Gellert und Holland
(1928)–W.J. Noordhoek– Auteursrecht onbekend
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Gellert als Lustspieldichter‘Gellerts Lustspiele sind heute nicht mehr lesbar’ sagt HettnerGa naar voetnoot1) und welcher moderne Leser möchte es ihm abstreiten! Keins von den drei Stücken, die in Betracht kommen, weder Die Betschwester, noch Das Loos in der Lotterie, noch Die zärtlichen Schwestern vermögen heute noch zu fesseln. Dazu sind die Schwächen und Mängel zu handgreiflich. CoymGa naar voetnoot2) hat die Gellertschen Lustspiele einer eingehenden Untersuchung gewürdigt, aber auch er kann den literarischen Wert nicht hoch anschlagen. Lieber aber als mit einer Aufzählung der Schwächen anzufangen, möchten wir die literarhistorische Bedeutung dieser Komödien näher ins Auge fassen. Sie vertreten bekanntlich die Gattung der comédie larmoyante, die der Franzose Nivelle de la Chaussée zuerst in Aufnahme brachte. Was wollte eigentlich diese neue Komödie, die ihre Anhänger das rührende und ihre Widersacher das weinerliche Lustspiel nannten? LessingGa naar voetnoot3) hat die Antwort auf diese Frage in seiner Theatralischen Bibliothek gegeben. ‘Genaue Beurteilung’, sagt er, ‘muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein’ und um diese Unparteilichkeit zu zeigen erteilt er erst einem Gegner, einem nur mit seinen Initialen be- | |
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zeichneten FRanzosen das Wort, indem er dessen Abhandlung verdeutscht um dann Gellerts lateinische Rede De comoedia commoventeGa naar voetnoot1) zu übersetzen. Obgleich Gellert die französische Schrift wahrscheinlich nicht gekannt hat, widerlegt er doch die wichtigsten darin angeführten Gründe. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei Vorwürfe: a. Die comédie larmoyante maßt sich Stoffe und Wirkungen an, die allein der Tragödie eignen; b. Eine Komödie, die rühren will, widerstreitet ihrem inneren Begriffe und Wesen. Gellert verteidigt seinen Standpunkt folgendermaßen: Das rührende Lustspiel stellt nicht die heroische Größe der Tugend noch die Ungeheuerlichkeit außerordentlicher Verbrechen dar wie die Tragödie, im Gegensatz zu dieser erregt sie auch gelindere und sanftere Empfindungen. Am häufigsten rührt sie durch die Darstellung einer tugendhaften und zärtlichen Liebe. In der Komödie ist auch nicht die leidenschaftliche und heroische Liebe dargestellt, sondern die sanfte Zuneigung, die keine gewaltsame Erschütterung im Menschenherzen hervorrufen kann. Auch die Tugenden sind hier die einfachen und bescheidenen Vorzüge des Charakters, die ihn im Privatleben schmücken, nicht die großen und erhabenen Züge eines Trauerspielhelden. Um die zweite Einwendung zu widerlegen beruft sich Gellert auf Destouches, de la Chaussée, Marivaux, Voltaire, Fagan u.a., die durch ihre rührenden Lustspiele gezeigt haben, daß die Verspottung des Lasters sich sehr wohl mit der ernsthaften Rührung verbinden lasse. Wohl gibt Gellert zu daß eine komische Szene nicht unvermittelt neben | |
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eine traurige gestellt werden darf, der Dichter soll mit der Mischung von Scherz und Ernst behutsam verfahren und vermittelnde Übergänge suchen. In den zusammenfassenden Betrachtungen am Schlusse seiner Abhandlung nennt Lessing das weinerliche Lustspiel ebenso wie das Possenspiel nur eine Untergattung der wahren Komödie, deren Absicht nach ihm ist, Rührung und Lachen zugleich zu erregen. Nicht, daß Lessing Possenspiel und weinerliche Komödie in eine Klasse setzen möchte! ‘Es ist noch immer der Unterschied zwischen beiden, der zwischen dem Pöbel und Leuten von Stande ist’. Was Lessing unter der wahren Komödie verstanden haben wollte, zeigte er