Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Dennis GaborDennis Gabor wurde im Jahre 1900 in Budapest geboren. Nach England kam er 1934; seit 1967 lehrt er Elektronik am Imperial College in London. 1971 wurde ihm der Nobelpreis für Physik für seine Erfindung der Holographie verliehen. Professor Gabor beteiligt sich aktiv an den Konferenzen und Programmen des Club of Rome. Er veröffentlichte unter anderem: Inventing the Future, 1964 (Menschheit morgen) und Innovations: Scientific, Technological and Social, 1970 (Die neue Vernunft). Sein neuestes Buch trägt den Titel The Mature Society. A View of the Future, 1972.
Sie sind davon überzeugt, daß Die Grenzen des Wachstums ein wichtiges Buch ist? Es ist zweifellos ein Buch, das nötig war. Und das Interessanteste dabei ist die unglaublich heftige Reaktion, auf die es besonders bei Wirtschaftsfachleuten stieß. Die Ökonomen kennen einfach keine andere Methode der Lenkung unserer freien Gesellschaft als beständiges Wachstum. Und wenn dieses Wachstum Grenzen hat, dann bestehen natürlich große Gefahren. Arnold Toynbee schrieb: ‘Wir haben keine Sicherheit, daß, selbst in England, die parlamentarische Demokratie die schreckliche Prüfung überstehen wird, die darin besteht, daß wir auf der materiellen Basis zu einem stabilen way of life zurückkehren müssen.’ Sehen Sie, darin liegt die Gefahr. Unsere freie Gesellschaft geht aufsolch enorme Schwierigkeiten zu, daß manchen Leuten der Totalitarismus als einziger Ausweg erscheint. In meinem Buch The Mature Society versuche ich einen anderen Weg aufzuzeigen. Wir werden natürlich einige Freiheiten opfern müssen. Zum Beispiel die Freiheit der Börsen, jederzeit eine Baisse zu produzieren, oder die Freiheit der Gewerkschaften, ein ganzes Land zu erpressen. Solche Freiheiten können wir nicht aufrechterhalten. Doch zugleich müssen wir wesentliche Freiheiten bewahren. Ich plädiere für die Freiheit des Unternehmers, Neuerungen einzuführen, und für die Freiheit des Autors, zu schreiben, was er möchte. Und ich frage mich, ob das zweite ohne das erste möglich ist. Bedenken Sie, daß in der Sowjetunion, in der es keine wirtschaftliche Freiheit gibt, Alexander Solschenizyn nicht eine einzige Zeile veröffentlichen darf.
Glauben Sie an die Perfektibilität des Menschen? Ja, ich glaube an die Perfektibilität des Menschen. Nur geht dieser Prozeß unglückseligerweise sehr, sehr langsam vor sich. Zweifellos gibt es einen gewissen Fortschritt. Wir sind zum Beispiel Weiter als die alten | |
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Römer. Im Römerreich und sogar noch in der Renaissance galt Mord als unvermeidlich und als eine recht natürliche Methode, seine Feinde loszuwerden.
Die große Frage lautet natürlich, wie kommen wir mit der Null-Wachstums-Gesellschaft zurecht? Sie schreiben, in unserer Gesellschaft sei Hoffnung ein Synonym für Wachstum geworden. Aber besteht Ihrer Meinung nach Hoffnung in einer Null-Wachstums-Gesellschaft weiter, oder, um Ihre Formulierung anzuwenden, wie kann man Hoffnung ‘konstruieren’? Wir, die Spezialisten und Intellektuellen, können im Verlauf unseres Lebens einen höheren Status erreichen, eine größere Weisheit erlangen, an Ansehen bei unseresgleichen zunehmen. Diese Möglichkeit gibt es für den gemeinen Mann einfach nicht. Der Arbeiter kommt mit, sagen wir, sechzehn oder achtzehn Jahren in die Fabrik und verdient dort oftmals den gleichen Standardlohn bis zum Tag seines Ausscheidens. Seine einzige Hoffnung besteht darin, durch das Wachstum der Gesellschaft und den Kampf seiner Gewerkschaft ein größeres Stück von einem größeren Kuchen zu erhalten. Heute heißt das, daß er nur ein größeres Stück von dem gleichen Kuchen erhält. In den letzten Jahren haben wir einen Vorgeschmack darauf bekommen, was in einer Null-Wachstums-Gesellschaft geschehen würde, denn das Wachstum hat sich ein wenig verlangsamt. In den drei Ländern, in denen ich lebe - den USA, England und Italien -, hat der Klassenkampf an Intensität zugenommen. Die Leute nehmen sich gegenseitig den Kuchen weg. Sie können ihn nicht aus einem wachsenden gemeinsamen Vorrat nehmen. Das wirtschaftliche Wachstum wird eines Tages ein Ende finden müssen. Und dies in die Wege zu leiten wird äußerst schmerzhaft sein. Unsere freie Gesellschaft verfügt über keinerlei Bremsmechanismen.
