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Memorabile
I.
Noch eine andere Form müssen wir, wie ich glaube, in die Reihe unserer Einfachen Formen aufnehmen. Auch diese möchte ich unmittelbar aus dem, was wir täglich beobachten, ableiten.
Auf meinem Schreibtisch liegt eine alte Zeitung, sie hat dazu gedient ein Buch einzuschlagen - ich glätte sie und lese:
‘Der Freitod des Kommerzienrats S.
Das Motiv für den Selbstmord des Kommerzienrates Heinrich S., der sich gestern abend in seiner Wohnung, Kaiserallee 203, erschoß, ist in pekuniären Schwierigkeiten zu suchen. S., der aus Turkestan stammt, besaß früher eine Wodka-Fabrik, die er jedoch bereits vor längerer Zeit verkauft hatte. Der 62jährige hatte schon vor längerer Zeit Selbstmordabsichten geäußert und den gestrigen Abend, an dem seine Frau sich im Konzert befand, zur Ausführung benutzt. Der Knall des Revolvers wurde von Asta Nielsen gehört, die die daneben gelegene Wohnung innehat. Frau Nielsen benachrichtigte dann als Erste Arzt und Polizei.’
Diese Mitteilung dient offenbar dazu: 1. von dem verstorbenen Kommerzienrat S. einen kurzen Lebensabriß zu geben; 2. zu erklären, weshalb ein betagter, angesehener Mann freiwillig in den Tod gegangen ist; 3. über die Art des Selbstmords Auskunft zu erteilen.
Um das Erste zu erreichen, wird mitgeteilt, wo Heinrich S. geboren war; in welchem Alter er sich befand; womit er sein Vermögen erworben hatte; wo er wohnte. Zum Zweiten gehören die ‘pekuniären Schwierigkeiten’, die ‘geäußerten Selbstmordabsichten’. Zum Dritten gehören die Mitteilungen,
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daß er sich erschossen hat; daß er dazu den Abend auswählte, da seine Frau abwesend war; daß ein Nachbar, durch den Knall des Revolvers aufmerksam geworden, die Polizei benachrichtigte.
Als Bericht gefaßt könnte nun diese Mitteilung lauten:
Der 62jährige Kommerzienrat Heinrich S. hat sich gestern abend in seiner Wohnung, Kaiserallee 203, erschossen. Er war in Turkestan geboren, besaß früher eine Wodka-Fabrik und hatte sie vor längerer Zeit verkauft. Er befand sich in pekuniären Schwierigkeiten und hatte schon oft Selbstmordabsichten geäußert. Er wählte zur Ausführung seines Planes einen Abend, da seine Frau abwesend war. Durch den Knall des Revolvers aufmerksam geworden, benachrichtigte eine Nachbarin die Polizei und den Arzt.
Unsere Mitteilung sieht jedoch anders aus - sie enthält mehr, sie enthält andere Einzelheiten. Und zwar sind diese Einzelheiten keineswegs litterarischer Art, sie sind von dem Aufsteller des Berichts nicht in dem Sinne frei gewählt, wie wir es bei unserm ersten Rechtsfall im Kasus gesehen haben. Auch diese Einzelheiten sind nicht gedanklich, sie sind dem konkreten Gang des Geschehens entnommen, sie sind historisch.
Betrachten wir diese Einzelheiten genauer. Frau S. war nicht nur abwesend, sie war im Konzert. Diese Tatsache steht mit dem, was im Berichte mitgeteilt werden soll, nicht in unmittelbarem Zusammenhang. S. wollte nur aus begreiflichen Gefühls- und Geschmacksgründen zu seinem Selbstmord einen Augenblick wählen, da seine Frau abwesend war. Aber Frau S. hätte ebensogut einen Trauerbesuch bei Verwandten abstatten oder einer Einladung von Bekannten Folge leisten können. Und dennoch wird die historische Tatsache des Konzertes hier ausdrücklich herangezogen. Weshalb? Weil in Konzert hier etwas liegt wie Unterhaltung, Kunstgenuß, Freude; weil diese Freude einen Gegensatz bedeutet zu dem einsamen Manne zu Hause, der vor dem schweren Entschluß steht, und weil die Frau im Konzertsaal, der Mann einsam zu Hause zusammen das, worauf es ankommt - Selbstmord - in einer bestimmten Weise herausheben.
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Diese beiden historischen Tatsachen: die Frau im Konzert, der Mann zu Hause, stehen weder in ursächlichem noch in begründendem Zusammenhang, sondern sie werden einander beigeordnet, um die übergeordnete Tatsache Selbstmord im Laufe des Geschehens selbständig zur Geltung zu bringen.
