Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Linus PaulingLinus Pauling wurde 1901 in Portland, Oregon, geboren. Er promovierte 1925 am California Institute of Technology, an dem er von 1922 bis 1963 Mitglied des Lehrkörpers war. Er lehrt heute an der Stanford University in Kalifornien Chemie. Paulings Untersuchungen über die Natur chemischer Verbindungen deckten unter anderem die Strukturen von Proteinen, die Rolle abnormer Moleküle als Krankheitsursachen und die Zusammenhänge zwischen abnormen Enzymen und Geisteskrankheit auf. Ein Großteil seiner Arbeit galt dem Einsatz der Chemie bei biologischen und medizinischen Problemen. 1954 erhielt Linus Pauling den Nobelpreis für Chemie. 1963 wurde ihm der Friedens-Nobelpreis verliehen. Ferner erhielt er den Internationalen Lenin-Friedenspreis, den Gandhi-Friedenspreis, die Grotius-Medaille für Beiträge zum internationalen Recht und die Pasteur-Medaille. Zu seinen meistbekannten Werken gehören: The Nature of Chemical Bond, 1939 (Die Natur der chemischen Bindung); General Chemistry, 1947 (Chemie); No More War, 1958 (Leben und Tod im Atomzeitalter); The Architecture of Molecules, 1964 (Die Architektur der Moleküle) und Science and World Peace, 1964.
Sie sind mit dem Bericht des Club of Rome vertraut? Ja.
Glauben Sie, daß es eine nützliche Bemühung ist, den Planeten zu organisieren, den Planeten zu katalogisieren, damit wir ihn in der Zukunft besser verwalten können? Ich glaube, es ist nicht nur nützlich, notwendig und wesentlich, daß wir das tun. Ich glaube, daß der Weg, den wir bisher gegangen sind, künftigen Menschengenerationen Unrecht antut. Wir müssen unsere Rohstoffe allmählich katalogisieren, und wir müssen anfangen, den Gebrauch, den wir von diesen Rohstoffen machen, unter dem ethischen Prinzip zu analysieren, daß es nicht anständig von uns ist, den künftigen Menschen den ganzen Reichtum der Erde wegzustehlen.
Im Jahre 1976 werden einige Dutzend Länder, ein Viertel aller Nationen der Welt, über große Atomreaktoren zur Produktion von Elektrizität verfügen. Allein in den Vereinigten Staaten wird es um 1990 einige dreihundert solcher Reaktoren geben. Wie sicher ist das? Diese Reaktoren sind nicht sicher in dem Sinn, daß eine Katastrophe unwahrscheinlich wäre. Es hat genügend Reaktorpannen gegeben, um zu beweisen, daß Unfälle an Reaktoren geschehen können. Ich persön- | |
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lich glaube, daß Atomreaktoren auf der Basis der Kernspaltung nicht gebaut werden sollten, denn sobald sie einmal gebaut sind - mit Hunderten von Millionen Dollar an Investitionen für jeden einzelnen -, ist es nahezu sicher, daß sie auch eingesetzt werden. Sie werden durch die freigesetzte Radioaktivität Schaden anrichten, und sie stellen eine echte Gefahrenquelle für die Öffentlichkeit, für das ganze Volk oder sogar für die Erde dar. Die Möglichkeit, daß bei einem schweren Unglück eine große Menge radioaktiver Substanzen sich über der Erdoberfläche ausbreitet, bleibt weiterhin bestehen.
Man hat prognostiziert, daß es sogar möglich werden könnte, daß Kriminelle sich selbst atomare Einrichtungen zusammenbasteln, und es wurde auf die Gefahr hingewiesen, daß die Atomwissenschaftler das irrationale Verhalten der Menschen nicht genügend berücksichtigen, wie etwa die Drohung von Luftpiraten, die nuklearen Anlagen in Oak Ridge, Tennessee in die Luft zu jagen. Das ist natürlich eine wirkliche Gefahr. Ich habe übrigens nicht gesagt, daß spaltbares Material vollkommen kontrolliert werden könne. Es ist möglich, aus einer Fabrik, die spaltbare Isotope produziert, eine bestimmte Menge von spaltbarem Material zu entwenden, ohne daß der Verlust entdeckt werden müßte. Dieses spaltbare Material könnte in die Hände skrupelloser Leute gelangen, sogar in die des Führers irgendeiner kleinen Nation. Oder einfach auch nur in die einer Privatperson oder privaten Organisation, die es dann zum Schaden der Welt verwenden könnte.
