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Witz
I.
Bei der letzten Form, die wir zu behandeln haben, brauchen wir uns nicht zu fragen, ob und wie sie auch in der Jetztzeit noch lebendig ist - es gibt keine Zeit und wohl auch keine Gegend, in der der Witz nicht zu finden wäre, sowohl im Sein wie im Bewußtsein, sowohl im Leben wie in der Litteratur.
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Wertschätzung des Witzes immer und überall die gleiche ist. Es gibt Zeiten, in denen der Witz bis in die höchsten Kunstgattungen und Kunstformen hineinreicht, es gibt andere Zeiten, in denen er sich damit begnügen muß, im weitesten Sinne volkstümlich zu sein. Wo immer aber der Witz volkstümlich ist, da bezeichnet er durch seine Art, durch seine Weise zu witzeln die Rasse, das Volk, die Gruppe, die Zeit, aus denen er jedesmal hervorgegangen ist: wir können den amerikanischen Witz von dem englischen, den englischen von dem irischen Witz unterscheiden, wir besitzen in Deutschland einen Berliner, einen Hamburger, einen Münchener - oder auch wieder einen jüdischen Witz. - Ebenso sind der antike, der mittelalterliche und der Renaissancewitz nicht zu verwechseln, unterscheidet sich der Jägerwitz von dem Verbrecherwitz. Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Namen dieser Form so sehr verschieden sind und weshalb man innerhalb der Allgemeinbezeichnung noch so viele Unterbezeichnungen findet. Witz, was außerdem auch noch eine andere Bedeutung hat, gilt als Bezeichnung dieser Form eigentlich nur für das Hochdeutsche; das Niederländische und Niederdeutsche haben grap, mit unsicherer Etymologie, das Englische joke, das Französische bon mot, das Italienische scherzo usw. Daneben haben wir im Neuhochdeutschen
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Worte, die Abarten bezeichnen, wie Kalauer, das von dem französischen calembourg stammt, Zote, wohl vom französischen sotie, wir haben im Englischen pun, wir reden von irischen bulls usw. Der Witz bietet uns also die beste Möglichkeit zu verstehen, wie bei gleicher Geistesbeschäftigung eine Form sich je nach dem Volke, der Zeit und dem Zeitstil anders vergegenwärtigt.
Für uns kommt es hier aber nicht auf die Unterschiedlichkeit an, sondern auf die Geistesbeschäftigung als Ganzes. So müssen wir denn zunächst sagen, daß in der Form Witz, wo immer wir sie finden, etwas gelöst wird, daß der Witz irgendein Gebundenes entbindet.
Wir wollen das mit einigen Beispielen erläutern. Fangen wir mit der Sprache an, so finden wir hier eine äußerst verbreitete Weise des Witzelns, die wir Wortspiel nennen.
Insoweit Sprache eine Weise ist, anderen etwas mitzuteilen oder sich mit anderen zu verständigen, ist es von vornherein klar, daß jeder Teil der Sprache die Eigenschaft der Verständlichkeit besitzen muß. Deshalb kann bei der Sprache, sofern sie das zu leisten beabsichtigt, jede Sprachform nur in ihrer verständlichen Bedeutung benutzt werden. Benutze ich nun aber - immer in dieser Betätigung - ein Wort in einer anderen Bedeutung, oder meine ich, während ich es scheinbar in der einen Bedeutung benutze, eigentlich eine andere, oder ersetze ich ein verständliches Wort durch ein zweites, das den gleichen Klang, aber eine andere Bedeutung hat, so entsteht hier nicht, wie wir es bei dem Rätsel in der Sondersprache gesehen haben, Vieldeutigkeit, sondern es entsteht: Doppelsinn, das heißt die mitteilende Absicht der Sprache wird aufgehoben, die Sprache wird in ihrer Verständlichkeit gelöst, die Bindung im Verhältnis des Redenden zum Hörenden wird augenblicklich entbunden. Gerade aber diese Lösung beabsichtigt das Spielen mit Worten, das Wortspiel.
