Die Grenzen des Wachstums. Pro und Contra
(1974)–Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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Jan TinbergenJan Tinbergen lehrt mathematische Wirtschaftswissenschaften und Entwicklungsprogrammierung an der Niederländischen Wirtschaftsuniversität in Rotterdam. Er wurde 1903 in Den Haag geboren und studierte Physik und Mathematik an der Universität Leiden. Von 1945 bis 1955 war er Direktor des Zentralen Planungsinstituts in Den Haag. Neben zahlreichen Ehrentiteln erhielt Professor Tinbergen 1967 den Erasmuspreis und 1969 zusammen mit Professor Ragnar Frisch aus Oslo den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Unter seinen international bekannten Werken sind: Econometrics, 1949 (Einführung in die Ökonometrie); Economic Policy, 1956 (Wirtschaftspolitik); Design of Development, 1958 (Grundlagen der Entwicklungsplanung); Shaping the World Economy, 1962; Ontwikkelingsplannen, 1967 (Modelle zur Wirtschaftsplanung) und Towards Balanced International Growth, 1969.
Welches sind die Plus- und Minuspunkte der MIT-Studie Die Grenzen des Wachstums? Ich halte es für einen großen Pluspunkt, daß man zum erstenmal versucht hat, Schätzungen über das Zusammenwirken einer Reihe neuer Phänomene anzustellen: der Bevölkerungsexplosion, der Ausbeutung der Energie- und Rohstoffquellen und der zunehmenden Verschmutzung der Umwelt. Dies ist ein Punkt von außerordentlicher Bedeutung. Andererseits gibt es, und das ist nahezu unvermeidlich, Minuspunkte. Das benutzte Modell kann natürlich nicht sehr präzise sein, besonders wenn es die weltweite Verbreitung der verschiedenen Katastrophen erfaßt, zu denen es kommen kann. Es sind daher nach meiner Ansicht präzisere Näherungsverfahren notwendig, und tatsächlich hat man ja, wie Sie wissen, als Ergänzung der MIT-Studie bereits eine Anzahl anderer Projekte in Angriff genommen.
Projekte wie zum Beispiel? Zunächst einmal: Wir in den Niederlanden möchten unter der Leitung von Professor H. LinnemannGa naar eind1 einen Versuch machen, das Modell zu zerlegen. Das heißt, wir fassen ungefähr sechs verschiedene Regionen der Erde ins Auge und untersuchen gleichzeitig gesondert die Fertigungsindustrie und andere Sektoren der Wirtschaft. Wir hoffen so zu einem verfeinerten Modell zu gelangen, das in gewisser Weise verläßlicher ist. Um ein Beispiel zu nennen: Die Annahme ist legitim, daß sich ein Teil des Problems durch natürliche Reaktionen des Preismechanismus | |
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lösen läßt. Wir können erwarten, daß umweltbelastende Produktionsprozesse immer kostspieliger werden, denn es muß Geld in beachtliche neue Anlagen investiert werden, um die Umweltverschmutzung zu verhindern. Ein Spezialist von Unilever und andere Forscher in den USA und Japan haben beispielsweise errechnet: Wenn man drei Prozent des Nationaleinkommens für diese Anlagen ausgeben würde, könnte man wahrscheinlich die Umweltverschmutzung unter der kritischen Risikogrenze halten. Im übrigen bleibt es natürlich ein großes Problem, das bis zu einem gewissen Grade tatsächlich der Marktmechanismus lösen wird. Das hängt davon ab, welche Ersatzprodukte angeboten werden, oder sagen wir, wie groß die Bereitschaft des Verbrauchers sein wird, von einem Produkt auf ein anderes umzusteigen. Dasselbe gilt für die Manager: Können sie ihre Verfahren so verändern, daß sie weniger anstatt immer mehr Energie verbrauchen, und werden sie zu verhindern suchen, daß abgebaute oder nahezu abgebaute Rohstoffe verwendet werden. Ein solches Programm erfordert die Zusammenarbeit vieler höchst verschiedener Leute, wie Sie verstehen werden. Wir planen oder haben bereits Arbeitsgemeinschaften auf physikalischem, chemischem und biologischem Gebiet.
