Zur Begriffsgeschichte des 'Paradoxon'
(1933)–K. Schilder– Auteursrecht onbekendMit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen ‘Paradoxon’
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Kapitel IV
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§ 1. Berufung auf Calvin.Die letzte Frage, die jetzt noch zu erörtern bleibt, ist die, ob die nach-, bzw. neo-kierkegaardsche Lehre vom Paradoxon in ihren grundlegenden Gedanken sich verträgt mit der Theologie der Reformatoren (bezw. auch mit ihren philosophischen Grundgedanken; denn nach Karl Barth haben die Reformatoren auch ihre Philosophie und ist sogar - ‘wenn wir recht sehen’ - Calvin Altplatoniker und Luther Neuplatoniker).Ga naar voetnoot1) Bekanntlich wird von Seiten der dialektischen Theologie sehr oft ihre Affinität, nicht nur mit den ‘Einsamen’ des 19. Jahrhunderts, Kohlbrügge, Kierkegaard, Vilmar,Ga naar voetnoot2) sondern auch mit der Lehre der Reformatoren, namentlich mit der des Calvin behauptet. Nicht nur wird in ‘Zwischen den Zeiten’ wiederholt, in einem kurzen Zitat oder in direkter Uebernahme von ganzen Perikopen, aus LutherGa naar voetnoot3) und | |||||||||||||||
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CalvinGa naar voetnoot1) der Stoff entnommen, sondern es wird auch die Verwandtschaft mit den Reformatoren, ja sogar eine bewusste Rückkehr zu ihnen öfters prätendiert. Nach Fritz Heidler ‘gebraucht Barth die begrifflichen Voraussetzungen so, wie sie von der reformatorisch verstandenen Offenbarung her als allein grundlegender Voraussetzung und Richtschnur für unser Denken.... zu verstehen, und zu gebrauchen sind’, und ist die ‘dialektische Methode’ K. Barths die ‘Explizierung - und weiter nichts und das aber ganz bestimmt’ - des ‘simul peccator simul iustus der Reformation’.Ga naar voetnoot2) Nach Hermann Bauke hat die Barthsche Schule die reformierte Theologie vorankommen lassen, und sucht diese nun ‘ihre historische Anknüpfung und Fundamentierung, und diese heisst Calvin’.Ga naar voetnoot3) Eine Auffassung, die zusammenhängt mit Bauke's gegen Bohatec u.a. verteidigte Meinung, dass die complexio oppositorum als formale Bestimmung für die Theologie Calvins ‘unbedingt konstitutiv’ ist, und dass Calvin ‘alle vorhandenen einzelnen dogmatischen Lehren’ verbindet ‘zu einem systematischen Gesamtzusammenhang, und auch gerade solche, die metaphysisch oder logisch unter Umständen zu einander in Gegensatz stehen’; ‘für die complexio der opposita dient ihm’, nach Bauke, ‘seine formale Dialektik’.Ga naar voetnoot4) Wenn man auch von Seiten der dialektischen Theologie Kritik übt an den Reformatoren, gelegentlich sogar an konstitutivenGa naar voetnoot5) Elementen ihrer Theologie, oder wenn man auch die behauptete complexio oppositorum bei Calvin von den eigentlichen Paradoxa der dialektischen Theologie zu unterscheiden weiss,Ga naar voetnoot6) so hält man also doch sich selbst | |||||||||||||||
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in den grossen Linien, in der Hervorhebung der Souveränität Gottes, des Wortes Gottes und des qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und Geschöpf bzw. Mensch, für mit ihnen verwandt und will - namentlich Schleiermacher gegenüber - in der Polemik das ‘biblisch-reformatorische’ DenkenGa naar voetnoot1) vollziehen; man ist sogar dermassen überzeugt, in dieser Hinsicht recht zu haben, dass es ‘peinlich’ für E. Brunner und K. Barth empfunden wird, ‘wenn es so wäre’, dass - wie einige wollen - Schleiermacher ‘aus der reformierten Richtung her’ zu verstehen sein würde.Ga naar voetnoot2) In einer Auseinandersetzung mit G. Wobbermin schreibt K. Barth: ‘Ich behaupte kühnlich, dass ich einer der ganz wenigen evangelischen Theologen bin, die einerseits den Römischen hinsichtlich der - nicht von den Reformatoren, wohl aber, Herr Kollege, von Ihren Kirchenvätern preisgegebenen - gemein-christlichen Voraussetzungen ruhig ins Auge blicken können und die andererseits weder mit der Erkenntnislehre des vatikanischen noch mit der Rechtfertigungslehre des tridentinischen Konzils einen heimlichen Bund geschlossen haben’.Ga naar voetnoot3) Es wird also eine Uebereinstimmung mit den Reformatoren nicht nur den allgemeinen Thesen der dialektischen Theologie (die nach A. Keller ‘eine Konzeption des reformierten Geistes auf dem Boden des Luthertums’Ga naar voetnoot4) ist), sondern auch bestimmten Lehren (oft auch der Sakramentslehre)Ga naar voetnoot5) und ebenso der Lehre von der Paradoxalität der Wahrheit zugesprochen. Ad. Keller findet in einer noch nicht durch die Krisis gegangenen Theologie eine Auflehnung gegen den rigorosen Geist Calvins.Ga naar voetnoot6) Auch Th.L. Haitjema, Peter | |||||||||||||||
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Brunner, P. TillichGa naar voetnoot1) urteilen so, und A.S. Zerbe, H. Beets, R. Birch Hoyle, J.J. Strijdom, W. Kolfhaus, H.E. Weber.Ga naar voetnoot2) Und Barth selbst meint, dass ‘die Konsequenz reformierter Lehre eines Tages wieder wird gezogen werden müssen’;Ga naar voetnoot3) er hat einmal geschrieben, dass ‘reformierte Lehre’ ‘den ganzen Weg, den Luther geht’, nicht nur in der Abendmahlslehre, sondern auch ‘sonst in ihrer Art freudig mitgehen’ wird, ‘um, wenn das letzte Wort fällt, das lutherische Ja durch ihr reformiertes - nicht Nein, sondern Aber zu durchkreuzen, zu ergänzen, zu erklären, in der Erinnerung, dass, indem dieses letzte Wort fällt, der Kreis jenes Weges sich schliesst, der Punkt wieder erreicht ist, von dem Luther ausgegangen, wo die Gleichung wieder zum Gleichnis werden, wo die kritische Frage wieder lebendig werden muss, damit die göttliche Antwort Wahrheit sei und bleibe’.Ga naar voetnoot3) Dies wird von Karl Barth noch näher präzisiert, wenn er den Unterschied zwischen Luther, Calvin und Zwingli in folgender Weise angibt: ‘Nur feststellen können wir, dass er (sc. Luther) ein Ja ohne Aber meinte aussprechen zu können.... Luther gegenüber Zwingli, in seiner Undialektik noch bedenklicher dastehend, weil sein Auftrag, viel undankbarer, offenbar nur auf das Aber ohne Ja lautete, vielleicht gerade in der grossen von Luther peinlich abstechenden Fragwürdigkeit seiner geschichtlichen | |||||||||||||||
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Erscheinung die notwendige Verkörperung des Fragezeichens, das zu setzen Luther selber unterlassen hatte. Der Name Calvins, des Mannes, der nachträglich beides wusste und sagte, bezeichnet die Tragik dieses geschichtlichen Engpasses, vielleicht auch Ausblick und Hoffnung’.Ga naar voetnoot1) Kein Wunder, dass nun von katholischer Seite (A.J.M. Cornelisse) Doumergue's Behauptung über ‘le caractère antinomique de Calvin’ gedeutet wird im Sinne Peter Brunners.Ga naar voetnoot2) Um nicht allzu ausführlich zu werden, wollen wir unsere Untersuchung beschränken auf nur einen der Reformatoren; Barths zuletzt angeführte Worte machen verständlich, warum unsere Wahl gerade auf Calvin gefallen ist. Es ist sogar behauptet worden, dass ‘zwar der Kalvinismus, nicht aber das Luthertum eine “dialektische”, d.i. denkerische Theologie hervorbringen kann.’Ga naar voetnoot3) Man könnte solchen kühnen Behauptungen freilich gleich entgegentreten mit der einfachen Frage, ob das sacrificium intellectus in dieser ‘denkerischen’ Theologie vielleicht ganz übersehen worden ist, ja sogar eine ‘Herzenstheologie’ (die hier im Lutheranismus der kalvinistischen ‘Gehirntheologie’ gegenübergestellt wird) eher für zu einem solchen sacrificium fähig halten als eine ‘Gehirntheologie’. Aber es empfiehlt sich mehr, Calvin selbst reden zu lassen, und so eine Antwort zu suchen auf die Frage, ob das calvinische Zugeständnis, dass das in der ‘religiösen’ Erkenntnis Erkannte Mysterium bleibe, als Antinomie zu bezeichnen ist, und ob die Behauptung einer ‘paradoxen Evidenz’ in der ‘religiösen Erkenntnis’ mehr als ein-Paradoxon, ob sie in der Tat auch calvinisch ist; eine Frage, wozu G. SpörriGa naar voetnoot4) Anlass gibt. Solche ‘Unter- | |||||||||||||||
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suchung hat ihren Wert, um so mehr, als nicht nur mit ‘l'incoordonnable’ von J.J. Gourd, sondern auch via Gourd mit ‘le métaverbe’ von P. Sauvage-JousseGa naar voetnoot1) eine Verbindung möglich scheint. Freilich, ‘mit Calvin ernten wollen ohne mit Calvin gesäet zu haben’, so sagt K. Barth, ‘das dürfte weder calvinisch, noch sonst wohlgetan sein’.Ga naar voetnoot2) Hat man in der Lehre vom Paradoxon in der Tat mit Calvin gesäet? | |||||||||||||||
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§ 2. Calvins Weg von der Transzendenz Gottes zu der ‘Accommodatio’ Gottes.Einer der wichtigsten Gedanken der dialektischen Theologie ist bekanntlich der qualitative Unterschied zwischen Gott und Mensch. ‘Gott ist im Himmel, und du auf Erden’ (Pred. 5, 1), das ist ein von Karl Barth vielgebrauchtes Zitat. Gottes Transzendenz, Gottes Ganz-anders-sein wird immer wieder betont. Von da aus wird das Verhältnis zwischen dem Deus loquens und dem hörenden Menschen oft ohne weiteres konstruiert, wird ‘der Satz von der unaufhebbaren Subjektivität Gottes in seinem Wort’ aufgestelltGa naar voetnoot1), und wird sogar behauptet, dass ‘nicht wegen der Relativität des menschlichen Erkennens’, sondern wegen der Absolutheit, ‘in der er sich zu erkennen gibt’, Gott uns verborgen ist. ‘An ihm’ der ‘sich offenbart, wie er ist’, ‘scheitern wir, wohlverstanden gerade an der Offenbarung seiner Herrlichkeit’.Ga naar voetnoot2) Calvin aber macht's anders. Obwohl die Transzendenz, die Souveränität, die absolute Erhabenheit, das Ganz-anders-sein Gottes in seiner Theologie unbedingt festgehalten wird, so lässt er doch noch mehr Faktoren wirksam sein, wenn es gilt, das Verhältnis zwischen Gott, dem Offenbarer, und dem Menschen als Hörer aufzuzeigen. Grundlegend für Calvins Gedankenschema ist dabei die Ueberzeugung, dass Gott ‘Ein’ ist. Seine virtutes sind | |||||||||||||||
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nicht voneinander zu trennen. Deshalb ist der Deus loquens mit dem Deus creator eins, sobald es sich nämlich auf das Reden Gottes nicht in der Trinität, sondern auf das Reden ad extra bezieht, das Reden als opus exeuns. Dieses loqui Gottes ist creare, und sein creare loqui. ‘Das Wort Gottes ist Antwort’, sagte K. Barth.Ga naar voetnoot1) Das Wort Gottes kreiert Frager und Frage, meint Calvin. Beim loqui Gottes als creare bleibt Calvin jedoch nicht stehen. Der Creatio folgt die providentia und in dieser wird Gottes Absicht mit der creatio und mit der Kreatur in der Geschichte durchgeführt und vollzogen. Denn am Anfang aller Dinge steht Gottes Ratschluss, das decretum, das immer ‘horribile’ ist, und dieses decretum Gottes hat der Geschichte ihren Lauf bestimmt. Und eben weil Calvin sich dies alles supralapsarisch vorstellt,Ga naar voetnoot2) empfangen diese Gedanken bei ihm eine besonders scharfe Prägung. Gott stellt sich ein Ziel, das er in der Geschichte und durch sie erreichen will, und so geht es vom decretum zur creatio, von der creatio zur providentia, von der providentia bis zur Pleromatisierung aller Geschichte. In diesem geschichtlichen Prozesse nun, durch den und in dem Gott seine Dekrete ausführt, hat sein Reden, sein loqui, auch seine bestimmte Stelle. J. Bohatec hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Calvin sich in seiner Vorsehungslehre als Theolog der ‘Diagonale’ erweist, dass also ein System von causa prima und causae secundae in seiner Vorsehungslehre auftritt, und dass deshalb seine Vorsehungslehre systematisch höher zu stellen ist als ‘die wesentlich theoretischen Paradoxien Zwinglis’.Ga naar voetnoot3) Sobald man nun das Reden Gottes als opus exeuns unter dem | |||||||||||||||
