Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Herman KahnHerman Kahn gilt in den Vereinigten Staaten als führender Vertreter der wissenschaftlichen Zukunftsprognostik. Er wurde 1922 in Bayonne in New Jersey geboren und studierte an der University of Southern California in Los Angeles bei Linus Pauling. 1945 ging Kahn zur Douglas Aircraft Corporation, 1947 wechselte er zur Rand Corporation in Santa Monica in Kalifornien über, bei der er von 1948 bis 1961 im Stab des Militärischen Nachrichtenwesens war. Im Jahre 1961 gründete er seine eigene Denkfabrik, das Hudson Institute in Croton-on-Hudson/New York, das überwiegend im Auftrag internationaler Konzerne arbeitet.
Seine wichtigsten Veröffentlichungen sind: On Thermo-Nuclear War 1960; Thinking about the Unthinkable, 1962 (Nachdenken über das Undenkbare); The Year 2000, 1967 (Ihr werdet es erleben); Can We Win in Vietnam?, 1968 und Why Anti-Ballistic Missiles?, 1969. Gemeinsam mit dem Historiker B. Bruce-Briggs veröffentlichte er Things To Come - Thinking about the 70's and 80's, 1971 (Angriff auf die Zukunft. Die 70er und 80er Jahre. So werden wir leben).
Victor Hugo sagte einst, daß nichts so mächtig sei wie eine Idee, deren Zeit gekommen sei. Glauben Sie, daß Die Grenzen des Wachstums eine solche Idee sind? Ich glaube, es handelt sich dabei um eine jener Ideen, deren Zeit zwiefach auf unterschiedliche Weise reif ist. Die eine davon ist die, daß der Einfluß des Menschen auf seine Umwelt heute effektiv sehr hoch ist und daß es höchst wichtig ist, daß man sofort mit der Stellung der richtigen Fragen beginnt. Was müssen wir heute tun, um zu garantieren, daß unser Verhalten sich für unsere Enkel und Großenkel als nützlich erweist? Diese Menschen sind gewissermaßen im politischen und ökonomischen Prozeß ohne Interessenvertretung. Und innerhalb des Preissystems gibt es nichts, was zu vorsichtigen Kalkulationen über mehr als zehn oder zwanzig Jahre Anlaß böte. Die Regierungen planen trotz ihrer anderslautenden Außerungen - nicht weiter als fünf Jahre im voraus. Manche Individuen planen zwanzig, dreißig Jahre für ihre Familie im voraus, aber im allgemeinen macht sich kein Mensch Sorgen um seine Großenkel oder seine Enkel. Eigentlich müßte ich sagen, es gibt drei verschiedene Aspekte, unter denen man zutreffend von einer Idee sprechen kann, ‘deren Zeit gekommen ist’. Der zweite davon ist, daß wir die Erde als ein Ganzes zu managen beginnen müßten. Dazu will ich ein grundlegendes Zitat von Nietzsche anführen: | |
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Unausweichlich, zögernd, schrecklich wie das Schicksal tritt die große Aufgabe und Frage heran: Wie soll die Welt als Ganzes regiert werden? Zu welchem Ziele sollte der Mensch - nicht länger Volk oder Rasse - erzogen und gezüchtet werden?
In neutralem Sinne ist diese Frage richtig. Wenn man aber von Nietzsches Begriffsinhalten ausgeht, dann ist sie absolut falsch. Ich glaube, die Antwort auf diese Frage sollte sein: Viele Monate wachen, viele Pfade jeden Berg hinauf. Dieses Konzept läßt sich in allen asiatischen Religionen und Gewohnheiten finden. Die Antwort auf unser Problem wird etwas sein, was wir als Mosaikkultur bezeichnen. Das Mosaik wird natürlich nicht völlig neutral sein. Wir werden innerhalb von fünfzig bis hundert Jahren in den meisten Bereichen der Welt eine postindustrielle Kultur haben. Sie können das etwa gegen Ende dieses Jahrhunderts an den OECD-Ländern feststellen.
