Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Robert JungkRobert Jungk wurde 1913 in Berlin geboren. Er studierte Philosophie und Psychologie in Berlin und Paris, arbeitete als Journalist in Zürich, wo er auch sein Universitätsstudium mit einer historischen Doktorarbeit abschloß. Von 1947 bis 1952 lebte er als Korrespondent in den Vereinigten Staaten und schrieb sein erstes Buch Die Zukunft hat schon begonnen, mit dem er sich internationales Ansehen als sozial engagierter, kritischer Wissenschaftspublizist erwarb. Seit 1968 hat Jungk einen Lehrauftrag für Zukunftsforschung an der TU Berlin. Weitere Veröffentlichungen: Heller als tausend Sonnen, 1956; Strahlen aus der Asche, 1959; Die große Maschine, 1966 und Der Jahrtausendmensch. Bericht aus den Werkstätten der neuen Gesellschaft, 1973.
Was mich in den vergangenen Monaten betroffen gemacht hat, als ich mit hervorragenden Wissenschaftlern Gespräche führte, war, daß zum Beispiel ein Atomphysiker einfach nicht wußte, worüber ich sprach, wenn ich Fragen stellte über die psychische Seite des Lebens und sogar der Wissenschaft. Wir werden Übersetzer brauchen. Sehr oft verstehen die Wissenschaftler einander nicht. Ich betrachte mich als Übersetzer, als Vermittler zwischen Wissenschaftlern und Politikern, weil ich lange Zeit in politischen Kreisen gelebt habe. Aber wir brauchen nicht nur Übersetzer, wir brauchen an unseren Universitäten Seminare, in denen Wissenschaftler und Spezialisten lernen, miteinander oder mit der öffentlichkeit oder mit den Politikern zu reden. Wir leben heute in einem phantastischen babylonischen Turm, in dem die Leute nicht mehr die gleiche Sprache sprechen.
Das ist das Problem der heutigen Welt. Niemand spricht die gleiche Sprache. Wir müssen die Kommunikation wiederherstellen. Ich glaube, daß es möglich ist. Woran mir vor allem liegt, ist, die Kluft zwischen den Wissenschaftlern und den einfachen Leuten, zwischen den Intellektuellen und den einfachen Leuten zu überbrücken. Ich glaube, daß zwischen Besitzenden und Besitzlosen neue Trennungslinien verlaufen. Die Besitzlosen sind nicht bloß die Leute, denen es an materiellen Gütern fehlt. Die wahren Habenichtse sind jene, die nie ihre eigenen Ideen und Gedanken ausdrücken können, die zu lebenslanger Rezeptivität und Passivität verdammt sind. Wenn man einem Menschen die Möglichkeit nimmt, sich zu äußern, eigene Ideen zu entwickeln, die ‘Zukunft zu | |
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erfinden’, wie Gabor sagt, wenn man die Erfindung der Zukunft ein paar Planern und Intellektuellen überläßt, statt jedem die Chance zu geben, sich an der Erfindung seiner Zukunft zu beteiligen, denn die Zukunft gehört jedem von uns, dann wird dieser Mensch kein Interesse haben.
Ist das eine Frage der Schulung, der Bildung? Nein. Ich habe mich sehr für die Kreativitätsforschung interessiert, die etwas sehr Interessantes entdeckt hat. Ein Mangel an Informationen ist sehr schlecht, ein Mangel an Erfahrung, an Bildung ist auf den meisten Gebieten verheerend. Aber für die Kreativität ist Bildungsmangel ein Vorteil. Je weniger Informationen, je weniger Bildung jemand hat, je naiver er ist, desto origineller kann er sein.
Ein französischer Diplomat, der aus Peking zurückkehrte, stellte fest, daß die Menschen in New York über zuviel, in Peking über zuwenig Informationen verfügen. Nach Ihrer Theorie müßten die Chinesen demnach schöpferischer sein als die Amerikaner. Die Chinesen sind tatsächlich neue Wege gegangen, weil ihnen niemand sagte, wie etwas zu tun sei. Das wird uns vom ersten Augenblick an, von den frühesten Eindrücken an gesagt.
Wir werden programmiert - Von Anfang unseres Lebens an wird uns gesagt, so sollte es sein, so ist es. Besser wäre es, wenn jeder Mensch die Welt selbst entdecken und sie aus eigener Phantasie, eigenem Wissen und eigener Erfahrung erschaffen könnte.