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Gesichtspunkt der calvinischen Vorsehungslehre betrachtet, erscheint der Theologe der ‘Diagonale’ von der heutigen Theologie der ‘Krisis’ völlig verschieden. Und dass dieser Gesichtspunkt richtig ist, ist klar. Das Wort Gottes, die Offenbarung in allen ihren von ihm gewählten Formen, ist eins der Mittel, wodurch die ‘allmächtige und allgegenwärtige Kraft’Ga naar voetnoot1) der Providenz Gottes alles in der Geschichte seinem Dekret gemäss zur Consummation lenkt. Obwohl Calvin nicht denen beistimmen würde, die die Rede Gottes ihrem Inhalt nach ohne weiteres eschatologisch nennen, so würde er doch seinerseits dieses Prädikat ‘eschatologisch’ der göttlichen Rede wohl zuerkennen, wenn es sich um ihre Wirkung handelt. In der Weltgeschichte vollzieht sich nach ihm eine Offenbarungsgeschichte; diese ist ohne jene, jene ohne diese nicht verständlich. Durch sein Reden und durch das schöpferische Darstellen einer historia revelationis im Rahmen der Weltgeschichte, bringt nach Calvin Gott nicht nur die einzelnen Personen (durch regeneratio, vocatio interna et externa, Theopneustie, Offenbarungstraum, tardemah, Vision, Zwang zur Entscheidung durch Maschal und paroimia, durch verschärfte Proklamierung der Antithese oder durch ‘despotisches’ Mandat u.s.w.), sondern auch bestimmte Völker (Israel, Amalek, Edom, die Völker bei Jesaja, Hesekiel, Daniel u.s.w. und zwar durch die Prophetie, die Psalmodie, die graphische oder verbale Inspiration, das Auftreten der Propheten unter den Barbaren, Traumexegese wie von Daniel, incidentelle Berührungen mit der revelatio specialis, revelatio communis u.s.w.) und die neutestamentliche Kirche zur Consummation, und dies in bestimmten, vom Dekret Gottes prädestinierten und ihr Einteilungsprinzip nur der historia revelationis entnehmenden Epochen (Paradieseszeit, Zeit der Patriarchen und Propheten, Epoche der Predigt Christi und der Apostel, das ‘Millennium’ von Pfingsten bis zur Parusie). Immer ist Gottes Reden | |||||||||||||||
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und Schweigen, sein familiaris docendi modus und das continere seiner mysteria, ein providentielles Realisieren der praedestinatio. Calvin schreibtGa naar voetnoot1): ‘De evangelio vere testatur Paulus, non esse velatum nisi reprobis et exitio devotis, quorum mentes excaecavit Satan (2. Cor. 4, 4). Deinde sciendum est, vim illuminandi cuius meminit David, et familiarem docendi modum quem praedicat Iesaias, proprie ad electum populum referri. Hoc tamen semper fixum manet, non esse obscurum Dei verbum, nisi quatenus ipsum mundus sua caecitate obtenebrat: interim nihilominus mysteria sua Dominus continet, ut minime ad reprobos perveniat eorum sensus’. Und wenn Christus ‘obscure se turbae(!) loqui dicit’, so zeigt sich darin nach Calvin wieder ‘arcanum Dei consilium’; es ist dieses consilium, wodurch bestimmt wird, ob die parabolae Christi, die ‘aenigmatice continent, quae dilucide non vult Deus patefieri,’ ihre ‘familiare’ Exegese bekommen oder nicht.Ga naar voetnoot2) Aus dem vorher Gesagten fliessen für Calvin sofort Konsequenzen. a) Eine erste Konsequenz ist wohl diese, dass es nach Calvin durchaus verfehlt ist, das Verhältnis zwischen dem redenden Gott und dem hörenden Menschen zu bestimmen nur mit Berufung auf den unendlich qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch, als ob damit genug gesagt wäre. Das Reden Gottes, das seinem Wesen unmittelbar entspricht und nirgends anderswoher seiner ‘Struktur’ nach bestimmt wird als aus seiner göttlichen Autarkeia, ist nur ein Reden innerhalb der Trinität, ein vom Menschen also nimmer gehörtes Reden, ein Rufen, ein gegenseitiges Einander-Zurufen - anthropomorph gesagt - vom Vater, Sohn und Heiligen Geist, ein Reden | |||||||||||||||
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nur als opus immanens. Dieses loqui Gottes kommt nicht aus den βάϑη ϑεοῦ heraus und hat mit der Offenbarung und ihrer Rede nichts zu tun. ‘Nous devons distinguer entre ce qui est contenu en l'Escriture saincte, et ce que Dieu nous a caché, et dons nous n'avons nulle doctrine ni tesmoignage’.Ga naar voetnoot1) Gottes Offenbarungsrede gehört zu den opera exeuntia und was dieses Reden Gottes anlangt, stösst man bei Calvin sofort auf das nüchterne Wort: ‘Retenons donc que nostre Seigneur n'a point parlé selon sa nature. Car s'il vouloit parler son langage, seroit-il entendu des creatures mortelles? Helas non. Mais comment est-ce qu'il a parlé à nous en l'Escriture saincte? Il a begayé.’Ga naar voetnoot2) Oder auch: ‘Tant y a que nous ne le comprenons point en sa maiesté, d'autant qu'elle est trop haute, il faut qu'il s'abbaisse, et qu'il use de façons de parler qui soient propres à notre rudesse, et à la debilité de nos esprits.’Ga naar voetnoot3) Man bemerkt hier sofort einen bedeutungsvollen Unterschied zwischen Calvin und der dialektischen Theologie; diese bestimmt das Reden Gottes und beschreibt den Offenbarungsvorgang aus Gottes Wesen, aus seinen ‘opera immanentia’, aus seiner Uebergeschichtlichkeit; jener aus Gottes εὐδοϰία (Wohlgefallen), aus seinem Wille zu opera exeuntia, aus seinem schöpferischen Erzeugen der geschichtlichen Evolutionen (z.B. 26, 248; 42, 161; 38, 693) auf der Basis der Creation und Recreation und aus seinem transzendenten Willen, dem Willen Gottes τοῦ ζωοποιοῦντος τοὺς νεϰϱοὺς ϰαὶ ϰαλοῦντος τὰ μὴ ὄντα ὡς ὄντα (Römer 4, 17). Die dialektische Theologie betont immer, dass Gottes Allmacht sich nicht von seinem Wesen loslösen kann, sodass Gott nie etwas anderes als ‘nur’ Gott sein kann, auch in seinem Reden; Calvin jedoch, obwohl er dem | |||||||||||||||
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unbedingt zustimmt, fügt hinzu, dass Gottes Allmacht eine Verbindung schaffen kann zwischen sich und seinem Geschöpf; dass er sich dem Menschen anpassen (adaptare) kann, auch in seinem Reden. Durch das prädestinierende Reden im Dekret wollte Gott zunächst den Menschen sibi adoptare, und dann will er durch sein Reden in der Geschichte ihm se adaptare. ‘Quum Deus ad nos accedit, secum (nicht: suam, nicht: seines “Wesens”!) lucem affert.’Ga naar voetnoot1) b) Eine zweite Konsequenz liegt vor: wenn es sich so verhält, ist Gottes loqui auch kein loqui aus der Distanz, sondern ein ‘sermo’ aus der Nähe. In der Literatur der dialektischen Theologie liegt - unter mehreren anderen Beispielen von Wörtern, denen man einen ganz neuen Inhalt gibt, - auch eine u.E. willkürliche Exegese des Begriffs ‘dialektisch’ vor, wie sie Heinrich VogelGa naar voetnoot2) allerdings in Abweichung von andererGa naar voetnoot3) Auffassung gegeben hat. Bemerkt er doch, dass zwei Auffassungen von ‘dialektisch’ möglich sind, eine, bei der ‘dia’ ‘hindurch’, ‘bis auf den Boden’, eine andere, bei der ‘dia’ vielmehr: ‘zwischen’, ‘in Distanz von’ bedeutet. Jene Auffassung ist entnommen der rein sokratischen philosophischen Sphäre (ein regelmässig fortgehendes Fragen und Antworten um dadurch bis auf den tiefsten Grund, bis auf den Boden zu dringen); die zweite Auffassung aber ist dem theologischen Gebiet entnommen und bezeichnet das Sprechen Gottes im ‘Augenblick’ seiner Offenbarung. Und Haitjema, sich dem anschliessend, sagt,Ga naar voetnoot4) die theologisch-dialektische Methode dieser zweiten Art demonstriere die innere Ueber- | |||||||||||||||
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zeugung eines Menschen Gott gegenüber, dass Gott in seiner Majestät sein Wort nicht den Menschen anvertraut um frei darüber als über eine begriffsmässige Wahrheit zu verfügen. Die nicht anschauliche Wahrheit ‘in het hoogere midden’ zwischen zwei Gegensätzen ist nach Haitjema im Kritizismus des Glaubens nicht wie bei Sokrates eine Wahrheit, die, ewig, obwohl verborgen, anwesend ist. Nein, sagt er, es gilt hier im Bewusstsein des Abstandes mit bitterem Ernst unaufhörlich festzustellen, dass diese nicht anschauliche Wahrheit nur ‘in het hoogere midden’ anwesend ist im grossen Augenblick von Gottes gegenwärtigem Reden. Man kann dies, auch wenn mann mit Fritz HeidlerGa naar voetnoot1) ‘die Mitte’, worauf alle dialektische Aussagen Barths bezogen sind, für Gott selbst und ihn allein halten würde, doch schwerlich eine richtige Interpretation Calvins nennen. Gerade der Hervorhebung des Distanzbegriffes (‘dia’) in dem Verhältnis des deus loquens zu dem hörenden Menschen stellt Calvin die Lehre der accommodatio Gottes in seiner Offenbarungwirksamkeit gegenüber. Calvin hat es geduldig angehört: ἐγγύς σου τὸ ῥῆμά ἐστιν (Röm. 10, 8); und das alttestamentliche Wort aus Deut. 30, 14, das hier von Paulus zitiert wird, beherrscht sogar manche Perikope seiner Sermons sur Deut. Accommodatio Gottes, sagten wir. Man höre Calvin reden: ‘S. Paul dit qu'il s'est fait comme une nourrice avec les enfans, quand il a presché 1 Evangile: et quand il parle de soy, il n'y a nulle doute qu'il ne monstre la bonté de Dieu, lequel l'a ainsi gouverné par son sainct Esprit. Et ce qui est en S. Paul, nous le trouverons aussi bien et en Moyse, et en tous les Prophetes. Notons bien donc que Dieu s'est fait quasi semblable à une nourrice, qui ne parlera point à un petit enfant selon qu'elle feroit à un homme: mais qu'elle regarde à sa portée. Ainsi donc Dieu s'est comme demis: d'autant que nous ne comprendrions pas ce qu'il diroit, sinon qu'il condescendist à nous. Voile pour quoy en l'Escriture saincte on le voit plustost semblable à une nourrice, qu'on n'apperçoit sa maiesté haute et infinie, à laquelle nous ne pourrions parvenir, et mesme de laquelle nous ne pourrions approcher’.Ga naar voetnoot2) ‘Nihil.... | |||||||||||||||
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prohibet quin sese Deus ad nostrum captum, hoc vel illud pollicitus, accommodet, ac velut in aliam formam transformet. Ecquis enim mortalium divinorum sermonum maiestatem capiat, si Deus ipse nos alloquatur, quam ne angeli quidem ipsi ferunt? Idcirco sese eo dimittit, ut ad nostrum captum suum sermonem accommodet.... Nobiscum ipsum instat matris cum infante balbutientem audimus....’Ga naar voetnoot1)Und nicht nur die Mutter, die nutrix, ist für Calvin ein Bild des Deus loquens, sondern auch der Vater, als Pädagoge. ‘Nous avons.... à recueillir une doctrine generale....: c'est que Dieu seroit enclin de sa nature à nous à faire venir à luy d'une façon douce et amiable, tout ainsi que un pere ne demande qu'à gagner ses enfans, riant avec eux, et leur donnant tout ce qu'ils desirent: si un pere pouvoit tousiours rire avec ses enfans, et satisfaire à leurs appetis, il est certain que tout son plaisir seroit là. Dieu donc se monstre tel envers nous.Ga naar voetnoot2) Il descend à nous, et se rend familier, et nous appastelle par maniere de dire, et parle à nous d'une telle gracieuseté, comme feroit une nourrice à son enfant.’Ga naar voetnoot3)Calvin sagt, ‘que Dieu les’ (Iuifs) ‘traittast humainement’.Ga naar voetnoot4) Die Idee eines sich zu unserer ruditas et infirmitas herablassenden Gottes ist Calvins Offenbarungslehre sehr vertraut und hat in ihr konstitutive Bedeutung. In seinen Sermons und sonstigen Auseinandersetzungen mit Deuteronomium und ihm verwandten Bibelstellen stösst man immer wieder auf eine fast ermüdende Wiederholung des Themas, das im hebräischen Text von Deut. 30, 14 gegeben ist. Freilich hat ihn der ganze Abschnitt (Vers 11-14) gefesselt. Das darf auch nicht wundernehmen, und zwar umso weniger, als Paulus in Römer 10 diesen Abschnitt zitiert. Er tut das gerade in einem äusserst bedeutungsvollen Context (Israels Fall, Verhältnis zwischen Israel und neutestamentlicher Kirche c. 9-11). Und die Allegation aus Deut. 30 wird von Paulus angewendet, damit er mit ihrer Hilfe seine für ihn typische, den Römerbrief beherrschende Antithese ausarbeite zwischen der διϰαιοσύνη τῆς πίστεως seiner Predigt einerseits und der ἴδια διϰαιοσύνη der pharisäischen Juden andererseits, die das mosaische | |||||||||||||||