später in seiner Minna von Barnhelm, in der ja ernste Szenen in reizender Weise mit den komischen wechseln. Über Gellerts Lustspiele urteilt er hier viel günstiger als später in der Hamburgischen Dramaturgie. Hier scheint er den deutschen Dichter über Nivelle de la Chaussée zu stellen, in Gellerts Stücken hat er noch ‘genug lächerliche Charaktere und satirische Züge angetroffen, die aus denen des Franzosen ganz und gar verwiesen sind’. Im 22. Stück der Hamburgischen Dramaturgie jedoch sagt Lessing zwar, daß Gellerts Stücke unstreitig das meiste ursprünglich Deutsche hätten, daß sie sogar wahre Familiengemälde seien, daß dem Bilde aber die Rundung, das Körperliche fehle: ‘wir sehen immer nur eine Seite, an der wir uns bald satt gesehen.... Die Narren sind in der ganzen Welt platt und frostig und ekel; wann sie belustigen sollen, muß ihnen der Dichter etwas von dem Seinigen geben.... Sie müssen nichts von der engen Sphäre kümmerlicher Umstände verraten, aus der sich ein jeder gern herausarbeiten will. Er muß sie aufputzen; er muß ihnen Witz und Verstand leihen, das Arm- | |
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selige ihrer Torheiten bemänteln zu können; er muß ihnen den Ehrgeiz geben, damit glänzen zu wollen.’ Lessing, der auch durch seine Übersetzung von Diderots Père de famille doch eine gewisse Vorliebe für die comédie sérieuse zeigte, urteilt hier wohl nicht zu scharf. Gellerts Lustspiele haben in der Tat etwas Hausbackenes. ‘Die Komik, die der Dichter mehr in den Charakteren als in den Situationen sucht, wird durch Karikatur und Übertreibung völlig aufgehobenGa naar voetnoot1)’. Überhaupt tritt das Komische immer mehr zurück. Obwohl zwischen dem Erscheinen der BetschwesterGa naar voetnoot2) und der Zärtlichen Schwestern nur ein Zeitraum von zwei Jahren liegt, sieht man in dem letzten Stücke deutlich das Überhandnehmen des Rührenden, ja das Komische ist hier fast gänzlich verschwunden. Versteht es sich einerseits leicht, daß der sanfte Gellert sich zu der neuen Gattung der Komödie, die stille Heiterkeit neben süßer Trauer erregen wollte, hingezogen fühlte, andrerseits entspricht es ganz Gellerts Entwicklung zum Hypochonder, daß sein letztes Lustspiel nur noch mitleidige Tränen, aber kein freudiges Gelächter hervorruft. Die Komik ist bei Gellert satirisch gefärbt; freilich ist seine Satire ebenso unpersönlich wie die seines Freundes Rabener. Er richtet seine Pfeile gegen Scheinheiligkeit (in der Betschwester), Freidenkertum (in dem Loos in der Lotterie), Heuchelei und Untreue in der Liebe (in den Zärtlichen Schwestern), Chiromantie (in der kranken Frau), während die zahlreichen Schwächen der Frauen durchgängig verspottet werden. Allerdings ist diese Satire, wie auch in den Fabeln, nicht | |
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viel mehr als poetische Observanz. Neben dieses satirisch zugespitzte Komische tritt nun das Rührende, das einfache, häusliche Tugenden verherrlicht: Tugenden, wie sie ‘den Bürger im Privatleben schmücken’. Die getreue Schilderung dieses Privatlebens des sächsischen Bürgertums berechtigte Lessing dazu von wahren Familiengemälden zu sprechen, erklärt wohl zum Teil den Beifall beim damaligen Publikum und macht die Gellertschen Lustspiele für den heutigen Leser wo nicht literarisch, so doch kulturhistorisch wertvoll. Literarischen Wert kann man ihnen kaum beilegen. Der Aufbau ist äußerst ungeschickt, von einer spannenden Handlung ist gar nicht die Rede, es ist weiter nichts als ‘eine dialogisierte Darstellung von zufälligen Erlebnissen und Gesprächen innerhalb sächsischer Familien’Ga naar voetnoot1), bei der es mit der Wahrscheinlichkeit manchmal recht mißlich aussieht. Die Charaktere zeigen nicht die geringste