Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Maurice StrongMaurice Strong wurde 1929 in Manitoba, Kanada, geboren. Er lehrte einige Zeit an der York University in Toronto und war Präsident der Power Corporation of Canada Ltd. 1966 wurde er Generaldirektor der Abteilung für Auslandshilfe der kanadischen Regierung, darauf Leiter des Canadian International Development Board. Maurice Strong war als Generalsekretär die treibende Kraft auf der Stockholmer Konferenz für Umweltfragen vom 5. bis 16. Juni 1972 und trug wesentlich zu ihrem Erfolg bei.
Stimmen Sie mit Die Grenzen des Wachstums überein, daß das dringendste Problem heute darin besteht, das Wachstum weltweit zu steuern? Dies ist tatsächlich die Kernfrage des Problems, dem der Mensch gegenübersteht. Meiner Ansicht nach nicht nur aus Gründen, die Die Grenzen des Wachstums anführt, sondern auch aus dem wahrscheinlich noch tiefer reichenden Grund, daß der Mensch zum erstenmal in seiner Entwicklungsgeschichte an einen kritischen Punkt gelangt ist. Die Zukunft der Menschheit hängt jetzt davon ab, wie der Mensch selbst handelt.
Meinen Sie nicht, daß es entscheidend wichtig ist, die Regierungen verbindlich auf ihre Verantwortung gegenüber der Umwelt zu verpflichten? Ich halte den Bericht des Club of Rome für wichtig, weil er uns in bestimmter Weise über diese Probleme nachdenken läßt, weniger auf Grund der spezifischen Schlußfolgerungen, die die Studie zieht. Der Hauptbeitrag von Die Grenzen des Wachstums besteht darin, daß sich die Öffentlichkeit und vor allem die führenden Persönlichkeiten der fundamentalen Frage zuwenden, wie der Mensch die erste hochtechnisierte Zivilisation und das Wuchern komplexer Wechselwirkungen als Folge der Technik steuern kann. Wir stellen nun ganz einfach fest, daß dieses Wechselwirkungssystem, von dem der Mensch abhängt, weltweit ist und weltweit gesehen werden muß und daß man es nur als globale Einheit behandeln kann. Halten Sie dagegen die Institutionen, mit denen der Mensch die Prozesse seiner eigenen Entwicklung zu lenken sucht, Institutionen, die eindeutig auf Teilbereiche, auf den nationalen Rahmen beschränkt und der Aufgabe einer globalen Steuerung nicht gewachsen sind. Daß die Öffentlichkeit auf diese Probleme aufmerksam wurde, ist das Hauptergebnis des Club of Rome-Berichts. Der Grundgedanke des Buches | |
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unterstützt die Leitlinie der Stockholmer Konferenz, daß der Mensch das politische, wirtschaftliche und soziale Instrumentarium schaffen muß, um mit neuen Wirkungsverflechtungen fertig zu werden. Ferner hat die Studie, wie ich glaube, einen wichtigen methodischen Beitrag geleistet. Sie geht von der sehr einfachen Voraussetzung aus, daß die neuentdeckten Interdependenzen kompliziert sind. Es ist sehr schwierig, ohne die Verwendung der neuesten technischen Mittel, beispielsweise des Computers und der Computermodelltechniken, wirklich zu verstehen, wie diese Interdependenzen ablaufen, wie Ursachen und Wirkungen, die sehr häufig durch Raum und Zeit voneinander getrennt sind und über unser normales Meß- und Urteilsvermögen hinausgehen, sich wechselseitig beeinflussen und wie man die Kenntnis dieser Zusammenhänge anwendet, um den Verlauf unserer zukünftigen Evolution zu bestimmen. Die Autoren von Die Grenzen des Wachstums sind die ersten, die zugeben, wie primitiv der von ihnen gemachte Anfang ist.
Sie wissen, daß Professor TinbergenGa naar eind1 und Professor Hans Linnemann mit einem holländisch-schwedischen Team an einem zweiten Weltmodell für den Club of Rome in Holland arbeiten. Allerdings. Es handelt sich hierbei um eine Ausweitung des Modells von ForresterGa naar eind2 und Dennis Meadows, eines Modells, das ich von seinen Anfängen verfolgen konnte. Ich fand es höchst spannend, interessant und nützlich. Selbst die Leute, die dieses Modell schufen, haben anerkannt, daß es nur ein Beginn sei.