Sehen wir nun weiter. Wenn der Nachbar ein beliebiger Junggeselle oder Frau X.Y. oder Z. gewesen wäre, würde er wohl ebenfalls die Polizei und den Arzt benachrichtigt haben. Aber es wird wiederum ausdrücklich hervorgehoben, daß diese Nachbarin Asta Nielsen war. Wie oft hat unsere vortreffliche Filmdiva im Spiel einen Selbstmord miterlebt oder sogar einen dargestellt, wie oft hat sie bei dem Knall des Revolvers sich die Ohren zugehalten, die Augen aufgerissen, die Haare gerauft, sich in ‘Großaufnahme’ gezeigt. Aber nun: Wand an Wand die Wirklichkeit! Es ist klar - wir fragen hier nicht, inwieweit es Frau Nielsen angenehm war, auch bei dieser Gelegenheit ihren Namen in der Zeitung zu finden. Wir fragen: was geschieht in unsrer Mitteilung? - und da sehen wir wiederum, wie zwei Tatsachen: der Knall des Revolvers und die Filmschauspielerin, die in einem Geschehen nicht in ursächlichem oder begründendem Zusammenhang stehen, dennoch einander beigeordnet werden, um in ihrer Gegensätzlichkeit die übergordnete Tatsache zur Geltung zu bringen, sie so zu gestalten, daß sie sich uns als selbständig einprägt.
In dem Bericht, so wie wir ihn uns aus dem, was mitgeteilt werden sollte, zusammenstellten, wurde ein Geschehen als solches gegeben; es enthielt nichts, was nicht unmittelbar mit dem Kommerzienrat S. und mit seinem Freitod in Zusammenhang stand. Die historischen Tatsachen waren so geordnet, daß sie sich zwar aufeinander bezogen, aber daß aus ihrer Bezogenheit der Sinn dessen, was ihnen in ihrer Gesamtheit übergeordnet war, nicht hervorging.
In dem Zeitungsausschnitt dagegen wurden Tatsachen herangezogen, die, obwohl ebenso sehr historisch wie die im Bericht gegebenen, doch mit dem Kommerzienrat S. und seinem Freitod nicht in unmittelbarem Zusammenhang standen - sie wurden aber einander und dem Ganzen in einer Weise
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beigeordnet, daß dadurch das Übergeordnete eine selbständige Gültigkeit bekam, daß der Sinn des Ganzen heraussprang.
Selbstmord sollte es heißen. Was Selbstmord bedeutet, geht nicht hervor aus den Tatsachen, daß jemand in Turkestan geboren ist, oder eine Wodka-Fabrik besessen hat - auch nicht aus der Tatsache, daß er Kaiserallee 203 wohnt - aber wohl aus Umständen wie, daß er allein ist und daß die Frau sich im Konzert befindet, oder daß nebenan eine Künstlerin wohnt, die das alles oft genug gespielt hat, aber nun durch den Knall des Revolvers in ein wirkliches Geschehen hineingezogen wird. Letzten Endes versucht die Form noch einen weiteren Sinn zu geben: Selbstmord eines Kommerzienrats, eines Mannes, der früher reich war und der sich jetzt nicht mehr aus pekuniären Schwierigkeiten retten kann. So ist die Zeit! In diesem einmaligen Geschehen, das sich heraushebt, zeichnet sie sich.
Fassen wir zusammen: der Ausschnitt ist bestrebt, aus dem allgemeinen Geschehen etwas einmalig herauszuheben, das als Ganzes den Sinn dieses Geschehens bedeutet; in diesem Ganzen sind die Einzelheiten in einer Weise angeordnet, daß sie einzeln, in ihren Beziehungen, in ihrer Gesamtheit erklärend, erörternd, vergleichend und gegenüberstellend den Sinn des Geschehens hervorheben.
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II.
Unserem Zeitungsausschnitt möchte ich nun einen Ausschnitt aus der Geschichte an die Seite stellen. Ich wähle ein Ereignis aus der niederländischen Geschichte und zwar die Ermordung des Prinzen von Oranien, Wilhelms I. des Schweigers.