Entwicklung, sind auch nur personifizierte Laster und Tugenden: ‘Paradigmata zu Gellerts Sittenlehre’. Stößt man in den Fabeln dann und wann auf einen frivolen Zug, auch in den Lustspielen, besonders in der Betschwester und im Loos in der Lotterie, finden sich Anspielungen, womit Gellert wohl dem Zeitgeist frönte und die man bei dem frommen Mann nicht erwartet hätte. Im Gegensatz zu den Fabeln, wo die Sprache den Charakteren der Personen entsprechend in angenehmer Weise differenziert ist, ist in den Lustspielen, mit Erich SchmidtGa naar voetnoot2) zu reden, der Dialog ‘korrekt, aber lahm’, die Sprache einförmig und monoton. Trotz dieser Fehler erhielten sich die Gellertschen Lustspiele ziemlich lange auf dem Repertoire; ihre Anziehungskraft scheint aber in den 70. Jahren nicht mehr groß gewesen zu sein. | |
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So schließt wenigstens Coym aus einer Anzeige in der ChronologieGa naar voetnoot1), wo es heißt: ‘Herr Gellert, der schon seit vielen Jahren der Bühne abgestorben war, starb’ (1769). Gleichwohl könnte auch damit gemeint sein, daß Gellert seit geraumer Zeit nichts mehr für die Bühne geschrieben hätte! Wie dem nun sei, literarhistorische Bedeutung kann man den Gellertschen Lustspielen nicht absprechen; Gellert ist der Mann, der mit seiner Betschwester die rührende Komödie in Deutschland einführte und sie, freilich erst sechs Jahre später, auch theoretisch verteidigte. Ist im Obigen der Versuch gemacht worden die Stellung der Gellertschen rührenden Komödie innerhalb der deutschen Literaturgeschichte näher zu beleuchten und ihrer historisch bedingten Bedeutung gerecht zu werden, es ist jetzt die Frage zu beantworten: Wie wurden die Gellertschen Lustspiele in Holland aufgenommen? Selbstverständlich wurden sie übersetzt, diese Ehre erwies man bekanntlich jedem elenden Wisch vom deutschen BüchermarktGa naar voetnoot2). Etwas mehr sagt schon, daß einer weniger gelungenen Übertragung vom Jahre 1769 neun Jahre später bei denselben Verlegern eine zweite verbesserte folgen konnte, die im Gegensatz zu der ersten auch Het Orakel, Silvia und De Band of het Lint enthieltGa naar voetnoot3). Die mit vier Kupferstichen geschmückte, schön ausgestattete Ausgabe wird von den Verlegern den Liebhabern ‘moralischer Lustspiele’ angeboten. Jedermann kenne Gellert und es wäre für einen Mann von Geschmack eine Beleidigung, wenn man von ihm | |
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voraussetzte, daß er einer besondren Empfehlung dieser Lustspiele bedürfe. Ein Jahr vor dieser Ausgabe, 1777 also, hatte der Rector gymnasii E.I.B. Schonck eine Übersetzung in Alexandrinern von Das Orakel und Silvia veröffentlicht, die er in der Amsterdamer Übertragung von 1769 entbehrt hatte. Aus seinem Vorwort ergibt sich, daß er dieses Werkchen als eine Art Versuchsballon betrachtete. Von der mehr oder weniger günstigen Aufnahme sollte nämlich die Herausgabe einer schon fertiggestellten Sammlung Fabeln im Gellertschen Geschmacke abhängig gemacht werden. Da diese Fabeln in der Tat veröffentlicht wurden, müßte man auf einen wohlwollenden Empfang dieser Singspiele schließen. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, kann man nicht anders als feststetzen, daß das an und für sich schon unbedeutende Original bei der Übersetzung gewiß nicht gewonnen hat. Schlägt man die erste Seite auf, dann genügen Zeilen wie: ‘een kusje op een schoone hand kleeven’ und ‘al moet ik haar voeten smooren’, dem Leser die Lust an der weiteren Lektüre zu verderben. Die Übersetzung des Anonymus in der Amsterdamer Ausgabe von 1778 bietet eine weit angenehmere Lektüre. Scheint es also mindestens fraglich, ob die ergänzende Ausgabe Schoncks einem wirklich allgemein gefühlten Bedürfnis entsprach, die Lustspiele waren auch hier völlig zeitgemäß. Freilich werden sie wohl mehr gelesen als gespielt sein. Worps Repertoire wenigstens der in Amsterdam aufgeführten Stücke (als Manuskript in der Leidener Universitätsbibliothek) nennt kein einziges Gellertsches Lustspiel. Erst in den allerletzten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts macht sich hier der Einfluß der deutschen Bühne geltend; bis dahin hatte die Zahl der Übersetzungen französischer Dramen die aus | |