Man bittet einen Franzosen ein Wortspiel zu machen über eine herrschende Epidemie, also ein jeu de mots, er antwortet: ‘je ne fais pas un jeu de maux.’ Indem er das Wortmots durch ein gleichklingendes Wort mit anderer Bedeutung ersetzt, hat er die notwendige Bedingung, daß in
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einem Zusammensprechen Frage und Antwort sich auf denselben Tatbestand beziehen müssen, aufgehoben - es ist Doppelsinn entstanden. Aber darüber hinaus hat er noch mehr getan: er hat, indem er den Bittenden darauf hinwies, daß man mit ernsten Sachen kein Spiel treiben soll, den ganzen Begriff jeu de mots hier gelöst.
Ein Norddeutscher tritt an einem kalten Wintertag in ein sächsisches Warenhaus und bittet den Chef um Ohrwärmer - nach kurzem Nachdenken antwortet der Chef: ‘Abteilung Vogelfutter’. Wiederum Doppelsinn, der daraus entsteht, daß der Norddeutsche und der Sachse sich nicht ‘verstehen’. Aber wiederum wird mehr und anderes gelöst: erstens der Zustand, daß durch dialektische Umformungen zwei, die die gleiche Sprache reden, dennoch durch den Gleichklang der Worte etwas anderes meinen, zweitens die überzeugung des Warenhausbesitzers, daß er jeden Artikel vorrätig haben muß.
Man sieht, auch ein einfacher Witz ist schon ein kompliziertes Gefüge. Aber alle Einzelteile in jenem Gefüge bezwecken immer wieder das gleiche: jedesmal wird durch sie etwas gelöst, eine Gebundenheit entbunden.
Die Mittel, über die die Sprache verfügt, um etwas zu lösen, sind ebenso zahlreich wie die Mittel, über die sie verfügt, um etwas zu binden. Jede Weise, in der Sprache einen Sachverhalt zu fassen, jede Sprachform, die dadurch entsteht, hat in dem Witz ihre komische Antipode. Wir brauchen nur, wo eine Abstraktion benutzt wird, auf das Konkrete zurückzugreifen, wo ein Bild gemeint war, auf das Buchstäbliche zurückzukommen, und die witzige Lösung ist da.
Was nun in der Sprache an sich möglich ist, können wir auch auf die Logik anwenden. Jeder Denkprozeß, alle Bedingungen, Prinzipien, Gesetze und Normen des richtigen Denkens können spontan gelöst werden. Man braucht nur die Reihenfolge zu unterbrechen, ein Glied durch ein anderes zu ersetzen, von der einen Logik in die andere überzuspringen, jedesmal ergibt sich etwas, das durch seinen Widersinn, seine Gegenstreitigkeit, seine Undenkbarkeit die Form Witz annimmt.
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Ein Grieche träumt, daß er bei einer berühmten Hetäre gewesen ist, und erzählt dies auf der Agora. Die Hetäre hört das Gerede und verlangt Bezahlung. Der Fall kommt vor den Richter. Dieser befiehlt dem Mann, das Geld auf den Tisch zu legen, er läßt einen Spiegel bringen und gestattet der Hetäre das Spiegelbild des Geldes als Zahlung für den geträumten Genuß zu nehmen. Eine Parallele zu dieser Logik finden wir in der Erzählung des Reisenden, der aus Ägypten einen ausgestopften Ichneumon mitbringt, um die Schlangen zu vertilgen, die sein an Delirium tremens leidender Bruder in Berlin zu sehen glaubt, und der auf den Einwurf, ‘aber das ist doch kein echter Ichneumon’ antwortet: ‘ganz richtig! aber die Schlangen sind auch nicht echt.’