Wir werden durch die Umwelt programmiert? Skinner möchte, daß wir auch weiterhin programmiert werden. Ich finde, wir sollten unser Programm selbst entwickeln. Ich habe ‘Zukunfts-Werkstätten’ ins Leben gerufen. Ich tue mich mit ungebildeten Leuten zusammen, mit jungen Arbeitern, jungen Bauern, mit Durchschnittsbürgern in Deutschland und Österreich. Ich habe das beispielsweise in Wien mit Gruppen junger Arbeiter gemacht. Ich forderte sie auf, die Zukunft zu erfinden, ihre eigene Zukunft. Ich fragte sie nach ihren verschiedenen Vorstellungen. Was wollt ihr? Was habt ihr am Bildungssystem auszusetzen? Was mißfällt euch an eurer Arbeitsumwelt? Was mißfällt euch an der allgemeinen Umwelt? Auf diese Weise kommt man zu Resultaten. Diese Leute helfen einem bei der Erstellung von ‘Negativlisten’, beispielsweise sagen sie mir, was sie an ihrer Arbeit stört. Ich schreibe eine lange Liste mit Hunderten von Einwänden auf. Dann fordere ich sie auf, zwei oder drei Dinge zu wählen, die sie sofort geändert haben | |
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möchten, die ihnen am meisten auf den Nägeln brennen. Einer sagt vielleicht, die Monotonie der ständigen Wiederholung. Die Tatsache, daß er sich nicht für die Arbeit interessieren kann. Die Tatsache, daß man ihm anschafft, was er zu tun hat, statt daß er es aus eigener Einsicht tut. Dann sage ich: Gut, habt ihr irgendwelche Ideen, was man gegen die Monotonie tun könnte, wie man mehr Initiative am Arbeitsplatz entwickeln könnte? Dann bringen sie Vorschläge. Sie entwickeln die verschiedensten Ideen. Sie sagen beispielsweise, wir könnten selbst planen, was wir produzieren wollen. Wir könnten die Projekte mit den Abteilungsleitern besprechen, aber wir werden nie gefragt. Sie sagen uns nur immer, was wir zu tun haben. Ich lasse sie nach der Methode des Brainstorming alle möglichen Ideen entwickeln. Mir geht es um gesellschaftspolitische Erfindungen. Diese Leute produzieren Ideen und dann - das ist der zweite und wichtigste Schritt in den Zukunfts-Werkstätten - ziehe ich Experten und Politiker hinzu. In Wien nahmen der Minister für die verstaatlichte Industrie und der Unterrichtsminister teil. Die Leute, die eben ein neues Bildungssystem, eine neue Form der Arbeitsorganisation ‘erfunden’ hatten, wurden nun den Entscheidungsträgern konfrontiert. Diese sagen meistens, es geht nicht, es ist zu schwierig, oder es kostet zuviel, oder es gibt diese und jene Hindernisse. Ich sagte, gut, jetzt haben wir eine Konfrontation von Traum und Realität. Setzt euch nun zusammen und entwickelt Strategien, wie diese Träume Wirklichkeit werden könnten. Und dann geschieht etwas Aufregendes. Ich habe es immer wieder erlebt, daß Leute, die kein Interesse an Politik haben, die auf keine Entscheidungen Einfluß nehmen können, sich mit den Entscheidungsträgern zusammensetzen und über Möglichkeiten diskutieren, wie man die Hindernisse überwinden könnte, wie man etwas Neues anfangen könnte. So erreiche ich zwei Dinge. Einmal beziehe ich die Menschen, die 99 Prozent der Erdbevölkerung repräsentieren, in den Entscheidungsfindungsprozeß ein, indem ich ihre Phantasie mobilisiere. Zum andern setze ich sie einem Lernprozeß aus, vermittle ‘Bildung’. Was sie damit machen, ist ihre Sache.
Das war Kreativität, soziale Kreativität. Was ist Ihr zweites großes Anliegen? Es hängt sehr eng damit zusammen. Ich bin der Ansicht, daß es unserer Zukunftsforschung vielfach an Phantasie fehlt. Ich versuche deshalb, Künstler und andere Leute, die sozusagen Spezialisten für Phantasie sind, für die Zukunftsarbeit zu interessieren. Nicht nur Wissenschaftler. Wissenschaftler gehen logisch vor, Künstler bedienen sich ihrer Intuition, ihrer Visionen.