Könnte das wirklich geschehen? Stimmt es also, daß ein Teelöffel voll Strontium-90 ausreichen würde, die menschliche Rasse auszurotten? Ich würde sagen, wenn Sie jeden Menschen dazu bringen können, seinen Teil von diesem Teelöffel voll zu nehmen, dann würde es wahrscheinlich dazu kommen, aber die Verteilung von einem Teelöffel voll Strontium-90 in der Atmosphäre würde die menschliche Rasse nicht umbringen. Es sind schon viel größere Mengen in der Atmosphäre verteilt worden. Aber es ist jedenfalls genug, um Schaden anzurichten, manche Menschen an Krebs sterben zu lassen und zu bewirken, daß kleine Kinder mit drastischen physischen oder psychischen Defekten zur Welt kommen. In meinem Buch No More War und gleichfalls in meiner Rede bei der Verleihung des Friedens-Nobelpreises legte ich meine persönlichen Schätzungen der Schadensgröße vor, die die Atomversuche bis zu jener Zeit - also 1959 beziehungsweise 1963 - verursacht haben. Für 1963 schätzte ich, die Atombombentests würden im Verlauf der Zeit für sechzehn Millionen Kinder verantwortlich sein, die mit schweren physischen oder geistigen Defekten geboren werden und die völlig normale Kinder gewesen wären, wenn man die Bombentests | |
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nicht durchgeführt hätte. Das gibt Ihnen eine Vorstellung, und bis zu diesem Zeitpunkt waren nur sechshundert Megatonnen nuklearer Explosivstoff gezündet worden, teils als Kernspaltung, teils als -verschmelzung.
Wer stellt eigentlich sicher, ob es nicht für den Planeten gefährlich ist, wenn unterirdische Tests durchgeführt werden? Ja, wer eigentlich? Ich erinnere mich an die Zeit vor fünfzehn Jahren, als bekannt wurde, daß Außenminister John Foster Dulles sich in unser aller Namen und uns alle freiwillig als Versuchskaninchen in dieser Studie anbot. Dulles, würde ich sagen, war einer der Verbrecher, die uns in diese Richtung gedrängt haben, ohne die Größe des Schadens gebührend in Betracht zu ziehen, der dabei Menschen zugefügt wurde. Und natürlich hat die Atomenergiekommission das vorhandene Informationsmaterial unterdrückt. Es war äußerst schwierig, von der AEC überhaupt Informationen über diese Punkte zu erhalten. Die entsprechenden Autoritäten in der Sowjetunion verfolgten einen ähnlichen Kurs bei der Unterdrückung von Information über die Höhe des Schadens, den die nukleare Radioaktivität bei Menschen angerichtet hat, ich meine die Radioaktivität der Atombombenversuche.
Im CaltechGa naar eind1 wurde nachgewiesen, daß der Bau unterirdischer Atomkraftwerke möglich ist. Ja, es ist nur eine Frage einer etwas größeren Geldinvestition, wenn man ein Kraftwerk unter die Erde verlegt. Ich glaube allerdings nicht, daß damit jedes Risiko ausgeschlossen wäre. Es würde immer noch gefährlich sein, weil die Möglichkeit einer Explosion ja auch in einem unterirdischen Werk besteht und damit die Gefahr der Verseuchung des Grundwassers etwa durch radioaktive Substanzen. Ich vertrete die Überzeugung, daß wir die Energiemengen, die verbraucht werden, kontrollieren sollten - in der Verfolgung meines persönlichen grundlegenden ethischen Prinzips, des Prinzips der Minimierung des Leidens der Menschen. Ich glaube, daß es für die Wohlfahrt der Menschheit, für das Glück des einzelnen Menschen nicht nötig ist, daß immer größere Energiemengen zur Verfügung stehen und daß wir zulassen, daß simple wirtschaftliche Entscheidungen von Tag zu Tag die Natur des Lebens bestimmen, das wir in der Zukunft leben werden. Wir könnten mit viel einfacheren und besseren Transportmöglichkeiten vorliebnehmen, als wir sie jetzt haben. Wir brauchen keine Durchschnittsgeschwindigkeit von siebzig Meilen pro Stunde, um die Autobahnen funktionsfähig zu halten, und wir brauchen keine so rasche Beschleunigungsmöglichkeit, daß wir andere hochtourige Wagen auf den Straßen überholen können. Wir würden genauso glücklich sein, ja vielleicht sogar glücklicher, wenn wir den derzeitigen Energieverbrauch einschränkten. Die Propaganda | |
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der Energiegesellschaften, daß mehr und mehr energieproduzierende Werke gebaut werden müßten, damit wir in zwanzig Jahren viermal soviel Energie pro Person zur Verfügung haben wie heute, ist wirklich schädlich und gefährlich.