Was für eine Kultur? Die nachindustrielle Kultur. Charakteristisch für die postindustrielle Kultur ist es, daß für alle genügend Rohstoffe vorhanden sind, daß es eine breite Basis für die Kontrolle der Umweltverschmutzung geben wird und daß dieser ganze Problemkomplex eines sehr hohen Lebensstandards für jedermann einfach eine Trivialität geworden sein wird. Das ist haargenau das Gegenteil von dem, was der Club of Rome sagt. Das genaue Gegenteil, verstehen Sie? Hundert Prozent entgegengesetzt, ich muß es wiederholen. Aber lassen Sie mich zunächst die Punkte klarmachen, in denen ich mit der Position des Club of Rome übereinstimme. Zunächst: Wir sollten an unsere Enkel und Urenkel denken und uns fragen, was für sie wichtig sein wird. Man sollte freilich verstehen, daß derartige Berechnungen viele Unsicherheitsfaktoren enthalten. In der Natur gibt es praktisch nichts, was einer exponentiellen Wachstumskurve vergleichbar wäre. Beinahe alle Kurven sind logistisch. Sie steigen an und fallen ab. Das Problem ist, wann sie abfallen und warum. Nach Meinung der Berichts des Club of Rome verlaufen sie absteigend wegen des Hungers und der Umweltverschmutzung. Ich hingegen bin der Überzeugung, daß sie wegen der Prosperität abfallend verlaufen. Die Menschen haben mehr, als sie brauchen. Ich glaube, daß die Kurven bei einem Welt-Bruttosozialprodukt absinken werden, das etwa hundertmal größer sein wird, als der Club of Rome für richtig hält. Etwa hundertmal. Wir rechnen damit, daß wir etwa fünfzig menschliche Lebensjahre in unsere eigene Untersuchung stecken müssen. Und bisher haben wir höchstens ein Jahr hinter uns. | |
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Im Hudson Institute? Im Hudson Institute. Wir haben etwa zwei Prozent dessen erledigt, was wir an Arbeit erwarten. Bei diesen zwei Prozent haben wir erheblich umdenken gelernt. Ich rechne nicht damit, daß wir erneut umdenken müssen. Wir rechnen nicht damit, daß wir in den restlichen 49 Jahren so viele Änderungen durchführen müssen wie bei den ersten zwei Prozent. Worin dieses Umdenken bestand? Ursprünglich gingen wir von der Voraussetzung aus, daß zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben ein Spitzenmanagement und große technische Neuerungen notwendig seien. Jetzt sind wir zu dem Schluß gelangt, daß wir mit unserer vorhandenen Technologie auskommen könnten, was bedeutet, daß die künftige Technologie, die besser sein wird, die Sache erleichtert. Wir wissen nicht, wieviel Management nötig ist. Wir glauben, daß wir mit einem mittleren Managementniveau zurechtkommen werden. Das ist ein vollkommen anderer Standpunkt als der des Club of Rome. Es gibt noch einen weiteren Punkt, zu dem die Meinung des Club of Rome für richtig gehalten werden könnte, die ich aber für irrig halte. Im Juni 1955 schrieb John von NeumannGa naar eind1 einen Artikel im Fortune Magazine. Es ist, glaube ich, der intelligenteste Artikel, der jemals über dieses Thema veröffentlicht wurde. Ich pflegte diesen Text im Hudson Institute bei jeder Konferenz, auf der wir über die Zukunftsaussichten der Menschheit oder verwandte Themen sprachen, verteilen zu lassen. Der Artikel weist darauf hin, daß der Platz auf der Erde knapp wird. Wir sehen uns für das Jahr 2000 der strikten Notwendigkeit gegenüber, eine, wie ich es nenne, ‘Zoning’-Ordnung aufzustellen. Eine ‘Zoning’-Ordnung ist etwa die Regulierung der Umweltverschmutzung, der Übervölkerung, der Bodennutzung, der Ausnutzung der Ozeane und so fort. Wir glauben, daß wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mit diesen Problemen der Menschheit ziemlich viel Ärger bekommen werden. Und zwar angefangen bei der wohlbekannten Energieversorgungskrise über die Probleme der Fusion von Nuklearwaffen bis zur Ausübung einer genetischen Kontrolle, bis zur Kontrolle neuartiger Drogen.
