naar voetnoot6) Die Frage ist also nun die, ob Otto sich in seinen weiteren Darlegungen in den Punkten, die uns besonders | |||||||||||||||||
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interessieren, für Fries und gegen Schleiermacher entscheidet, sooft nämlich zwischen den beiden ein Unterschied vorhanden ist, was uns bereits der Fall zu sein schien. Der Verfasser hat ja den Standpunkt von Fries als den seinen erklärt (als Kant-Friesisch), und das im ersten Buch über Schleiermachers Vorzug vor Fries Gesagte zu Fries' Gunsten jetzt ausdrücklich zurückgenommen (S. 1). a) Von grundlegender Bedeutung wird hier die Frage, ob Otto die richtige Auslegung von Fries gibt, namentlich von dessen ‘anthropologischer’ Grundlage in der Vernunftkritik. Diese Frage ist deshalb von solcher Bedeutung, weil die Antwort auf die Frage, ob Fries Psychologist ist oder nicht, direkt Einfluss haben dürfte auf die Entscheidung, ob man bestimmte religions-philosophische (-psychologische) Auffassungen als Friesisch angeben kann, oder nicht. Uebrigens führen wir diesen in Frage stehenden Punkt auch deswegen an, weil er in den Diskussionen um Fries und den Neufriesianismus eine aktuelle Streitfrage ist. b) Zwei Auffassungen stehen hier einander genau gegenüber. Es gibt solche, die Fries für einen Psychologisten halten, und andere, die es aufs bestimmteste in Abrede stellen. Zu der ersten Gruppe gehören, z.B. H. Cohen, der Fries tadelt, dass er keinen Begriff von der kritischen Methode habe, Windelband, der direkt von dem Fries'schen Psychologismus spricht, Max Scheler, welcher glaubt, dass von Fries eine psychogenetische Methode auf Kants Aprioritätslehre angewandt wird, G.C. Berkouwer, Rud. Stammler, nach dem Fries die systematische Frage mit der genetischen vermengt, und andere.Ga naar voetnoot1) In der zweiten Gruppe treten besonders A. Kastil, Leonard Nelson und Th. Elsenhans hervor. Nelson sucht | |||||||||||||||||
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zu beweisen, dass Fries keinesfalls eine psychogenetische Methode gewollt oder angewandt habe, sondern im Gegenteil ihr erklärter Feind sei.Ga naar voetnoot1) Und obwohl Elsenhans die Fries'sche Vernunftkritik (wegen ihrer anthropologischen Wendung) in ein Verhältnis zu Kants Vernunftkritik bringt, das parallel läuft mit der Beziehung zwischen Psychologismus und Neukantianismus in der heutigen Philosophie,Ga naar voetnoot2) legt er trotzdem den Nachdruck darauf, dass die Fries'sche ‘philosophische Anthropologie’ nicht identisch ist mit der gewöhnlich sogenannten empirischen PsychologieGa naar voetnoot3) und beruft sich dabei auf einen der vielen Fälle, wo Fries die Begründung seines ‘Wahrheitsgefühls’ nach Art der englischen Empiristen nachdrücklich ablehnt.Ga naar voetnoot4) Es würde zu weit führen länger auf diese Streitfrage einzugehen; wir lassen es deshalb genug sein mit der Feststellung, dass unseres Erachtens von Nelson (und Elsenhans) genügend deutliche Zitate von Fries selbst gegeben sind um darzulegen, dass er mit seiner anthropologischen Methode doch keinen strikten Psychologismus gemeint hat. Auch abgesehen davon ist es klar, dass Kuno Fischer unrechtermassen die Fries'sche Vernunftkritik ‘blos psychologisch und darum lediglich empirisch’ genannt hat und sie darum auch zu Unrecht Kants Vernunftkritik gegenübergestellt hat, mit der Bemerkung, dass Kant (im Gegensatz zu Fries) sehr wohl gewusst hat, weshalb er seine Kritik nicht als Psychologie gelten liess.Ga naar voetnoot5) Dies ist ein unsauberer Gegensatz. Es ist wahr, dass Fries selbst | |||||||||||||||||
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von Kant behauptet hat, dieser habe die Anthropologie für unmöglich gehalten;Ga naar voetnoot1) eine Bemerkung, durch die Fries selbst den von Kuno Fischer aufgestellten Gegensatz zu begünstigen scheint,Ga naar voetnoot2) ebenso wie durch termini wie ‘innere Selbsterkenntnis’, ‘innere Erfahrung’, ‘innere Experimentalphysik’ u.s.w.Ga naar voetnoot3) Aber man vergesse nicht, a) dass Kants Erkenntnistheorie selbst ‘z.T. psychologisierend, z.T. transzendental-logisch’ ist;Ga naar voetnoot4) b) dass Fries, wenn er spricht über eine ‘Naturlehre des menschlichen Gemüthes’, als ein ‘Analogon dessen, für die innere geistige Natur, was wir jetzt für die äussere Physik Naturphilosophie nennen’, oder als ‘theoretische innere Naturlehre’,Ga naar voetnoot5) dass Fries dann Ausdrücke gebraucht, die dem wesensgleich sind, was Kant ‘das Pendant zur empirischen Naturlehre’, ‘die Parallele zur empirischen Physik’ nennt, und dass Kant überzeugt war, dass hier mit den transzendentalen Prinzipien Verbindung gesucht werden müsse;Ga naar voetnoot6) c) dass Fries die psychogenetische Methode nachdrücklich zurückweist,Ga naar voetnoot7) ebenso wie er auch die zeitliche und nativistische Auffassung des a priori ablehnt.Ga naar voetnoot8) c) Mit Rücksicht auf diese soeben erwähnte Streitfrage wird es nun umso verhängnisvoller, dass Otto in diesem neuen Buch erklärt, Fries sei ‘mit Schleiermacher einig | |||||||||||||||||
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in der Wertung des Gefühls für die Religion’ und auch ‘seine eigene Lehre von der “Ahndung” berühre sich eng mit Schleiermachers “Anschauung und Gefühl des Universums”’. ‘Zwei sonst sehr entgegengesetzte Denker’ - so stellt Otto fest - ‘kommen sich hier an diesem Punkte nahe’.Ga naar voetnoot1) Wohl wird unmittelbar anschliessend hinzugefügt, dass der Ausgangspunkt beider wesentlich verschieden ist, aber damit bleibt doch der Eindruck bestehen, als ob dem Inhalt nach in diesem Punkt eine Verwandtschaft zwischen den beiden Denkern zu konstatieren sei. Nur in zwei Punkten stellt Otto inhaltlichen Unterschied zwischen Schleiermacher und Fries fest: 1. dass bei Schleiermacher religiöses Gefühl und Ueberzeugung nicht mit einander verbunden werden, bei Fries das aber wohl geschieht; 2. dass wohl Fries, nicht aber Schleiermacher, zwischen Religion und Moral eine Verbindung herstellt.Ga naar voetnoot2) Nun wird - wiederum mit Rücksicht auf die oben besprochene Streitfrage - jeder zugeben müssen, dass eine konsequente Durchführung des erstgenannten Unterschieds zwischen Fries und Schleiermacher (der den Ueberzeugungscharakter des Gefühls betrifft) uns tatsächlich die Augen für eine prinzipielle Kluft zwischen den beiden öffnet, eine Kluft, die umso tiefer klafft, je bestimmter Fries behauptet, dass das Gefühl irrtumsfrei sei und dass erst in der vermittelnden Reflexion Irrtum auftreten könne. Wenn jedoch Otto diesen prinzipiellen Unterschied, diese Kluft zwischen Fries und Schleiermacher, an soeben angeführter Stelle verkleinert und glaubt, deshalb weiterhin von einer gegenseitigen Annäherung dieser beiden Denker sprechen zu können, so ist darin bereits einbegriffen, dass bei dieser Fries-Deutung wohl manche erkenntnistheoretisch-anthropologischen Konstruktionen von Fries in Schleiermacher'schem Sinn umgedeutet werden und dass im Verlauf des Buches unwillkürlich von einer Fries-Deutung ausgegangen wird, die | |||||||||||||||||
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mehr Psychologismus bei ihm annimmt, als Otto selbst beim Aufzeigen der gänzlich verschiedenen ‘Quellen’ beider Denker tatsächlich als wissenschaftlich haltbar festgestellt hat. Mit anderen Worten: diese Abgrenzung von Fries gegen Schleiermacher bahnt den Weg dazu, dass auch in diesem zweiten Buch Ottos, ebenso wie im ersten bereits besprochenen, viele Konstruktionen Schleiermacher'schen Inhalt bekommen, wenn sie auch Fries'sche Terminologie behalten. d) In bestimmten Punkten ist dies auch tatsächlich der Fall. Wir nennen einige. e) Das ‘Wahrheitsgefühl’ ist bei Fries ‘die Denkkraft als Urtheilskraft in ihrer unmittelbaren Thätigkeit, in welcher sie.... eine der Vernunft eigene Wahrheit unmittelbar für sich zum Bewusstsein bringt’; ‘die Quelle des Bewusstseins für alle höheren Wahrheiten in unsrem Geiste’.Ga naar voetnoot1) Bei Otto heisst es: ‘Im Wahrheitsgefühl besitzen wir und machen sich geltend dunkle Erkenntnisse’;Ga naar voetnoot2) er macht einen ‘Zustand’ davon, ‘in dem sich die unmittelbare Erkenntnis auch vor ihrer Aufklärung aus ihrem ursprünglichen Dunkel wirksam erweist’.Ga naar voetnoot3) Und was das Gefühl im allgemeinen betrifft: nach Fries ist Gefühl ein Vermögen zur unmittelbaren Beurteilung, wie wir gesehen haben; Otto hingegen schreibt, das Gefühl ‘heisst: unausgewickelte Begriffe’, obwohl er auch schreibt, Gefühl sei Urteilen, und Urteilskraft.Ga naar voetnoot4) Es ist klar, dass hier in die Definition von Fries ein Element hineingetragen worden ist, durch das der Akzent vom Formellen auf das Stoffliche, inhaltlich Reelle verlegt wird. Eine Folge davon ist dann wieder, dass die ‘Vernunftkritik’ von Fries von Otto in diesem Sinn ‘ausgelegt’ wird, dass die Vernunft als ‘reizbare Spontaneität’ ‘ganz den Bedingungen des Sinnes unterliegt’,Ga naar voetnoot5) obwohl Fries | |||||||||||||||||
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selbst Gefühl und Sinn ausdrücklich von einander scheidet.Ga naar voetnoot1) Es findet hier also eine Verschiebung statt nach der Schleiermacher'schen Gefühlstheorie und nach der psychogenetischen Auffassung des Gefühls; und die Otto'sche Anamnesistheorie hat ihre Vorbereitung gefunden. f) Die platonische Anamnesis tritt bei Otto auch hier wieder auf.Ga naar voetnoot2) Wir sahen bereits, dass dies eine Abweichung von Fries und ein Uebergehen zu Schleiermacher ist. Wie tief diese Anamnesistheorie eingreift, beweist wohl ihre Anwendung auf religionsphilosophischem Gebiet. Als Glied der Gemeinschaft des höchsten Gutes, als Bürger der ewigen Welt Gottes, muss der menschliche Geist ‘wo ihm in der Natur etwas von dieser höchsten unbegriffenen Zweckmässigkeit begegnet, dieses “Wiedererkennen” durch eine Einstimmung nach ihm selber unbegreiflichen Prinzipien, durch Gefühle eines eigenartigen Wohlgefallens aufsteigen’, sagt Otto.Ga naar voetnoot3) Hier ist Fries' emphatisch vorgetragene Unterscheidung von logischen und ästhetischen Ideen auf einem Hauptpunkt aufgegeben und ist wieder die Schwenkung nach Schleiermacher ausgeführt, auch in der Ahndungslehre.Ga naar voetnoot4) In Verbindung damit steht dann auch die immer wiederkehrende Betonung des Begriffs ‘erleben’. g) Wenn denn auch schliesslich die Ahndung ‘platonische Anamnesis der Idee im wahrsten Sinne’ genannt wird,Ga naar voetnoot5) so ist damit die Linie von Fries doch wohl gänzlich verlassen.Ga naar voetnoot6) h) Hat einmal die Anamnesis-Theorie, neben der gezeigten Umformung des Gefühls, der Religionsphilosophie Ottos ihren Stempel aufgedrückt, dann liegt eine Konse- | |||||||||||||||||
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quenz für das religiöse a priori auf der Hand: auch dieses wird dann in unfries'schem Sinne gedeutet. Es ist wahr, dass Otto in dem hier besprochenen Werk den Terminus ‘das religiöse a priori’ ‘nicht sehr glücklich’ nenntGa naar voetnoot1) und dass er eigentlich noch wenig darüber spricht. Doch kann man bereits sehen, in welche Richtung seine Entwicklung geht. Ottos Begriff vom a priori hat sich vom Kant'schen bereits losgelöst, wenn er sagt, dass die Kategorien als reine Begriffe a priori ‘Erkenntnisse’ seien.Ga naar voetnoot2) Kant dagegen legt in der Elementarlehre den Nachdruck darauf, (§ 21) dass die Kategorien ‘nur Regeln’ sind ‘für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, .... der also für sich gar nichts erkennt, sondern nur den Stoff zum Erkenntnis, die Anschauung.... verbindet und ordnet’; die Kategorie (§ 22) ‘hat keinen andern Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung’.Ga naar voetnoot3) Und in den Prolegomena heissen die Kategorien ‘vor sich selbst nichts als logische Funktionen’, die ‘als solche.... nicht den mindesten Begriff von einem Objekte an sich selbst ausmachen, sondern es bedürfen, dass sinnliche Anschauung zum Grunde liege und alsdenn nur dazu dienen, empirische Urteile.... zu bestimmen, ihnen.... Allgemeingültigkeit zu verschaffen, und.... Erfahrungsurteile überhaupt möglich zu machen’.Ga naar voetnoot4) Sind einmal von Otto die Kategorien in ‘Erkenntnisse’ umgedeutet, dann steht der Weg für ein weiteres Abweichen von der Kant'schen Linie offen, auch in Bezug auf | |||||||||||||||||
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die Erkenntnis a priori. Bei Kant wird als ‘die veränderte Methode der Denkungsart’ (die ‘kopernikanische Wendung’) angenommen, ‘dass wir.... von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen’.Ga naar voetnoot1) Otto jedoch greift Kants Theorie von der Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe auf, um der Konsequenz dieses Kantischen ‘Hineinlegens’ zu entgehen und um seine Konstruktion von den ‘dunklen Erkenntnissen’ (die in uns ‘ruhen’ und sich beim Aufwachen der Erfahrung zu Urteilen ‘regen’) philosophisch zu legitimieren. Um hiezu zu kommen, weist Otto darauf hin,Ga naar voetnoot2) dass Kant die Kategorien, (die dann bei Otto vorher schon in Erkenntnisse umgedeutet sind) schematisiert. Er bezieht sich auf das Teil der Elementarlehre, worin Kant nach einer ‘vermittelnden Vorstellung’ sucht (einerseits intellektuell, andrerseits sinnlich), die als ‘ein Drittes’ auftreten kann, ‘was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muss und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht’.Ga naar voetnoot3) Man wird geneigt sein zu sagen, dass Otto mit diesem Passus überhaupt nichts anfangen könne, solange er fortfährt, die Kategorien in Erkenntnisse umzudeuten; in diesem Passus treten ja doch die Kategorien nur in Kant'schem Sinne auf. Aber Otto hält an seiner eigenen Definition der Kategorie fest, gibt der ‘kategorialen Erkenntnis’ diesen (unkantischen) Inhalt, dass ‘das Subjekt des Seins “Substanz mit Akzidenzen” ist’Ga naar voetnoot4) und behauptet dann, die ‘Verengung’ (Restriktion) der Kategorie ‘bei ihrer Projektion auf die Zeitreihe’ sei der Grund dafür, dass ein ‘ihr selber ganz fremdes Moment’ ‘hineinkommt’; nach seiner Ansicht ‘liegt nichts davon’ (d.h. nichts von dem Schematismus der Kategorie) ‘in der Kategorie selber’.Ga naar voetnoot5) Darauf gründet | |||||||||||||||||
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Otto dann wieder die These: ‘Naturgesetzlichkeit gründet nicht in der Kategorie, sondern in der schematisierten Kategorie’Ga naar voetnoot1), und hat so den Weg gebahnt für seine ‘ruhende’ unmittelbare Erkenntnis, die sich ‘auch vor ihrer Aufklärung aus ihrem ursprünglichen Dunkel wirksam erweist’.Ga naar voetnoot2) Kategorie wird also Erkenntnis, etwas ‘Fremdes’ tritt in ihr auf, wirkt auf sie ein und so kann diese Subjekt-Objekt-Polarität, vor allem wenn man sie in Verbindung mit der Vernunft als reizbarer Spontaneität sieht, auf eine Theorie der unmittelbaren Erkenntnis a priori hinauslaufen, die in der Natur das mirum entdeckt, vom Numinosen angegriffen wird, und so im Gefühl durch Ideen via Ahnung usw. zum Erleben kommt. Wenn nun auch diese unmittelbare Erkenntnis von den angeborenen Ideen unterschieden wird, (weil diese Zwangsgedanken sind und deswegen gerade nicht Erkenntnisse heissen können), und wenn auch dieses Erleben noch nicht buddhistisch aufgefasst wird,Ga naar voetnoot3) so ist doch damit nichts an der Tatsache geändert, dass diese Ausführungen von Otto weder den Kant'schen noch den Fries'schen entsprechen. Was Kant betrifft: man kann sich nicht auf ihn berufen zu Gunsten der These, dass bei der Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) ein der Kategorie selbst fremdes Moment hineinkomme. Denn 1. sind die Kategorien ja, nach Kant, ohne die Schemata ‘nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor’.Ga naar voetnoot4) Vom Standpunkt Ottos aus, demzufolge die Kategorien Erkenntnisse sind, kann man annehmen, dass bei der ‘Realisierung’ der Kategorien etwas ihnen Fremdes in sie hineingetragen wird im gleichen Moment, in dem sie ‘restringiert’ werden. Aber wenn die Kategorien ohne Schemata nur Funktionen sind, und überdies die Sinnlichkeit den Verstand realisiert, indem sie ihn | |||||||||||||||||
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zugleich restringiert,Ga naar voetnoot1) dann kann das eine nicht ohne das andere sein, und dann ist es sinn-los, hier von einem ihnen fremden Moment zu sprechen. In Uebereinstimmung damit sagt Kant denn auch, dass ‘das Schema eigentlich nur das Phaenomenon oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes in Uebereinstimmung mit der Kategorie’ sei.Ga naar voetnoot2) 2. Ausserdem hält Kant ja wieder an seiner eigenen Linie fest, wenn er behauptet, das Schema der Verstandesbegriffe vermittle die Subsumtion der Erscheinungen unter die Kategorie,Ga naar voetnoot3) sei an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft (einem Begriff sein Bild zu verschaffen),Ga naar voetnoot4) der Schematismus unseres Verstandes sei eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, und das Schema sinnlicher Begriffe sei ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori.Ga naar voetnoot5) Und was Fries betrifft: Bornhausen urteilt zu rasch, wenn er Ottos ‘psychologisches a priori’ ohne weiteres Fries zuschreibt und dann aus diesem Grunde dessen Neue Kritik ‘eine Zerstörung des ganzen rationalen Vernunftbaus’ nennt.Ga naar voetnoot6) Denn die Psychologisierung des (religiösen) a priori scheint uns mit den Fries'schen Ideen unvereinbar zu sein. Fries kennt zwar ‘Erkenntniss a priori’, welche ‘alle Prinzipien der Einheit in unsrer Erkenntniss enthält.’Ga naar voetnoot7) Aber er will seine Theorie ‘durch die Behauptung der Leerheit des Grundbewusstseins der Vernunft bezeichnen’; und der Lehre der angeborenen Ideen stellt er diese Be- | |||||||||||||||||
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hauptung gegenüber: ‘die blosse Vernunft giebt nur die Form an das sinnlich angeregte Bewusstsein’Ga naar voetnoot1), ‘da doch der Vernunft unabhängig vom Sinn kein Gehalt, sondern nur die Form gehört’.Ga naar voetnoot2) ‘Die Erkenntnisse a priori.... sind für sich immer nur formale Apperceptionen, welche weder im kleinen noch im grossen je ein Ganzes der Erkenntniss ausmachen’Ga naar voetnoot3). Das ‘Bewusstsein meines Daseins ist.... das einzige unmittelbare Material, was wir in unsrer Erkenntniss haben, jedes andere wird erst durch den Sinn gegeben’.Ga naar voetnoot4) Hiemit ist die These von einer ruhenden, inhaltlichen, unmittelbaren Erkenntnis bereits abgewiesen; selbst die Kopula in A = A darf Schelling nicht - so urteilt Fries - von der formalen Apperception entlehnen, denn dann ‘verkennt’ er damit ‘ihre ursprüngliche Leerheit’.Ga naar voetnoot5) Es scheint uns keine andere Schlussfolgerung möglich, als die, dass Otto mit seinem religiösen a priori, soweit es in seinem Buch über Kant-Fries bereits vorbereitet ist, eigene Wege eingeschlagen hat, die, wenn sie auch nicht von Schleiermacher entlehnt sind, dennoch unbewusst, aber doch ganz auf der Linie seines ersten Buches, Verbindung mit ihm suchen. Denn Schleiermacher, der mit Fries allein die Reflexion für den Irrtum verantwortlich macht, stellt sich nachher wieder ihm gegenüber wenn er nur in diesem Sinne ‘von einem reinen Erkennen a priori’ wissen will, dass man darunter versteht: ‘ein Vermögen des Höhern und des Niedern’, das ‘abgesondert gedacht werden können’ soll.Ga naar voetnoot6) i) Die ‘dunklen Erkenntnisse’ sind dann auch in ideen- | |||||||||||||||||
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geschichtlichem Sinne das ‘dunkle’, aber jedenfalls unfriesische Element in Ottos Religionsphilosophie. Denn die in der logischen Idee auftretende ‘doppelte Verneinung’, worüber wir Fries sprechen hörten, und die bei ihm als einzige Möglichkeit gilt, womit die menschliche Vernunft ‘mit den Ideen das schlechthin positive unsrer Erkenntniss fasst’,Ga naar voetnoot1) kommt bei Otto ins Gedränge. Dies ist eine unmittelbare Folge seiner Anschauung über die ‘positive Grundlage der Ideen’. Fries sucht diese positive Grundlage der Ideen, wie wir sahen, in der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft. Otto schliesst sich dem an, aber er gibt eine nähere Umschreibung dieser ‘unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft’: er nennt sie ‘an sich dunkel und tief verborgen’ und gibt ihr ein Objekt: sie ist Grunderkenntnis ‘von der notwendigen synthetischen Einheit im Wesen der Dinge’.Ga naar voetnoot2) Mit diesem letzten Gedanken will er sagen, dass die Vernunft neben dem ‘Zutrauen zu sich selber’ auch als ihr eigentliches Grundgeheimnis die Erkenntnis von der Einheit und Notwendigkeit im Wesen der Dinge besitzt. Sie erkennt, ‘dass alles und jedes überhaupt eine synthetische Einheit, d.h. ein Ganzes ausmacht, in durchgehender Verbindung seiner Elemente’, und erkennt darin zugleich die Notwendigkeit. Es ist also diese unmittelbare Erkenntnis, die bei Otto zur Grundlage der (spekulativen) Ideen wird.Ga naar voetnoot3) Nun ist es schon an sich etwas verdächtig, dass von Otto dieser ‘dunklen’ Grunderkenntnis ein Glaube an die Notwendigkeit in den Dingen zugemutet wird, während nach ihm auch ‘im naiven Zustande, in dem Vernunft noch nicht voll bewusst geworden ist’, oft von Zufall gesprochen wird.Ga naar voetnoot4) Hiermit ist die These von der Notwendigkeit, als Inhalt der unmittelbaren Erkenntnis, bereits abgeschwächt, wenn nicht aufgehoben. Denn Zufall kann doch | |||||||||||||||||
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schwerlich eine Modulation der Notwendigkeit heissen. Aber dies ist für uns nicht die Hauptsache. Wir glauben, dass hier die Linie von Fries wieder verlassen wird. Fries erklärt ja doch ausdrücklich, dass das ‘Bewusstsein meines Daseins das einzige unmittelbare Material’ ist, ‘was wir in unserer Erkenntniss haben.’Ga naar voetnoot1) Damit ist Ottos Bemühung, dieses Material in etwas anderem zu finden, hinfällig. Ausserdem erklärt Fries, dass dieses ‘reine Selbstbewusstsein’ ‘keine Erkenntniss’ sei (auch keine dunkle, ruhende also).Ga naar voetnoot2) Wohl spricht Fries von ‘dunklen Vorstellungen’ (im inneren Sinn), aber im Gegensatz zu Locke und Reinhold will er diese denn auch darstellen allein als Vorstellungen ohne Bewusstsein.Ga naar voetnoot3) Das reine Selbstbewusstsein ist ‘reine Apperception’,Ga naar voetnoot4) und kommt erst durch Reflexion zur Erkenntnis;Ga naar voetnoot5) mit anderen Worten, es ist keine dunkle, keine ruhende Erkenntnis. Dieser letzten Behauptung stellt Fries die ‘Leerheit unsers Grundbewusstseyns’ gegenüber.Ga naar voetnoot6) ‘Das einzige, was durch die Form des Grundbewusstseins bestimmt wird, ist die nothwendige Einheit als formale Bestimmung der materialen Erkenntniss’.Ga naar voetnoot7) Der ganze Entwurf einer ‘ruhenden Erkenntnis’ ist unfriesisch, weil nach Fries ‘erkennen’ und ‘ruhen’ einander ausschliessen.Ga naar voetnoot8) Er will die Theorie vom Rationalismus, soweit dieser die angeborenen Ideen predigt, widerlegen (und dies eben anthropologisch!) | |||||||||||||||||
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‘durch die einfache Aufweisung, wie wirklich alle Nothwendigkeit in unsrer Erkenntniss nur durch die Formen bestimmt wird’.Ga naar voetnoot1) Wir glauben also, dass die Otto'sche Theorie der dunklen ruhenden Erkenntnis eine Vermischung ist von Fries'schen und Schleiermacher'schen Ideen, aber dann so, dass, so oft zwischen beiden hätte gewählt werden müssen, bewusst oder unbewusst Fries an Schleiermacher aufgeopfert worden ist.Ga naar voetnoot2) j) Dies gilt u.E. für das ganze Buch. Wohl hat der Verfasser in diesem zweiten Werk das Verhältnis zwischen Fries und Schleiermacher anders dargestellt als im ersten, aber die Grundgedanken seines ersten Werkes sind die gleichen geblieben. In dieser Hinsicht hat die Lehre von den dunklen Erkenntnissen weitgehende Folgen; nicht zum mindesten, wenn die Idee der Gottheit zum unmittelbarsten Geheimnis, zum tiefsten Grundgedanken der Vernunft gemacht wird, lebendig im Wahrheitsgefühl.Ga naar voetnoot3) Dies stimmt wohl überein mit Schleiermachers Auffassung, dass die Idee der Gottheit ‘realiter (nur) in dem Impuls’ sei, ‘den wir uns gleichsam vor dem organischen Denken vorstellen’,Ga naar voetnoot4) aber nicht mit der Fries'schen Lehre der spekulativen Ideen. Und ausserdem ist die Ahndung, nachdem jetzt dahinter die unmittelbare Erkenntnis liegt und die Anamnesis damit in Verbindung gebracht wird, mehr zu einer Funktion eines | |||||||||||||||||
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‘Triebes’ geworden, als dass sie eine Ueberzeugungsweise blieb;Ga naar voetnoot1) sie ist vom intelligiblen Ich auf das empirische Ich übertragen worden,Ga naar voetnoot2) eher in psychogenetischem, als in vernunftkritischem Sinn zu einem anthropologischen Lehrbegriff geworden, und von Kant-Fries auf Schleiermacher-Plato zurückgeführt. C. a) Darum kann es uns denn auch - und hier nennen wir noch eben die anderen Werke von Otto - nicht mehr wundernehmen, wenn Otto im Jahre 1926 die Ahndung als intuitus mysticus bezeichnet.Ga naar voetnoot3) Trotz allem, was Fries gegen Empirismus, Mystizismus, platonische Schau bemerkt hat, glaubt Otto diesen intuitus mysticus von Fries entlehnen zu können. Er beruft sich dabei auf Fries' ‘transzendentale Apperception’ und identifiziert diese dann mit der memoria von Augustin.Ga naar voetnoot4) Weiterbauend auf der oben von uns abgelehnten Auffassung, nach der die Fries'sche formale Apperception eine Grund- und Urerkenntnis ist, schliesst Otto dann, dass die transzendentale Apperception bei Fries ‘geformt’ ist durch die Einheitsfunktionen der ‘formalen’ Apperception und verbindet die beiden also miteinander auf solche Weise, dass die transzendentale Apperception ‘das sich immer bereichernde Feld (!) des Unterbewussten, im dunklen Vorstellen Festgehaltenen’ sei, ‘das den geheimen Untergrund unseres gesamten empirischen Bewusstseins und Einzelbewusstseins ausmacht.’Ga naar voetnoot5) Aber diese Verbindung kann nicht aus Fries abgeleitet werden. Denn Fries schiebt zwischen die formale Apperception (die dem transzendentalen Verstande gehört) einerseits und ‘das Ganze der transzendentalen Apperception’ (die der Vernunft gehört) andererseits, ein drittes ein: nämlich ‘das Fallen alles materialen Bewusstseins in | |||||||||||||||||
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diese Form’ der formalen Apperception (welch ‘Fallen’ der Urteilskraft gehört).Ga naar voetnoot1) Erst diese materiale Apperception ‘verschafft der Erkenntnis einen Gegenstand’;Ga naar voetnoot2) sie ist ‘nur empirisch gegeben’.Ga naar voetnoot3) Daher kommt es, dass Fries im Gegensatz zu Otto, (nach welchem beide Apperceptionen erkennen) aufrecht erhält: ‘Durch diese letztere (tr. App.) allein erkennt eigentlich unsre Vernunft; wir können subjektiv wohl unsre Erkenntniss zergliedern.... aber ihre objektive Gültigkeit gehört durchaus nur dem geschlossenen Ganzen der transcendentalen Apperception’.Ga naar voetnoot4) ‘Nur diesem (Ganzen unsrer tr. App.) entspricht der Gegenstand der Erkenntniss’.Ga naar voetnoot5) Otto möge dann weiter den intuitus mysticus von Eckart (!) mit der formalen Apperception von Fries verbinden, aber Fries selbst glaubt, dass man sich erst ‘durch alle Bruchstücke des Empfindens, Phantasirens, Dichtens und Denkens durchgefunden haben’ muss, ‘um die innere Einheit unseres Erkennens verstehen zu lernen’.Ga naar voetnoot6) Diese ‘Dreytheiligkeit der formalen, materialen und transcendentalen Apperception’, und die ‘Viertheiligkeit der Auffassung reine und empirische Anschauung, logisches und transcendentales Denken’Ga naar voetnoot7) kann man nicht aus dem Auge verlieren, ohne Fries unrecht zu tun. b) Die oben besprochene unkantische Ausarbeitung der Schematisierung der Kategorien hat bei Otto noch weitere Folgen gehabt, namentlich in ‘Das Heilige’. Wohl wird hierGa naar voetnoot8) im Gegensatz zu dem unter B besprochenen Werk, der Nachdruck auf die Uebereinstimmung zwischen Kategorie und Schema gelegt, aber doch wirkt die alte Theorie noch nach, wenn das (bei Kant durchaus rationale) Verfahren der Schematisierung nach Otto eine Parallele bekommt in | |||||||||||||||||
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dem ‘Verhältnis des Rationalen zum Irrationalen in der Komplex-Idee des Heiligen’. ‘Das Irrational-Numinose’, das bereitsGa naar voetnoot1) als Kategorie qualifiziert wurde, wird, nach Otto, ‘schematisiert durch.... rationale Begriffe’ und ‘ergibt uns’ auf diese Weise ‘die satte und volle Komplex-Kategorie des Heiligen selbst im Vollsinne.’Ga naar voetnoot2) Wie aus dem Vorausgehenden ersichtlich,Ga naar voetnoot3) muss dieses Heilige ‘im Vollsinne’ dann bezeichnen: das Heilige mit dem sittlichen Moment und mit dem rationalen Moment, das in dem Wort eingeschlossen liegt; es war ja doch das Heilige minus diese zwei Momente das Numinose genannt worden. Nun lassen wir die Frage ruhen, inwiefern eine Komplex-Kategorie je eine Konstruktion von Kant oder Fries würde heissen können. Wir weisen aber allein darauf hin, dass hier doch wieder, wie wir bereits unter B bemerkt haben, der kantische Begriff ‘Kategorie’ (Funktion!) verlassen wird; dass weiter aufs neue (ebenso wie unter B) die Berührung von Kategorie und Schema als die Begegnung von zwei einander fremden Gegebenheiten (in casu rational und irrational) dargestellt wird; und dass so geschlossen wird auf einen Komplex von rational und irrational, was also bereits in dieser Verbindung paradoxal ist. Weil weiter ‘sowohl die rationalen wie die irrationalen Momente der komplexen Kategorie “Heilig” Momente a priori sind’ (die letzteren im selben Masse wie die ersteren)Ga naar voetnoot4), ist hiermit zugleich das Paradoxale zur Grundbestimmung des (auch religiösen) apriori geworden. c) Ist so, auf einem von Kant und Fries nicht betretenen erkenntnistheoretischen Wege, die Idee einer Komplex-Kategorie verbunden worden mit der Idee eines Komplex-Gefühls des Heiligen,Ga naar voetnoot5) dann betritt in der Folge der Erkenntnistheoretiker die via mystica, wo bekanntlich | |||||||||||||||||
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Komplexe sehr beliebt sind. Der Eros wird als Beispiel genommen für die unter b) gefundene ‘innige Durchdringung der rationalen Momente des religiösen Gefühles mit dem Einschlage des Irrationalen’;Ga naar voetnoot1) das spezifisch Schleiermacher'sche Motiv von der Musik kann ebenfalls noch dazutreten, und zwar gerade um den Zauber zu wecken;Ga naar voetnoot2) und der Weg nach der Mystik ist frei. d) Dieser Weg wird denn auch betreten. ‘Das Irrationale’ wird dargestellt als ‘eine dunkle Tiefe,’ welche ‘unter’ dem Bereiche von dem gelegen ist, ‘was von der Idee des Göttlichen eingeht in die klare Fassbarkeit unseres begreifenden Vermögens’; man fühlt wieder, wie stark Fries hier verlassen ist.Ga naar voetnoot3) Die mystische Linie lässt sich weiter deutlich verfolgen; die Ahndung heisst nicht nur intuitus mysticus, sondern in Ottos vielen religionsgeschichtlichen Ausführungen wird z.B. mit Begriffen wie das ‘Mystisch-Ahndungsvolle’ gearbeitet.Ga naar voetnoot4) Die Divination als intuitus mysticus ist, den Fakten der Geschichte gegenüber, nun ein unentbehrliches Glied in der Kette geworden, und wird sogar zu einer religiösen Urteilskraft im Gefühl, und ist als solche potentiell bei allen, wenn auch nicht bei allen aktuell; weshalb sie für ‘auch heute möglich’ (!) gehalten wird. Ueber dieses letzte Wort kann man sich nun nur verwundern.Ga naar voetnoot5) In derselben Linie liegt es, wenn mit Vorliebe jede Formel verschmähende Gefühle hervorgehoben und im Neuen Testament aufgedeckt werden; eine der bekanntesten, von OttoGa naar voetnoot6) aufgebrachten Belegstellen ist Mark. 10, 32: ϰαὶ ἦν πϱοάγων (sc. εἰς Ἱεϱοσόλυμα, Passion!, K.S.) αὐτοὺς ὁ Ἰησοῦς, ϰαὶ ἐϑαμβοῦντο, οἱ δὲ ἀϰολουϑοῦντες ἐφοβοῦντο. Wie wenig in diesem Text selbst solche spontane Gefühlsreflexe dem ‘erlebten’ Heiligen gegenüber als | |||||||||||||||||
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numinose, von Christus selbst ausgehende Eindrücke angesehen werden, wird wohl offenbar aus dem, was unmittelbar darauf folgt, dass er sich nämlich beeilt, dem durch didaktische Prosa ein Ende zu machen: παϱαλαβὼν τοὺς δώδεϰα ἤϱξατο αὐτοῖς λέγειν τὰ μέλλοντα αὐτῷ συμβαίνειν. Aber dennoch stützt Otto auch auf solche und ähnliche Texte seine Theorie, dass ‘vor’ dem, ‘was “über alle Vernunft” ist, Name und Begriff umkehren’.Ga naar voetnoot1) So werden denn auch mystici und didactici, extatici und dogmatici, Beter mit dem νοῦς und Beter mit dem πνεῦμα (1. Kor. 14, 15), die Bestraften in 1. Kor. 14 mit ihrem Bestrafer, Paulus, mit einander verbunden: Paulus, Eckart, Luther, Fries, Schleiermacher, Kant, Fichte, Hugo v. St. Viktof, Nic. Cusanus, Rāmānuja.Ga naar voetnoot2) e) Als letzten Faktor im Entwicklungsgang von Ottos sich immer weiter von Kant-Fries entfernendem System wollen wir noch darauf hinweisen, dass sein Religionsbegriff sich immer weniger präzisieren lässt. Kant hatte durch seine Auffassung der Religion als Moralreligion diese letzte (als Vernunftreligion) den historischen Religionen (als Offenbarungsreligionen) diametral entgegengesetzt.Ga naar voetnoot3) Fries hatte - wir sallen es - das religiöse Gefühl und das Handeln auch eng verknüpft; und er hatte nicht nur dadurch, sondern auch noch durch seine wiederholte Ablehnung der Mystizisten und Gottschauer, tatsächlich ein doppeltes Korrektiv gegeben gegen die bei ihm bestehende Neigung, die Religion zu verästhetisieren. | |||||||||||||||||
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Otto jedoch befreit sich mehr und mehr von diesem doppelten Korrektiv; ausserdem verlegt er immer stärker den Akzent vom Handeln auf das Gefühl (unfriesisch gedeutet); dadurch verliert er die Kriteria, die Kant gegen die historisch gegebenen Religionen Stellung nehmen liessen; und so kommt er via FichteGa naar voetnoot1), SchleiermacherGa naar voetnoot2), die RomantikGa naar voetnoot3), und mit Hilfe seines Grundsatzes von der Einheit des religiösen GefühlsGa naar voetnoot4) zu einer immer weiter gehenden Verschmelzung aller historischen ‘Religionen’, um dann nachher wieder aus dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen ihrer empirischen, psychologischen Gegebenheiten die Paradigmata für seine religiösen Grundbegriffe zu finden. Das religiöse apriori wird also nicht mehr kritisch, sondern religionsgeschichtlich abgeleitet, wird so zu einer allgemein-menschlichen Gegebenheit,Ga naar voetnoot5) in den historischen Religionen wird ein Gesetz der Parallelen entdeckt,Ga naar voetnoot6) welches das Verlangen nach einer Universalreligion rechtfertigen muss,Ga naar voetnoot7) und u.a. auch Ost und West schliesslich versöhnt,Ga naar voetnoot8) wenn auch zwischen beiden sehr starke Unterschiede auf- | |||||||||||||||||
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gezeigt werden.Ga naar voetnoot1) Auch im Westen wird - nach Otto - der Logos ‘aus’ dem Mythos ‘entbunden’Ga naar voetnoot2). Und der Osten hat oft Handeln durch Schweigen verdrängen lassen. f) Darum führt Ottos Weg vom unparadoxalen Fries schliesslich zum Paradox. Zu einem Paradox? Nein, zu allen, die sich irgendwie mit seinem Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft verbinden lassen. Denn auch der Osten kennt seine Paradoxa, metaphysische, sowohl als erkenntnistheoretische, er kennt paradoxale und unparadoxale Stufen in der religiösen Erfahrung. Und er ist darin wieder grundsätzlich unterschieden vom Westen, der übrigens auch Variationen genug aufweist. Natürlich hat Otto, insofern er selbst mit religionsphilosophischen Axiomen zu den verschiedenen religiösen Phänomenen kommt, wohl unzweifelhaft eine eigene Theorie; aber insofern als der Religionsphilosoph in ihm immer mehr dem Religionsgeschichtler Platz macht, und dieser wieder den Religionsphilosophen von der kritischen zu der genetischen, von der deduktiven zu der induktiven Methode lockt, insofern ist jede Art von Paradoxie, vorausgesetzt aber, dass sie auf die eine oder andere Weise ein Specimen von Ottos Grundbegriffen sein kann, ihm willkommen als Ausdrucksweise dieser Begriffe und als Material für ihre weitere Ausarbeitung auf noch breiterer Basis. Und wenn wir jetzt einen Rückblick werfen auf den Weg, der Otto vom antiparadoxen Fries zum Paradox geführt hat, so erinnern wir uns an eine Frage von Fries: ‘Wie wäre es nur geworden, wenn Schleiermacher meine Berufung nach Berlin nicht.... verhindert hätte?’Ga naar voetnoot3) Und - so fügen wir hinzu - wenn Schleiermacher Fries nicht in Ottos Werken verdrängt hätte? | |||||||||||||||||