Sie glauben an die Perfektibilität des Menschen, und Sie glauben an ein Wachstum des Menschen, wodurch er besser wird, doch gleichzeitig zitieren Sie Freuds Ausspruch, wonach seelische Gesundheit in dem Nichtvorhandensein innerer Konflikte bestehe. Sie schreiben sogar, wir müßten diese tief pessimistische Ansicht respektieren, uns allerdings von ihr befreien. Wie soll dies geschehen? Gesundheit ist ein wenig mehr als nur das Nichtvorhandensein innerer Konflikte. Ich glaube auch, daß Hoffnung mehr ist als nur das Nichtvorhandensein von Verzweiflung. Die Gesellschaft kann stationär sein, doch das Individuum kann sich im Verlauf seines Lebens vervollkommnen, es kann mehr Kenntnisse und Wissen erlangen, es kann die Welt erkennen und mit ihr in Frieden leben. Das ist nicht gerade sehr leicht, denken Sie nur an all die Intellektuellen, die unsere Welt so sehr hassen, daß sie glauben, man müßte sie zuallererst einmal zertrümmern. | |
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Somerset Maugham schrieb in seinen Memoiren: ‘Die Götter müssen ganz schön geschmunzelt haben, als sie die Hoffnung zu den Übeln steckten, mit denen sie die Büchse der Pandora füllten, denn sie wufsten sehr gut, daß dies das grausamste aller Übel sei, da es die Hoffnung ist, die die Menschheit dazu verführt, ihr Elend bis zum Ende zu ertragen.’ Ja, dies ist wirklich ein eindrucksvolles Zitat. Aber dennoch ziehe ich eine Menschheit vor, die voller Hoffnung ihr Elend erträgt, statt zu verzweifeln.
Das würde Ihnen als zu pessimistisch erscheinen? Es ist mir viel zu pessimistisch. Aber Somerset Maugham war natürlich ein großer Zyniker. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso ich - als ein Prediger der Hoffnung, der ich nun einmal bin - eine solch große Vorliebe für Zyniker wie Maugham, Evelyn Waugh, Anatole France oder den frühen Aldous Huxley habe.
Sie haben angedeutet, daß Wissenschaftler und aufgeklärte Unternehmer bessere Zukunftsaussichten für die Menschheit bewirken könnten. Ja, das ist wahrscheinlich der wichtigste Punkt dabei. Ich unterscheide mich darin ziemlich von anderen Futurologen, insofern ich mich ohne Scham als Anhänger der normativen Theorie bekenne. Ich glaube an die Notwendigkeit der Richtungsweisung und daran, daß man den Männern der Tat diese Direktiven bieten muß. Ich habe selbst vierundzwanzig Jahre lang in der Industrie gearbeitet. Die Industrie hat nicht nur ein gut Teil des technologischen Talents der Welt für sich in Anspruch genommen, sondern auch ein gut Teil der besten vernünftigen und energiegeladenen Köpfe dieser Welt. Dies ist ein Potential, das in der großen Veränderung, die auf uns zukommt, unser Verbündeter sein muß. Ich glaube an das private Unternehmertum, allerdings nicht auf der Basis der Konkurrenzverschwendung. Vordringlich müssen wir der Umweltverschmutzung zu Leibe rükken. Es ist kein großes Problem. Manche Umweltspezialisten haben das Problem aufgebauscht. Das Beispiel London zeigt uns, daß man die Luft und das Wasser saubermachen kann, ohne allzu kostspielige Aufwendungen. Das zweite Problem ist die Verschwendung. Wir verschwenden die Rohstoffvorräte dieser Erde in einer entsetzlichen und unverantwortlichen Weise. Solange Kupfer billig ist, solange Zinn billig ist, verwenden wir sie, ohne an die künftige Knappheit zu denken. Doch das Wichtigste ist natürlich, daß wir rechtzeitig eine reichliche Energieversorgung sicherstellen, indem wir Atomenergie an die Stelle von Erdöl und Kohle und synthetisches Öl an die Stelle natürlichen Öls setzen. Das müssen wir tun, solange das Öl noch aus der Erde sprudelt. Die Natur hat diese Vorräte in Hunderten Millionen Jahren angesammelt, und wir verschwenden sie so etwa in einem einzigen Jahrhundert. Hier | |
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kann uns die Technik helfen, und darum würde ich gern die Wissenschaft und Technologie in ihrer Gesamtheit mobilisieren, damit sie uns Erfindungen und Verbesserungen liefern, die zwar momentan noch nicht gewinnbringend sind, die jedoch unabdinglich sein werden, wenn wir jemals zu einem vernünftigen Gleichgewicht finden wollen.