Würden Sie aus Ihrer Erfahrung mit der Stockholmer Konferenz von 1972 sagen, daß die Entwicklungsländer Japans Warnung brauchen: Verfahrt nicht so wie wir, betreibt kein ungeplantes Wachstum, vermeidet dieses explosive technische und wirtschaftliche Wachstum ohne Planung. Ich glaube, wir in Stockholm befaßten uns mit einigen sehr wichtigen langfristigen Fragen, auf die Studien wie Die Grenzen des Wachstums hinweisen. Es geht darum: Wie schaffen wir eine Art Gleichgewicht, wenn wir das Problem weltweiten Wachstums anpacken? Wie schaffen wir eine Situation, in der zwei Drittel der Menschen, die über einen großen Teil der Weltoberfläche und ihre natürlichen Hilfsquellen verfügen, in die technisierte Zivilisation integriert werden können? Eindeutig befindet sich die Technik, die dem Menschen die Möglichkeit zu schöpferischem Wachstum und gleichzeitig zur Selbstzerstörung liefert, zum größten Teil in den Händen der Industrienationen. Da die Verfügungsgewalt über Technik und wissenschaftliche Kenntnisse die Hauptquelle der Macht in der heutigen Welt ist, müssen wir weitaus bessere Wege finden, dieses Potential zu nutzen und zu teilen. Wir | |
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müssen eine sehr viel rationalere Basis für den Gebrauch der Ressourcen der Welt finden.
Glauben Sie wirklich an eine Umverteilung von Wohlstand und natürlichen Hilfsmitteln, die den Entwicklungsländern gerecht wird? Ich meine, wir müssen erkennen, daß dies nicht durch irgendeinen weltweiten Superplan oder die Schaffung irgendwelcher übernationaler Einrichtungen zustande kommt. Wenn der Bericht des Club of Rome die Rohstoffverknappung zutreffend prognostiziert, dann gibt dies den Entwicklungsländern, die über viele dieser natürlichen Ressourcen verfügen, neue Möglichkeiten an die Hand, die sie bei ihren Verhandlungen mit den reichen Ländern nutzen können. Öl ist ein gutes Beispiel. Die ölfördernden Länder haben sich in der OPEC zusammengeschlossen und demonstriert, daß sie den Verbraucherländern gegenüber durch die Lieferung knapp werdender Ware ein höchst wirksames Instrument besitzen. Ich betrachte mich gerne als Idealisten, aber ich glaube darum noch nicht, daß die Welt durch einfache übernationale Prozesse neu geschaffen wird, auch nicht dadurch, daß sich jeder plötzlich idealistische Auffassungen von den Beziehungen des Menschen zu seinen Mitmenschen zu eigen machen wird. Ich glaube, es wird in erster Linie durch die Einsicht geschehen, daß die neuen Interdependenzen, die die technische Zivilisation schafft, einfach von uns verlangen, daß wir zusammenarbeiten, uns mehr umeinander kümmern, als dies bisher geschehen ist. Das muß im Interesse-unseres Überlebens geschehen. Das Überleben ist der gemeinsame Nenner. Ferner, die wachsende Verknappung der Rohstoffreserven und die wachsenden Probleme der reichen Länder schaffen für die Entwicklungsländer neue Möglichkeiten der Einflußnahme. Dies kann in einer kreativen, konstruktiven Weise verwendet werden und ihnen mehr Verhandlungsgewicht verleihen, so daß das gewaltige Ungleichgewicht, das heute herrscht, aufgehoben wird.
Keine der reichen Nationen hat bisher ein Prozent vom Bruttosozialprodukt für die Entwicklungshilfe aufgebracht. Wir müssen erkennen, daß einige der traditionellen Methoden der Auslandshilfe grundlegend geändert werden müssen. Wenn wir die Gesellschaft in unseren eigenen Ländern betrachten, so war Wohltätigkeit nie eine dauerhafte Basis für die Beziehungen zwischen Armen und Reichen. In unserer eigenen Gesellschaft haben wir unsere ursprünglichen Schenkprogramme oder sogar Programme gebundener Schenkaktionen durch ein objektiveres und unpersönlicheres System der Umverteilung des Reichtums ersetzt. Die Auslandshilfeprogramme sind erst ein Anfang der Übertragung dieses Prozesses auf das internationale Leben. Wir werden zu einem System im internationalen Leben übergehen müssen, das den Systemen entspricht, wie sie viele Nationen intern | |
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geschaffen haben, in denen objektivere und unpersönlichere Mechanismen für die Umverteilung des Reichtums und die Gleichheit der Chancen bestehen. Wir müssen Hilfsprogramme als den Beginn dieser Entwicklung ansehen. Darum bin ich auch so davon überzeugt, daß der politische und wirtschaftliche Einfluß, den die Dritte Welt erlangen kann, einer der Schlüssel zu einem gleichgewichtigen Entwicklungsmuster in der Welt ist, ein Schlüssel dafür, daß sie einen fairen Anteil an den Chancen und Ressourcen der Welt erlangt. Meiner Meinung nach führt dies nicht notwendig zu offenen Konflikten. Aber denken Sie zurück an die Gesellschaft in unseren eigenen Ländern: Erst als die Armen durch das Stimmrecht und andere Mittel, durch soziale und politische Aktionen Kenntnis von ihrer eigenen Macht und vom Gebrauch ihrer Macht erlangten, erzielten sie wirklich eine dauerhafte Verbesserung ihrer Position in der Gesellschaft. Erst wenn die armen Nationen zu einem besseren Verständnis ihrer eigenen Möglichkeiten, ihrer eigenen Macht und ihrer eigenen Verantwortung gelangen, werden sie in der Lage sein, am Verhandlungstisch mit den Industrienationen ihre Vorteile zu vergrößern. Nur durch diesen Prozeß werden wir zu einer besseren Verteilung der Chancen und Ressourcen in der Welt kommen.