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§ 4. Die Bedeutung des Paradoxes bei Otto.Wenn wir nun die Stellung, die das Paradox bei Otto einnimmt, feststellen wollen, dann fallen uns einige Punkte auf. a) Es ist unrichtig, das Paradox bei Otto als ausschliesslich metaphysisch gedacht darzustellen; denn sooft es auftritt, findet es seinen Ursprung in einer Vermengung von erkenntnistheoretischen und metaphysischen Grundgedanken. Die ersten haben ihre Wurzeln in Ottos Uebernahme des Fries'schen Axioms vom Selbstvertrauen (und Selbsterkennen) der Vernunft und in seinem Anschluss an Kant, soweit davon aus guten Gründen die Rede sein kann.Ga naar voetnoot1) Aber was die zweiten betrifft, so wurde uns klar, dass Otto namentlich in seine Lehre von den dunklen Erkenntnissen ein an Fries fremdes Element hereinbringt: nämlich die Erkenntnis von | |||||||||||||||||
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der Einheit und Notwendigkeit im Wesen der Dinge.Ga naar voetnoot1) BornhausenGa naar voetnoot2) bemerkt hier, dass Otto mit dieser Behauptung einer Erkenntnisbeziehung zu allem Seienden überhaupt einen unlogischen Uebergang ‘in ein anderes Gebiet, in die Metaphysik’ vollzieht. Dazu kommt dann noch die Parallelisierung von Irrational und Rational, die eine noch deutlichere Perspektive bekommt, wenn man Emil LaskGa naar voetnoot3) darin zustimmt, dass hier ‘neben den tierisch-sinnlichen Instinkt der Glaubensinstinkt und die Ahnung des Uebersinnlichen gestellt wird’; eine Behauptung, die uns unrichtig zu sein scheint im Hinblick auf Fries selbst, aber richtig im Hinblick auf Otto (religiöses apriori). Dieser eigenartige Standpunkt Ottos bringt es dann mit sich, dass einerseits die metaphysische Konstruktion des ‘Ganz Anderen’ als ‘meinem Wesen inkommensurabel’,Ga naar voetnoot4) andererseits die Selbstbesinnung als Mittel zur Sachbestimmung erklärt wird;Ga naar voetnoot5) oder, dass einerseits die via negationis (vgl. Fries' logische Ideen) als Form und Bestandteil der Absolutheitsspekulation dargestellt wird, und andererseits - ganz im Gegensatz zu Fries - die via negationis als Verlängerung der via eminentiae gesehen wird.Ga naar voetnoot6) Es ist klar, dass auf diesem Standpunkt alle Paradoxien der von uns als Typ I und III bezeichneten Art unter Beibehaltung ihrer Eigenart auftreten können. | |||||||||||||||||
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b) Ebenso klar ist es jedoch, dass eine Konstruktion von Paradoxa (Paradoxon) von Typ II hier ausgeschlossen sein muss. Denn diese würde sich nicht vertragen mit der These vom Selbstvertrauen der Vernunft. Mit OepkeGa naar voetnoot1) die coincidentia oppositorum der dialektischen Theologie (Typ II) auf dieselbe Linie zu bringen, worauf sie bei Otto und ‘der Mystik’ liegt - dass heisst zu viel beweisen wollen; denn das ‘Minuszeichen’, das ‘das Minus in Plus verwandelt’,Ga naar voetnoot2) wird bei Typ II von Gott (dem Absoluten) geschrieben, bei Typ I und III vom Subjekt. Schon die Unpersönlichkeit von ‘das Heilige’, ‘das Ganz Andere’, ‘das Numinose’, ‘thateron’ schneidet jeden Weg zu Kierkegaard ab.Ga naar voetnoot3) Nicht jedoch die Wege, die zu Schleiermacher (Universum!) hinführen. Darum kommt hier der Glaubenskritizismus nicht im Frage, wohl aber ein sog. ‘christlicher’ ‘Idealismus’;Ga naar voetnoot4) eine These, zu der sich Otto verleiten lässt durch seine Umformung der ἀλήϑεια aus Joh. 1, 17 in die ‘Idea der Wahrheit’; und dies, obwohl Johannes schreibt, dass ἡ ἀλήϑεια (διὰ Ἰησοῦ Χϱιστοῦ) ἐγένετο, welches ἐγένετο sich bereits selbst interpretiert durch seine Koordination mit dem ἐδόϑη, das vom Gesetz prädiziert wird. Mit solchen theologisch-exegetisch nicht näher begründeten Epexegetica gibt Otto wieder jeden Schein von Verwandtschaft mit dem nachkierkegaardschen Theorem von Gottes Wort als in die Krisis bringende Macht auf; wenn auch Gott ‘urewiger konkreter Geist’ heisst,Ga naar voetnoot5) dennoch ‘bleibt Otto in impersonalistischen Kategorien stecken’Ga naar voetnoot6) | |||||||||||||||||
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und er kommt denn auch in seiner Ausarbeitung des Begriffs der ‘Krisis’ Gottes nicht weiter als zu der Zeichnung des ‘Gerichts’ als ‘Erleben des “Fluches der Sünde”, als Vollendung der terrores conscientiae’.Ga naar voetnoot1) In Uebereinstimmung damit werden ‘das ganz Paradoxe’ und die ‘coincidentia oppositorum’ mit dem ‘rein Erlebnismässigen’, mit der ‘mystischen Einheitsschau’ verbunden,Ga naar voetnoot2) denn Otto ‘geht in seiner Analyse des Heiligen aus vom Menschen’.Ga naar voetnoot3) c) Aus dem unter a) und b) Gesagten ergibt sich, dass sich bei Otto wohl Begriffe entwickeln können, die dem Klange nach der (nach-)kierkegaardschen Struktur des Paradoxons innewohnen, doch dass sie sich trotzdem weiterhin davon prinzipiell unterscheiden. Und zugleich geht daraus hervor, dass solche Begriffe sich aus der bereits konstatierten Vermischung von erkenntnis-theoretischen und metaphysischen Motiven entwickeln. Wir denken hier an den ‘Durchbruch’ des tremendum,Ga naar voetnoot4) an das ‘Hervorbrechen’Ga naar voetnoot5) oder ‘Hereinbrechen’Ga naar voetnoot6) des ‘Ganz Anderen’, usw. Aber der ‘Augenblick’ dieses Hereinbrechens ist vom Kierkegaardschen ‘Augenblick’ wesentlich verschieden. Denn im Kierkegaardschen ‘Augenblick’ ‘wird’ der Lernende zur Unwahrheit, im Otto'schen wird er Kenner seiner selbst und des deus absconditus (denn das Unfassliche ist nach Otto nicht das Unerkennbare). Im Kierkegaardschen Augenblick tritt die Ewigkeit in die Zeit, im Otto'schen gibt es ‘Mnêmê theou’, also Selbstbehauptung. Darum ist es keine zufällige Berührung, sondern bewusst geistlich Verkehr, wenn Otto | |||||||||||||||||
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das ‘Hereinbrechen’ des ‘Ganz Anderen’, - selbst wenn es der eschatologischen Erwartung der Kirche ihren Inhalt gibt - mit Paul Tillichs Kairos-Begriff in Verbindung bringt.Ga naar voetnoot1) Tillich ist dem Kierkegaardschen Krisis-Gedanken diametral entgegengesetzt; sein phaenomenologischer Realismus will die Vernunft und die Offenbarung nie einander entgegengesetzt haben; darum spricht er wohl von ‘Kairos’ als ‘Zeitenfülle’ (vgl. Kierkegaard!), als ‘Hereinbrechen des Ewigen’, oder ‘der Ewigkeit in die Zeit’,Ga naar voetnoot2) aber dieses Wort ist eigentlich nur ein polemischer Ausdruck gegenüber der Utopie,Ga naar voetnoot3) ebenso wie Ottos ‘Ganz Anderes’ ein polemischer Ausdruck ist gegenüber dem Rationalismus.Ga naar voetnoot4) Kierkegaards Augenblick heisst ‘die Fülle der Zeit’, Tillichs Kairos ‘erfüllte Zeit’,Ga naar voetnoot5) aber dann nicht als Krisis über jede ‘Gestalt’ in der Geschichte (und wäre es auch die von der ‘Gnade’), sondern eben als ‘Verwirklichung der Gestalt der Gnade’; diese Gestalt wird denn auch nicht (wie bei Kierkegaard) preisgegeben, sondern ist auf den Weg angewiesen, der ‘zwischen Fixierung und Preisgabe ihrer selbst mitten hindurchführt’.Ga naar voetnoot6) Hier wird denn auch die Existenz nicht verdammt vom Unendlichen, sondern sie wird gedeutet als ‘Heraustreten der inneren (!) Unendlichkeit der Idee. Dieses Heraustreten aber ist Verwirklichung.’Ga naar voetnoot7) Hier steht der Weg offen für alle Variationen von Paradoxen des Typ I und III. Paul Häberlin, bei dem Tillichs ‘Schicksal’, ebensogut wie Ottos ‘Geheimnis’ und ‘Ahnung’ und ‘Gefühl’, wieder auftauchen, zieht aus ihrem Zusammenkommen die Konsequenz: Offenbarung, | |||||||||||||||||
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sagt er, hat ihren Inhalt und Sinn in der ‘Entdeckung Gottes’.Ga naar voetnoot1) Wenn Otto, der wiederholt aus 1. Kor. 2, 9 (ἃ ὀφϑαλμὸς οὐϰ εἶδεν ϰαὶ οὖς οὐϰ ἤϰουσεν ϰαὶ ἐπὶ ϰαϱδίαν.... οὐϰ ἀνέβη) ‘die reinen Negativen’ betont, sich auch einmal mit dem in derselben Paulinischen Aussprache vorkommenden Positiven ὅσα ἡτοίμασεν ὁ ϑεός auseinandergesetzt hätte, dann würde offenbar werden, dass er, genau wie die dialektische Theologie, mit diesem Paulinischen Wort keinen Frieden schliessen will, wenn auch bei ihm die Kritik, anders als bei ihr, schliesslich auf Häberlins Entdeckung Gottes herauskommen würde. d) Noch in einem anderen Punkt wird es offenbar, dass Otto, wenn er seine Gedanken mit Tillich verbinden zu können glaubt, sich selbst richtig darstellt. Wir hörten ja doch Tillich über den Weg sprechen, der die Gestaltung der Gnade zwischen Fixierung und Preisgabe hinführt. Denselben Weg betritt auch das Paradox bei Otto. Und eben daraus ist auch seine besondere Vorliebe für die morgenländische Mystik erklärlich. Denn wie wir sahen, ist bei Otto die Abgrenzung von ‘rational’ gegen ‘irrational’ keine transzendental-logische, sondern eine psychologische. ‘Es handelt sich.... bei Rationalismus und seinem Gegenteil um einen eigentümlichen Qualitätsunterschied in der Stimmung und in dem Gefühls-gehalte des Fromm-seins selber’.Ga naar voetnoot2) Tritt hier nun, kraft der ‘Mischung des Offenbaren mit dem ahndevollen Unoffenbaren’,Ga naar voetnoot3) das Paradox auf, dann folgt aus dem Gesagten (vor allem, wenn man es in das Licht der Otto'schen Umdeutung von der Fries'schen Gefühlslehre und seines religiösen apriori stellt), dass das Paradox hier nicht mehr eine Sache der Vernunft, sondern der Empfindung ist, nicht mehr ein skandalon cerebrale, wobei sich der Einzelne hilfsbedürftig nach den codices der reinen Vernunft, die | |||||||||||||||||
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die Gemeinschaft geschrieben hat, umsieht, sondern ein Moment in seiner Seelenentwicklungsgeschichte; dabei kann der Einzelne wohl von der Gemeinschaft studiert und rubriziert werden, aber er für sich steht in diesem Moment mit dem Rücken nach der Gemeinschaft; so ist es denn auch kein Zufall, dass sich Otto und James hie und da berühren.Ga naar voetnoot1) Dies hat für das Erlebnis eines Paradoxes als coincidentia oppositorum diese Folge: es ist wohl, ebenso wie unser Typ I, dazu bestimmt, ‘überwunden zu werden’, aber nicht mit Lehnsätzen der Vernunft, sondern in, durch und mit einer Veränderung in der psychischen Lage des religiösen Subjekts und seiner Schwankungen. Nicht nur von jemands Kulturstellung,Ga naar voetnoot2) oder seiner persönlichen Anlage,Ga naar voetnoot3) sondern auch vom Wechselspiel von Reiz (Erlebnis) und AnlageGa naar voetnoot4) sind die religiösen Gefühle im Nacheinander-Eintreten ihrer verschiedenen MomenteGa naar voetnoot5) abhängig. Hieraus wird verständlich, dass das Paradox bei Otto - nicht nur, wenn er das ‘Epekeina’ der exotischen Mystik schildert, sondern auch, wenn er selbst als Religionsphilosoph (-psycholog) auftritt - in den Rahmen der psychischen Entwicklung eingefügt wird. Typisch ist, dass man bei ihm nicht mehr auf ein Paradox stösst, sondern zum Paradoxen steigert, und dann sogar noch darüber hinaus steigert, wie wir bereits im Beginn des § 2 dieses Kapitels bemerkten.Ga naar voetnoot6) Wo nun das ‘Stossen’ auf ein Paradox kein passender Ausdruck mehr wäre, da ist das Paradox als Skandalon (Stein des Anstosses) prinzipiell aufgegeben und da wird die allgemeine Struktur der Paradoxie zu unserem Typ III hinübergeleitet, - es sei denn, dass nicht das Denken, | |||||||||||||||||
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sondern das Erleben im Gefühl hier den Akt des Aufstieges zur Uebergegensätzlichkeit vollzieht. So ist Otto nicht der interesselose Referent, sondern der geistesverwandte Isagog, wenn er uns in die Mystik des Ostens und Westens einführt und uns da wiederholt das Paradox begegnen lässt als Meilenstein auf dem Weg, der 1. von der Gegensätzlichkeit zur Uebergegensätzlichkeit führt. Dieser Weg ist dann 2. zugleich der von Logos nach Sigê. Und 3. werden also im Laufe von Ottos Untersuchung die Scholarchen des Westens an die Patriarchen des Ostens gefangen ausgeliefert. Man höre nur. ad 1): Ueber die Stufe des Nur-Befremdlichen und die des Paradoxen kommt der homo religiosus zu der des Antinomischen, sagt Otto.Ga naar voetnoot1) Freilich, das Antinomische wird hier noch als ‘in sich selber entgegengesetzt’ ausgelegt, aber man vergesse nicht, dass das mirum hier nach Otto nur so erscheint, und zwar dem menschlichen Verstehenwollen. Aber durch diese Verbindung des zu Paradoxie und Antinomie ‘gesteigerten’ mirum (sūnyam) mit der buddhistischen Mystik, lässt Otto deutlich sehen, dass der Prozess mit den Stufen von Paradoxie und Antinomie noch nicht abgeschlossen ist; kennt ja doch der Buddhismus, über den wir noch sprechen werden, selbst nach und über diesen zwei Stufen noch eine höhere: die der Identifikation der absoluten Gegensätze, der Uebergegensätzlichkeit; man kommt dahin eben via der Stufe der Paradoxalität (Gegensätzlichkeit).Ga naar voetnoot2) Otto zieht hier sogar bewusst eine Parallele mit der Ausschaltung des principium exclusi tertii durch den Mathematiker L.E.J. Brouwer.Ga naar voetnoot3) Und dadurch zeigt er seine sehr starke Annäherung an die durch Pick mit Lask verbundene Auffassung, nach der ‘das alternative Verhalten die wahre Erbsünde des Subjekts, der Fluch seiner End- | |||||||||||||||||
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lichkeit’ ist;Ga naar voetnoot1) Uebergegensätzlichkeit ist ja doch höchste Stufe! Wenn dann auch G. Pick hinter der Uebergegensätzlichkeit von Emil Lask den Geist der Mystik spürt (Eckart! eines von Ottos Lieblingsthemen),Ga naar voetnoot2) dann kann man ihm nicht widersprechen mit der Bemerkung, Lasks Logik und Geltungslehre habe nichts mit der Mystik zu tun. Nein, es laufen tatsächlich Verbindungsfäden zwischen dieser und jener Uebergegensätzlichkeit; wir weisen nur allein auf die Tatsache hin, dass Lask das gegenständliche Ineinander von Kategorie und Kategorienmaterial als ein über den Gegensatz von Wert und Unwert erhabenes Verhältnis bezeichnet hat,Ga naar voetnoot3) dass er es darum ‘als übergegensätzlichen Massstab den spezifischen Phänomenen der Urteilsregion gegenüber’ gestellt hat,Ga naar voetnoot4) dass er diese tatsächlich ‘strenge Durchführung seines Kopernikanismus’ mit der Wirklichkeit selbst verbunden hat,Ga naar voetnoot5) und so dazu kommen konnte, die unio mystica nicht nur gegen Versinnlichung, sondern auch gegen erkennendes Erfassen abzugrenzen.Ga naar voetnoot6) Hier gibt es in der Tat weitreichende Verbindungsmöglichkeiten, die desto mehr bedeuten je mehr sie systematisieren, was bei Otto noch unklar bleibt.Ga naar voetnoot7) Dass das Otto'sche Paradox, wie unklar es auch in mancherlei Hinsicht formuliert ist, trotzdem gerade in diesem Punkt, namentlich im Rahmen seiner vergleichenden Reli- | |||||||||||||||||
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gionsstudien und seiner Versöhnung von Ost und West, weitführende Konsequenzen haben muss, ist klar. ad 2): Notwendigerweise führt der Weg bei Otto dann auch von Logos über die Paradoxie zu Sigê. Der dem authentischen Christentum innewohnende Logosgedanke ist Otto, als Führer der kirchlichen Liturgie,Ga naar voetnoot1) natürlich von Haus aus vertraut; nach Ottos Liturgie tut das ‘Wort’ im Logos von Joh. 1 sogar einen ‘Ausspruch ohne Hülle’.Ga naar voetnoot2) Das ist Inhalt der kirchlichen Verkündigung, hic et nunc, z.B. in Marburg. Aber im atheoretischen Leben selbst geht, via Paradoxie und Antinomie, jedes ‘gesunde Exemplar’, der nach Ottos religionsphilosophischen Begriffen konstruierbaren religiösen Gattung doch zu Sigê über; ob es je aktuell vom Logos ausgegangen ist, ist eine Frage für sich. Dieser Uebergang zu Sigê wird hauptsächlich gefördert durch die Herabwürdigung des Wortes in Ottos Theologie. Der Krieg, den die Mystik überall gegen das Wort zu führen pflegt, bringt auch Otto zur Betonung seiner ‘unausgewickelten Begriffe’;Ga naar voetnoot3) und diese werden, auch in ihrem Expliziertwerden, dem Logos ensarkos der Evangelien, der ja als Mensch einen Lehrkatheder besteigt,Ga naar voetnoot4) niemals begegnen, und können | |||||||||||||||||
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darum auch nicht prinzipiell hinauskommen über den Unsicherheitsstandpunkt, auf dem man wandelnde Demonstrativ-Pronomina als ‘reine Erzeugnisse des religiösen Gefühls selber’ zur Andeutung des numen anzusehen pflegt.Ga naar voetnoot1) So trennen sich die Wege: der Glaubensschüler, der den Logos ensarkos auf seinem Lehrkatheder gehört und geglaubt hat, darf bei ihm sein principium exclusi tertii behalten; er kommt über die pronomina demonstrativa hinaus, um im pronomen personale zu endigen (ich-DU!) und um darnach prophetisch wirksam zu sein im ἐξαγγέλλειν τὰς ἀϱετάς (virtutes, nomina in der klassischen christlichen Dogmatik) τοῦ ἐϰ σϰότους αὐτὸν ϰαλέσαντος εἰς τὸ ϑαυμαστὸν αὐτοῦ φῶς, 1. Petr. 2, 9; das ‘gesunde Exemplar’ von Ottos Konstruktion dagegen sieht in seinen wandelnden Demonstrativ-Pronomina nichts weniger als Schauungen prophetischer Naturen,Ga naar voetnoot2) und hört sich dann zwar versichern, dass sich über der Stufe des Propheten ‘der Sohn’ denken lasse, vernimmt aber in demselben Augenblick auch, dass über der Stufe der (prophetischen) Predigt das ‘sacramentum silentii’Ga naar voetnoot3) als Wunder der Einung selber kommen müsse, (silent worship, Quakers).Ga naar voetnoot4) Das ἐπαγγέλλειν wird in diesem sacramentum silentii ersetzt durch Verschweigen;Ga naar voetnoot5) bei dem ersten fällt über alles Mannigfaltige ϑαυμαστὸν φῶς, beim zweiten versinkt das Mannigfaltige und das heisst dann ein steiles Bergansteigen der Linie.Ga naar voetnoot6) Und in der Tat ist auf diesem Standpunkt diese letzte Auffassung konsequent; anstelle des Wortes steht ja doch das Ideogramm,Ga naar voetnoot7) das nur ein ‘deutendes Zeichen’ ist, nach | |||||||||||||||||
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Otto;Ga naar voetnoot1) und die Analogie ist tatsächlich das einzige Mitteilungsorgan der religiösen Sprache.Ga naar voetnoot2) Wer also über das Wort und dessen Gegensätzlichkeit hinauskommt, ‘steigt’ und ‘steigert’ über Paradoxie und Antinomie hinaus. Im sakramentalen Schweigen, das selbst noch in seinem Anfang ‘einen Komplex oft widerstreitender Momente bedeutet’,Ga naar voetnoot3) kommt man dann schliesslich nach Uebung zur Einigung mit dem ‘ewigen Grund’,Ga naar voetnoot4) (in diesem Punkt fällt dann auch das Moment des Schweigens wieder mit der Uebergegensätzlichkeit zusammen, denn ‘die notwendige Bedingung der Einigung’ ist die Sammlung (Vereinfachung, Haplosis); und um diese zu qualifizieren wäre nach Otto das Bild von ‘polarisiertem Licht’ noch zu stark, denn: bei ‘Polen’ ‘denkt man an mindestens zwei Richtungen, eine positive und eine negative, während hier gerade die Einheitlichkeit der Richtung gemeint ist’.Ga naar voetnoot5) ad 3): In diesem Stadium von Ottos Entwicklungsgang wird die klassische christliche Ueberzeugung auf solche Weise mit den Religionen des Ostens ‘versöhnt’, dass man besser von einer Preisgabe jener für diese sprechen kann. In diesem klassischen, reformatorischen, patristischen Christentum glaubt Otto in genügender Zahl Männer zu finden, die Beispiele für seine Begriffe bringen: Augustin, Luther, Paulus. Aber die Tatsache, dass Paracelsus und Böhme, Eckart und Suso und viele andere ‘unartige Kinder’ des Christentums mit den erstgenannten auf eine Linie gebracht werden und sogar in den Vordergrund treten, zwingt bereits ohne weiteres zu dem Zugeständnis, dass diese | |||||||||||||||||
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bunte Reihe nur dadurch gebildet werden konnte, dass man über die tiefen Abgründe, die sie scheiden, Stege baute, die die Last doch nicht auf die Dauer würden tragen können. Schon allein die Tatsache, dass Luther und Sebastian Franck eben im Hinblick auf die Bedeutung des Wortes (Zeugnis? Analogie? Hinweis?) Antipoden waren, und dass in dem Briefwechsel, der das Vorspiel zu Francks Verbannung bildete, dieser Punkt ausdrücklich betont ist,Ga naar voetnoot1) ist eines der zahlreichen Argumente, die anzuführen wären gegen Ottos viele unermüdliche Bestrebungen, die abendländischen ‘mystici’ und dogmatici einander im horror mysticus begegnen zu lassen und sie dann zusammen wieder mit Buddhisten, Hindus, Brahmanen zu verbinden. Otto selbst macht irgendwo die Bemerkung, dass die Logik der coincidentia oppositorum bei Angelus Silesius entartet.Ga naar voetnoot2) Aber wenn Otto ‘aus dem Gefühle des “Ganz Anderen” in der Mystik den Trieb entstehen’ sieht, ‘die via negationis zu beschreiten’, um dann also die Gottheit als das Nichts und das Uebernichts zu bezeichnen,Ga naar voetnoot3) dann ist doch offenbar diese paradoxale Bezeichnung dem folgenden Vers von Silesius vollkommen gleich:Ga naar voetnoot4) Die zarte Gottheit ist ein nichts und übernichts:
Wer nichts in allem sicht, Mensch, glaube dieser sichts.
So entsteht die Frage, ob die coincidentia oppositorum eben als Vorstufe zur Uebergegensätzlichkeit wohl je zu verbinden sein wird mit christlichen Glaubensinhalten. Die | |||||||||||||||||
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Richter Sebastian Francks haben auf diese Frage schon ihre Antwort gegeben; als der Verfasser der Paradoxa und des Verbutschierten Buches sich für seine Theorie des ‘eusseren Wortes’ als ‘zeugnus’ (cf. Ottos Ideogramm) auf Tauler und Eckart berief, ebenso wie auf Luther, und zwischen diesen dreien eine Brücke schlagen wollte,Ga naar voetnoot1) da haben die lutherischen Theologen unter die von Franck zu widerrufenden Irrtümer auch diese aufgenommen: ‘Die Wahrheit lässt sich nicht schreiben’ und: ‘Gott lehrt in einem Hui mehr als alle Schrift bis an den jüngsten Tag’. (Paradoxa 78, 233). Dieser Streit gegen die Allegorie Francks wendet sich auch gegen die Analogie Ottos und auch gegen dessen ‘Augenblick’. Dies ist nicht mehr als eine flüchtige Andeutung; aber die Tatsache, dass Luther selbst Franck einen Wirrkopf nannte, beweist, dass die Frage der Uebergegensätzlichkeit bewusst seine Aufmerksamkeit hatte - weil Franck sie stellteGa naar voetnoot2) - und dass er sie weder als Vor- noch als End- | |||||||||||||||||
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stufe seinem Christentum hat einverleiben wollen.Ga naar voetnoot1) Ein grosses Material aus Kirchen- und Dogmengeschichte steht zur Verfügung um das, was von uns nur eben angedeutet wurde, breiter auszuarbeiten und um zu zeigen, dass zwischen den Heidelberger Paradoxa Luthers, die vielleicht den Titel von Francks Paradoxa beeinflusst haben,Ga naar voetnoot2) und diesen letzten selbst eine unüberbrückbare Kluft besteht.Ga naar voetnoot3) Denn Francks These ‘Gott, unser Pythagoras’, stellte die Reformation die andere gegenüber von der efficacia und perspicuitas des Wortes (Buchstabens!) durch den Geist, der den stupor überwindet und den Enthusiasmus in dieselben Bahnen leitet, wie Christus es tat durch seine didaktische Prosa von Mark. 10, 32 (s.oben). | |||||||||||||||||
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§ 5. Die Paradoxie in der östlichen Mystik.Unsere Besprechung der Paradoxie bei Otto hat schon von selbst unsere Aufmerksamkeit auf die Paradoxie der östlichen Mystik gelenkt. In Form eines Anhanges wollen wir über diese letztere noch einige Worte sprechen. In Form eines Anhanges - denn das Thema ist so einschneidend und so breit, und ausserdem dem westlichen Denken so fremd, dass wir nur ein einziges schüchternes Wort darüber zu sagen wagen. Eine ernsthafte Behandlung erfordert jahrelanges Studium von einem, der mit Geduld in die Seele des Ostens eingedrungen ist und der da in persönlichem Verkehr das Vertrauen gewonnen hat und so einen Blick in die Tiefen des dort so vielfach anderen Lebens und Denkens werfen kann. Ausserdem - dies Buch hat den Zweck einen Beitrag zur Begriffsgeschichte des Paradoxons zu liefern. Zwar verdient die Paradoxie der östlichen Mystik einen wichtigen Platz in ‘einer’ Begriffsgeschichte des Paradoxons, - aber.... diese Begriffsgeschichte müsste dann eine ganz andere sein als die unseres europäischen Geisteslebens. Zwei Welten scheiden sich hier. Ein Paragraph über östliche Paradoxie in ein und demselben Buch ko-ordiniert mit anderen über westliche, das wäre eine Offenbarung tragischen Missverständnisses. Wir widmen denn auch dem Paradoxon der östlichen Mystik allein deshalb noch einen Sonderparagraphen, weil in Europa, nicht zum mindesten durch die Arbeit Rudolf Ottos und seines Kreises und infolge des zunehmenden geistigen Verkehrs, z.B. zwischen Deutschland und Japan, | |||||||||||||||||
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die östliche Mystik stets intensiveres Interesse findet und Gelegenheit bekommt, die Geister zu beeinflussen. Nun gibt es zwar auf diesem Gebiet noch sehr wenig zuverlässige Literatur, doch wird das Studium des Ostens mehr und mehr systematisch betrieben. Die Internationalisierungstendenz unserer Zeit, zusammen mit den neueren religionsgeschichtlichen und -psychologischen Ansichten gibt diesem Studium viel grössere Möglichkeiten wenigstens intellektuelles Interesse für den Osten zu wecken, als der ‘Indismus’ der Romantik es je vermocht hat. So wirkt die Paradoxie der östlichen Mystik schliesslich doch wieder auf unsere Begriffsgeschichte des Paradoxons ein, wenn sie auch, was sie selbst betrifft, daraus keineswegs erklärt wird. A. Von den verschiedenen hier in Betracht kommenden Typen nennen wir besonders, wenn auch nicht allein, den buddhistischen Typ. a) Grundlegend für das Verständnis der buddhistisch-mystischen Paradoxie ist die Kenntnis der östlichen Meditation (Versenkung!). Um den heutigen Stand des Problems nicht zu verkennen, muss man sich von sehr vielen der Auffassungen, die man im Westen über Mystik und Ekstase überhaupt vorzubringen pflegt, frei machen. Auch von der Auffassung, die in bezug darauf von seiten der dialektischen Theologie (Emil Brunner) verteidigt wird. Wir nennen diesen letzteren, weil in seinem Kreis das ‘Paradoxon’ des Christentums dem ‘Erlebnis’-Charakter jeder ‘mystischen’ Religion prinzipiell antithetisch gegenübergestellt worden ist. Aber wenn sich nachweisen liesse, dass das Dilemma zwischen dem Paradoxon vom Glaubenskritizismus der dialektischen Theologie einerseits und dem ‘Erlebnis’ jeder (also auch der östlichen) Mystik andererseits hier nicht richtig aufgestellt ist, dann müsste die von der dialektischen Theologie versuchte Abgrenzung des Glaubensparadoxon gegen das Erlebnis ungenügend heissen. Nun, es ist wirklich eine Tatsache, dass das, was Brunner über die Mystik sagt, nicht auf die östliche Mystik, die wir jetzt im Auge haben, passt. | |||||||||||||||||
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Man denke z.B. an die buddhistische Versenkungsmystik, wie sie aus China über Korea nach Japan gekommen ist. Passt darauf Brunners Qualifikation der ‘Ekstase’ als: ‘das ungefesselte Sichausleben des Gefühls’?Ga naar voetnoot1) Absolut nicht. Denn Erwin Rousselle weist mit Recht darauf hin, dass im Buddhismus die Meditation u.a. erreichen lasse: einen ‘beruhigenden Ausgleich des einbezogenen Trieblebens’ (samatha, Dschï), wobei ‘die Versickerung der Seele in die Sinneserfahrungen zum Stillstand’ kommt, und man so in den Zustand von Erhabenheit ‘über Tun und Lassen, über Gewirktes und Ungewirktes’ gelangt,Ga naar voetnoot2) in den von Wunschlosigkeit,Ga naar voetnoot3) Absichtslosigkeit,Ga naar voetnoot4) Beruhigung der Leidenschaften,Ga naar voetnoot5) in den Zustand von ‘Kontention’ (unwillentliche Gespanntheit) anstelle von Konzentration (willentliche Anspannung).Ga naar voetnoot6) ‘Ungefesselt’ ist bei dieser Mystik buchstäblich nichts; denn allein durch zuweilen jahrelange Uebung erreicht man die Kontention und kommt über Verstand und Gefühl hinaus.Ga naar voetnoot7) | |||||||||||||||||
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b) Auf dem Weg nun, der von der Konzentration zur Kontention führt, kommt der Schüler am Paradox vorbei. Es ist ein Uebungsweg; der Schüler muss von der Erscheinungswelt mit ihrer Gegensätzlichkeit zur Versenkung in die Uebergegensätzlichkeit kommen und wird darum durch das Paradoxon als einer unentrinnbaren Zwischenstation auf diesem langen Wege in seinem Denken, das ja zur ‘Einheitsschau’ emporsteigen soll, ‘angestachelt’. Diese Technik des Paradoxon hat also den Zweck, dass der Schüler soll darüber hinaus kommen können. In diesem Sinn spricht Rousselle von einer ‘Seelenleitung durch das Paradox. Am Gegensatz, ja Widerspruch der vereinten - meist in Form einer Anekdote gegebenen - Gedankenreihen soll sich das Aufflammen der Erkenntnis der übergegensätzlichen letzten Einheit des Sinnes von Welt und Leben entzünden.’Ga naar voetnoot1) Die hier dem Schüler aufgegebenen Paradoxa können also vorläufig als eine Mischung der von uns genannten Typen I und III bezeichnet werden; denn: a) es gibt ein Skandalon der Gedanken, von dem jedoch vorausgesetzt wird, dass es ‘überwunden werden muss’; und b) die zu der Einheitsschau aufstrebenden Gedanken verbinden sich zu einem ‘richtigen Denken’; denn von den im Paradox einander polär gegenüberstehenden Sätzen muss nicht der eine dem andern weichen, sondern sie sollen beide als gleiche Komponenten in- und miteinander in höherer Einheit verbunden werden, welch letztere dann wieder der absoluten Wahrheit näher steht. Diese Verbindung von Gegensätzen in höherer Einheit beherrscht den ganzen mystischen Entwicklungsgang, auch in der Terminologie. | |||||||||||||||||
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c) Dies gilt wohl in ganz besonderem Sinn vom Zen-Buddhismus, der sich vor allem in Japan (z.T. auch in China) entwickelt hat und sich vom indischen Buddhismus in vieler Hinsicht unterscheidet.Ga naar voetnoot1) Während der indische Buddhismus die zwei Welten von ‘hier’ und ‘dort’ dualistisch einander gegenüberstellt, erkennt der nördliche Buddhismus (Zen-Buddh.), dass sie eins sind, dass zeitlicher und ewiger Buddha, Begierde und Nirwana, eins sind, dass es keine absoluten Gegensätze geben kann,Ga naar voetnoot2) und dass es also darauf ankommt, diese Einheit der Gegensätze zu ‘erkennen’, nicht durch begriffsmässige Wort-Analyse, denn jedes Wort ist ein Hindernis, sondern in Erleben, in Erfahrung.Ga naar voetnoot3) Deshalb werden Fragen, die Schüler stellen, auch nicht mit ‘ja’ oder ‘nein’ beantwortet, eine Antwort würde sie nur hemmen, nicht auf Wissen, sondern auf Sein kommt es an. Deshalb wird auch der ganze Uebungsweg auf paradoxale Weise gezeichnet. ‘Weiser ist ungelehrt, gelehrter ist unweise’.Ga naar voetnoot4) Dharma (das ordnende Prinzip) ist ‘semper agens, semper quietus’.Ga naar voetnoot5) Wie ‘Virya’ ‘leidenschaftliche Leidenschaftslosigkeit’ ist,Ga naar voetnoot6) so ist bei der Kunst des Bogenschiessens (die man nur durch religiöse Versenkung in Buddha-Gemeinschaft erlernen kann) nicht ‘das Schiessen des Schiessens’, sondern ‘das Schiessen des Nicht-Schiessens’ das eigentliche Geheimnis;Ga naar voetnoot7) wie ja doch | |||||||||||||||||
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‘rechts und links’ zu bestehen aufhören,Ga naar voetnoot1) so ist beim Bogenschiessen das ‘Ziel’ nicht ausserhalb, sondern innerhalb des Schützen; der Pfeil fliegt nicht, sondern bleibt, wo er ist; ebenso wie bei der Mondmeditation der Mond in das meditierende Subjekt hineinkommt und sich mit ihm vereinigt.Ga naar voetnoot2) Alles ist in Buddha eins. Bewegung wird Ruhe, Peripherie Zentrum, Makrokosmos Mikrokosmos. Der Weg wird Nicht-Weg, das Tor Nicht-Tor; Nicht-Denken und auch Nicht-Nicht-Denken ist das Absolute.Ga naar voetnoot3) ‘Wie hat man ein (sehendes) Auge bei einer Frage? Blind’.Ga naar voetnoot4) Wer denn auch beim Bogenschiessen das Ziel anvisiert, macht es verkehrt; nicht das ‘Zielen’, sondern die vollkommene Absichtslosigkeit ist das Geheimnis. d) In diesem System ist Logos machtlos; die Uebertragung der Wahrheit wird denn auch durch Sigê vermittelt. Ist ein Patriarch ans Ende seiner Wirksamkeit gekommen, dann überträgt er seine Lehre auf seine Lieblingsschüler, mündlich, nicht schriftlich. Der schriftliche Nachlass besteht höchstens in 10-20 Sätzen, die jedoch symbolisch gemeint und paradoxal verkleidet sind, und bei denen man ‘zwischen den Zeilen’ lesen muss um die Wahrheit zu erfassen. Auch in der gewöhnlichen - vorbereitenden - Lehrtätigkeit wird das Paradoxon gebraucht; der Lehrer spricht, der Schüler fühlt, dass da etwas ‘hinter’ seinen paradoxalen Worten steckt, und hat dann einige Tage lang darüber nachzudenken, in der bekannten Versenkungshaltung niedergekauert.Ga naar voetnoot5) Die Lehre ist nur der Finger, | |||||||||||||||||
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der auf die Wahrheit hinweist,Ga naar voetnoot1) darum ist die Beschäftigung mit dem Paradoxon denn auch stets vorläufig, propädeutisch; nach Nantô und Nange (Lösung und Verständnis der schwierigen Probleme) kommt Kôdjô (übergegensätzliche Probleme).Ga naar voetnoot2) e) So kommt - und zwar in einem erfahrungs-erkenntnis-theoretischen Sinn - der Gedanke einer ‘via media’ auf, in der die Wahrheit liegt; oder die These einer Versöhnung zwischen Unklarheit (als Urquell aller Irrtümer) und Nirwana; oder auch die Unterscheidung von a) das ‘Nichts’ als Thesis (Vernichtung alles Individuellen), b) die ‘Scheinbarkeit’ als Antithesis (Relativität des Dies und Das) und c) die ‘Mittelheit’ als Synthesis (Uebergegensätzlichkeit).Ga naar voetnoot3) f) Auf symbolische Weise wird dieser Entwicklungsgang abgebildet. Dabei macht man von dem Yangstrich (-) und dem Yinstrich (- -) Gebrauch. Der erste ist ein Ganzes, der zweite unterbrochen; darum ist der erste ein Zeichen des Höheren, der zweite des Geringeren. Weil die Leerheit das Wesentliche, Wirkliche, Wahre, das Ding an sich, das Kräftige ist, wird diese mit all ihren Attributen durch den Yangstrich dargestellt; der Yinstrich dagegen bedeutet das Gestaltete, denn das ist die untere Stufe des noch in Gegensätze gefassten Lebens, das ist die Besonderung, die Wirkung, das Vordergründige, die Erscheinung, das Schwache.Ga naar voetnoot4) Nun kann also die erste Entwicklungsstufe durch das Zeichendargestellt werden; dadurch wird gezeigt, wie der Anfänger für die unio mystica empfänglich wird. Man versteht diese Symbolik, wenn man vom Trigramm des Leuchtenden ausgeht: ; hier ist der Yangstrich (das Himmlische, Wahre, Ueberindividuelle, Uebergegensätzliche) nach oben und nach unten aus dem Yinstrich des Körperlichen, Individuellen heraus- | |||||||||||||||||
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getreten. Wird also der Yinstrich nach unten gebracht:
, dann bezeichnet das, dass der Anfänger noch in den Quellen seines Daseins an das Körperliche gebunden ist; aber das Schwache (die unterbrochene Linie) öffnet sich, sachte kann das Wesentliche bei ihm eindringen. Mit diesem Entwicklungsgrad korrespondiert nun das Meditationsbild vom Kreis, der halb weiss, halb schwarz ist (weiss entspricht dem Yinstrich, schwarz dem Yangstrich). Das Gesamtblid der ersten Stufe ist also: . Der Kreis bedeutet, dass wohl noch Schwachheit vorhanden ist (Besonderung, Individualität), aber darüber ist doch schon Platz für das Wesentliche, für die Kraft des Ueberindividuellen, Uebergegensätzlichen. Diese erste Stufe wird geheimnisvoll angedeutet in der ersten Stufe des in 5 Hymnen die 5 Stufen bezeichnenden Problems von Rjôkwai von Tôsan (807-869 n. Chr.): Zur dritten Nachtzeit oder zur ersten Nachtzeit,
[bevor der Mond leuchtet,
Da ist es nicht verwunderlich, wenn einander
[Begegnende sich nicht erkennen,
Und doch bleibt, verborgen, eine Spur des vergangenen
[Tages erhalten.Ga naar voetnoot1)
Die erste Zeile bedeutet die Nacht der Kontemplation; es ist für den Schüler noch dunkel, der Mond der Wahrheit ging noch nicht auf. Darum verschwinden wohl alle individuellen Unterschiede der Erscheinungswelt (2. Zeile); aber zum Durchbruch kam es noch nicht; das vorausgegangene Leben wirkt noch nach (3. Zeile). Darnach folgt jedoch die 2. Stufe. Sie verhält sich der ersten gegenüber antithetisch; die erste war ‘Besonderung (Individuation) im Wesentlichen,’ die zweite wird ‘Wesentliches in der Besonderung’. Dieser Gegensatz nun spiegelt sich wieder im Symbol ab. Alles wird umgekehrt; das | |||||||||||||||||
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oberste Symbol wird nun
, um auszudrücken, dass jetzt in die Quellen des Daseins (das unterste) das Kraft-Element eingetreten ist (die ununterbrochenen Yangstriche) und dass nun von dieser Tatsache aus der Yinstrich der noch zurückbleibenden Schwachheit und Gegensätzlichkeitsempfindung richtig erkannt werden kann. In der Kreisfigur macht auch alles eine Umdrehung: das Schwarze (die Kraft) kommt nun unten, das Weisse oben zu liegen. Diese zweite Stufe wird wieder in einem Geheimwort ausgedrückt: Eine alte Frau, die den Morgen versäumte, steht
[dem uralten Spiegel gegenüber.