Also Cloning?Ga naar eind2 Ja, Cloning. Der ganze Bereich, der sich zufällig zusammen ergibt. Wir glauben allerdings nicht, daß all dies in fünfzig bis hundert Jahren noch Probleme aufwerfen wird. Wir vermuten eher, daß wir diesen Problemen um das Jahr 2000 das Rückgrat gebrochen haben werden. Wir werden natürlich immer Probleme haben. Es gibt einfach keine Situation ohne Probleme. Statt dessen werden die Probleme potenziert schlimmer werden. Nach dem Jahr 2000 müßten sie weitgehend gelöst sein, und brandneue Probleme werden auftauchen. | |
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Eine Form von Gleichgewicht? Ja. Der Club of Rome, der in Perioden von fünfzig bis hundert Jahren von heute an denkt, ist gewissermaßen sehr optimistisch. Die Probleme der nächsten zehn bis zwanzig Jahre sind von vitaler Bedeutung. Andererseits ist der Club sehr pessimistisch, wenn er angibt, daß wir dann auf eine Mauer stoßen werden und daß kein Weg um sie herumführt. Das ist absolut falsch! Und was meine ich, wenn ich es absolut falsch nenne? Ich muß hier sehr vorsichtig argumentieren. Wo steht der Club of Rome? Er meint: Die Rohstoffe werden knapp. Umweltverschmutzung und andere verheerende Nebenprodukte werden beinahe mit Sicherheit außer Kontrolle geraten. Die Kluft zwischen den Reichen und den Armen wird - sowohl national wie international - katastrophal rasch wachsen. Eine zentrale Planung macht es zunehmend schwieriger, vielleicht sogar katastrophal schwieriger. Industrialisierung, Technik und Überfluß sind Fallen. Wir beziehen einen anderen Standpunkt. Beinahe alle werden reich, nur manche eben rascher als andere.
Darf ich Sie hier unterbrechen? Der Berater Präsident Nixons in Ernährungsfragen, Jean Mayer, hat gesagt, siebenhundert Millionen arme Chinesen seien ein Problem, aber siebenhundert Millionen reiche Chinesen würden China im Handumdrehen zugrunde richten. Sprechen wir nicht etwa nur von unserem Teil der Welt? Nein, nein, beinahe alle werden reich, manche schneller als andere. Und unter denen, die rascher reich werden als andere, werden die Chinesen sein. Ich glaube, die letzten, die reich werden, sind wahrscheinlich die Inder und vielleicht Teile von Schwarzafrika oder Teile der islamischen Länder. Ich bin bereit, mit Ihnen zu wetten, daß die Chinesen ziemlich rapide reich sein werden.
Könnten Sie sich pro chinesischer Familie zwei Autos in der Garage vorstellen? Ich könnte es, aber ich glaube nicht, daß sie diese Lösung wählen werden. Und wenn sie es tun, dann wird es enorme Verkehrsstockungen geben.
Enthält unser Planet genügend natürliche Rohstoffe, um alle die Autos zu produzieren, die in China benötigt würden? Ja. Ich könnte sie Ihnen heute zeigen. Ich brauche gar keine verbesserte Technik dazu. Man würde ein paar Ersatzmaßnahmen durchführen müssen. Man wird den ganzen Konstruktionsplan ändern, nicht nur ein paar neue Methoden einführen. Man wird sehr viel mehr Aluminium verwenden, viel mehr Eisen, aber sehr viel weniger von einigen der Legierungen. In der Zukunft werden wir diese Legierungen finden, | |
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doch momentan bleiben wir zwangsläufig von dem abhängig, was wir heute wissen - oder doch beinahe wissen. Wir werden eine große Reihe von Ersatzmaßnahmen durchführen müssen. Und wenn das Management funktioniert, wird es Rohstoffe im Übermaß geben, einschließlich der Umweltverschmutzung, die durch Absorption in Schach gehalten werden kann. Man kann diese These mit dem, wie wir es nennen, expandierenden Modell erhärten. Es unterscheidet sich von der Vorstellung, die Ressourcen seien ein Kuchen von begrenzter Größe, durch die Annahme modelleigener Hilfsmittel. Bei Rohstoffen wird an einen Prozeß gedacht, wie er sich in Muskeln abspielt, oder an eine Fertigkeit mit ziemlich großer Variationsbreite: Je mehr man einsetzt, desto mehr wird vorhanden sein. Wenn das Kuchen-Modell zuträfe, würde dies sehr unselige Konsequenzen nach sich ziehen. Der Weltfriede würde unmöglich. Die grundlegende Organisation der Welt würde so aussehen müssen, daß die Reichen sich der Rohstoffe bemächtigen, sie festhalten und die Armen unterdrücken. Ich behaupte, daß es keine andere Organisationsform gibt, die dann praktisch vorstellbar wäre.