Paolo Soleri.Ga naar eind2 Ganz richtig. Künstler haben eine gesteigerte Sensibilität. Ich versuche, die Denkweise der Künstler in die Zukunftskonzeptionen einzufüh- | |
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ren Ich glaube, die Aufgabe der Künstler in der Gesellschaft ist nicht die Beschäftigung mit der Realität, wie im sozialistischen Realismus, sondern die Anwendung ihrer speziellen Gaben der Intuition und Vision, des Erfassens von Qualität statt Quantität, auf das Leben. Ich werde in Salzburg ein Institut für die Zukunft der Kunst gründen, wo die Leute zusammenkommen werden. Zunächst wollen wir ein Dokumentationszentrum einrichten, dann werde ich Seminare veranstalten, und zuletzt werde ich forschen. Ich möchte, daß der Künstler in der Gesellschaft quasi die Rolle eines Kunstwerkes spielt. Der Künstler braucht keine Kunstwerke hervorzubringen, sondern soll der Gesellschaft als Ganzes seine speziellen Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Die zweite Phase ist die Demokratisierung der Zukunftsforschung, der Zukunftsplanung, durch Anreicherung mit Phantasie, insbesondere mit künstlerischer Phantasie als Gegenpol zur logischen, wissenschaftlichen und technischen Phantasie, die bisher dominierte. Der Mensch hat mehr Dimensionen als die der Wissenschaft und Technik. Es gibt jetzt eine neue Strömung, ich meine die Leute um John PlatGa naar eind3, Leute, die von einer neuen Wissenschaft sprechen, einer Wissenschaft, die mehr umfaßt als die rein logische, rationale Wissenschaft, die mehr Dinge einschließt, die sich nicht so klar in Worte fassen lassen, wo es mehr Assoziatives, mehr Dynamik und mehr Ideenfluß gibt, so etwas ist tatsächlich im Kommen.
Womit beschäftigt sich Ihr neues Buch? Der vorläufige Titel lautet Mensch Plus, der Untertitel Für eine neue Richtung des Wachstums.Ga naar eind4 Ich versuche folgendes zu erklären. Es ist eine gewisse Verlangsamung, vielleicht sogar das Ende unserer materiellen Entwicklung abzusehen, wie in Die Grenzen des Wachstums festgestellt wurde. Ich bin der Ansicht, daß dem Wachstum keine Grenzen gesetzt sind. In humaner und sozialer Hinsicht sind wir unterentwickelt. Ich glaube, ein neues Feld des Fortschritts ist die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten. In meinem neuen Buch habe ich sieben Bereiche genannt. Der eine, von dem ich gesprochen habe, ist die Phantasie. Die Phantasie ist eine großartige schöpferische Kraft, die verschüttet wurde und die wir befreien müssen. Der zweite Bereich ist die Entwicklung der Fähigkeit, das Ganze statt der Teile zu sehen.