In der Ethik ist es wieder das gleiche. Nehmen wir die allbekannte moralistische Erzählung des Mannes, der, indem er unter einer Eiche sitzt, darüber grübelt, weshalb die Eiche solche kleinen, unscheinbaren Früchte trägt, während die schönen großen Kürbisse in seinem Garten an dürftigen Kriechpflanzen wachsen. Die Natur und die Schöpfung scheinen ihm nicht zielbewußt. Aber während er nachdenkt und zweifelt, fällt ihm eine Eichel auf den Kopf - und nun geht ihm ein Licht auf und er freut sich zum mindesten darüber, daß Kürbisse nicht auf Eichbäumen wachsen. Daß die Geschichte eine ernste Tendenz hat, scheint mir nicht zweifelhaft, aber es ist ebenso sicher, daß sie gewisse Lücken zeigt, daß hier irgend etwas nicht ganz stimmt. Es ist nun eine Freude, zu sehen, wie der Witz wiederum von diesen Lücken ausgehend sich dieser Geschichte bemächtigt und wie er das, was nicht ganz stimmt, dazu benutzt, das Ethische der Erzählung oder die moralische Befriedigung, die sie gewähren könnte, zu zerstören und zu lösen. Als Witz wird sie nämlich so vorgetragen: Ein Pfarrer spaziert an einem Sommerabend unbedeckten Hauptes durch die Gegend und ergeht sich in frommen Gedanken über die Wunder der Schöpfung. Ein vorüberfliegender Spatz macht ihm etwas auf die Glatze. Der Geistliche faltet die Hände und spricht: ‘Herr ich danke Dir, daß Du die Kühe nicht mit Flügeln begabt hast.’ Hier ist alles gelöst. Der Zweifel im Gemüt des Laien ist ersetzt durch die Sicherheit
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in der Seele des Pfarrers. Statt zweier vergleichbarer Früchte: Eichel und Kürbis, erscheinen zwei unvergleichbare Tiere: Spatz und Kuh. Schließlich ist auch die Unanständigkeit zur Hilfe gerufen. Denn wie im Witze das Absurde die Lösung des philosophisch Logischen bedeutet, ebenso bedeutet das Unanständige im Witze die Lösung dessen, was uns die praktische Moral, die guten Sitten und der Anstand vorschreiben.
Gehen wir noch weiter, so bemerken wir, wie nicht nur Sprache, Logik, Ethik und Derartiges entbunden werden können, sondern wie auch alles, was wir im Laufe dieser Abhandlungen Einfache Form genannt haben, sich im Witze löst. Wenn wir ein Rätsel aufgeben wie: ‘Unter einem Pflaumenbaum liegt etwas Blaues mit einem Kern darin. Rate, was ist das?’, und wir antworten demjenigen, der ‘eine Pflaume’ rät, daß es ein blauer Husar ist, ‘der einen Pflaumenkern verschluckt hat’, aber demjenigen der die Husarenlösung kennt, daß es in diesem Falle, ausgerechnet ‘eine Pflaume’ ist, so entbinden wir damit die Form Rätsel, die darauf beruht, daß ein Rätsel geraten werden kann - was hier nicht der Fall ist. Wenn wir den Spruch: ‘Lerne zu leiden ohne zu klagen’ umsetzen in: ‘Lerne zu klagen ohne zu leiden’, so entbinden wir die Erfahrung, die sich in dem Spruch verdichtete. Bei der Geschichte von Bohne, Strohhalm und Feuerkohle haben wir gesehen, daß sich dort, wo man mit einer Scheinfrage an die Welt und ihre Erscheinungen herantrat, die Form Mythe lockerte, sich löste und zum Witz werden konnte. So könnten wir die Einfachen Formen der Reihe nach durchgehen, wir würden finden, daß sie sich im Witze lösen können.
Wir treffen den Witz mit seinen Übertreibungen nach oben und unten, mit seinen Umsetzungen, mit seiner Fähigkeit, die Dinge auf den Kopf zu stellen, auf jedem Gebiete. Die Mittel, deren er sich bedient, sind zahllos, denn - noch einmal - diese Mittel sind ebenso zahlreich wie die Mittel, deren sich Sprache, Logik, Ethik, Einfache Form bedienen, ihre bindenden Ziele zu erreichen. Jede angestrebte Bindung kann unter gewissen Voraussetzungen an einem bestimmten Punkte entbunden werden und die Form Witz annehmen.
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II.
