Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Barry CommonerBarry Commoner ist einer der international angesehensten Ökologen. Er wurde 1917 in New York City geboren, studierte am Columbia College Zoologie und promovierte 1941 an der Harvard University in Biologie. 1941 wurde er als Assistenzprofessor für Pflanzenphysiologie an die Washington University in St. Louis, Missouri, berufen. Von 1965 bis 1969 leitete er den Fachbereich Botanik, im gleichen Jahr wurde er zum Direktor des Instituts für die Biologie natürlicher Systeme ernannt. Er veröffentlichte unter anderem: Science and Survival, 1966, und The Closing Circle, 1971 (Wachstumswahn und Umweltkrise).
Was ist Ihre Reaktion auf den Bericht des Club of Rome? Ich habe den Bericht studiert und möchte sehr ernste wissenschaftliche Einwände dagegen erheben. Die Methode, deren man sich bediente, war, Daten über die historischen Trends verschiedener Parameter zu sammeln, die in der Rohstoff- und Umweltkrise eine Rolle spielen, diese Kurven mathematisch zu projizieren und im Computer in Interaktion treten zu lassen. Die Art und Weise, wie die einzelnen Parameter interagieren - zum Beispiel Bevölkerungswachstum, Nahrungsmittelversorgung, technische Entwicklung -, bildet ja in der Tat die Substanz des Computerprogramms. Entscheidend ist daher die Frage, welche Interaktionsmechanismen für den Entwurf des Computerprogramms gewählt wurden. Wenn man sich den Report näher ansieht, findet man nur eine sehr kurze Erklärung, worin es heißt, die Interaktionsfrage sei durch Erörterung mit führenden Autoritäten und durch Heranziehung von Literatur gelöst worden. Die Wechselbeziehungen, für die man sich schließlich entschied, schließen zwei Bereiche - wirtschaftliche und soziale Faktoren - völlig aus. Durch Eliminierung dieser Faktoren wurde die Software des Computers, das heißt das Programm, so präjudiziert, daß die Ergebnisse durch ökonomische Maßnahmen nicht beeinflußt werden können. Vereinfacht gesagt: Wenn der Computer nicht mit ökonomischen Informationen versehen wird, dann berücksichtigen seine Antworten den Bereich der Wirtschaft nicht. Das ist das logische Ergebnis dieser Programmierung. Ich habe mich eines genau umgekehrten Ansatzes bedient. Ich habe historische Trends untersucht - der Luft- und Wasserverseuchung, des Bevölkerungswachstums und so weiter - und habe gefragt, welche Interaktionen zwischen den einzelnen Faktoren aus diesen Trends ablesbar sind. Das habe ich in meinem Buch The Closing Circle beschrieben. Meine Untersuchung hat ergeben, daß in einem | |
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Land wie den USA die Hauptursache der zunehmenden Umweltverschmutzung weder im Bevölkerungswachstum noch im gestiegenen Pro-Kopf-Verbrauch, sondern in der veränderten Produktionstechnik zu suchen ist, die von wirtschaftlichen Erwägungen - dem Wunsch nach erhöhter Produktivität und erhöhtem Profit - diktiert wurde. Das führt mich zu der Schlußfolgerung, daß die Hauptschuld an der Umweltkrise in den Vereinigten Staaten die Wirtschaft trägt. Deshalb muß das Heilmittel auch vor allem im wirtschaftlichen Bereich gesucht werden. Das ist genau das Gebiet, das die MIT-Studie in ihren Schlußfolgerungen ausspart. Mit anderen Worten, die ganze Mathematik des Meadows-Entwurfs fußt auf der Eliminierung des Faktors, der meinen Daten zufolge als der wichtigste in bezug auf die Umweltverschmutzung anzusehen ist, nämlich die Wirtschaft. Deshalb muß ich aus wissenschaftlichen Gründen schließen, daß bei der von Meadows angewandten analytischen Methode der Irrtum schon mit eingebaut ist.