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Gesetz im messianisch-eschatologischen Sinn, wie es Paulus gelehrt hat, zu lesen verweigerten. In Deut. 30 sagt Mose: Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht verborgen,
, noch zu ferne,
. Es ist nicht im Himmel,
; und deshalb ist die Frage zunächst überflüssig (Mose), danach und infolgedessen auch untersagt (Paulus Röm. 10, 6): τίς ἀναβήσεται εἰς τὸν οὐϱανόν, damit er das Gebot,
, uns herabhole,
. Und es ist auch nicht jenseits des Meeres,
, und deshalb ist die Frage zunächst überflüssig (Mose), danach und infolgedessen auch untersagt (Paulus Röm. 10, 7): τίς ϰαταβήσεται εἰς τὴν ἄβυσσον, damit er das Gebot uns herabhole? Also um in die Lage zu kommen, worin man das Gebot (das Mose sprach und das nach Calvins locus de sacra scriptura Gott durch Mose gegeben hat eben als Gottes Wort) hören,
, Vs. 12, 13 und tun,
, Vs. 12, 13, kann, braucht Israel daher nicht zu
, ἀναβαίνειν in den Himmel, d.h. es gibt kein Distanzgefühl in der ‘vertikalen’ Linie; und braucht man auch nicht zu
, ϰαταβαίνειν jenseits des Meeres (kein Distanzgefühl also in der ‘horizontalen’ Linie) oder εἰς τὴν ἄβυσσον (kein Distanzgefühl also angesichts einer ‘Todeslinie’). Und weshalb nicht? ‘Solutio est facilis’, würde Calvin sagen: Denn es ist das Wort (, τὸ
ῥῆμα) (ganz) nahe bei dir ( , ἐγγύς σου) in deinem Munde (, ἐν τῷ στόματί σου) und in deinem Herzen (, ἐν τῇ ϰαϱδίᾳ σου), dass du es tust,
. Calvin, wie gesagt, zweifelt nicht daran, dass das hier gemeinte Wort ( , ῥῆμα) das Wort Gottes ist, das durch die Vermittlung Mosis nicht verstümmelt worden ist.Ga naar voetnoot1) Moses dixit und Deus dixit - das sind für ihn zwei
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Sätze, in denen das dicere des einen wohl zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden ist vom dicere des anderen. Und Paulus, darin von Calvin wieder unbedingt anerkannt, zweifelt nicht daran, dass Mosis Kerygma und Gesetzgebung in seiner eigenen Christuspredigt ihr Pleroma gefunden haben. Sagt er doch: τοῦτ᾽ ἐστιν τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ ϰηϱύσσομεν, vs. 8; und: ἡ δὲ ἐϰ πίστεως διϰαιοσύνη οὕτως λέγει, vs. 5. Und die διϰαιοσύνη ἐϰ πίστεως ist eben das grosse Thema des Römerbriefes und der terminus technicus in Pauli Lehre von der iustificatio ex fide gegen über der διϰαιοσύνη τοῦ νόμου (ἐξ ἐϱγων), der ἴδια διϰαιοσύνη des Judentums, das von Abrahams Glauben (Röm. 5) getrennt und damit auch dem eigentlichsten (messianisch-eschatologischen) Leben Abrahams entfremdet war. Röm. 9-11. Dieser locus classicus verdient eben dadurch unsere ganz besondere Aufmerksamkeit, dass er, sowohl in seiner alttestamentlichen als in seiner neutestamentlichen Form, das Herz der reformatorischen Lehre (Calvin, Luther, sola fide!) berührt. Der alttestamentliche Text, im neutestamentlichen Lichte gesehen,Ga naar voetnoot1) | |||||||||||||||
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betont, dass, obwohl das Gesetz ein Joch ist, das ermüdet und tötet, das ‘Haben’ des Gesetzes als Offenbarungsinhalt doch göttliche Gnade ist. Denn das Gesetz als Offenbarungswort heilt die caecitas naturalis, gibt Israel, was den Heiden versagt ist und führt durch die Ermüdung des Jochtragens zur Ruhe in Christo. Also ist im Gesetz schon das Evangelium; in der Predigt der διϰαιοσύνη τοῦ νόμου leuchtet schon das Ideal der διϰαιοσύνη ἐϰ πίστεως, οὐϰ ἐξ ἔϱγων. So ist das Thema der Glaubensgerechtigkeit, das eben Karl Barth cum suis so sehr interessiert, von Paulus hier aufgestellt. Es ist aber bemerkenswert, dass dieses Thema, das Calvin in seiner Deut.-Auslegung und sonstGa naar voetnoot1) so sehr beschäftigt, von K. Barth in seinem Römerbrief bei der bezeichneten Stelle völlig übersehen worden ist.Ga naar voetnoot2) Und dennoch hat Calvin das Problem der iustificatio e fide in Röm. 10 deutlich gesehen. Er weiss, dass im Deut. 30, 12 | |||||||||||||||
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‘Moses de legis doctrina loquitur, Paulus autem ad evangelicas promissiones trahit.... Moses facilitatem illic ostendit perveniendi ad vitam, quia iam Dei voluntas Iudaeis occulta non est, nec longe dissita, sed sub aspectum posita. Si de sola lege sermo esset, frivolum fuisset argumentum.... Ergo non legem solam designat, sed totam in genere Dei doctrinam, quae evangelium sub se comprehenditGa naar voetnoot1).... Prope est verbum (vs. 8.) Primo hoc notandum est, ne ambagibus abductae hominum mentes a salute aberrent, verbi metas illis praescribi, intra quas se contineant. Perinde enim est ac si iuberet uno verbo contentas esse, et moneret in hoc speculo contemplanda esse coelorum arcana, quae et aciem oculorum perstringerent suo fulgore, et aures obstupefacerent, et mentem ipsam redderent attonitam. Itaque insignem ex hoc loco consolationem percipiunt fideles animae de verbi certitudine: quos scilicet in eo non minus tuto acquiescant quam in praesentissimo rerum adspectu. Deinde notandum est, proponi verbum a Mose, in quo stabilis et tranquilia salutis fiducia nobis constet.Ga naar voetnoot2).... Particula ista, quod praedicamus, ideo adiecta est, ne quis suspicaretur Paulum a Mose dissidere. Testatur namque in evangelii ministerio sibi cum Mose optimam esse consensionem: quandoquidem ille quoque non alibi quam in gratuita promissione divinae gratiae felicitatem nostram locaverit’.Ga naar voetnoot3) Wenn man das alles liest, wird die Diskrepanz zwischen Calvin und der dialektischen Theologie sichtbar. Für Calvin ist die accommodatio Dei ein Artikel, mit dem zunächst die Offenbarung als Tatsache (abgesehen noch von ihrem Inhalt, Gesetz oder Evangelium), und danach auch ihr Inhalt selbst (Gesetz, und darin schon ‘latens’ Evangelium, Evangelium und darin ‘patens’ Plerosis des Gesetzes) steht oder fällt. Barth dagegen kennt das Wort ‘accommodatio’ nur als Stichwort in dem Wörterbuch der Götzendiener. Diese Abweichung von Calvin, auf den sich doch Barth beruft, hat, eben weil sie prinzipiell ist, zur Folge, dass er sich immer weiter von Calvin entfernt. Um bei unserem gegenwärtigen Thema zu bleiben: am Anfang dieses Paragraphen haben wir, um die Stelle zu bestimmen, die Calvin dem Worte Gottes zuweist, gesagt, dass man ausgehen müsse von seiner Ehrfurcht vor Gott als creator. Wir zitierten Röm. 4, 17 mit der bekannten Aussage über Gott, der τὰ μὴ ὄντα ruft (ϰαλεῖν) als (ὡς) ὄντα. Hier hat Calvin | |||||||||||||||
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ϰαλεῖν übersetzt durch ‘vocare’ (Deus vocat ea quae non sunt tanquam sint). Und das vocare Gottes interpretiert er als schöpferische oder neuschöpferische Gottestat, wodurch also ein neuer Anfang gemacht wird: wo der Tod ist, wird er überwunden, und das Leben bricht hindurch zum Sieg über den Tod. Also keine coincidentia oppositorum, keine ‘Polarität’ zwischen Tod und Leben, kein Zusammengehen von Tod und Leben, sondern ein Entweder-Oder. ‘Vocare’ ist hier keine Benennung des Seienden oder Existierenden, sondern ein göttlicher Ruf zum Sein oder zur Existenz. Und ‘tanquam’ (ὡς) ist nicht so zu interpretieren, als wäre (paradoxal) das Tote lebendig genannt, obgleich es tot geblieben war. Es ist keine Rede von einem ‘vivum vocare’, sondern von einem ‘vocare ad vitam’: ‘Nihil interesse an mortuus sit, qui a domino vocatur ad vitam: cui dum loquitur, facile est sua potentia mortuos suscitare.Ga naar voetnoot1) Hic praeterea typum et exemplar habemus universalis nostrae vocationis, quo nobis ob oculos statuitur ortus noster.... dum a Domino vocamur, ex nihilo nos emergere’.Ga naar voetnoot2)Es ist denn auch ganz in der Linie von Calvins Terminologie (vocatio, ϰλῆσις, regeneratio als creatio), wenn er bemerkt: ‘vocandi verbum ad praedicationem restringi non debet, sed more scripturae usitato pro suscitare capitur’.Ga naar voetnoot3) Und nun Karl Barth. Noch in der ersten Auflage seines RömerbriefsGa naar voetnoot4) hat er das ϰαλεῖν von Röm. 4, 17 übersetzt durch ‘ins Sein rufen’ (Gott, der das Nicht-Seiende ins Sein ruft),Ga naar voetnoot5) ein gut Calvinischer Ausdruck also. Freilich ist es uncalvinisch, wenn er sagt: ‘das Wesen aller Dinge in dieser Welt ist, von Gott aus betrachtet, das “Meon”, das Nicht-Seiende, das Nichts’;Ga naar voetnoot6) denn diese Art von Platonismus ist Calvin völlig fremd. Jedoch ist ein Anklang an Calvin unverkennbar, wenn er das ϰαλεῖν ϰτλ. so exegetisiert: ‘Gott.... als der Schöpfer, der in die Finsternis | |||||||||||||||
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ruft: es werde Licht! und es wird Licht, der den Toten ruft, und sie werden lebendig; dem Nichts und es wird zum Etwas, dem Unsinn und er muss sich wenden zum Sinne,Ga naar voetnoot1) der alten Welt und “siehe, es ist alles neu geworden”’.Ga naar voetnoot2) In seinem auf das Paradoxon hinführenden Gedankengang aber ist Barth dazu gekommen, diese seine Uebersetzung und Interpretierung von Röm. 4, 17 radikal und prinzipiell zu ändern. In der neuen Bearbeitung des RömerbriefsGa naar voetnoot3) ist das ‘ins Sein rufen’ (ϰαλεῖν) ersetzt worden durch ‘ansprechen’: ‘Gott, der.... das Nicht-Seiende anspricht als das Seiende’.Ga naar voetnoot4) Und die hierzu gegebene Paraphrase weist eine völlige Abweichung von Calvin auf. ‘Das Seiende muss als Nicht-Seiendes erkannt sein, damit das Nicht-Seiende als Seiendes angesprochen werden kann. Das ist die Unmöglichkeit der Erkenntnis, die Unmöglichkeit der Auferstehung, die Unmöglichkeit Gottes, des Schöpfers und Erlösers, in welchem “Diesseits” und “Jenseits” eins sind’.Ga naar voetnoot5) Hier wird die Paradoxalität mit Gewalt in Röm. 4, 17 hineingetragen, weil das Sich-Einfühlen in das Calvinische vocare gänzlich fehlt. Das gleiche findet sich, wenn der Gedankenkreis unseres Ueberblicks (der mit der Transzendenz Gottes - ζωοποιεῖν, ϰαλεῖν - angefangen hat), schliesst mit der Akkommodation Gottes. Es is schon bemerkenswert, dass sowohl in der 1. als in der 2. Bearbeitung des Römerbriefs πίστις in der Verbindung διϰαιοσύνη ἐϰ πίστεως in Röm. 10, 6 nicht durch ‘Glaube’, sondern durch ‘Treue’ Gottes übersetzt wird.Ga naar voetnoot6) Barth spricht von der ‘Gerechtigkeit, die aus der Treue Gottes kommt’ (2. Bearb.) oder von der ‘Gerechtigkeit, die durch die Treue Gottes offenbart ist’ (1. Bearb.). Hier | |||||||||||||||