Würde dies auch innerhalb der Nationen gelten? Ja, ich glaube, es würde auch innerhalb von Nationen zutreffen. Das bedeutet, das Wachstum wird gebremst, die Mobilität wird gebremst werden müssen. Es ist sehr leicht, den Wohlstand neu zu verteilen, wenn der ganze Kuchen wächst. Aber wenn der Kuchen schrumpft, gibt es keine Neuverteilung.
Fidel Castro nahm auf Kuba eine Neuverteilung auf Kosten der Leute vor, denen es gut ging. Ja, aber auch auf Kosten der Arbeiter. In dieser Hinsicht ist Kuba sehr interessant. Ich weiß nicht, ob Castro für Kuba gut oder schlecht ist. Die Geschichte wird hier entscheiden. Aber er ist schlecht für das Wachstum in Kuba. Das Bruttosozialprodukt ist noch etwa so niedrig wie zu Zeiten Batistas.
Dennoch schreiben Sie, daß die Ärmsten unter Castro ein besseres Leben führen und mehr Dienstleistungen vom Staat erhalten, als dies unter Batista der Fall war. Das stimmt genau. Jedes kleine Dorf hat eine Nähmaschine, hat eine Schule, das ist dem Prozeß inhärent. Soweit ich weiß, fühlt sich heute niemand in Kuba völlig aus dem System ausgeschlossen, wie dies früher der Fall war. Aber die Arbeiter in Kuba arbeiten viel mehr für viel weniger Geld. Sie sind zornig. Sie werden gezwungen, in Plantagen zu arbeiten. | |
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Aber im globalen Maßstab, würden da nicht die reichen Nationen absteigen müssen wie die reichen Klassen in Kuba, und würden nicht die armen Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien auf Kosten der reichen Nationen hochgebracht werden müssen? Das würde uns vielleicht äußerst unzufrieden machen, aber ist ein anderer Weg denkbar, um zu einer gerechteren Verteilung des Wohlstands zu gelangen? Ich persönlich wäre vollkommen dazu bereit, wenn es die einzige Möglichkeit wäre, die Armen reich zu machen. Ich wäre bereit, ziemlich einschneidende Verkürzungen meines Gehalts in Kauf zu nehmen, natürlich nicht in dem Ausmaß, in dem es sich als nötig erweisen würde. Ich könnte mir heute bereits ein auf Gleichheit beruhendes System vorstellen, und ich entdecke, daß ich persönlich dazu sehr viel mehr bereit bin als fast alle, die ich kenne. Meine Überzeugung allerdings ist, daß es praktisch nicht vorstellbar ist, daß die reichen Länder sich freiwillig niederbeugen, um den Armen aufzuhelfen. Die Reichen sind stark, die Armen sind es nicht. Und dieser Zustand dürfte wohl während der nächsten drei oder vier Jahrzehnte kaum verändert werden.
Der Status quo bleibt bestehen? Nein, ich glaube, daß viele von den Armen sehr reich und außerdem auch mächtig sein werden. Der Status quo bleibt nicht bestehen. Aber er ändert sich, weil die Armen reich werden, nicht weil die Reichen arm werden. Sehen Sie, das ist eine vollkommen verschiedene Annahme.
Alle werden reich? Am Ende ja, außer den Allerärmsten. Manche werden es in zwei oder drei Jahrzehnten schaffen, manche werden fünf oder sechs Jahrzehnte brauchen und andere zehn oder fünfzehn. Das ist keine Vorhersage. Es ist eine Extrapolation, eine Projektion. Ein Drehbuch. Aber ein Plan, dem ich auch einen recht hohen Grad an Brauchbarkeit beimessen möchte, besonders wenn die Welt sich vernünftig verhält. Wir haben folgendes unternommen - und das war die große Überraschung unserer Studie: Wir sagten uns: Wenn es wirklich ein ernstes Problem ist, reich zu werden, dann werden wir es finden können. Wir versuchten es aufzuspüren. Aber wir konnten kein Problem finden. Das war eine sehr große Überraschung für uns. Deshalb rechnen wir in etwa mit folgendem: Wir werden auf alle möglichen Probleme stoßen - ich übertreibe jetzt. Wir werden das später noch deutlicher machen müssen. Dies ist also eine Übertreibung, aber ich will, daß diese Übertreibung ankommt. Danach werde ich die Korrekturen vornehmen. Also die übertriebene Behauptung: Wir rechnen damit, verschiedene Gattungen von Problemen zu finden. Wir haben in der Vergangenheit gelernt, daß es bei der | |