Den Lauf der Geschehnisse brauche ich nur kurz in Erinnerung zu bringen. Wilhelm von Oranien war 1533 auf dem Schlosse Dillenburg geboren, war in der Umgebung Karls V. erzogen worden. Er war ein Günstling des Kaisers, der ihn bei seiner Abdankung seinem Sohne Philipp II. empfahl. Er wurde zum Statthalter von Holland, Zeeland, Utrecht ernannt und Mitglied des Staatsrats in Brüssel. Allmählich kommt es zu Streitigkeiten - der Abfall der Niederlande bereitet sich in den 60er Jahren vor, vom Jahre 1568 an gilt er als Aufstand. Es ist bekannt, welche hervorragende Rolle Wilhelm als Politiker und Feldherr dabei spielte. Zu Ende der 70er Jahre, als sich das Schwergewicht des Aufstandes immer stärker nach Norden verlegt hatte und die Tätigkeit des Alexander Farnese im Süden der spanischen Herrschaft aufs Neue Vorschub leistete, schlossen sich auf Oraniens Veranlassung die nördlichen Provinzen zu Utrecht zusammen, und damit war der Grund zu einer Republik der Vereinigten Niederlande gelegt. Wilhelm wurde von Philipp II. 1580 in die Acht erklärt, er wurde rechtlos, seinem Mörder wurden Verzeihung seiner Verbrechen, der Adel - falls er ihn noch nicht besaß - und 25 000 Goldkronen versprochen. Alsbald folgte, 1582, der erste Mordanschlag, der jedoch mißlang. Der Prinz wurde nur ziemlich schwer an der Backe verwundet, erholte sich aber wieder. Im Jahre 1584 gelang die Tat. Der Mörder, ein gewisser Gérard, hatte den Plan seit mehreren Jahren vorbereitet, er war von verschiedenen Seiten dazu ermuntert worden. Im Mai 1584 wußte er sich Zugang zu dem kalvinistischen Hofprediger des
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Prinzen, Villiers, zu verschaffen, indem er sich als Opfer der katholischen Verfolgung ausgab; er wurde mit einer kleinen Mission zu dem Gesandten der Generalstaaten in Frankreich geschickt und kam wiederum mit einer Nachricht an den Prinzen selbst in die Niederlande zurück. Als er zum ersten Male zu dem Prinzen zugelassen wurde, war er unbewaffnet.
Die Darstellung der weiteren Ereignisse zitiere ich aus P.J. Blok, Geschichte der Niederlande (Gotha 1907, Bd. III, S. 356):
‘Am 8. Juli erschien er [Gérard] am Prinzenhofe zu Delft, die Ausgänge zu erspähen und die Gelegenheit zum Entfliehen sich zu merken. Als er entdeckt wurde, erklärte er sein Verweilen hier mit seiner Scheu, in seinem schäbigen Anzug die Oraniens Wohnung gegenüberliegende Kirche zu besuchen. Von dem hiervon in Kenntnis gesetzten Prinzen empfing er eine Summe Geldes, um sich besser auszustatten. Er kaufte damit von einem Soldaten der Leibwache Pistole und Kugeln und begab sich am Dienstag Mittag, dem 10. Juli, nach dem Hof, wo er den Prinzen, der gerade mit den Seinen ins Eßzimmer ging, um einen Paß bat. Die Prinzessin war sehr beunruhigt über das ungünstige Äußere des Mannes, aber ihr Gemahl achtete wenig darauf und befahl, ihm das Gewünschte verabfolgen zu lassen. Nach der Mahlzeit, um zwei Uhr, verließ der Prinz im stattlichen Talar mit den Seinen langsam und sinnend das Speisezimmer, wo er mit seinem Gast, dem Bürgermeister Ulenburgh aus Leeuwarden, sich lebhaft über die friesischen Angelegenheiten unterhalten hatte, über ein kleines Vestibül nach der aufwärts führenden Treppe. Plötzlich sprang der Mörder unter einem kleinen, dunkeln Bogen hervor, der nach einem engen Korridor führte, und schoß sein Pistol ab, aus dem zwei Kugeln den Prinzen in der Lungen- und Magengegend in die Brust trafen. Die Wunde war tödlich. Der Prinz rief aus: ‘Mon Dieu, ayez pitié de mone âme. Mon Dieu, ayez pitié de ce pauvre peuple’, antwortete noch mit einem schwachen Ja auf die Frage, ob er seine Seele nicht in Christi Hände befehle, und gab nach wenigen Augenblicken den Geist auf...’
Was wir hier lesen, sind ausschließlich historische Tatsachen; die Mitteilungen stammen von Augenzeugen, von dem
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Mörder selbst, aus den Prozeßakten. Aber wir sehen wieder, daß wir keinen einfachen Bericht, kein Protokoll vor uns haben.
Gérard konnte, obwohl er sein Unternehmen seit langer Zeit vorbereitet hatte, dennoch nicht nach einem in allen Einzelheiten entworfenen Plane handeln - er war von Umständen abhängig. Als er am 8. Juli die Ausgänge erspähte und dabei entdeckt wurde, wird die Angst ihm wohl die Notlüge eingegeben haben. Hätte er in dieser Weise kein Geld bekommen, so würde er sich in anderer Weise Waffen verschafft haben, denn er war, wie er selbst im Verhör aussagte, fest entschlossen, den Prinzen zu ermorden, ‘sei es, wenn dieser zur Predigt ging, sei es, wenn er sich zur Mahlzeit herunter begab, oder auch wenn er von der Mahlzeit zurückkehrte.’ Trotzdem muß diese Lüge hier erwähnt werden, da tatsächlich durch sie die Mordwaffe erstanden wurde. Lüge und Mordanschlag stehen hier in ursächlichem Zusammenhang - aber darüber hinaus bringt dieses Heranziehen der Lüge auch noch die Tatsache des Mordes in anderer Weise zur Geltung. Der Mildtätigkeit des Fürsten wird die Ruchlosigkeit des Mörders gegenübergestellt, der sich nicht scheut, Geld von seinem Schlachtopfer anzunehmen, ja, für dieses Geld die Waffe kauft.