Alle in den Niederlanden? Nicht unbedingt, aber einige. Doch wir suchen immer noch nach anderen westeuropäischen Partnern für unser Projekt. Wir arbeiten bereits mit einigen Fachleuten außerhalb der Niederlande zusammen.
Wieviel Zeit brauchen Sie für die Erstellung des neuen Modells? Wir haben Dr. Aurelio PecceiGa naar eind2 versprochen, daß wir versuchen werden, etwa Mitte oder Ende 1973 etwas Vernünftiges vorzulegen. Aber ich meine, man muß die Frage umkehren. Wir glauben, daß wir zu diesem Zeitpunkt einige Resultate haben werden. Die Frage bleibt: Wieviel werden wir sagen können?
Robert S. McNamaraGa naar eind3 erklärte in Stockholm, daß nach seiner Meinung die Umweltverschmutzung bei Entwicklungsprojekten mit zusätzlichen Kosten von drei Prozent unter Kontrolle gebracht werden könne. Dies löste heftige Reaktionen bei den Entwicklungsländern aus, die nicht bereit schienen, für unsere Umweltschutzprobleme zu bezahlen. Ich verstehe die Schwierigkeiten vollkommen, oder besser, ich teile die Bedenken der Entwicklungsländer. Ich bin der Auffassung, daß es auf jeden Fall zu einer besseren Einkommensverteilung unter allen Ländern kommen muß.
Gilt dies für Länder und Kontinente? Beides. Dies bedeutet, daß wir weiterhin für eine kraftvollere Entwicklungspolitik gegenüber der Dritten Welt eintreten. Es setzt voraus, | |
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daß die reichen Länder den größeren Teil dieser neuen Investitionen bezahlen müssen. Überdies gibt es zum Glück auch einige positive Aspekte in dieser Sache. Wenn wir beispielsweise unserer neuen Industrie wegen der bereits existierenden Umweltverschmutzung gewisse Bedingungen auferlegen, so wird dies unsere Preise heben und gleichzeitig die wettbewerbspolitische Situation der Naturprodukte verbessern. Wenn man bedenkt, daß es besonders im Kunststoffbereich viele Industrien mit einem starken Verschmutzungsgrad gibt, dann wird sich in dieser Hinsicht die Position der armen Länder auf dem Weltmarkt bessern. Es gibt viele verschiedene Aspekte. Bei unserem Projekt behandeln wir besonders dieses Problem. Aus diesem Grunde auch beziehen wir uns auf sechs geographische Regionen und unterscheiden zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern.
Einige der Gebiete, die Sie untersuchen, liegen also in der Dritten Welt? Ja, weil wir ebenso wie das Team von Professor Meadows versuchen, die Welt in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Wir meinen: Da das Meadows-Modell nicht nach Regionen unterschieden hat, weiß man nicht, welches die Lage der Entwicklungsländer sein wird. Dies ist ein Aspekt, den unser Team besonders im Auge hat und der gelöst werden muß, denn das Entwicklungsproblem und die Untersuchungsmethode des Clubs of Rome gehören eng zueinander.