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Arbeit an solchen großen Systemmodellen sehr wichtig ist, den wichtigen Interaktionen aufmerksam zu folgen. Wir sagten also: Versuchen wir zuerst die Probleme als solche oder zusammen mit Interaktionen herauszufinden, die sehr wichtig erscheinen; dann wollen wir versuchen festzustellen, ob wir uns die Technologie vorstellen können, die nötig ist, um damit fertig zu werden, oder welche Verfahrensänderungen nötig werden. Lassen Sie mich die Liste der Probleme durchgehen, die wir nach Ansicht der Neo-Malthusianer haben. Zum Beispiel ein ganz simples: daß wir auf ganz simple Weise unsere Rohstoffe erschöpfen. Nehmen wir an, wir haben keine Kohle mehr, da die Vorräte erschöpft sind. Nehmen wir an, wir haben nur noch Kohle mit hohem Schwefelgehalt. Wir wollen diese Kohle nicht einsetzen, weil sie einen so hohen Schwefelgehalt hat. Aber das heißt doch nicht, daß der Kohlevorrat erschöpft ist, das ist ein Problem der Umweltverschmutzung. Wir konnten keine Rohstoffprobleme entdecken. Nicht ein einziges. Wenn es sie gibt, dann möchte ich gern, daß man sie mir zeigt. Wir könnten heute schon aufzeigen, wie man sie durch Ersatzmaßnahmen lösen kann. In vielen Fällen zwar noch nicht vollkommen, aber doch angemessen. Das nächste Problem ist die Umweltverschmutzung, ein weiteres verheerendes Nebenprodukt. Und hier wird die Sache äußerst kompliziert. Wir wissen nicht, wie alle diese Probleme aussehen werden. Es wird jeden Tag neue geben. Aber wenn Sie sich die Probleme anschauen, die die Leute heute ernst nehmen - wie reines Wasser und reine Luft, was immer sie damit meinen -, so scheinen sie durch den Einsatz der richtigen Technik lösbar, wenn die Wirtschaft wächst. Wir haben genügend Hilfsquellen. Was hat es nun mit der katastrophal wachsenden Kluft auf sich? Wir sind der Überzeugung, daß dies in den meisten Situationen, wenn nicht in allen, ein falsches Problem ist. Wenn Sie einen Bauern oder Arbeiter oder die meisten Geschäftsleute in Lateinamerika, in Afrika, in Asien befragen, dann stellen Sie fest, daß sie sich nicht darum scheren, ob das Wohlstandsgefälle größer oder kleiner ist. Sie wollen reich werden, das ist alles. Und wenn der schnellste Weg zum Reichtum über ein größeres Gefälle führt, dann gut. Wenn der schnellste Weg zum Reichtum über ein kleineres Gefälle geht, dann auch gut. Der leichteste schnelle Weg zum Reichtum führt über das größere Gefälle. Also wollen sie das. Das Kluftdenken ist ein Problem der Reichen, nicht der Armen. Außer daß die Politik es zunehmend schwieriger, ja vielleicht sogar zur Katastrophe macht. Meiner Beurteilung nach kann es keinen Zweifel daran geben, daß die politische Entscheidungsfähigkeit qualitativ schlechter wird, so daß wir heute einfach mit Problemen nicht mehr so gut fertig werden wie vor zwanzig Jahren. Die politische Entscheidung ist heute schlechter. Wenn sie noch sehr viel schlechter wird, würde das katastro- | |
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phal sein. Und es sind diese verrückten Ideen, die durch die Gegend schwirren die sie schlechter machen. Wenn wir diese verrückten Vorstellungen loswerden können, dann, so glaube ich, werden die politischen Entscheidungen angemessen sein. Und ich meine damit wirklich verrückte Ideen. Das ist die Grundhaltung, die ich deutlich machen möchte.
Warum stehen Ihrer Meinung nach die Nationalökonomen dem Club of Rome so kritisch gegenüber? Zum Teil, weil sie Spezialisten für derartige Streitfragen sind und wirklich etwas davon verstehen, zum andern Teil, weil sie ihre eigenen erzieherischen Kapazitäten haben und glauben, daß die Preissystemanpassung immer funktioniert, und weil sie nicht begreifen, daß es in der Sache einige neue Faktoren gibt.