Wie das MIT-Modell. Ja, das ist ein Versuch in dieser Richtung. Der dritte Bereich ist die Fähigkeit, Folgen vorauszusehen, statt sie abzuwarten. Der vierte ist das Experimentieren mit der Veränderung, die ja nichts Schreckliches, sondern etwas Natürliches ist. Statt sich davor zu fürchten, sollten Neubeginn und Experiment zu einem selbstverständlichen Aspekt des | |
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gesellschaftlichen Lebens werden. Der fünfte Bereich ist die Zusammenarbeit, denn was wir jetzt so nennen, ist reiner Wettbewerb, selbst wenn es Gruppen gibt -
Solidarität - Ja, ich meine wirkliche Kooperation, Gruppenprozesse. Wie kann man sonst den anderen Menschen als seine ‘Verstärkung’ betrachten, statt als Rivalen? Der sechste ist der ganze Bereich des nicht Zweckgebundenen, des Spielens, all jener Dinge, die man nicht um eines Nutzens, eines Ergebnisses willen tut -
Kreativität - Nein. Spielen - nicht nur Freizeit, es ist mehr, es ist eine geistige Haltung. Gewöhnlich tun wir etwas, weil wir müssen oder etwas dafür bekommen. Wir haben ein Ziel. Weil der Mensch immer durch äußere Not und Notwendigkeit gezwungen war, ist sein ganzes Können immer auf einen Zweck, ein Ziel gerichtet. Einer der Fortschritte, die der Mensch gemacht hat, ist, daß er jetzt Dinge tun kann, einfach weil sie ihm Spaß machen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Der siebente Bereich ist, was ich das wachsende Universum nenne. Je weiter man in den Himmel vordringt, desto weiter weicht das Universum zurück. In gewisser Hinsicht wächst das Universum ständig. Ich entwickle eine Idee vom wachsenden Menschen. Der Mensch wird nie Gott sein, aber er wächst dennoch unaufhörlich. Bis jetzt ist der Mensch erst bis zu einem sehr kleinen Teil dessen, wozu er fähig ist, gewachsen. Der Mensch ist größer, als man bisher von ihm meinte. Ich spreche von ‘Mind Laboratories’ (Geisteslaboratorien), wie ich in einem Artikel für UNESCO geschrieben habe. Diese würden eine ähnliche Pionierrolle spielen wie die Physik-, Biologie- und Chemielaboratorien des 19. und 20. Jahrhunderts. In den Geisteslaboratorien würden Anthropologen mit Soziologen, Psychologen, Ideologen und Pharmakologen zusammenarbeiten. Es handelt sich um eine Art zukünftiger Anthropologie, deshalb interessiere ich mich so sehr für Edgar Morin,Ga naar eind5 weil er etwas in dieser Richtung versucht. Ich glaube, daß diese Geisteslaboratorien ähnliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Menschheit haben werden wie die naturwissenschaftlichen in der Vergangenheit.
Wieviel Sympathie und Verständnis findet dieser Vorschlag in wissenschaftlichen Kreisen? Ich habe diese Idee zum erstenmal in der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift der UNESCO vorgetragen. Die Sache ist die: Es wächst eine neue Generation von Wissenschaftlern heran, die weit weniger fachbezogen, viel universeller denkt. Sie kennen wahrscheinlich Theodor Roszacks Buch Gegenkultur, wo auf diesen wichtigen Punkt hingewie- | |
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sen wird. Roszack spricht vom Mythos der Objektivität. Die Tatsache, daß die Wissenschaft alles zu zergliedern sucht und nicht das Ganze sieht -
Was McLuhanGa naar eind6 compartmentalization nennt. Richtig. Darum glaube ich, daß unter den jungen Wissenschaftlern eine phantastische Entwicklung festzustellen ist. Sie werden imstande sein, die Geisteslaboratorien zu schaffen -
Weil sie Universalisten sind - Sie sind Universalisten, und sie bilden sich auf ihr eigenes Fach nicht so viel ein. Eine Gruppe in Heidelberg beispielsweise untersucht Phänomenkomplexe statt Einzelphänomenen.Ga naar eind7 So muß man an die Dinge herangehen. Wenn Sie mich also fragen, wie die Wissenschaftler meine Ideen aufgenommen haben - ich habe ausgezeichneten Kontakt mit jüngeren Wissenschaftlern, weil sie das verstehen. Die älteren meinen immer noch, daß allein Genauigkeit zählt, was wir in der Soziologie die Fliegenbeinausreißmethode nennen, das heißt, wenn man Fliegenbeine zählt, statt das Allgemeine, das Ganze zu sehen. Die jungen zählen nicht mehr Fliegenbeine. Sie sehen die großen Probleme und wie sie zusammenhängen und sich ändern, vor allem sehen sie die Dynamik. Dies ist die zentrale Idee, die allen meinen Unternehmungen zugrunde liegt. Ich bin in Physik-, Biologie- und Chemielabors gewesen; überall geht es nicht mehr um das einzelne Atom, das einzelne Molekül, sondern es werden Prozesse studiert, dynamische Prozesse. Es gibt nicht Atome, sondern Energieausbrüche, die man als Atome fotografieren kann. Ein dynamischer Prozeß läuft ab. In den Sozialwissenschaften ist es meiner Meinung nach ähnlich. Wir hatten bisher eine statische Auffassung von der politischen und sozialen Realität, jetzt entwickeln wir eine dynamische. Die Wissenschaft arbeitet mit Daten. Wenn man die Daten liest, sind es Tausende von Abfallprodukten, von Partikeln der Realität. Wenn man ein Buch liest, haben die Ereignisse das Buch bereits hinter sich gelassen. Man muß also seine Vorstellung von der Realität, von den Daten revidieren. Statt der Geschichte und den Ereignissen hinterherzulaufen, muß man den Fluß der Dinge, die Dynamik der Dinge erfassen.