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andren Sprachen weit übertroffenGa naar voetnoot1). Gegen das Ende des Jahrhunderts aber fängt die Überschwemmung mit den Stücken Ifflands und Kotzebues an und kann HaugGa naar voetnoot2) in seinen Brieven über das wahllose und fabrikmäßige Übersetzen deutscher Schauspiele Klage führen. Betrachten wir aber die Zeit der siebziger und achtziger Jahre, dann wird es klar, daß die moralisierenden bürgerlichen Dramen Merciers und Marivaux' den damaligen Geschmack befriedigten. Willem de ClercqGa naar voetnoot3) bestätigt in seiner mehrfach erwähnten Abhandlung den Erfolg der französischen ‘comédies larmoyantes’, besonders der Diderotschen StückeGa naar voetnoot4), von denen Le Fils naturel 1774 von Betje Wolff übersetzt wurde. Auch de Clercq sagt, daß auf der holländischen Bühne der französische Geist herrschend blieb. Dabei ist nicht zu vergessen, daß das moralisierende Element sich auch recht bald in deutschen Stücken vordrängte. Übersieht man das Verzeichnis aus dem Deutschen übersetzter Schauspiele bei WorpGa naar voetnoot5), dann weist die Anzahl der Übersetzungen und Auflagen genau in dieser Richtung. Es waren offenbar Stücke wie J.C. Brandes'Ga naar voetnoot6) De Graaf van Alsbach, of | |
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de belooning der deugd, J.J. EngelsGa naar voetnoot1) De dankbare zoon und C.F. WeiszesGa naar voetnoot2) Romeo und Julia, die beim Publikum den Sieg davontrugen. Dieser Neigung zur Moral kamen auch Sammelwerke wie van Engelens Spectatoriale SchouwburgGa naar voetnoot3), Het Spectatoriaal TooneelGa naar voetnoot4), P. 't Hoens Nieuwe Spectatoriale SchouwburgGa naar voetnoot5) entgegen. Das Erfreuliche dabei ist, daß manches bedeutende Stück auf diese Weise dem damaligen Leser bekannt wurde; so brachte z.B. van Engelen, ein Verehrer Lessings, eine Übersetzung von dessen Emilia Galotti (5. Band, 1777) und Minna von Barnhelm (9. Band, 1780). Zieht man die, aus dem Obigen hervorgehende, Geschmacksrichtung auf das Moralische und Bürgerliche in Erwägung, dann könnte man dazu neigen, den Gellertschen Blijspelen hier einen glänzenden Erfolg zu prophezeien. Dennoch beweisen die Tatsachen, daß es sich hier höchstens um einen Achtungserfolg handelte. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, sagt Betje Wolff ‘dat men ze (die Blijspelen) niet al geeuwend uit kan leezen’Ga naar voetnoot6). Daß die schleppenden Lustspiele Gellerts, mit ihrer unbe- | |
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deutenden, oft unzureichend motivierten Handlung, die lebhafte Betje mit ihrem scharfen Blick auf das wirkliche Leben, nicht ergötzen konnten, wird wohl keinen Kenner ihrer Schriften in Erstaunen setzen. Wie war aber das Urteil der führenden Zeitschriften? Wie immer ist auch hier die Beurteilung aus dem Standpunkte des Rezensenten zu erklären. Dies zeigt sich am deutlichsten bei der Besprechung der Betschwester, De schijnheilige vrouw, ein Stück, das bei vielen Anstoß erregte. Gellert fand es sogar nötig in der Vorrede zu seinen Lustspielen (1747) sich gegen einen Angriff in der Regensburger gelehrten Zeitung zu verteidigen. Man hatte ihm nämlich vorgeworfen, ‘daß