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ist nicht nur ein Uebersehen des grundlegenden Adagiums der Reformation, sondern auch eine anti-reformatorische Entwertung des Glaubens als ‘Instrument’, als ‘Mittel’ (διά c. gen.) der Gerechtigkeit; sie ist vielleicht verständlich aus der Depreziierung jeder im menschlichen Subjekt vorhandenen Gegebenheit, wodurch der Weg zur Paradoxalität geebnet wird, aber durchaus nicht salva pace Calvini.Ga naar voetnoot1) Dazu kommt man, wenn man in einer Interpretation des Römerbriefs sich völlig emanzipiert von dogmenhistorischen Untersuchungen und also bei der Frage nach dem Inhalt des Begriffs πίστις mehr den Historismus als den Nomismus, und bei der Frage nach dem Sinn des νόμος mehr die RomantikGa naar voetnoot2) und die ‘Moral’ als die διϰαιοσύνη τοῦ νόμου, ἐξ ἔϱγων, die ἴδια διϰαιοσύνη der Pharisäer und noistischen Juden bekämpft.Ga naar voetnoot3) Aber das sei dahingestellt.Ga naar voetnoot4) | |||||||||||||||
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Wir begnügen uns damit, darauf hinzuweisen, dass es nach K. Barth die ‘Treue Gottes’ (πίστις) ist, ‘dass er uns als der ganz andere, als der Heilige mit seinem Nein in so unentrinnbarer Weise entgegentritt’,Ga naar voetnoot1) dass aber nach Calvin Gottes Liebe und Treue darin liegt, dass er ‘se rend familier, et nous appastelle’.Ga naar voetnoot2) Es ist tragisch, dass die Berufung auf Calvin, so gut sie gemeint ist, als unberechtigt bezeichnet werden muss. Calvin sowohl als Barth suchen der Transzendenz Gottes gerecht zu werden; Calvin aber hat das grosse ‘Paradoxon’ von der Untrennbarkeit der Transzendenz und Immanenz Gottes gewagt,Ga naar voetnoot3) nicht weil er sich das philosophisch ausgedacht hatte, sondern weil es ihm durch die Heilige Schrift geoffenbart worden war. Ihn hat der Gehorsam gegen dieselbe von der Lehre des Zusammengehens der Transzendenz Gottes mit seiner Immanenz geführt zur per consequentiam für den locus de revelatione daraus entnommenen Lehre der Akkommodation Gottes. Barth jedoch hat der Paradoxe | |||||||||||||||
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unendlich viele gemacht, aber - um den Preis dieses einen allbeherrschenden Calvinischen Grund-‘Paradoxons’, das wir soeben nannten. Beide wissen um Gottes Erhabenheit, aber das Endergebnis dabei ist: wenn Paulus sagt: ἐγγύς σου τὸ ῥῆμα, dann seufzt Karl Barth: ‘Nahe ist das Wort, bereit liegt das Dynamit’,Ga naar voetnoot1) aber Calvin jauchzt, dass er gesehen habe das freundliche Antlitz eines Vaters, einer Mutter: wo der eine Dynamit drohen sieht (in aeternum), dort findet der andere ‘un père riant’, ‘une nourrice’, ‘matrem cum infante balbutientem’, ‘deum ludimagistrum’. ‘Scimus non ita subtiliter loquutum fuisse spiritum in lege et prophetis, quoniam stylum formavit ad communem vulgi captum’.Ga naar voetnoot2) Behauptet man, ‘que ce n'est pas une chose vulgaire que la parolle de Dieu’, so zeigt sich darin.... ‘l'astuce de Satan’.Ga naar voetnoot3) Denn Gott sagt, dass sein Wort ‘n'est un iargon qui soit incogneu, mais qu'il parle franchement’.Ga naar voetnoot4) | |||||||||||||||
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§ 3. Calvins Rückweg von der accommodatio Gottes zu der Transzendenz Gottes.Ohne Ehrfurcht, ohne Anerkennung des transzendenten Gottes kann die ‘Religion’ nicht sein. Ein ‘Vater unser’ verlangt immer ein: ‘der du bist im Himmel’. Es fragt sich also, ob der Preis, den Calvin für seine Akkommodationslehre zahlen muss, nicht allzu hoch ist, ob, anders gesagt, seine Akkommodationstheorie in dem locus de revelatione ihm um den Preis einer ehrfurchtslosen ‘Religion’, die dann mit Recht Götzendienst heissen müsste, nicht allzu teuer zu stehen kommt. Calvin antwortet hierauf verneinend. Denn eben weil Gottes Wort exeuns ist, wird es ganz und gar in allen seinen modi von Sein und Wirken durch seine εὐδοϰία determiniert.Ga naar voetnoot1) Diese εὐδοϰία hat die Aussendung des Wortes aufgenommen in einen ‘pädagogischen’ Ratschlag.Ga naar voetnoot2) Deshalb ist das Wort Gottes eben als ‘An- | |||||||||||||||
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rede’ (K. Barth) immer ad captum hominis gesprochen, ‘gesendet’, ‘ausgegangen’ u.s.w. Infolgedessen kann Gottes Wort ‘tun, das’ ihm ‘gefällt, und soll ihm gelingen, dazu’ er's ‘sendet’ (Jes. 55, 11).Ga naar voetnoot1) Es fragt sich also nur, was Gottes ‘Wille’ ist in der ‘Aussendung’ seines Wortes.Ga naar voetnoot2) Und dieser Wille Gottes fordert u.a., dass durch seine ‘Anrede’ die vera cognitio dei in dem das Wort ‘annehmenden’ (cf. δέχεται,Ga naar voetnoot3) 1. Kor. 2, 14) Menschen geweckt wird; und dies zwar nicht um des Menschen, sondern um Gottes willen: Gott ist auch hierin sich selbst Zweck (Spr. 16, 4). Weil nach Calvin die simplicitas dei ausschliesst, dass seine virtutes weder in seinem Wesen noch in seiner Selbstoffenbarung sich voneinander abstrahieren lassen,Ga naar voetnoot4) | |||||||||||||||
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kann also eine prinzipiell wahrhaftige und nach oben sich weiter führende Erkenntnis Gottes nicht die Immanenz erkennen ohne die Transzendenz. Die Selbst ‘verhüllung’ Gottes in der accommodatio (auch in Christo) ist wohl eine pädagogischeGa naar voetnoot1) Verschleierung seiner Majestät, aber sie beabsichtigt durch ‘Gewöhnung’ an Gott den Menschen von einem ‘Kinde (νήπιος) in Christo’ zum ‘Manne in Christo’ zu machen, von der ‘Milch zur festen Speise’ zu führen,Ga naar voetnoot2) damit durch fortwährende Erleuchtung des Geistes einerseits seine Glaubenserkenntnis in der accommodatio einen Niederschlag von Gottes Allmacht entdecke, und damit andererseits Gottes Allmacht und Transzendenz den Menschen nicht erschrecke und also die communio mit und die appropinquatio zu Gott verhindere. So weiss auch der πνευματιϰὸς ἄνϑϱωπος der Calvinischen Struktur und Exegese von dem deus absconditus und von der Unerreichbarkeit (von sich aus) aller coeli arcana;Ga naar voetnoot3) aber das ist sehr weit entfernt vom strikt paradoxalen Leitgedanken der dialektischen Theologie. Diese verbindet den deus absconditus und revelatus, die Verhüllung und die Offenbarung der maiestas Dei auf paradoxale Weise: | |||||||||||||||
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Verhüllung ist Offenbarung, Offenbarung ist Verhüllung, A = B. Calvin aber sieht die Selbstverhüllung Gottes, eben weil sie ein Erziehungsmittel ist, nicht identisch mit der Offenbarung Gottes in ihrer Wesenheit und Ganzheit; denn sie, diese Selbstverhüllung, ist ein historisches Faktum im Prozesse der göttlichen SelbstmitteilungGa naar voetnoot1) nicht das ganze ‘Schicksal’ dieser Mitteilung, Mittel und nicht Wesen der Offenbarung, A nicht = B. Sie ist auch keine völlige Selbstbedeckung, sondern eine mitigatio maiestatis Dei.Ga naar voetnoot2) So ist es unumgänglich, dass beide Linien, sowohl der Transzendenz als der Immanenz, sich abzeichnen für den erkennenden Verstand des vom Geiste erleuchteten und durch das Wort Gottes ergriffenen Menschen des Calvinischen locus de salute. Es ist schon entscheidend, dass bei Calvin das Bild von ‘nourrice’, ‘pere’ usw. completiert wird durch den Vergleich mit einem König (‘Roy’). ‘Il (Moyse) declare en quelle façon il faut que nous soyons aux pieds de Dieu, pour estre escholiers, et qu'il soit nostre maistre, et que nous soyons enseignez de sa bouche: C'est (dit-il) qu'il soit nostre Roy quant et quant. Il monstre, que Dieu quand il s'abaisse iusques là d'estre comme nostre docteur, que ce n'est pas qu'il le faille mespriser, ne que cela amoindresse sa maiesté: mais quant et quant il doit estre Roy. Retenons bien donc que la doctrine que nous recevons de Dieu est comme si un Roy parloit, et nous faut trembler sous luy.... En somme nous avons deux choses à considerer en la parolle de Dieu: l'une est sa bonté infinie, quand il descend à nous et se rend familier.... (etc.).... | |||||||||||||||
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Mais cependant notons aussi qu'il ne se veut point despouiller de son droict, que tousiours il ne soit Roy, et que nous ne tremblions sous luy, et que nous ne souyons subiets à ses loix et à ses commendemens’.Ga naar voetnoot1) Obgleich Gott ‘ad nostrum captum suum sermonem accommodet’, bleibt doch das ‘Staunen’ ungeschwächte Pflicht: ‘Quod sane tantum abest, ut insolens videri debeat, ut contra quoties nobiscum ipsum instar matris cum infante balbutientem audimus, mirari bonitatem eius nos oporteat’.Ga naar voetnoot2) Obwohl der Tempel ein Ort der ‘Ruhe’ ist, ‘quia scilicet Deus illic non mode articulate loquitur, sed blande etiam fideles ad se invitat’,Ga naar voetnoot3) so müssen doch die fideles, weil sie familiariter edocti paterna eius voce sind, totos se addicere ad eius cultum et consecrare.Ga naar voetnoot4) Also muss der Glaubende zum ‘mirari’ kommen, nicht nur nach (post), sondern auch wegen (propter) der göttlichen Akkommodation. Denn bei zunehmender Glaubenserkenntnis gesteht er sich, dass die ‘bonitas dei’ sich um ihn pädagogisch wirksam bemüht hat. Er findet, dass der Vater, der sich zu ihm herabgelassen hat, eben der Vater und schon als solcher weit über ihn erhaben ist. So steigt er im progressus seiner religiösen Erfahrung von der accommodatio zur Transzendenz Gottes, d.h. jetzt zu seiner εὐδοϰία hinauf, während die Dogmatik in umgekehrter Richtung von der Transzendenz und εὐδοϰία Gottes zur accommodatio herabgestiegen ist. ‘Von der himmlischen Majestät Gottes nicht irdisch denken’, - diese Paränese des Heidelberger Katechismus in seiner Exegese von ‘der du bist im Himmel’ ist rein Calvinisch. ‘Nous savons que l'Escriture saincte en parlant de Dieu, dit qu'il habite au ciel, non pas que sa maiesté soit là enclose: car son essence est infinie, elle comprend toutes les creatures.... Mais ce mot de Ciel est pour nous retirer de ce monde, | |||||||||||||||
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quand nous pensons de Dieu.... que nous n'imaginions rien de luy terrestre’.Ga naar voetnoot1) Wenn der Glaubende Transzendenz und Akkommodation in einem Ueberblick zusammenfasst, findet er a posteriori so, wie es Gott nach Calvin vor aller Zeit im Dekret beschlossenGa naar voetnoot2) hat:
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Die Koinzidenz der beiden unter a) und b) gezogenen Linien ist also nach Calvin nicht dialektisch oder paradoxal als eine coincidentia oppositorum (Bauke) zu fassen; denn sowohl a parte dei - man denke an das sogar supralapsarisch konstruierte Verhältnis von Dekret und Ausführung - als a parte hominis, gibt es für das dogmatische Denken und für die religiöse Erfahrung des Glaubenden einen logischen Uebergang vom einen zum anderen; der Gebrauch der Worte ‘Weg’ (§ 2) und ‘Rückweg’ (§ 3) weist eine paradoxale Verknüpfung der beiden Gedankenreihen zurück. Scharf wird das von Calvin hervorgehoben in seiner Anschauung über die bekannte Theophanie, die Mose ‘in dem Busch’ Deut. 33, 16, ‘au buisson’, erfahren hat. Es gibt dialektische Theologen, z.B. Haitjema, die eben diese Theophanie in mehr oder weniger experimentellen Versuchen, ihre paradoxale Auffassung mit der Bibel in Einklang zu bringen, als Paradigma des paradoxalen Offenbarungsvorgangs benützen. So sagt Haitjema, dass diese Theophanie nicht nur selbst als Offenbarungsform mit dem logischen Identitätsprinzip Spott treibt (weil das Feuer nicht verzehrt), sondern dies auch tut dem objektiven Inhalt ihrer Predigt nach (Jahwes Verhältnis zu Israel); A = B; | |||||||||||||||