Wie funktioniert Earth Watch nach der Stockholmer Konferenz? Es ist Ihre Schöpfung. Earth Watch ist gerade in seinem Anfangsstadium. Es wird eine große Zahl von Institutionen rund um die Erde miteinander verbinden. Es handelt sich um Institutionen und Fachgremien, die uns die Art von Daten, Informationen und Berechnungen erstellen helfen, durch die nicht nur die Entscheidungsträger, sondern auch die von den Entscheidungen Betroffenen die bedeutenden Konsequenzen verstehen können, die sich für die Menschheit aus den ansteckenden Entscheidungen ergeben werden. Stockholm gibt uns das Mandat, Earth Watch zu schaffen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1972/1973 stellte die Mittel für unsere Arbeit bereit.
Sie sagten vorhin: ‘Ich bin ein Idealist.’ Sie liefen mit dreizehn Jahren von zu House weg, arbeiteten eine Zeitlang als Pelztierjäger und stiegen dann sehr schnell zum Präsidenten einer der größten Gesellschaften in Kanada auf. Und nun leisten Sie diese rein humanitäre Arbeit im Dienste der Menschheit. Was veranlaßte Sie, Ihre einflußreiche Stellung in der Finanzwelt aufzugeben und für die Menschheit zu arbeiten? Zunächst muß ich sagen, daß ich meine heutige Arbeit aus ganz selbstsüchtigen Grüden tue: weil ich Freude daran habe. Es bereitet mir Genugtuung, mit Problemen umzugehen, die ich für wichtig halte. | |
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Ich machte eine Analyse, als ich in der Geschäftswelt war. Ich sah mich um und kam zu dem Schluß, daß bloßer Erfolg auf materiellem und ökonomischem Gebiet für die Gesellschaft als Ganzes nicht befriedigend ist und nur wenigen zugute kommt. So vielen unterprivilegierten Gesellschaften zu helfen ist eine größere Herausforderung und erregendere Aufgabe. Letzten Endes ist dies eine nützlichere Arbeit als die Steuerung eines kleinen Sektors in einer Gesellschaft, die sich lediglich auf die Optimierung materiellen Gewinns konzentriert. Ich muß sagen, daß ich meine Arbeit nur deshalb mache, weil ich Spaß daran habe.
Hoffen wir, daß auch andere Industrielle Ihrem Beispiel folgen und materiellen Profit zu sozialem Gewinn, zu einem Gewinn für die ganze Menschheit ausweiten. Ich danke Ihnen. Wirklich, ich bin sehr stark von dem Beispiel anderer beeinflußt worden. Ich kann sagen, saß ich viele Leute in der Geschäftswelt kenne, die ebenso fühlen und mich beneiden, weil ich Gelegenheit hatte, diese Interessen umzusetzen, eine Chance, die anderen Leuten verwehrt ist. Ich habe insofern sehr viel Glück. Aber betrachten Sie es einmal aus einer vereinfachten Perspektive. Ich habe fünf Kinder. An einem Punkt in unserem Leben betrachten wir unsere Zukunft und sagen: Was kann ich meinen Kindern Nützliches und Dauerhaftes hinterlassen? Wenn man nur in Kategorien großer Bankkonten denkt, baut man sein Haus auf Sand. Wenn man nur so etwas hinterläßt, überantwortet man seine Kinder gleichzeitig einer Gesellschaft, in der materielle Dinge allmählich oder sogar schnell vom Morast sozialen Niedergangs verschluckt werden. Wir dürfen nicht länger glauben, daß wir für unsere Familien sorgen, wenn wir ihnen fette Bankkonten hinterlassen. Wir müssen den kommenden Generationen eine vitalere und dynamischere Gesellschaft hinterlassen. |