Aber wie können Wissenschaftler und die vernünftigen Köpfe dieser Welt die Politiker dahingehend beeinflussen, daß sie die notwendigen Entscheidungen treffen? In diesem Punkt bin ich nicht ganz so pessimistisch wie manche andere. Selbstverständlich sind Politiker keine wahnsinnigen Narren. Die Politiker stecken in einer Zwangsjacke. Sie müssen ihren Wählern zu Gefallen sein, die gewöhnlich auf einem niedrigeren intellektuellen Niveau stehen und manchmal auch über niedrigere ethische Prinzipien verfügen. Lassen Sie sich von dem nicht schockieren, was ich Ihnen sage; es ist eine schlichte Tatsache. Die britische Labour-Regierung hat drei Gesetze gegen die Überzeugung der Mehrheit der Öffentlichkeit erlassen, die meiner Meinung nach ethisch-progressiv sind: die Gesetze über Homosexualität, Schwangerschaftsunterbrechung und zur Abschaffung der Todesstrafe. Die öffentliche Meinung neigte zu mindestens achtzig Prozent zur Beibehaltung der Todesstrafe. Das gleiche traf auf den Beitritt zum Gemeinsamen Markt zu. Der Gemeinsame Markt wäre zweifellos bei einer Volksbefragung durchgefallen.
Aber wie glauben Sie, daß man die Wissenschaftler mobilisieren könnte, damit sie einen weit gewichtigeren Einfluß auf die Vereinten Nationen oder irgendeine andere Form von Weltverwaltung ausüben? Zunächst einmal müssen die Wissenschaftler mit einer einzigen Stimme sprechen. Derzeit stimmen die Wissenschaftler nicht hundertprozentig mit den Resultaten von Forrester und Meadows überein. Sie müssen also zunächst einmal zu einer Übereinstimmung kommen, und wenn sie dann mit einer einzigen Stimme sprechen, dann - so glaube ich - werden sie auch gehört werden. Der Erfindungsreichtum, mit dem das Apollo-Programm organisiert wurde, könnte von ein paar klaren Köpfen auch auf anderen Gebieten eingesetzt werden. Halten Sie den Ingenieur bitte nicht nur für einen Spielzeugfabrikanten, der mit Metallstückchen arbeitet. Im Augenblick entwickelt sich die Wissenschaft der Systemdynamik beträchtlich, ein Gebiet, das im alltäglichen Sprachgebrauch als ‘Software’-Wissenschaft bezeichnet wird. Quantitativ haben wir es heute mit sehr komplizierten Systemen zu tun, die wir früher nur unvollkommen und intuitiv kannten. Vielleicht schenkt man den Wissenschaftlern Gehör, besonders wenn sie einige Initialerfolge in der Organisierung von | |
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sozialen Projekten aufweisen können. Die conditio sine qua non jedoch ist, daß zwischen den Wissenschaftlern selbst eine grundlegende Übereinstimmung besteht.
Darf ich hier anmerken, daß SkinnerGa naar eind1 und ChomskyGa naar eind2 in einer Stadt leben, in Cambridge Massachusetts. Chomsky zerfetzt Skinner in seiner Kritik im New York Book ReviewGa naar eind3. Als ich Skinner fragte, ob er mit Chomsky über seine Ansichten diskutiert habe, ergab sich, daß dies nicht der Fall gewesen war. Später sagte mir Chomsky, er habe nur deshalb eine Kritik über Skinners Buch geschrieben, weil man ihn darum gebeten habe. Er war nicht dazu bereit, mit Skinner darüber zu diskutieren, da ‘alles, was Skinner schrieb, sowieso Quatsch war’. Die beiden leben in der gleichen Stadt. Sie sind leidenschaftliche Opponenten. Aber warum setzen sich die zwei nicht zusammen? Wenn es für zwei Wissenschaftler in Cambridge, Massachusetts unmöglich ist, miteinander zu sprechen, wie soll man dann Ordnung in die Gemeinschaft der Wissenschaftler der Welt bringen? Sowohl Chomsky wie Skinner sind natürlich ‘Soft’-Wissenschaftler. Ich dachte eigentlich wirklich an ‘Hard’-Wissenschaftler, an Physiker, Chemiker, Biochemiker, Pharmakologen und so weiter.