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das Grundgesetz des denkenden Verstandes ist nach ihm hier durchbrochen.Ga naar voetnoot1) Calvin, der dasselbe Problem schärfer und richtigerGa naar voetnoot2) aufstellt, erkennt auch, dass die Theophanie ‘au buisson’ eine Absurdität zu sein scheint; ‘Il semble de prime face que ce soit une chose absurde, ou qui ne serve qu'a induire les ignorans ou les infirmes à superstition’;Ga naar voetnoot3) aber es beschäftigt ihn hier das Verhältnis von Immanenz (Gott wohnt ‘au buisson’) und Transzendenz (Gott wohnt ‘au ciel’). Und nun ist es für unsere gegenwärtige Untersuchung bedeutungsvoll, dass er sagt: ‘Et nous faut bien noter qu'il y a deux facons de parler diverses en l'Escriture saincte, quand Dieu nous appelle à soy: mais ceste diversité n'est pas pour nous distraire en des opinions contraires, elles se rapportent tout à un. Et comment cela? Dieu aucunes fois nous monstre quelle est sa gloire, afin que nous ayons cest article tout resolu, qu'il est incomprehensible, et qu'il nous le faut adorer en toute humilité, qu'il ne faut point que nous attentions de le forger à nostre teste.... (etc.).... Quand donc l'Escriture saincte nous propose la maiesté de Dieu si haute que nous y sommes confus, et mesmes les Anges de paradis.... qu'en cela il nous est monstré que nous devons nous humilier sous une telle grandeur et hautesse. Or cependant Dieu regarde qu'il nous est utile d'avoir quelque privauté à luy et alors il condescend à nostre rudesse.... etc..... non pas (comme i'ay dit) qui soit contraire, mais c'est afin que nous ne soyons point effarouchez....’ etc.Ga naar voetnoot4) Hat so aus dem Calvinischen Grundprinzip der auctoritas dei, der Souveränität Gottes,Ga naar voetnoot5) die accommodatio in der Offenbarung ihre richtige Stelle zugewiesen bekommen, dann ist schliesslich noch einmal zu betonen, dass der glaubende Verstand nicht nur der Transzendenz Gottes als Dogma bloss theoretisch eine Stelle einräumt, sondern dass auch seine Begegnung mit ihr eine Sache der lebendigen | |||||||||||||||
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‘Erfahrung’ ist. Auch dem Glaubenden der Calvinischen Struktur ist der transzendente Gott lebendig und gegenwärtig geworden; dieses Barthsche Postulat ist Calvin nicht fremd, und seine Akkommodationslehre hebt es nicht auf. Denken und Leben, Dogma und Erfahrung begegnen einander. Das rechte Denken über Gott ist freilich Leben, Akt des Gehorsams bei ihm. Und so bringt das Denken zum ‘Staunen’ (trembler, tremere), sooft der aus dem Glauben denkende Verstand hinaufsteigt bis zu dem am Anfang des § 2 von uns hervorgehobenen Unterschieds zwischen Gottes Reden ausserhalb und Gottes Reden innerhalb der Offenbarung. Dieses ist von jenem prinzipiell unterschieden und der Glaubende weiss von diesem fundamentalen Unterschied. So sagt Calvin in seiner Exegese zu 1. Kor. 2, 10: τὸ γὰϱ πνεῦμα πάντα ἐϱαυνᾷ, ϰαὶ τὰ βάϑη τοῦ ϑεοῦ: ‘Spiritus enim omnia scrutatur. Hoc ad piorum consolationem additum est: quo tutius in revelatione, quam habent a Dei spiritu, acquiescant. Ac si diceret: Sufficiat nobis spiritum Dei habere testem; nihil enim tam profundum est in Deo, quo non penetret. Nam id significat hic scrutari. Profunditates intellige non arcana iudicia, quorum prohibetur nobis inquisitio, sed totam salutis doctrina, quae frustra scripturis esset prodita, nisi mentes nostras Deus ad eam suo spiritu attolleret’.Ga naar voetnoot1)Deutlich wird hier gelehrt, dass es ein Reden Gottes mit und in sich selbst gibt (Trinität, Logos, pactum salutis, u.s.w., hier zusammengefasst unter arcana iudicia), dessen Inhalt nicht Offenbarungsobjekt ist; derselbe Gott, der seine accommodatio in dem ‘Teil’ (§ 4) seiner Gedanken vollzieht, den er souverän offenbaren will ‘prohibet’ alle unsere ‘inquisitio’ hinsichtlich der Dinge, die er nur sich selbst vorbehalten hat. ‘Das Geheimnis ist des Herrn, unseres Gottes; was aber offenbaret ist, das ist unser und unserer Kinder’ (Dt. 29, 29 oder 28); und das Ideal der mittelalterlichen Mystik von der visio per essentiam dei ist durchaus uncalvinisch. Aber der fundamentale Unterschied zwischen Gottes Wissen und seinen arcana iudicia einerseits, und unserer doctrina, die sich nur auf Offenbarung | |||||||||||||||
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stützt andererseits, ist bei Calvin nicht eine Ursache des Schreckens, sondern eine consolatio (s. oben); Gottes verborgenes Wissen und unsere doctrina verhalten sich nicht paradoxal, so dass das eine dem Inhalt nach aufgehoben würde durch das andere; im Gegenteil, der glaubende Verstand, der seine doctrina aus Gottes Offenbarung empfangen hat, weiss, dass das andere, was Gott ihm nicht gesagt hat, die letzte Begründung enthält für seine eigene doctrina; der ihm offenbarte Teil von Gottes Gedanken und der ihm verschlossene Teil müssen miteinander übereinstimmen; wenn er seinerseits nur aus der Offenbarung richtig geschlossen hat, kann seine doctrina nicht mit Gottes eigenem Wissen streiten. ‘Postquam(!) enim ex(!) verbo ac(!) spiritu Domini disputavit(!) (Paulus, Röm. 11, 33), tanti demum arcani sublimitate victus nihil potest quam obstupescere et exclamare, divitias istas sapientiae Dei profundiores esse quam ut ad eas nostra ratio penetrare queat’.Ga naar voetnoot1) Disputare und obstupescere sind hier kein Gegensatz. Die Abgrenzung der Calvinischen Akkommodationslehre dem Ottoschen ‘Numinosen’ und dem Barthschen Paradoxon gegenüber, spiegelt sich wieder auch im Verhältnis der Calvinischen Gedanken zu dem zuerst von Otto und nachher von anderen hervorgehobenen ‘Engelsang’ des holländischen Dichters Joost van den Vondel. Wenn es dort heisst: Alle Englekennis
En uitspraeck, zwack en onbequaem,
Is maer ontheiliging en schennis.Ga naar voetnoot2)
dann ist dies ein völlig anti-calvinischer Gedanke. Denn | |||||||||||||||
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wohl sind die Engel in ihrer Erkenntnis als Kreaturen beschränkt, und wohl ist auch ihre Aussage über Gott als solche immer inadäquat, aber Entheiligung und Schändung ist ihr Denken und Reden nicht; denn das Kreatürliche ist bei Calvin nicht an sich dasselbe wie das Sündige; es gibt nach ihm, wie wir gesehen haben, Parallelie zwischen dem göttlichen und dem unverderbten kreatürlichen Wissen. ‘Ne angeli quidem ferunt dei maiestatem’;Ga naar voetnoot1) aber ‘non ferre’ ist nicht dasselbe wie ‘violare’. Uebrigens aber würde Calvin eben durch seine Akkommodationslehre dem zustimmen können, was Vondel richtig sagt: U zulx te kennen, als Ghij waert,
Der eeuwigheden glans en ader,
Wien is dat licht geopenbaert?
Wien is der glansen glans verschenen?
Dat zien is noch een hooger heil
Dan wij van Uw genade ontleenen,
Dat overschrijt het perck en peil
Van ons vermogen.Ga naar voetnoot2)
Nur eine Bedingung würde Calvin hier stellen: dass man ‘kennen’ versteht als ‘proprio marte’ erkennen; hat doch Calvin bemerkt, dass Paulus ‘humanae menti hoc ademit ut possit ad Deum proprio marte conscendere’;Ga naar voetnoot3) dies weiss eben der, der Gott zu sich selbst ‘descendere’ gesehen hat. Wer in Christo die Akme der Akkommodation Gottes anerkannt hat, eben der weiss, das ‘omnis cogitatio de Deo extra Christum immensa est abyssus quae sensus omnes nostros protinus absorbeat’.Ga naar voetnoot4) Calvin ist imstande Vondel nachzusprechen: | |||||||||||||||
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Wie kan U noemen
By Uwen naem? wie wort gewyt
Tot Uw Orakel? Wie durf roemen?
Ghy zyt alleen dan die Ghy zyt,
U zelf bekent en niemant nader.Ga naar voetnoot1)
Aber dies nur unter der Bedingung, dass die Exegese dieser Verse sie aussagen lässt, dass kein einziger Name Gottes sein Wesen adäquat ausdrückt, dass die ‘visio per essentiam’ nur ein Mysterium innerhalb der Trinität ist und dass also kein von uns ausgedachter Name für Gott sich eignet; eine Exegese, die mit dem Vondelschen ‘wie durf roemen?’ u.E. sich legitimieren kann. Bei jeder anderen Exegese streiten auch diese Verse gegen Calvin. | |||||||||||||||
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§ 4. ‘Todeslinie’ und ‘metae’.Unter Hinweis auf das, was wir von Barth bereits zitierten hinsichtlich der ‘Todeslinie’, die das Uebersehbare vom Unaufhellbaren trennt, wollen wir jetzt auch hierüber wieder Calvin hören. Wir gehen nun nicht näher auf die Gründe ein, die Barth für seine Auffassung anführt. Es ist merkwürdig, dass auch Calvin eine Trennungslinie, eine ‘kritische’ Linie kennt, oder, um in seiner Sprache zu sprechen, ‘metae’ ‘limites’ stehen sieht, welche überschreiten zu wollen uns nicht zukommt, die auch niemand überschreiten kann und die jedem Andringen menschlicher Hybris Widerstand bieten. Aber die Art und Weise, wie Calvin das Bestehen solcher Hybris-zurückweisender metae argumentiert, und die Stelle, wo sie, nach ihm, gezogen sind, weisen einen einschneidenden Unterschied zwischen ihm und Barth auf. 1. Sicher, auch Calvin warnt vor aller Hybris, vor aller superbia et altitudo (41, 201) Gott gegenüber, vor allem orgueil diabolique (28, 546). Auch Calvin weiss zu zürnen über die Sorbonne, von deren Sophisten adulterata fuit theologia (55, 310), über Dionysius, jenen nugator de coelestibus hierarchiis (50, 138), über die Scholastik an verschiedenen Stellen.Ga naar voetnoot1) Sie alle überschreiten ja die gesetzten ‘limites’, sagt Calvin. 2. Aber wenn er darüber zürnt, dann tut er das doch aus anderen Gründen, als sie die Theologie der Krisis je anführte. Man kann seine Grundgedanken in bezug auf die | |||||||||||||||
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‘metae’, zugleich auch den Ort, den Calvin ihnen anweist, deutlich aus der Bibelstelle kennen lernen, die auch später bei A. Kuyper und H. Bavinck solch grosse Bedeutung haben sollte: Deut. 29, 29: les secrets sont au Seigneur nostre Dieu; les choses patentes sont à nous et à nos enfans pour iamais (28, 542/3). ‘Il y a donc ici une distinction.... Dieu a ses secrets pour soy, et il nous a revelé à nous et à nos enfans sa Loy, qui est une chose patente: comme s'il disoit, que nous devons distinguer entre ce qui est contenu en l'Escriture saincte, et ce que Dieu nous a caché, et donc nous n'avons nulle doctrine ni tesmoignage’. Damit ist nicht geleugnet, dass ‘toute la doctrine de l'Escriture saincte surmonte nostre capacité, qu'elle seroit trop haute pour nous’, aber: ‘quoy qu'il en soit, si est-ce quand Dieu nous la declare, il la nomme chose patente.... ce n'est point une doctrine mise en cachette’. Hier werden von Calvin also deutlich zwei ‘Teile’ unterschieden in den recte de Deo dicenda. Das eine Teil hat Gott durch Offenbarung bekannt gemacht, das andre Teil hat er jeder Offenbarungstätigkeit entzogen. Zu diesem letzteren sind die arcana Dei zu rechnen, die später, nach diesem Leben, oder nach der Parusie, aufgedeckt werden sollen,Ga naar voetnoot1) und auch und vor allem die profunditates Dei, welche für den endlichen Menschen ewig profunditates bleiben werden.Ga naar voetnoot2) Aber zwischen den ausgesprochenen und verschwiegenen Wirklichkeiten selbst ist kein wesentlicher Unterschied, sie sind tatsächlich zwei Teile von einem Ganzen. Das sehen wir daraus, dass Calvin auch den Inhalt des Geoffenbarten an sich zu hoch und zu gewaltig für uns nennt; aber weil, wie wir sahen, die Offenbarung, nach ihm, ein Werk von Gottes Allmacht ist, die Ihn ‘instand setzte’, von sich selbst zu sprechen, ohne dass die accommodatio eine Verletzung der maiestas war, also | |||||||||||||||