Sie spiegeln sich widerGa naar voetnoot1) in völliger Klarheit,
[da ist kein Wirkliches mehr.
Lass davon ab, schon wieder den Kopf zu verlieren
[und Schatten zu ‘erkennen’.
Das heisst: nach der Nacht der Kontemplation kommt der Tag mit seiner Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit wieder; wie ein Spiegel und der Gespiegelte Gegensätze sind, so verhält es sich am Tage auch für den Menschen; aber er, das Spiegelbild, sowohl als der Spiegel selbst, sind auf der 2. Stufe ‘alt’: die Kontemplationsarbeit der ersten Nacht ist glücklich überstanden (1. Zeile). Darum stehen Spiegel und Gespiegelter wohl einander gegenüber (Gegensätze), aber das ist doch keine Wirklichkeit mehr: die Verschiedenheit ist eigentlich schon im Prinzip aufgehoben (2. Zeile). Darum darf der Schüler sich auch nie mehr weismachen lassen, dass Spiegel und Abgespiegelter, oder auch Abbild (‘Schatten’) und Urbild Gegensätze sein würden: sie sind identisch (3. Zeile). Jetzt kommt die 3. Stufe. Hier ist der Schüler zu ‘dem | |||||||||||||||||
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Wesentlichen’ durchgedrungen; deshalb kann der Yangstrich dominieren und das Trigramm kann zu einem Hexagramm werden. Aber beim Eintreten in diesen neuen Zustand von Kraft ist der Schüler noch relativ schwach; er ist zu vergleichen mit einem Balken, der wohl stark ist, aber sich noch durchbiegen kann; er weist unten und oben noch schwache Stellen auf (Yinstrich). Wir bekommen also dieses Bild:
. Und dem entspricht das Meditationsbild: Der Kreis zeigt nach der Peripherie zu noch das Weisse (Schwäche), aber der Kern ist bereits schwarz (Kraft); das Ganze wird also nun so: . Jetzt ist der Schüler im ‘(leeren) Nichts’, d.h. in dem Zustand, wo er ganz ‘leer’ von den Gegensätzen in Denken und Willen ist (und also zum Wesentlichen kommt, zur Wahrheit, zum Yangstrich). Aber das ‘leere Nichts’ ist noch blosse Vorstufe; der Weg zu dem ‘vollendeten Nichts’ muss nun noch gefunden werden. Dieser Charakter der Vorläufigkeit des ‘leeren Nichts’ wird so ausgedrückt: Es gibt inmitten des Nichts einen Pfad, der aus
[dessen Staub heraus führt.Ga naar voetnoot1)
Wahrlich, denn er macht unfähig, gegen gültiges
[Gesetz zu verstossen;Ga naar voetnoot2)
Und er macht auch überlegen dem zungenschneidenden
[Rhetor aus der letzten Dynastie.
Ist das ‘leere Nichts’ eine Vorstufe, dann muss man sie verlassen; denn das ‘leere Nichts’ ist wohl Gleichheit, durch Verbindung der Gegensätze, aber auf dieser Stufe ist das noch eine blosse Abstraktion (1. Zeile). Nicht nur passiv soll der Schüler die Gegensatzlosigkeit erleben, sondern auch aktiv die Gegensätze wieder zu einer posi- | |||||||||||||||||
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tiven Einheit verbinden (im ‘vollendeten Nichts’); darum muss man den in der 1. Zeile angewiesenen Pfad betreten; dann wird man absolut frei und hat kein geschriebenes Gesetz mehr nötig (2. Zeile); instinktiv wird nun recht gehandelt. Man ist nun über das armselige, alles in Gegensätze fassende Wort hinausgehoben, und braucht es also nicht mehr zu machen, wie der Vater, der die Zunge seines Sohnes verwundete, damit dieser nicht, wie der Vater selbst, wegen seiner Worte vom Kaiser getötet werden sollte (3. Zeile). M.a.W.: der Konflikt zwischen Wort und Wort, zwischen These und Antithese, ist nicht beseitigt durch Aufopferung der Thesen zu Gunsten der Antithesen, oder umgekehrt; nein, man ist dem Niveau, auf dem die Zunge noch zu beschneiden wäre, ‘überlegen’. Die 4. Stufe bildet wieder einen Gegensatz zur 3., wie die 2. zur 1. War die 3. ein ‘Heraustreten’ (nämlich aus dem leeren Nichts, der blossen, abstrakten Gleichheit), so ist die 4. eine Ankunft (nämlich in Kreuzung oder Vereinigung):Ga naar voetnoot1) Die zwei gekreuzten Schwertklingen dürfen
[nicht getrennt werden.
Ein starker Arm is ja wie Lotos im Feuer;
Er trägt in sich den Geist, der kühn zum
[Himmel stürmt.
Der durch die 3. Stufe gegangene Mensch lernte instinktiv recht tun; deshalb ist er jetzt imstande, heilend auf die Welt einzuwirken; er kann und muss sich darum auch nun aus der Kontemplation heraus zum bunten Leben wenden und die Schwerter von Gleichheit und Verschiedenheit, von Kontemplation und Aktivität, von Selbsterhaltung und Welterhaltung für die Dauer verbinden (1. Zeile). Nirwanaverlangen und Mitgefühl mit dem Schmutz der Welt verbinden sich; nicht der Lotos im Wasser, der verwelkt, sondern der im Feuer, der unverwelklich ist,Ga naar voetnoot2) | |||||||||||||||||
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stellt das Bild des Menschen der 4. Stufe dar (2. Zeile). So wird er zu einem Erlöser anderer, zur patriarchalischen Figur, zum Retter, der zum Himmel weist und hinaufträgt (3. Zeile). Darum ist sein Hexagramm denn auch ein Zeichen der Harmonie der Gegensätze:
; es ist die Umkehrung vom Hexagramm der 3. Stufe; denn die Kraft (2 Yangstriche) tritt jetzt oben und unten auf; das Wesentliche, das Uebergegensätzliche hat also die Individualität des Yinstriches ganz und gar umschlossen. Und das Meditationsbild kehrt denn auch das Schwarze nach aussen; das Ganze wird also: . So wird schliesslich die 5., letzte Stufe erreicht. Das Bild wird nun so: . Man sieht hier unmittelbar, dass das Trigramm des Leuchtenden, wovon wir bei der Erklärung oben ausgegangen sind, ( ), hier einfach verdoppelt ist; denn der Schüler ist nun zum ‘vollendeten Nichts’ eingegangen, worin alle Leerheit und Abstraktion einer konkreten, positiven Erfüllung mit dem Wesentlichen, Wahren, Uebergegensätzlichen Platz macht. ‘Die starken Striche treten zugleich im Inneren wie im Aeusseren auf, die schwachen Striche sind eingebettet in ihren Zusammenhang,.... Nirvāna und Wandelwelt sind eins geworden.’Ga naar voetnoot1) Die Gegensätze haben einander vollkommen durchdrungen. Das Meditationsbild zeigt in Uebereinstimmung damit, dass sich nicht mehr Weiss oder Schwarz nach oben oder unten in Gegenstellung befinden (1. und 2. Stufe), denn sie reichen beide sowohl nach oben als nach unten, sowohl nach Alltag als nach Nirwana; sie stehen auch nicht mehr zueinander in einem Verhältnis der gegenseitigen Verdrängung, des Kampfes um den Platz im Zentrum oder an der Peripherie (3. und 4. Stufe), sondern sie berühren beide sowohl das Zentrum | |||||||||||||||||
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als die Peripherie. Es ist vollkommene Einheit vorhanden, alle Gegensätze sind zur Einheit verschmolzen, die coincidentia oppositorum ist permanent geworden. Wer kann mit dem Eins werden, der weder hinneigt
[zum Sein noch zum Nichtsein?
Wer alle weltlichen Ströme überschritten zu
[haben wünschte,
Der fände sich wohl zum Ausgangspunkt zurück
[und sässe inmitten seiner Kohlen.
Keine einzige ‘Seite’ des Lebens wird mehr bejaht auf Kosten der anderen, die dann verneint werden würde (1. Zeile). Darum soll auch kein ‘Jenseits’ auf Kosten des ‘Diesseits’ begehrt werden (2. Zeile), denn der Weise kehrt nach all den Uebungen zu seinem Ausgangspunkt zurück, d.h. zu dem Schmutz und Kot (Kohlen) des Alltags (3. Zeile). Er ist ein anderer Mensch geworden, aber er kehrt mit seiner Absichtslosigkeit und Uebergegensätzlichkeit wieder auf die Erde zurück; er weiss, dass vom Absoluten aus gesehen, der von ihm vollbrachte Kreisgang wertlos war, und doch auch wichtig, denn er ist mit Buddha eins geworden und weiss das. g) Diese interessante Uebersicht, entlehnt von Ôhasama-Faust und Rousselle, zeigt also, dass die Paradoxie des Zen-Buddhismus einem Gedankenkomplex entsprungen ist, der genau auf der entgegengesetzten Seite vom (nach-) kierkegaardschen System liegt. Paradoxie setzt bei Kierkegaard einen Kontrast zwischen ‘oben’ und ‘unten’, Ewigkeit und Existenz, voraus und fordert eine ununterbrochene Leidenschaft, das Eine zu sehen, wie auch das Andre, in ihrem radikalen Anders-Sein. Hier jedoch ist die Paradoxie ein technisches Hilfsmittel um zu einem Zerbrechen dieser Leidenschaft, zu ihrer Verspottung, zum völligen Verwischen des Kontrastes zu kommen. Weder Krisis noch Diakrisis werden hier im Paradox gesehen; man sieht darüber hinaus und hinweg, sie müssen verschwinden. Darum können wir jetzt, nach dem unter d) Gesagten, weiter kommen, als es unter b) möglich war. Dort haben wir vorläufig die Paradoxie im Zen-Buddhismus als eine | |||||||||||||||||
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Mischung der Paradoxie des Typ I und der des Typ III bezeichnet. Aber jetzt bemerken wir, dass diese vorläufige Rubrizierung unvollständig ist. Nannten wir (Kap. II. § 3) Typ I obstruktiv, Typ II destruktiv, Typ III konstruktiv für das ‘spekulierende’ Denken, so können wir jetzt das buddhistische Paradox ihnen gegenüber als einen Typ IV abgrenzen, weil es ein Meilenstein ist auf dem Weg zur Strukturlosigkeit des Denkens (und Empfindens). Typ IV ist ebenso wie Typ I ein Moratorium für den Denker, aber dann so, dass I die Jagd nach der Struktur, IV die Jagd nach der Strukturlosigkeit zu einem Aufenthalt zwingt. Im Typ IV wird ebenso wie im Typ II eine ‘Krisis’ über das existentielle Denken vollzogen; aber so, dass II mit dem Kerygma der Leidenschaft, und IV mit dem der Leidenschafts- und Absichtslosigkeit zur Existenz zurückkehrt. Typ II verdammt die Existenz also, weil bei ihm vorausgesetzt wird, sie besitze als Krankheitskeim eben dasselbe, womit IV sie zuletzt als mit der einzigen Medizin segnen will. Typ II und IV verurteilen beide die Naivität und die Intuition innerhalb des anfänglich gegebenen status quo des menschlichen So-Seins, aber dann so, dass Typ II Naivität und Intuition in dem uns aus Kap. II, § 1 bekannten, immer wiederkehrenden ‘Augenblick’ unter demselben Urteil stehen sieht, worunter nach ihm auch alle Reflexion und Meditation beschlossen ist; Typ IV dagegen verurteilt Naivität und Intuition nur in dem status quo des noch ungeübten gegensätzlich gefassten und fassenden Lebens, aber später werden bei ihm Naivität und Reflexion in der mystischen Uebung miteinander verbunden, und in der 4. und 5. Stufe wird sogar eine gesteigerte Reflexion mit einer völlig autarken Naivität vereinigt, nämlich in dem Geübten, der durch den ‘Augenblick’ des Wahrheits-Schocks hindurchgegangen ist. Und endlich: Typ III und IV führen beide das Denken durch den Widerspruch zum ‘Richtigen’; aber so, dass III den aus den enantiologischen Elementen gewonnenen Einheitsbegriff fiktiv, diese Elemente selbst | |||||||||||||||||
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dagegen reell nennt, während IV diese Elemente als fiktiv sehen, aber die gewonnene Einheit als höchste Realität, als Buddha, anerkennen lehrt. Denn wer in das ‘vollendete Nichts’ gekommen ist, der kam in das Nirwana, dies aber tut sich jetzt auf als das ‘unmittelbare Diesseits’.Ga naar voetnoot1) Er ist jetzt vom Buddha erfüllt, ist mit ihm eins geworden und weiss, dass alles wahr ist und auch nichts. Er ist über ‘ja’ und ‘nein’ erhaben: ‘Mumon Kwan’ - d.h. ‘Tor des Nicht-Tores’ (1228).Ga naar voetnoot2) Abendländer tun gut daran nicht zu vergessen, dass diese Uebergegensätzlichkeit kein ‘abstraktes’ philosophisches Theorem ist, sondern das Leben, in seinen grossen Entscheidungen, auch über Tod und Leben, beherrscht. Ein Soldat, der noch die Frage von Tod oder Leben stellte, ehe er in die Schlacht hinauszog, bekam von einem Zen-Lehrer zur Antwort: ‘Das eine Schwert blinkt schauerlich am Himmel, wo die zwei Gegensätze zerschlagen wurden.’Ga naar voetnoot3) Dieser Uebergegensätzlichkeitsgedanke beherrscht eigentlich das ganze Leben, das ja doch in all seinen Aeusserungen tausendmal stärker von der religiösen Ueberzeugung getragen wird, als es im Westen auch nur vermutet werden kann. Malkunst, Ritterspiel, Schauspiel, Blumenstecken, Tuschmalerei, Bogenschiessen - so etwas heisst im Westen ‘l'art pour l'art’ oder Expressionismus | |||||||||||||||||
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oder Zeitvertreib oder Zierkunst oder Sport oder etwas anderes. Hier ist es Religion und das Uebergegensätzlichkeitsdogma, das sich dem Einzelnen nur in Erfahrung zu erleben gibt, (um dann zugleich aufzuhören ‘Dogma’ zu sein), beherrscht alle diese Lebensfunktionen bis an die Wurzel.Ga naar voetnoot1) h) In diesem Schema kann man denn auch das paradoxale Verfahren nicht mit einer bestimmten Formel kennzeichnen. D.T. SuzukiGa naar voetnoot2) unterscheidet in der Zenistischen Lehrmethode die verbale von der direkten Methode, und rechnet zu der ersten: 1.) Paradox; 2.) das Verlassen der Ebene der Gegensätze, ‘going beyond opposites’; dies wird dann von ihm mit der mystischen ‘via negationis’ verglichen (somehow!);Ga naar voetnoot3) 3.) Kontradiktion (der Lehrer verneint, implicite oder mit klaren Worten, was entweder er selbst oder ein anderer konstatiert hat); Ja und Nein wechseln also einander ab; 4.) (eine bestimmte Form von) Affirmation (scheinbar unsinnige affirmative Aussprüche, so z.B. wenn der Lehrer auf eine Frage, was Buddha sei, antwortet: I know to | |||||||||||||||||
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play the drum, rub-a-dub, rub-a-dub).Ga naar voetnoot1) Der Zweck dieser Lehrmethode ist, darzustellen, dass schliesslich alle Spekulation, die ja doch auch noch immer in Negation, Paradox, Kontradiktion, Affirmation mitspricht, aufhört; 5.) Wiederholung, Repetition (der Lehrer wiederholt die Worte des Schülers um ihn verstehen zu lassen, dass Worte eines anderen ihm nichts helfen, dass sein eigener Geist die Wahrheit aus sich selbst finden muss, sich selbst zum Echo werden muss); 6.) Exklamation (der Lehrer lässt nun alle Worte weg, gibt einen unartikulierten Schrei von sich, wie Kwan, Kwatsu, und begleitet diesen Ausruf zuweilen mit einer Ohrfeige oder einer anderen unerwarteten Gebärde, um so den Schüler in einem Schreckensmoment akut in die Wahrheits-Schau zu versetzen.Ga naar voetnoot2) In diesem Schema herrscht also der Grundgedanke aus dem Problem von Hekigan-Loku, Nr. 3, vor: ‘was “so” ist, das ist wahr; was nicht “so” ist, das ist ebenfalls wahr; .... was “so” ist, das ist unwahr; was nicht “so” ist, das ist ebenfalls unwahr’.Ga naar voetnoot3) Wenn nur diese allgemeine Theorie dem Schüler beigebracht wird, so gibt die pädagogische Tätigkeit unendlich vielen Schattierungen Raum. Im allgemeinen ist die Bejahung eine ‘Freilassung’, die Verneinung eine ‘Festhaltung’, die Ueberwindung des Gegensatzes beider die Förderung des Schülers zu hoher Einsicht.Ga naar voetnoot4) Ein Ding heisst erst A, dann nicht A, darnach sowohl A, als Nicht-A, endlich weder A, noch Nicht-A.Ga naar voetnoot5) i) Weil es hier auf keinerlei Dialektik oder Logik ankommt, sondern eben auf deren Ueberwindung, ist in diesem System das Wort ‘Gegensatz’ immer cum grano salis zu nehmen; man muss es von aller wissenschaftlich-logischen Bestimmung | |||||||||||||||||
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frei halten. Die vom Schüler zu überwindenden Gegensätze können durch die Schulformel von A und non-A, aber auch durch die Symbole von Rinderkopf und Pferdekopf ausgedrückt werden;Ga naar voetnoot1) ‘Gegensatz’ wird hier nahezu identisch mit ‘Differenzierung’. Auch kann die Beziehung Urbild-Abbild damit gemeint sein,Ga naar voetnoot2) oder die von oben und unten, von Ursache und Wirkung, von Position und iuxta-Position usw.; darum hat der Turm der Wahrheit denn auch keine Fugen; und dieser fugenlose (wörtlich nahtlose) Turm liegt ‘im Süden von Schô und im Norden von Tan’; bedenkt man, dass Schô im Süden von Tan gelegen ist, dann kann man sagen, dass der Turm südlich von München und nördlich von Berlin liegt: nirgends im Raum.Ga naar voetnoot3) j) So ist diese Paradoxenjagd eigentlich das wichtigste Lehrmittel der resolutesten und radikalsten Paradoxenflucht, die die Welt je gekannt hat. Hier gilt die Regel: das Paradox um das Nicht-Paradox, das Ueber-paradox, das Ueberdoxale überhaupt. B. Ein kurzes Wort möge noch über die indische Mystik folgen. Insofern diese buddhistisch ist, unterscheidet sie sich von der nördlichen (China und Japan) auf allerlei Weise, weil der Typus der indischen Religion ein ganz anderer ist.Ga naar voetnoot4) Und dazu kommen dann noch die vielen anderen Formen von Religion, die im Sammelnamen Indien einbegriffen sind. Wir können hier nur einige kurze Bemerkungen geben; mehr wagen wir nicht wegen der grossen Vorsicht, die einem Teil der bestehenden Literatur gegenüber geboten ist. a) Die vedische Literatur spricht gleichfalls wiederholt in Paradoxen. So wird das Symbol von einer Kuh ge- | |||||||||||||||||
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braucht, die mit ihrer Milch identifiziert wird,Ga naar voetnoot1) oder das Lehrbild von einem Kalb oder von Kindern, die ihre eigenen Eltern erzeugen,Ga naar voetnoot2) von Agni, der in seinem Alter jung heisst,Ga naar voetnoot3) oder das Gleichnis von einer ‘Hülle’, die ‘ruht’ und ‘geht und leckend isst’,Ga naar voetnoot4) von Zauberkohlen, die ‘versengen,.... obwohl sie kalt sind’.Ga naar voetnoot5) Aber dergleichen Paradoxa in Symbolen oder Gleichnissen haben mit der Paradoxie der Wahrheit ebenso wenig etwas zu tun, wie das ἀϱνίον ἑστὸς ὡς ἐσφαγμένον in der Apokalypse des Johannes.Ga naar voetnoot6) b) Von grösserer Bedeutung ist es, dass die Vedantaphilosophie der Brahmanen, ebenso wie die buddhistische, Kontemplationsübungen kennt, und darin ebenfalls begehrt zur ‘Einheitsschau’ kommen zu lassen. Auch hier muss das Viele zu Einem werden und alle Andersheit als Entgegengesetztheit verschwinden, auch hier wird der Satz des Widerspruches ausgeschaltet und tritt die Identität der Gegensätze auf. Und auch hier läuft der Prozess auf eine Identifikation des Schauenden mit dem Geschauten hinaus.Ga naar voetnoot7) Auch hier heisst (bei Sankara) Gott das ‘Ganz-Andere’, ‘vor dem die Worte kehren um’,Ga naar voetnoot8) aber zu- | |||||||||||||||||
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gleich wird diesem ‘Ganz-Anderen’ alle ‘Krisis’-Kraft abgesprochen, weil die ‘Durchbruchs’-Theorie (vgl. den psychischen Schock beim Zen-Schüler) auch hier wieder auf die These der Empfindung von Gemeinsamkeit mit Gott hinausläuft.Ga naar voetnoot1) Die Einheit Atmans mit Brahman führt auch hier zur Verwerfung des ‘Unterschieds-Wahnes’.Ga naar voetnoot2) ‘Trug schaut, wer Zweitheit schaut’.Ga naar voetnoot3) c) Ohne nun weiter auf die vielen sehr weit auseinandergehenden Schulen, die hier Aufmerksamkeit erfordern, einzugehen, konstatieren wir nur, dass auch hier Verwandtschaft mit der Problemstellung des Buddhismus vorhanden ist, und darum auch Anlass für parallellaufende Paradoxie. Diese Parallelie braucht nicht geleugnet zu werden mit der Bemerkung, der Buddhismus kenne keinen Brahman (All-Stoff) und keinen Atman (Ich-Stoff), und verneine damit die beiden Pole, zwischen denen die Mystik sich zu bewegen pflegt.Ga naar voetnoot4) Denn hier wird vergessen, dass in einer Religion, die prinzipiell, in ihrer Lehre, für die Einheitsschau in so radikalem Sinn, wie wir sie oben auftreten sahen, Platz macht, dass da dieses ‘sich bewegen’ zwischen den genannten ‘Polen’Ga naar voetnoot5) aufhört ein | |||||||||||||||||
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konstitutives Element in der Mystik zu sein, weil es ja dazu bestimmt ist, überwunden zu werden. In dieser Einheitsschau selbst sehen wir denn auch lieber das tertium comparationis, oder genauer gesagt: in dem Platz-Machen dafür. So ist zugleich klar, weshalb uns bei aller Anerkennung der reichen Pluriformität der indischen Religion, dennoch die Frage ihrer Paradoxie nicht länger aufzuhalten braucht, nämlich weil diese auch hier, eben durch das prinzipielle Platz-Machen für die Einheitsschau, nie radikal, nie metaphysisch, nie erkenntniskritisch, sondern allein technisch-mystagogisch sein kann. C. Vielleicht dürfen wir hier warnen vor zu schnell gezogenen Parallelen mit dem Christentum, auch mit Eckart, Suso und anderen. Otto hat solche (hauptsächlich formale) Uebereinstimmung aufgezeigt, aber daneben auch ausdrücklich einen materiellen Unterschied sehen lassen. Doch besteht, auch bei ihm, die Neigung, diese Unterscheidung zwischen formaler und materieller Analogie nicht ganz konsequent ins Auge zu fassen. Suzuki, der vom Buddhismus ausgeht, findet gleichfalls Parallelen zwischen zenistischer Mystik und Eckart, auch betreffs des Paradox.Ga naar voetnoot1) Und, um nicht mehr zu nennen, Krishnamurti hat in Ommen behauptet, zwischen Anker Larsen (der als Gast in Ommen anwesend war) und ihm selbst sei u.a. die Erfahrung von ‘completeness’ gemeinsam, d.h. ein Zustand von ‘Vollständigkeit’, worin sie beide, der Abendländer und der Morgenländer, ausser- und oberhalb aller Phasen von Gegensatz (z.B. von Tilgung oder Fortbestand der menschlichen Persönlichkeit, oder von Subjekt und Objekt usw.) stünden.Ga naar voetnoot2) Hier ist grosse Vorsicht am Platz. Westen und Osten liegen weit auseinander, lagen es auch in den Tagen von | |||||||||||||||||
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Ummon und Eckart. So wie ein Europäer Ummon nicht versteht, es sei denn, dass er ‘in des Dichters’ Land gegangen ist, ebenso wenig ist Eckart für den Morgenländer (sogar auch für einen Abendländer) zu verstehen, auch in seiner Mystik nicht, sogar in ihrem ‘formalen’ Schematismus nicht, wenn man nicht z.B. die ganze Dogmatik der Scholastik kennt und in Rechnung stellt. Solange noch die Logoslehre des Christentums eines von seinen ‘mystischen’ Kindern auch nur mit einem einzigen Faden an sich fesselt, wird zwischen ihm einerseits und dem Proselyten der Sigê, dem meditierenden Empfänger des ‘puer aeternus’ des ewigen KindesGa naar voetnoot1) andererseits, ein auch methodischer Unterschied bestehen bleiben. Auch in den ‘Formen’ und Voraussetzungen der mystischen Sprache und ‘Uebung’. Denn wer die christliche Mystik verstehen will, auch wenn sie noch so weit vom Katheder der Scholarchen abgeirrt ist, der muss hinter allen ihren Worten über ‘Verschmelzung’, ‘Einheit’ u.s.w. doch immer noch die grosse Problemstellung des Anselmus suchen: Cur deus homo? Zugegeben sei, dass alle ‘Jesus-Mystik’, die ‘Jesus’ nicht in Uebereinstimmung mit den Dogma als ‘Christus’ sieht, auf einen Bruch mit den Scholastikern, den Dogmatikern des Christentums, hinauslaufen muss. Aber damit ist sie in ihren Methoden noch nicht mit der Uebergegensätzlichkeit des Buddhismus oder anderer östlicher Religionen versöhnt. In diesem Buddhismus ist ja doch der ‘puer aeternus’ nie ‘sarx’, nie ‘ensarkos’ geworden, es sei denn in allen. In einem Menschen nicht. Im Christentum ist der ‘puer’ nie aeternus; das ist allein der Sohn, ‘agennêtos’. Und der puer Jesus ist wohl eins mit dem Sohn und kann wohl zum sponsus werden und die Mystik des Christentums kann ihn wohl seiner anderen Attribute und seiner im Christusnamen bezeichneten Aemter entkleiden, und sie kann sich also wohl zu einer Heirats- und Einheitsverzückung zwischen sponsus und sponsa verführen lassen, - aber solange sie noch in diesem Geleise bleibt, hält | |||||||||||||||||
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sie in ihren Grundgedanken diese ‘Einheit’ doch innerhalb der Möglichkeiten, die Gott, transzendent, durch das Wunder im Logos ensarkos, im sponsus coelestis als Geschenk souverän gegeben hat. Mag auch die Mystik gegen diese Grundgedanken öfters sündigen, - es wird doch eine Inkonsequenz nicht zum Erklärungsprinzip eines Gedankensystems werden dürfen. Und ebenso wenig zu einem Vergleichsprinzip. Solang denn auch noch nur ein Schatten des Dogmas der Fleischwerdung Gottes über das Dämmer der christlichen Mystiker fällt, gibt es in den Prolegomena ihrer Mystik eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen und den Kindern des Ostens. Denn im Osten ist nicht die Einkehr des transzendenten Gottes zum Menschen, sondern die Rückkehr des Menschen zum nicht-transzendenten Gott der Ausgangspunkt der Gedanken. Mag denn bei beiden Paradoxie vorhanden sein - auf der einen Seite, beim Adepten und sogar noch beim mystischen Apostaten des Christentums wird das paradoxale Wort von innen herauswachsen und ihre Ohnmacht verraten, in Worten auszusprechen, wie die gratia specialis(sima) sich mit den kosmischen Urgesetzen verbunden hat; aber auf der anderen Seite wird das paradoxale Wort, das von aussen her (vom Lehrer) zum Schüler kommt, ihm Gelegenheit geben abzulehnen, dass überhaupt in die kosmischen Urgesetze je eine transzendente Hand wundertätig eingegriffen hat oder auch nur eingreifen konnte. So wird die christliche Mystik ihre Einheitsträume doch stets, wenn auch unbewusst, von den Gedanken an das Ganz-Andere beherrschen lassen, und dies dann personalistisch aufgefasst, (der Andere), während dort das Ganz-Andere ein Wort ist, das ‘die Weisen und Klugen’ den ‘Unmündigen’ nicht ‘offenbaren’, sondern gründlich abgewöhnen (cf. Mt. 11, 25). Kein Wunder, wo ‘all wise and loving souls must be said to be the embodiments of the Great Paradox of the universe’.Ga naar voetnoot1) | |||||||||||||||||
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Die mystische Paradoxie von Osten und Westen ist allzu oft für ein Vergleichsspiel benützt worden; aber dies dünkt uns schon von einem Gesichtspunkt ruhiger Untersuchung aus unverantwortlich zu sein. Freilich, nicht allein der Unterschied zwischen beiden Religionen kommt hier in Betracht. Denn wenn auch auf christlichem Boden ein bestimmter Typ von Mystik vom Christentum ganz und gar abgeglitten wäre,Ga naar voetnoot1) so bliebe doch noch der sehr grosse Unterschied zwischen östlicher und westlicher Kultur.Ga naar voetnoot2) Wir glaubten diese Bemerkung hier machen zu müssen, nicht kritisch, sondern rein referierend. Denn jetzt, wo die östliche Paradoxie mannigfach auf die Begriffsgeschichte des Paradoxon bei uns einzuwirken beginnt, greifen wir deshalb am Ende dieses Paragraphen umso mehr auf unsere anfangs gemachte Bemerkung zurück: hinter der westlichen und östlichen Paradoxie liegt eigentlich zweierlei Begriffsgeschichte. Würde man das vergessen, dann würde nicht die eine Begriffsgeschichte auf die andre einwirken, sondern die eine würde nur sich selbst fortsetzen - in ihren Schwachheiten, wohlverstanden.Ga naar voetnoot3) | |||||||||||||||||
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§ 6. Die Anknüpfung der dialektischen Theologie an Kierkegaard.1. Der um K. Barth, E. Brunner, F. Gogarten u.a. gebildete Kreis der sog. ‘dialektischen Theologie’ hat, besonders in seinem ersten Auftreten, aus der Paradoxalität der (Glaubens)wahrheit einen seiner Grundgedanken zu machen versucht. Wiewohl die historische Entwicklung dieser Theologie dazu geführt hat, dass ihre anfänglich betonte scharfe Paradoxie später in mancher Hinsicht abgestumpft worden ist, und obwohl mit Recht behauptet worden ist, dass die dialektische Theologie in ihrer jüngsten Form nicht mehr mit vollem Recht als ‘Theologie des Paradox’ charakterisiert werden kann,Ga naar voetnoot1) - so hat doch K. Barth in seiner jüngsten Dogmatik, nachdem er die Prolegomena seiner ‘Chr. Dogmatik’ (1927) zurückgenommen hatte (1932), das Paradoxon in dieser abgeschwächten Form nach dem Grundgedanken beibehalten. Wohl ‘dürfte es’, nach ihm, ‘sich empfehlen, von diesem Begriff.... in der Theologie nun wieder sparsameren Gebrauch zu machen’, aber er ist doch der Ansicht, dass der Begriff ‘seinen Dienst getan hat’ und bleibt dabei, dass ‘das Wort Gottes’ und nur das Wort Gottes ‘den Begriff des Paradoxons in ganzer Strenge erfüllt’. Was dies zu bedeuten hat, wird aus der Interpretation klar, die er jetzt von ‘einem Paradoxon’ | |||||||||||||||||
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gibt. Mit einer kleinen Modulation hält sie an der bereits oben von uns abgelehnten Auffassung fest, wonach δόξα seiner eigentlichen Bedeutung von ‘Meinung’ beraubt wird. ‘Ein Paradoxon ist eine solche Mitteilung, die nicht nur mittels einer δόξα, einer “Erscheinung” gemacht wird, sondern die παϱὰ τὴν δόξαν, d.h. in Gegensatz zu dem, was die Erscheinung als solche zu sagen scheint, verstanden sein will, um überhaupt verstanden zu werden.’ Barth findet also im Paradoxon noch immer einen ‘Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt’; dieser Gegensatz lässt sich in ‘allen anderen denkbaren’ ‘Paradoxa’ ‘von irgend einem überlegenen Standort aus’ auflösen, ist aber beim Wort Gottes absolut.Ga naar voetnoot1) Das Paradoxon ist eine Mitteilung, nicht eine peinliche Entdeckung auf dem spontan eingeschlagenen Denkweg und es muss selbst verstanden werden. Wie ernst es K. Barth hier noch ist, wenn er auch das Signal zu sparsamerem Gebrauch des terminus ‘Paradox’ gibt, kann offenbar werden, wenn er, einige Seiten weiter, zwischen Gestalt (welthafter Gestalt) und Gehalt (göttlichem Gehalt) des Wortes Gottes nicht nur einen Unterschied sieht, sondern diesen Unterschied bestimmt als Gegensatz betrachtet. ‘Das Koinzidieren beider’ (ein Koinzidieren also von etwas, das gegensätzlich einander gegenübersteht) ‘ist Gott, es wird aber uns nicht einsichtig. Was uns einsichtig wird, das ist immer Gestalt ohne Gehalt oder Gehalt ohne Gestalt. Wir können wohl realistisch oder idealistisch, wir können aber nicht christlich denken’.Ga naar voetnoot2) Eine Erwähnung der Paradoxie der dialektischen Theologie hat also im Rahmen unserer Uebersicht noch immer gute Gründe und dies nicht allein von historischem Gesichtspunkt aus, wenn auch zugegeben werden muss, dass die Begriffe sich allmählich ändern. | |||||||||||||||||
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2. Die dialektische Theologie hat sich, namentlich was das Paradoxon betrifft, wiederholt an Kierkegaard angeschlossen. Auch noch in ihrer soeben genannten jüngsten grösseren Publikation wird (betreffs des existentiellen Denkens) gegen eine Scheinberufung auf Kierkegaard zu Gunsten der eigenen Kierkegaard-Interpretation Stellung genommen,Ga naar voetnoot1) und so die eigene Verwandtschaft mit ihm noch stärker betont. Wir wollen darum einigen der wichtigsten Grundgedanken nachgehen, die Kierkegaards Konstruktion in Sachen des Paradoxes erklären, stützen oder begleiten. 3. a) Zuerst sein Verhältnis zu Hegel. Von Martensen in seiner Jugend auf Hegel (und Schelling) aufmerksam gemacht,Ga naar voetnoot2) hat Kierkegaard sich anfänglich von diesem beeinflussen lassen, so z.B. in dem Hervorheben des Denkens,Ga naar voetnoot3) in der Abkehr von der Romantik;Ga naar voetnoot4) daraus erklärt sich denn auch, dass Kierkegaards Dissertation in mehr als einer Beziehung Hegelsche Gedanken sprechen lässt.Ga naar voetnoot5) Dennoch wird gegen Hegel schon bald Stellung genommen; ebenso wie Bischof Mynster protestiert Kierkegaard dagegen, dass Hegels Dialektik mit ihrem später für die Geschichte des Marxismus so bedeutsamenGa naar voetnoot6) Schema von | |||||||||||||||||
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der These-Antithese-Synthese die Gegensätze des Denkens überwinden will.Ga naar voetnoot1) In diesem Punkt ist Kierkegaards Kritik unerbittlich; sie beherrscht bereits die Dissertation,Ga naar voetnoot2) bringt ihn zu Sympathiebezeugungen für Trendelenburg, den Hegelkritiker,Ga naar voetnoot3) und zu einem Einverständnis mit Schleiermacher (bei der Nachwelt als Kierkegaards grosser Antipode angesehen), soweit nämlich dieser Hegel gegenüber die Irrationalität der Religion in den Vordergrund bringt.Ga naar voetnoot4) Kierkegaards Opposition gegen Hegel ist tatsächlich gegen die ‘Philosophie’ gerichtet, gegen die Spekulation überhaupt; die Philosophie ist optimistisch, meint erkennen zu können, Logik treiben, ungebrochen denken zu können.Ga naar voetnoot5) Dem stellt Kierkegaard seine Auffassung vom Christentum gegenüber, das mit seinem tiefen Schuldbewusstsein allem optimistisch fortschreitenden Denken den Weg abschneidet und jede Illusion eines unmittelbar anwesenden und erkannten Gottes zerstört.Ga naar voetnoot6) Weil nun Hegels Logik und Geistesphilosophie eben in der Unterordnung des Gegensatzes (Anti-thesis) unter einen synthetischen Prozess von Selbstverwirklichung des Geistes den Gegensatz seines Schreckens beraubt und sich immer wieder in Synthesis auflösen lässt, darum kommt Kierkegaards Kritik nahezu auf dasselbe heraus, was Russell später Hegel vorwerfen sollte: ‘as | |||||||||||||||||
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for Hegel, he cries wolf so often that when he gives the alarm of a contradiction we finally cease to be disturbed’.Ga naar voetnoot1) Kierkegaard verzeiht es Hegel nicht, dass er den Gegensatz ‘mediiert’ hat in seinem ‘System’,Ga naar voetnoot2) dass er ‘keine berechtigte Inkommensurabilität annimmt’.Ga naar voetnoot3) Denn: ‘die Mediation ist eine Lufterscheinung, wie das Ich-Ich’.Ga naar voetnoot4) Das Christentum, dem Hegel in seinem monistischen System einen Platz sichern will, kommt denn auch nicht weiter als bis zur Religiosität A; B jedoch kann mit Hegels Dialektik nichts anfangen (vgl. Kap. II, § 1, 2).Ga naar voetnoot5) So werden bald die Gegensätze zwischen Hegel und Kierkegaard, wie dieser letztere sie sieht, (denn die Frage, ob er Hegel richtig interpretiert, kann in unserer Untersuchung ausser Betracht bleiben) deutlich umrissen. Hegel versöhnt Gott und Mensch, absoluten und endlichen Geist, und hebt also das Paradox sensu eminentiore auf; Kierkegaard jedoch lässt mit diesem letzten das Christentum stehen oder fallen.Ga naar voetnoot6) Hegel nimmt die Bewegung in sein logisches System auf, Kierkegaard macht ihm das Recht dazu streitig, denn die Logik, wenn sie sich ‘in die Konkretion der Kategorien vertieft, so stellt sie nur ins Licht, was von Anfang an war.’Ga naar voetnoot7) Kierkegaard beruft sich hier Hegel gegenüber auf Trendelenburg (eine Berufung a posteriori) und behauptet, in ein logisches System dürfe ‘nichts auf- | |||||||||||||||||
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genommen werden, was.... nicht gleichgültig gegen die Existenz ist’.Ga naar voetnoot1) So hält er entgegen Hegel an der formalen Logik fest, für sich selbst jedoch will er so die Bahn freihalten, worauf die ‘Existenz’ des wirklichen Menschen in seiner ‘Bewegung’ unter das mit aller Logik Spott treibende Paradox gestellt werden kann. Dieses setzt, wie wir bereits sahen, den Menschen in Not, weil seine ganze ‘Wirklichkeit’ sich nicht nur, subjektiv gesprochen, dagegen auflehnt, sondern auch, objektiv gesprochen, damit inkommensurabel ist. Darum hat Hegel nicht mehr als ‘Geschwatz’ geliefert, wenn er die Wirklichkeit die Wahrheit nennt.Ga naar voetnoot2) Nach allen Seiten spitzen sich also die Gegensätze zu. Während Hegel zum Kulturpantheismus kommt und die Religion in der Weltgeschichte ihren Ausgangspunkt nehmen lässt, und während sein monistisches System eine ‘durchgängige Kommensurabilität’ impliziert,Ga naar voetnoot3) und Religion umschreibt als ‘den Geist, der sich zu sich, aber zu seinem Wesen, dem wahren Geiste verhält, mit diesem ebenso versöhnt ist, sich in ihm findet’,Ga naar voetnoot4) sieht Kierkegaard die Welt im Argen liegen, lässt Gott nicht als Finder seiner selbst bei sich einkehren, sondern als Richter der Kreatur transzendent in die Welt hineinfahren und das Paradox dort aufstellen. Hegels Geistesphilosophie läuft auf eine Verherrlichung des Staates und auf eine Apotheose der Weltgeschichte hinaus; sie drängt darum das Individuum in den Hintergrund und versichert dann, dass ‘es ewig gesehen, sub specie aeterni,.... im reinen Denken und reinen Sein kein aut-aut gebe’.Ga naar voetnoot5) Aber Kierkegaard nennt | |||||||||||||||||
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das ganze Reden Hegels ‘von Prozess und Werden’ kurzweg illusorisch, klagt, dass es dem Einzelnen nichts zu geben habe, z.B. keine Ethik,Ga naar voetnoot1) und versichert, Hegels aut-aut-lose Abstraktionswelt interessiere ihn nicht; denn in der konkreten Existenz steht es anders: da ist die absolute Disjunktion zu Hause, da tritt das Ewige als die Zukunft, als das Zukünftige in der Existenz auf,Ga naar voetnoot2) und ist also ein absolutes aut-aut.Ga naar voetnoot3) Hegels Objektivierung des Weltgeschichtsprozesses hat, sagt Kierkegaard, den Einzelnen (man kann auch sagen: die Subjektivität) der Leidenschaft, des Interesses, der absoluten Entscheidung beraubt und uns tatsächlich nur die Skepsis übriggelassen.Ga naar voetnoot4) Das ist ‘ein metaphysisches Attentat auf die Ethik’.Ga naar voetnoot5) So kommt die Existenzfrage des Menschen in den Mittelpunkt der Debatten zu stehen. Wenn Hegel an deren Stelle ein logisches System bringt, so kann dieses Surrogat, sagt Kierkegaard, nicht helfen;Ga naar voetnoot6) Hegel hat nun einmal kein Auge für die Existenz gehabt.Ga naar voetnoot7) Der Gegensatz zwischen | |||||||||||||||||