Wir pflegen die Geistesbeschäftigung, aus der sich der Witz ergibt, mit einem griechischen Wort das Komische oder die Komik zu nennen. Ich möchte das auch hier tun, muß aber dabei eine Einschränkung machen. Ebenso wie mit dem Begriff des Tragischen hat sich eine philosophische Ästhetik, die in erster Linie von den Kunstformen ausging, mit dem Begriff des Komischen beschäftigt, sie ist dabei zu gewissen Resultaten, zu gewissen Bestimmungen gekommen, sie hat sogar das Komische für einen ‘außerästhetischen Wert’ erklärt. Unsere Aufgabe ist und bleibt demgegenüber eine morphologische; wir haben uns überall von der Ästhetik ferngehalten, wir wollen es auch an dieser Stelle tun; was im Sinne der Ästhetik oder in der Kunstform das Verhältnis des Komischen zum ästhetisch Tragischen, zum Erhabenen, zum Charakteristischen oder zum Schönen ist, kümmert uns hier nicht. Wir verstehen unter dem Komischen in derselben Weise, wie wir es beim Märchen mit dem Tragischen gemeint haben, eine Geistesbeschäftigung, aus der sich eine Einfache Form ergibt.
Wenn wir nun aber das Komische für das, was wir bis jetzt gesehen haben, einsetzen, so scheint es zunächst etwas Negatives zu sein. Wir haben überall von Entbindung gesprochen, und wir haben überall gefunden, daß es irgend etwas, Sprache, Logik, Ethik, Einfache Form gab, das entbunden wurde. Es war nicht so wie im Märchen, wo eine unmoralisch empfundene Welt umgeschaffen und danach in ihrer Tragik vernichtet wurde, sondern etwas anderes mußte da sein, mußte existieren, um in seinem Dasein von dem Witz ergriffen, entbunden werden zu können.
Es erhebt sich nun die Frage, ob und inwieweit dieses Entbindende selbst in der Lage ist, eine neue Form zu schaffen, oder ob und inwieweit das, was entbunden wird, trotz der Ent- | |
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bindung sich gleich bleibt. Man kann auch so fragen: bildet wirklich das Komische, in derselben Weise wie die anderen Einfachen Formen, eine eigene, in sich abgeschlossene Welt, oder bringt es nur die entbindende Umkehrung einer anderen Welt?
Wir können, indem wir an das erinnern, was wir in unserer Einleitung über Erzeugen und Schaffen gesagt haben, die morphologische Bedeutung dieser Frage mit einigen Beispielen beleuchten.
Es ist klar, daß ein Gefäß ohne Boden, ein Gefäß also, das weder dem Begriff Gefäß entspricht, noch als Gegenstand den Ansprüchen, die wir an ein Gefäß stellen, genügt, nichtsdestoweniger als Form nicht aufgehört hat, ein Gefäß zu sein. Wir können es ein Gefäß mit negativem Vorzeichen nennen. Selbst wenn es sich herausstellte, daß sich dieses bodenlose Gefäß gebrauchen ließe, um, sagen wir einem Feinde den Schädel zu zerschmettern, und selbst wenn man dieses Gefäß, wie einen bayrischen Maßkrug, zu diesem besonderen Zwecke in diesen besonderen Zustand versetzt hätte, so würde man trotz alledem immer noch sagen müssen, daß in diesem Falle das Gefäß zwar als Waffe diente, aber daß es Gefäß geblieben war. Dem steht gegenüber, daß ein Darm, den wir einem Schaf oder einer Katze entnehmen, den wir präparieren und den wir darnach auf einen Bogen spannen, um durch ihn Pfeile abzuschießen, oder auf einen Resonanzboden, um ihm Töne zu entlocken, daß dieser Darm in seiner Veränderung weder mit dem Begriff noch mit dem Gegenstand Darm mehr in Verbindung zu bringen ist, sondern daß er eine Sehne oder eine Saite wurde und daß Sehne und Saite unmöglich als Darm mit negativem Vorzeichen aufgefaßt werden können.
In bezug auf das Komische können wir nun unsere Frage vorläufig so stellen: Ist das, was nach der Lösung zum Witz wurde, ein bodenloses Gefäß oder ist es eine Saite? Oder auch: Ist das, was komisch wird, es selbst mit negativem Vorzeichen, oder ist durch das Komische etwas Neues geschaffen?
Um dies entscheiden zu können, müssen wir einen Augenblick über die Absicht des Komischen und des Witzes reden.