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ohne irgendeinen ‘Gegensatz zwischen Gehalt und Gestalt’ der ‘Mitteilung’ (Barth), - darum ist zwischen dem Inhalt der aus der Offenbarung als opus exeuns folgerichtig gewonnenen Erkenntnis und dem Inhalt von Gottes als opus immanens aufzufassender Erkenntnis nach Calvin kein Gegensatz anzunehmen. Von dem einen Kreis der Wirklichkeiten Gottes ist ein Teil kund getan worden, ein anderer Teil nicht. Wie seltsam auch für unsere Zeit diese Zweiteilung sein mag, sie ist trotzdem an verschiedenen Stellen bei Calvin deutlich zu lesen.Ga naar voetnoot1) Zwischen diesen beiden Teilen nun verläuft die ‘Limite’, die Grenzlinie, sind die metae aufgestellt, die ein Mensch nicht überschreiten soll. Das heisst also: die metae liegen woanders als bei Barth die Todeslinie. Für Barth ist die Zweiteilung eine Absurdität; alles ist am Ende von Gott verschwiegen, all seine Wirklichkeiten sind ‘ganz-anders’. Barths Todeslinie trennt nicht das eine Teil von Gottes arcana iudicia quorum prohibetur nobis inquisitio ab von einem anderen Teil, quorum nobis non prohibetur inqui- | |||||||||||||||
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sitio, denn inquisitio arcanorum Dei gilt bei ihm überhaupt als Hybris. Denn auch da, wo in bezug auf Gott Offenbarung gegeben ist, trennt die Todeslinie unser Denken von Seiner Wirklichkeit. Calvin jedoch macht unleugbar zwischen diesen beiden Teilen von Gottes arcana iudicia, dem gesagten und dem verschwiegenen, eine Unterscheidung, die sie als quanta nebeneinander stehen sieht. Selbstverständlich ist damit nicht alles gesagt. Das Erkennen pro mensura humana ist bei Calvin natürlich auch ein Erkennen auf andere Weise, als Gott seine eigenen arcana erkennt. Aber zwischen Seinem Erkennen und dem unsern ist keine Antithese von Tod und Leben, Dichtung und Wahrheit, Hybris und maiestas. Was wir aus der Offenbarung längs des logischen Weges deduzieren, ist ja doch Erkenntnis wirklicher arcana Dei. Der Inhalt dieser Erkenntnis ist ein quantum von dem, was wirklich in Gott ist. Wenn Paulus Röm. 11, 33 schreibt, dann lesen Barth und Calvin ihn jeder mit anderen Augen. Barth (Röm. 408) schreibt, der Deus absconditus sei als solcher Deus revelatus, Calvin jedoch sagt: Gott ist zum Teil absconditus, zum Teil revelatus. Und wenn die exclamatio Pauli: ‘quam incomprehensibilia sunt iudicia eius’ Calvin ergriffen hat, dann kommt er zu dem eben in diesem Zusammenhang wohl aussergewöhnlich markanten Ausspruch: notandum.... est, non de quibuslibet Dei mysteriis hic agi, sed quae apud se recondita vult tantum a nobis suscipi et adorari (49, 230). Wodurch kommt nach Calvin der Mensch in ein Labyrinth? Nicht dadurch, dass er sich mit den mysteria Dei beschäftigt, sondern dadurch, dass er sich extra cancellos (45, 671) oder fines (49, 230) Verbi Dei, d.h. Scripturae begibt: discamus.... nihil de Domino inquirere, nisi quantum per scripturas revelavit: quia alioqui in labyrinthum ingredimur, unde non facilis erit receptus (49, 230). Dass zwischen dem, was der Mensch (Gehorsam der Offenbarung gegenüber vorausgesetzt) in bezug auf Gott weiss, auf der einen, und dem, was Gott von Gott weiss, auf der anderen Seite nach Calvin kein inhaltlich-prinzi- | |||||||||||||||
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pieller Unterschied besteht, dass also in der Tat das quantitativ gemeinte Sprechen von zwei Teilen gerechtfertigt ist, erhellt ausserdem noch aus der Tatsache, dass Calvin verschiedene quanta von revelatio, verschiedene Grade von Mitteilung unterscheidet. Man bekommt Augen dafür, wenn man bedenkt, dass er die ‘Engel’ als persönliche Wesen sieht, die anders sehen als der Mensch, anders sind als der Mensch, die jedoch mit ihm das Geschaffensein teilen, und die nun auch - infolge ihrer anderen kreatürlichen ‘Rangordnung’ innerhalb des Kosmos - neben dem qualitativen Unterschied im Erkennen (das ‘ganz-anders’-Erkennen als der Mensch) doch auch wieder denselben quantitativen Unterschied im Erkennen (das ein-anderes-quantum-Erkennen als der Mensch) als Kennzeichen tragen. Porro ne hominibus molestum sit, diem illum (sc. der Parusie) nescire, angelos eis Christus associat: nimiae enim superbiae ac improbae cupiditatis foret, plus nobis appetere, qui super terram reptamus, quam coelestibus angelis concessum sit (45, 671). Wir weisen hier mit Absicht auf die Engel hin - neben diesem Thema wäre auch das von der Erkenntnis Jesu Christi zu behandeln -, weil schon aus diesem einen Detail klar ist, dass man mit Barths Schema von Zeit-Ewigkeit, Unten-Oben, Glauben-Schauen bei Calvin nicht fertig werden kann; die spezifische kosmische Stellung der Engel gibt dem ‘ganz-anders’-Thema (wie es gewöhnlich aufgestellt wird) eine neue, für diese Unterscheidung selbst verhängnisvolle, Variation, die zwar unter Heims ‘Dimensionen-Begriff’ eine begriffliche Rubrizierung bekommen könnte, die sich aber auch dann noch nicht in den Rahmen des uns bekannten paradoxen Ich-Du-Verhältnisses einfügen lässt. Man denke in diesem Zusammenhang auch an den bei Calvin sehr beliebten Gedanken, dass die Engel ‘begierig sind, hineinzusehen’ in die mysteria gratiae specialis, welche nur von den Gläubigen ‘geschmeckt’ werden können. Hier ist das Problem der quantitativen Unterscheidung im jeweiligen Erkenntnis-Inhalt wiederum mit dem qualitativen Anders-Sein von | |||||||||||||||
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Mensch und Engel verknüpft, aber unsre Behauptung, bei Calvin komme zu dem qualitativen Unterschied noch der quantitative hinzu, bekommt nun eine neue Bestätigung. Sobald man nur den qualitativen Unterschied in Rechnung stellen will, wie Kierkegaard (zum Teil, man denke an die approximierende Erkenntnis) und Barth das tatsächlich taten, kann man nie verstehen, dass Calvin die metae dort aufgestellt sieht, wo es bei ihm der Fall ist: zwischen zwei quantitativ abgrenzbaren Erkenntnisgebieten.Ga naar voetnoot1) 3. Weil nun nach Calvin diese abscondita Dei ‘recognitu non necessaria’ sind, verringert die Tatsache, die uns zu dieser quantitativen Auffassung des Unterschieds zwischen gewussten und ungewussten Wirklichkeiten Gottes zwingt, doch nach Calvin nicht die Möglichkeit des (unfragmentarischen) Erkennens Gottes, in seiner Einheit, als Vater. Dies hat ja doch Gott möglich gemacht, nach Calvin, durch die Schrift, die uns gibt, was bon et expedient de sçavoir ist (49, 180; 53, 25), und die mit uns immer vor ‘nos limites’ stehen bleibt, die Gott uns hat ‘constitué’ (53, 25). Zur Heiligen Schrift hinzu kommt dann subjektiv die ‘illumination’ der Gläubigen (28, 546) durch den Geist und, objektiv, der Christus, der uns als Mittler, auftretend in der flachen Ebene der Geschichte, ohne jegliche Urgeschichtlichkeit oder Zeit-Jenseitigkeit, dem exitialis abyssus der falschen cognitio Dei extra Christum (47, 151) entrissen hat. Auch Christus bleibt als Mittler vor den metae stehen, denn Er ist Mensch, Knecht, Kreatur, gehorsam, er ist nicht gekommen, um die Schöpfungsordnungen, die die metae zwischen Gott und Mensch schon vor den allerersten | |||||||||||||||
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Offenbarungsakten Gottes zu kosmischen Attributen gemacht haben, zu zerbrechen, sondern um sie zu erfüllen und um sie durch Erlösung wieder zu dem zu machen, was sie ursprünglich waren: keine Todeslinie, sondern Lebens- und Lichtlinie. Sofern ja doch die metae zwischen Gott und Mensch im qualitativen Unterschied beider begründet sind, dienen sie nicht dem Abstoss, sondern der Kommunikation: aufgenommen in das Erkenntnisfeld dessen, der durch Schöpfung oder Erlösung sich mit Gott in Gemeinschaft weiss, verstärken sie das Bewusstsein von der Grösse dieser Gemeinschaft: Pater noster (Immanenz) qui in coelis es (Transcendenz). Und sofern die metae in der Offenbarung (sowohl vor als nach dem Fall) als Akt des Deus descendens gleichfalls unentrinnbar und unentbehrlich sind, vor allem nach der Sünde, kommt Christus, um die metae, die, nach der Sünde, das Gebiet der Erkenntnis immer enger abgegrenzt haben, wieder auf die Stelle zurückzuversetzen, die ihnen anfänglich in einer unbefleckten Welt zugedacht waren. Darum kommt Christus und setzt die metae zurück, und zwar im Geschichtsprozess der Revelation, bis dass sie schliesslich, (nach der Parusie) wieder einzig und allein durch das ursprüngliche, sündenfreie Verhältnis zwischen Gott und Mensch bestimmt werden. So bleibt Er als Prophet innerhalb des Kreises der metae stehen. Und sofern Er als höchster Prophet sie ringend zurückdrängt, und also das Gebiet der Erkenntnis vergrössert, macht er damit nicht Revolution gegen den historischen Entwicklungsprozess der Offenbarung, sondern ist seine logisch und chronologisch legitime Erfüllung. So erkennt er die metae an, lehrt auch uns, Ehrfurcht davor zu haben, aber vergrössert das freigegebene Erkenntnisgebiet (worin schon wieder eine Verstärkung des oben entwickelten Quantitätsgedankens liegt). Indem Er dies letzte auch sagt, m.a.W. durch das Versprechen, dass ein Teil des nun (nach der Sünde) uns absichtlich-pädagogisch verborgen-Gehaltenen später wieder entschleiert werden wird, weckt er zugleich in den Gläubigen | |||||||||||||||
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das Verlangen nach einem Zurückbringen der metae an ihren ursprünglichen Platz. Das ist: anstelle der Hybris und der ‘curiositas’ derer, die vor dem Ehrfurcht-Gebietenden an den metae nicht ‘Furcht und Zittern’ empfinden, fordert Er als richtiges ‘existentielles’ Verhältnis keine Angst von uns, keine Verzweiflung, sondern ein ehrerbietig-schauerndes, aber auch wieder vertrauendes den Grenzen des Erkennens Sich-Nähern. So, dass das noch nicht Geoffenbarte als Mysterium geachtet bleibt, aber zugleich die Progression der Offenbarung und der Illumination geglaubt wird. An die Stelle der Pietätlosigkeit der Sophisten und Sorbonici, die keine Furcht und kein Zittern kennen, und dadurch zum ‘garrire’ herabsinken (55, 310), tritt nun die von Ehrfurcht und Vertrauen getragene Haltung des Glaubenden, der die metae in dem geschichtlichen Prozess der Offenbarung und der Illumination (denn auch diese hat ihre fata, samt der Kirche) weichen sieht und auch immer mehr begehrt, sie nach ihrem ursprünglichen kosmischen Platz zurückweichen zu sehen. So steht Christus mit den Seinen zwischen den metae, ihnen unterworfen, durch die Unterwerfung jedoch nachher über sie pro mensura creaturae herrschend. Ideoque ab arcano Dei consilio iniunctam sibi docendi rationem discernit (sc. Christus). Utilis admonitio, ut sobrie sapere discamus, nec perrumpere conemur in abdita Dei mysteria, ac praesertim ne in excutiendo futurae vitae statu simus ultra modum curiosi (45, 555). 4. Nicht ‘ultra modum’ - in diesem letzten Wort tut sich der ganze Calvin auf und hier findet die oben unter 3 gegebene Konstruktion a posteriori ihre Bestätigung. Solange ja doch Calvin nur auf das unbedingte Ueberschreitungsverbot, das hinsichtlich der metae gegeben ist, achtet, ist jede curiositas Gottlosigkeit. Niemand kann stärker als Calvin von dem Gedanken durchdrungen sein, dass in bezug auf Gehorsam und Ungehorsam schliesslich kein ‘ne quid nimis’ gesprochen werden darf. Insofern kann eine Warnung vor einer curiositas-ultra-modum nach | |||||||||||||||