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Hegels und Kierkegaards Dialektik kann unsrer Meinung nach nicht ganz scharf durch Przywaras Dilemma: einlinige Dialektik gegen Gesprächsdialektik typisiert werden; denn der erste Terminus ist undeutlich im Hinblick auf Hegel, der zweite unrichtig im Hinblick auf Kierkegaard. Aber Przywara typisiert doch wohl richtig, wenn er hier System-Geschichtlichkeit gegenüber Augenblicks-Geschichtlichkeit stehen sieht.Ga naar voetnoot1) Wir halten uns für der Aufgabe enthoben, diese Begriffe näher zu beleuchten, da von Kierkegaards Paradoxon bereits hieroben gesprochen wurde. Soweit der Begriff der Dialektik bei Hegel und der bei Kierkegaard einander berühren, würde man den Unterschied auch damit charakterisieren können, dass bei Hegel die Dialektik an die erste, bei Kierkegaard an die zweite Stelle kommt.Ga naar voetnoot2) b) Dieses Zurückweisen Hegels hat für die Ausarbeitung des ‘Existenz’ begriffes und für die ‘Dialektik’ bei Kierkegaard sogleich ihre Folgen. Hegel, so sagt Kierkegaard, poniert seine ‘Dialektik des Werdens’ so: ‘was im Werden die Alternation zwischen Sein und Nichtsein ist, (eine jedoch etwas undeutliche Bestimmung, insofern als das Sein selbst zugleich das Kontinuierliche in der Alternative [das Beharrende im Wechsel] ist), das ist später das Negative und das Positive’.Ga naar voetnoot3) Und jetzt treten in der nachhegelschen Periode, sagt er, ‘negative’ und ‘positive’ Denker auf. Die letzten halten sich für die Klügsten; sie danken ‘Gott und Hegel’, dass sie nicht sind wie ‘jene Negativen, sondern dass sie Positive geworden sind’. Aber - dies Positive betrifft, nach Kierkegaard, nur ein ‘fingiertes’ objektives Subjekt;Ga naar voetnoot4) und weil es - siehe | |||||||||||||||||
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unter a) - sich lieber um die Weltgeschichte, als um die eigene Existenz des Einzelnen kümmert, verläuft es sich in Spekulation über ‘das reine Sein’ und abstrahiert unablässig.Ga naar voetnoot1) Sich mit dem ‘reinen’ Sein zu beschäftigen, ist eben das dauernde Unglück der Spekulation überhaupt;Ga naar voetnoot2) anstelle des ‘Existierens’ interessiert sie nur das ‘Existierthaben’, ihr fortwährendes Zurückkommen auf die Geschichte bringt sie dazu, die Vergangenheit (das Existierthaben) lieber zu behandeln als die wirkliche Existenz; diese letzte wird bei ihr in ein ‘verschwindendes und aufgehobenes Moment im reinen Sein des Ewigen’ aufgelöst.Ga naar voetnoot3) Bei diesen sog. positiven Denkern und bei ihrer Spekulation und also auch bei der Religiosität A (worüber bereits gesprochen wurde und worin der Existierende noch nie mit seiner Existenz in die Not des Ewigen gebracht worden ist) tritt also das Geschichtliche an die erste Stelle. Der positive Denker stellt sich auf den Immanenz-Standpunkt, mit dem er nicht brechen kann.Ga naar voetnoot4) Weil dieser Standpunkt die Geschichte (auf Kosten der Existenz) in den Vordergrund stellt, heisst er bei Kierkegaard ‘objektiv’, denn er ist ‘gleichgültig’ gegenüber der ‘Existenz’.Ga naar voetnoot5) Während also das ‘positive Denken’ eitel Betrug ist, so steht es mit dem Denken der ‘Negativen’ doch etwas besser. Diese haben ja doch ‘beständig den Vorteil etwas Positives zu haben, das nämlich, dass sie auf das Negative aufmerksam sind’.Ga naar voetnoot6) Existenz ist beständig im Werden; in dieser Hinsicht ist also ‘das Negative im Dasein vorhanden’. Nun gilt es ‘demgegenüber’ (d.h. der im Dasein vorhandenen Negativität gegenüber) ‘als die | |||||||||||||||||
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einzige Rettung, beständig darauf aufmerksam zu sein’.Ga naar voetnoot1) Dieser Ausspruch verdient besondere Beachtung, denn was hier gesagt wird, ist der cardo quaestionis, es ist jedenfalls einer unter diesen cardines. Die hier gemeinten ‘Negativen’ werden von Kierkegaard natürlich nicht als eine Klasse von Denkern angesehen, die eine Hegel entsprungene ‘Schule’ bilden würden, welche ‘Schule’ dann das Pendant zu der anderen ‘Schule’ der Positiven sein würde; nein, auch hier bleibt er sich selbst treu, indem er von ‘Schulen’ nichts wissen will, und ebensowenig von ‘fertigen Resultaten’, von ‘Lehrern’ vorgetragen.Ga naar voetnoot2) Ebensowenig kann man aus diesem Passus schliessen, dass Kierkegaard das Hegelsche Positiv-Negativ-Schema aus seinem grossen geistes- und weltgeschichtlichen Zusammenhang loslöst, um es etwa in das individuelle Dasein zu transponieren; denn was er will, ist ja etwas wesentlich anderes: die ‘Negativen’ haben wohl ‘etwas Positives’ in ihrem Aufmerksamsein auf das Negative, aber dabei fehlt jeder Gedanke an irgendeine Synthese; ein sich entwickelnder Prozess wächst nicht daraus; die Dialektik, die hier in der Existenz auftritt, ist keine Lehre, schreibt keinen Sonderparagraphen in einer Theorie über die Dialektik der Existenz, sondern ihre einzige Funktion ist, pathetisch, paradoxal aufzutreten, in Leiden und Leidenschaft, im wirklichen Dasein, in der wirklichen Existenz. Wenn die ‘Negativität’ im Hegelschen Sinn wieder in ‘Positivität’ umschlagen und mittelst der Dialektik des Daseins wieder zu einer über diesen beiden gelegenen höheren Daseinsform hinaufgeführt werden würde, dann würde ipso facto der negative Denker den einzigen Vorteil, den er vor dem Positiven erworben hatte, wieder verlieren; dann würde ja auch er, wie der Positive, die Wunde, die die Negativität des Unendlichen in dem Dasein | |||||||||||||||||
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schlägt, wieder zuwachsen lassen; aber im Gegenteil, diese Wunde muss eben beständig offen bleiben. ‘Sein tägliches Leben in der entscheidenden Dialektik der Unendlichkeit zu haben und doch weiter fortzuleben: das ist die Kunst’. Keine ‘bequemen Kategorien’ für das tägliche Leben zu haben (und ebensowenig solche bequemen Kategorien zu machen aus Negativität und Positivität) - das ist das Geheimnis des negativen Denkers, der auf die Negation positiv aufmerksam ist und bleibt.Ga naar voetnoot1) In diesem Sinn meint Kierkegaard seine Behauptung, dass der subjektive existierende Denker die Unendlichkeit in seiner Seele hat, dass seine Form darum beständig negativ ist, dass seine Positivität in der fortgesetzten Verinnerlichung zu suchen ist, in welcher er vom Negativen weiss, und dass er also existierend beständig ebenso negativ wie positiv ist.Ga naar voetnoot2) Indem Kierkegaard auf diese Weise ‘negativ’ und ‘positiv’ in beständige Korrelation stellt, hat er also die Hegelsche ‘Negation der Negation’ prinzipiell beiseite geschoben und sowohl das Minus- als das Pluszeichen der Existenz radikalisiert.Ga naar voetnoot3) Und zugleich hat er diese beiden in dem (christlichen) Träger der Religiosität B konkret gemacht. Dieser nun ist der Einzelne. Die wissenschaftliche Formel dafür ist bei ihm die der Existenz-Dialektik. Was die Existenz betrifft, so ist diese ‘aus Unendlichkeit und Endlichkeit zusammengesetzt, der Existierende ist unendlich und endlich.’Ga naar voetnoot4) Bedenkt man, dass anderweitigGa naar voetnoot5) in der bewussten Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, die sich zu sich selbst verhält, das Selbst gesehen wird, welches hierin (in der Synthese nämlich) ‘konkret’ wird, dann ist die Opposition gegen den Hegelschen ‘Objektivismus’ wieder sichtbar. Noch deutlicher wird sie, wenn der Eros (Hesiodus) gleichfalls als Existenz und als | |||||||||||||||||
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Synthese des Endlichen und Unendlichen gesehen wird.Ga naar voetnoot1) ‘Eros’ nun ist ‘beständig strebend’; die Existenz also auch; mit einem perfectum quietivum kann man hier überhaupt nichts anfangen. Der Existierende steht ja in einem absoluten Verhältnis zu dem absoluten τέλος; die Existenz ist darum ein ‘fortwährendes Inzwischen’ (Streben!).Ga naar voetnoot2) Weil die Existenz mit ‘Abstraktion’ nicht arbeiten kann, so ist die Not ihr Medium.Ga naar voetnoot3) Es gibt im Existieren einen Bruch, nicht innerhalb der Immanenz (dann hätte sich Hegel und auch die Religiosität A wieder eingeschlichen), sondern mit der Immanenz.Ga naar voetnoot4) So kann hier die Religiosität B ihren Platz einnehmen und mit ihr wird jeder Rest von ursprünglicher Immanenz ‘vernichtet und aller Zusammenhang abgeschnitten’,Ga naar voetnoot5) ebenso wie jede Mediation.Ga naar voetnoot6) Denn nun ist das entstanden, was nach späterer Terminologie eine ‘Grenzsituation’ heissen würde.Ga naar voetnoot7) Hier taucht also das Motiv der Leidenschaft auf und zugleich das des Pathetisch-Dialektischen. Das Existentielle ist als solches pathetisch-dialektisch.Ga naar voetnoot8) In bezug auf das Pathetische muss scharf unterschieden werden. Es gibt ein ästhetisch-pathetisches Verhältnis, wobei das absolute τέλος das Individuum nicht ganz umbildet; das Individuum gibt hier sich selbst wohl auf, aber um sich in der Idee zu verlieren.Ga naar voetnoot9) Es hat seine Umbildung nicht dem Absoluten, sondern sich selbst zu verdanken, es bekommt wohl mit der Idee des Ewigen zu tun, aber das Ewige wird hier nicht geschichtlich, denn Gott kam | |||||||||||||||||
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hier nicht in die Zeit. Darum korrespondiert dieses ästhetisch-pathetische Verhältnis mit Religiosität A und auch mit der Spekulation.Ga naar voetnoot1) Mit der Religiosität B dagegen korrespondiert das existentiell-pathetische Verhältnis; hier wird nicht vom Ewigen, Absoluten gezeugt, sondern die Existenz selbst wird in ein Zeugnis davon verwandeltGa naar voetnoot2), und zwar in fortwährendem Leiden,Ga naar voetnoot3) dem wieder jeder Nebengedanke an den ‘reinen’ Menschen, oder an ‘Dichtung’ fremd ist,Ga naar voetnoot4) weil Gott in der Zeit aufgetreten ist und das Individuum nun verhindert, ‘sich rückwärts zum Ewigen zu verhalten’.Ga naar voetnoot5) Dieselben Parallelen zeigen sich beim Dialektischen. Stellte sich das Pathetische als eine Umbildung des Seins dar, als ein Alles-Wagen, so ist das Dialektische ein Wagen des Denkens, man wagt es, gegen den Verstand zu glauben.Ga naar voetnoot6) Man muss jedoch wieder unterscheiden zwischen einem ästhetisch-dialektischen und einem existentiell-dialektischen Verhältnis. Das ästhetisch-dialektische Verhältnis kennzeichnet sich dadurch, dass das Leiden, die Not, sofern sie darin auftreten, zufällig sind, d.h. nicht konstitutiv für das Existentielle, für das Verhältnis zur ewigen Seligkeit. Man kann denn auch (dialektisch) den hierbei auftretenden Schmerz in Freude verwandeln. So war es bei den Aposteln, nachdem der Sanhedrin ihnen Geisselschläge hatte geben lassen (Apostelgesch. 5, 41).Ga naar voetnoot7) Anders steht es jedoch mit dem ‘Pfahl im Fleisch’ (2. Kor. 12), von dem Paulus spricht. Die Geisselschläge, die die Apostel nach Ap. 5, 41 empfingen, waren ‘zufällig’; man kann sie im Verhältnis zur ewigen Seligkeit haben oder auch nicht haben. Aber Paulus' Pfahl in Fleisch gehört | |||||||||||||||||
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wesentlich zu dem gemeinten Verhältnis, jedenfalls nach Kierkegaard; die ewige Seligkeit selbst möge ohne Leiden sein, aber das Verhältnis des Existierenden zu ihr kann nicht ohne Leiden sein. Dieses Leiden kann auch nicht durch einen Trostgrund weggenommen, oder in Freude verkehrt werden, es ist wesentlich, nicht zufällig, denn es ist das existentiell-dialektische.Ga naar voetnoot1) Nicht etwas, das innerhalb des Gegebenen liegt, sondern der ganze Mensch, mit all seinen Gegebenheiten, tritt hier in das kritische Verhältnis. Darum wechselt der Ausdruck existentiell-dialektisch denn auch mit dem anderen: ‘paradox-dialektisch’.Ga naar voetnoot2) Diese zwei Formen des Dialektischen laufen dann wieder parallel mit Religiosität A und B.Ga naar voetnoot3) Das Pathos ist hier ‘geschärft’, a) durch das Sündenbewusstsein, b) durch die autopathische Kollision (die Möglichkeit des Aergernisses).Ga naar voetnoot4) So ist zu erklären, dass das Bild vom ‘Pfahl im Fleisch’ hier abwechselt mit dem anderen vom ‘Leck im Boot’.Ga naar voetnoot5) c) An diesem Punkt angekommen müssen wir eben stillstehen. Nicht um Kierkegaard zu kritisieren, sondern um, mit dem Blick auf seine ideengeschichtliche Stellung, einen bestimmten Punkt womöglich zu erklären. Es fällt ja doch auf, dass die Konstruktionen von Kierkegaard, wie sie unter b) entwickelt werden, nicht streng logisch (‘dialektisch’) durchgedacht oder gegeneinander abgegrenzt sind. Die Begriffe fliessen ineinander über. Paradox, Pfahl im Fleisch, Leck im Boot, sie bezeichnen wohl alle drei ein kompromissloses und auch komparativlosesGa naar voetnoot6) und abstraktionsloses Notverhältnis, aber das berechtigt doch nicht zu einem verschwommenen und verwischten Ge- | |||||||||||||||||
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brauch der Begriffe. Das ‘Paradox’ gehört eigentlich, stricto sensu, zum Denken, der Pfahl im Fleisch, das Aergernis, das Skandalon, strikt genommen, zum ‘Leben’ oder, schärfer unterschieden, zum Streben: da ist ein Läufer, ein Streber, der über einen Stein des Anstosses strauchelt und also in seinem Willensgang gehindert wird. Das Bild vom Leck im Boot fasst, auch nach dem Kontext,Ga naar voetnoot1) die beiden anderen zusammen. Wir bemerken also, dass Kierkegaard Verstand und Willen in diesem Zusammenhang in einem Hauptpunkt seiner Ausführungen nicht scharf voneinander unterschieden hat. Dies bräuchte bei seiner bildreichen, leidenschaftlichen Schreibweise nicht zu verwundern, wenn er nicht doch selbst gezeigt hätte, dass er diese zwei, auch in seiner Terminologie unterscheiden wollte. Man erinnere sich nur, was unter b) gesagt wurde über das Pathetische als ein Wagen des Seins, das Dialektische als ein Wagen des Denkens. Man kann die Erklärung für die Verwechslung der Begriffe deshalb nicht mit einem Hinweis auf Kierkegaards ‘mehr-Prophet-als-Gelehrter-Sein’ abtun; umsoweniger, weil er anderweitig haarscharfe Unterscheidungen macht. Unserer Ansicht nach liegt die Erklärung grossenteils in der nachlässigen Art, wie Kierkegaard das Neue Testament gelesen hat, auch an den von ihm zitierten Stellen. Es ist behauptet worden, dass ‘der Gedanke von 1. Kor. 1, 23 von der Phantasie Kierkegaards geschärft und gesteigert wird’; aber dieser AusspruchGa naar voetnoot2) ist nur soweit er eine Wirkung der Phantasie konstatiert, richtig. Die qu. Stelle macht ja doch einen sehr nachdrücklichen Unterschied zwischen Ἰουδαῖοι und Ἕλληνες (ἔϑνη): ϰηϱύσσομεν Χϱιστὸν ἐσταυϱωμένον, Ἰουδαίοις μὲν σϰάνδαλον, ἔϑνεσι (Ἕλλησι C3ας) δὲ μωϱίαν. Gibt man einmal auf diese Unterscheidung (μὲν-δέ) acht, dann sieht man bald, wie konsequent Paulus an ihr festhält. Der Ἰουδαῖος will nicht einverstanden sein, mit | |||||||||||||||||
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dem, was Paulus predigt; sein Hochmut hindert ihn, gegenüber dem von den Juden Gekreuzigten Schuld zu bekennen; er steht nicht voraussetzungslos Ihm gegenüber; sein Nomismus und Nationalismus stösst sich am Evangelium vom Kreuz, weil der Wille sich innerlich widersetzt. Der Gekreuzigte tut keine σημεῖα (Vs. 22), tritt nicht im Sichtbaren auf mit dynamischer und ostentativer Selbstmanifestation, die ihn und die Nation in ὕψιστα (Luk. 19, 38) erheben würde.Ga naar voetnoot1) Ganz anders wieder ist die Opposition der Ἕλληνες. Diese suchen keine σημεῖα, denn das hat ihre Philosophie ihnen wohl abgewöhnt; sie fragen vielmehr nach σοφία (Vs. 22). Aber eben, weil ihr Denken ein geschlossenes System fordert, das sich mit ihrer sophistischen Logikerhybris verträgt, können sie nicht einverstanden sein, dass einer, der aus den ὕψιστα kommt, in die ϰατώτεϱα μέϱη τῆς γῆς (Eph. 4, 9) hinabgestiegen ist und dadurch alle Hybris, auch die ihre, richtet, und alle σοφία bei sich selbst und bei dem transzendenten Offenbarungsinhalt beginnen lassen will. Ihr Widerstand ist also ein Denk-Widerstand. Nicht an erster Stelle wie bei den Juden eine Willens-Opposition. Die Gegensatzpaare sind also scharf umrissen: a) Jude gegen Grieche; b) Willens- gegen Weisheitsopposition; c) der Vorwurf, dass Pauli Botschaft ein ἀσϑενές enthält, gegen den anderen, dass sie eine μωϱία einschliesst; d) demgegenüber aber Pauli doppelte Versicherung: 1. wenn der Jude sich nur in der Tat Christus übergibt, dessen Evangelium, nach Paulus, ja vollständig mit dem, was nach logischem Gedankengang aus dem Alten Testament abgeleitet werden kann, übereinstimmt, dann wird der Jude sehen, dass das, was er für ἀσϑενές ansah, tatsächlich δύναμις ϑεοῦ ist; und 2. ebenso wird der Grieche, wenn er sich nur dem Grundaxiom der wahren σοφία übergibt, dass nämlich bloss eine transzendente Offenbarungstat (d.h. Offenba- | |||||||||||||||||
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rungstat von oben her) die wahre σοφία inhaltlich lehren kann, sehen, dass das, was er für μωϱία hielt, tatsächlich doch σοφία ϑεοῦ ist. Zwischen Paulus und Kierkegaard liegt also hier ein prinzipieller Meinungsunterschied vor. Kierkegaard lässt den Inhalt der ‘Botschaft’ für dieselben Personen sowohl zum Paradox als zum Skandalon werden; Paulus dagegen macht hier einen ausdrücklichen Unterschied; G. Stählin spricht, mit Recht, von einer ‘scharfgeschliffenen Antithese zwischen’ den Hellenen, die Paulus' Predigten als Paradox, und den Juden, die sie als Skandalon empfinden. Zwischen σϰάνδαλον und μωϱία ist der Gegensatz konträr, zwischen σϰάνδαλον und δύναμις (bzw. σημεῖον) ist er kontradiktorisch, sagt Stählin; wir fügen noch dazu, dass auch zwischen dem Empfinden der Botschaft als μωϱία (bzw. Paradoxon) einerseits, und ihrem Anerkennen als σοφία ϑεοῦ im πιστεύειν andererseits ein Gegensatz liegt, und zwar ein kontradiktorischer. Aus dem Gesagten geht ein zweiter Unterschied hervor: nach Kierkegaard ist das Empfinden der Wahrheit als Paradoxon permanent und zwar in den μὴ ἀπολλύμενοι, bzw. in den ϰλητοί, den πιστεύοντες, den σῳζόμενοι. Paulus dagegen weist mit Nachdruck darauf hin, dass allein für die ἀπολλύμενοι der Inhalt seiner Predigt als Paradoxon (bzw. als Skandalon) gilt, während für diejenigen, die zum πιστεύειν gekommen sind, das Paradoxon bzw. das Aergernis für immer aufgehoben wird und die σοφία bzw. die δύναμις ϑεοῦ als eine ὑγιαίνουσα διδασϰαλία anerkannt zu werden anfängt; diese geistige Wendung vollzieht sich bei ihnen prinzipiell in dem bestimmten ‘Augenblick’, worin sie sich Gottes Autorität ‘hingeben’, im Moment also der ‘Wiedergeburt’. Dies ist ein bestimmter Zeitmoment und deshalb vom Kierkegaardschen ‘Augenblick’ prinzipiell zu unterscheiden. Diese ὑγιαίνουσα διδασϰαλία ist zwar für die Hellenen neu, lässt sich jedoch a posteriori auch von ihnen fixieren in bestimmten Lehrresultaten, (wovon Kierkegaard überhaupt nichts wissen will). Und für die Juden war sie | |||||||||||||||||
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faktisch schon latent vorhanden in dem ihnen vertrauten Offenbarungsinhalt; sobald dieser nur nach richtigem hermeneutischem Prinzip ausgelegt wird, wird das Latente patent werden. Es gibt noch einen dritten Unterschied. Kierkegaard lässt Paradox und Aergernis beim ‘existentiellen’ Christen auftreten; dieser jedoch sieht, malgré lui, verdächtig einem ‘reinen’ Christen ähnlich. Paulus dagegen konnte eben darum das Paradoxon bzw. Skandalon für den ‘existentiellen’ Christen (sei er Jude oder Hellene von Geburt) verschwinden lassen, weil er immer davon ausgeht, dass nur die σάϱξ den Inhalt seiner Predigt als paradoxal bzw. skandalös empfindet. Der Begriff σάϱξ hat hier bei Paulus keine kreatürliche, sondern hamartiologische Bedeutung; nicht die Kreatur oder das Kreatürliche als solches, sondern das, was sich durch die Sünde Gott entfremdet hat, ist damit gemeint. Also nicht der existierende Mensch überhaupt, sondern der im Unglauben verharrende Gottesfeind empfindet nach Paulus das Paradoxon. Ein ähnliches Missverständnis inbezug auf Pauli eigentümliche Ansicht beherrscht Kierkegaards Verwendung von 2. Kor. 12, der Stelle vom Pfahl im Fleisch. In diesem Kapitel spricht Paulus darüber, dass er, wollte er, ebensogut wie die spiritualistischen Schwärmer in der Korinthischen Gemeinde, sich auf ‘Gesichte’ berufen und ekstatisch reden könnte. Aber er will das nicht, weil er es nicht darf. Ist ihm doch ein Pfahl im Fleisch gegeben, damit er nicht sollte ὑπεϱαίϱεσϑαι. M.a.W. der ‘Pfahl’ ist ihm nicht durch, sondern trotz seiner Ekstasen ‘gegeben’ und zwar zum Zwecke, dass er zur Gemeinde nicht in ekstatischer Rede, sondern in didaktischer Prosa sprechen würde.Ga naar voetnoot1) (Vgl. was wir S. 252/3 Otto gegenüber bemerkten über Christi didaktische Prosa). Erinnert man sich nun, wie sich Kierkegaard gerade gegen ‘fertige Resultate’ und gegen Denken | |||||||||||||||||
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und Reden ohne Leidenschaft auflehnte, auch in seinem Akzentuieren der Idee vom Pfahl im Fleisch, so wird der Unterschied deutlich: Paulus, ganz anders wie Kierkegaard, kämpft gegen Leidenschaft, gegen Ekstase, gegen resultatund dogmaloses Prophetentum und für eine aus legitimen Anfangs-Axiomen weiterschliessende Lehrtätigkeit, für eine der Gemeinschaft (der ‘Kompanie’!) sich zuwendende ὑγιαίνουσα διδασϰαλία, für dogmatischen folgerichtigen Aufbau, wenn nur am Anfang aller διδασϰαλία der Gehorsam steht. Denn durch diesen hat man prinzipiell erkannt und kann auch weiterhin selbst mit Hilfe von Schlüssen erkennen, was Gott ἔπϱεπε und πϱέπει (Ebr. 2, 10).Ga naar voetnoot1) d) Kierkegaards ungewollte Verletzung der Gedanken des Neuen Testamentes hat zur Folge, dass er auch in Hinsicht auf die Stelle, die das Paradox (und das Paradox-Dialektische) in der ‘Existenz’ einnimmt, eine andere Richtung einschlägt als das Neue Testament. Nach dem, was uns unter c) klar wurde, steht sozusagen ‘das Paradox’ im Neuen Testament an erster Stelle, nach Kierkegaard steht es an zweiter. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir uns hier sehr ungenau ausdrücken; das Neue Testament lehrt ja doch keineswegs ‘das Paradoxon’, als wäre dies ein objektives Gegebenes. Die besprochenen Stellen haben ja einzig und allein dann Sinn, wenn die von Paulus gepredigte Wahrheit vom kierkegaardschen ‘Paradoxon stricto sensu’ frei ist; dann erst wird erklärlich, dass das Empfinden der Wahrheit als Torheit und Skandalon aufhört, sobald das Subjekt sich in Gehorsam gefangennehmen lässt (1. Kor. 1, 24). Aber mit diesem Vorbehalt kann man doch den soeben aufgestellten Gegensatz zwischen Kierkegaard und Neuem Testament aufrecht erhalten. Die Religiosität A (worüber hier bereits gesprochen wurde) muss ja doch nach Kierkegaard beim Individuum ‘erst zur | |||||||||||||||||
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Stelle sein’, ehe davon die Rede sein kann, dass es auf das dialektische B aufmerksam werde. ‘Wenn sich das Individuum in dem entscheidendsten Ausdruck des existentiellen Pathos zu einer ewigen Seligkeit verhält: dann kann davon die Rede sein, dass es darauf aufmerksam werde, wie das Dialektische an zweiter Stelle (secundo loco) es in das Pathos des Absurden hinunterstosse’.Ga naar voetnoot1) Religiosität A ‘hat nichts Dialektisches an zweiter Stelle’;Ga naar voetnoot2) denn sie hat wohl auch ihre ‘Dialektik’, aber sie ist nicht paradox-dialektisch. Ihr testimonium paupertatis kann man ausstellen, wenn man den Gegensatz zwischen Religiosität A und B so sieht:
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Das der Religiosität A ausgestellte testimonium paupertatis ist jedoch noch ‘günstiger’, als das ihr vom Neuen Testament gegebene Zeugnis. Auch Paulus, der Schreiber vom Röm. 1/2 und 10, kennt eine gewisse ‘Religiosität’ bei Jude und Grieche;Ga naar voetnoot2) aber er ist weit davon entfernt, darin, wie es Kierkegaard tut, eine Vorstufe, eine conditio sine qua non einer auf höherem Niveau liegenden, paradox-dialektischen Religiosität B zu sehen. Im Gegenteil, diese ‘Religiosität’ von Jude und Grieche lehnt sich gegen Pauli kêrygma auf, wie wir sahen, (cf. auch noch Röm. 9, 32) tut dies vermöge der falschen Spannungen der alten Religiosität, und nennt die christliche nur solange μωϱία und σϰάνδαλον, als sie selbst in ‘A’ verharrt. Sobald ‘B’ (wir übernehmen nun eben die Terminologie) angenommen wird, ist das Paradox überwunden, nach dem Neuen Testament. (1. Kor. 1, 24. 25. 30; 2, 1-10. 15. 16; 3, 1. 2 usw.). Bei Kierkegaard kommt das Paradox-Dialektische also ‘an zweiter Stelle’, d.h. nachdem das Subjekt in ein Verhältnis nicht nur zu ‘etwas’ Geschichtlichem, sondern zu ‘dem’ Geschichtlichen, (Gott im Fleisch)Ga naar voetnoot3) eingetreten ist, nachdem es von einer leidenschaftslosen und nur ‘approximierenden’ Erkenntnis von ‘etwas Geschichtlichem’ zu einem subjektiv-existentiellen Verhältnis zu ‘dem’ Geschichtlichen (Gott, die Ewigkeit in der Zeit) | |||||||||||||||||
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fortgeschritten ist, sobald es von der ersten Schöpfung zu dem zweiten ‘Mirakel der Schöpfung’ (das es zum Christen machte) gekommen ist.Ga naar voetnoot1) Aber im Neuen Testament ist das Empfinden der Weisheit Gottes als Torheit und das ‘des’ Geschichtlichen als Skandalon keine Offenbarung und keine Frucht der ϰαινὴ ϰτίσις, der ‘neuen Schöpfung’, ebensowenig eine Nachwirkung der ersten Schöpfung (des kreatürlich Gegebenen), sondern es ist nur ein sich Auflehnen der Sünde, der a-nomia in der alten Schöpfung, der φύσις des ψυχιϰὸς ἄνϑϱωπος (1. Kor. 2, 14, cf. oben). Nur durch diese a-nomia wagt die alte Kreatur in ihrer Hybris anti-nomia zu prätendieren in dem, was von Gott ausgeht; dass dies eine Lüge ist, steht für Paulus fest.Ga naar voetnoot2) e) Das soeben besprochene Ausschalten jeden ‘approximierenden’ Denkens (im Hinblick auf die Geschichte) wird von Kierkegaard nun auch durchgeführt im Hinblick auf die Erkenntnis des Menschen inbezug auf Gott. Und notwendigerweise wird so sein Konflikt mit dem Neuen Testament auch auf dieses Gebiet übertragen. - Die Linien lassen sich nahezu mechanisch konstruieren. Wenn, wie wir erfuhren, nach Paulus das Individuum nur solange die Wahrheit als Paradox (stricto sensu) erfahren kann, als es ihr abweisend gegenüber steht, dann geht daraus hervor, dass überall, wo die Wirklichkeit paradoxaler Not ist, Gott Objekt, Gegenstand des Denkens ist. Die ‘unio mystica’ fehlt ja doch (noch), zu Gott ist das Subjekt (noch) gar nicht in ein Ich-Du-Verhältnis gesetzt. Das Subjekt, das paradoxale Spannung und Aergernis erlebt, hat nur anlässlich einer Lehr-Verkündigung in einem ‘Reflektieren (objektiv) auf die Wahrheit als einen Gegenstand’Ga naar voetnoot3) über ‘Gott im Fleisch, Gott in der Zeit’ nach- | |||||||||||||||||
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gedacht und diesen Gegenstand von Verkündigen und Denken paradox gefunden. Wird aber nach 1. Kor. 2, 15 der ψυχιϰός zu einem πνευματιϰός, d.h., beugt er sich, so bleibt nach Röm. 11, 33 ff. der Inhalt der christlichen Botschaft wohl ‘über’ seinem Verstand, aber er glaubt zum συνϰϱίνειν πνευματιϰοῖς πνευματιϰά imstande zu sein (1. Kor. 2, 13) und σοφία zu reden; darum schaudert er vor der Hybris, die Gott, dem νομοϑετής, etwas Antinomisches zuschreibt, verwirft also den Gedanken an ein objektives, geschweige denn ‘absolutes’ Paradox, wenn dies die Denkgesetze brechen würde. Gott ist also Objekt, denn gegen eine (paradox empfundene) Lehre hat man sich aufgelehnt und vor der (danach als Verkündigung von Gottes ‘sophia’ und ‘dynamis’ anerkannten) Lehre beugt man sich jetzt. Und wohl ist auch für Paulus Gott das ‘Subjekt’ und wohl ist Er als Subjekt immer furchtbarer, als Er je als Objekt des Denkens angesehen werden kann (weil Gott, Röm. 11, 33 ff., 1. Kor. 2, 9. 12; 13, 9-12, sich nie adaequat offenbaren, geschweige denn erkannt werden kann), aber soweit Gott Subjekt ist, ist Er es für beide: sowohl für den, der die Botschaft um ihrer scheinbaren Paradoxie willen verwirft, als auch für den, der sie angenommen hat. Nicht ohne Grund zitiert ja doch Paulus in Röm. 9-11 und auch im Anfang des Korintherbriefs, 1, 19, die Stellen aus dem Alten Testament, wo Gott als Subjekt von ‘Verhärtung’ und ‘Bekehrung’ auftritt. Für Paulus ist Gott also immer ‘Subjekt’ und auch immer ‘Objekt’, und dies nach zwei Seiten hin. Das, was Gott als Subjekt tut (in der ‘Verhärtung’ dessen, der die Botschaft paradox nennt, und in der ‘Bekehrung’ dessen, der sie als χαϱισϑέντα und paradox annimmt), bleibt, sofern es nicht geoffenbart (und also nicht Seinerseits zum Objekt gemacht) ist, ein ‘Mysterion’, mit dem das menschliche Subjekt nicht zu rechnen hat, weil die abscondita keine Norm für Denken oder Tun sein können. Was Gott als Offenbarendes und erlösendes Subjekt tut, wird, sofern es zum Objekt des Erkennens durch Offenbarung gemacht ist, erst allmählich | |||||||||||||||||
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für das empfangende und erlöste Subjekt entfaltet,Ga naar voetnoot1) sodass erst allmählich nach seiner ‘klêsis’ auch seine ‘Auserwählung’Ga naar voetnoot2) ihm deutlich wird, und in seinem eigenen Glauben (als causa secunda) Gottes actus (als causa prima) ihm für das Denken als vorhanden erscheint.Ga naar voetnoot3) Mit anderen Worten: direkt vor und direkt nach dem Eingeständnis, dass die Wahrheit nicht ‘stricto sensu’ paradox ist, direkt vor und direkt nach dem Uebergang von ‘A’ zu ‘B’ ist nach Paulus Gott für das Bewusstsein des Menschen ‘Objekt’. Dass er Subjekt (Auctor) ist, wird erst später in seiner Tiefe für den christlichen Gedanken deutlich. Auch dieser Neutestamentlichen Konstruktion stellt nun Kierkegaard seine These gegenüber, dass ‘der Existierende, der den objektiven Weg wählt’, nur sich einlässt mit der ‘approximierenden Erwägung, die Gott objektiv hervorbringen will, was in aller Ewigkeit nicht erreicht wird’, weil.... ‘Gott Subjekt und daher nur für die Subjektivität in Innerlichkeit da ist’.Ga naar voetnoot4) Mit dem ersten Teil dieses Ausspruches bewegt sich Kierkegaard auf der Linie von Paulus, der in Röm. 10 die bekannte Stelle aus Deut. 30Ga naar voetnoot5) zitiert, und sogar näher expliziert. Aber wenn es im zweiten Teil dieses Ausspruchs auf die Begründung des ersten Teils ankommt, dann verlässt Kierkegaard Paulus' Linie; Paulus stellt ja doch in Röm. 10 den Gegensatz nicht so, dass derjenige, der den falschen Weg betritt, Gott als Objekt sieht und der, der den wahren Weg einschlägt, Ihn einzig als Subjekt dasein lässt, sondern das Dilemma ist bei ihm sehr deutlich so: Gott will kein Objekt der Tätigkeit dessen sein, der eigene Wege erschliesst (und somit eine ‘idia dikaiosynê’ ‘aufrichtet’, Röm. 10, 3), aber Er gibt sich zum Objekt für den, der von Gott selbst erschlossene Wege betritt. Der Gegensatz ist also nicht: Objekt gegen Subjekt, sondern | |||||||||||||||||
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noch zu entdeckendes gegen bereits geoffenbartes Objekt, ein Objekt von ferne gegen ein nahes Objekt, ein Objekt, das ‘erzeugt’ ist gegen eines, das sich als Subjekt in Gnade geoffenbart hat, aber auch dies gerade um Objekt zu sein. Diese Neutestamentliche Lehre von Gott, der sich durch eigenen Willen zum Objekt macht, sieht Ihn als Subjekt in der Offenbarung und (was erst später eingesehen wird) in der Adaptation des glaubenden Subjekts an die Offenbarung, und in seiner Adoptation dieses jetzt Glaubenden zu dieser Adaptation (Auserwählung). Also verbindet sie (‘paradoxal’, würde man sagen), was Kierkegaard geschieden hat. f) Kierkegaards hieroben zweimal zítierte Unfruchtbarkeitserklärung der ‘Approximation’ (im Erkennen der geschichtlichen Gegebenheiten und im Erkennen Gottes) gebraucht wohl starke Worte;Ga naar voetnoot1) trotzdem wird hier die schwache Stelle in seiner Beweisführung blossgelegt. Einerseits legt er dar, dass (was die Wahrheit in Bezug auf Gott betrifft) das ‘objektive Wissen’ auf dem ‘objektiven Weg’ ‘in Ruhe (leidenschaftslos) den langen Weg der Approximation geht’, dass es sich ‘in der objektiven Wahrheit’ des ‘Systems’ ‘nach Privatdozenten richtet’; und, so meint Kierkegaard, wenn auch derjenige, der den objektiven Weg betritt, ‘die wahre Vorstellung von Gott in seinem Geiste’ hat, betet er schliesslich doch einen ‘Götzen’ an, denn - er hat die Leidenschaft nicht.Ga naar voetnoot2) Dasselbe gilt mutatis mutandis von der approximierenden Forschung nach der Unsterblichkeit,Ga naar voetnoot3) und von der approximierenden Geschichtsforschung.Ga naar voetnoot4) Und dem wird dann der nicht approximierende ‘subjektive’ Weg mit seinem ganz anderen Wissen, seinem Paradox, seiner Entscheidung gegenübergestellt; in Beziehung auf Gott gibt es hier eine höchste Besorgnis, sich ‘in Wahrheit zu Gott zu verhalten’, in Hinsicht auf die Unsterblichkeit gibt es eine Leiden- | |||||||||||||||||
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schaft der Unendlichkeit, in Hinsicht auf die Geschichte kommt alles auf das unmittelbare, existentielle Verhältnis zum Geschichtlichen an. Der Gegensatz ist also immer scharf. Und doch fällt andererseits auf, dass er auch wieder verhältnismässig unbestimmt und schwach ist. An sich schon ist es wissenschaftlich unhaltbar, Erkenntnis von Geschichte mit Erkenntnis von Gott und von Unsterblichkeit zu koordinieren und in gleichem Sinn diese drei ‘approximierend’ zu nennen. Objekt und Methode des Erkennens sind doch hier jedesmal ganz anders, und ‘approximieren’ kann also in diesen drei Fällen nicht dasselbe bedeuten, selbst nicht, wenn man ‘Gott’ durch ‘Theologie’ ersetzt. Ausserdem spricht Kierkegaard dieser approximierenden Erkenntnis von Gott, von Unsterblichkeit und vom Geschichtlichen, bis zu einer gewissen Höhe objektive Wahrheit zu. Der Gegensatz zwischen dem ‘objektiven’ (approximierenden) und dem ‘subjektiven’ (leidenschaftlichen) Erkennen ist nicht der zwischen Lüge und Wahrheit, sondern er ist der: ‘objektiv wird betont: was gesagt wird; subjektiv: wie es gesagt wird.’Ga naar voetnoot1) Derjenige, der leidenschaftslos den objektiven Weg betritt, betet einen Götzen an, sagt Kierkegaard, aber dem Kontext nach bedeutet dies nur, dass er sich subjektiv nicht von einem Götzendiener unterscheidet, es wird ja von ihm doch vorausgesetzt, dass er die ‘wahre Vorstellung von Gott in seinem Geiste’ hat. So steht es auch mit dem (offenbar metaphysischen) Forschen nach der Unsterblichkeit und mit der historischen Erkenntnis.Ga naar voetnoot2) ‘Objektiv fragt man bloss nach den Gedankenbestimmungen, subjektiv nach der Innerlichkeit’.Ga naar voetnoot3) ‘Die Wahrheit’ ‘ist’ (‘wird’) ‘im Munde dieses oder jenes Unwahrheit’ (wenn die Innerlichkeit nicht dazu passt), aber sie bleibt doch - Wahrheit.Ga naar voetnoot4) ‘Die Subjektivi- | |||||||||||||||||
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tät ist die Wahrheit’ - dieses bekannte Adagium führt nun zu einer ‘Definition’ von Wahrheit, die sie als ‘die objektive Ungewissheit, in der Aneignung der leidenschaftlichsten Innerlichkeit festgehalten’ umschreibt.Ga naar voetnoot1) Ungewissheit - aber das ist noch keine Krisis über alle ‘Gewissheit’, auch nicht in Beziehung auf Gott oder die Vorstellung von Gott. ‘Nur’ in der Subjektivität gibt es Entscheidung im Hinblick auf objektive Fragen, z.B. auch im Hinblick auf den Grundsatz des Widerspruchs und seine Aufhebung.Ga naar voetnoot2) Aber das Objektive steht an sich nicht unter dem Fluch. Dass deshalb der ‘approximierenden’, objektiven Erkenntnis nicht im voraus Wahrheitscharakter abgesprochen werden kann, auch nicht, wenn sie über Gott spricht, oder über die historische Erscheinung Gottes im Fleisch (Jesus), ist übrigens eine Tatsache, die völlig in den Rahmen von Kierkegaards Theorie über den ‘gleichzeitigen Schüler’ passt (‘das Historische im konkreteren Sinne’ heisst nach dieser Theorie ‘gleichgültig’Ga naar voetnoot3); aber das ist ja etwas anderes, als die These eines Scheines, gegen, ‘para’, den die Wahrheit verstossen würde). Das stimmt auch überein mit Kierkegaards von Daub übernommener These, dass ‘wer das Vergangene auffasst, der Historico-philosophus, darum ein nach rückwärts gerichteter Prophet ist’, wobei dann der Name ‘Prophet’ bezeichnet, ‘dass der Gewissheit des Vergangenen die Ungewissheit zugrunde liegt’ (die wieder etwas anderes als Irrtum ist).Ga naar voetnoot4) Ebenso stimmt es überein mit seiner Konstruktion des Unterschiedes zwischen dem Schüler ‘erster’ und ‘zweiter Hand’ (ein Unterschied, der eigentlich nicht besteht,Ga naar voetnoot5) weil das ‘mit sinnlichen Augen sehen’ und ‘mit seinen irdischen Ohren | |||||||||||||||||