Daneben finden wir nun aber Einzelheiten, die mit dem Mord selbst keineswegs in Zusammenhang stehen. Die Prinzessin war beunruhigt über das ungünstige Äußere des Mannes; der Prinz hatte Gérard schon öfters gesehen, ebenso viele aus der Umgebung des Prinzen, an erster Stelle dessen guter Freund, der Hofprediger Villiers. Waren diese weniger empfindlich in punkto Schelmengesichter oder meinten sie, daß man den Menschen nicht nach seinem Äußeren beurteilen soll? Wir wissen es nicht. Sicher ist aber, daß diese - übrigens beglaubigte - historische Tatsache hier eingeordnet wird, weil sie wiederum das Hauptgeschehen, den Mord, in einer bestimmten Weise heraushebt. Sie bildet hier das, was wir in einer Kunstform eine Retardierung nennen würden: wir zögern einen Augenblick - sollte dieses Urteil oder Vorurteil der Prinzessin vielleicht die drohende Gefahr noch haben abwenden können -?
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Endlich: der Prinz verließ im stattlichen Talar mit den Seinen langsam und sinnend das Speisezimmer, wo er mit seinem Gast, dem Bürgermeister Ulenburgh aus Leeuwarden, sich lebhaft über die friesischen Angelegenheiten unterhalten hatte. Auch dies alles ist von Augenzeugen, von den Personen selbst ausgesagt, aber hier haben wir den ursächlichen oder begründenden Verband vollends verlassen. Hätte Gérard von seinem Vorhaben Abstand genommen, wenn der Prinz anders gekleidet gewesen wäre, anders das Eßzimmer verlassen, über anderes mit dem friesischen Bürgermeister geredet hätte? Und dennoch werden diese Tatsachen herangezogen, dennoch erfüllen sie in dem Zusammenhang ihre Aufgabe - denn wiederum erklären und erörtern sie das Ereignis, heben sie durch Vergleich und Gegenüberstellung das Übergeordnete hervor. Wir sehen den Prinzen in diesem Augenblick, wir bringen die strenge Kleidung, den sinnenden Schritt, das Gespräch über Staatsgeschäfte miteinander in Zusammenhang, wir bringen sie in Zusammenhang mit dem plötzlichen Tod des Großen, des Unentbehrlichen, mit dem, was hier vorgeht.
An sich sind diese historischen Einzelheiten ohne Wichtigkeit. Wir können sogar viel weiter gehen - wir können sagen, sie sind so wenig maßgebend, daß sie an sich ganz anders, sogar in ihr Gegenteil verwandelt sein könnten. Man denke sich: der Prinz, mit einem kurzen farbigen Wams bekleidet, verläßt leichten Schrittes den Speisesaal, wo er mit seiner jungen Frau Louise de Coligny gescherzt hat - und nun wird er plötzlich meuchlings erschossen. Das Bild ist anders, aber wir denken es in der gleichen Weise. Wir sehen wiederum den Prinzen - aber wir fühlen jetzt den Gegensatz zwischen beweglichem Leben und einem plötzlichen Tod, zwischen Heiterkeit und Meuchelmord. Gewiß, was wir hier geben, würde weniger zu dem Charakter des Schweigers gepaßt haben - es ist auch eben nicht historisch, es ist eine Bezogene Form, die wir ad hoc herstellen. Aber auch in der Bezogenen Form sehen wir, wie die eingeordneten und nebengeordneten Einzelheiten in derselben Weise sich gegenseitig durchdringen, um das Übergeordnete zur Geltung zu bringen.
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III.
Überschauen wir den Vorgang noch einmal. Wir haben ein Geschehen, das wir kurz so zusammenfassen können: Aus einem Länderkomplex, der seit dem Ende des 15. Jahrhunderts von den Habsburgern zusammengehalten wird und der unter Karl V. seine größte Bedeutung und seinen größten Umfang hat, löst sich zu Ende des 16. Jahrhunderts ein Teil ab, da er sich in staatlicher und religiöser Hinsicht nicht mehr zugehörig fühlt, ein nationales Bewußtsein erwacht in ihm und so weiter. An diesem Geschehen ist eine Persönlichkeit, Wilhelm von Oranien, in so hohem Maße beteiligt, daß wir diese ganze Verselbständigung mit ihm in Verbindung bringen, daß wir sie ihm zurechnen, sie von seinen Handlungen aus beurteilen: wir erkennen ihn im Geschehen und das Geschehen in ihm. Diese Persönlichkeit stirbt, wird auf Veranlassung seiner Gegner ermordet. Selbstverständlich gehen Geschehen und Geschichte weiter, und unsre historische Aufgabe bleibt es - ebenso selbstverständlich! - dieses weitere Geschehen, die Loslösung der Niederlande aus dem spanisch-habsburgischen Komplex, weiter zu beobachten. In dem Augenblicke aber, da diese Person aus der Geschichte ausscheidet, da die Geschichte ohne sie weitergehen muß, hebt sich etwas aus dem Geschehen empor, trennt sich etwas aus ihm ab, wird eigenmächtig, wird übergeordnet. Der Zusammenhang mit der Geschichte wird nicht unterbrochen, aber das Geschehen wird in diesem Augenblick anders erfaßt.