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Da wir im Witz ein Mittel besitzen, etwas zu lösen, liegt es auf der Hand, daß wir dieses Mittel anzuwenden bestrebt sind, wo immer uns etwas begegnet, was wir bedauern, verurteilen, verabscheuen, oder, um ein allgemeines Wort zu benutzen, was wir tadeln. Nicht alles Tadelnswerte jedoch läßt sich durch Komik umgestalten oder entbinden. Wir haben bei der moralistischen Geschichte des Unzufriedenen und auch bei dem Wortspiele schon gesehen, daß es in dem zu Lösenden etwas geben mußte, was nicht ganz stimmte, was den Anfang oder den Kern einer Lösung schon in sich trug, ja was schon auf dem Wege war, sich selbst zu lösen, und wir können dafür das Wort unzulänglich gebrauchen. Die notwendige Voraussetzung, um das Tadelnswerte oder um überhaupt ein Gefüge komisch lösen zu können und ihm die Form Witz zu geben, ist also, daß dieses Gefüge unzulänglich ist. Wir müssen noch hinzufügen, daß die Begriffe tadelnswert und unzulänglich zwar nicht zusammenzufallen brauchen, aber daß sie unter Umständen sehr gut zusammenfallen können, so daß letzten Endes zu einer komischen Lösung das Unzulängliche genügt.
Was sich nun in einem Witze, insofern er beabsichtigt, das Tadelnswerte aus einer Unzulänglichkeit, oder das Unzulängliche aus sich selbst zu lösen, ergibt, nennen wir Spott.
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III.
Je nachdem die Entfernung zwischen dem Tadelnswerten, das durch Spott gelöst wird, und dem Spötter, der es löst, größer oder geringer ist, unterscheiden wir wieder zwei Formen, die wir Satire und Ironie nennen.
Satire ist Spott mit dem, was wir tadeln oder verabscheuen und was uns fern steht. Wir wollen mit dem Getadelten nichts gemeinsam haben, wir stehen ihm schroff gegenüber, deshalb lösen wir es ohne Mitempfinden, ohne Mitleid.
Dagegen spottet Ironie zwar über das, was wir tadeln, aber sie stellt sich ihm nicht gegenüber, sie empfindet Teilnahme, sie ist beteiligt. Deshalb ist Gemeinsamkeit ein für Ironie kennzeichnendes Wort. Der Spötter hat mit dem Gegen stand seines Spottes die Empfindung für das, was verspottet wird, gemeinsam, er kennt es aus sich selber, aber er hat es in seiner Unzulänglichkeit erkannt und er zeigt diese Unzulänglichkeit dem, der sie nicht zu kennen scheint. Deshalb bekommt Gemeinsamkeit hier eine tiefere Bedeutung. Wir spüren in der Ironie etwas von der Vertrautheit und der Vertraulichkeit eines höher Stehenden mit dem, der unter ihm steht. Und gerade in dieser Gemeinsamkeit liegt der große pädagogische Wert der Ironie.
Satire vernichtet - Ironie erzieht.
Aber das Bewußtsein, daß man das, was man verspottet, selbst kennt, daß es einen Teil von uns bildet, macht, daß wir in der Ironie mit dem Komischen alle Schattierungen von Melancholie bis zu Schmerz verbinden können. Bittere Satire ist auf ihren Gegenstand erbittert; bittere Ironie ist bitter, weil es bitter ist, das, was wir in anderen verspotten, in uns selbst wieder zu finden.
Und da kann nun andererseits wieder die Verwandtschaft zwischen dem Spötter und dem, was er verspottet, dazu führen,
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daß diese beiden immer mehr zusammenwachsen. Die Tatsache, daß Ironie sich selbst trifft und sich selbst löst, kann die Ursache werden, daß sie sich selbst liebkost oder sich selbst befestigt.
So gehören die Spiralen und Querwege der Ironie zu dem Höchsten, was die Form des Komischen zu geben imstande ist. Will man ein Beispiel jener anziehenden und schwer zu folgenden Pfade, so lese man den ersten Teil von dem Lob der Narrheit des Erasmus. In dem zweiten Teil, der viel weniger tief ist, haben wir ein gutes Beispiel der Satire.