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hören’ wohl eine ‘verlorene Liebesmühe’ ist, ja sogar eine ‘gefährliche Bemühung’ - aber doch in se kein Trug).Ga naar voetnoot1) Dass dies die schwache Stelle in Kierkegaards Denken ist, bedarf keines Beweises. Hätte er in der genannten Dreiheit von Denkobjekten Gott ausser Betracht gelassen, dann stünde es anders; aber nachdem er nun Gott ausdrücklich als Objekt des approximierenden Wissens bezeichnet hat und dann weiter dies Wissen so taxiert hat, wie er es tat, ist tatsächlich damit die Lehre vom ‘absoluten Paradox’ durchbrochen; es wird da - das fühlt man hier fast von selbst - einmal ein anderer kommen müssen, um über die ganze ‘horizontale Fläche’ menschlich-‘objektiven’ Wissens unerbittlich den Tod auszurufen und zwischen Gott und Mensch eine ‘Todeslinie’ zu konstruieren, um so die Konsequenz zu ziehen, die Kierkegaard unterlassen hat. Kierkegaard selbst bleibt vor einer bestimmten Grenze stehen; einerseits heisst Gott der Bruch mit aller Immanenz, die Durchbrechung allen Denkens, andererseits hält er, eben um Dialektiker bleiben zu können, am principium contradictionis fest, weil ‘doch schon Aristoteles eingesehen hat, dass die Aufhebung des Kontradiktionsprinzips auf das Kontradiktionsprinzip basiert ist, da sonst der entgegengesetzte Satz, es sei nicht aufgehoben, ebenso wahr ist’.Ga naar voetnoot2) Man kann sich von dieser Schwierigkeit nicht befreien durch eine Berufung auf den ‘Gegensatz der Pseudonyme’, die Kierkegaard angenommen hat, als ob hier z.B. ‘das Zwischen ihres (d.h. Johannes Climacus' und Anti-Climacus') Gegeneinander’ zu suchen sein würde,Ga naar voetnoot3) denn, wie man | |||||||||||||||||
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auch über diese Pseudonyme denken mag - wir zitierten oben absichtlich nur aus Johannes Climacus. Wir glauben denn auch nicht mit Przywara ‘das schneidend Diatonische’, ‘das’ bei Kierkegaard ‘auf der einen Seite eine gewisse Klarheit vermittelt,.... anderseits jede Vermittlung unmöglich macht’, und das einerseits ‘die Dialektik der Widersprüche auf die Einheit der “Existenz” und des “Augenbliks” bringen’ will, andererseits ‘nur die Kategorie der “Verzweiflung” bleiben’ lässt, aus einem Gegeneinander von Climacus und Anti-Climacus erklären zu müssen.Ga naar voetnoot1) Im Gegenteil, wir stehen hier vor einem von Kierkegaards innerlichen Widersprüchen; aus seinem Standpunkt betreffs des absoluten Paradoxes, das ja doch, abgesehen von Leidenschaft in der Innerlichkeit auch einen Bruch mit allem Denken proklamierte, hätte folgen müssen, dass der, der einmal auf der Höhe des Paradoxes, im ‘Augenblick’ steht, von dieser Höhe aus Bibel und Kirche mit allem, was ‘objektiv’ ist, als grundsätzlich falsch verwerfen, ‘überwinden’ muss. Anstatt dessen sehen wir jedoch Kierkegaard Bibel- und Kirchenfragen (auch insoweit sie beider Wahrheitscharakter betreffen) als indifferent für den para- | |||||||||||||||||
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doxalen Glauben betiteln. ‘Wenn alle Engel sich vereinigten, so könnten sie doch nur eine Approximation zustande bringen, weil für ein geschichtliches Wissen eine Approximation die einzige Gewissheit ist, aber auch zu wenig, eine ewige Seligkeit darauf zu bauen’.Ga naar voetnoot1) Und wenn man die Konfession der gefestigten Kirche gegen das direkte Wort der Apostel abwägen will, dann ist alles, was ‘sich in dieser Richtung, pro et contra, sagen lässt, wieder nur eine Approximations-Skepsis’.Ga naar voetnoot2) So ist der mit soviel NachdruckGa naar voetnoot3) in den Vordergrund gestellte Approximationsbegriff eigentlich Kierkegaards schwache Stelle, vor allem, nachdem er ihn nun auf die cognitio dei anwendet. Seine ganze Begriffsreihe, Skandalon, Krisis, Durchbruch, Paradoxon sensu eminentiore, wird dadurch relativiert; und sofern die absolutistische Redeweise beibehalten wird, so wird eben durch das Betonen des approximativen Charakters der ‘objektiven’ Gotteserkenntnis auch der beste Apologet Kierkegaards daran verhindert, seine Paradoxenlehre von aller Rhetorik freizusprechen. g) Diese Inkonsequenz löuft parallel mit vielen anderen; wir gehen hier nun nicht nöher darauf ein, sondern weisen nur auf eine Besonderheit hin, die uns vor allem interessiert in Hinsicht auf die in der dialektischen Theologie aufgeworfene Frage vom ‘Anknüpfungspunkt’ (d.h. von ‘der Beziehung zwischen dem “natürlichen Menschen” und dem Worte Gottes’)Ga naar voetnoot4): dass nämlich Kierkegaard sein ‘Subjektivitätsprinzip’ nur unter der Voraussetzung behaupten kann, dass im Menschen irgendwie ein ‘An- | |||||||||||||||||
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knüpfungspunkt’ für die göttliche Unterweisung liegen muss, wenn Gott selbst als auch die Bedingung des Verständnisses gebender Lehrer auftritt;Ga naar voetnoot1) während andererseits ein Sündenbegriff vorgebracht wird, der tatsächlich auch jede Verständnismöglichkeit für die Wahrheit beim Menschen in Abrede stellt.Ga naar voetnoot2) Das ‘Mirakel’ der ‘neuen Schöpfung’ wird wohl prätendiert, aber nicht genügend adstruiert, und jede Verwandtschaft z.B. mit Calvins Begriff von Wiedergeburt fehlt. 4. Wenn der beste Schüler der ist, der die Grundgedanken seines Lehrmeisters übernimmt, daraus weiter schliessend sie von fremden Beimischungen säubert und dabei die Inkonsequenzen des Meisters überwindet, dann ist K. Barth, sowohl als einzelner Theologe als in Zusammenhang mit ‘der’ dialektischen ‘Schule’ gesehen, zweifellos Kierkegaards bester Schüler. Denn in seiner Theologie (die z.T. Philosophie ist) wird Kierkegaards Faden aufgenommen und festgehalten, auch da, wo dieser ihn wohl einmal losliess. a) An erster Stelle bereits bemerken wir, dass, ebenso wie bei Kierkegaard so auch hier, gegen Hegel Einspruch | |||||||||||||||||
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erhoben wird, weil bei ihm die Gegensätze in Natur und Geisteswelt in einen Ja und Nein synthetisierenden Prozess aufgelöst werden. Barth lehnt sich radikal gegen diesen Optimismus auf und geht dabei aus von Kierkegaards Axiom vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Ewigkeit und Zeit, Gott und Mensch, oben und unten, absolut und relativ. Ausserdem hat ‘ein Tröpfchen Ewigkeit mehr Gewicht als das ganze Meer der der Zeit unterworfenen Dinge’; darum ist dieses antithetische Verhältnis durchaus kritisch. Alles Fleisch kommt unter ein kritisches Nein, eine absolute Krisis, und das bedeutet keine Entfaltung des Sinns der Geschichte, sondern ihre ‘radikalste Erledigung’.Ga naar voetnoot1) Die Geschichte an sich hat keinen Sinn; was ihr Sinn gibt, kommt von aussen und oben: ‘dass Gott spricht’.Ga naar voetnoot2) Daraus ergibt sich denn auch, dass mit der Hegelschen ‘Negation der Negation’ hier nichts angefangen werden kann; nur die absolut kritische Negation (die mittels Gottes ‘Gericht’ über unsere Geschichten kommt) hat hier etwas zu sagen.Ga naar voetnoot3) Barth klagt, dass Hegels These-Antithese-Synthese-Konstruktion die Frage nach der Ueberwindung des Selbstwiderspruches des Menschen zu einer ‘dialektischen Scheinfrage’ mache; er hält sie darum auch für verwerflich;Ga naar voetnoot4) sie stellt, sagt er, die (‘subjektive’) Existenzfrage nicht.Ga naar voetnoot5) In diesem Vorwurf für Hegel stimmt Barth also wieder Kierkegaard bei. So ist Barths Kulturkritik, eben durch ihr Verwerfen aller Immanenz und durch ihren ‘Krisisismus’, der schon früh den ‘Kritizismus’ für sich annektieren wollte,Ga naar voetnoot6) eine | |||||||||||||||||
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direkte Fortsetzung von Kierkegaards Anti-Hegelianismus geworden, auch was Kierkegaards Kritik an Hegels Hintansetzung der Bedeutung des Einzelnen betrifft. ‘Dem Hegelschen weltgeschichtlichen Denken gegenüber.... gilt es die unvergleichliche entscheidende Bedeutung des Einzelnen.... ans Licht zu stellen. Denn der Mensch unter dem Gesichtspunkt des Sollens ist immer ein Einzelner, keine Kollektivität und kein Abstraktum, wie bei Hegel’.Ga naar voetnoot1) b) So wie bei Kierkegaard die Kritik an Hegel in ein emphatisches Hervorheben des ‘hic et nunc’ des Existierenden (nicht seines Existierthabens) umschlug, so ist es auch bei der dialektischen Theologie. Bewusst knüpft Heinrich Barth hier an Kierkegaard an.Ga naar voetnoot2) Und Hinrich Knittermeyer fürchtet ebenfalls, dass, wenn ‘die Geschichte zur Illustration (wird) der “Gestaltung des Geistes in Form des Geschehens”’ (Hegel), ‘sie damit.... die unvergleichliche Ernsthaftigkeit verliert’.Ga naar voetnoot3) Gegen das ‘objektive’ (leidenschaftslose, uninteressierte, nicht existentielle) Denken lehnt sich Barth ebenso auf wie Kierkegaard. Dass hier bei Barth c.s. wieder ein direkter Zusammenhang mit der Struktur des Begriffs der Geschichte (und also mit der Kritik an Hegel) besteht, wird wohl klar ersichtlich aus Gogartens Ueberzeugung, dass er das Ich-Du-Verhältnis, das in der dialektischen TheologieGa naar voetnoot4) und bei einem mehr oder weniger Abstand bewahrendenGa naar voetnoot5) Geistesverwandten wie Karl | |||||||||||||||||
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HeimGa naar voetnoot1) eine so grosse Rolle spielt, durch ein gläubiges, nicht spekulatives Betrachten der Geschichte in ihr entdeckt hat.Ga naar voetnoot2) An anderer Stelle wird dies Verhältnis zu einem von Frage und Antwort, und zwar unter Einwirkung eines (à la Kierkegaard) von aller Abstraktion freien Existenzbegriffes.Ga naar voetnoot3) Auch dieser letzte bleibt in seinen Grundzügen kierkegaardisch. Wie unbestimmt und auseinandergehend auch die Aeusserungen in dieser Hinsicht sind, so ist doch eines deutlich: dass sich der Barthsche Existenzbegriff von dem des Phänomenologen Heidegger prinzipiell unterscheidet. Ist ja doch bei Heidegger ‘der formale Begriff von Existenz’ darin ‘angezeigt’: ‘dasein ist Seiendes, das sich in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält’;Ga naar voetnoot4) so zeigt sich, dass Heidegger wohl sehr nachdrücklich aus diesem ‘In-der-Welt-Sein’ oder dem ‘In-Sein’ (formaler, existentialer Ausdruck des Seins des Daseins)Ga naar voetnoot5) auf das ‘Gehen im Kreise’ schliesst, auch im Erkennen,Ga naar voetnoot6) aber ausdrücklich in Abrede stellt, dass der circulus hier vitiosus ist.Ga naar voetnoot7) Und eben in diesem letzten Punkt ist Barth offenbar sein Antipode, denn bei Barth ist der Kreisgang immer ‘vitiosus’; nur im Schnittpunkt der vertikalen und horizontalen Linie kommt die Wahrheit zum Existierenden. Dies nun ist rein kierkegaardisch; Uebereinstimmung zwischen den Existenzbegriffen von Heidegger und Barth kann also, wie auch hier ersicht- | |||||||||||||||||
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lich, nicht mit Recht behauptet werden.Ga naar voetnoot1) Heideggers ‘Zirkelverfahren’ steht diametral Barths Ich-Du-Verhältnis gegenüber, das mit dem existentiellen Denken direkt in Verbindung gesetzt wird, weil der ‘Du’ absolut und transzendent ist: Gott.Ga naar voetnoot2) Kein Wunder, dass in diesem prinzipiellen Punkt Barth wieder in der Linie von Kierkegaard bleibt, denn er hat auch seinen Existenzbegriff in Kontrovers mit (u.a.) Hegel aufgestellt;Ga naar voetnoot3) der Optimismus des Zirkelverfahrens findet keinen Widerhall beim Prediger einer ‘zerrissenen’ und also ‘fragenden’ Existenz.Ga naar voetnoot4) Auch in dem, was wir weiter noch unter b) über Kierkegaard bemerkten, lassen sich die Parallelen mit dem Barthschen Denken leicht finden. Der existentiell bewegte Mensch sei nicht ohne Leidenschaft, kein ausgebrannter Krater; es gibt keine beati possidentes; ‘haben’ ist ein verbotenes Zeitwort.Ga naar voetnoot5) Eine ‘Grenzsituation’ (s. oben) ist da nicht zuweilen, sondern immer vorhanden; wir leben sub specie mortis, unter Spannung, weil Ur- und Endgeschichte wegen des deus loquens auf uns lasten. So scharf wie möglich wird Kierkegaards Grenzsituation in Barths ‘Todeslinie’ ausgearbeitet. Diese Todeslinie wird von ihm mit dem Gegebenen des unendlichen qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und Mensch konstruiert. ‘Unüberschreitbar ist zwischen hier und dort die Todeslinie gezogen’ - die Todeslinie, die freilich (von Gott aus) die Lebenslinie ist, ‘das Ende, | |||||||||||||||||
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das der Anfang, das Nein, das das Ja ist’.Ga naar voetnoot1) Sie ‘trennt Gott und Mensch’, denn sie ist ‘die absolute Grenze alles menschlichen Anschaulichen’, aber sie wird denn auch eben in der Religion zu einem Schicksalsbaum ‘in der Mitte des Gartens’, weil dort der Gegensatz zum Kreator akut wird.Ga naar voetnoot2) Durch sie wird die religiöse Erscheinungswelt als blosse Erscheinungswelt gekennzeichnet,Ga naar voetnoot3) und wird das Subjekt vom futurum resurrectionis (‘wir werden leben’, die ‘Kehrseite’Ga naar voetnoot4) von Christi Tod!) zu einem ‘unanschaulichen unmöglichen Erkenntnissubjekt’ gemacht, eben weil dieses Subjekt ‘jenseits’ der Todeslinie liegt.Ga naar voetnoot5) Der ‘Sinn’ dieser Todeslinie wird zuweilen mit Hilfe einer Konstruktion von Nietzsche dargestellt: sie heisst dann ‘die kritische Linie’, ‘die das Uebersehbare, Helle von dem Unaufhellbaren und Dunklen scheidet’.Ga naar voetnoot6) Auch die Offenbarung kann die Todeslinie niemals ausmerzen, mauerfest bleibt auch sie davor stehen; das ist, sozusagen, ein ‘Schicksal’ von Gott als Offenbarungssubjekt. Die Todeslinie scheidet Gott von Menschen, ‘auch wenn alles was im Leben anschaulich ist noch so stark von einem Jenseits Zeugnis gibt’.Ga naar voetnoot7) Sie grenzt die gegenseitige Position ab, und muss denn auch dem Glauben klar vor Augen stehen, soll er sich nicht in Subjektivität, Relativität, Zweideutigkeit verlieren. ‘Nimm die Todeslinie weg von Abrahams Glauben,.... so nimmst du seinem Glauben den Inhalt’.Ga naar voetnoot8) Darum sieht sie auch David in Ps. 32 (Rechtfertigung).Ga naar voetnoot9) Ihre Aufhebung würde Raub an Gott bedeuten, wie Adam ihn vollführte, ein ‘proleptisches Ansichreissen der Fülle Gottes’;Ga naar voetnoot10) der Glaube dagegen geht | |||||||||||||||||
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durch dieses ‘Tal des Todes’ mit Bewusstsein.Ga naar voetnoot1) Diese Todeslinie geht nicht nur durch das Leben des ersten Adam, sondern auch durch das des zweiten Adam, ‘Jesus’, denn sie ist ‘das Gesetz und die Notwendigkeit alles Menschenlebens’. Der ‘anschauliche Sinn des “Lebens Jesu”’ (Arzt, Heiland, Prophet, Messias, Sohn des Vaters) ‘ist offenbar nicht als menschliche Möglichkeit gemeint und kann nicht als solche gedeutet werden’.Ga naar voetnoot2) Die Todeslinie ist ‘prinzipielle Negation’.Ga naar voetnoot3) Das Thema der Todeslinie kehrt unaufhörlich wieder; Barth bedient sich dabei auch anderer termini technici: Tangens, Grenze, Schnittlinie, Linie der Auferstehung etc.Ga naar voetnoot4) c) Wie Kierkegaard das alte Christentum und die Reformation wieder zur Geltung bringen und deshalb das Neue Testament wieder zu Wort kommen lassen wollte, so auch Barth, dessen ‘Römerbrief’ ja keine ‘freie religiöse oder religions-philosophische Darlegung’, sondern ‘Schriftauslegung’ sein will.Ga naar voetnoot5) Aber auch die falsche Deutung, die Kierkegaard von den für das Skandalon wichtigen Stellen des Neuen Testamentes gegeben hat, findet in Barths entsprechender ‘Auslegung’ ihre Parallele, ebenso auch bei Brunner. Kierkegaards Uebersehen des Unterschiedes zwischen dem gegen das Evangelium verstossenden Denken (μωϱία) und dem stolzen selbstgerechten Willen (σϰάνδαλον) findet sich auch bei Barth vor. Aergernis entsteht, nach ihm, für den, der ‘dem Widerspruch und dem Verharren im Widerspruch nicht gewachsen ist’.Ga naar voetnoot6) Barth wird sogar daran verhindert, die neutestamentliche Unterscheidung der Gegensatzpaare Torheit-Hellenen, und Skandalon-Juden richtig zu werten, weil er, wenn er auch | |||||||||||||||||
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zwischen Juden und Hellenen unterscheidet, doch eben als Ausleger falsch unterscheidet: ‘Jude und Grieche, Gottesmensch und Weltmensch’ schreibt er.Ga naar voetnoot1) Dass aber Paulus neben Juden und Griechen noch die Christen als dritte Gruppe kennt, für die das Evangelium weder Torheit noch Skandalon war, das lässt der Ausleger völlig ausser Acht; denn daran würde seine ganze Konstruktion scheitern, genau so wie die kierkegaardsche. Sobald man 1. Kor. I, 2 auffasst, wie wir es oben gemäss der klassischen Auslegung taten, erscheint die Aufstellung des Begriffes des ‘Gottmenschen’, der sich ‘ärgert’, als eine petitio principii innerhalb der Auslegung; Barth macht sich öfters deren schuldig.Ga naar voetnoot2) In Uebereinstimmung damit wiederholt sich bei Barth öfters die kierkegaardsche unrichtige Deutung des Begriffes σάϱξ: die neutestamentliche Unterscheidung zwischen ‘Fleisch’ als Geschöpf und als sündhaftes Geschöpf (vgl. ὁ αἰών und ὁ αἰὼν οὗτος) wird oft verwischt.Ga naar voetnoot3) So ist die Aufstellung des Gegensatzes Gott-Mensch, Ewigkeit-Zeit, und die These, die christliche Wahrheit sei auch für den homo christianus paradox-skandalös, exegetisch illegitim. | |||||||||||||||||
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Dass dieser Standpunkt auch für die Wertung der ὑγιαίνουσα διδασϰαλία und eines christlichen Schliessens auf das, was Gott πϱέπει, seine Konsequenzen hat, braucht keine weitere Erörterung. d) Auf dem Wege dieser falschen Interpretation der Paulinischen Subjekte ‘Jude’ und ‘Grieche’ (wobei der ‘Jude’ zum Typ des ‘Gottesmenschen’ und weiterhin auch des ‘habenden’ homo christianus gemacht wird) wird Barth von seinen eigenen Konsequenzen noch weitergerissen als Kierkegaard, der Jude, Grieche und Christ wenigstens noch historisch scharf unterschieden hat, und dadurch die Religiosität A, auch als dem Juden-, Griechen- und Christentum innewohnende historische Gegebenheit, zur Vorstufe seiner paradoxen Religiosität B machen konnte. Im Zusammenhang mit seinem Approximationsbegriff bedeutet das eine ziemlich weitgehende Konzession zu Gunsten der Wertschätzung des christlichen Denkens als historischer und historisierender Gegebenheit. Barth aber muss kraft seiner Todeslinie alles Historische und Historisierende ‘Haben’ und ‘Wissen’ unter die radikale Krisis bringen. Dennoch ist auch noch hier Kierkegaards Linie zu verfolgen. Insofern Kierkegaard das Paradoxon nicht psychogenetisch, sondern offenbarungsgeschichtlich ausgearbeitet hat, hat er, wie wir sahen, ‘das’ Geschichtliche (die Menschwerdung Gottes) aus allem anderen Geschichtlichen hervorgehoben und sogar dem gegenübergestellt. Das war auch wieder ein Verstoss gegen das Neue Testament, denn hier ist die Menschwerdung Gottes in den einheitlichen Prozess der in dem einen ‘jôm Jahwe’ sich vollziehenden historia revelationis et salutis eingegliedert, ist die von Paulus vorgetragene und von der ‘sarx’ als paradox empfundene Lehre der Apostel unauflöslich mit der Lehre Jesu Christi und aller Propheten verbunden und wird das Aergernis also nicht nur auf die Tatsache der Fleischwerdung, sondern auch auf alle sie verkündigende Lehre sowohl der Apostel, als der Propheten bezogen. Die dialektische Theologie aber hat für die historia revelationis | |||||||||||||||||
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keinen Platz und ist also gezwungen mit E. Brunner in Kierkegaards Nachfolge gerade die ‘Unkenntlichkeit’ des Gottmenschen als ein ‘allmächtig festgehaltenes Inkognito’ zu betonen, und ‘die Möglichkeit des Aergernisses’ gerade darauf festzulegen. ‘Kein Prophet hat je das Wort ausgesprochen: selig wer sich nicht an mir ärgert. Das ist das Wort des Mittlers. Der, an dem man sich ärgern kann, ist der Mittler; nur ihm gegenüber gibt es Aergernismöglichkeit’.Ga naar voetnoot1) Im Zusammenhang hiermit ist es bemerkenswert, dass Brunner schreibt, er halte Kierkegaards Abhandlung über ‘Selig wer sich nicht an mir ärgert’ (Einübung zum Christentum), hauptsächlich nur deshalb für korrektionsund erweiterungsfähig, weil Kierkegaard zu geringe Kenntnis hatte ‘in bezug auf die historisch-kritische Frage’.Ga naar voetnoot2) Wir glauben, dass die historisch-kritische Frage im Zusammenhang mit Kierkegaards Approximationstheorie auch eine Frage der Wertung alles inhaltlichen christlichen Denkens in sich enthält und dass an diesem Punkt der nicht nur prinzipiell-tatsächliche, sondern auch zögernde und noch nicht voll bewusste Anschluss an Kierkegaard all seine ideengeschichtlichen Eigentümlichkeiten darlegt. e) Auch in bezug auf das unter 3 e) Gesagte lässt sich die Parallele vorfinden, namentlich in der Verwendung des Inhalts von Röm. 10, 6-9 (Deut. 30, 12-14). Wir gehen jetzt nicht weiter darauf ein, weil in Kap. 4 diese Stellen wieder besprochen werden. f) Dass Barths an Kierkegaard geübte und schon erwähnte Korrektur in bezug auf das approximierende Denken, eben weil sie Kierkegaards Grundgedanken entnommen ist, doch im wesentlichen eine Fortsetzung der Linie Kierkegaards heissen darf, ist ohne weiteres klar. g) Und dass, wie wir bereits bemerkten, die Anknüpfung an Kierkegaard noch immer etwas Zaghaftes hat, | |||||||||||||||||
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ergibt sich aus der innerhalb ‘der’ dialektischen Theologie vorhandenen Uneinigkeit über den ‘Anknüpfungspunkt’ (siehe S. 324 Note 4). Doch ist auch hier die Anknüpfung umso mehr typisch dokumentierbar, als, wie wir sahen, auch Kierkegaard in bezug auf diesen Angelpunkt mit sich selbst nicht ganz einig ist. 5. Es gibt auch andere Denker, die namentlich Barth beeinflusst haben: Franz Overbeck, Friedrich Nietzsche, Dostojewski, Hamann, Blumhardt,Ga naar voetnoot1) u.a. Aber in bezug auf das Paradox ist doch Kierkegaards ins Einzelne gehende Erörterung so hervorragend, dass wir für unseren Zweck es nicht nötig haben, die Verbindungsfäden zwischen Barth und diesen Denkern genau zu verfolgen. Denn nur Kierkegaard hat sich mit dem Paradox so eingehend beschäftigt. Wir glauben denn auch, obwohl die dialektische Theologie in mancher Hinsicht ihre Problemstellung selbstständig gemacht hat, ihre Paradoxalität nach-kierkegaardisch nennen zu dürfen.Ga naar voetnoot2) | |||||||||||||||||
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§ 7. Die Bedeutung des Paradoxes in der ‘dialektischen Theologie’.Wenn wir jetzt fragen, welche Stelle das Paradoxon bei dem um Barth, Brunner, Gogarten u.a. gebildeten Kreis einnimmt, dann müssen wir folgendes berücksichtigen. A. Von ‘der’ Stellung ‘des’ Paradoxes bei dem genannten Kreis kann eigentlich, genau genommen, ebensowenig die Rede sein, wie von ‘der’ Schule Barths oder von ‘der’ dialektischen Theologie. Denn a): man darf nicht nur ‘den Bonner Professor von heute nicht auf den Safenwiler Pfarrer von damals festlegen’, wie es K. Barth selbst ausgesprochen hat,Ga naar voetnoot1) sondern b) die dialektische Theologie zeigt auch mehr und mehr die Neigung, in wesentlichen Punkten ihre Einheit zu verlieren. Beide Bemerkungen gelten direkt auch für das Problem des Paradoxes. ad a) Denn: was die erste Bemerkung betrifft: als der Safenwiler Pfarrer zu schreiben begann, war das Paradox bei ihm das Ein und Alles. Barths Römerbrief ist voll davon. Mitarbeiter gebrauchten das Wort unaufhörlich und bemühten sich es zu begründen; und Anhänger taten ebenso um das sacrificium intellectus, die Formel A=B, die Krisis und den Glaubenskritizismus in der ‘Kategorie’Ga naar voetnoot2) | |||||||||||||||||
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des sogar ‘absolutenGa naar voetnoot1) Paradox’ zusammen zu fassen. Die Frage des Paradoxon wurde mit allen thesauri ecclesiae, allen fundamentalen Begriffen verbunden: Christus,Ga naar voetnoot2) Offenbarung,Ga naar voetnoot3) Ur- und Endgeschichte,Ga naar voetnoot4) Ewigkeit,Ga naar voetnoot5) Gericht,Ga naar voetnoot6) Gott- und Mensch-Verhältnis,Ga naar voetnoot7) Aergernis,Ga naar voetnoot8) Glaube,Ga naar voetnoot9) Wunder,Ga naar voetnoot10) Chr. Rede,Ga naar voetnoot11) Existenz,Ga naar voetnoot12) Apostolat,Ga naar voetnoot13) Gerechtigkeit Gottes,Ga naar voetnoot14) TaufeGa naar voetnoot15) usw. Alles dessen ungeachtet wurde i.J. 1932 vom Bonner Professor geschrieben, dass ‘es sich empfehlen dürfte, von diesem Begriff (Paradox), nachdem es seinen Dienst getan, aber auch allerhand Verwechslung hervorgerufen hat, in der Theologie nun wieder sparsameren Gebrauch zu machen’.Ga naar voetnoot16) An sich ist dies schon eine merkwürdige, etwas lakonisch angekündigte Veränderung in der Art und Weise des Sprechens (bzw. ‘Zeugens’). Eine wirkliche Problemverschiebung, zweitens, findet sich vor in Barths Auffassung des Wortes ‘Paradox’ selbst. In seiner erster Periode wurde dieses Wort von Barth c.s. durch die These vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit terminiert: was aus der Ewigkeit kam, widersetzte sich aller endlichen | |||||||||||||||||
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Meinung (doxa), allem Ruhm (doxa), allem Schein (doxa) der Zeit, des Menschen, des Fleisches. Das Wort ‘doxa’ wurde damals in nahezu allen Bedeutungen, die es haben konnte, gebraucht, auch wo es, wie wir bereits sahen, zu illegitimen Manipulationen mit dem Begriff ‘Paradox’ dienen musste; aber offenbar war doch in dieser ersten Periode die Parodoxie immer als eine Konsequenz des qualitativen Unterschiedes zwischen Mitteiler (Gott) und Empfänger der Mitteilung (Mensch) gedacht. M.a.W. der Begriff ‘Paradox’ wurde in Hinblick auf die Berührung von Mitteilung und Empfänger konstruiert oder (wenn man das hier bedenkliche Wort ‘Berührung’ vermeiden will) in Hinsicht auf das Verhältnis dieser beiden. Jetzt jedoch gibt Barth dem ‘Paradox’ einen neuen Inhalt, der tatsächlich die Verwirrung, die vor ihm und auch durch ihnGa naar voetnoot1) in bezug auf den Begriff ‘Paradox’ bereits bestand, noch grösser macht. Jetzt löst Barth ja doch das Paradoxon vom ‘Verhältnis’ von Mitteilung und Empfänger los, um es zu einem Attribut der Mitteilung selbst zu machen, ohne ihr konkretes Verhältnis zu (oder die Tatsache ihres Kontaktes mit) dem Empfänger mit zu berücksichtigen. Barth schreibt ja doch jetzt,Ga naar voetnoot2) dass ‘Para- | |||||||||||||||||
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doxon’ ‘eine solche Mitteilung’ ist, ‘die nicht nur mittels einer δόξα, einer “Erscheinung” gemacht wird, sondern die παϱὰ τὴν δόξαν, d.h. im Gegensatz zu dem was die Erscheinung als solche zu sagen scheint, verstanden sein will, um überhaupt verstanden zu werden’. Hier ist also nicht mehr dies das Paradoxale im Paradox, dass es selbst inhaltlich mit sich selbst uneins scheint, sondern dass es formal-methodisch mit sich selbst als Mitteilung uneins ist. Indessen darf man daraus noch nicht schliessen, dass Barth also das Wort Paradox schliesslich doch auch im Sinne unseres Typ I zu verwenden begonnen hat, namentlich soweit darin die Paradoxa einbegriffen sind, die selbst bereits durch einen schon an der Oberfläche auffallenden scheinbaren Selbstwiderspruch überraschen (z.B. das Zenosche Paradox, der fliegende Pfeil, Achilles und die Schildkröte). So ist es nicht gemeint. In der paradoxen ‘Mitteilung’ sieht Barth keinen Gegensatz zwischen dem Gehalt (Inhalt)Ga naar voetnoot1) der Mitteilung und ihrem ‘Schein’, sondern zwischen diesem Gehalt (Inhalt) der Mitteilung und ihrer ‘Erscheinung’, besser noch, der ‘Erscheinung’, deren sie sich als eines Mediums (‘mittels’) bedient. Wir brauchen nicht zu sagen, dass diese neue Verwirrung im Gebrauch des Begriffes ‘Paradox’ ebenso beschwerlich für den wissenschaftlichen Verkehr ist, wie unverantwortlich gegenüber der Geschichte des Wortes und seiner sprachlichen Bedeutung (denn ‘doxa’ in ‘paradox’ bedeutet nicht nur nicht ‘Schein’, sondern auch noch viel weniger ‘Erscheinung’; überdies ruft dieses letzte, philosophisch schwer belastete Wort hier eine Menge unbeantworteter Fragen hervor). Was jedoch wohl besondere Beachtung verdient, ist die Tatsache, dass nun nach dieser neuen und letzten Auffassung Barths das Paradoxon des Wortes Gottes als ein Gegensatz angesehen wird zwischen der ‘Erscheinung’, deren sich das Wort bedient und der scheinbaren Aussage dieser Erscheinung (‘was die Erscheinung als solche zu sagen scheint’). Es wird dadurch | |||||||||||||||||
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wieder nicht einfacher; denn nicht nur bleibt es fraglich, was der überbelastete Terminus ‘als solche’ hier bedeutet, sondern wir stehen auch überdies vor der Schwierigkeit, hier von einer doppelten Mitteilung (Aussage) sprechen zu hören: es gibt ja doch a) die paradoxe ‘Mitteilung’ selbst und dazu kommt dann als zweite b) die scheinbare Mitteilung ihres Mediums, der Erscheinung. So häufen sich die Fragen. Barth umschreibt jetzt das Paradoxon von Gottes Wort als Gegensatz (und zwar ‘in ganzer Strenge’) zwischen Mitteilung und Gestalt, auch wohl als Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt; die ‘Gestalt als solche bedeutet’ hier dann ‘ein “Rätsel”, eine Verhüllung des Wortes Gottes’.Ga naar voetnoot1) Dieses letzte Wort ‘Verhüllung’ ist die Brücke, die inhaltlich das Paradoxon dieser neuesten Umschreibung mit Barths früheren Aussprüchen verbindet: ‘wir haben das Wort Gottes nicht anders als im Geheimnis seiner Welthaftigkeit’Ga naar voetnoot2). Die ‘Gestalt.... ist.... ein ungeeignetes Mittel der Selbstdarbietung Gottes. Sie entspricht der Sache nicht, sondern sie widerspricht ihr’.Ga naar voetnoot3) Diese letzten Worte muss man sich vor Augen halten um zu sehen, wie zwar das Problem der Paradoxalität jetzt in neuen Formen und mit neuen ArgumentationenGa naar voetnoot4) dargeboten wird, wie aber trotzdem weiterhin das Paradoxon als ein Begriff, der ja doch seinen Dienst getan hat, anerkannt und dem Inhalt nach aufrecht erhalten wird. ‘Ein ungeeignetes Mittel’, - | |||||||||||||||||
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Barth ist also immer noch in Konflikt mit der klassischen reformierten Theologie, die von der perspicuitas, efficacia, claritas und sufficientia der Offenbarung sprach. Eine dritte tatsächliche Aenderung in seinen Ideen bemerkt man, wenn man Barth in diesen jüngsten Erörterungen das Paradox von Gottes Wort mit allen anderen ‘Paradoxa’ vergleichen sieht. Der Unterschied ist zwar da, aber nach dem Wortlaut ist er teils prinzipiell, teils graduell. Das Paradox von Gottes Wort erfüllt, sagt Barth, den Begriff des Paradox (Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt) ‘in ganzer Strenge’, offenbar tun andere Paradoxa dies nicht in ganzer Strenge. Hier scheint der Unterschied graduell zu sein. Aber es ist auch prinzipieller Unterschied vorhanden. Denn ‘in allen anderen denkbaren “Paradoxa” ist der Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt ein solcher, der von irgendeinem überlegenen Standort aus aufgelöst werden kann.’ Das Verwunderliche an diesem doppelten Ausspruch liegt natürlich nicht im Aufstellen dieses genannten prinzipiellen Unterschiedes zwischen dem einen Paradoxon und allen anderen Paradoxa (derartige Aussprüche sind ja nicht neuGa naar voetnoot1) und passen ganz in das ‘System’). Nein, es liegt in dem zwischen den beiden aufgestellten graduellen Unterschied, im Behaupten eines tertium comparationis zwischen beiden Arten von Paradoxa, was ihre Struktur betrifft. Auch jene anderen, sogar alle denkbaren anderen Paradoxa schliessen nach Barth einen Gegensatz zwischen Mitteilung und Gestalt in sich. Es wären hier verschiedene Fragen zu stellen, z.B. was diesmal ‘Mitteilung’ bedeutet, was die ‘Gestalt’ (als Medium der Mitteilung) ist, inwiefern ‘Gegensatz’ ein Wort ist, das hier von jeder Rhetorik freibleibt. Aber dies alles lassen wir ruhen. Darum geht es uns: wenn man auch mit der Versicherung rechnet, dass die andern ‘Pa- | |||||||||||||||||
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radoxa’ nicht ‘in ganzer Strenge’ den qu. Gegensatz sehen lassen, so bleibt doch die Frage offen, ob nicht, weil bei diesen ‘Paradoxa’ ‘Gehalt’ und ‘Gestalt’ beide (nach Barth) ‘von unten’, ‘welthaft’, menschliche Erzeugnisse, wenigstens Denkberichte sind, deshalb die Behauptung, ein ‘Gegensatz’ zwischen diesen beiden liege auch bei den ‘anderen’ Paradoxa vor, de facto ein Uebertragen des Göttlichen auf das Menschliche, des Ewigen auf das Zeitliche ist, wenigstens das Aufstellen einer Analogie zwischen diesen beiden? Warum gibt es beim Wort Gottes (nach Barth) zwischen Gehalt und Gestalt Gegensatz? Weil der bekannte unendliche qualitative Unterschied dahinter steht und weil die ‘Welthaftigkeit’ der ‘Rede Gottes’ also eigentlich diese Rede in eine sie ‘kompromittierende Nachbarschaft’ stellt.Ga naar voetnoot1) Aber alle ‘anderen’ Paradoxa werden, als Paradoxa, in einer ihnen ebenbürtigen ‘Nachbarschaft’ geboren, höchstens kann man sagen, dass sie selbst für diese kompromittierend sind, weil sie eine (nach Barth selbst) mögliche Lösung doch nicht zu ergreifen vermögen. Das, was Barth zur These von Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt des Paradoxons von Gottes Wort zwang, fehlt hier, bei den anderen Paradoxa, also ganz und gar. Das Ponieren einer Analogie zwischen diesen beiden und die Behauptung eben dieses tertium comparationis fällt darum - wenn es bewusst geschenen ist - aus dem Rahmen von Barths Konstruktionen heraus und stellt eine analogia paradoxorum auf, die sich im Erkenntnisproblem, streng durchgedacht, wohl mit der von Barth bestrittenen analogia entis verbinden lässt, aber nicht mit seiner eigenen ἀναλογία πίστεως.Ga naar voetnoot2) Und darum ist es eigentlich Verrat an Barths eigenen Grundaxiomen, wenn er einen solchen Gegensatz nun auch bei anderen ‘Paradoxa’ als denen des Wortes Gottes aufstellt. Solche Gedankengänge würden wohl in das Denksystem Rudolf Ottos passen, aber nicht in das | |||||||||||||||||
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K. Barths. Sie beweisen, wie unsicher sein Gang betreffs des Paradox wird, und wie doch das alte Schema nicht radikal preisgegeben wird. Die Tatsache, dass ein scharfer Denker wie Barth dazu kommen konnte, die ‘anderen’ Paradoxa zu benennen und ihrer Struktur nach zu qualifizieren nach Analogie von ‘das Paradoxon des Wortes Gottes’, mag eine unbedeutende Einzelheit zu sein scheinen, aber gerade weil sie ein Verstoss gegen die tiefsten Grundgedanken seines ganzen Offenbarungszeugnisses ist, zeigt sie die Unruhe, in der sich sein Denken in bezug auf das Paradox immer noch bewegt. Eine vierte, für das Paradox äusserst wichtige Frontverlegung stellt sich in dem dar, was Barth jetzt über die ‘Existenz’ und das ‘existentielle Denken’ bemerkt. In seiner ersten und mittleren Periode (Römerbrief bis Chr. Dogmatik) wurde die ‘Existenz’ des Menschen nur als gebrochen betrachtet und unter die absolute Krisis gesetzt. Keinen anderen Ausweg gab es aus ihr als den der unbedingten, gnädigen Rechtfertigung.Ga naar voetnoot1) Und darum ziemte dem Existierenden dem Wort Gottes gegenüber eine existentielle Aufgeschlossenheit,Ga naar voetnoot2) weil seine Existenz selbst der Synthese entbehrt.Ga naar voetnoot3) Wie ernst dies letzte gemeint war, geht wohl aus der Ausarbeitung hervor, die die bekannte These vom unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch in diesem Punkt empfängt. Gott ist ‘Herr über den Gegensätzen seiner eigenen Existenz’. Er ‘existiert in der Synthese’. Aber der Mensch existiert darin nicht; seine Existenz musste also nicht nur eine Frage stellen, in ihrer Aufgeschlossenheit, sondern selbst zu einer Frage werden, ‘indem er (der Mensch) von Gott, wirklich von Gott reden hörte;’Ga naar voetnoot4) es ist eine Frage ‘nach der Ueberwindung des sie (die Existenz) auflösenden und | |||||||||||||||||