der gemeine Mann nicht wissen würde, ob man die Betschwester, oder den König David lächerlich machen wollte’. Daß derartige, von geringem Verständnis zeugende Angriffe den frommen Gellert dermaßen verdrossen, daß er das ganze Stück gern zurückgenommen hätte, kann nicht wundernehmen. Gellerts ‘beste Figur’, wie Erich SchmidtGa naar voetnoot1) die verlogene, filzige Betschwester nennt, wurde auch hierzulande sehr verschieden beurteilt. Der Autor, der die erste Ausgabe (1769) in den Vaderl. LetteroefeningenGa naar voetnoot2) rezensiert, findet die ganze Gestalt so nach der Natur geschildert, daß er nicht umhin kann eine Probe aus dem Stück abzudrucken. Von den sämtlichen Komödien Gellerts sagt er, daß sie weniger lustig als die des witzigen Holberg seien, die Vorstellung aber sei ‘sachlich’ und diese Stücke seien auch durchaus geeignet, diejenigen eines Bessern zu belehren, die das Theater als eine gottlose Anstalt betrachten. Recht liebenswürdig fügt dann der Rezensent hinzu, daß sich diese Ansicht am meisten | |
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bei solchen Personen findet, die im Alltagsleben ‘Komödie spielen’. Solchen Leuten wird somit die Lektüre dieses Stückes bestens empfohlen! Anders urteilt, selbstverständlich, die Ned. Bibliotheek.Ga naar voetnoot1) Die Ausgabe von 1778, die der Rezensent bespricht, wird, der ersten gegenüber, der besseren Übersetzung und der größeren Vollständigkeit halber, gelobt. Vor dem berühmten Gellert hat der Rezensent die größte Achtung und wenn alle deutschen Autoren ihm geistesverwandt wären, dann hätte man keine Ursache über das Gift zu klagen, das den Holländern ‘jetzt’ so reichlich aus Deutschland zufließt. Trotzdem ist der Beurteiler der Meinung, daß Gellerts Geist und sittlicher Charakter in den andern Schriften besser hervortreten als in den Lustspielen. Namentlich die Betschwester ist wenig interessant und könnte, wider den Willen des Verfassers, fromme Leute in den Ruf von Schwärmern und Scheinheiligen bringen. Es ist hiermit genug gesagt um zu zeigen, daß auch hier dieses Stück in gewissen Kreisen Anstoß erregte. Was die übrigen Lustspiele betrifft, Betje Wolff wird wohl nicht die einzige gewesen sein, die bei der Lektüre gähnte und manche mögen sich darüber gewundert haben, daß der Verfasser dieser Komödien und der Dichter der ein paar Jahre früher (1772-1774) erschienenen Fabeln ein und dieselbe Person war. Von einer Beeinflussung unsrer Lustspieldichtung durch Gellert kann nicht die Rede sein. Freilich wurde die Gattung der ‘weinerlichen Komödie’ hier recht beliebt, die zahlreichen Stücke von Pieter 't Hoen z.B. sind sehr tränenreich; in Anbetracht aber der Orientierung der damaligen holländischen Bühne, muß hier eher an die Wirkung Diderots, | |
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Merciers, Marmontels und Marivaux'Ga naar voetnoot1), als an den Einfluß des deutschen Dichters gedacht werden. Ein paar stoffliche BeziehungenGa naar voetnoot2) zwischen der holländischen Lustspieldichtung und Gellerts Schriften lassen sich freilich noch festsetzen. So entnahm A. Brusse den Stoff für seinen Alcest of de beloonde vaderliefde (1791) der gleichnamigen Gellert'schen Erzählung und dasselbe gilt für H. Asschenbergh's De deugdzame zoon en de edelmoedige vrinden (1792). Beide Stückchen sind in Versen geschrieben. Auch für sein Schäferspiel oder vielmehr Zwiegespräch Dametas en Phillis (1791) entnahm J. Olland den Stoff aus Gellerts Erzählungen. Kuriositätschalber nennen wir noch das unbedeutende Stückchen C.F. Gellert (1786), worin A. Loosjes Pz. mit geringem Glück schildert, wie ein Student den berühmten Professor auf die Probe stellen will. |
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