Die Ausdrücke Satire und Ironie werden in der Umgangssprache oft verwechselt. Kein Wunder - es gibt große Kunstwerke, die, als Satire angefangen, als Ironie endeten, Kunstwerke, wo der Dichter zuerst glaubte, seinem Gegenstand spottend gegenüberzustehen, und hoffte, ihn ohne Mitleid lösen zu können, wo er aber nach und nach zu der Einsicht kam, wie sehr er mit dem Verspotteten verwandt war, wie tief er mit seinem Spott sich selber traf. Wir brauchen hier kaum an Cervantes und seinen Don Quijote zu erinnern. Es gibt andere Kunstwerke, in denen die beiden Formen fortwährend nebeneinander gestellt werden, in denen die satirische und die ironische Lösung sich zu haschen scheinen, und hier denken wir an Ariosto, an Rabelais und an so manchen der großen deutschen Romantiker.
Wir haben aber mit diesen Künstlern das Gebiet der Einfachen literarischen Formen schon verlassen und befinden uns, was nicht in unserer Absicht lag, auf dem der Kunstformen.
Wir haben aber zugleich gesehen, daß die Ironie, die bei ihrem Spott ausgeht von dem, was wir mit dem Unzulänglichen gemeinsam haben, uns auf einen neuen Weg führt. Wir erkennen hier, wie die Absicht des Komischen oder des Witzes eine tiefere sein kann als die Lösung dessen, was wir tadeln oder verabscheuen, und daß die Form nicht eitel Spott zu bedeuten braucht.
Unser Leben und unser Denken verlaufen unentwegt in Spannung. Spannung innerhalb und Spannung außerhalb von uns. Jedesmal wenn diese Spannung und diese Anspannung
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Überspannung zu werden droht, versuchen wir sie zu verringern, sie zu lockern. Eines der Mittel - manchmal das einzige, oft das beste -, um von Spannung zu Entspannung zu geraten, ist auch wieder der Witz. Insoweit das Komische die Absicht hat, eine Spannung zu lockern, steht es nicht dem Tadelnswerten oder dem Unzulänglichen gegenüber, sondern dem Strengen. Wir nehmen hier streng in der tieferen Bedeutung. Das deutsche Adjektiv streng ist verwandt mit dem Substantiv Strang, das Verbum (sich) anstrengen schließt sich hierbei an. Wir befinden uns in einer etymologischen Gruppe, zu der neben vielem anderen auch das lateinische stringo und das griechische στϱαγγάλη gehören. Die Bedeutung dieser Gruppe kann abgeleitet werden aus einer Schnur, die gedreht wird, dadurch Widerstandsfähigkeit bekommt, aber immer straffer gespannt wird. An sich ist das Strenge nicht tadelnswert und keineswegs unzulänglich, im Gegenteil, es ist, wie wir schon sagten, eine notwendige Bedingung für unser Leben und Denken. Und doch müssen wir, selbst um das Strenge, wo es nottut, in voller Strenge durchführen zu können, die Möglichkeit besitzen, es aufzuheben oder uns von ihm zu befreien. Schriftsteller der Renaissance, die sich mit dem Begriff des Komischen, mit dem Witz und der Facetie beschäftigen, reden von einer relaxatio animi, von einer Lockerung des Geistes. In der Tat, unser Geist besitzt in dem Witz ein Mittel, sich, wo er es wünscht, zeitweise von sich selber zu befreien.
Insoweit nun das Komische und der Witz den Zweck haben, Spannung in Leben und Denken zu lösen und den Geist zu befreien, können wir die Form, die er annimmt, nicht mehr Spott nennen, sondern müssen von Scherz reden.
Scherz kann im Gegensatz zu Spott aufgefaßt werden, wenn sich das Komische nicht auf einen besonderen Fall, sondern auf einen allgemeinen Zustand bezieht. Scherz geht über Spott, da in ihm das Negative, was uns zu Anfang dem Komischen anzuhaften schien, aufhört. Denn die Befreiung des Geistes, die durch die Lockerung oder das Aufheben einer Spannung erfolgt, ist keineswegs die Negation eines Gebundenoder Gespanntseins, sondern bedeutet eine Freiheit in positivem
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Sinne. Wie sehr Befreiung Freiheit meint, empfinden wir, sooft uns das Komische aus den strengsten Spannungen der Ermüdung oder des Dilemma befreit hat.