Sie sagten, man brauche ein bißchen mehr Geld, um unterirdische Atomkraftwerke zu bauen. Aber die Baltimore Gas and Electric Company hat ihre zwei geplanten Atomkraftwerke aufgegeben, weil die Opposition der Umweltschützer zu stark wurde. Die Werke kosteten siebenhundert Millionen Dollar. Andere Unternehmen wie etwa Con-Edison verringern ihre Expansion, weil sie nicht über das nötige Kapital verfügen. Woher könnte das Geld kommen, um Atomkraftwerke sicher und unterirdisch anzulegen? Ich plädiere keineswegs dafür. Ich gab nur einen Kommentar dazu. Ich plädiere dafür, überhaupt keine Atomkraftwerke zu errichten. Ich glaube, daß wir ohne sie fertig werden können. Wir sollten einfacher leben. Unsere Wirtschaft müßte meiner Meinung nach in einer Weise kontrolliert werden, die garantiert, daß der Reichtum der Welt bewahrt bleibt.
Und hier treffen Sie sich wieder mit den Thesen des Club of Rome-Berichts. Das ist richtig. Dafür plädiere ich. Ich bin überzeugt, wir müssen eine verminderte Bevölkerungsziffer haben. Die Lebensqualität verläuft absteigend. Wir haben eine Inflation an Gütern, die man kaufen kann. Aber die Qualität der Nahrungsmittel, die das amerikanische Volk verzehrt, ist geringer als vor fünfzig, ja sogar als vor zwanzig Jahren. Und nun verschlechtert sich die Qualität rapide. Als ich im Januar 1967 in Neu-Delhi Vorträge hielt, erklärte ich meine Überzeugung, daß in den Vereinigten Staaten nur hundertfünfzig Millionen Menschen leben sollten. Ich versuchte eine Analyse des Lebensmodus, der benötigten Arbeitskräfte, der Mengen an Konsumgütern, die zur Verfügung standen, der Nahrungsmittel, des Trinkwassers, der Erholungsmöglichkeiten, der Notwendigkeit, unkultivierte Gebiete wie Wälder und so weiter zu bewahren. Ich gelangte zu dem Schluß, daß heute bereits zu viele Menschen in den Vereinigten Staaten leben. Für Indien - dort war die Bevölkerung im Januar 1967 gerade bei fünfhundert Millionen angelangt - schätzte ich statt dessen nur hundert Millionen Menschen für tragbar. In allen Ländern der Welt zusammen sollte die optimale Bevölkerungsziffer, bei der es jedem einzelnen möglich wäre, gut zu leben, etwa eine Milliarde statt dreieinhalb Milliarden betragen. Ich glaube nicht, daß es das Ziel der USA sein sollte, einen jährlichen Zuwachs von zehn Prozent des Bruttosozialprodukts zu erreichen. Ich glaube, wir sollten das BSP nivellieren, es sogar nach unten ausgleichen und zugleich die Bevölkerungsziffer senken. | |
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Es wird Sie interessieren, daß Herman KahnGa naar eind2 mir erklärt hat, wir hätten für tausend Jahre ausreichende Rohstoffe und könnten mühelos zwanzig Milliarden Menschen ernähren. Die Wissenschaftler unterscheiden sich in ihren Überzeugungen und Theorien über das Mögliche und das Unmögliche so abgrundtief voneinander, daß die Menschheit zwangsläufig nicht mehr weiß, wem sie Glauben schenken soll. Als ich vor vierzehn Jahren mit Edward TellerGa naar eind3 von der University of California diskutierte, sagte jemand zu meiner Frau: ‘Also, Ihr Mann sagt so, und Dr. Teller sagt das Gegenteil. Woher soll ich wissen, wem ich glauben soll?’ Und meine Frau antwortete: ‘Sie schauen sich einfach die beiden an und hören ihnen zu, und dann entscheiden Sie, welchem von beiden man Glauben schenken soll.’ Das gilt hier gleichfalls. Herman Kahn war einer meiner Studenten. Er erschien nur zu drei Vorlesungen und ließ den Kursus dann fallen. Ich glaube nicht, daß Herman Kahn diese Probleme von einem ethischen und moralischen Standpunkt aus angegangen ist. Es wird oft gesagt, daß alles wissenschaftlich und technisch Mögliche getan werden sollte. Das ist Unsinn. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir alles ausprobieren sollten, nur weil es möglich ist. Es gibt keinen Grund, warum wir fünfzehn Milliarden Menschen auf der Erde haben sollten, selbst wenn das technisch möglich sein sollte, oder sie unter Aufwendung aller möglichen Hilfsmittel am Leben erhalten sollten, wobei wir alles der Aufgabe opfern, die Menschen schlechthin nur am Leben zu erhalten. Die Entscheidung, die getroffen werden muß, ist die, wie viele Menschen auf der Erde vernünftig leben können, und dann auf das Ziel hinzuarbeiten, dieser Anzahl von Menschen dieses Leben zu ermöglichen.