Das Geschehen staffelt sich, es stapft von Stufe zu Stufe. Aus dem Geschehen: Abfall der Niederlande, erhebt sich die Person, der wir das Geschehen zurechnen, sie wird dem Geschehen übergeordnet, wir sehen den Abfall in ihr. In dem entscheidenden Augenblick, da die Person die Geschichte verläßt, wird aber auch ihr wiederum etwas übergeordnet: der Mord,
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der politische Meuchelmord; wir sehen einen durch Fanatismus und Geldgier aufgestachelten Mörder, der einen ihm unbekannten Menschen, der ihm wohlgetan hat, ermordet im Augenblicke, da dieser sich im Kreise seiner Angehörigen ernsthaft mit seiner Lebensaufgabe beschäftigt.
Auf jeder Stufe verlegt sich der Sinn des Geschehens. Wir wollen die Geschichte des Abfalls der Niederlande erkennen - und Wilhelm von Oranien wird Träger des Sinns; wir verfolgen die Geschichte in Wilhelm von Oranien - und im Augenblicke, da dieser aus der Geschichte ausscheidet, vertritt Mord den Sinn des Ganzen.
Wir treiben hier weder Geschichtswissenschaft noch Geschichtsphilosophie; wir beobachten einen sprachlich-litterarischen Vorgang, wir sehen, wie das unentwegt und unaufhaltbar fortschreitende Geschehen sich an bestimmten Stellen verdichtet, erhärtet, wie das rinnende Geschehen an solchen Stellen gerinnt, und wie es dort, wo es erhärtet, wo es geronnen ist, von der Sprache ergriffen wird, litterarische Form bekommt.
Wir sehen weiter - noch einmal: nicht geschichts-philosophisch, sondern sprachlich-litterarisch -, wie diese Form sich durch Staffelung ergibt. Alle Einzelheiten des Geschehens, die doch zum Geschehen gehören, mit dem Geschehen fortlaufen, fortrinnen müssen, wenden sich hier plötzlich anderswohin, richten sich auf etwas, was ihnen übergeordnet ist und was steht; in ihrer Beiordnung heben sie einzeln und in ihrer Gesamtheit erklärend, erörternd, vergleichend und gegenüberstellend dieses Übergeordnete hervor. Indem die beigeordneten Einzelheiten das Übergeordnete erfüllen, aber ihrerseits von ihm erfüllt werden, wird das Ganze eine Form, die im Stehen den Sinn des fortschreitenden Geschehens trägt.
Wir haben bei dem Freitod des Kommerzienrats S. von einem ‘Zeitungsausschnitt’ gesprochen. Wir meinen damit eigentlich nicht etwas, was wir mit der Schere aus einem Zeitungsblatt trennen, sondern etwas, was sich selbst aus dem Zeitgeschehen ausschneidet, lostrennt und in der Zeitung selbständig wird, Form annimmt. In derselben Weise nannten
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wir die Ermordung des Prinzen von Oranien einen ‘Geschichtsausschnitt’. Auch hier schien es, als ob wir aus einer Gesamtdarstellung etwas herausschnitten - in Wirklichkeit aber griffen wir etwas, was sich selbst aus der Geschichte herausgeschnitten hatte, etwas, in dem geschichtliches Geschehen hart geworden, geronnen war, in dem es Form angenommen hatte.
Ich habe diese Form Memorabile genannt - die lateinische Übersetzung eines griechischen Wortes, das etwas umständlich im Gebrauch ist: ἀπομνημονεῦμα. Das, was die Griechen unter einem Apomnemoneuma verstanden, scheint mir der Form, die ich hier meine, ziemlich nahe zu kommen. Als nach dem Tode des Sokrates der Streit zwischen Plato und Antisthenes über Sokrates' Persönlichkeit ausgebrochen war, schrieb der damals in Korinth weilende Xenophon seine Apomnemoneumata; er war vielleicht der erste, der dieses Wort als Titel eines Buches benutzte. Sein Ziel dabei war, die Persönlichkeit Sokrates' nicht nach einer persönlichen Auffassung, wie es die beiden Gegner versuchten, zu geben, sondern sie aus dem Geschehen, wie es sich seiner Erinnerung eingeprägt hatte, herauswachsen, sich hervorheben zu lassen. Ebenso nennen die christlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts die Aufzeichnungen der Evangelisten im Gegensatz zu den lügnerischen Erzählungen der Heiden Apomnemoneumata. Auch für sie scheint die Weise, eine Persönlichkeit zu geben, die zu sein, daß man sie aus wirklichem, fortschreitendem Geschehen sich erhärten, sich emporheben, sich überordnen läßt.