Wenn wir nun aber die beiden Absichten des Komischen als Spott und als Scherz getrennt haben, so müssen wir unmittelbar daran anschließen, daß die litterarische Form Witz eine Zweieinheit bedeutet, in der sie zu gleicher Zeit getrennt und vereint einbegriffen sind. Ausnahmslos werden in einem und demselben Witz die Entbindung eines unzulänglichen Gefüges und die Lösung einer Spannung vollzogen. Auch wenn ein Witz bezweckt, in einem Einzelfalle etwas Tadelnswertes zu lösen, hat das zur Folge, daß er uns von einer allgemeinen Spannung befreit. Selbst die beißendste Satire und die bitterste Ironie erfüllen noch ihre zwiefache Aufgabe: So sehr wir in der ersten unseren Feind, in der zweiten uns selbst kränken und verletzen, sie befreien doch andererseits beide den Geist von einer inneren Spannung. Und demgegenüber: Selbst wenn wir mit unserer Komik an erster Stelle eine Spannung zu lösen beabsichtigen, so geht doch auch unser unschuldigster Witz immer wieder von einem Gegenstand, von einem Sonderfall aus, in dem eine Unzulänglichkeit gelöst wird.
Freilich können wir sagen, daß sich in irgendeinem Witz der Schwerpunkt nach der einen oder nach der anderen Seite herüberneigt. Aber der Witz, in dem eine der beiden Absichten des Komischen fehlt, verliert notwendig seine Form: er entbehrt der Pointe oder er wird Beleidigung.
Behalten wir dies im Auge, so können wir nun auf unsere Frage zurückkommen: Besitzt das Komische eine eigene Welt? Was macht der Witz mit dem, was er löst? Oder wie ist das Verhältnis der alten Form zur neuen?
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IV.
Gehen wir vom Begriff Spott aus, so kann es scheinen, als ob der Witz lediglich das Getadelte mit einem umgekehrten Zeichen wiedergäbe. Es gibt Formen des Spottes - ich erinnere an die Parodie -, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Nachahmung haben. Sie wiederholen das, was sie verspotten, aber sie wiederholen es, indem sie das, was den Kern der Lösung in sich trug, komisch betonen, sie wiederholen es in einer Weise, durch die es als Ganzes gelöst wird. Wiederholungen fanden wir in dem Witz des Franzosen, bei dem griechischen Richter, bei dem frommen Pfarrer, und wenn wir weiter suchen wollten, würden wir noch oft Ähnliches finden. Insoweit also der Witz in der Sprache, der Logik, der Ethik oder sonstwo einen Einzelfall löst, und dabei vom Unzulänglichen ausgeht - das heißt also, insoweit er Spott bleibt, ist es möglich, ihn als Wiederholung mit umgekehrtem Zeichen aufzufassen.
Wir sahen aber auch, daß der Witz noch mehr und anderes leistet, daß er außer einer besonderen auch noch eine allgemeine Absicht hat, indem er durch die Lösung einer Spannung den Geist befreit. So wie nun die Freiheit des Geistes nicht die Negation einer Gebundenheit, sondern etwas in sich Positives ist, ebenso ist der Witz nicht nur eine Form, die eine andere Form mit negativem Vorzeichen wiederholt, sondern er ist immer auch zu gleicher Zeit durch seine doppelte Funktion eine Form, die selbständig schafft.
Wir können diesen Vorgang besonders gut beobachten bei jenen Witzen, die, ausgehend von Fehlern und Schwächen bestimmter Kreise oder eines bestimmten Menschenschlages, spontan scharf umrissene, autonome Figuren und Gestalten hervorbringen, ich meine den Witz, der sich mit dem Jäger, dem Gigerl, der Köchin, dem Leutnant, dem Strolch, dem Duodez- | |
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fürsten, dem Homo novus, dem Geizhals, dem Trunkenbold, dem Schulmeister, dem Backfisch und ähnlichem beschäftigte oder beschäftigt und der in Witzblättern der Neuzeit ebenso beliebt ist wie in Schwänken der Vergangenheit. Offenbar ist hier das Komische zunächst Spott. Ausgehend von Unzulänglichkeiten versucht es das mehr oder weniger Tadelnswerte, das jedem dieser Charaktere anhaftet, zu lösen oder zu entbinden. Aber zu gleicher Zeit ist das Komische hier Scherz, und in dieser Eigenschaft gelingt es ihm, dieselben Charaktere zu Grundformen von sehr positiver Persönlichkeit umzuwandeln, ja zu binden! Was in dem Jäger verspottet wurde, wird durch den Scherz: Münchhausen; die Unzulänglichkeiten des Duodezfürsten werden in der Entspannung des Geistes zu einer so scharf umrissenen Figur, wie Serenissimus; schließlich tröstet uns Frau Raffke über das, was uns bei den Neureichen ärgert.