Da wir gerade über Wissenschaftler sprechen, sollten wir nicht die ‘Soft-’ und die ‘Hardware’-Wissenschaftler zusammenbringen? Ich wünschte, wir könnten das. Aber Sie sehen ja ganz deutlich, wie schwierig das sein wird. Für uns, die ‘Hardware’-Wissenschaftler, ist es natürlich ein bißchen lächerlich, daß jeder Psychologe zum Beispiel, der über eine persönliche kleine Idee stolpert, sofort eine eigene Schule gründet. Wir in den ‘Hardware’-Wissenschaften haben keine Schulen oder Parteien, und vielleicht wird es uns ja auch mit der Zeit gelingen, die ‘Geistes’-Wissenschaften zu durchdringen. Ökonomie ist heute bereits zu einer exakteren Wissenschaft geworden.
Wir sprechen von der Wissenschaft. Die Wissenschaft in Kombination mit Nationalismus schuf eine Situation - so schrieben Sie -, in der ein totaler Krieg die Zivilisation auslöschen könnte. Wie groß ist Ihre Hoffnung, daß mit diesen ersten globalen Modellen, die Meadows und Forrester aufgestellt haben, ein derartiger Nationalismus beseitigt werden könnte, damit man berechtigterweise Hoffnung haben kann? In dieser Beziehung bin ich sehr zuversichtlich. Ich bin heute sogar noch zuversichtlicher als zu der Zeit, da ich mein letztes Buch schrieb, in dem ich behauptete, daß ich die Möglichkeit eines nuklearen Krieges zwischen Amerika und Rußland in diesem Jahrhundert mit einer Wahrscheinlichkeit gleich Null bewerten würde. Ich war damals in bezug auf China nicht so zuversichtlich, doch was ich mittlerweile über | |
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Rotchina erfahren habe, brachte mich doch zu einer optimistischeren Einstellung. Es ist ganz klar, daß, solange Maos Lehren Maßstab bleiben, China nicht den Versuch unternehmen wird, den Rest der Welt, also uns, auszulöschen. Es hat den Anschein, als arbeite China auf einen technologischen Intermediärzustand hin. Es will nicht zur industriellen Supermacht und zu einer Konsumgesellschaft werden. Darin entdecke ich wirklich so etwas wie ‘Weisheit des Ostens’, der ich normalerweise mit großer Skepsis begegne. Ich glaube ganz ehrlich nicht, daß wir in diesem Jahrhundert mit dem Einsatz von biologischen Kriegswaffen rechnen müssen. Können wir wirklich kriegerische Auseinandersetzungen eliminieren? Ist nicht die Auseinandersetzung für den Menschen eine Notwendigkeit? Ist nicht Aufregung ebenso nötig wie das tägliche Brot? Ich fürchte, daß das stimmt. Aber die Erregung, die wir derzeit bei den Arbeitskämpfen in der Industrie erleben, könnte uns in eine solch ernste Krise stürzen, daß die Mehrzahl der Menschen nach starken Regierungen verlangen wird, was natürlich nur eine andere Bezeichnung für Diktatoren ist.
Eine Rückwärtswendung zum Faschismus? Es könnte uns effektiv wieder zum Faschismus führen. Ich habe diese Bewegung selbst vor dreißig Jahren in Deutschland erlebt. Ich hege die Befürchtung, daß es leider auch in anderen Ländern derartige Anzeichen gibt, etwa hier in Italien, wo - wie Sie ja wissen - der Faschismus in letzter Zeit ständig gewachsen ist, wenn auch bisher noch nicht zu gefährlichen Ausmaßen. Doch ein gewisses Maß an Auseinandersetzung muß natürlich in einer freien Gesellschaft bestehenbleiben; Aufregung muß erhalten bleiben; hoffen wir nur, daß sich dies auf einem Niveau halten läßt, auf dem man leben kann.
Haben Sie nicht das Gefühl, daß das Fernsehen eine ganze Menge Auseinandersetzung im übelsten Sinn präsentiert? O ja, im übelsten Sinn des Wortes, da dort Gewalttätigkeit beiläufig dargestellt wird, aber ich glaube doch, daß das Fernsehen im großen und ganzen auf 95 Prozent der Zuschauer eine kathartische Wirkung ausübt. Etwa fünf Prozent versuchen die Gewalttätigkeit zu imitieren, anders ausgedrückt, 95 Prozent begnügen sich mit Ersatz-Gewalttätigkeit.
Aber ein einziger Attentäter genügt für einen Mord. Ja, ich fürchte, diese fünf Prozent sind eine ernste Gefahr. Es sieht in etwa so aus, daß fünf Prozent einerseits die Welt intellektuell weiterbringen und daß es auf dem anderen Ende der Skala, dem unteren, fünf | |
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Prozent debile Kriminelle (und manchmal sind sie nicht einmal debil) gibt, die uns in Gefahr bringen.
Trotzdem, eine einzige Kugel könnte die Welt kaputtmachen. Ja, allerdings. |