Der Kreis schließt sich nicht. Ist ein Computermodell überhaupt ein geeignetes Mittel - Nein. Ich glaube, Computermodelle sind gegenwärtig noch irreführend, weil sie einen zwingen, die Daten so auszuwählen, daß jegliche Information ausgeschlossen bleibt, die nicht mathematisch darstellbar ist. Es ist viel sinnvoller für uns, Daten zu sammeln und darüber nachzudenken, als die Daten an den Computer weiterzugeben. Meiner Erfahrung nach ist ein Computermodell, das auf einem ungenügenden Verständnis der theoretischen Grundlage des Problems aufgebaut ist, nicht nur nutzlos, sondern irreführend. Ich will Ihnen erklären, warum. Zunächst: Um zu behaupten, daß dem Wachstum Grenzen gesetzt sind, braucht man keinen Computer. Viele Ökologen, darunter auch ich, haben immer wieder gesagt, daß es angesichts der theoretischen Grundlage der Ökologie und der Eigenschaften der Biospähre absolut klar sei, daß der Ausbeutung der Biosphäre Grenzen gesetzt seien. Deshalb ist die zentrale Schlußfolgerung des Berichts, daß dem Wachstum Grenzen gesetzt sind, überflüssig. Diese Schlußfolgerung basiert angeblich auf der Computeranalyse. Die Computeranalyse ist jedoch so falsch und so irreführend, daß man an diesen alten Gedanken eine Reihe irreführender Schlußfolgerungen angehängt hat. Und deshalb meine ich, daß die Meadows-Studie in gewisser Hinsicht einen Rückschritt darstellt, weil sie einen alten Gedanken aufgreift und ihm eine irreführende Deutung, einen irreführenden Kontext gibt. Und den Leuten das Gefühl zu geben, zur Lösung der Weltprobleme müsse vor allem das Wachstum unter Kontrolle gebracht werden, ist meiner Ansicht nach falsch, obwohl es klar ist, daß wir nicht ewig weiterwachsen können. Die Frage, die gestellt werden muß, ist, welche Ursache unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten haben. Wenn wir wol- | |
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len, daß die Menschen handeln, müssen sie verstehen, warum sie in Schwierigkeiten sind und was dagegen getan werden muß. Es gibt keine Evidenz, daß die Erreichung der Wachstumsgrenzen schuld an unseren gegenwärtigen Umweltproblemen ist. Mit anderen Worten: Wenn, wie wir alle wissen, daß dem Wachstum der Produktion etwa in den Vereinigten Staaten Grenzen gesetzt sind, dann könnten sich zweifellos Umweltstörungen ergeben, sobald wir uns diesem Punkt nähern. Aber die Ursache der Umweltmisere in den USA liegt woanders. Warum haben wir beispielsweise Schwierigkeiten mit der Energieversorgung? Lassen Sie mich etwas ausholen. Die Energieproduktion steigt sehr rasch und ist eine der Hauptursachen der Verschmutzung. Ein Grund dafür ist, daß sich die Industrie von Werkstoffen wie Stahl auf Aluminium umgestellt hat. Warum hat sie sich auf Aluminium umgestellt? Weil der Stahl knapp wird? Nein, weil die Gewinne bei Aluminium höher sind als bei Stahl und sich in unserer Wettbewerbsgesellschaft die Produktion dorthin verlagert, wo die Gewinne am höchsten sind. Ich will damit sagen, daß der Grund für unsere Schwierigkeiten nicht die Erreichung der Wachstumsgrenze ist. Der Grund ist vielmehr, daß wir Technologien entwickelt haben, die ungeheuer umweltfeindlich sind. Ich könnte mir vorstellen, daß niemand hungern müßte, wenn wir alle Nahrungsmittel nähmen, die es in der Welt gibt, und sie gerecht unter allen Menschen aufteilten - der Grund des Hungers in der Welt ist nicht der Mangel an Nahrungsmitteln, sondern die ungerechte Verteilung. Es ist eine wirtschaftliche und politische Frage. Ich sehe deshalb den MIT-Report als einen Rückschritt an, weil er eine abstrakte und allgemein akzeptierte Tatsache, daß es Grenzen gibt, in falscher Weise auf die aktuelle Situation anwendet. Und ich glaube, daß er den Leuten eine falsche Vorstellung von den Ursachen der gegenwärtigen Schwierigkeiten gibt. Ich halte es auch für äußerst ungünstig, daß der Club of Rome dem Report so viel politisches Gewicht gegeben hat, was viele Leute dazu verleitete, die Ideen zu akzeptieren, ohne die wissenschaftlichen Voraussetzungen überprüfen zu können.