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atomisierenden Widerspruchs’, ‘also’ eine ‘Frage nach ihrer eigenen Verwirklichung’.Ga naar voetnoot1) Der Mensch ‘hat’ also nicht bloss die Frage seines Selbstwiderspruchs, er ‘denkt’ sie nicht bloss, er ‘ist sie’; in diesem Punkt hat Marcion etwas Gutes gesagt.Ga naar voetnoot2) Im Selbstwiderspruch der menschlichen Existenz sind also Thesis und Antithesis vorhanden, aber diese ‘liegen’ durchaus nicht ‘wie die Balken einer Wage im Gleichgewicht’; hier ist nichts zu systematisieren.Ga naar voetnoot3) Unsere Existenz ist zerrissen, wir sind ‘nur Frage’.Ga naar voetnoot4) So erklärt sich, dass das Wort Gottes ein Begriff ist, der allein ‘existentiellem Denken’ überhaupt ‘zugänglich ist’; weil die Existenz ja doch nur Frage ist, kann sie Gott nicht ‘erzeugen’, hat sie das ‘Du’, womit sie als ‘Ich’ in Beziehung zu treten hat, nicht in ihrem Bereich, sondern muss auf das ‘Du’ stossen.Ga naar voetnoot5) So ist dies ‘Du’ absolut paradox. Hier in diesen Erörterungen der ersten Periode ist also die Verbindung mit Kierkegaard und der bekannten Paradoxlehre deutlich. Unklar jedoch werden bereits nachher (in der Chr. Dogm.) die Verbindungswege zwischen Barths Anfang und seiner Fortsetzung, wenn er, in demselben Zusammenhang, um die Bedeutung des von ihm wieder hervorgehobenen existentiellen Denkens und der damit aufgetretenen ‘Veränderung der Betrachtungsweise’ darzustellen, den vielbesprochenenGa naar voetnoot6) Satz schreibt: ‘Wir gehen vom phänomenologischen über zum “existentiellen” (ethischen, verantwortlichen) Denken’,Ga naar voetnoot7) und wenn er dann das ‘existentielle Denken’ als ein ‘sich selbst’ oder ‘seine Existenz’ Denken | |||||||||||||||||
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umschreibt. Barth will dadurch festlegen, dass ‘nur der wirklich Sachverhalte und Beziehungen, an denen der Mensch beteiligt ist, denkt, der sie denkt als konkrete Situationen, als Handlungen, in die er selbst existentiell verwickelt ist’. Damit will er dem zuvorkommen, dass der Mensch als uninteressierter ‘Schauspieler’ oder auch als ‘Zuschauer’Ga naar voetnoot1) auftreten würde im Denken über die Beziehung von sich zu Gott und umgekehrt. Nicht ‘Schauspieler’ darf er sein, denn - der Mensch ist ‘in keinem Sinn in der Lage, sich selbst objektiv als Unbeteiligten zu betrachten’. Nicht Zuschauer, denn - er kann sich nicht von seiner Existenz abstrahieren und ist, von Gott angeredet, für sein Denken Gott verantwortlich.Ga naar voetnoot2) Diese Erörterungen zu kritisieren, hat für unseren Zweck keinen Sinn, weil wir hier nach historischen Zusammenhängen fragen. Aber eben in Hinblick darauf fällt es auf, das hier doch ein Element hineingetragen ist, das der Logik von Barths erstem Sturmlauf auf alles Menschliche, auf alle Kontinuierlichkeit fremd ist. Eine Existenz, die sich selbst zum Gegenstand ihres Denkens macht, hat sich nun einmal dadurch kontinuierlich gemacht. Sofern nun dies ihr zur Aufgabe gestellt wird, ist der Fluch des Kontinuierlichen theoretisch aufgehoben, die Paradoxie des ‘Du’ entkräftet, der Schauspieler sowohl zum Zuschauer geworden als umgekehrt. Um dieser augenscheinlichen Schwierigkeit zu entgehen und um noch aufrecht erhalten zu können, dass wir ‘Offenbarung nicht auf den betrachtenden,Ga naar voetnoot3) sondern auf den wirklichen Menschen sich beziehend denken’Ga naar voetnoot4) müssen, poniert Barth nun zwar, dass Gott ‘bei diesem gleichzeitigen In-sich-selbst-bleiben und Aus-sich-heraustreten des Menschen’ als wirkende Ursache auftritt, aber wenn er dann daraus schliesst, dass also der Mensch selbst ‘gerade nicht’ das ‘wesentliche Subjekt’ dieser | |||||||||||||||||
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existentiellen Betätigung ist, dann wird doch hier mit dem Begriff ‘Subjekt’ ein Spiel getrieben, um noch zu schweigen von dem unerlaubten Sprung von der Präposition ‘von’ auf die Präposition ‘in’ (wenn Barth nämlich feststellt, dass diese Betätigung ‘von Gott und in Gott getan ist’);Ga naar voetnoot1) ein Ausspruch, den Eckart und Suso sogleich übernehmen würden. So ist also in dieser Phase von Barths Entwicklung die Ausarbeitung des Begriffs des ‘existentiellen Denkens’, wiewohl z.T. kierkegaardisch, doch andernteils ein Verlassen von dessen Linie und der seines ‘Römerbriefes’ und ein Aufgeben des absoluten Paradoxes. In der ‘paradoxen Gleichung’ vom Problem der zum existentiellen Menschen kommenden Offenbarung will Barth zwar noch den ‘leeren Raum’ durch das Paradox bezeichnet sein lassen,Ga naar voetnoot2) aber diese Durchführung dieser aus seiner ersten Periode überbekannten Terminologie ändert doch nichts an der Tatsache, dass er mit ihrem Inhalt in Streit gekommen, dass sein Radikalismus preisgegeben ist. Die von Barth gegebene Versicherung, dass er das phänomenologische Denken dem existentiellen nur unterordne,Ga naar voetnoot3) tut dem keinen Abbruch; denn in der Linie seines ersten Auftretens würde nicht eine Unterordnung jenes unter dieses, sondern die Aufstellung einer Antithese zwischen beiden gelegen haben. Es verwundert uns denn auch nicht, dass Barth in seiner jüngsten Dogmatik (Kirchl. Dogm.) zugegeben hat, dass er in der Christ. Dogm., was dieses existentielle Denken betrifft, ‘doch (wenn auch nur in der Weise der libellatici der decinianischen Christenverfolgung) den falschen Göttern Reverenz erwiesen’ habe.Ga naar voetnoot4) Er lässt jetzt (1932) wieder hie und da die alten Klänge seiner allerersten Periode hören,Ga naar voetnoot5) wie er dies freilich 1929 | |||||||||||||||||
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auch getan hatte.Ga naar voetnoot1) Ausdrücklich weist er jedes Anthropologisieren ab, wenn es darum geht, theologisch zu sprechen, und lehnt sich darin gegen Gogarten auf, der eine ‘eigentliche Anthropologie’ nicht als einen bestimmten locus der Dogmatik, sondern als das Mittelpunktsproblem der Theologie gewünscht hatte,Ga naar voetnoot2) gegen Heidegger, über den wir bereits gesprochen haben, und gegen Eberh. Grisebach, der zwar auch ‘die endliche Existenz’ als ‘eine durchaus fragwürdige Situation des Erkennenden’ betrachtet und ‘das Begrenzende’ ausserhalb des Selbst liegen sieht als ‘ein.... nicht zu bewältigendes Gegenüber, das uns mit unserer monarchistischen Tendenz in Verlegenheit bringt’, wie er auch zwischen Gebilden des Gedankens (Gegenständlichkeit der Natur, der Geistesgeschichte) einerseits und der Verlegenheitssituation der Wirklichkeit des menschlichen Handelns andererseits scharf unterscheidet, der sich aber von Barths Existenzbegriff prinzipiell entfernt, wenn er erklärt, dass ‘die Begegnung mit dem Absoluten’ ‘nur eine scheinbare Erfahrung’ sein kann, ‘die ihr Apriori oder ihr Existential im eigenen Wesen hat’, oder wenn er behauptet, dass ‘der Unterschied von Innen und Aussen’ ‘nur durch Aufklärung über das Wesen der Erinnerung klargemacht werden’ kann, um dann schliesslich zu folgern, dass die Begriffe oder Bilder der Erinnerung sich auf die gegenwärtige Sphäre der Existentialität nicht mehr anwenden lassen, dass also keine dialektische Methode für eine Begründung der Existenz zuständig ist, denn die Erfahrung des Widerspruchs stellt jede Erinnerungsmethode in Frage, und das Absolute hat seine Bedeutung ‘im Reich des Gestern, aber das Heute ist gar nicht von ihm berührt’.Ga naar voetnoot3) Diesen dreien gegenüber erklärt | |||||||||||||||||
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Barth, er habe weder früher noch jetzt seine Dogmatik auf das existentielle Denken bauen wollen,Ga naar voetnoot1) wenn er auch zugibt, Anlass zu Missverständnis gegeben zu haben. Wenn auch Barth also sich selbst zum Teil korrigiert hat, so hat er sich doch betreffs des für das Paradox so wichtigen Punktes von der Existenz auch in seiner jüngsten Dogmatik zu Aussprüchen verleiten lassen, die sich nicht mit seinem früheren radikalen ‘Krisisismus’ vereinigen lassen. Wir weisen nur auf zwei Dinge hin. 1. Die Behauptung eines existential-ontologischen Prius des ontisch-existentiellen Glaubens läuft jetzt bei Barth mit der ‘Definition des Glaubens als einer Weise des Geschichtlichseins menschlicher Existenz’ parallel. Bereits dem Wortklang nach kommt er hier in Opposition mit seinem früheren Ausspruch, ‘dass der Glaube nur insofern Glaube ist, als er keine geschichtliche und seelische Wirklichkeit beansprucht’,Ga naar voetnoot2) sondern Hohlraum,Ga naar voetnoot3) Umkehrung, radikale Neuorientierung,Ga naar voetnoot4) Sprung ins Ungewisse, in die leere LuftGa naar voetnoot5) ist. Aber überdies ist dies Geschichtlichsein der menschlichen Existenz und die Umschreibung des | |||||||||||||||||
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Glaubens als eines Modus dieser Existenz doch wieder prinzipiell nicht zu vereinigen mit Barths ältester Auffassung, dass mit Rücksicht auf die Urgeschichte (Endgeschichte) nur von qualifizierter Geschichte gesprochen werden kann; die Geschichte hat in der Krisis ihre radikalste Erledigung gefunden und das ist der rote Faden, der sich durch Da-Sein und So-Sein hindurchzieht,Ga naar voetnoot1) und uns zu dem Zugeständnis zwingt, dass der Glaube nur als etwas Ungeschichtliches Geschichte begründen kann.Ga naar voetnoot2) 2. Dazu kommt jedoch noch, dass Barth die menschliche Existenz als menschliche Selbstbestimmung umschreibt, die selbst wieder Gegenstand der Bestimmung durch das göttliche Wort ist und dass nun die so entstandene ‘Bestimmung des ganzen sich selbst bestimmenden Menschen durch das Wort Gottes’ von Barth mit dem Begriff der ‘Anerkennung’ bezeichnet wird.Ga naar voetnoot3) ‘Selbstbestimmung’ als ‘Anerkennung’ des Wortes Gottes, sagt Barth. Aber dies ist etwas Positives, früher jedoch brachte die Existentialität des neuen Menschen es nicht weiter als zu der ‘unerhörten Lage, sich selbst in Frage zu stellen’; diese Frage war dann überdies ‘eine an uns gerichtete Frage eines andern’,Ga naar voetnoot4) ‘Gottes Frage an uns und als Gottes Frage Gottes Antwort’.Ga naar voetnoot5) So weicht die Frage Gottes einer Anerkennung des Menschen, wie übrigens die These, dass die geschichtliche und seelische Seite der Wahrheit immer ihre Unwahrheit ist,Ga naar voetnoot6) jetzt einer Analyse des Begriffs ‘Anerkennung’ Platz macht, so, dass darunter auch Erkenntnis fällt, ja sogar ein Teilnehmen an der doppelten Indirektheit, in der wir das Wort Gottes empfangen. D.h. unser Aufnehmen des Wortes Gottes hat ebenso wie das Wort selbst eine ‘welthafte Gestalt’ (Ge- | |||||||||||||||||
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stalt von allerlei menschlichen Akten), aber diese Gestalt wird seine Verhüllung, seine Infragestellung.Ga naar voetnoot1) Diese letzte Bemerkung kann wohl als Paradigma der eigenartigen Verwicklungen gelten, in denen sich Barths Denken hier verwirrt. Einerseits sind in der Existenzfrage neue Elemente konstitutiv geworden (Geschichtlichkeit, Anerkennung), die den Schrecken des absoluten Paradoxes mitigieren, andererseits wieder wird in einer in diesem Zusammenhang doch wohl leichtfertigen Weise auf das absolute Paradox zurückgegriffen. Leichtfertig sagten wir. Denn wenn die welthafte Gestalt unseres Aufnehmens von Gottes Wort eine Verhüllung genannt wird und dies expressis verbis als Teilnahme an der Indirektheit von Gottes in welthafter Gestalt zu uns kommendem Wort gesehen wird, dann ist das Wort ‘teilnehmen’ hier nicht am Platze und die Parallelie, die zwischen Wort Gottes und Aufnahme des Wortes Gottes gezogen wird, doch eigentlich ungenügend begründet. Gottes Wort hat ja doch seinen paradoxen Gegensatz zwischen Gestalt und Gehalt, wie wir sahen, dadurch, dass sich etwas Göttliches mit etwas Welthaftem berührt. Aber bei der Selbstbestimmung des Menschen (Existenz, Anerkennung) ist kein Eingehen des Menschlichen in das Göttliche vorhanden; Selbstbestimmung ist nun einmal menschlicher Akt. Zwar behauptet Barth, dass im Akt der Selbstbestimmung das Leben des Menschen sein Zentrum, sein Woher, seinen Sinn und sein Kriterium ausserhalb seiner selbst, in dem Anerkannten hat, aber abgesehen von der Tatsache, dass hier die Präposition ‘in’ wechselt mit ‘von’ (dem Anerkannten) ‘her’ (was doch wieder etwas ganz anderes ist), sei darauf hingewiesen, dass auch nach Barth selbst das Leben des Menschen doch nicht aufhört das sich selbst bestimmende Leben dieses Menschen zu sein.Ga naar voetnoot2) Darum ist die These der ‘Teilnahme’ ein gewaltsames Zurückgreifen auf den alten | |||||||||||||||||
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Paradoxalitätsgedanken, aber ohne dass dieser sich organisch mit dem neu hereingebrachten Gedanken verbindet. So wie wir oben bemerkten, dass die Umschreibung ‘anderer’ Paradoxa nach Analogie von ‘dem’ Paradoxon sowohl dem Buchstaben als dem Geist von Barths erstem Auftreten widersprach, so muss hier bemerkt werden, dass die Schlusstirade über die Teilnahme unserer Anerkennung an der Indirektheit von Gottes Wort auch wieder die menschliche Existenz (und zwar in ihrem Geschichtlichsein!) nach Analogie von dem Offenbarungsvorgang von Gottes Wort umschreibt und dass also in seiner Begriffsbildung Barth sich selbst untreu wurde. Das Ganze beweist, dass die alte Paradoxentheorie zwar wankt, aber noch nicht preisgegeben wird, dass fremde Elemente hineingebracht werden, die jedoch als Konzessionen an fremde oder eigene Kritik keine radikale Revision beabsichtigen oder bedeuten, und dass also die Einheit fehlt. ad b) Die Existenzfrage führt uns selbst bereits zu dem zweiten Punkt hinüber, den wir hier noch zu besprechen haben: zu dem mehr und mehr wahrnehmbaren Zerfall der Einheit der ‘dialektischen Theologie’. Wir nennen, in Anschluss an das Vorhergehende, die Frage von der Existentialität und, wieder in Anschluss daran, die vom ‘Anknüpfungspunkt’. Was die Existentialität betrifft, so ist nicht nur K. Barth selbst mit sich selbst uneins, sondern auch die ihm Geistesverwandten sind dies in bezug auf einander. Die Meinungsverschiedenheit Barth-Gogarten kam bereits zur Sprache. Auch kann auf R. Bultmann hingewiesen werden, der zum Teil mit dem Gedankenschema von Barth-Gogarten einverstanden ist, aber betreffs der Existenz sowohl K. Barth als H. Barth gegen sich hat, den einen, weil er, Bultmann, den ‘freien Grund, den die Korrelation von Gott und Mensch in Gott hat’, bei seinem Denken in dieser Korrelation wegdenkt, weil er wenigstens diesen ‘Fehler Wobbermins’ nicht deutlich vermieden hat, den andern, weil er (R.B.) die Existenz nicht auf ein ihr Jenseitiges bezieht, | |||||||||||||||||
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und sich also in diesem sehr wichtigen Punkt an die Seite Heideggers mit seinem Zirkelverfahren stellt,Ga naar voetnoot1) über welches Zirkelverfahren dann wieder ausser H. Barth auch K. Barth selbst ablehnend spricht.Ga naar voetnoot2) Was E. Brunner betrifft, so schwächt er nicht nur tatsächlich die alte Kriegslosung ab, sondern er kommst prinzipiell damit in Konflikt, wie auch mit Barths letzter Behauptung, das die Anerkennung des göttlichen Wortes schliesslich in jedem ihrer Momente Gott zum ‘Subjekt’ habe; denn Brunner behauptet, mit dem Niederschlagen der Vernunfthybris werde die ‘sich heimlich nach dem göttlichen Du sehnende Vernunft’ befreit.Ga naar voetnoot3) Aber betreffs der Existentialitätsfrage sympathisiert er, wie übrigens bereits aus dem eben Gesagten klar wird, mehr mit Gogartens ‘Anthropologie’, als K. Barth es tun konnte,Ga naar voetnoot4) und geht sogar soweit, dass er die Anthropologie (‘das sich selbst Verstehen des Menschen’) den ‘gemeinsamen Boden des Glaubens und des Nicht-Glaubens’ nennt.Ga naar voetnoot5) Es ist klar, dass diese Auffassung noch umso mehr geeignet ist, den Abstand zwischen Barth und Brunner zu vergrössern, wenn man an den ‘Anknüpfungspunkt’ denkt, über den wir bereits sprachen und der noch weiter zu erwähnen ist.Ga naar voetnoot6) Schliesslich steht Brunner prinzipiell K. Barth gegenüber, wenn er sagt: ‘Die Existenz wäre nicht Frage, wenn | |||||||||||||||||
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wir nicht Anteil hätten an der Gotteswahrheit’.Ga naar voetnoot1) Und endlich, auch H. Barth unterscheidet sich u.E. prinzipiell von K. Barth, wenn auch dieser sich in der Existenzfrage Heidegger, Bultmann u.a. gegenüber auf ihn beruft.Ga naar voetnoot2) Wir denken hier nicht so sehr an H. Barths Auffassung, dass Existenz nie gegenständlich werden kann, es sei denn in der Reflexion. Denn dies ist zwar eine Ablehnung von dem in K. Barths erster Dogmatik aufgestellten Begriff vom nicht-reflexiven ‘seine Existenz-Denken’, aber da Barth diese Dogmatik in diesem Punkt zurückgenommen hat, ist in dieser Hinsicht der Abstand zwischen ihm und H. Barth wieder überbrückt. Nein, wir richten unser Augenmerk auf andere Dinge. Vor allem denken wir hier an H. Barths Anschauung, ‘dass das “Du” im Horizonte der dialektischen Existenzauffassung liegt. Eben im “Du”, wie in aller vorfindlichen Wirklichkeit, ist die Frage vertreten, die die Existenz sich zu eigen macht’.Ga naar voetnoot3) Dies wird durch die Behauptung verdeutlicht, dass ‘Existenz kein in sich abgeschlossenes Sein hat, sondern in Konfrontation steht, und dies nicht erst durch nachträgliche Beziehung auf eine “Norm”, sondern ihrem Begriffe nach; sie wäre nicht Existenz, wenn sie nicht ausgerichtet wäre auf die Krisis der Existenz, die die Begrenzung ihrer selbst und ihrer Möglichkeiten darstellt’.Ga naar voetnoot4) Diese (philosophische) Konstruktion H. Barths ist doch kaum mit K. Barths (theologischer) Auffassung zu verbinden, die Existenz (Selbstbestimmung) habe ihr Zentrum, Woher, Sinn, Kriterium ausserhalb ihrer selbst. Dies ist bei K. Barth ein krampfhaftes Festhalten an der ‘paradoxen Einheit’ des Glaubens; bei H. Barth tritt jedoch | |||||||||||||||||
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‘der Zerfall dieser paradoxen Einheit’ ein; denn ungeachtet E. Brunners Plaidoyer, worin er andere für den Zerfall der paradoxen Einheit verantwortlich macht,Ga naar voetnoot1) steckt doch in dieser philosophischen Konstruktion H. Barths auch ein prinzipieller Liberalismus; solchen Liberalismus wirft er (unter Zustimmung von K. Barth)Ga naar voetnoot2) Bultmann vor.Ga naar voetnoot3) Erinnert man sich, wie bei der dialektischen Theologie anfänglich die Existenz nur sich in Frage bringen konnte und auf das ‘Du’ stossen musste, und sieht man dann, wie nun die Existenz die im ‘Du’ vertretene Frage sich zu eigen macht, und auf ihre Krisis ‘ausgerichtet’ ist, dann ist klar, dass eine Schwenkung nach.... Wobbermin eingetreten ist, obgleich K. Barth diesem den Gebrauch des Wortes ‘existentiell’ verbieten will.Ga naar voetnoot4) Und aufs neue stellt sich also H. Barth mit E. Brunner (siehe oben) in eine Frontlinie gegenüber K. Barth, der, ungeachtet all seiner Schwankungen, doch immer wieder auf das alte strikte Glaubensparadox zurückgreift, was sie nicht tun. Es gibt übrigens noch einen Punkt, worin sich zeigt, dass H. Barth betreffs der Existenzfrage sogleich eine andere Linie zieht, als sich mit K. Barths Grundschema verbinden lässt. H. Barths soeben dargestellter Standpunkt hat ja doch seine Konsequenzen, auch in Beziehung auf die existentielle Dialektik. Die Dialektik, von der bei H. Barth in Beziehung auf die Existenz die Rede sein kann, ist (bei scharfer Konsequenz) eine solche, die ‘nicht im Hinblick auf die Existenz, sondern die in der Existenz selbst fragt | |||||||||||||||||
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und antwortet’.Ga naar voetnoot1) Hiemit ist die Zahl der Definitionen, die die dialektische Theologie von ‘Dialektik’ gegeben hat, wieder um eine vermehrt, aber zugleich ist wieder das Wesentliche ihrer ältesten Auffassung von ‘Dialektik’ preisgegeben; bei dieser handelte es sich ja doch immer um Dialektik zwischen Gott und Verhängnis, Verhängnis und Schuld, Schuld und Sühne, Sühne und Gott, ‘Alt’ und ‘Neu’, Adam und Christus, alter und neuer Welt, Gericht und Begnadigung u.s.w., kurz, um Dialektik von dem ‘unendlichen qualitativen Unterschied.’Ga naar voetnoot2) Solche Unterschiede müssen natürlich einen prinzipiellen Hintergrund haben. Dieser liegt in dem Kontakt, den H. Barth zu legen wagt zwischen die ‘alte’ (allgemeine) Existenz, die ‘ihre Gegenwart in der Geschichte, als dem wesentlichen Schauplatz der Entscheidungen hat’ (118) einerseits, und die ‘neue’ (besondere) Existenz ‘im gläubigen Menschen’, der ‘in der Wahrheit ist’, ‘sofern er in gegenwärtiger Existenz in ihr gründet’ (119) andererseits. Zwischen diesen zwei Existenzen liegt, nach H. Barth, ein Uebergang und das ist tötlich für die historische dialektische Theologie. Nachdem H. Barth ja doch aufgezeigt hat, dass ‘die Geschichte der Ort ist der Auswirkung existentieller Dialektik’ (siehe oben), wird konstatiert, dass ‘jede geschichtliche Phase ein je Einmaliges und Unwiederholbares darstellt’, um dann darnach aequo animo zu behaupten, dass ‘ein’(!) ‘solches Einmaliges uns nun begegnet in demjenigen Elemente der Geschichte, das der Theologe aus der Geschichte überhaupt heraushebt(!) und als “Offenbarungsgeschichte” bezeichnet’. Diese ‘Offenbarungsgeschichte’ heisst dann ‘Geschichte in der Geschichte’. Hiemit ist, radikaler als es in K. Barths schüchterner | |||||||||||||||||
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Selbstkritik möglich schien, die Theorie über den Unterschied zwischen Geschichte und Urgeschichte durchbrochen. Radikal und für immer. Und wenn dann H. Barth weiterhin behauptet, dass in der Offenbarungsgeschichte das Existenzproblem eine ‘unerhörte Zuspitzung erfährt’ (119), dann sehen wir, auch hier, dass das Salz der dialektischen Theologie geschmacklos geworden ist. Das Existenzproblem, das früher bei ihr die Existenz des Glaubenslosen kritisch beleuchtete von der Existenz des Gläubigen aus, ist jetzt so gestellt, dass das, was philosophisch-anthropologisch über die nicht glaubende Existenz festgestellt wurde, seine ‘Zuspitzung’ im Glaubenden findet. Der Kreis der Selbstverzehrung schliesst sich, wenn die ‘allgemeine’ (K. Barth, K. Dogm. 39) ‘Existenz in der Begrenzung’ (d.h. die Existenz, die ihre eigene bereits genannte ‘Dialektik’ in sich selbst besitzt und antreibt) von H. Barth eine ‘Analogie’ der Gotteserkenntnis genannt wird (117). Nun genügt es uns nicht, dass K. Barth vor diesen Konstruktionen vorsichtig warnt und im Hinblick auf die Autarkie der allgemeinen Existenz zu der eigenen existentiellen Dialektik, offensichtlich ziemlich skeptisch steht (K. Dogm., 39, 208/9). Mehr sagt es uns, dass, gegeben einmal diese prinzipielle Schwenkung, (die bereits in der Behandlungsmethode der Existenzfrage Verrat an den alten Axiomen K. Barths c.s. bedeutet) jetzt auf der ganzen Linie die Uneinigkeiten an den Tag kommen, kommen müssen. Kierkegaards Existenzbegriff, der dem ‘objektiven’ Denker keine Existentialität beilegen und nur dem in Spannung gesetzten, von oben ergriffenen ‘Gleichzeitigen’ existentielles Verfahren zuschreiben konnte, ist hier von einem Anthropologisieren völlig verschlungen worden, das nun, auch in der Qualifizierung der Existenz überhaupt, in allen Punkten das nachkierkegaardsche Paradoxon samt seinen Prolegomena über den Haufen wirft. Nun ist es wahr, dass H. Barth selbst wiederholt darnach trachtet, die für die dialektischen Theologie hier so | |||||||||||||||||
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verhängnisvollen Konsequenzen abzuwehren. Er lässt den Beziehungspunkt, den Richtpunkt, das Forum, worauf und wovor in der Existenzfrage die Möglichkeiten der Existenz hingehalten werden, ausserhalb der ermessenen Möglichkeiten und auch ausserhalb der jeweiligen konkreten Existenz liegen; er lehnt sich gegen Heidegger auf, weil dieser das Problem der ‘Grenze’ in seiner Existenzphilosophie nicht kennt; er lehnt sich gegen den Gedanken auf, die Existenz würde ‘sich ihr Problem in sich selbst’ stellen, denn dann würde Gott damit erübrigt sein; auch will er den theologischen Oberbau am allerwenigsten auf seiner oder irgend einer anderen Existenzphilosophie ruhen lassen, oder den ‘Menschen’ in den Mittelpunkt stellen oder die Existenz in ihrem eigenen Dasein verankern. Und ausdrücklich erklärt er, dass ‘Existenz in der Begrenzung’ doch noch keine Gotteserkenntnis sei. Auch setzt er die ‘neue Existenz’ zu der ‘alten’ in ein Verhältnis, das paradox im eminenten Sinne heisst, weil das grosse Paradox, dass Gott Fleisch ward, die neue gegenüber der alten (‘allgemeinen’) bestimmt.Ga naar voetnoot1) Aber dies ändert doch nichts an der Tatsache, dass bei ihm die Existenz auf ihre eigene Krisis ausgerichtet ist (und also auch auf ihre eigene Begrenzung, denn diese liegt ja doch ‘nicht in der Norm, sondern in der Krisis eben der Existenz selbst’) und dass sie ‘primär’ in der Verantwortung, in der Konfrontation steht.Ga naar voetnoot2) Dies alles ist, nun es einmal unter dem Gesichtspunkt der Berührung zwischen Geschichte und Offenbarungsgeschichte beschaut werden muss, eine Betrachtungsweise, die nach Barths ältesten Auffassungen zu qualifizieren ist als ein Geben dem Menschen, was Gottes ist. Unter diesem Gesichtspunkt sehen wir nun in H. Barths Existenzphilosophie auf der ganzen Linie einen bedeutenden Unterschied von K. Barth, der die Kraft der wirklichen Begrenzung der Existenz, sofern diese ‘Krisis’ und ‘Verantwortung’ heissen darf, eben ihr selbst absprach, um sie allein von | |||||||||||||||||
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Gott her kommen zu lassen, der jede sinnvolle, an die Existenz gerichtete Frage von aussen her, von Gott her ihr zukommen liess, der das ‘kritisch Charakterisieren’ allen Da-Seins und So-Seins dem ‘Christus in uns’ (dem an uns gerichteten Wort Gottes) vorbehielt, und der - weit davon entfernt eine Analogie zwischen alter und neuer Existenz aufzustellen! - den Menschen sah ‘herkommen von einer umfassenden Aufhebung aller Prädikate unsres uns bekannten Seins’ und ihn sah ‘entgegengehen einer ebenso umfassenden, aber totaliter aliter verlaufenden Prädikation unsrer uns unbekannten Existenz in Gott’.Ga naar voetnoot1) Und was K. Barths jüngste Auffassung betrifft - auch selbst noch damit kommt H. Barth in Konflikt. Steht es nämlich fest, dass nach K. Barth ohne das Wort Gottes von einer Offenbarungsvorgang keine Rede sein kann, dann ist seine Stellung als Theologe gegen H. Barth als Philosophen gerichtet, denn K. Barth versichert, die menschliche Existenz sei Gegenstand der Bestimmung durch das göttliche Wort und erst darin und dadurch bestimme sie sich selbst und lerne ‘Du’ sagen. Nein, hier sind bei H. Barth keine angeborenen Ideen im Spiel, wohl aber angeborene Begrenzung, eine angeborene Dialektik, eine angeborene Krisis; und es ist nur die Frage, ob diese These des ‘Angeborenseins’ von ‘Existenzbewegungen’ (seien es denn auch nur ‘formale’),Ga naar voetnoot2) die auch in der ‘neuen Existenz’ vollzogen werden, nicht genau so erschütternd auf die Fundamente der dialektischen Theologie wirkt, wie die Lehre der angeborenen Ideen. Diese ‘kritische Existentialphilosophie’ H. Barths spricht zwar noch von der ‘Disparatheit der beidseitigen Existenzweisen’ (der ‘alten’ und der ‘neuen’ Existenz), aber sie kann gerade nicht deutlich machen, dass diese Disparatheit | |||||||||||||||||
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etwas mit der Existenzweise zu tun hat, wenn nämlich (wie behauptet wird) Begrenzung und Krisis und das ‘Sich-zu-eigen-Machen’ der im ‘Du’ enthaltenen Frage in dem Begriff der Existenz als solcher beschlossen liegen. Und eben wo sie diese Disparatheit als das sieht, was ihr den Begriff des ‘Paradoxen’ (im Verhältnis der neuen Existenz zur alten) ‘nahelegt’,Ga naar voetnoot1) ist in diesem wichtigen Punkt ihre Problemstellung unbefriedigend von dem Standpunkt der Problematik der dialektischen Theologie selbst aus, und da ist die Brücke zur Theologie, wenn man nämlich darunter die dialektische versteht, abgebrochen, ungeachtet ihrer gegenteiligen Versicherung.Ga naar voetnoot2) Das wird übrigens auch erhärtet aus der Tatsache, dass diese ‘kritische Existentialphilosophie’ in ‘Existenz in der Begrenzung’ zwar keine Gotteserkenntnis sieht, aber doch wohl eine ‘Analogie’ der Gotteserkenntnis.Ga naar voetnoot3) K. Barth jedoch hat der Lehre von der analogia entis die ἀναλογία πίστεως gegenübergestellt und nur unter dieser Einschränkung den Analogiebegriff beibehalten.Ga naar voetnoot4) Nach ihm ist sie ‘die Entsprechung des Erkannten im Erkennen, des Gegenstandes im Denken, des Wortes Gottes im gedachten und gesprochenen Menschenwort’ (in der gläubigen christlichen Prophetie). Zugegeben sei, dass auch dieser Analogiebegriff seiner ersten Periode fremd ist, aber er ist doch noch immer etwas anderes als die Analogie, die H. Barth hier aufstellte. H. Barths Analogie läuft tatsächlich auf eine Parallelie zwischen Naturerkenntnis und Gotteserkenntnis hinaus. Kein Wunder, dass K. Barth diesen Analogiebegriff kritisiert: ‘diese Behauptung kann kein theologischer Satz werden. Denn wie er theologisch zu begründen sein sollte, ist nicht abzusehen.’Ga naar voetnoot5) | |||||||||||||||||
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Die Milde dieser Kritik weist jedoch darauf hin, dass sich K. Barth selbst in Unsicherheit befindet hinsichtlich seiner früheren Auffassungen, nach denen ‘dieser Satz’ nicht nur nicht theologisch begründbar, sondern sehr bestimmt theologisch verwerflich heissen würde. Wir sahen übrigens bereits, dass er selbst auch hie und da diesem Analogiebegriff nahekommt. Die gratia inhaerensGa naar voetnoot1) ist noch nicht importiert, aber wohl mit einer Lehre von einem formalen schema gratiae inhaerens ist hier von H. Barth ein Bund geschlossen worden, und K. Barth ruft seine ‘Todeslinie’ nicht dagegen zu Hilfe. Vielleicht ist hiemit die Situation einigermassen gekennzeichnet. Und zugleich das Schwanken zwischen Verwerfung und Annahme der ‘eigentlichen Anthropologie’ in der Theologie. Und so kommen wir automatisch zu dem zweiten Punkt, der noch die Aufmerksamkeit fordert: zur Lehre vom ‘Anknüpfungspunkt’. Wenn nämlich einmal für H. Barths ‘Analogie’ Platz gemacht ist, dann liegt die Folgerung auf der Hand, dass, sei es auch unter Beibehaltung des Gegensatzes zwischen Heidegger und den dialektischen Theologen,Ga naar voetnoot2) doch dessen Untersuchungen für die dialektische Theologie grosse Bedeutung haben, soweit Heidegger das existentielle In-der-Welt-Sein des schlichten Menschen analysiert hat. Dieser Schluss wird denn auch mit deutlichen Worten von E. Brunner gezogen. ‘Der Hinweis Heideggers auf den vorrationalen Menschen - der wir irgendwie alle sind - bleibt ein Gewinn, auch für die Theologie’ .... ‘Auf ihn’ (d.h.: auf den schlichten Menschen) ‘und sein Wissen von sich selbst.... hat sich auch heute.... rechte Theologie zu beziehen’. Und nun noch einen Schritt weiter: ‘Die Glaubenserkenntnis ist von der Art, dass in ihr diese schlichte Lebenserkenntnis, dieses schlichte Wissen um Tod und Sünde, aufgehoben und vollendet ist.... Der Glaube kann sich nicht anders voll- | |||||||||||||||||
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ziehen als so, dass diese natürliche Selbsterkenntnis in ihm vollendet wird.Ga naar voetnoot1) Diese Worte E. Brunners, die man vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte, beweisen wohl, wie sehr er mit seiner Anthropologie in der Theologie ernst macht.Ga naar voetnoot2) Und sie involvieren, was er sogleich darauf folgen lässt: dass die Theologie nicht darauf verzichten muss, ‘an das natürliche Selbstverständnis des Menschen anzuknüpfen.’Ga naar voetnoot3) Dieses letzte Wort bringt nun Brunner zu einer Erörterung, in der das Wesentliche dies ist:
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Für die Bestimmung der historischen Entwicklung der Dinge in der Theologie der ‘Krisis’ ist es nun von Bedeutung, dass Brunner sich hier einerseits der Theologie der Reformatoren nähert, andererseits sich im entscheidenden Punkt immer wieder davon abwendet. So wird z.B. einerseits Nachdruck darauf gelegt, dass die obengenannten ‘immanenten Möglichkeiten’ und vor allem ihre ‘Spitze’ (Gewissen, Erkenntnis der Sünde!), nur negative Möglichkeiten sind; aber auf der anderen Seite glaubt Brunner, dass diese negativen Möglichkeiten durch das Wort Gottes ‘verdichtet’, ‘zur praktischen Wirklichkeit’, aktuell gemacht werden müssen, zur Reife, zum Ausbruch kommen, Wirklichkeit werden müssen.Ga naar voetnoot4) Wir fragen nicht, was wohl hier im Begriff ‘Erkenntnis’ (der Sünde) vor dieser Realisierung enthalten, | |||||||||||||||||
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sein mag, sondern konstatieren nur, dass die reformatorische Theologie in ihrer Entwicklung hier eine Lösung gefunden hat, nicht in der Aktualisierung von negativen Möglichkeiten, sondern in der positiven Einpflanzung des semen regenerationis, dieser ‘nova creatio’ (Canones Dordraceni). Einerseits erinnert Brunner an die bei den Reformatoren tatsächlich vorkommende Theorie von dem ‘Rest’ der imago dei und er gebraucht diese Lehre zur Unterstützung seiner Auffassung der ‘humanitas’; andererseits jedoch hat er gegen diese Theorie einzuwenden, der quantitative Ausdruck ‘Rest’ sei hier ‘missverständlich’, und konstatiert, offenbar um das Missverständnis zu beseitigen, wir haben es hier mit einem ‘dialektischen Verhältnis’ zu tun: ‘Kontinuität und Diskontinuität, Anknüpfung und Gegensatz miteinander’.Ga naar voetnoot1) In diesem letzten entscheidenden Punkt sehen wir Brunner, genau so wie Barth, zurückkommen auf frühere absolutistische Aussprüche zu Gunsten der historischen, orthodoxreformatorischen Theologie, und andererseits doch verharren in Dialektik. Brunner beruft sich zwar auf Luther und Calvin, verwundert sich darüber, dass der ‘negativere Akzent diesmal merkwürdigerweise bei Luther fällt’, aber er beruft sichGa naar voetnoot2) für seine Theorie der humanitas doch eigentlich zu Unrecht und also vergebens auf diese Reformatoren. Denn er versäumt es auf den Begriff ‘Rest’ einzugehen, wie die Reformatoren diesen aufgestellt haben, ein Begriff, der doch wirklich etwas mehr ist als eine ungenaue quantitative Ausdrucksweise, die man nur ein wenig zu präzisieren hätte, um die humanitas Brunners daraus destillieren zu können. Dieser Fehler kommt bereits an den Tag, wenn Brunner bei den Reformatoren einen | |||||||||||||||||
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‘doppelten Begriff der imago’ dasein lässt, ‘der eine, der (als “Rest”) mit der humanitas identifiziert wird, der andere, als die völlige, die justitia originalis heisst’. Hier sind zwei Dinge übersehen. Zum ersten, dass es doch nicht richtig sein kann, den ‘Rest’ der imago dei, wie dieser bei den Reformatoren vorkommt, als einen ‘Begriff der imago’ darzustellen und dann so mit einem zweiten ‘völligen’ Begriff der imago (iustitia originalis) zu koordinieren. Hinter jedem Sprechen von einem ‘Rest’ liegt ja doch eine Lehre über die imago selbst, von der ein ‘Rest’ geblieben ist, nach dem Fall. Und zum zweiten wird hier übersehen, dass von alters her über das Bild Gottes zwischen Lutheranern und Calvinisten eine Meinungsverschiedenheit bestand. Die lutherische Theologie, mehr soteriologisch gefärbt, neigte je länger desto mehr dazu, das Bild Gottes in sittlichem Sinn aufzufassen. ‘Zwar leugnen die Lutherischen nicht, dass auch das Wesen des Menschen quaedam ϑεῖα sive divina ausdrückt, aber das eigentliche Bild Gottes ist nur gelegen in der justitia originalis mit der damit verbundenen immortalitas, impassibilitas, dominium und conditio felicissima.... Die Reformierten jedoch nahmen von Beginn an auch das Wesen des Menschen in das Bild Gottes auf.... Calvin.... sagt ausdrücklich, dass das Bild Gottes bestand in der tota praesentia, qua eminet hominis natura inter omnes animantium species, und dass es weiter, proinde, auch in der integritas besteht’.Ga naar voetnoot1) Und wenn man diesen Unterschied im Auge behält, verschwinden mit einemmale die Gründe für Brunners Verwunderung über die Tatsache, dass diesmal Luther sich von Calvin durch ‘den negativeren Akzent’ underscheidet, und auch über das Quantitative des Begriffes ‘Rest’. Die Diskrepanz zwischen dem lutherischen und dem reformierten Gottesbild-Begriff musste sich ja doch notwendig auch auswirken in der Lehre beider über den Verlust dieses Bildes durch die Sünde. ‘Die Lutherischen lehrten ursprünglich, dass der Mensch das Bild Gottes, | |||||||||||||||||