Welche Rolle teilen Sie den Wissenschaftlern im zukünftigen Weltmanagement zu? Ich glaube natürlich, daß jedermann über ein bestimmtes Wissen und eine gewisse Einsicht in die Wissenschaft verfügen sollte, aber ich bin nicht der Überzeugung, daß die Wissenschaftler die Welt regieren sollten. Sie sollten ihren Beitrag leisten. Ich glaube, ein Wissenschaftler hat zwei Pflichten. Zunächst die als Bürger: Er muß dazu beitragen, daß seine Mitbürger in den Genuß seines Spezialwissens und seiner Einsicht gelangen. Dies ist eine erzieherische Aufgabe. Die zweite besteht darin, daß er sich über seinen Standpunkt zu öffentlichen Problemen klar wird und seinen Mitbürgern seine Meinung deutlich macht. Es ist wichtig, daß derartige Standpunkte und Meinungen ausgedrückt werden, aber wir sollten nicht auf eine Oligarchie der Wissenschaftler zusteuern.
Wenn wir künftig unseren Planeten so verwalten wollen, wie es der Club of Rome verficht, wie sollen wir dann die zumeist mittelmäßigen Politiker - um es milde auszudrücken - oder korrupte Diktaturen loswerden? | |
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Dieser Planet wird nicht nur von mittelmäßigen Politikern und anderen mächtigen Leuten regiert, sondern von unmoralischen Politikern, unmoralischen mächtigen Generälen und unmoralischen Businesstypen. Das Businessprinzip lautet, daß alles dem Profit geopfert werden muß, sogar sittliches Verhalten und ethische Begriffe. Davor soll angeblich die Regierung schützen, aber natürlich sind auch Regierungen unmoralisch. Sie denken nicht weitsichtig. Sie schauen nicht in die Zukunft. Regierungen treffen Entscheidungen nicht, weil sie ethisch gesund und richtig wären, Regierungen sind statt dessen in ihrem Entscheidungsdenken von Nützlichkeitserwägungen und Selbstsucht bestimmt. Und das müssen wir ändern. Die Wissenschaft ruht auf einer Grundlage, einer ganz entscheidenden Grundlage, nämlich auf Ehrlichkeit und auf der Bereitschaft, die Wahrheit zu akzeptieren. Das ist das wichtigste grundlegende Prinzip in der Wissenschaft. Und genau dieses Prinzip der Ehrlichkeit und des Willens, nach der Wahrheit zu suchen und sie zu akzeptieren, ist eines der Prinzipien, die in die Regierung, die Regierung der Welt, eingebracht werden müssen. Das wird schwierig durchzuführen sein, aber ich glaube, wir sollten uns anstrengen, dieses Ziel zu erreichen. Problemanalysen, wie die vom Club of Rome durchgeführten, sind äußerst wichtig. Es sollte ein Grundprinzip herrschen, und ich glaube, daß das Prinzip, das ich aufgestellt und an vielen Stellen beschrieben habe - das Prinzip der Minimierung des Leidens sowohl heutiger wie künftiger menschlicher Generationen - als grundlegendes Prinzip für alle Entscheidungen Anwendung finden sollte. |