Das ist auch die Auffassung des Club of Rome. Ja, genau. Der Begriff der Dynamik wird eingeführt. Was ich am Ansatz des MIT zu kritisieren habe, ist, daß immer noch zuwenig Faktoren berücksichtigt werden, daß das Modell immer noch zu eingeschränkt ist. Als ob man einen Menschen nur als Skelett darstellte. Man sieht das Fleisch nicht. Ich sehe die Knochen der Geschichte im MIT-Bericht, ich sehe die großen Linien, aber ich sehe das Fleisch nicht. Ich | |
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sehe den Atem nicht, die Kontur, das Leben. Das hat sehr viel mit unseren rigiden, alten Methoden der Wahrnehmung zu tun, mit unserer rigiden, alten Art, die Dinge zu sehen, Wir wollen sie festhalten. Faust sagt, Goethe sagt, du schreibst es nieder, und dann kannst du es nach Hause tragen. Nichts dergleichen. Man trägt einen Leichnam nach Hause, etwas Totes, das Leben geht weiter. Wir müssen uns mit dem Leben verknüpfen, deshalb fand ich McLuhan so interessant, denn in den elektronischen Medien sieht man sozusagen dem Prozeß zu, während er abrollt.
Sehen wir im Fernsehen nicht nur einen Schatten der Wirklichkeit? Und damit eine Verfälschung? Nein, es ist unvollständig. Es ist zweidimensional. Es ist nicht dreiund vierdimensional. Sie wissen, was ich meine, es ist nur eine Ahnung.
Ist es nicht gefährlich, nach Ahnungen zu leben? Ja und nein. Nein, wenn man sie nur als Ahnung sieht und weiß, daß sich das vollständige Bild aus dem ‘Schatten’ plus dem, was man selbst hinzufügt, zusammensetzt.
Sie mögen es so interpretieren. Aber die große Mehrheit der Fernseher? - Sie haben ganz recht, es gibt große Mißverständnisse. Der Club of Rome-Ansatz birgt unter anderem folgende Gefahr. Die Grenzen des Wachstums wird zu einer Art technokratischer Ideologie, etwas, das sicher weder Aurelio PecceiGa naar eind8 noch Meadows beabsichtigten. Eine VIP, eine bedeutende Persönlichkeit, tritt auf und verkündet, die Welt sei in Gefahr, wir müßten schnell etwas tun, wir müßten entscheiden, was zu tun sei, und die Leute hätten sich danach zu richten, wir müßten die Welt retten und wir hätten keine Zeit mehr, über alles zu diskutieren. Ich fürchte, daß sich der Gedanke des Club of Rome zu einer technokratischen Ideologie auswächst, die ein paar Mächtigen als Rechtfertigung dient, wenn sie ihre Ideen und ihre Vorstellung von Entwicklung dem Lebendigen und Widerspruchsvollen oktroyieren, einer Realität, die voll von Widerspruch ist. Ehrlich gestanden, fürchte ich Forrester.Ga naar eind9 Ich habe ihn kennengelernt. Er ist ein stalinistischer Typ. Er gehört einem Menschenschlag an, der im Grunde sehr kalt, sehr inhuman ist, der der Wirklichkeit seine Vorstellungen aufzwingen möchte. Diese Kälte äußerte sich in fast allem, was er sagte, beispielsweise, daß man die Slums beibehalten sollte, statt neue Wohnviertel für die Menschen zu bauen. Er behauptet, man solle zuerst die Produktivität erhöhen. Aber das ist überaus gefährlich. Deshalb liegt mir so sehr daran, die Menschen einzubeziehen. Wenn man die Leute nicht fragt, wenn man nicht berücksichtigt, was die Leute wollen, wenn man ihnen Ideen aufzwingt, | |