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weil allein in den sittlichen Eigenschaften bestehend, ganz verloren hatte.... aber die Reformierten erhielten aufrecht, dass das Bild Gottes in engerem Sinn zwar verloren und in weiterem Sinn ganz geschändet und verdorben, aber doch nicht vernichtet worden war’.Ga naar voetnoot1) Man braucht sich über den quantitativen Rest-Gedanken bei der reformierten Theologie nicht zu wundern, denn dieser ‘Rest-Gedanke’ ist nach ihr auf den ganzen Kosmos, auf alles, was in der Geschichte auftritt, anwendbar; die gratia communis hat das Fortwirken der Sünde nach Calvin gemässigt, dadurch dass Gott nach dem Sündenfall nicht sofort das angedrohte Urteil vollzog, sondern zwischen Fall und Urteil die ganze Geschichte eintreten liess, die anfänglich das Urteil verzögerte, den Fluch hemmte, die Deteriorisierung der Natur einschränkte, und selbst positiv Platz reservierte und bereitete für die Heilsgeschichte, für den ‘jôm Jahwe’, der bei dem Protevangelium beginnt und der erst in der Parusie Christi sein Ende nimmt. Man kann den Reflex dieser calvinistischen Auffassung denn auch in ihrer Theorie vom ‘Anknüpfungspunkt’ finden. Während sie ja doch einerseits aufrecht erhält (Canones Dordraceni, 1619), ohne Wiedergeburt (in engerem Sinn: Einpflanzung eines neuen Lebens) sei Glaube unmöglich, wird andererseits für die vocatio externa (durch das Wort Gottes) ein doppeltes Requisit gefunden in der mit der Lehre der gratia communis zusammenhängenden Auffassung, das Bild Gottes habe noch einen ‘Rest’ zurückgelassen, und weiter in der Lehre der revelatio generalis. Beide Fäden laufen in der confessio belgica zusammen, die zweimal konstatiert, der ‘natürliche Mensch’ sei inexcusabilis (cf. Röm. 1, 20: ἀναπολόγητος). Das erste Mal geschieht das in Art. 2, das zweite Mal in Art. 14. Art. 2 sagt: duobis modis eum (sc. Deum) cognoscimus: primo per creationem, conservationem, atque totius mundi gubernationem: quandoquidem is coram oculis nostris est, instar libri pulcherrimi, in quo creaturae omnes, magnae minoresque, loco charac- | |||||||||||||||||
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terum sunt, qui nobis Dei invisibilia contemplanda exhibent: aeternam nempe eius potentiam et divinitatem.... (Röm. 1, 20). Quae omnia ad convincendos et inexcusabiles reddendos homines sufficiunt (hiernach folgt die Erkenntnis durch das Wort, das longe manifestius et plenius Gott erkennen lässt, man achte auf die comparativi). Und Art. 14 schreibt (direkt über das verlorene, aber im Rest bewahrt gebliebene Bild Gottes): praeclara illa omnia dona, quae a Deo acceperat, amisit (sc. homo). Adeo ut ipsi tantum exigua quaedam illorum vestigia remanserint: quae tamen ad reddendum eum inexcusabilem sufficiant. Achtet man darauf, dass nach dieser calvinistischen Theologie die Schuld (die absolute inexcusabilitas) bereits prinzipiell in der Erbsünde als Schuld festliegt, dann ist es deutlich, dass die hier gemeinte relative inexcusabilitas auf die Verantwortlichkeit hinzielt, die in der Geschichte dem homo lapsus nicht nur geblieben ist, sondern auch im Hinblick auf das Eintreten der revelatio und der Heilsgeschichte mit neuer Schwere auf ihm lastet, sofern er nämlich mit der (neuen) vocatio externa durch das Wort zu tun bekommt. Hier muss also gemeint sein, dass alle Offenbarung eine gewisse perspicuitas hat, die revelatio generalis schon, die specialis umso mehr; dass auch der Evangeliumsinhalt perspicuitas hat, weil, wenn er diese nicht hätte, das auf Torheit schliessende Urteil der Hellenen und das Fallen der Juden über das Skandalon relativ entschuldbar sein würde. In dieser calvinistischen Theorie ist also die perspicuitas revelationis ein Eckstein, auch hinsichtlich des Anknüpfungspunktes. Brunner jedoch nähert sich ihr, bleibt aber vor der Grenzlinie stehen.Ga naar voetnoot1) Dafür ist übrigens auch seine | |||||||||||||||||
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ganz andere Auffassung von ‘dem Wort Gottes’ verantwortlich.Ga naar voetnoot1) Ist Brunner selbst in diesem Punkt bereits unsicher, umso bedeutungsvoller wird dies noch, wenn man sodann K. Barth sich gegen ihn wenden sieht. Ebenso wie wir Barth, im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern, in bezug auf die bereits besprochenen Punkte immer wieder auf den Radikalismus der ersten Periode zurückgreifen sahen, so ist es auch hier. ‘Als dem Menschen qua Geschöpf eigene Möglichkeit für Gott, ist das “Ebenbild Gottes” nicht nur.... mit Ausnahme einiger Restbestände zerstört, sondern vernichtet’. Der Mensch hat die recta natura, aber diese hat keine rectitudo, auch nicht potentialiter. Es gibt nur einen Anknüpfungspunkt: ‘das durch Christus vom wirklichen Tode zum Leben erweckte und so “wiederhergestellte”’ Ebenbild Gottes, ‘die neugeschaffene rectitudo’,.... ‘nur im Glauben wirklich’. Anthropologie und Philosophie haben hier, nach Barths Meinung, dem Theologen nichts zu geben.Ga naar voetnoot2) | |||||||||||||||||
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Denn hier ist nichts ‘angeboren’ oder ‘zugewachsen’.Ga naar voetnoot1) B. Aus dem Vorhergehenden wurde uns klar, dass die Gruppe, die, wenn auch unter Protest ihrerseits, als ‘die Schule der dialektischen Theologie’ bekannt ist, sich in bezug auf das Paradox gar nicht einig ist. Und das gerade, wo es die Grundbegriffe, die Voraussetzungen des Paradoxons betrifft. Nicht nur hinsichtlich des Anknüpfungspunktes, sondern auch schon in der Existenzfrage ist die dialektische Theologie mit sich selbst uneins, man findet bei ihren Vertretern als Gruppe und auch, wenn man jeden von ihnen für sich selbst betrachtet, auseinandergehende Tendenzen. Von einer ‘Entwicklung’ zu sprechen, wäre hier vermessen, denn dann dürften die Widersprüche nicht bestehen und es müsste nicht noch immer auf die alten Axiomata zurückgegriffen werden. Vielmehr ist diese Unsicherheit eine typische Wiederholung dessen, was wir in Kierkegaards Selbstwidersprüchen bemerkten. Und stellt man das Paradox der dialektischen Theologie neben die anderen paradoxalen Strukturen, die wir bereits fanden, dann ist bei ihr die Verwirrung offenbar ebenso gross wie woanders. Eigentlich ist uns bis jetzt allein beim Zen-Buddhismus eine ruhige, sich selbst gleichbleibende Entwicklung eines Paradoxon begegnet; aber da war das Paradoxon denn auch nicht mehr als ein technisches Hilfsmittel, das eben darin und dadurch über sich selbst hinauswies. Wir sehen denn auch von jedem Versuch ab, ‘die’ Stelle ‘des’ Paradoxon bei der dialektischen Theologie zu bestimmen. Zu glauben, davon könne noch die Rede sein, wäre ein Kapitalfehler. Im Anfang war dies zweifellos möglich; Barths Römerbrief mag denn auch selbst noch hie und da Verschiedenheiten vorbringen, trotzdem ist hier das Paradoxon in grossen Linien vom ‘unendlichen qualitativen Unterschied’ beherrscht, der Kierkegaard so sehr ergriffen hat. Aber die späteren Publikationen gehen nach verschiedenen Richtungen. | |||||||||||||||||
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1. Anfänglich, in der ersten Periode, war das Paradox, wenigstens der Absicht nach, absolut und objektiv. Christus hiess das Paradox, das Ende der Zeit. Das Gesetz, so hiess es, spricht sein ewiges Nein; wer ‘Paradox’ sagt, der sagt Nein, Ewigkeit, Wunder, das Unmögliche, Grenze, das, ‘von dem alles direkt anschauliche Sein, Haben und Tun des Menschen umgrenzt, in Frage gestellt und letztlich - bejaht und begründet ist’.Ga naar voetnoot1) Ganz in Uebereinstimmung damit hiess Offenbarung auch Verhüllung oder Unkenntlichmachung und wurde alle Immanenz verworfen. Die ‘geschichtliche und seelische Seite’ der Wahrheit hiess ‘immer ihre Unwahrheit’; Erlebnis war hier ‘das was nicht unser Erlebnis ist’, Religion war ‘Aufhebung unsrer Religion’. Aufhebung wurde Setzung, Setzung Aufhebung.Ga naar voetnoot2) ‘Fertig’, ‘gegeben’ durfte nichts sein, nichts heisse, so lautete das Gebot, ‘unser’; wir können nur ‘hoffen’, ‘warten’, bringen es nicht weiter als zu einem ‘Hohlraum’, einem ‘Hinweis’, Negation unserer Position; der Ort hier, so sagt Barth, ist überhaupt kein Ort, Mitteilung ist hier Schweigen. Und in dem Ueberfluss von Barths bildreichen Wendungen wurde Schweigen hier gleich mit ‘Zurückstossen’, Krisis.Ga naar voetnoot3) Man erkennt hier das kierkegaardsche Paradox wieder, das in seinen Grundzügen zurückkehrt.Ga naar voetnoot4) Das ‘Ja’, aus dem das ‘Nein’ über den uns bekannten Menschen gesprochen wird, war in sich eine ‘Vernichtung alles Ja und Nein, alles Diesseits und Jenseits, alles “Sowohl-als-Auch”, aller Dualitäten, Allogenitäten und Antinomien’.Ga naar voetnoot5) Das Reich Gottes fängt an ‘jenseits aller als.... Konservatismus und Radikalismus, Physik oder Metaphysik, Moral oder Uebermoral, Weltfreude oder Weltschmerz,.... aller | |||||||||||||||||
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als dies und das, so und so aufzufassenden menschlichen Möglichkeiten’.Ga naar voetnoot1) Gott wird nur sub specie mortis anschaulich, nur sub specie mortis leuchtet in den Dingen die Herrlichkeit des Schöpfers.Ga naar voetnoot2) Was paradox ist, kann nur in ‘kräftigen Negationen’ verkündet werden.Ga naar voetnoot3) In dieser ersten Periode ging es also um ‘die wirkliche Paradoxie des endlichen wirklichen Verhältnisses von Gott und Mensch’,Ga naar voetnoot4) um das dialektische Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, von αἰὼν οὗτος und αἰὼν μέλλων.Ga naar voetnoot5) Wenn Paul Tillich dem ‘kritischen Paradox’ der dialektischen Theologie (Barth, Gogarten) sein ‘positives Paradox’ gegenüberstellen will, weil bei Barth-Gogarten ‘die gesamte Geschichte ein negatives Vorzeichen erhält’, und es auf diesem ihrem eigenen Standpunkt nach ihm doch eigentlich unlogisch ist, Christus als den Ort der Offenbarung zu betrachten, (was sich ja doch deckt mit dem Suchen einer ‘Position in der Geschichte’, ‘auf die sich die Verkündigung der Krisis gründet’),Ga naar voetnoot6) dann lehnt Barth diesen Vorwurf von Inkonsequenz und dieses Streben nach Emendation ab. Nur dann behält man ja doch, sagt er, die Paradoxie des ‘positiven Paradox’ im Auge, wenn man zwar, wie Barth buchstäblich sagt, Christus ‘das positive Paradox’ nennt, aber dann dabei unerbittlich an der These festhält, die Qualifikation dieser Geschichte als Heilsgeschichte (als Geschichte von der Menschwerdung Gottes) sei auf der ganzen Linie verhüllt ‘durch den Aspekt an- | |||||||||||||||||
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schaulicher historischer Relationen, die an sich nichts anderes “sind” als Möglichkeiten des Aergernisses’.Ga naar voetnoot1) 2. Doch zeigen sich auch in dieser ersten Periode bereits Symptome von Unsicherheit. Das soeben gehörte ‘auf der ganzen Linie’ wird in seiner Prägnanz tatsächlich schon preisgegeben durch die These: ‘das Wort Gottes ist Geschichte geworden; aber es hat keine Geschichte’.Ga naar voetnoot2) Zu gleicher Zeit aber wird dem ‘Positiven’ von Barths Paradox doch, recht betrachtet, der Boden entzogen, und es also seiner Positivität, wie diese hier in Frage steht, beraubt, wenn nämlich Gott ‘der Sinn, das Letzte, der Tod in diesem Tod’ (sc. von Chr.) genannt wird, Gott ‘als die jenseits des Todes dieses Lebens liegende und darum nur im Gleichnis des Todes zu veranschaulichende neue (unmögliche) Möglichkeit des Menschen’.Ga naar voetnoot3) Um die ‘Paradoxie’ des positiven Paradox zu akzentuieren, wird seine Positivität verwischt. Diese Nebelhaftigkeit des ‘Positiven’ in Barths Paradoxie wird noch leichter wahrnehmbar, wenn man darauf achtet, dass der ‘positive Punkt’ oder das ‘positive X’, das ‘mich erkennt’ und ‘von wo aus ich negiert, als “alter” Mensch rekognosziert bin’, mich in Christus mit sich ‘identisch’ sein lässt.Ga naar voetnoot4) Hier zeigt sich, dass die soeben vernommene Behauptung eines ‘positiven Paradox’ eigentlich nicht mehr bedeutete, als eine Abbreviatur für die Behauptung, dass das ‘Ja’, woraus das gegen ‘mich’ gewandte ‘Nein’ ‘stammt’ und das ‘in sich die Verneinung alles Ja und Nein.... ist’, selbst positiv gedacht wird.Ga naar voetnoot5) Tatsächlich war denn auch Barths Einver- | |||||||||||||||||
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ständnis mit Tillichs Qualifikation von Barths Paradox als ‘positiv’ eine erste, wenngleich nicht bewusst erkannte Kapitulation. Damit parallel läuft Gogartens gegenüber Hermann Herrigel abgelegtes Bekenntnis, er habe ein offenes Auge für die Gefahr, dass bei der dialektischen Theologie Gott und Mensch ‘gänzlich inhaltsleere Grössen’ werden würden, dass also schliesslich diese beiden doch dadurch identisch gemacht würden und die ‘wirkliche Paradoxie des endlichen wirklichen Verhältnisses von Gott und Mensch’ also hier doch verloren gehen würde, weshalb denn auch Gogarten sich dadurch ‘immer und immer wieder zur Revidierung seines ganzen Denkens veranlasst’ sah.Ga naar voetnoot1) Die Gefahr ‘inhaltsleerer Begriffe’, und das noch dazu bei so starker Betonung der ‘Sphäre der “Existenz”’,Ga naar voetnoot2) - das ist wohl eine deutliche Zeichnung der wankenden Situation.Ga naar voetnoot3) 3. Es nimmt denn auch nicht Wunder, dass in den paradoxalen Wein allerlei Wasser gemischt wurde. Oder auch, dass auch schon in bezug auf das Verhältnis von Gott und Mensch von ‘Paradoxie’ gesprochen wurde in anderem Sinn, als es sich mit dem ‘qualitativen Unterschied’ vereinigen liess. Oder auch, dass bei genauerer Detaillierung oder wissenschaftlicher Unterscheidung dem Radikalismus der ersten Periode die scharfe Spitze abgebrochen wurde. Das erste sehen wir z.B. geschehen, wenn Barth, und zwar bereits i.J. 1923, die ‘Krisis’ ‘nicht an sich Negation und also “Verbot”, sondern Warnung allerdings, aber vielleicht auch Mahnung’ heissen lässt, und dann fragt, warum diese Krisis ‘nicht gegebenenfalls Position und | |||||||||||||||||
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Gebot bedeuten können soll, für den “Dialektiker” wie für andre Sterbliche.’Ga naar voetnoot1) Das zweite macht sich bemerkbar, wenn z.B. Brunner (E.) παϱὰ δόξαν nennt, ‘was jenseits aller empirischen Möglichkeiten liegt’, und diese Paradoxie zum Ausdruck macht ‘jenes Urgeheimnisses.... dass alle Ideen auf ein letztes Reales hinweisen, das im Sinn erscheint, auf.... einen Redenden, einen Gesetzgeber, .... eine Persönlichkeit,.... mit der wir verstehend in reale Verbindung treten können’. Das Verwunderliche dabei, vom Standpunkt immanenter Kritik aus, ist nicht so sehr, dass Brunner, um doch nur den ‘Augenblick’ behalten zu können, und um alles Prozessartige weiterhin vom Glauben fernhalten zu können, dies ‘Verstehen’ ἐν ἀτόμῳ ausserhalb der Zeit stellt, weil ‘in der Zeit Einheit unmöglich ist’, denn dieser Gedankengang ist, abgesehen von seinem Begründungsversuch,Ga naar voetnoot2) konsequent. Sondern dies ist verwunderlich, dass dieses ἐν ἀτόμῳ Verstehen des Glaubens, der seinen ‘Sprung’ tut, hier auf eine Linie mit ‘jedem Akt des Geistes’ gestellt wird, denn ‘jeder Akt des Geistes ist eine Durchbrechung der Kausalität durch die Freiheit’, und ein ‘Einbruch der Ewigkeit in die Zeit’. ‘Das Verhältnis des Geistes ist immer ein negatives: Aufhebung’. Hier ist tatsächlich jeder, auch ‘natürliche’, Geistesakt mit dem Glaubensakt in eine Reihe gestellt, und die Durchbrechung der Zeit nicht dem ‘verurteilenden’ Gott, sondern dem ‘freien’(!) Geist vorbehalten, und zwar unter Verweisung auf Bergsons ‘durée réelle’, | |||||||||||||||||
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wenn auch dieser Begriff bei Brunner von psychologistischen ‘Flecken’ theoretisch befreit ist.Ga naar voetnoot1) Und das dritte, wovon soeben gesprochen wurde, zeigt sich uns, wenn z.B. Brunner die schon oft hier zitierten ‘Juden und Griechen’ aus 1 Kor. 1 und 2 auf solche Weise von einander zu unterscheiden beginnt, dass bei ihm - und dies im Unterschied von Kierkegaard (siehe III, § 6) und BarthGa naar voetnoot2) - wieder für die paulinische Unterscheidung zwischen Juden und Griechen (vgl. III, § 6) Verständnis aufkommt. Die Folge davon ist, dass durch Brunner hier die für die dialektische Theologie wichtige, aber leider nicht weiter durchgeführte Konzession gemacht wird, dass ‘das eigentliche Aergernis nicht das theoretische Paradox, sondern die sittliche Demütigung’ ist.Ga naar voetnoot3) Diese Abgrenzung von Aergernis gegen Paradox hat den Vorteil, dass die Frage aufgeworfen wird, ob nicht hinter der Auflehnung der ‘natürlichen’ Vernunft gegen den Inhalt des Wortes Gottes die Hybris des ‘Herzens’ des nicht wiedergeborenen Menschen zu suchen ist, sodass alles Empfinden der Wahrheit als paradox sensu eminentiore tatsächlich auf einen Konflikt nicht mit ‘der’ Vernunft, sondern mit dem (biblisch aufgefassten) ‘Herzen’ als Lebens-Zentrum zurückgeführt werden müsste. In diesem Zusammenhang hat es zweifellos seine Bedeutung, das Brunner den Glauben nachdrücklich von dem ‘selbstmörderischen sacrificium intellectus’ unterscheidet und ihn die Verneinung nicht der Vernunft als solcher, sondern ihrer Anmassung nennt.Ga naar voetnoot4) Eine Bemerkung die auch bei Barth hie und da zum Vorschein kommt.Ga naar voetnoot5) | |||||||||||||||||
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Alle solchen Selbstkorrektionen haben jedoch nicht mehr zu bedeuten als flüchtige Ansätze. Unaufhörlich zieht man sich doch wieder auf die alten Stellungen zurück. Barth z.B. lässt seine anfänglich durch ‘das Wort’, ‘die Offenbarung’ ohne weiteres, ponierte Unterscheidung zwischen Geschichte und Urgeschichte später mit einer neuen, hypothetischenGa naar voetnoot1) zwischen Wort und Urwort parallel laufen.Ga naar voetnoot2) Und Brunner nimmt tatsächlich seine soeben an den Tag getretene Koordinierung des ‘verstehenden’ Glaubensaktes (im ‘Sprung’) mit jedem Akt des Geistes doch wieder zurück, wenn er späterGa naar voetnoot3) erklärt, allein im Glauben mache der Mensch in seinem ‘sich Verstehen’ das Verstehen zur ‘Tat’, und wenn er das ‘Paradox des neugeborenenpersonhaften Willens’ so interpretiert, dass die neue Person als solche ein ‘das ganze Sein des Ich betreffendes Geschehen ist’. 4. Fassen wir also das unter 1-3 Gesagte zusammen, dann ist das Resultat, dass das ‘Paradox sensu eminentiore’ (Kierkegaard, unendlich qualitativer Unterschied) zwar in grossen Linien übernommen ist, aber doch nirgends vollkommen konsequent durchgeführt ist. Hiemit ist natürlich nicht beabsichtigt, darüber zu klagen, dass es nicht zu einer paradoxalen ‘Methode’ geworden ist, denn dies war nicht die Absicht,Ga naar voetnoot4) und hätte auch nicht in das Ganze dieses Gedankenkomplexes gepasst. Die ‘unanschauliche Mitte jeweils zwischen zwei Aussagen’ hat ja doch, wie behauptet wird, zwar die Wahrheit ‘zur Stelle’, aber: a) Barth selbst weist darauf hin, dass doch mit der dialektischen Methode an sich noch nichts gewonnen ist, und b) dies ist auch wohl deutlich, solange diese Theologie keine eigene Logik gegeben hat um uns zu sagen, was sie | |||||||||||||||||
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vom Gegensatz denkt, m.a.W. zwischen welchen Enantiologien überhaupt die Stelle der Mitte zu suchen sein wird. Nein, wir meinen nur, dass auch in der ersten Periode nach einer radikalen Struktur des Paradoxes von Zeit-Ewigkeit, Gott-Mensch usw. nur gesucht worden ist, aber ohne dass sich auch nur eine einzige Periode aufzeigen lässt, worin sich die Gedanken der dialektischen Theologie, auch in dieser Hinsicht, nicht widersprochen haben. Mit Schmidt eine erste Periode ‘logischer’ Dialektik bei Barth gegen eine zweite ‘ontologischer’ Dialektik scharf abzugrenzen, als ob man zwischen beiden eine historische Scheidelinie aufzeigen könnte, geht auch noch zu weit, denn die Begriffe sind nirgends zu einer einheitlichen Struktur oder Dialektik aufgebaut oder zusammengefügt. Die von K. NadlerGa naar voetnoot1) gezeigte und von K. PlachteGa naar voetnoot2) betonte Gefahr, dass die dialektische Theologie die Paradoxie des Glaubens mit dem Absurdum der Vernunft verwechseln würde, ist zwar bei ihr nirgends ganz überwunden worden, aber sie hat sich ebensowenig in ihrer vollen Kraft geltend gemacht. 5. Uebrigens wird in diesem Kreis auch von ‘Paradoxie’ gesprochen, ohne dass die Relation Gott-Mensch usw. in Frage steht. Es ist da bei Barth die Rede von einer ‘kommenden Einheit’ der ‘Kontraste’, von ‘Ja und Nein’ der ‘menschlichen Dinge’ und diese Einheit wird als ‘kommende’ erkannt ‘im Widerschein des Lebens Jesu’. Diese Einheit ist ‘keine andere als die Einheit.... Gottes’. Denn was Gott betrifft, das ‘Paradox’ seiner Gerechtigkeit z.B. liegt in der ‘Identität zwischen seiner zürnenden Heiligkeit und seiner freisprechenden Barmherzigkeit’. ‘Die Einheit des göttlichen Willens spaltet sich zur Zweiheit, um sich in der Ueberwindung dieser Zweiheit um so siegreicher als Einheit zu erweisen.’Ga naar voetnoot3) Hier ist also die Paradoxie auf Gott bezogen, nach seinen ‘opera immanentia’ | |||||||||||||||||
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sowohl als ‘exeuntia’ betrachtet, um in der Sprache der alten Dogmatik zu sprechen. Es wird sogar eine Analogie dieser Paradoxie in den ‘menschlichen Dingen’ gesehen. Der Begriff ‘Paradox’ ist also hier auf je eines der Glieder der Dualität Gott-Mensch usw. übertragen. So macht es auch Brunner, indem er von dem Paradox der Einheit von Freiheit und objektiver Notwendigkeit spricht, oder von der paradoxen Tiefe der christlichen Auffassung des Bösen (Ichbewusstsein und Gottesbewusstsein als Voraussetzung der Sünde) usw.Ga naar voetnoot1) Jedoch auch hier fehlt wieder die strenge Durchführung der Paradoxie; denn wir ‘stecken tiefer im Nein als im Ja’ und in Gott ‘steckt’, um so zu sprechen, das ‘Ja’ tiefer als das ‘Nein’.Ga naar voetnoot2) 6. Tatsächlich kommen all die inneren Schwachheiten des Paradox-Begriffes der dialektischen Theologie zusammen und flüchten sich vor ihrer eigenen Selbsterkenntnis, wenn schliesslich der Weg nach dem Paradoxon des ‘Ich-Du-Verhältnisses’ eingeschlagen wird. Dies wird klar, wenn man sowohl auf die Art und Weise achtet, wie dieser Begriff in der Diskussion langsam aufkommt, als auf seinen Inhalt. a) Was das erste betrifft: man bekommt den Eindruck, dass das ‘Ich-Du-Verhältnis’ - aufgefasst natürlich nicht in dem von Barth bestrittenen Feuerbachschen Sinn,Ga naar voetnoot3) sondern als paradoxes Verhältnis zwischen Gott und (angesprochenem) Menschen - doch eigentlich ein Denkentwurf ist, der nachträglich, erst als ungenaue Paraphrase, dann | |||||||||||||||||
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als theoretische Korrektur an dem absoluten Zeit-Ewigkeit-Paradox, entstanden ist und von der entgegengesetzten Seite her als der unendlich-qualitative Unterschied konstruiert worden ist. Die Paradoxie des ‘unendlich qualitativen Unterschieds’ sieht Gott zu dem Menschen überhaupt, zu der Welt, der Kreatur, der Zeit, kommen als in Krisis bringende Macht; es handelt sich hier nicht in erster Linie um ein ‘Ansprechen’ des Einzelnen als solchen, sondern um ein Reden gegen ihn, in seinem ‘Mit-Sein’ mit anderen. Zwar bringt nachher die Existenzfrage, und in Verbindung damit die Frage nach Wesen und Inhalt von Glauben, Aergernis etc., den Einzelnen in der Debatte in den Vordergrund, aber, solange die Debatte sich auf den ‘unendlich qualitativen Unterschied’ beschränkt, kann der Einzelne als solcher ausser Betracht bleiben. Bis dahin ist das ‘Wort Gottes’ noch nicht als ein ‘Anreden’ aufzufassen. Sobald das ‘Wort Gottes’ in die enge Begrenzung des Begriffes ‘Anrede’ eingeschlossen werden würde, wäre damit tatsächlich bewiesen, dass die Problemstellung von der Existenzfrage beherrscht wird, m.a.W. dass auf Gottes Sprechen aus des Menschen Hören, bzw. Fragen geschlossen wird. Tatsächlich nun ist dies letzte bereits der Fall, wenn Barth in seiner Chr. Dogm. das Wort Gottes als Antwort umschreibt.Ga naar voetnoot1) Wir vergessen nicht, dass nach Barth die Frage des Menschen, auf die Gott antwortet, in der Antwort selbst begründet ist.Ga naar voetnoot2) Aber dies ändert nichts an dem Charakter von Gottes Wort als Antwort; das Entscheidende ist für uns hier, dass (weil die Frage immer individuell ist, und an ein ‘unbewusstes Adventsgebet’ der Kreatur oder das ‘Seufzen der ganzen Schöpfung’ nicht gedacht ist) das Wort Gottes als Beziehung zwischen Zweien (Ich und Du) bezeichnet ist.Ga naar voetnoot3) Man bedenke dabei, | |||||||||||||||||
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dass dieses Hervorheben des Ich-Du-Themas zusammenfiel mit der für die Geschichte der dialektischen Theologie so merkwürdigen, und methodisch für ihre Reinhaltung so verhängnisvollen Wahl eines dogmatischen Ausgangspunktes, nicht in Gottes Wort, sondern in der christlichen Rede, der Tatsache der christlichen Rede.Ga naar voetnoot1) Nachdem so das Wort Gottes als Anrede ‘zu mir’ zu einem persönlichen Ereignis gemacht worden und die klassisch-reformierte Unterscheidung zwischen vocatio externa und interna verwischt worden ist, sieht man in der Folge immer die Theologen dieser Gruppe die soeben besprochene Methode noch weiter anwenden; sie disputieren über Gott vom Menschen aus und schliessen hinsichtlich der Rede Gottes aus dem Standpunkt einer menschlichen Persönlichkeitslehre. Brunner tat dies zum Teil bereits im ersten Beginn der Bewegung,Ga naar voetnoot2) und ist diesem Weg auch weiter gefolgt, was denn auch mit seinem schon erwähnten Standpunkt betreffs des Ineinanders von Anthropologie und Theologie vereinigt werden kann. Eigentlich wird der Glaube an das ‘Person-Sein Gottes’ festgekettet an und indirekt konstruiert aus der persönlichen Beziehung von Anreden-Hören, die zwischen Gott als Person und Mensch als Person gegeben ist in Gottes Wort: Ich-Du.Ga naar voetnoot3) Sonst bekommen wir es mit einem ‘Ding’, nicht mit einer Person | |||||||||||||||||
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zu tun, sagt Brunner,Ga naar voetnoot1) und damit verrät er unwillkürlich, dass der Gottesbegriff hier nicht - wie die klassische calvinistische Theologie dies tut - auf der Offenbarung aufgebaut wird, sondern dass Gottesbegriff und Offenbarungsbegriff in dem sie beide ‘erzeugenden’ menschlichen Geist sich gegenseitig an einander aufrichten. Wie scharf die Methode des dogmatischen Aufbaus bei Brunner hier von der Methode der von der Offenbarung ausgehenden Denkweise der klassischen reformierten Theologie abweicht, wird u.a. deutlich, wenn man darauf achtet, dass bei ihr die termini der Offenbarung nie unter dem Gesichtspunkt der Empfangsmöglichkeiten des hörenden Menschen festgestellt werden. ‘Personhaft’ spricht, nach ihr, Gott schon innerhalb der Trinität (opus immanens), personhaft spricht Er, auch ohne dass er noch irgendeine Anrede tut, wenn er die Welt schafft (opus exeuns), und personhaft bleibt Sein Sprechen immer, weil Er Gott ist, sei es, dass Er den Menschen in ‘Anrede’ zu sich rufen will oder nicht. ‘Person’ wird nach ihr der Mensch denn auch nicht, wie bei Brunner, in und durch Gottes ‘Anrede’, sondern in und durch Gottes Schöpfungswort über ihm, vermöge kreatürlicher Urbindung, die nie zu brechen sein wird, auch nicht durch die Sünde. Dass es je zu ‘Anrede’ kam (status rectitudinis), und, nach dem Fall, wiederum dazu kam, ist Frucht eines freien Beschlusses von Gott, welcher Beschluss nicht das Person-Sein des Menschen ‘schafft’, sondern an das anfänglich ohne Anrede geschaffene Person-Sein des Menschen appelliert. Darum ist auf dem Standpunkt dieser reformatorischen Theologie das Wort Gottes als opus exeuns nicht primär ein Ich-Du-Verhältnis. Denn es kommt zu der Person des Einzelnen erst, nachdem es zu der Gemeinschaft gebracht worden ist.Ga naar voetnoot2) Zwar kennt diese Theologie die sehr per- | |||||||||||||||||
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sönliche ‘Anrede’ Gottes in dem Einzelnen, doch fällt diese mit der vocatio interna efficax zusammen und ist primär eine Handlung Gottes, wobei der Einzelne passiv ist.Ga naar voetnoot1) Diese vocatio interna ist also etwas Neues nach der vocatio externa. Wir weisen auf diesen Unterschied im dogmatischen Aufbau hin, weil eben daran demonstriert wird, dass die dialektische Theologie in der Methode ihrer dogmatischen Konstruktionen dem nicht entgangen ist, was sie wiederholt Hybris genannt hat. Während dagegen die calvinistische Theologie den bekannten Barthianischen Spruch: Gott ist im Himmel und Du auf Erden, gehorsam angehört hat, dadurch, a) dass sie nichts zu wissen wagte, es sei denn aus Offenbarung, b) dass sie auch von Gott als ‘Anreder’ dadurch so ehrfurchtsvoll auszusagen wusste, er sei im Himmel, der Mensch auf Erden, dass seine ‘Anrede’ (voc. int.) bei ihr als eine creatio ‘ex nihilo’, und eben dadurch als Anfang eines neuen geschichtlich gefassten Lebens galt. Die Tatsache, dass diese calvinistische Theologie nie den Mut gehabt hat, die göttliche Anrede an den Menschen aus der phänomenologischen Gegebenheit der ‘christlichen Rede’ zu determinieren, beweist, dass sie wenigstens die Paränese in Anwendung brachte, die unmittelbar auf den klassischen Ausspruch über ‘Gott im Himmel, Du auf Erden’ folgt: , darum lass eure Worte wenig sein.Ga naar voetnoot2)b) Im Licht des Obenstehenden fällt das paradoxale Ich-Du-Verhältnis auch dem Inhalt nach ausserhalb des Rahmens der Ur-Axiome der dialektischen Theologie und verliert seine Paradoxalität ‘sensu strictissimo’. ‘Persönlichkeit’ zu einem göttlichen Attribut zu machen, das ist keine ‘Hybris’ für den, der das Recht dazu längs des Weges | |||||||||||||||||
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logischer Deduktion aus der Bibel ableiten zu können meint; es verrät jedoch bereits ein Fehlen an ‘Respekt vor Gottes incognito’ bei jedem, der diesen Respekt aus denselben Gründen gefordert hat als die dialektische Theologie es tat. Konsequenz ihres ersten Auftretens wäre ja doch kein Ich-Du-Verhältnis, sondern höchstens ein X-ich-(x)Verhältnis. Nachdem nun jedoch das Ich-Du-Verhältnis dazu dienen muss, das persönliche, das wirkliche, das aktuell-und-existentiell-Mit-bezogen-Sein-des-Menschen-in-der-Offenbarung an Gottes Persönlichkeit als Korrelat der menschlichen im Offenbarungsvorgang adstruieren, oder es darauf fundieren zu können, ist dies in jeder Hinsicht eine petitio principii; und diese heisst hier unerbittlich: Hybris. Es ist wahr, Barth weist Feuerbachs Ich-Du-Konstruktion ab, weil dessen These, die wahre Dialektik sei kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sondern ein Dialog zwischen (strikt genommen) ‘Du und Ich’, in Zusammenhang mit der anderen, ‘Mensch mit Mensch - die Einheit von Ich und Du - sei Gott’, die Theologie zur Anthropologie mache.Ga naar voetnoot1) Aber wenn Brunner den einen terminus des ‘Ich-Du’, nämlich das ‘ich’, schliesslich in derselben Weise bestimmt wie Feuerbach, und also auch die Gemeinschaftlichkeit des ‘wirklichen’ Lebens des Menschen in den Vordergrund rückt, weil ‘alles was privat ist, notwendig privatio’ ist,Ga naar voetnoot2) dann ist zwar Feuerbachs Apotheose des MenschenGa naar voetnoot3) hier vermieden, aber es bleibt doch auf dem Standpunkt der dialektischen Theologie selbst eine doppelte Schwierigkeit bestehen: a) dass mit dieser letzten Behauptung Kierkegaards pathetisch-paradoxale Dialektik mit ihrem Privatissimum-Charakter und ihrer Anti-Mediations-Tendenz | |||||||||||||||||
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prinzipiell verleugnet ist, und b) dass dennoch Feuerbach Brunner auf dem anthropologischen Wege halbwegs mitgenommen hat; das ‘ich’ in ‘Ich-Du’ ist ja doch veranthropologisiert. Und, halbwegs auf diesem ihm fremden Weg stehen geblieben, ist dann Brunner weiter verlegen um seine Position. Einerseits wird ja doch das ‘Ich’ des ‘Ich-Du’ soziologisch gesehen und damit die ‘Persönlichkeit’ auch des menschlichen ‘Du’, abgesehen von allem Glauben, anerkannt und sogar zur Voraussetzung der soziologischen Ich-Du-Relation gemacht, aber andererseits wird, wie uns bereits offenbar wurde, vom ‘Glauben’ eine solche Umschreibung gegeben, dass die Persönlichkeit allein bei dem Glaubenden, vermöge des ‘Du’, zu reiner Gestaltung kommt, siehe oben.Ga naar voetnoot1) Oder auch: einerseits tritt innerhalb des göttlich-menschlichen paradoxalen Ich-Du-Verhältnisses das ‘Paradox der gutgewordenen Person’ auf, womit auch wieder tatsächlich das Person-Sein auch des nicht Wiedergeborenen anerkannt wird,Ga naar voetnoot2) andererseits wird, wir zitierten bereits, das wirkliche Person-Sein mit diesem höchsten Ich-Du-Verhältnis selbst unauflöslich verbunden, und es heisst die ‘Bestimmung zum Ichsein dem göttlichen Du gegenüber’ auch eine Bestimmung vom göttlichen Du her.Ga naar voetnoot3) So ist es klar, dass das Ich-Du-Verhältnis alle die Schwachheiten der dialektischen Theologie in sich vereinigt. Ein Personsbegriff tritt hier auf (Geschehen!), der nicht anthropologisch entworfen ist, aber deutlich die Spuren von Kierkegaards Existenzlehre trägt, modernisiert im Aktualismus der dialektischen Theologie.Ga naar voetnoot4) Andererseits stellt man die Forderung einer gewissen Anthropologie und eines wirklichen | |||||||||||||||||
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Einführens anthropologischer Elemente. Man schliesst das eine Mal aus dem Du, das andere Mal aus dem Ich. Ein Personsbegriff wird entworfen, der das eine Mal dem nicht wiedergeborenen Menschen adversativ gegenübersteht, und ihm das wahre Person-Sein abspricht, und der das folgende Mal alles Verstehen zum ‘Geschenen’, zum personhaften ‘Akt’, zur ‘Tat’ macht. Und schliesslich kommt man vom drohenden ‘Gott ist im Himmel’ via der Ich-Du-Relation zu dem monstrum eines Menschen, der (ohne calvinische Wiedergeburt als nova creatio ἐν ἀτόμῳ und ἄνωϑεν) sich einen ‘direkten Partner Gottes’ zu nennen wagt; und dieser darf sich dann, um zu untersuchen, ob er in seinem ‘Gespräch’ mit Gott nun tatsächlich den Jakobskampf mit Gott, oder wohl den Kampf Don Quichotes geführt hatGa naar voetnoot1) trösten mit der (früher als Hybris verdammten und ohne unparadoxale Lehre auch äusserst bedenklichen) Selbstversicherung, dass er in irgendwelchem persönlichen Ereignis nachsagt, was ihm vorgesagt ist!Ga naar voetnoot2) Also ‘trotz alles Kampfes gegen die Bewusstseinstheologie geht es um ein Vertrauen zu meinem Vertrauen.’Ga naar voetnoot3) 7. Wir schliessen. Es ist uns nicht möglich gewesen in der dialektischen Theologie und ihrer Paradoxie auch nur einen einzigen feststehenden Orientierungspunkt zu entdecken, weder im unendlich qualitativen Unterschied, noch in der Existenz, noch auch in dem Aktualismus, der im Ich-Du-Verhältnis Gott aktuell zu mir als aktuell gemachter Person auftreten liess. Eine unsichere Theologie, eine unsichere Anthropologie, eine unsichere Bestimmung des Verhältnisses beider. Eine sozusagen zwischen Himmel und Erde gedachte ‘Dialektik’.Ga naar voetnoot4) Eine Absage an Schleiermacher, die sich | |||||||||||||||||
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jedoch durch wiederholte Konzessionen an ihn entkräftet hat. Eine ‘Krisis’, die nicht viel mehr bedeutet, als die in jeder Beziehung liberale Tugend der Selbstzucht. Und was das Paradox betrifft: die Kraft Kierkegaards ging verloren, seine Schwachheit behielt die Oberhand. - | |||||||||||||||||