Die Grenzen des Wachstums tritt für ein geringeres exponentielles Wachstum ein, für eine weniger hektische Wirtschaft, für eine Abkehr vom Wettbewerb nur aus Gewinngründen. Aber wie können die Entwicklungsländer den Fortschritt erzielen, den sie zur Bekämpfung der Armut bitter nötig haben, ohne in unsere Fehler oder die Fehler der Japaner zu verfallen? Die Produktion in den Entwicklungsländern muß weiterhin steigen. Dies bedeutet, daß ein Großteil der notwendigen Tempoverringerung in den reichen Ländern erfolgen muß. Da, wie Sie wissen, die Bürger der armen Länder pro Kopf nur einen geringen Teil der kritischen Ressourcen verbrauchen, ist es einleuchtend, daß die erforderliche Restriktion in erster Linie eine Sache der entwickelten Länder ist. Die armen Länder müssen, und dies sollte besonderen Vorrang haben, ihre Lage verbessern, oder mit anderen Worten, sie müssen die grundlegenden Lebensbedingungen schaffen. Ein Aspekt, den wir für alle Länder hervorheben müssen, ist das Bevölkerungsproblem. In nahezu allen Teilen der Welt muß das Bevölkerungswachstum drastisch gedrosselt werden. Erst kürzlich hat man einige positive Beobachtungen gemacht. Man stellte beispielsweise fest, daß in einigen ostasiatischen Ländern die Geburtenrate bereits zurückgeht, obwohl ihr durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr als dreihundert Dollar pro Jahr | |
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beträgt. Vorher wurde allgemein angenommen, man müsse erst einen Standard von tausend Dollar pro Jahr erreichen, bevor es zu einer derartig weisen Einsicht käme. Hier können wir also mehr Hoffnung schöpfen. Aber die Bevölkerungskontrolle sollte nach meinem Dafürhalten in erster Linie in den europäischen Ländern einsetzen, die ziemlich übervölkert sind. Sie haben den Entwicklungsplan für England gesehen. Ich stimme nicht mit allem, was darin steht, überein. In mancher Hinsicht ist er zu utopisch, aber ich befürworte die Idee, daß wir in Zukunft mit Bevölkerungen rechnen sollten, die zurückgehen. Ich meine, die Zeit wird sogar einmal kommen, da dies für die gesamte Welt die beste Politik sein wird. Aber dies ist eine Frage der nächsten hundert Jahre.
Wenn die Rohstoffreserven zurückgehen, wie steht es dann mit der Aggression? Sie schneiden ein sehr wichtiges Thema an. Aber zugleich ein Thema, zu dem sehr schwer eine Meinung abzugeben ist. Nach Konrad LorenzGa naar eind4 ist eine Ursache der Aggression die Übervölkerung. Wenn ich sage, daß die Bevölkerungsziffern einiger reicher Länder zurückgehen müssen, so denke ich da besonders an die Niederlande, wo die Übervölkerung ein wichtiges Phänomen ist. Sie führt bereits zu ständiger Gereiztheit, wie wir um uns herum beobachten können.
Und wie kann man zu einer besseren Verteilung des Wohlstands gelangen? Sie haben vollkommen recht, daß abgesehen von der Übervölkerung durch die Verteilung immer knapperer Rohstoffe ein großes Problem entsteht. Wir können hierzu noch nichts Genaues sagen, da es ebenfalls von der weiteren Ausarbeitung unserer Modelle abhängt. Aber es bleibt die Möglichkeit, daß in einem bestimmten Augenblick Warenabsprachen getroffen werden müssen, nicht nur für Agrarprodukte, sondern auch für Kupfer, Silber und ähnliche Metalle. Aluminium wirft weniger Probleme auf, denn es gibt immer noch sehr viel Bauxit. Dies alles wird sicherlich zu einer entscheidenden Frage, und es wird sehr viel davon abhängen, inwieweit der westliche und der sozialistische Block in der Lage sind, dieses Problem mit friedlichen Mitteln zu lösen.
Barry CommonerGa naar eind5 schlug in Stockholm vor, daß wir zum Gummibaum zurückkehren müssen. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Meiner Ansicht nach besteht eines der wichtigsten Probleme darin, daß wir auf dem Gebiete der Landwirtschaft eine Wahl treffen müssen. Es gibt eindeutig zwei Strömungen: Eine ist die grüne Revolution, wie ich sie einmal abgekürzt nennen möchte, das heißt die Verwendung und der Einsatz | |
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von immer mehr Kunstdünger, Wasser usw. Und die andere Richtung ist die sogenannte Natural-Cycle-Agriculture, die jetzt immer mehr in den Vordergrund tritt und sehr wohl eine der Lösungen sein kann. Das wichtigste Problem aber, das wir auf lange Sicht lösen müssen, ist die Umstellung unserer Wirtschaft von sich erschöpfenden Energiequellen auf die bisher so gut wie gar nicht genutzte Sonnenenergie. Ich denke, dies ist das große Problem, das besonders in der Landwirtschaft in Erscheinung tritt, und einige dieser landwirtschaftlichen Alternativmethoden verwenden in der Tat Sonnenenergie; eines unserer Arbeitsteams soil uns daher auch über die Möglichkeiten informieren, die es hier gibt.
Für die zweite Studie des Club of Rome? Wenn Sie so wollen, ja. |
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