Indessen kam es Xenophon auf die Persönlichkeit des Sokrates, den Evangelisten nach der Auffassung der Apologeten auf die Person Jesu an. Wir gehen unsererseits umgekehrt von der Form aus, wir versuchen zu erklären, in welcher Weise in dieser Form Fließendes gerinnt.
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IV.
Die Geistesbeschäftigung, aus der sich das Memorabile ergibt, ist mit dem Gesagten schon nahezu umschrieben. Suchen wir ein Wort, das diese Geistesbeschäftigung andeutet, so können wir sie die Geistesbeschäftigung mit dem Tatsächlichen nennen. Sowohl das Memorabile des Freitodes des Kommerzienrats S. wie das der Ermordung des Prinzen von Oranien nahmen nichts in sich auf, was nicht im Geschehen Tatsache war, aber zugleich hob sich in ihnen aus der Reihe nebengeordneter Tatsachen eine übergeordnete Tatsächlichkeit heraus, auf die nun einmalig alle Einzelheiten sinnreich bezogen wurden - aus freien Tatsachen verwirklichte sich eine gebundene Tatsächlichkeit.
Wenn vieles, was einzeln im Wachsen begriffen ist, an einer Stelle zusammenwächst und wir es nun an dieser Stelle sowohl in den Einzelheiten als in dem Zusammenschluß beobachten, so benutzen wir, um diesen Vorgang zu beschreiben, das lateinische Verbum concresco. In diesem Sinne können wir sagen, daß das Memorabile die Form ist, in der sich für uns allerseits das Konkrete ergibt. Und zwar wird in ihm nicht nur die übergeordnete Tatsächlichkeit, auf die sich die gesonderten Tatsachen sinnreich beziehen, sondern auch alles Einzelne in seiner Beziehung und durch seine Bezogenheit konkret.
Erinnern wir uns - um bei unserem letzten Memorabile zu bleiben - noch einmal an den stattlichen Talar, an den gemessenen Schritt des Prinzen. Sie dienten dazu, die Tatsache Ermordung zur Geltung zu bringen, durch sie wurde die Mordtat herausgehoben, einer gesonderten Betrachtung zugänglich, kurz: konkret. Aber erfüllt, wie sie hier von dem Übergeordneten sind, kommen diese einzelnen - an sich, wie wir gesehen haben, nicht wichtigen - Tatsachen
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nun selbst zur Geltung. Der Prinz war jeden Tag bekleidet, er bewegte sich immer in einer bestimmten Weise: im Flusse des Geschehens, das wir in ihm erkannten, konnten sich diese Tatsachen nicht bemerkbar machen, haben wir sie nicht beobachtet. Erst hier, wo das Geschehen gerinnt, erst in dieser Form, wo alle Einzeltatsachen die übergeordnete Tatsächlichkeit erfüllen und von ihr erfüllt werden, sehen wir den Prinzen nicht mehr als Vertreter des Geschehens, des Abfalls der Niederlande, sondern wir sehen ihn als Menschen, wir sehen, wie er gekleidet ist und seine Kleider selbst, wie er geht und steht, wir sehen ihn als Persönlichkeit in ganzem Umfange, sehen ihn konkret.
Ich muß, was den Talar angeht, noch eines erwähnen: der Talar selbst, sowie die ganze Kleidung, die der Prinz am Tage seiner Ermordung trug, befinden sich in einem Museum im Haag - in Delft im ‘Prinzenhof’ ist die Stelle noch sichtbar, wo die Kugel, die ihn durchbohrt hatte, die Wand getroffen hat.
Wiederum haben wir hier einen Gegenstand und Gegenständliches vor uns, die mit der Macht der Form geladen sind. Wäre der Prinz von Oranien ein imitabile, seine Geschichte eine Legende, so wären diese Gegenstände Reliquien. So wie wir diese Kleider, das Loch in der Wand erblicken, sind sie uns Mittel, uns Person und Vorgang in stärkster Konkretheit zu vergegenwärtigen-sie sind Dokumente des Geschehens da, wo es zu äußerster Tatsächlichkeit zusammengewachsen ist. Die ganze Tätigkeit auch dieser Form kann also in einen Gegenstand hineingedeutet werden.
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V.
Wir haben bis jetzt gesonderte Memorabilien besprochen - ich möchte nunmehr noch ein Beispiel geben, das zeigt, wie in einer sprachlichen Periode sich aus einem Geschehen die Form Memorabile aus eigenem Antriebe ergibt. Dieses Beispiel führt uns zugleich in die Richtung, in der wir das Memorabile zu suchen haben.
