Verzamelde werken. Deel 6. Biografie
(1950)–Johan Huizinga– Auteursrecht onbekend
[pagina 252]
| |
Erasmus über Vaterland und NationenGa naar voetnoot*Für den Humanisten war als politische Geisteshaltung zunächst der Kosmopolitismus von vornherein gegeben. Im Lichte sowohl der klassischen Bildung als des christlichen Glaubens mußte ihm die nationale Differenzierung Europas wie eine Erscheinung oberflächlicher und störender Art vorkommen. Außerdem war ein gewisser Internationalismus nicht bloß als Prinzip geboten, sondern auch in der Praxis des kirchlichen und intellektuellen Lebens durchaus anwendbar. Wenn das alles für den Humanismus im allgemeinen zutrifft, für Erasmus gilt es ganz im besonderen: er ist ausgesprochener Kosmopolit. Quisquis communibus Musarum sacris initiatus est, schreibt er an Louis Ruzé, hunc ego ὁμοπάτριδα ducoGa naar voetnoot1. Und an Budaeus: Ego fere erga nationes omnes alba, quod aiunt, sum amussisGa naar voetnoot2. In diesem Geiste kommentiert Erasmus auch die antiken Bekenntnisse zum Weltbürgertum, wobei er sich auf Sokrates, Aristophanes, Cicero und andere berufen kannGa naar voetnoot3. Im klassischen πᾶσα γῆ πατρίς lag der Akzent auf dem Zustand des Glückes, den der weise und gute Mensch überall zu finden vermöge. So hat es ohne Zweifel Erasmus auch für sich verstanden. Ein eigentlich politischer Gehalt lag in dem Ausspruch überhaupt nicht. Zugleich mit einem philosophischen Kosmopolitismus zeitigte aber gerade der Humanismus ein anderes Gefühl, das mit jenem in scharfem Widerspruch stand, nämlich die Stimmung einer grenzenlosen nationalen Selbstüberhebung, welche aus dem instinktiven Nationalstolz, der zich schon in den Kreuzzügen so lebhaft gerührt hatte, in dem jetzt stärker zusammengefaßten Staate der beginnenden Neuzeit sich zu einem wahrhaft politischen Empfinden auswuchs und in den zahllosen Beispielen aus dem Altertum, welche die neue Gelehrsamkeit zur Schau stellte, reiche Nahrung fand. Dieses kräftig hervortretende Nationalgefühl wird von Erasmus durchgehend als Vorurteil abgelehnt. Er nennt es, im Grunde ganz richtig, eine Art der Philautia, der Eigenliebe, welche ja die Schwester der Stultitia sei. ‘Die Natur’, sagt die Torheit, ‘hat nicht bloß dem Einzelnen seine Eigenliebe, sondern auch | |
[pagina 253]
| |
jeder Nation, ja fast jeder Stadt eine allgemeine Eigenliebe einge pflanzt. Die Engländer brüsten sich mit Schönheit, Musik und einem guten Tisch, die Schotten mit edler Abstammung, die Franzosen mit feinen Sitten, die Italiener mit Bildung und Eloquenz. Alle schmeicheln sich, sie allein unter allen Menschen seien keine Barbaren. Darin tun es die Römer allen anderen zuvor und träumen noch immer höchst angenehm von jenem alten Rom.’Ga naar voetnoot1 - Diese Wirkung der Philautia ist zo stark, daß selbst der Irländer nicht mit dem Italiener, der Thrazier nicht mit dem Athener tauschen möchteGa naar voetnoot2. Alle hassen sie sich gegenseitig: der Engländer den Franzosen, der Franzose den Engländer, nur weil er ein Engländer ist, usw.. Cur haec stultissima nomina magis nos distrahunt, quam conglutinat omnibus commune Christi vocabulum?Ga naar voetnoot3 Es nimmt also nicht wunder, wenn Erasmus die Vaterlandsliebe wie eine verzeihliche Schwäche behandelt. Quod ubique, schreibt er an BudaeusGa naar voetnoot4, πάνυ φιλόπατρις es, a multis laudi dabitur, a nemine non facile condonabitur: quanquam φιλοσοφιϰώτερον est mea sententia sic de rebus et hominibus agere, ut mundum hunc communem omnium patriam esse ducamus. Der junge Cannius soll in England aufpassen, daß er nichts, was dem Lande eigen ist, verachte oder verurteile. Est enim ea gens mire φιλόπατρις. Aber, gibt Erasmus zu: das sind wir alle: omnes in admiratione rerum patriarum φίλαυτοι sumusGa naar voetnoot5. Man soll in jedem Lande, wo man verkehrt, auf die Verschiedenheit der Landesart und der Gewohnheiten klug achtgeben und sich