Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Paul A. SamuelsonPaul A. Samuelson wurde 1915 in Gary, Indiana geboren. Er promovierte 1941 an der Harvard University. Er war während seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn mit dem Massachusetts Institute of Technology verbunden, wo er auch heute noch eine Professur in Wirtschaftswissenschaft innehat. Daneben arbeitete er als Berater für die berühmte Denkfabrik Rand Corporation, für das amerikanische Finanzministerium und für Präsident Kennedy. Journalistischen Ruhm erwarb er sich durch seine Kommentare in der Wochenzeitschrift Newsweek. Im Jahre 1970 wurde Professor Samuelson der Wirtschafts-Nobelpreis verliehen, 1971 der Albert-Einstein-Preis. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen: Foundations of Economic Analysis, 1947; Economics, 1948 (Volkswirtschaftslehre); Readings in Economics, 1955; The Collected Scientific Papers of Paul A. Samuelson, 3 Bände, herausgegeben von J. Stiglitz und R. Merton 1966 bis 1972.
Man kann eine Untersuchung wie Die Grenzen des Wachstums unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten beurteilen. Einmal ist da der Standpunkt des Mannes auf der Straße. Man kann die Frage stellen: Bringt ein Buch wie World DynamicsGa naar eind1 oder Die Grenzen des Wachstums die Menschheit voran? Und da der Mann auf der Straße kein Experte in Demographie, Computertechnik oder Wirtschaftswissenschaft ist, kann die Autorität eines Forrester und eines MIT-Computers dem nützlichen Zweck dienen, ihn auf ein ernstes Problem aufmerksam zu machen, nämlich, daß eine Wohlstandsgesellschaft in ungeheurem Tempo unersetzbare Rohstoffe verbraucht und daß sich die Welt heute schneller entwickelt als je zuvor in der Geschichte. Wenn nicht im Jahre 2000 oder 2073, so werden doch irgendwann in der Zukunft Probleme kosmischen Ausmaßes auf die Menschheit zukommen, falls wir nicht unsere bewußte Intelligenz einsetzen, um dies zu verhindern. Vom Standpunkt des Mannes auf der Straße ist das Werk Forresters und Meadows' also positiv zu beurteilen. Es gibt aber noch einen zweiten Maßstab, den man an solche Werke anlegen kann - den Maßstab des Fachmannes auf dem Gebiet. Solche Leute haben Jahrzehnte damit verbracht, Daten zu sammeln, zu prüfen und zu analysieren. Ich denke an Leute wie Simon Kuznets, den Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 1971. Man kann fragen: Welche neuen Daten stellt die Club of Rome-Gruppe vor, welche neuen Fakten analysiert sie, welche neuen Methoden der Analyse führt sie ein, die den Fachleuten zu neuen Erkenntnissen verhelfen werden? Nun | |
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sagt man zwar manchmal, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt; es kann also sein, daß ich meine Meinung ändere, wenn mehr Hintergrundinformationen zur Verfügung stehen. Aber bisher krankten die Untersuchungen Forresters und Meadows' an einem Mangel an neuen Daten. Ihre Ausstattung mit Fakten ist sogar erstaunlich oberflächlich zu nennen. Und wie steht es mit der analytischen Methodik? Professor Forrester hat in der Vergangenheit Pionierleistungen auf dem Gebiet der Analyse komplexer Systeme vollbracht. Wir respektieren ihn dafür. Doch inzwischen verfügt man in der ganzen Welt - von Pontryagin in Rußland, Bellman in Kalifornien, Wold in Schweden bis zu Phillips in Neuseeland - über ausgeklügelte Methoden zur Lösung von Problemen stochastischer optimaler Kontrolle. Ein Forum von Fachleuten vermißt in den Untersuchungen des Club of Rome und in World Dynamics epochemachende analytische Durchbrüche. Inzwischen hat eine Anzahl von Wissenschaftlern begonnen, ihre Gleichungen zu analysieren und sie mit den Ergebnissen empirischer Forschung zu konfrontieren. Das ist ein üblicher wissenschaftlicher Vorgang. Niemand darf sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Kein wissenschaftlicher Ruf ist sakrosankt. Jede neue Hypothese muß sich der Überprüfung durch die Kollegen stellen. Diese Arbeit hat eben erst eingesetzt. Ich würde es für verfrüht halten, jetzt schon ein endgültiges Urteil abzugeben, aber ich will versuchen, die ersten Ergebnisse dieser Überprüfung so objektiv wie möglich zusammenzufassen. Zunächst muß man sich fragen, ob die Resultate von Forresters Methodologie veränderten Annahmen standhalten können oder deutlich abweichen, sobald die angenommenen Wechselwirkungen verändert werden. Mir liegt eine Untersuchung der University of California vor, deren Verfasser seine vorläufigen Erkenntnisse folgendermaßen zusammenfaßt: ‘Die Resultate von Forresters Weltmodell erweisen sich als sehr anfällig gegenüber veränderten Annahmen.’ Der Verfasser dieser Studie ist übrigens Robert Boyd. Er ist kein Nationalökonom, sondern gehört dem Fachbereich Zoologie der University of California in Davis, Cal., an. Ich hatte auch Gelegenheit, ein nichtediertes Manuskript von Professor William Nordhaus von der Yale University, einem namhaften jüngeren Volkswirtschaftler, zu lesen. Er promovierte am MIT in Wirtschaftswissenschaft, Sie müssen also meine Voreingenommenheit für ihn entschuldigen. Dr. Nordhaus stellt fest, daß unser Wissen, unser Faktenwissen über die Gesetze vom abnehmenden Ertrag durch das in den Büchern von Forrester und Meadows veröffentlichte Material nicht bereichert wurde. Der grundlegende Fehler der Modelle von Forrester und Meadows sei, daß sie der Auswirkung von Knappheit auf Preise und Verbrauch zuwenig Aufmerksamkeit zollten. Wenn Rohstoffe knapp werden und | |
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Versorgungsstörungen anfangen die Wachstumsraten zu drücken wie in Forresters Simulationsabläufen, dann wird es in der Realität zu Preissteigerungen kommen. In England verbrannte man früher Holz, um Eisen zu schmelzen. Dies war auf die Dauer nicht möglich, da der englische Waldbestand zu großen Schaden litt. Deshalb ging man von Holz auf Kohle über. Das ist auch der große Fehler, den T. Robert Malthus in seiner 1798 veröffentlichten Prophezeiung einer Bevölkerungskatastrophe machte. Malthus sah die Wunder der industriellen Revolution nicht voraus. Und diese Wunder der industriellen Revolution sind noch nicht zu Ende. Ich habe die J.D. Bernal-Vorlesungen gelesen, die einer der bedeutendsten Physiker und Astrophysiker der Welt, Professor Dyson vom Institute for Advanced Studies, in London hielt. Er blickt weit voraus in eine Zeit, in der es uns durch biologische Manipulation gelungen sein wird, neue Organismen zu entwickeln, die Rohstoffe verarbeiten und rezyklieren, die Bodenschätze abbauen und die Umwelt für uns reinhalten. Dr. Kneese von Resources for the Future in Washington D.C. hat darauf hingewiesen, daß nach den düsteren Computer-Prognosen der Club of Rome-Gruppe künftig eine große Zahl von Menschen an Krebs sterben wird, der durch Asbest verursacht wurde. Es stimmt in der Tat, daß Asbest krebserregend wirkt. Aber wer meint denn, fragt Kneese, daß die Autobremsen im kommenden Jahrhundert noch mit Asbest belegt sein werden, wenn dessen Opfer die Krankenhäuser füllen? Zahllose neue, sichere Substanzen werden als Folge von Rohstoffengpässen sehr billig auf den Markt kommen. Daß man nach Ersatzmaterialien suchen wird und daß man Umweltverschmutzung hoch besteuern wird, um den Verursacher zu treffen - solche Prozesse erscheinen dem Wirtschaftswissenschaftler selbstverständlich, während sie dem Ingenieur vielleicht weniger selbstverständlich sind. Alle diese Vorgänge sind in diesen Untersuchungen nicht oder jedenfalls nicht genügend berücksichtigt. Fachleute auf diesem Gebiet könnten daher mit Recht sagen, daß die Weltkatastrophe mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit 2373 oder 2273 oder 2173 wie 2073 eintreten kann. Lassen Sie mich diese beiläufigen Gedankengänge abschließen. Zyniker behaupten heute manchmal, um die Leute wachzurütteln, müsse man übertreiben. Vielleicht wird das abschließende Urteil künftiger Experten lauten, die Club of Rome-Studie hätte übertrieben. In dem weiten Feld zwischen Indifferenz und Hysterie habe das Pendel zu stark in Richtung Hysterie ausgeschlagen. Das gestrenge Tribunal der Wissenschaftler mag dies unter sich ausmachen; wir können uns wieder dem anderen wichtigen Forum zuwenden: den Politikern, dem Mann von der Straße, der breiten Öffentlichkeit. Um die Menschheit von der Notwendigkeit zu überzeugen, etwas für | |
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den Umweltschutz zu tun und nicht bloß davon zu reden, bedarf es vielleicht wirklich der Übertreibung eines Forrester, eines Meadows, des Club of Rome und von Biologen wie dem renommierten Paul EhrlichGa naar eind2 von der Stanford University - sie alle mögen vor dem Jüngsten Gericht mit einem leuchtenden Stern für ihre Leistungen ausgezeichnet werden. |