Daß ein Teil der Erzählungen, die Grimm in seinen Deutschen Sagen zusammengestellt hat, nicht unserer Einfachen Form Sage entsprechen, haben wir festgestellt. Unter den Erzählungen, die zu Anfang des 1818 erschienenen zweiten Teiles stehen, erkennen wir eine ganze Anzahl als Memorabilien. Ich greife eine von diesen Erzählungen heraus (Nr. 373, Athaulfs Tod):
‘Den Tod König Athaulfs, der mit seinen Westgothen Spanien eingenommen hatte, erzählt die Sage verschieden. Nach einigen nämlich soll ihn Wernulf, über dessen lächerliche Gestalt der König gespottet hatte, mit dem Schwert erstochen haben. Nach andern stand Athaulf im Stalle und betrachtete seine Pferde, als ihn Dobbius, einer seiner Hausleute, ermordete. Dieser hatte früher bei einem andern von Athaulf aus dem Wege geräumten Gothenkönig in Dienst gestanden, und war hernach in Athaulfs Hausgesinde aufgenommen worden.
So rächte Dobbius seinen ersten Herrn an dem zweiten.’
Diese Erzählung enthält zwei Arten der Überlieferung - zwei Memorabilien, die sich auf dasselbe Geschehen beziehen. Das zweite Memorabile wollen wir unbesprochen lassen; das erste Memorabile gebe ich noch einmal in der Quelle, der Grimm es entnahm: Jordanis Getica (ed. Mommsen 1882, XXXI, 163):
‘Confirmato ergo Gothus regno in Gallis Spanorum casu coepit dolere, eosque deliberans a Vandalorum incursibus
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eripere, suas opes Barcilona cum certis fidelibus derelictas plebeque inbelle, interiores Spanias introibit, ubi saepe cum Vandalis decertans tertio anno, postquam Gallias Spaniasque domuisset, occubuit gladio ilia perforata Euervulfi, de cuius solitus erat ridere statura.’
Das Ganze bildet einen Satz oder vielmehr eine Periode. In dem ersten Teile ist das Geschehen im Flusse, die Persönlichkeit, in der wir das Geschehen beobachten, der Gote Athaulf, ist seinerseits nur im Geschehen sichtbar: er hat mit seinen Westgoten sich in Gallien festgesetzt, greift nun nach Spanien herüber, benutzt Barcelona als militärischen Stützpunkt und dringt, in unaufhörlichen Kämpfen mit den Vandalen, tiefer in das Land hinein. Nun aber wird er ermordet, und in derselben Periode tauchen mit einem Male jene einzelnen Tatsachen auf, die mit dem Geschehen, den Westgotenzügen, nicht unmittelbar in Verbindung stehen, aber aus denen die Person und die Ermordung des Königs heraus- und zusammenwachsen.
Wir sehen, wie Atawulf gewohnt war, einen Menschen seiner kleinen Gestalt wegen zu verhöhnen; und auch dieser Mensch, der von sich aus nicht in das Geschehen eingreift und doch durch seine Tat das Geschehen beeinflußt, tritt persönlich hervor: es ist Ewerwulf - durch das Schwert dieses Ewerwulf ist Atawulf gefallen. Nun wird auch die Art des Sterbens aus den Einzelheiten konkret: Ewerwulf ist klein, er wird seiner untersetzten Gestalt wegen verlacht, aber diese Kleinheit wird bestimmend für die Art, wie er sich rächt; er zerspaltet nicht wie im Kampfe Atawulf den Schädel, sondern er stößt ihm unerwartet das Schwert in den Unterleib. Das ist Mord, das ist die Art, wie ein Kleiner einen Großen umbringt - aber es ist zugleich die Art, wie das Historische sich staffelt und gerinnt, wie es eine Form ergreift, in der alle tatsächlichen Einzelheiten, auch wo sie nicht unmittelbar zu dem Geschehen in Beziehung stehen, dennoch sinnreich sowohl auf ein Übergeordnetes wie aufeinander bezogen werden, eine Form, die den Sinn des Geschehens trägt und in deren Zusammenschluß das Ganze und die Einzelheiten konkret werden.
Wir sagten früher, daß wir ein sehr beträchtliches Stück der Welt des Mittelalters vor uns sehen würden, wenn wir in
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Einzelheiten nachwiesen, wo überall die Geistesbeschäftigung der imitatio dem Leben des mittelalterlichen Menschen eingelagert ist. In ähnlicher Weise können wir hier feststellen, daß wir ein beträchtliches Stück der neuzeitlichen Welt vor uns haben würden, wenn es uns gelänge nachzuweisen, wo überall die Geistesbeschäftigung mit dem Tatsächlichen dem Leben des neuzeitlichen Menschen eingelagert ist. Jedenfalls ist der Neuzeit keine Form so geläufig wie das Memorabile: wo man die Welt als eine Ansammlung oder auch als ein System von Tatsächlichkeiten erfaßt hat, da ist das Memorabile das Mittel gewesen, diese ununterschiedliche Welt zu scheiden, zu unterscheiden und konkret werden zu lassen.