Ihre Kapazitäten könnten ein wenig begrenzt sein, sie könnten ein bißchen veraltet sein. Ich möchte es so ausdrücken. Ich stimme zu achtzig bis neunzig Prozent mit der Einstellung der typischen Nationalökonomen überein. Aber ich glaube, daß sie die Tragweite eines quasi-exponentiellen Wachstums nicht voll begreifen. Viele unter ihnen begreifen es nicht.
Haben Sie den Eindruck, daß ein Anfang gesetzt wurde und man Erfahrungen, Talent und Klugheit auf diesem Gebiet zusammenzufassen versucht, um die Zukunft mit Hilfe von Computern anzugehen und die Welt fünfzig Jahre nach uns für Kinder und Enkel bewohnbar zu erhalten? Ich fürchte, Sie haben da eine Formulierung verwendet, die mich immer schon äußerst verärgert hat: ‘Mit Hilfe von Computern.’ In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren verfügten die Vereinigten Staaten zu einem Zeitpunkt über insgesamt etwa acht Computer, die alle für mich arbeiteten. Ich habe in meinem Leben Unmengen von Computerproblemen bearbeitet. Ich mochte Computer. Aber ein Problem, bei dem Computerstudien sehr nützlich wären, ist mir bisher noch nicht untergekommen. Ich glaube, daß die Leute, die Studien am sorgfältigsten computerisieren, davon am wenigsten verstehen. Es erscheint mir als höchst interessant, daß wir am Hudson Institute Computer niemals zu einem anderen Zweck als zu kartographischen Entwürfen eingesetzt haben. Man braucht Computer für System-Marktprobleme, für Systemanalyse. Seit vielen Jahren hängt man uns das Gigo-Problem an - Garbage-in, Garbage-out (Müll rein, Müll raus). Wir nennen es jetzt das Gigo-Problem und übersetzen: Garbage-in, Gospel-out (Müll rein, Evangelium raus). Das Interessanteste an der ganzen Angelegenheit ist, daß die Leute in der ganzen Welt dem Einsatz | |
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von Computern bei komplizierten Problemen skeptisch gegenüberstehen. Und plötzlich tauchen da Antworten auf Probleme auf, die ihnen gefallen, und sie sagen auf einmal, daß der Computer gut ist. Die Antwort gefällt den Leuten. Wenn ihnen die Antwort nicht paßte, würden sie gesagt haben: Wer glaubt das schon, es kommt von einem Computer.
Aber wem gefällt denn die Antwort, daß die Welt in der Gefahr schwebt, in zwanzig Jahren zerstört zu sein? Der oberen Mittelklasse überall. Deswegen ist dies auch ein Problem der Klasseninteressen, hundertprozentig. Im Alter von fünfzig Jahren bin ich Marxist geworden. Jetzt frage ich mich, schau dir das Klasseninteresse an. Schau dir die Klassenverhaltensweisen an. Sie kennen die Maxime der Franzosen und bei Verbrechensaufklärung? ‘Cherchez la femme’ und ‘cui prodest’. Also. Wer leidet am meisten unter dem Wachstum? Welche Klasse ist betroffen?
Die Arbeiterklasse. Nein. Der Arbeiterklasse geht es bei wirtschaftlichem Wachstum gut. Es geht ihr gut!
Nicht, wenn das Wachstum Amok läuft. Die Arbeiterklasse leidet als letzte darunter. Was zunächst einmal beim Wachstum geschieht und was die Leute nicht mögen, ist Bevölkerungsballung, zu viele Autos, Urbanisierung. Die Arbeiterklasse mag all das.
Und wie steht es mit zunehmender Arbeitslosigkeit, mit Arbeiterunruhen? Aber das Wachstum hat ja nicht zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit geführt. Zeigen Sie mir ein Land, in dem erhöhtes Wachstum zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit geführt hätte, ein einziges Land. Die Länder mit großer Arbeitslosigkeit liegen in der unterentwickelten Welt, nicht in der hochindustrialisierten.