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Calvin selbst eigentlich nicht ausgesprochen werden, ohne gegen Gott zu revoltieren.Ga naar voetnoot1) Aber in dem ‘ultra modum’ liegt, in diesem Zusammenhang, eine Anerkennung eines gewissen guten Rechtes der curiositas; und dieses Recht liegt vindiziert in dem, was wir oben in Hinsicht auf Christus bemerkten, der die metae verschiebt, zurücksetzt, wenn auch nicht aus dem Boden reisst. So kommt es zu der ‘Spannung’ des Gläubigen. Einerseits drängt er verbotene, oder spitzfindige, unehrerbietige Fragen zurück,Ga naar voetnoot2) denn er ist bange vor der contemptio Dei (29, 496), vor der usurpatio (28, 544), audacia (29, 495; 32, 383), temeritas (52, 113; 44, 370), vor der inebriatio mentis (48, 547), folie (54, 315), garrulitas (52, 313), periculositas (49, 180), vor der neglectio aedificationis (und also dem nur ‘objektiven’, interesselosen, unexistentiellen Verhalten (52, 245), vor der ‘Natürlichkeit’, d.h. ‘Fleischlichkeit’, dem ‘psy- | |||||||||||||||
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chischen’ (nicht wiedergeborenen) Charakter (50, 138; 49, 237), und der stultitia (48, 547), die in der curiositas, als angeborenem Trieb des nicht-gläubigen und darum immer metae-verletzenden ‘psychikos anthropos’, in der curiositas, dieser ‘peste mortelle’ (54, 315), gelegen sind. Andererseits fühlt dieser Gläubige - weil die Gnade die Natur nicht zunichte macht - noch immer diese natürliche curiositas in sich, subjektiv gesprochen (‘existentiell’). Und indem er sich zwischen zwei Gebieten von Erkenntnis-Inhalten findet, dem bereits geoffenbarten und dem noch auf Enthüllung wartenden, wird diese seine subjektive Neigung zur curiositas auch ‘gereizt’ durch das objektive, geschichtlich-prozessmässig sich ihm und der ‘Kirche’ in zunehmender Illumination zu verstehen gebende Offenbarungswort. So findet das oben erwähnte moderative ‘ne-ultra-modum’ seinen Platz. Die natürliche Neigung wird ja doch, sofern sie natürlich, d.h. ‘carnalis’, nicht-wiedergeboren, ist, nicht getötet, sondern geheiligt, pädagogisch-moderiert und gereinigt durch die Offenbarung selbst (50, 138), durch sie auch bezwungen in ihrer audacia (49, 237). Und es kommt positiv zu einer ‘wohltemperierten’ inquisitio arcanorum iudiciorum Dei innerhalb der von Christus begonnenen und fortgesetzten ‘meta’-Verschiebung (in der Vergangenheit und heute, denn Er wirkt, gegenwärtig, durch das Amt und durch den Geist, in seinen Schülern). So wird die Theologie und die christliche Philosophie vor der ‘mataiologia’ der Sophisten, sorbonici und scholastici bewahrt; eine eigene Theologie und Philosophie entwickelt sich, die die Wahrheit zu sagen vermag, und deren ‘Hohlräume’ von oben gefüllt werden. Was negativ genannt wird: keine curiositas-ultra-modum, das heisst ja hier positiv: modestia, humilitas, docilitas.Ga naar voetnoot1) Das sacrificium intellectus wird hier gebracht, nicht aus Ueberzeugung, dass | |||||||||||||||
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‘nur Hohlraum’ bei dem zu diesem sacrificium Befähigten vorhanden ist, sondern in der ganz anderen Ueberzeugung, dass der Intellekt, wenn er auch im Prinzip wieder mit ‘Gütern’ gesättigt ist, noch nicht zu den äussersten Grenzen der Erkenntnis hindurchdringen kann. Nicht hinsichtlich eines Hohlraums, sondern hinsichtlich der Nebel, die den Endpunkt der guten, von Gott gebahnten Erkenntniswege dem Auge noch entziehen, wird dies sacrificium gebracht (49, 237). Denn wir erkennen zum Teil (Paulus). 5. Damit ist dann zugleich der Charakter der Hybris bestimmt, wie Calvin diesen sieht. Barth sieht die Gefahr der Hybris da auftauchen, wo der Mensch ‘scrutari’ will anstelle von ‘admirari’. Calvin ist darin mit ihm einig (49, 187). Aber Hybris ist bei ihm Ungehorsam, ein Nicht-Gebrauchen von Gottes Gnadengeschenken. Also ist sie nach ihm auch da, wo man sagt: ‘mitte arcana Dei’; solch gottlose Sprache sprechen ‘idolatres’ (28, 543). Barth sieht einseitig die Hybris da, wo man die metae würde überschreiten wollen. Calvin stimmt damit überein (29, 495/6), aber er sieht sie auch da, wo man nicht, mit Christus, ihr Zurückweichen, ihr Zurückgedrängtwerden nach ihrem urkosmischen Platz begehrt oder sich nicht dessen ‘rühmt’.(!) Denn die Gnade nicht zu gebrauchen, das ist Hybris. Nach Calvin müsste in diesem Punkt Hybris die Krankheit auch der dialektischen Theologie heissen. So bleibt nur eins übrig: das Verhalten der Hybris den metae gegenüber muss bei Calvin etwas vollständig anderes sein, als das Verhalten der Hybris gegenüber der Todeslinie Barths. Im obigen haben wir ja doch von dem geschichtlichen Aspekt gesprochen, unter dem Calvin auch die ‘metae’ und ihre Stellung sieht. Die metae haben ihre Geschichte, die Todeslinie ‘hat’ nicht einmal eine Uroder Endgeschichte, sondern wird von ihr nur bestimmt. Und schon deshalb ist Calvins Auffassung vollständig anders. Auch hier tritt es zutage, dass Barths in Calvins Augen monströser Begriff der Urgeschichte als die Geschichte | |||||||||||||||
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qualifizierender Bestimmungsmacht unbedingt Calvins Theologie gegen sich haben muss: bei ihm ist ja doch alles im Rahmen der historia revelationis aufgebaut. Und die historia revelationis wird automatisch zu einer historia metarum. So würde Calvin es Hybris nennen, die Geschichte so herabzuwürdigen, wie Barth es getan hat und infolge davon wieder: die Todeslinie zu entwerfen. Vor der hohen Ehrerbietung, die Barth für Gottes maiestas hat und fordert, kann Calvin nicht anders als auch seinerseits Ehrerbietung haben. Aber weil Christus in die Welt kommt als Mittler und als Kyrios auch der ‘metae’ (die Er durch qualitativ pleromatisierende und quantitativ vervollkommnende Erkenntnismitteilung setzt und versetzt) unser Erlöser ist und im geschichtlichen Prozess dies noch immer sein will (gegenwärtig durch Wort und Geist), darum würde Calvin gegen Barths Geschichtsbegriff eben als Christologe und als Offenbarungsgeschichtler genau dieselbe Beschwerde einlegen, die er gegen die Fanatici seiner Zeit eingelegt hat, auch mit Hinblick auf ihre Herabwürdigung der Geschichte und ihr Verlegen der Aufmerksamkeit von der objektiven ‘Limes’-Frage nach der Stelle, wo Gott subjektiv das Individuum innerlich lehrt und illuminiert ‘im Hui’.Ga naar voetnoot1) Und | |||||||||||||||
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er würde zugleich darauf hinweisen, dass man die ‘modestia’ nur positiv erfüllt, wenn man alles, was Gott gegeben hat, für sich annimmt, auch hinsichtlich des sukzessiven Zurückweichens der metae und im Aufheben jeglicher Todeslinie. Eine gewisse Art von ‘Todeslinie’ sieht Calvin nur da, wo der Berg der Gesetzgebung, der Horeb des Alten Testaments, gegen jede Annäherung abgegrenzt worden war (Hebr. 12, 18-24). Aber sogar diese ‘Todeslinie’ war nur symbolisch, gehörte zu den Schattenbildern des Alten Testamentes. Das Neue Testament kennt keine Todeslinie (ebenda). Ob damit ‘Furcht und Zittern’ aufgehört haben? Nein; denn Calvin erfasst den tiefen Sinn der in Hebr. 12 unmittelbar auf die zitierte Stelle folgenden Worte: dass nämlich die Spannung im Leben des ‘hörenden’ Menschen noch viel grösser geworden ist, als damals, als das Alte Testament seine ‘Todeslinie’ zog. Jetzt, im Neuen Testament, hat sich ja doch - im Verlauf der Geschichte! - der Ernst der Dinge noch vergrössert: das Alte Testament gab Orakel ‘auf Erden’, aber jetzt gilt es, Ihn zu hören, der ἀπ᾽ οὐϱανῶν ist (V. 25). Fürchterlich schon war am Horeb die Drohung der damaligen ‘Todeslinie’. Aber später - und Calvin erfasst dieses Motiv so prächtig - wird die Drohung noch umso stärker, je grösser die Hybris wird: dass man nämlich, wiewohl eine Todeslinie (um den Horeb) als Symbol Gottes maiestas verkündigt hatte, sich doch nicht von der maiestas, die dem Symbol seinen Sinn gab, leiten lassen will, auch wenn sie sich im Gesetz und (also auch) im Evangelium (nach Calvin)Ga naar voetnoot1) uns schenken und uns führen will längs des durch das Gesetz für das Evangelium bereiteten Weges. Die Hybris ist ja doch jetzt, dass man (man denke an Calvins oben erwähntes ‘otium’) die Spuren von Gottes maiestas aus seinem Leben wegdenken will, und dass man sich abwendet von dem, der sie mit evangelischer Absicht predigt, der die Grenzen zurücksetzt, und | |||||||||||||||
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der so das Feld des freien Verkehrs vergrössert im Fortschreiten vom Alten zum Neuen Testament (Hebr. 1, und 12, 25, man beachte die Worte παϱαιτεῖσϑαι, ἀποστϱέφεσϑαι). Von dem oben aufgezeigten Gesichtspunkt aus ist es nun weiter leicht zu verstehen, dass Calvin Hybris nicht in dem ‘Haben’ der Wahrheit sieht, sondern in dem sich nicht ‘contenter’ mit den gegebenen Offenbarungsinhalten. Calvins Protest gegen dieses Sich-nicht-contentieren wendet sich sowohl gegen den, der zu viel ‘haben’ will (35, 64), als gegen den, der Verzweiflung, ‘Paradox’ und ‘Aergernis’ sensu stricto auf seinen Wegen als signa oboedientiae honoriert. Denn nur für die μωϱόσοφοι ist die Wahrheit μωϱία.Ga naar voetnoot1) Nicht für den Glauben, sondern ‘carni’ ‘omnia Dei mysteria sunt paradoxa’ (49, 49/50). Und gerade im Empfinden der Wahrheit als Paradox beweist das Fleisch, d.h. die Sünde, die verdorbene Art,Ga naar voetnoot2) dass es ‘caro’ ist: tantum habet audaciae (man könnte hier sagen: Hybris) | |||||||||||||||
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ut contra insurgere non dubitet: et quae non assequitur, petulanter insectari (ib.). Hybris, das ist nicht die theologia gloriae, die sich des ‘Habens’ und ‘Wissens’ der Wahrheit als Gottes Gnadengabe rühmt, sondern die, die nicht ‘proprio sensu vacua’ sein will (ib.). Aber als ‘sensu vacua’ Seiende wäre sie gleichfalls audax gegen Gott. Wer jedoch proprio sensu vacuus zu sein wagt, und den Willen hat (‘velimus’) ‘eorum (sc. mysteriorum Dei) fieri capax’ (49, 50), der muss sich ‘in obedientiam verbi’ totum tradere et addicere (ib.). Das ist der Weg, auf dem finitum (durch Erlösung) capax infiniti wird; vorausgesetzt, dass man hier nur jedes Wort nach seinem Zusammenhang liest und interpretiert.Ga naar voetnoot1) | |||||||||||||||
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§ 5. Sonstiges.Obwohl sich noch viel mehr sagen liesse, schliessen wir hiemit unsere Untersuchung ab. Das Gesagte zeigt u.E. ein prinzipielles Auseinandergehen von Barth und Calvin. Nur einige kurze Bemerkungen erlauben wir uns zum Abschluss. a) Oben sprachen wir bereits (Kap. III) über den Begriff der inexcusabilitas der Menschen. Auch Calvin kennt diesen Begriff und stützt ihn mit einer Berufung auf die (wenn auch graduell verschiedene) perspicuitas aller Offenbarung. Schon die Natur bewirkt admiratio und tenuem divinitatis gustum qui nos inexcusabiles reddat (man achte auf den Konjunktiv!). Wo dann ausserdem das Wort Gottes dazu kommt, wird die inexcusabilitas noch verstärkt, weil Gott ‘si facile s'est rendu à nous’.Ga naar voetnoot1) ‘Caecitas’ ist denn auch nach dem Auftreten des Wortes ‘voluntaria’ (47, 226, vgl. 47, 295: Dei gratia non utuntur, lumen quantum in se est extinguunt). b) Die Barthsche ‘Kirche Esaus’, die (später moderierte, aber nie prinzipiell widerrufene) Herabwürdigung von Kirche und Lehramt ist bei Calvin unbekannt. Die Kirche ist gardienne de la verité de Dieu, (29, 150)Ga naar voetnoot2). Denn Heilige Schrift und Wort Gottes sind zwar sowohl qualitativ als quantitativ unterschieden, aber nicht geschieden.Ga naar voetnoot3) Die Kirche als Träger | |||||||||||||||