Gerade aber, weil diese Form einer Zeit so durchaus vertraut und geläufig war, ist diese Zeit vielleicht am wenigsten geneigt gewesen, sie als Form anzuerkennen. Wenn sich eine Form an die Spitze der anderen Formen stellt, die Form ϰατ̕ ἐξοχήν, die Form schlechthin, wird, so hört man auf, sie mit anderen Formen zu vergleichen, sie in die Reihe der anderen Formen aufzunehmen. So schien und scheint es zeitweise unmöglich, Geschehen anders als im Memorabile oder in Memorabilien zu fassen. Wenn eine Geschichtsphilosophie bereit ist zu erklären: ‘Geschichte wird erst dann, wenn in einer nach einem Wertgesichtspunkt geordneten Zeitreihe das Geschehnis den Charakter des Ereignisses erhält’, so führt sie damit den Begriff Geschichte unmittelbar in die Einfache Form Memorabile über. Andrerseits hat eine Philosophie, die in allgemeinen Begriffen bequeme Denkmittel, Werkzeuge, Kunstgriffe des Geistes, zweckgemäße Fiktionen sehen will, ihrerseits die Grenze zum Memorabile überschritten.
Jedenfalls erklärt sich aus dem Überhandnehmen dieser Form die Eigenschaft, die man in der Welt des Tatsächlichen mit dem Memorabile zu verbinden pflegt: indem das Tatsächliche konkret wird, wird es glaubwürdig.
Damit sind wir bei dem Bedeutungsvorgang angekommen, den ich in der Einleitung zur Sage erwähnt habe. Wir haben damals das Wort ‘Historie’ benutzt, von der Welt der Historie geredet und die Bestimmung dieser Welt auf später verschoben. In der Einfachen Form Memorabile liegt
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nun diese Welt vor uns. Der Geistesbeschäftigung, in der das Tatsächliche konkret wird, kommt es auf Glaubwürdigkeit an - aber sie findet Glaubwürdigkeit nur in ihrer eigenen Form, sie hält nur das, was die Form Memorabile annimmt, für ‘beglaubigt’. Wir nannten das die Tyrannei der ‘Historie’ - wir können an dieser Stelle der Historie und ihrer Muse Abbitte tun und uns genauer ausdrücken: dort, wo die Geistesbeschäftigung, von der wir reden, vorherrschend, überherrschend wird, geschieht in dem Verhältnis zu anderen Formen etwas, was sich vergleichen läßt mit dem, was im Memorabile selbst geschieht - es kommt zu einer Art Staffelung, und in dieser Staffelung erscheinen Sage, Legende oder Mythe nur bezogen auf das, was die Geistesbeschäftigung Historie zu nennen gewohnt ist, was sie in ihrer Form konkret gemacht hat, was sie von sich aus als glaubwürdig und beglaubigt erkennt und anerkennt. In der Geistesbeschäftigung mit dem Tatsächlichen und im Sprachgebrauche der Form Memorabile wird also die Form Sage zur ‘Vorstufe’, verliert das Wort Sage seine Bedeutungskraft und soll das Nichtglaubenswürdige oder das Nichtbeglaubigte bezeichnen.
Vielleicht müssen wir - obwohl wir damit das Gebiet der Einfachen Form verlassen - doch auch noch darauf hinweisen, daß Kunstformen, sofern sie bestrebt sind, aus irgendeinem Grunde ein Ausgedachtes einer Tatsächlichkeit entsprechend, also konkret und glaubwürdig, darzustellen, oft zu den Mitteln des Memorabile greifen. Wir haben schon bei der Kleidung des Prinzen von Oranien gesehen, wie alle tatsächlichen Einzelheiten sinnreich aufeinander und auf das Übergeordnete bezogen werden. Wir haben gesehen - und wir werden es jedesmal, wenn Geschehen die Form Memorabile annimmt, wieder sehen, wie aus Heiterkeit vor einem Unfall der Gegensatz Glück-Unglück, aus Ernst vor dem Unfall die Ahnung des Unheils sich ergibt, aus einem Unfall an einem schönen Sommermorgen wieder der Gegensatz, aus einem in einer stürmischen Winternacht die Übereinstimmung hervorgehen kann - und wie, um es noch einmal zu wiederholen, in und aus allem zusammen jedesmal der Unfall konkret wird, wir an ihn glauben, er sich unserem Gedächtnis einprägt. Dort aber, wo nicht Ge- | |
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schehen im Memorabile zusammenwächst, wo nicht von einem tatsächlichen Unfall die Rede ist, der konkret werden soll, sondern von einem der Einbildungskraft entsprungenen Unfall, da sehen wir, daß dieser Unfall, um glaubwürdig zu sein, in derselben Weise dargestellt wird, wie er sich im Memorabile ergibt, daß man ihn auch dort umgibt mit ähnlichen Einzelangaben, die alle in derselben Weise sinnreich auf ihn und aufeinander eingestellt werden. Und das kann so weit gehen, daß wir - wie es in der Litteratur der Neuzeit oft der Fall ist - den Unterschied zu Bezogenen Form Memorabile und der Kunstform Novelle kaum mehr spüren.
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