Wir in Europa haben im Augenblick - Eine Rezession, sicher. Sie haben immer Rezessionen. Wenn Sie mir sagen, daß es in einer modernen dynamischen Wirtschaft Rezessionen gibt, absolut richtig. Sie werden immer zyklische Bewegungen haben. Ein Arbeiter versteht das, und er wird es akzeptieren. Solange es sich im durchschnittlichen Rahmen hält. Die große Arbeitslosigkeit der Welt herrscht in den unterentwickelten Ländern. Lassen Sie uns das festhalten. | |
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Hatte Ihrer Ansicht nach McNamaraGa naar eind3 recht, als er auf der Umweltkonferenz in Stockholm sagte, wir brauchten das wirtschaftliche Wachstum, um unseren Beitrag im Kampf gegen die Armut in der Dritten Welt leisten zu können? Absolut. Hat er das gesagt? Das beeindruckt mich sehr. Man braucht das wirtschaftliche Wachstum, weil die Masse der Menschen arm ist. Im Programm des Hudson Institute sprechen wir von Frieden und von Prosperität - wobei wir mit Prosperität meinen, daß jeder Mensch so rasch wie möglich auf ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von über tausend Dollar gebracht werden muß. Freiheit für die Kultur, für die Nation, nicht für das Individuum, für die Lebensqualität. Aber nicht die Lebensqualität des verlogenen Mittelklasse-Standards allüberall. Die Menschen mügen das nicht. Und Gerechtigkeit, aber nicht zuviel, wir können sie uns nicht leisten.
Was meinen Sie damit? Gerechtigkeit für die Araber wäre der Tod für die Israelis. Gerechtigkeit für die Israelis ist der Tod der Araber. Gerechtigkeit ist die kostspieligste Handelsware der Welt, sie bedeutet Blut. Soviel Gerechtigkeit wie möglich zu schaffen, das ist das nobelste Ideal der Menschheit. Es ist außerdem auch das teuerste Ideal der Menschheit. Was wir am meisten brauchen, ist Geld, nicht Gerechtigkeit, Freundschaft, nicht Gerechtigkeit, Liebe, nicht Gerechtigkeit. Ich glaube an die Gerechtigkeit. Sie spielt in meinem Leben eine sehr große Rolle, doch ich bin kein Fanatiker. Ich bin kein Verrückter in dieser Beziehung. Ich fühle mich sehr unbehaglich, wenn immer ich auf eine ungerechte Situation stoße. Aber sie ist sehr teuer, die Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für die amerikanischen Indianer bedeutet die Auslöschung von zweihundert Millionen weißer Amerikaner und umgekehrt. Gerechtigkeit für den weißen Mann bedeutet in diesem Fall einen gewissen Grad von Gerechtigkeit für den Indianer. Gerechtigkeit ist ein sehr kostspieliges Gut. Aber werden Sie darüber nicht allzu aufgeregt. Ich glaube, in mancher Beziehung ist sie sogar wichtiger als Liebe. Ich bin kein Christ. In einer Beziehung bin ich sehr jüdisch, und in der jüdischen Religion ist Gerechtigkeit sehr wichtig, sogar wichtiger als Liebe, aber nicht wichtiger als der Mensch.
Vorher sagten Sie, daß die herrschende Situation von arm und reich eine unvermeidliche Lebenstatsache sei. Wenn man die Armen rasch reich machen will, dann ist die schnellste Methode die, den Abstand zu vergrößern. Die wirksamste Methode, die man bisher gefunden hat, um arme Menschen reich zu machen, besteht darin, eine Menge sehr reicher Leute herumsitzen zu haben. Jetzt geht die Ideologie manchmal in die andere Richtung. Die Ideologie erklärt | |
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mir: Nein, es kann nicht geschehen. Sehen Sie, es ist ziemlich ähnlich wie die Verhältnisse in Südafrika. In Südafrika haben wir in etwa die gleiche Lage: zwei Millionen Weiße und zehn Millionen Schwarze. Diese zwei Millionen Weißen versuchen die zehn Millionen Schwarzen in Armut zu halten. Aber sie können es nicht. Während sie reich werden, sickert alles zu den Schwarzen nach unten durch. Die Löhne der Schwarzen steigen. Die Gehälter steigen, die Ausbildung, die Erziehung, alles. Die Weißen werden die Schwarzen weiter unterdrükken, aber sie werden zugleich reich werden. Nun ist es eine der offensichtlichsten Wahrheiten in der Welt, daß Reichtümer nach unten sickern. Und was können und werden die Reichen im Rahmen der Nationen oder Klassen tun? Zunächst stellen sie das Kapital. Sie liefern die Technologie. Sie bieten Dienstleistungen. Es gibt große weite Märkte. Nichts an der chinesischen Kultur könnte sie im 20. Jahrhundert besonders ineffizient machen. Die chinesische Kultur wächst pro Jahr um zehn Prozent. Warum? Weil die moderne Technik die Chinesen in die Lage versetzen wird, das herzustellen, was sie nicht selbst bekommen konnten; und die modernen Märkte werden dies ermöglichen. Auf diese Weise ist Japan gewachsen, ist Südkorea gewachsen, Taiwan, Hongkong wächst und so weiter. Brasilien wächst derzeit wie verrückt. Warum? Wegen der modernen Technik und des modernen Marktwesens. Die Tatsache, daß die Leute das nicht verstehen, ist ihr Problem, nicht das Problem der Welt.