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der Schrift steht nicht auf derselben Linie wie die machtlosen Lehrschulen dieses ‘Aeon’, sondern überwindet diese, meint Calvin.Ga naar voetnoot1) c) In Kap. III war die Rede von Kierkegaard-Barths Meinung, dass Gott nicht Objekt heissen dürfe. Auch Calvin weiss etwas derartiges zu sagen, aber er sieht nur dann Unrecht darin, dass man Gott zum ‘obiectum fidei’ macht, wenn man es extra Christum tut. Damit ist gegen Kierkegaards und Barths einseitige Betonung von Gott als Subjekt Stellung genommen.Ga naar voetnoot2) Perpetua haesitatio (Verzweiflung, Nicht-Haben, Negieren) ist ‘diabolicum sophistarum dogma’.Ga naar voetnoot3) d) Die tiefsten Wurzeln dieses Unterschieds zwischen Barth-Kierkegaard und Calvin liegen schliesslich in einer anderen Anthropologie, einer anderen Hamartiologie, einer anderen Geschichtsauffassung und, als Wurzel von diesem allem, in einer anderen Lehre vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Die φύσις hat bei der dialektischen Theologie keinen geschichtlich determinierbaren Durchbruchs-Moment erlebt; Schöpfung und Sünde sind bei ihr (später) zwar unterschieden worden, aber nicht geschieden und werden praktisch noch oft verbunden, identifiziert. Calvin jedoch erkennt die Sünde als privatio boni; die Erlösung ist darum bei ibm eine restitutio in integrum creationis. Und zugleich ihre Bereicherung, weil nun die Gnade auftrat, als noch grösseres opus exeuns Dei als es die Schöpfung selbst bereits war. So weiss Calvin Pauli imperfectum zu verstehen, wenn dieser sagt, dass die Christen φύσει waren: Kinder des Fleisches, dass sie aber durch die Gnade nun in das praesens gesetzt sind eines neuen Stetigkeits-Lebens auch intellektuellen und verstandesmässigen Gehorsams, wenn | |||||||||||||||
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dieser denn auch noch auf seine Vervollkommnung wartet. Die Geschichte ist nicht nur das Theatron, sondern auch die Arbeitsstätte der magnalia Dei. Und Er selbst hat nicht das Band zwischen sich und seinem Kosmos zerschnitten. Das Zerschneiden dieses Bandes ist von seiten der Sünde versucht worden, aber schliesslich von Gott nicht zugelassen. Darum steht oder fällt nach Calvin die Welt mit dem principium identitatis und dem Satz des Widerspruchs: sollte Gott der Gesetzgeber, seine Gesetze selbst brechen? Wie aus dem restaurierten Bild Gottes (in den Wiedergeborenen) die Komponenten des ursprünglich in der Schöpfung gegebenen Bildes Gottes wieder zu erkennen und abzulesen sind, und wie Calvin also in dieser theologischen Methode der Rekonstruktion der Schöpfungsgegebenheiten aus den Neuschöpfungsgegebenheiten als seine theologische Ueberzeugung ausspricht, die Erlösung stelle die Schöpfungsordnungen wieder her, so ist, nach ihm, auch darin die Erlösung nur wirklich Erlösung, dass sie die Denkgesetze als ursprüngliche Schöpfungsgesetze aufrecht erhält.Ga naar voetnoot1) ‘Unglaube’ ist nach der dialektischen Theologie immer ‘Missverstehen.Ga naar voetnoot2) Calvin jedoch weiss, dass der Erzfeind, der Satan, trotzdem nicht ‘missversteht’. Er nimmt nur nicht an (οὐ δέχεται, 1. Kor. 2), was Gott gesagt hat. Die dogmatische These von der perspicuitas der Offenbarung, samt der Leugnung einer Durchbrechung der Denkgesetze, beherrschen Calvins Denken, auch in diesen Fragen. In der Linie seines Denkens liegt die These, dass das principium identitatis, der Satz des Widerspruchs und das principium exclusi tertii ein principium exclusae antinomiae (stricto sensu dann natürlich) involvieren. Gott einen anti-rationellen (Brunner) Offenbarungsakt zuzuschreiben, der die Denkgesetze durchbricht (Haitjema), das hiesse, nach Calvin, Gott der Sünde, der Schändung seiner eigenen | |||||||||||||||
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Gesetze bezichtigen. Nicht seine Denkgesetze, sondern unsere Denksünden bricht Gott durch die Offenbarung. Das ist Calvinisch. Sein Kampf gegen die Spiritualisten beweist das. e) Wer Calvin kennt, ist denn auch fest davon überzeugt, dass er sich einen eventuellen Vorwurf, durch seine Projizierung der Heilstatsachen auf die Ebene der zeitlichen Geschichte taste er den ‘Entscheidungscharakter’ der Offenbarung an, nicht zu Herzen nehmen würde. Brunner hat einmalGa naar voetnoot1) das Dilemma so gestellt (gegenüber der idealistischen Geschichtsphilosophie): entweder Entfaltung oder Entscheidung. Calvin, wenn auch allem Evolutionismus abgeneigt, ist wohl mit einer Evolution auf der Basis von creatio und revelatio einverstanden. Darum würde seine scharfe Feder sich auch gegen Brunners These wenden, dass das Alte Testament den vollendeten christlichen Geschichtsbegriff (noch) nicht kenne.Ga naar voetnoot2) Obgleich ja doch das Alte Testament auch bei Calvin hinter dem Neuen in graduellem Sinn zurücksteht, hat es doch dieselbe Geschichtsauffassung wie das Neue, weil es sonst - nicht geschrieben sein könnte, nicht voll von Christus sein könnte, nicht die Propheten zu Seinen Herolden machen könnte, die mit ihm auf einer Linie stehen, wiewohl sie alle ihm subordiniert und von Ihm als Gott abhängig sind. Brunner ist zwar gezwungen, seine soeben genannte ‘Auffassung’ zu verteidigen, um so Christus als ‘das Einmalige’ sehen lassen zu können, und so die absolute Entscheidung an ‘das Einmalige’ in Christus zu binden. Aber Calvin urteilt, dass alles ‘einmalig’ ist und dass, weil Christus als Logos asarkos (und später auch als ensarkos) allezeit gegenwärtig war, und ist, und sein wird, eine ‘Entscheidung’ dadurch in allen geschichtlichen Momenten liegt. Das Wort selbst entscheidet und Christus als Logos asarkos und ensarkos ist mit sich und dem Wort verbunden.Ga naar voetnoot3) | |||||||||||||||
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f) Auf die von uns gestellte Frage, ob man von seiten der Theologie des Paradoxons tatsächlich ‘mit Calvin gesät’ habe, antworten wir denn auch mit einem entschiedenen Nein. Wenngleich auch der heutige Calvinist mit Dankbarkeit würde anerkennen wollen, dass die dialektische Theologie gegenüber vielerlei falscher Ruhe und Selbstsicherheit einer für jeden Reformationsdrang verlorenen Theologie auf mächtige und prophetische Weise wieder notwendige Wahrheiten hat hören lassen, so kann er doch um der Wahrheit willen nicht verschweigen, dass sie als System (sofern sie diesen Namen würde haben wollen und haben können) es nicht nur an der prächtigen Einheitlichkeit fehlen lässt, die Calvins Zeugnis so mächtig gemacht hat, sondern sich auch gegen die Reformation selbst gewendet hat. Die Meinung, eine Lehre, die keinen Standpunkt hat, sondern einzig einen ‘mathematischen Punkt, auf dem man also nicht stehen kann’Ga naar voetnoot1) sei calvinisch, reformatorisch, ist einer der schweren Irrtümer des 20. Jahrhunderts gewesen. Car Dieu nous certifie que nous trouverons en sa parolle droite intelligence de ce qui nous sera expedient pour nostre salut. Pensons-nous que nostre Dieu nous vueille frustrer?.... Quand donc Dieu nous donne sa cognoissance, sachons qu'il ne veut point qu'un tel thresor soit perdu, ne qu'il perisse: mais que nous le recevions pour en faire nostre profit (28, 573). | |||||||||||||||
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Lebenslauf.Der Verfasser dieser Dissertation, Klaas Schilder, wurde am 19. Dezember 1890 als Kind der Eheleute Johannes Schilder und Grietje, geb. Leydekker zu Kampen in den Niederlanden geboren. Getauft in der ‘Hervormde Kerk’, wurde er einige Jahre nach seiner Geburt als ‘dooplid’ der ‘Gereformeerde Kerk’ zu Kampen eingetragen. Er besuchte das ‘Gereformeerd Gymnasium’ in Kampen und wurde nach dem an diesem Gymnasium abgelegten Abschlussexamen (19. Juni 1909) als Student der Theologie eingeschrieben an der in Kampen befindlichen Hochschule, die offiziell als ‘De Theologische School van de Gereformeerde Kerken in Nederland’ bekannt ist. Hier folgte er während acht Semester dem Unterricht der Professoren L. Lindeboom, M. Noordtzij, Dr. A.G. Honig, Dr. H. Bouwman, Dr. J. Ridderbos, Dr. T. Hoekstra, und der Lektoren Dr. J.J. Esser und Dr. A. Noordtzij, später Professor der Theologie an der Reichsuniversität zu Utrecht. Die Einschreibung geschah am 17. Sept. 1909. An dieser Hochschule legte er das propaedeutische Examen am 24. Juni 1910 ab, den ersten Teil des Kandidatenexamens am 11. Okt. 1912 und den zweiten Teil des Kandidatenexamens, das den Grad des cand. theol. verleiht, am 23. Jan. 1914, mit Note 1. Nach Absolvierung zweier kirchlicher Examina, dem ‘praeparatoir’ und dem ‘peremptoir examen’, wurde er Pfarrer an der ‘Gereformeerde Kerk’ zu Ambt-Vollenhove A, am 21. Juni 1914, nach seiner Verheiratung mit Anna Johanna Walter. In der Folge war er Pfarrer in den ‘Gereformeerde Kerken’ zu Vlaardingen, Gorinchem, Delft, Oegstgeest, und seit 27. Juni 1928 zu Rotterdam-Delfshaven. Während seiner Amtszeit dort wurde ihm Studienurlaub verliehen, den er dazu benützte um während dreier Semester an der Bayr. Universität Erlangen die Vorlesungen von Prof. Dr. E. Herrigel, Geh. Rat Prof. D. Dr. O. Stählin und Geh. Rat Prof. Dr. J. Hell zu besuchen und zwar während des S. Semesters 1930 und des W. Sem. 1930/31 als Studierender der philos. Fakultät | |||||||||||||||
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und während des S.S. 1932 als Gasthörer. Ausserdem folgte er in der theol. Fakultät noch Vorlesungen von Prof. D. Dr. W. Vollrath. Während seiner Amtszeit als Pfarrer hat er verschiedene kirchliche Organe redigiert (Vlaardingsche, Gorcumsche, Delftsche; Leidsche, Delfshavensche Kerkbode) und betätigte sich viele Jahre lang wöchentlich in dem offiziellen Blatt der Kamper Theologischen Hochschule De Bazuin als Mitarbeiter, und zugleich, zuerst als Mitarbeiter, später als Redakteur, in dem ‘Weekblad tot Ontwikkeling van het Gereformeerde Leven’: De Reformatie. Ausser diesen Pressearbeiten erschienen von ihm folgende Werke:
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Zu besonderem Dank verpflichtet fühlt er sich zuerst dem Andenken seiner Mutter, die, seit 18. Dez. 1896 Witwe, trotz schwieriger ökonomischer Verhältnisse ihm den Weg zum Studium geebnet hat, dann den Professoren und Lektoren der Hochschule zu Kampen, den obengenannten Professoren der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen, besonders seinem Promotor, Herrn Prof. Dr. E. Herrigel, der ihm stets mit dem grössten Wohlwollen entgegengekommen ist. Herrn Oberstudienrat Prof. W. Koller und Fräulein E. Koller, Erlangen und Herrn cand. theol. Joh. den Ouden, Nordhorn i. Hann., die ihm bei der Uebersetzung seiner Dissertation behilflich waren, den Herren Bibliothekaren von Erlangen, Berlin, München, Kampen, Leiden, Amsterdam (Vrije Universiteit), dem Verleger dieses Buches Herrn J.H. Kok in Kampen, und dem ‘Kerkeraad’ der ‘Gereformeerde Kerk van Rotterdam-Delfshaven’, der ihm durch wiederholten Studienurlaub die Gelegenheit bot, seine akademischen Studien an der Erlanger Universität abzuschliessen. Ueber alles dankt er dem Gott seines Lebens. |
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