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wenn man ihnen Planungen aufzwingt, dann sät man Revolutionen und Explosionen von nie dagewesener, nie gekannter Gewalt. Ich bin wirklich fest überzeugt, und ich spreche aus der Erfahrung meiner Zukunfts-Werkstätten, daß die Menschen viel vernünftiger, viel einfallsreicher sind, als wir es ihnen zutrauen - wenn wir die Geduld aufbringen, wenn wir uns die Zeit nehmen, mit ihnen zu reden. Die Intellektuellen haben keine Geduld. Das war meine Hauptschwierigkeit mit Oppenheimer,Ga naar eind10 Oppenheimer war ungeheuer intelligent. Er war etwas Besonderes, aber er hatte keine Demut. Er hatte keine Geduld. Er war nicht imstande, mit einfachen Leuten zu sprechen und sie zu verstehen. Wenn es zu der Krise kommt, die im Bericht des Club of Rome beschrieben wird, dann brauchen wir die Ideen jedes einzelnen. Wir müssen unsere Basis der Kreativität und Originalität verbreitern, und wir müssen auch die Bevölkerung auf unserer Seite haben, statt ihr Ideen aufzuzwingen. Insoweit denke ich in einer anderen Richtung. Die wichtigsten Sätze in Die Grenzen des Wachstums sind für mich die letzten des Buches, wo es heißt, daß der Mensch sich selbst, seine Ziele und Wertvorstellungen ebenso erforschen muß wie die Welt, die er verändern will. Dort sollten wir mit unserer Arbeit fortfahren. Wir sollten von dort ausgehend an der Entwicklung des Menschen arbeiten. Das versuche ich zu tun. Deshalb heißt mein neuer Mensch ‘Mensch Plus’. Wir dürfen den Menschen nicht nur elitär sehen, sondern müssen wirklich jeden einschließen. Und ich würde sagen, wenn wir analog zum Projekt ‘Apollo’ ein Projekt ‘Jedermann’ hätten, das die im gewöhnlichen Menschen verborgenen Schätze ausbeutet, dann würden wir eine phantastische Entdeckung machen. Dafür versuche ich zu kämpfen.
Den gewöhnlichen Menschen freizulegen - Sie vergleichen das mit einer Bohrung nach Öl - Es ist sehr schwer, durch diesen Panzer hindurchzudringen, die Ängste und Depressionen des Menschen, nach denen nie gefragt wurde. Es ist wie ein Bohren. Man muß durch die Kruste bohren, und nur, wenn man die Geduld hat, da hindurchzubohren, stößt man auf die Quellen, die lebendige Kreativität, die seit den ersten Lebensjahren verschüttet lag.
Das hat Mao Tse-tung in China gemacht. Er versucht, das zu tun, ja -
Jeder nimmt an den Entscheidungen teil. Die Frage ist bloß, drängt er die Leute nicht zu sehr, in einer Sprache, die wieder dogmatisch ist. Das Schlimme ist, daß jeder sich selbst ein Denkmal setzen will. Ich fürchte, auch Mao will sich ein Denkmal | |
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setzen, mit seiner Sprache, seinen Lehren, seinem kleinen Buch. Wenn er großzügig genug wäre, auf das Parteichinesisch zu verzichten und den Leuten erlauben würde, sich so zu äußern, wie sie es wollen, wenn er auf all die Bilder und Ikonen verzichten könnte! Wir fürchten uns alle vor dem Sterben, aber wenn wir in neuen Zeitdimensionen denken, wenn wir über unseren Tod hinausschauen und die Zusammenarbeit mit kommenden Generationen sehen, dann ist es unwichtig, was wir getan und geleistet haben, denn wir sind nur ein Teil des Menschenstromes, der durch die Jahrtausende flutet. Die Menschen sind von diesem egoistischen Ehrgeiz erfüllt, alles in einem Menschenleben erreichen zu wollen. Das ist lächerlich. Wichtige Dinge vollziehen sich sehr langsam, und wir sollten über unser Leben hinausdenken. Etwas, das wir jetzt beginnen, wird vielleicht erst in dreißig oder fünfzig oder vielleicht erst in zweihundert Jahren weitergeführt oder vollendet. Aber alle meinen immer noch, sich zu ihren Lebzeiten ein Denkmal errichten zu müssen. Das ist es, was sie dogmatisch, hart, beschränkt und unmenschlich werden läßt. |
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