Sie sehen auch eine politische Gefahr, denn Sie schrieben, die Umweltkrise sei heute das gefährlichste politische Problem der Welt.Ga naar eind1 Ich glaube, die Geschichte des Club of Rome-Berichts ist ein Beispiel für meine Behauptung, daß die Umweltfrage zu einem gefährlichen politischen Problem werden kann. Wenn man auf Grund dieser Studie zu dem Schluß kommt, daß die Umweltkrise nur gelöst werden kann, indem man Verbrauch und Bevölkerung reduziert, dann kommt man, wie mir scheint, dem nächsten Schritt sehr nahe, der durch das englische Planspiel zum ÜberlebenGa naar eind2 exemplifiziert wird. Dieser verhängt ein autoritäres Regime über das Land, schreibt den Leuten vor, wo sie zu wohnen haben, was gebaut werden soll, und so weiter - ein vollkom- | |
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men durchorganisiertes, ‘orchestriertes’ System, wie man es nennt. Freilich ist es notwendig zu beschließen, was geschehen soll, aber politisch gefährlich wird es, wenn ein Programm vorgelegt wird, das das ganze Land einer unerhört rigorosen Kontrolle unterwirft, ohne zu sagen, wer diese Kontrolle ausübt. Diese Art des Vorgehens ermöglicht es, sich der Umweltfrage in, sagen wir einmal, faschistischer Weise zu bedienen.
Glauben Sie, daß eine rationale Verwendung der amerikanischen Rohstoffe nur durch Vergesellschaftung der Volkswirtschaft im klassischen marxistischen Sinn sichergestellt werden kann, was Peter L. Berger als ‘versteckte Agenda für den Sozialismus’ bezeichnet hat?Ga naar eind3 Die wichtigste Lehre aus der Umweltkrise ist, daß die Biosphäre sowohl für die industrielle wie für die landwirtschaftliche Produktion ein essentielles Produktivkapital darstellt. Ebenso klar ist, daß die Biosphäre notwendigerweise der ganzen Gemeinschaft gehört. Es ist wenig sinnvoll, die Luft oder das Wasser aufzuteilen und in Privatbesitz zu vergeben. Wir sind nun mit einer ziemlich wichtigen neuen Erkenntnis konfrontiert, auf die ich in einem Kapitel meines Buches hingewiesen habe. Zum erstenmal ist klargeworden, daß alle gegenwärtigen Wirtschaftstheorien, sowohl die kapitalistischen wie die sozialistischen, einen wesentlichen Produktionsfaktor, die Biosphäre, vernachlässigen. Sowohl in den kapitalistischen wie in den sozialistischen Theorien fehlt diese wichtige Komponente. Wenn man nun hergeht und diese Komponente in die beiden Theorien einbaut, dann stellt sich heraus, daß das Konzept der freien Marktwirtschaft in heftigen Konflikt mit ökologischen Imperativen gerät. Natürlich ist es wenig sinnvoll, das Eigentum auf privatwirtschaftlicher Basis zu organisieren, wenn nicht nur die vom Menschen organisierte Produktion im klassischen marxistischen Sinn vergesellschaftet, sondern sogar ein Teil des Kapitals, die Biosphäre, Gemeinschaftsbesitz ist. Mit anderen Worten, wie ich in The Closing Circle ausführte, die Privatwirtschaft, die freie Wirtschaft, mag frei sein, aber sie ist nicht völlig privat, denn jedes private Unternehmen benützt ein gemeinschaftliches Gut, die Biosphäre. Deshalb erschiene ein Produktionssystem, das auf Gemeineigentum basiert, geeigneter als eines, das auf Privateigentum beruht. Das klassische marxistische Konzept der Vergesellschaftung der Produktionsmittel vermag den Erfordernissen der Biosphäre besser gerecht zu werden als das des Privateigentums. Die Leute fragen immer: Wie kommt es, daß es in der Sowjetunion Umweltverschmutzung gibt? Der Grund ist, daß in der Sowjetunion, ebenso wie in den Vereinigten Staaten, die Biosphäre als wesentlicher Produktivfaktor außer acht gelassen wurde. Während in den USA die Manager auf höheren Profit aus waren, strebten sie in der UdSSR nach Erfüllung der Produktionsquoten. Doch es hat den An- | |