Glauben Sie immer noch, daß wir auf diesem begrenzten Planeten unbegrenzte Rohstoffe finden können, um den Bedürfnissen des wachsenden Lebensstandards nachzukommen? Ich nehme an, es muß Grenzen geben. Ich weiß nicht, wo diese Grenzen liegen. Ich nehme ferner an, daß diese Grenzen sich im Lauf der Zeit mit der Verbesserung der Technik verschieben müssen. Ich würde die letzte Entscheidung nicht gerade jetzt fällen. Mit unserer heutigen Technik, der heutigen Technik wohlgemerkt, können wir zwanzig Milliarden Menschen auf der Erde tausend Jahre lang mit einem Pro-Kopf-Einkommen von zwanzigtausend Dollar unterhalten. Wir können das bei einem angemessenen Lebensstandard, einer angemessenen Lebensqualität nach den Maßstäben der Mittelklasse, nicht allerdings der oberen Mittelklasse. Es ist dies eine Möglichkeit, bei der die obere Mittelklasse viele ihrer am meisten geschätzten Standardbegriffe wird aufgeben müssen: Wenn eine mittlere Klasse gut leben soll, dann wird das zum Beispiel eine Welt der Vorstädte sein. Überall ist dann Suburbia, überall. Denken wir einmal so an die Sache. Die Welt hat sich im 20. Jahrhundert verstädtert. Bis ins 18. Jahrhundert hinein gab es für jeden Städter zwanzig Menschen außerhalb der Stadt. Nun sind die Menschen urbanisiert. Im 21. Jahrhundert wird, | |
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wenn alles gut geht, die Welt suburbanisiert werden. Das ist gar nicht so schlimm. Es gibt einhundertfünfzig Millionen Quadratkilometer auf der Erde. Es gibt nur sechzig Millionen Quadratkilometer bewohnbaren Lands. Legen wir neunzig Millionen für Erholung und nützliche Zwekke beiseite. Das ist eine Menge. Von dem Sechzig-Millionen-Teil bewohnbaren Landes nimmt man zwanzig Millionen für menschliche Wohnstätten, und zehn Millionen verwendet man für Aktivitäten wie Handel, Industrie, Dienstleistungen, Fabriken, die Hälfte des Landes. Die andere Hälfte ist für Agrikultur, Unterhaltungsindustrie, Gewerbe und Freizeit bestimmt. Aber grundlegend wird alles ausgenutzt. Die Parkflächen könnten drastisch größer werden. Aber wohin immer Sie auf der Erde gingen, Sie würden Suburbia vorfinden.
Haben Sie diese Hoffnung? Wenn Ihnen Suburbia gefällt, dann habe ich diese Hoffnung. Ich liebe Suburbia nicht, ich berichte Ihnen von einer Tragödie. Die obere Mittelklasse mag es nicht, daß Suburbia für die Armen sein soll. Sie hassen die Vorstellung. Lassen Sie es mich ganz brutal sagen. Nehmen wir an, Sie gehörten zur oberen Mittelklasse in einem armen Land. Sie sind angesehen. Haben Prestige. Sie können sich Immunität gegenüber den ärgerlichen Seiten des Lebens erkaufen. Sie können ein gutes Dienstmädchen bezahlen. Shampiro hat bemerkt, daß ein gutes Dienstmädchen einen halben Haushalt voller Apparate aufwiegt. In armen Ländern könnten Sie sich eine gute Geliebte kaufen. Die Reichen können gar nichts Falsches tun. Mit anderen Worten, alle die übrigen Dinge, auf die die obere Mittelklasse so großen Wert legt, würden verschwinden, wenn alle reich werden. Der Grund, warum Die Grenzen des Wachstums in so weiten Kreisen akzeptiert wurde, lag teilweise in seiner Quasi-Legitimation und mehr noch darin, daß das Buch in einem politischen und emotionalen Klima erschien, in dem es äußerst akzeptabel sein mußte. |