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§ 8. Anhang.Wir wollen unser drittes Kapitel jetzt beschliessen mit der Erwähnung einiger, von verschiedener Seite vorgetragener Ideen und Auffassungen, die mit mehr oder weniger Deutlichkeit paradoxale Tendenzen, bzw. Stellungnahme zur paradoxalen Frage, sehen lassen, ohne dass es dabei zu einer wirklichen Struktur eines Paradoxes oder einem eingehenden Versuch dazu gekommen ist. Weil es sich hier nur um das Aufzeigen grösstenteils (wenigstens was das Paradox betrifft) nicht vollständig ausgearbeiteter Ansätze handelt, werden wir nur sehr kurze Andeutungen geben. A. 1. Zuerst nennen wir den von W. Koepp gebildeten Panagape-Begriff.Ga naar voetnoot1) Bei ihm wird das Thema der Paradoxie in Verbindung mit Christentum und ‘Religion’ berührt. Es ist wahr, dass nach Koepp die Metaphysik des Christentums die Paradoxien nicht bestehen lassen darf, sie sind ja doch alle ‘aufgehoben’ in der Panagape, welch letztere als ‘das Geheimnis aller Wirklichkeiten’ angesehen wird, weil die Liebe ‘die ganze Wirklichkeit’ und so als Agape zugleich Panagape ist. So herrscht schliesslich die Harmonie. Aber doch hält Koepp daran fest, dass die religiösen Paradoxien ein gewisses Recht behalten, insofern der Glaube noch nicht zu vollem Sieg kam, und die Vollendung uns noch nicht ganz zur Ueberwindung gebracht hat. An das Paradox wird also eine Konzession gemacht, die umso | |||||||||||||||||
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mehr bedeutet, als Koepp auf den Wirklichkeitscharakter des Glaubens den Nachdruck legt und sich in der Theologie zunächst der Phänomenologie bedient (vgl. Barths Chr. Dogm., Brunners Anthropologisieren, auch Brunners ‘Liebe’), wenn diese denn auch, anders als die Husserlsche, nicht bewusstseins-immanent, sondern objektiv heissen will.Ga naar voetnoot1) Koepp verdient insofern hier Aufmerksamkeit, als es sein ‘Anliegen’ heissen kann: ‘Kierkegaard durch Kierkegaard zu überwinden, ohne dabei Hegel zu verfallen.’Ga naar voetnoot2) 2. Eine originelle Stellung nimmt K. Heim ein. Mit der dialektischen Theologie hat er vieles gemeinsam, aber er gehört nicht dazu.Ga naar voetnoot3) Bei ihm steht das Paradox unter dem Begriff der Dimension.Ga naar voetnoot4) Wir hörten ihn bereits versichern, dass nach Feuerbach die Entdeckung des ‘Du’ die Grundlagen der Philosophie erschüttert, und so sukzessiv zu der Entdeckung der ‘letzten Dimension’, dem Ich-Du-Verhältnis von Gott und Mensch geführt hat. ‘Dimension’ ist das letzte Problem der Philosophie, sagt Heim. Dieser der Raumanschauung entnommene Bild-Begriff will die verschiedenen ‘Sphären’ aufzeigen, ‘die immer schon als gegeben angenommen werden müssen, wenn wir mit unseren Fragen einsetzen’, z.B. Gegenwart-Vergangenheit, Ich-DuGa naar voetnoot5), (vgl. den Existenz-Gedanken). Eine Dimension ist eine ‘Unterscheidungssphäre, innerhalb einer Mannigfaltigkeit, die den Rahmen bildet, innerhalb dessen die Unterscheidung zustande kommt’.Ga naar voetnoot6) So entsteht ‘das Paradox des | |||||||||||||||||
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Nebeneinander in der räumlichen Dimension’, wenn z.B. ein ‘Punktwesen’ neben dem zeitlichen Entweder-Oder plötzlich die Dimension des ‘Neben-Einander’ entdeckt.Ga naar voetnoot1) Das ‘Entweder-Oder’ einer Dimension ist der Ausdruck dieser bestimmten Dimension; man kann sie, nach Heim, durch ein disjunktives Verhältnis ausdrücken, ‘ein Entweder-Oder, zwischen zwei Möglichkeiten, die nach dem logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten miteinander unvereinbar sind.’ (Die Frage: wann? z.B. fordert die Antwort: entweder vor, oder nach Chr.). Sobald nun eine Aussage auftritt, ‘welche jenseits des Entweder-Oder’ liegt, ‘dessen Entfaltung die erste Dimension war’, grenzt sich die eine Dimension gegen die andere ab. Heim behauptet dann, dass eine solche Aussage vom Standpunkt der ersten Dimension aus gesehen einen Widerspruch darstellt, somit als Paradoxon ausgedrückt werden muss. Als Beispiel wird genannt: ein Ereignis b (weder vor a, noch nach a, sondern gleichzeitig neben a). Zwei Dinge sind hier deutlich: a) Der Begriff ‘Widerspruch’ darf hier nicht allzu dramatisch aufgefasst werden; von einem wirklichen Widerspruch wäre ja doch nur dann zu sprechen, wenn in dem Begriff Dimension enthalten wäre, dass nur eine Dimension bestehen kann; es liegt jedoch sowohl in ‘di-’, als in ‘mensio’ bereits eingeschlossen, dass es mehr als eine Dimension gibt (man denke nur an die ‘Punktwesen’ und ihr Nebeneinander). Daraus folgt ohne weiteres, dass auch das Wort ‘Paradox’ hier seinen tragischen Ton verliert und eher für ein Modewort, als für eine wissenschaftlichgenaue Bezeichnung zu halten ist. b) Selbstverständlich muss auf diesem Standpunkt die ‘Paradoxalität’ bei sehr vielen Dimensions-Kreuzungen auftreten und kann somit ins Unbegrenzte vervielfacht werden. Denn: ‘Eine Dimension ist eine Hinsicht, nach der jedes ens bestimmt werden muss, wenn die Frage, was es | |||||||||||||||||
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ist, vollständig beantwortet werden soll’.Ga naar voetnoot1) Und auch nach Heim gibt es Dimensionen für die wir blind sind. Unter diesen Aspekt der ‘dimensionalen Jenseitigkeit’ (Transzendenz) stellt nun Heim auch Kierkegaards ‘qualitativen Unterschied’ zwischen Gott und Mensch, Ottos Ganz-Anderes (das Numinose) und Barths ‘Grenze des Menschen’. Aber es ist leicht einzusehen, dass hier wirklich eine andere Sprache gesprochen wird als bei den genannten Denkern. Wenn ‘das Paradoxon der Ausdruck ist der Grenze, die zwei Dimensionen von einander scheidet’,Ga naar voetnoot2) dann ist aus dem Paradox der letzte Schein von einer ‘Krisis’ weggenommen, ein ‘Gericht’ gibt es nicht mehr. Umgekehrt ist das Paradox nun der Ort, wo die πολυποίϰιλος σοφία Gottes, als des Schöpfers der Welt, sich uns allmählich entdeckt; es ist ein incitamentum des sich verjüngenden Denkens geworden; die Existenz leidet nicht mehr, sondern hat anstelle eines Pfahles einen Eros im Fleisch; auch die Romantik könnte sich dieses Paradox einverleiben. ‘Kainon ti’ ist noch nicht ‘enantion ti’. Dass von Paradoxie hier eigentlich nur in ‘dichterischem Sprachgebrauch’Ga naar voetnoot3) geredet wird, sehen wir wohl aus Heims weiteren Ausführungen selbst. Er sagt ja doch auch, dass Dimensionen immer nur im Verhältnis zueinander da sind, | |||||||||||||||||
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dass sie sich gegenseitig bedingen und dass wir hier also vor einem polaren Verhältnis stehen.Ga naar voetnoot1) Aber diese Polarität und Paradoxie in barthianischem Sinn schliessen einander aus. Auf das Verhältnis von Gott und Kosmos will Heim diesen Polaritätsgedanken nicht anwenden.Ga naar voetnoot2) Aber dann folgt daraus, dass die ‘Paradoxie’, die nach Heims Sprachgebrauch in den innerweltlichen Dimensionen liegt, eine ‘ganz andere’ sein muss, als die des Ich-Du-Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Auch bei Heim also lässt das ‘Paradox’ als wissenschaftlicher Ausdruck unbefriedigt, ist der terminus alles ausser eindeutig, ist der Begriff keineswegs mit seinen Voraussetzungen konfrontiert und greift auf andere wissenschaftliche Untersuchungen (mathematische, psychologische, logische) vor, deren Hilfeleistung noch äusserst zweifelhaft ist. 3. Heim bekennt sich in einer Hinsicht gewissermassen zu J.J. Gourd, wir nennen darum auch diesen. Heim gebraucht wiederholt das Wort ‘inkoordinabel’ um damit die Sphären oder ‘Mannigfaltigkeiten’ zu bezeichnen, innerhalb deren das elementare Unterscheiden erst möglich wird. Um scharf zu betonen, dass das ‘Entweder-Oder’ der einen Mannigfaltigkeit jenseits dessen der anderen liegt, nennt er diese Mannigfaltigkeit inkoordinabel.Ga naar voetnoot3) In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass dies Wort bei G. Spörri gebraucht wird, in dessen Buch über J.J. Gourd.Ga naar voetnoot4) Von direktem Zusammenhang zwischen den Gedanken Heims und Gourds kann jedoch kaum gesprochen werden; Heim ist durch die Probleme der dialektischen Theologie hindurchgegangen, Gourd nicht; ausser seiner HerkunftGa naar voetnoot5) | |||||||||||||||||
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spricht auch schon das Jahr der Veröffentlichung seiner ‘Philosophie de la Religion’ (1911, Paris, Alcan) gegen die Hypothese einer wirklichen Verbindung zwischen der Problemstellung beider. Zwar hat G. SpörriGa naar voetnoot1) die Idee des (dialektisch aufgefassten) ‘Paradoxon’ und also auch des Skandalon mit Gourds ‘incoordinable’ verbinden wollen, und man kann tatsächlich hie und da flüchtige Ansätze finden, die wenigstens auf eine klangliche Verwandtschaft hinweisen; so z.B. wenn Gourd die ‘folie de la croix’ zu ‘ce qui appartient en propre au christianisme’, rechnet, oder wenn er behauptet, dass Gott ‘ne doit avoir d'autre rôle que celui de nous donner la plus haute représentation objective du hors la loi’, ja sogar, dass Gott ‘doit être le hors de la loi lui même’.Ga naar voetnoot2) Aber doch ist der Abstand zwischen Gourd und der Problemstellung Kierkegaards, Heims, Rickerts (bien étonnés de se trouver ensembles) grösser, als Spörri hat glaubhaft machen wollen.Ga naar voetnoot3) Denn was Rickert betrifft, so mag es zwar wahr sein, dass Gourd die verschiedenen Seinsregionen als jede für sich die andere ‘hors de la loi’ stellend angesehen hat und in Verbindung damit auch über das Einmalige in der Geschichte spricht, aber schon der Umstand, dass nach ihm ‘l'irrationel dans les choses doit solliciter à l'irrationel de la vie’,Ga naar voetnoot4) zeigt an, dass das Wesentliche von Rickerts Betrachtungsweise betreffs der Einmaligkeit (generalisierende, individualisierende Begriffsbildung) bei Gourd keinen Platz findet. Und was Kierkegaard und Heim und die dialektische Theologie betrifft: die Gedanken Gourds sind damit, sogar auch was Heim betrifft,Ga naar voetnoot5) (der die prinzipielle Unterscheidung sämt- | |||||||||||||||||
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licher innerzeitlichen Dimensionen der Ewigkeitsdimension gegenüber beibehalten will), unmöglich zu vereinigen. Der Begriff von ‘hors de la loi’ ist bei Gourd nicht von Gott aus begründet, sondern von den innerweltlich-seelischen Gegebenheiten aus, und die ‘diverses catégories de hors la loi’Ga naar voetnoot1) sind darnach eigentlich auf Gott übertragen, ‘la plus haute représentation objective du hors la loi’.Ga naar voetnoot2) Man muss sich eigentlich darüber wundern, dass von Spörri zwischen Gourd und den genannten Denkern, sogar Luther,Ga naar voetnoot3) Verbindungswege gesucht werden; man lese nur, wie bei Gourd ‘une(!) atmosphère d'absolu peut(!) hâter(!) la venue’ von ‘le vent du sacrifice’, der da ‘souffle où il veut’, ‘lui aussi’(!); oder wenn er das Christentum nennt ‘plus(!) pénétré d'incoordinable que les autres religions’ und das Christentum eine ‘histoire’ haben sieht ‘de l'incoordinable de l'absolu, dans l'univers et dans l'esprit’.Ga naar voetnoot4) Bei Kierkegaard-Barth-Heim, um von Luther nur ganz zu schweigen, hängt die Transzendenz Gottes ohne seine Persönlichkeit in der Luft (Existenz, Ich-Du, etc.). Aber Gourd behauptet, dass ‘le Dieu transcendent, à son tour, doit céder la place au Dieu personnel’, und lehrte in Uebereinstimmung damit, am 21. März 1901, dass ‘le Dieu personnel’ ‘se présentera à la pensée (!) plus nettement, plus fortiment encore que le Dieu transcendent’, weil dieser Dieu personnel ‘fera disparaître le dualisme que celui-ci amène entre Dieu et la pensée’.Ga naar voetnoot5) Hier ist Kierkegaard mit seinem ganzen Gefolge ins Gesicht geschlagen. | |||||||||||||||||
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Wir nannten denn auch Gourd nicht um damit unsererseits zu behaupten, dass er für das ‘christliche’ Paradox positive Bedeutung hat - eher leugnet er es - sondern nur, um dieser Behauptung zu widersprechen.Ga naar voetnoot1) 4. Von Heim (S. 33) führen jedoch wohl Verbindungsfäden zu Eberh. Grisebach, der bereits zur Sprache kam und den wir darum nur kurz nennen. Wir erinnerten schon an Grisebachs Ausspruch, dass alle Erkenntnis an die Antinomik des Wesens, an die Zweideutigkeit der Wahrheit gebunden bleibe, weil der Widerspruch das Grundgesetz des menschlichen Wesens sei. Infolgedessen können sich, nach Grisebach, auch die Sittenlehren nie vom Widerspruch des menschlichen Wesens losmachen.Ga naar voetnoot2) Darum ist eine ‘kritische Ethik’ nötig, die Grisebach selbst in seiner ‘Gegenwart’ gegeben hat.Ga naar voetnoot3) Die ‘kritische’ Ethik beabsichtigt die Antinomie aller Weltanschauungen mit ihren Voraussetzungen aufzuhellen und weist auch die Illegitimität jeder ‘beanspruchten Beziehung der Erkenntnis zu einem Absoluten’ (‘Metaphysik’) nach.Ga naar voetnoot4) Dabei wird von dem Grundgedanken ausgegangen, dass die Bilder der gegenständlichen Erfahrung und die Entwürfe des metaphysischen Denkens immer nur Erinnerungs-Projekte sind, dass man sich ihnen gegenüber also unexistentiell verhält, weil wir jeden Moment nur in der ‘Gegenwart’ leben, nur die Gegenwart erleiden können, und also allen Bildern, die zu Erinnerungsbildern geworden sind, als zu der Vergangenheit gehörend das Vertrauen kündigen müssen: eine fata morgana.Ga naar voetnoot5) Von hier aus nimmt Grisebach nun eine radikale Kritik vor an allem System, aller Metaphysik, Theologie, an jeder nicht-‘kritischen’ Methode. Jede Methaphysik leidet an einem vitium originis: ‘in ihrer Problemstellung ist die Ent- | |||||||||||||||||
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scheidung über Immanenz oder Transzendenz schon gefallen.’Ga naar voetnoot1) Pardon gibt Grisebach nicht, auch sich selbst nicht. Auch sich selbst nämlich trifft die Kritik dieser ‘kritischen Methode’,Ga naar voetnoot2) ‘soweit in dem Selbst die Tendenz vorliegt, dieses (reine) Mass (des Wesens) zu überschreiten.’Ga naar voetnoot3) Denn einen monströsen Fehler würde man machen, wenn man um sich doch nur zu retten, ‘einen Pakt mit dem Widersprechenden auf neuer Basis schliessen’ wollte, m.a.W., wenn man auf die Antinomie des Wesens, auf das Paradox, als auf eine neu gewonnene Basis, auf eine neue ‘Position der Antinomie’, seine ‘dialektische Erkenntnis fundieren wollte.Ga naar voetnoot4) Eine solche ‘kluge’ und ‘paradoxe Erkenntnisweise’ ist denn auch nach Grisebach Kierkegaards Fehler gewesen. Kierkegaard bleibt schliesslich mit all seiner Dialektik ‘unkritisch’, sagt G., weil er, trotz seines Protestes gegen Hegels Geschichtlichkeit und gegen die Mediation, doch auch selbst eine ‘bestimmte Losung voraussetzt’, m.a.W. auch mit etwas, das zu den ‘Vergangenheitsbildern’ gehört, operiert, und sich von der Gegenwarts-Existentialität losmacht.Ga naar voetnoot5) Jeder Versuch der Erkenntnis, die Gegenwart zu beherrschen, und wäre es auch unter Aufnahme der Antinomie in unser Wesen und unser System, muss fehlschlagen; er ist ein schwerer Fehler, weil er die Situation durch Erinnerung in ein abstraktes System verkehrt, und er wird ein schweres Misslingen, weil er nicht die Problemlage, die Gegenwart selbst, sondern nur eine erinnerte Situation beherrscht.Ga naar voetnoot6) Mag man Erkenntnis dieser kritischen Lage besitzen, diese wird doch nicht zum Urteil über deren Wirklichkeit; die Erkenntnis des Paradoxen, der ‘vorbehaltliche’ Gedanke soll sich nie einbilden, dass sie (er) in der Reflexion irgendeiner Bezie- | |||||||||||||||||
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hung zum absoluten Seinsgrunde in Anspruch nehmen darf.Ga naar voetnoot1) Das Paradox wird bei Grisebach absolut keine Voraussetzung einer gegenständlichen Erkenntnis; alle dialektischen Begriffe vom Konflikt der Gegenwart, die mehr als Begriffe sein wollen, lehnt er ehrlich ab. ‘Wir fragen nicht, um zugleich zu antworten.’Ga naar voetnoot2) Und diese radikale Ehrlichkeit wird nicht nur in bezug auf ‘Gestern’ (Vergangenheit), sondern auch auf ‘Morgen’ geübt.Ga naar voetnoot3) Dies ist von grosser Bedeutung der dialektischen Theologie gegenüber, die anstelle des ‘Habens’ das ‘Warten’, das ‘Hoffen’ stellte. Es ist klar, dass dieser ehrliche Versuch, die Existentialphilosophie sich selbst durch sich selbst, und von eigenem Standpunkt aus, in Frage stellen zu lassenGa naar voetnoot4), nicht nur deutlich macht, wohin es mit dem Existenzgedanken schliesslich kommt, sondern dass er auch die Verbindung mit der dialektischen Theologie zerschneidet. Beiderseits wird denn auch mit der Kritik nicht gespart.Ga naar voetnoot5) Man kann versuchen, aus der Ruine, die Grisebachs Dynamit zurückgelassen hat, noch etwas zu retten, z.B. durch Einführung von Begriffen wie ‘Erfahrung’, ‘Anfechtung’, wie es H.M. Müller tut,Ga naar voetnoot6) aber die Kluft zu überbrücken ist | |||||||||||||||||
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nicht möglich. Nur wäre, auch zur Abgrenzung Grisebachs sowohl gegen die dialektische Theologie, als auch gegen Kants Kritizismus, die Frage zu stellen, ob nicht auf Grisebachs eigenem Standpunkt das Sprechen von einer ‘kritischen Methode’, sowohl im Adjektiv, als im Substantiv allzusehr an ein Zurückgreifen auf eine einmal abgelehnte Erbschaft erinnert. 5. Von Heim und Grisebach kann nicht gesprochen werden, ohne auch Paul Tillich zu erwähnen. Auch ihn nannten wir bereits in anderem Zusammenhang, wir fassen uns also kurz. I.J. 1923 nannte Barth Tillich einen Mann, der ihm über allerlei nicht kleine Gräben hinweg immerhin noch nahe stand.Ga naar voetnoot1) Aber jetzt, 10 Jahre später, ist der Abstand zwischen dem Barth der 1. Periode und Tillich unermesslich, und auch wenn man mit der Verschiebung der Probleme in der dialektischen Theologie rechnet, ist der Abstand zwischen Tillich und ihr noch gross. Anfänglich hatten Tillich und die dialektische Theologie viele Berührungspunkte. ‘Es gibt einen Punkt,.... wo Paradoxie zur Aussage.... notwendig gehört....: der Punkt, in dem das Unbedingte zum Objekt wird. Denn dass es das wird, ist ja eben die Urparadoxie, da es als Unbedingtes seinem Wesen nach jenseits des Gegensatzes von Subjekt und Objekt steht. Paradoxie ist also die notwendige Form jeder Aussage über das Unbedingte.’Ga naar voetnoot2) Und | |||||||||||||||||
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A. de Quervain freute sichGa naar voetnoot1) über TillichsGa naar voetnoot2) Hauptanliegen: den Relativismus, auch soweit er im logischen Idealismus vorhanden ist, zu überwinden und darum dem Individuellen (Existenz!) wieder seine Würde zu geben. Die Gegenwart des Unbedingten in jeder schöpferischen Erkenntnis bedeutet ja doch coincidentia oppositorum. Doch gibt es auch hier bereits Unterschied. Barth fragt, mit Grund, nach dem ‘Ort’ dieses Unbedingten, von wo her Tillich Natur, Geist, Geschichte in Anspruch nehmen will,Ga naar voetnoot3) und De Quervain durchschaut bereits den wesentlichen Unterschied zwischen dem (nach)-kierkegaardschen ‘Augenblick’ und dem Hauptbegriff Tillichs: Kairos.Ga naar voetnoot4) Er zerschneidet das Tischtuch eigentlich schon, wenn er Tillichs Paradox das Paradox der Mystik, der Metaphysik nennt; Tillichs Kairos-Begriff fordert ja doch nach De Quervain ein sich Richten von Denken und Willen auf das unbedingte Leben, das selbst Grund aller ‘Dinge und Werte’ ist.Ga naar voetnoot5) Tillichs Kairos-Begriff - er hat ihn breit ausgearbeitet in ‘Kairos’ und in anderen Schriften. Es liegt das bekannte ‘Entscheidungs’motiv dahinter: ‘Eine Zeit als Kairos betrachten, heisst, sie im Sinne einer unentrinnbaren Entscheidung, einer unausweichlichen Verantwortung betrachten, heisst, sie im Geiste der Prophetie betrachten’. Um diese Umschreibung kreisen dann wieder die bekannten Schlagworte: Kairos wird ‘erfüllte Zeit’, konkreter geschichtlicher Augenblick, Zeitenfülle (im prophetischen Sinne; die prophetische Rede ist hier offenbar zu perennierender Monotonie | |||||||||||||||||
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verdammt). Der Streit gegen den ‘Historismus’, die Frage nach einem Ort, der ‘über dem höchsten Ort liegt, auf dem ein Künder der Gegenwart stehen kann’, der aber dann selbst kein ‘Ort’ ist, auf dem man stehen kann, sondern der Standpunkt von Erschütterung jeden Standpunktes und dann auch das Motiv von Erschütterung der Zeit von der ‘Ewigkeit her’ (durch die Prophetie) - es sind alles bekannte Schlagworte. Sie erinnern an die dialektische Theologie, wie übrigens auch gesagt wurde.Ga naar voetnoot1) Trotzdem, Unterschied ist vorhanden. Dem ihm gemachten Vorwurf eines immanenten Offenbarungsbegriffes stellt Tillich den der dialektischen Theologie gemachten Vorwurf gegenüber, ‘Standpunkt’ geworden zu sein, keine ‘Gegenwartsnähe’ zu haben, der Zeit verneinend gegenüber zu stehen.Ga naar voetnoot2) Wenn auch dieser Vorwurf mehr und mehr seine Berechtigung zu verlieren beginnt, wie wir sahen, so ist doch hier die Situation, was Tillich betrifft, scharf umrissen: Tillichs ‘Ewigkeit’ hat mit der kierkegaardschen nichts mehr gemein, ist ‘erzeugt’.Ga naar voetnoot3) Im übrigen ist Tillichs Redeweise vorläufig noch zu dichterisch, um uns in bezug auf das Paradox lang aufzuhalten. Wenn z.B. die Utopie getadelt wird, dass sie ‘in der Zeit die Ewigkeit verwirklichen’ wolle, während umgekehrt das Ewige die Erschütterung der Zeit und aller ihrer Inhalte sei,Ga naar voetnoot4) dann tut man am besten, den Begriff ‘Ewigkeit’ lieber nicht zu analysieren. Es genügt uns zu konstatieren, dass bei Tillich der Entscheidungs- und Existenzgedanke zwar in den Vorder- | |||||||||||||||||
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grund tritt, dass aber die alte Paradoxie ihm hier nicht länger akkompagniert. Die ‘Gegenwartsnähe’ ist eine ‘Augenblicksferne’ geworden; Tillichs allzu rhetorische Wendung, die Kairos (‘Linie’) und ‘Augenblick’ (‘Punkt’) gleichsetzt, rächt sich, nimmt der Paradoxie ihre Kraft. So kommt es, dass hier ‘Logos’ über Kairos herrscht, dass der Kairos sowohl absolut als relativ heissen kann, und nicht der Verhüllung, sondern der Offenbarung des Logos dient.Ga naar voetnoot1) Und ausser diesem ist noch ein anderer bedeutungsvoller Unterschied zu nennen: hinsichtlich des Zerstörtseins oder Nicht-Zerstörtseins der Existenz. Stellte Barth die Existenz unter den Widerspruch (wenn er es auch keineswegs konsequent tat und wenn auch andere Aussprüche in seinem Kreis nach ganz anderer Richtung zeigten), Tillich leugnet die Gebrochenheit der Existenz und steht damit Barth und Grisebach gegenüber. Dem ‘radikalen Protestantismus’ (nomen soll hier omen sein), der ‘nur das eine historische Schicksal kennt, unter dem göttlichen Gericht zu stehen’, stellt Tillichs religiöser Sozialismus die These gegenüber, dass ‘es zwar keine eindeutige Entscheidung für Gott in der Welt des Zwiespalts geben kann, dass es aber ebensowenig eine eindeutige Entscheidung gegen ihn geben kann’. Die Existenz ist nicht satanisch, denn ‘das Satanische würde jede Konkretheit verzehren’. Zwar ist die Existenz (Entscheidung), insofern sie zweideutig ist, widergöttlich, nicht aber, insofern sie eindeutig gegen Gott, also satanisch ist. Sie steht unter dem Gericht ‘und ist doch nicht zerstört’.Ga naar voetnoot2) Es scheint uns unrichtig, hier mit S. Marck ein Arbeiten in der Richtung des Gegensatzes von Aporie und Paradox zu sehen.Ga naar voetnoot3) Eher würden wir von einem Besiegtwerden der Aporie sprechen wollen, mit Hilfe der neueren Axiomata der jüngeren Paradoxenlehre (Existenz, Aktualität, Entscheidung usw.). Denn wer mit Tillich ‘das Dämonische’ .... | |||||||||||||||||
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für..... ‘in Einheit mit der göttlichen Klarheit’ hält,Ga naar voetnoot1) der hat die Aporie und die prinzipielle Paradoxie aufgegeben.Ga naar voetnoot2) 6. Ist so bereits an Tillich demonstriert worden, dass der Existenzgedanke nicht nur auf das Paradox hin-, sondern auch davon wegführen und wieder in die Richtung der Romantik steuern kann, dann gibt in dieser Beleuchtung der spätere Uebergang O. Bauhofers, des Verfassers von ‘Das Metareligiöse’, zum Römisch-Katholizismus, Bauhofers, der vorher Verteidiger verschiedener Grundbegriffe der dialectici war, doch wohl den dialektischen Theologen mehr Grund zum Nachdenken, als Barths tatsächlich hat zugeben wollen.Ga naar voetnoot3) 7. In Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Paradoxie Kierkegaards und seiner geistigen Verwandten von einer scharfen Bekämpfung Hegels ausgegangen ist, mit dem Vorwurf für Hegel, er mediiere den Gegensatz und vernachlässige die Existenz völlig, verdient es unsre Auf- | |||||||||||||||||
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merksamkeit, dass in letzter Zeit von verschiedenen Seiten wieder ein Versuch gemacht worden ist, Hegel und den Irrationalismus zu verbinden. Das Signal dazu hat Richard Kroner gegeben, der ‘das Unheil, das durch das von J.E. Erdmann geprägte Schlagwort “Panlogismus” angerichtet worden ist, wieder gut zu machen’ versucht; ‘das konnte’, sagt Kroner, ‘nur gelingen, wenn einmal statt des rationalistischen der antirationalistische Charakter der Dialektik scharf betont wurde.’Ga naar voetnoot1) In seinen Erörterungen legt Kroner den Nachdruck darauf, dass Hegels Philosophie nicht nur Identitäts-, sondern auch Widerspruchsphilosophie sei, dass der Widerspruch bei ihr eine methodische Bedeutung bekomme, ein methodisches Erkenntnismittel sei.Ga naar voetnoot2) Er weist, um diese s.E. noch nicht genügend durchgedrungene Wahrheit zu adstruieren, darauf hin, dass ein Unterschied besteht zwischen dem ‘empirischen’ und dem ‘spekulativen’ Erkennen. Das erste ist ‘natürlich’, unmittelbar, naiv, nicht-reflektierend, das zweite reflektiert. Im ersten, dem empirischen Erkennen, werden nur Inhalte gedacht, nicht aber das Selbst, die Inhalte werden nur als Inhalte genommen; reflexionslos, unbewusst, naiv erkennt das empirische Erkennen sich in den Inhalten. Darum ist dies empirische Erkennen ‘naiv metaphysisch’, es darf sich nicht widersprechen, es soll den Widerspruch vermeiden. Sobald es sich ja doch widerspricht, gibt es ein Sich-selbst-Kritisieren; ein Reflektieren also. Eigentlich ist also das empirische unmittelbare Erkennen eine Abwendung von der Wahrheit, auf die es zielt, der Satz des Widerspruchs fungiert hier eigentlich als Satz des zu vermeidenden Widerspruchs.Ga naar voetnoot3) Tritt jedoch die Verneinung auf, dann dringt die Reflexion in die Empirie hinein. Aber wenn sie das tut, dann wird der Satz des Widerspruchs, der für das empirische Erkennen eigentlich nur als Verbot galt | |||||||||||||||||
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(siehe oben),Ga naar voetnoot1) für sie zu einem Gebot, denn der Satz des Widerspruchs wird zu einem Satz der Identität gemacht. So wird das formale Denken (das eben durch dieses Formale dem nur Inhalte denkenden empirischen Erkennen gegenüberstand) positiv, m.a.W., die Reflexion ist nicht bloss empirisch-kritisch, nicht bloss die Reflexion des Sich-Widersprechens, ‘sondern sie ist zugleich spekulative Reflexion des Sich-Erkennens’. Das Sich-Widersprechen ist damit zu einem Moment des Sich-Erkennens gemacht.Ga naar voetnoot2) Mit Nachdruck verteidigt sich Kroner gegen jede Interpretation, die diesen ‘spekulativen Widerspruch’ nicht ‘echt’ würde nennen wollen. Er gibt zu, dass der Widerspruch kein echter ist, solange man unter dem echten nur den empirischen versteht. Aber: die ‘Hegelsche Spekulation will nicht Empirie sein,.... sie will “unnatürlich” sein, weil sie das Denken auf sich selbst zurückwendet’. Und so kann der spekulative Widerspruch zur Methode nur werden, wenn die Negation das ἕτεϱον zum ἐναντίον ‘schärft’.Ga naar voetnoot3) Natürlich ist hier nicht die Stelle zu fragen, inwiefern gerade dieses letzte Wort (‘schärfen’) einer eventuell an Kroners Gedanken vorgenommenen immanenten Kritik einen leichten Triumph würde verschaffen können, noch auch näher auf die Gedanken KronersGa naar voetnoot4) einzugehen. Wir weisen hier nur auf drei Dinge hin. An erster Stelle darauf, dass auf diese Weise ein Versuch gemacht wird der kierkegaardschen Hegelkritik einen ihrer Stachel zu nehmen. Wenn ja doch der Widerspruch zur Methode wird, ist eines von Kierkegaards Bedenken seiner Kraft beraubt; | |||||||||||||||||
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nicht so sehr was die Frage der schliesslichen Synthese betrifft, als was den Vorwurf hinsichtlich Hegels Vernachlässigung des Existenzmotivs betrifft. An zweiter Stelle steht, dass sich hier ein Beginn einer Annäherung auch an Fries, mit seinem bekannten Gegensatz zwischen ‘unmittelbarem Erkennen’ und Reflexion, sehen lässt, was wieder Ausblicke auf Otto öffnet. Und an dritter Stelle, dass es in Zusammenhang mit diesen zwei Punkten auch für das Verständnis der Begriffsgeschichte des Paradoxons in diesem Moment vielleicht von Bedeutung ist, a) dass Hermann Glockner aus Anlass von Hegels 100. Todestag den Problemkreis des Irrationalen unter Hinweis auf Kroner zu Problemen Hegels gemacht und erklärt hat, dass zwar nicht die Lösungen, die die Romantik ihren Problemen gab, wohl aber bestimmt ihre Probleme selbst zugleich die Hegels waren,Ga naar voetnoot1) denn ‘geschichtlich gewendet’, meint Glockner, ‘war Hegels Romantik.... stets die Vor-Romantik Rousseaus, Hamanns und Herders’;Ga naar voetnoot2) b) dass Georg Lasson aus Anlass eben desselben 100. Todestages den Wunsch geäussert hat, dass ‘man die heute so überaus beliebte Kategorie des Irrationalen umtaufen und ihr die Bezeichnung des Paradoxen beilegen wollte’.Ga naar voetnoot3) Als Folge davon erhofft er ja ein Oeffnen der Augen wiederum für das teleologische Element in der Gegensatzfrage. 8. Ginge dieser Wunsch in Erfüllung, dann bekäme zugleich das Problem der Geschichte wieder eine andere Wendung, unter Beibehaltung des Problems des Paradoxons; jetzt jedoch hat, unter Einfluss der dialektischen Theologie (zuerst durch ihr einschneidendes Einführen des Begriffs der Urgeschichte, und später durch das Verlegen ihrer Aufmerksamkeit auf die Existenzfrage und durch die Art | |||||||||||||||||
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und Weise, wie sie dies tat), das teleologische Moment in der Geschichte, wie es die Reformation als Glaubensinhalt kannte, seine Bedeutung praktisch verloren. Zuweilen wurde es als irrtümlicher Begriff verworfen, manchmal als Problem in den Hintergrund gedrängt. Das reformatorische Kind ist hier mit dem Hegelschen Bad ausgeschüttet; darum würde der obenerwähnte Wunsch Lassons auch diese für die Debatte gewinnbringende Frucht abwerfen, dass die dialektische Theologie wieder einmal wirklich auf die Reformation zu lauschen begänne. Doch dies nicht allein, es ist noch etwas hinzuzufügen. Die dialektische Theologie hat mit dem Hegelschen Bad tatsächlich auch noch ein zweites Kind ausgeschüttet, nämlich das marxistische, für das ihre ersten Wortführer anfänglich sehr viel übrig hatten und das noch bei Tillich Pflege findet. Das von jeher (nach Hegel) im Marxismus dialektisch gefasste Thema der Geschichtsbetrachtung wird jetzt von jüngeren Marxisten wieder aufgenommen und dialektisch ausgearbeitet, aber ohne dass die Dialektik des Gott-Mensch-Verhältnisses dabei korrigierend oder mässigend auftreten kann. Wir erinnerten bereits daran, wie Hegels Dialektik den Marxismus beeinflusst hat. Dieser marxistischen Projektion von Hegels Geschichts-Schematismus auf die Fläche der Geschichte kann wohl die klassische Reformation ihr Wort gegenüberstellen (weil sie den Barth'schen Begriff der ‘Urgeschichte’ radikal ablehnt und die ‘ebene Fläche’ dieser Geschichte unter die prinzipielle und dynamische Gewalt des ‘jôm Jahwe’ mit seinem Gericht und seiner Gnade stellt), aber die Dialektik der dialektischen Schule hat hier der post-hegelschen marxistischen Dialektik gegenüber keine Kraft, weder zu Abwehr, angenommen, sie wollte dies, noch zu ev. Beihilfe. Denn erst würde sie der Geschichte selbst ihr Recht wiedergeben müssen, erst müsste sie ihren Begriff der ‘qualifizierten Geschichte’ preisgeben. Von Bedeutung für die Begriffsgeschichte des Paradoxons bleibt darum im Rahmen dieser allgemeinen Entwicklung der Debatten, dass Hegels Projekt noch im- | |||||||||||||||||
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mer eine besondere Nachwirkung bei dem Marxismus hat, in dem ‘Russischen Gedanken’,Ga naar voetnoot1) und sich dort nicht nur in einer eigenen Dialektik,Ga naar voetnoot2) sondern auch hie und da in direkter Paradoxie,Ga naar voetnoot3) wiedererkennen lässt. B. Ueberblicken wir nun alles, was in Kap. III gesagt wurde, auch in Zusammenhang mit den hier unter A noch genannten Namen und Erscheinungen, dann drängt sich vor allem der Eindruck einer grenzenlosen Verwirrung und eines vollständigen Mangels an Einheit auf. Und nicht allein dies. Es kann Verwirrung geben, die ihre eigenen cruces deutlich anzugeben weiss, weil sie über ihre Prolegomena sorgfältig nachgedacht hat. Es kann jedoch auch Verwirrung geben, die zur Ursache hat, dass nahezu jeder über seine Prolegomena hinweggeht oder sich erst a posteriori darüber besinnt. Wo ‘prophetische’ Klänge vernommen werden, wird diese Erscheinung sich öfters bemerkbar machen; nimmt aber die Prophetie die Toga des Gelehrten an, dann kann man ihr dies als ernsten Fehler anrechnen. Wie bereits gesagt wurde, ist die einzige deutliche und einheitliche Theorie über das Paradoxon die des Zenbuddhismus. Für das Uebrige ist alles grenzenlose Verwirrung. Die Mathematik erwies sich als unsicher und auf ihre eigenen, als unfehlbar ausgerufenen Axiome als auf marternde Probleme zurückgeworfen. Kierkegaard war mit sich selbst uneins und nahm mit der einen Hand (approximierende Gotteserkenntnis) zurück, was die andere gab (absolutes Paradox). Otto beginnt bei Fries, aber endigt mit dessen | |||||||||||||||||
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Verleugnung. Die dialektische Theologie schwankt zwischen Anthropologie und Theologie, zwischen Paradoxon als denktechnischem Apparat und als Krisis, zwischen der Existenz als Niederschlag eines aktualisierenden Gottes und der als Aufstieg eines sich in Persönlichkeit aktualisierenden Menschen. Die Geschichte wird verleugnet, entwertet, aber auch zum Substrat der Existenz und ihrer Paradoxalität gemacht. Die Dialektik spricht aus einem ‘Abstand’ (‘dia-’), aber projiziert auch von ganz nahe ihre Schemas auf die gegebene Welt. Docta ignorantia verteidigt der eine, eine doctrina ignorantiae liefert der andere. Bei Kant beginnt der eine, bei Kierkegaard der andere, bei Hegel der dritte, bei sich selbst, dem Ich, der vierte. Man reicht dem Kritizismus die Hand, aber auch der Mystik (und zwar wahrlich nicht nur bei Otto), man kommt zur Kulturkrisis und zum Kulturbau, man versagt der Kunst das freie Wort, aber sieht gleich darauf Künstler sich mit Herolden eines neuen ZeitaltersGa naar voetnoot1) verbinden zu paradoxalen Entwürfen, die jedoch nicht im geringsten weltabgewandt oder -verneinend sind. Und während der eine im Namen des Paradoxons zu Calvin zurückkehren zu können glaubt, baut der andere im Namen des Paradoxes den russischen Gedanken. | |||||||||||||||||
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Diese Leidensgeschichte von der Frage nach dem Inhalt des Paradoxons ist eine Wiederholung von der des Wortes ‘Paradoxon’. Dies ist zu bedauern. Denn Abenteuern richtet nirgends soviel Unheil an, als wenn es, wie es hier geschieht, starke Worte über die Hybris spricht und prophetische Worte schmiedet über unendliche qualitative Unterschiede, über Zeit und Ewigkeit, Gott und Mensch. Die tiefsten Fragen hängen mit dem Paradoxon zusammen, aber die erschreckende Leichtigkeit, mit der jeder für sich nach dem Wort ‘Paradox’ greift, und eine Struktur davon gibt oder versucht, ohne sich erst scharf über seine Prolegomena zu besinnen und auch ohne nach dem wissenschaftlich-legitimen Inhalt seiner eigenen Terminologie (Gegensatz, Krisis, Enantion, Dimension, Andersheit, Dialog, Entweder-Oder, Diakrisis usw.) zu fragen - es zeugt alles von einer Unreife, die den, der ein Auge dafür bekam, er möge dann denken, was er will, schon ein starkes Verlangen nach einer Periode gibt,Ga naar voetnoot1) worin man sich wieder Rechenschaft über den Inhalt seiner eigenen Schlagworte gibt, um erst nachher zu sprechen über das Wort, den Logos und sein Verhältnis zu den δόξαι des Menschen, hic et nunc. |
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