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schein, als ob sie häufig ihre Produktionspläne erfüllten, ohne sich um die daraus resultierende Verseuchung zu kümmern. Jetzt, da man die Notwendigkeit des Umweltschutzes in beiden Ländern erkannt hat, dürfte er in der Sowjetunion leichter zu verwirklichen sein als in den Vereinigten Staaten. In den USA ist es schon offenkundig, daß ernste Kollisionen zwischen dem Profitstreben der Industrie, der Forderung der Arbeiter nach Arbeitsplätzen und dem Wunsch der Bevölkerung nach einer sauberen Umwelt unvermeidlich sind. Vielerorts hat die Notwendigkeit, die Umweltverschmutzung durch die Industrie zu reduzieren, schon zum Verlust von Arbeitsplätzen geführt. Der Konflikt zwischen Profitmotiv und den Wünschen der Arbeiter dürfte sich in dem Maße verschärfen, in dem die Umweltsanierung voranschreitet.
Welche Aktionen sind erforderlich? Wie ich in meinen beiden Büchern ausführlich dargestellt habe, handelt es sich hier nicht um wissenschaftliche Fragestellungen. Es geht um politische Entscheidungen, um Werturteile. Man muß den Nutzen, den man aus einem Kernkraftwerk zieht, abwägen gegen das Risiko der Radioaktivität. Das ist keine Frage für die Wissenschaft. Dazu braucht man kein Doktorat, keine bestimmte berufliche Vorbildung. Man muß die Fakten überblicken können und ein menschliches Gewissen haben. Jedermann hat, glaube ich, das Recht, sein Gewissen auszuüben. Was die meisten Menschen daran hindert, Entscheidungen über diese Dinge zu treffen, ist, daß sie nicht über die nötigen Fakten verfügen. Und die Aufgabe des Wissenschaftlers, des Fachmannes, ist es, dafür zu sorgen, daß den Menschen die erforderlichen Fakten zur Verfügung stehen. Ich bin bereit, mich der Entscheidung des Volkes zu fügen. Ich bin nicht bereit, mich den Entscheidungen Herrn PecceisGa naar eind4 und der mit ihm befreundeten Premierminister zu fügen. Sie haben meiner Meinung nach kein Recht, sich an die Spitze des Weltgewissens zu stellen. Wir müssen uns klarmachen, daß wir einer neuen politischen Situation konfrontiert sind. Wir haben einen wichtigen Aspekt unseres Lebens vernachlässigt, der jetzt wieder in unserem Denken Platz greift. Ich glaube, die Urteile sollten auf der Basis weltweiten Verständnisses und aufgeklärter Meinung gefällt werden. Sie fragen vielleicht, wie werden die Menschen handeln. Ich weiß es nicht. Die Menschen erfinden Handlungsweisen, sobald sie eine Situation verstehen. In meiner Diskussion mit Peccei wies ich darauf hin, daß er auf Ministerpräsidenten und Wissenschaftler vertraue, während ich mich auf die Weisheit der einfachen Leute verlasse. Wir werden ja sehen, wer recht behält.
Aber Peccei setzt auch auf die Journalisten und Medien. Würden Sie die Journalisten zu der Gruppe von Leuten rechnen, die dazu beitragen können, das menschliche Gewissen zu erwecken? | |
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Ja, das ist natürlich richtig. In den Vereinigten Staaten ist das sehr evident. Es gibt hier eine Bewegung unter Wissenschaftlern, das Scientist Institute for Public Information, die sich zum Ziel setzt, der Öffentlichkeit Informationen zu vermitteln. Die Nachrichtenmedien und Journalisten helfen uns dabei sehr. Die politische Frage ist hier, ob man den Menschen vertraut oder ob man glaubt, die Meinung von Politikern manipulieren zu müssen. Ich vertraue lieber den Menschen. |
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