Die Kraft jener neugeschaffenen, völlig autonomen, scherzhaften Persönlichkeiten ist so groß, daß sie imstande sind, ihrerseits allen Spott der Vergangenheit, alle Einzelwitze, die früher die gleiche Absicht, die gleiche Richtung zeigten, an sich zu reißen und sie in erneuter Weise auf sich zu beziehen. Sie werden magnetische Zentren so lange, bis wieder eine neue Zeit sie löst und ersetzt.
Im Kleinen tut aber jeder Witz das Gleiche: Ausgehend von der Entbindung des Tadelnswerten, also vom Negativen, wird er durch die Freiheit, die er unserm Geiste bei dem Lösen einer Spannung gewährt, seinerseits bindend und schafft sich eine eigene positive Welt. Nur in der Zweieinheit von Spott und Scherz ist diese Welt des Witzes als Ganzes zu verstehen. Wollen wir sie noch einmal umschreiben, so müssen wir sagen: die Welt des Komischen ist eine Welt, in der die Dinge in ihrer Lösung oder in ihrer Entbindung bündig werden.
Der Vergleich mit dem bodenlosen Gefäß stimmte nicht. War der Vergleich des Darmes mit Saite oder Sehne besser? Vielleicht können wir noch einen dritten hinzufügen. So wie gewisse Stoffe von ihrer gegebenen Zusammensetzung aus eine chemische Verwandlung erfahren und durch einen äußerst
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komplizierten Gärungsprozeß eine Form annehmen, durch die ihre Wirkung eine völlig andere wird, kurz, so wie aus Traubensaft und aus Milch, aus Honig oder aus Reis und Kartoffeln durch Gärung etwas hervorgeht, das erregt und berauscht, so scheint es, als ob aus geistigen Stoffen durch die Gärung des Komischen etwas Neues gesehaffen wird, eine Form zustande kommt mit einer eigenen Art und einer neuen Funktion.
Es gibt Gegenstände, die im Sinne unserer Geistesbeschäftigung eine Lösung vollziehen, die also noch einmal als Gegenstand, mit unserer Geistesbeschäftigung geladen, unsere Form vertreten. Wenn Hauff in eine menschliche Gesellschaft einen mit menschlicher Gesellschaftskleidung angetanen Affen einführt, so löst er damit litterarisch nach einer bestimmten Richtung die ‘Gesellschaft’ in ihrer ‘Menschlichkeit’. Aber tut nicht ein wirklicher Affe, von einer menschlichen Menge bestaunt und begafft, während er unter der Fuchtel seines Dresseurs im Frack aus einem Glase trinkt, von einem Teller ißt, radelt oder raucht, kurz, sich menschlich gebärdet, genau das Gleiche? Und kann nicht ein ritterliches Ahnenbild an den Wänden des Zimmers eines Emporkömmlings, in dem alles aus allen Zeiten und Stilen zusammengerafft ist, die ganze Haltung des Neureichen und des Neureichtums lösend veranschaulichen?
Ich möchte einen solchen Gegenstand, in dem sich an einer bestimmten Stelle und nur da eine Lösung vollzieht, Karikatur nennen. Gewöhnlich heißt Karikatur ein Bildnis, das überladen (caricato) einen Angriff (carica) auf einen Charakter unternimmt, das durch Hervorhebung und Übertreibung gewisser Züge eine körperliche und geistige Beschaffenheit in und durch sich selbst zu lösen versucht. Hier aber greift ein Gegenstand einen Charakter, eine Beschaffenheit, eine Situation in derselben Weise an; mit unserer Geistesbeschäftigung geladen, karikiert er sie, löst er sie.
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