denselben anpassen, wie der Polyp die Farbe des Felsens annimmt, an den er sich schmiegtGa naar voetnoot6. Der Prediger soll zu Deutschen anders reden als zu Franzosen oder ItalienernGa naar voetnoot7. Erasmus selbst hielt darauf, dem Landesbrauch zu folgen. Der Bischof von Breslau, Johannes Turzo, hat ihm mit anderen Geschenken einen Hut aus Zobelpels geschickt, tegumentum sacro tuo capiti ex murium Ponticorum exuviis. Dein Hut, schreibt Erasmus zurück, kann mir nur zu Hause nützlich sein, denn er ist nicht bloß zu prächtig, sondern auch nicht nach der Mode dieses LandesGa naar voetnoot8. | |
[pagina 254]
| |
Die meisten Humanisten waren für Kränkungen ihrer nationalen Ehre überaus empfindlich und machten öfters einen unbedeutenden oder sogar unabsichtlichen Vorfall zum Gegenstand langer brieflicher oder öffentlicher Polemik. Thomas Morus und Erasmus hatten 1513 beide ihren Witz erprobt an Epigrammen auf die Franzosen, als diese von den Engländern geschlagen worden waren. Froben gab diese Epigramme 1518 heraus. Noch mehr als zwei Jahre später war der Streit, welcher darüber zwischen Morus und dem Franzosen Germain Brice entsprang, nicht beigelegtGa naar voetnoot1. Stunica war beleidigt, weil Erasmus von den Spaniern in Neapel ‘occupant’ statt ‘tenent’ geschrieben hatteGa naar voetnoot2. Ein Priesterchen in Rom, schreibt Erasmus, wolle gegen ihn eine Verteidigung Italiens schreiben, weil er im Adagium Myconius calvusGa naar voetnoot3 unter den Beispielen ironischer Redensarten neben ‘veluti si quis Scytham dicat eruditum, negociatorem integrum aut Poenum fidum’ auch ‘Italum bellacem’ gesetzt hatte, und tatsächlich erschien jene Schrift, von der Hand eines Petrus Cursius, Papst Paul III. gewidmet und von Erasmus ausführlich beantwortetGa naar voetnoot4. Budaeus war ernstlich verstimmt, weil Erasmus in seiner Praefatio zum Galaterbrief anläßlich des Ὦ ἀνόητοι Γαλάται des Kapitels 3, 1 auf die Franzosen anzuspielen schien, und Erasmus hatte sich gegen diesen Vorwurf ausführlich zu verteidigenGa naar voetnoot5. ‘Wir sind alle in unserer Bewunderung der vaterländischen Dinge selbstliebend,’ meinte, wie gesagt, Erasmus, also auch von sich selbst. Er spielt wohl gelegentlich mit dem Motiv des Heimwehs, in den bekannten Klängen der Odyssee. Cupio cum Ulysse patriae fumum subsilientem conspicere, schreibt er 1512 an Adolf von VeereGa naar voetnoot6. Zweimal erwähnt er es in den Adagia, nach der Odyssee und nach Lucian, in dessen Patridos enkomionGa naar voetnoot7, aber beide Male ohne persönlichen Kommentar. Was aber hieß für Erasmus selbst patria, und soll man es bei ihm als Heimat oder als Vaterland verstehen? Die meisten Völker Europas hatten seit Jahrhunderten ihre feststehenden nationalen Namen, mit denen sich von jeher instinktive Liebe, Stolz und Treue verbanden. Einen solchen symbolischen Wert, der ihre Zusammengehörigkeit ausdrückte, hatten die Niederländer erst seit kurzem und noch mangelhaft. Sie mochten ihre Sprache noch | |
[pagina 255]
| |
‘duytsch’ nennen, sich selbst nannten sie selten mehr so. Man fühlte und nannte sich zunächst Hennegauer, Brabanter, Gelderländer, also nach der engeren Heimat, welche meistens mit einer territorialen Einheit korrespondierte. Über diese verwandte Verschiedenheit aber wölbte sich jetzt, eigentlich erst seit dem verhängnisvollen Jahre 1477, das Gefühl einer weiteren Gemeinschaft, die im Geschick der Dynastie ihre Verbundenheit fand und sich im Namen Burgund, auch nachdem die Habsburger dessen Erbe angetreten hatten, ausdrückteGa naar voetnoot1. Wenn Erasmus von seinem Vaterlande spricht, so meint er in der Regel, und an den bedeutendsten Stellen, diese neue und kräftige Einheit im europäischen Staatensystem, die burgundischen Niederlande als ganzes. Als Karl 1516 König von Spanien wird, heißt es: Princeps Carolus ad regna novem et decem (ut ferunt) accersitur. Mira felicitas; at precor ut ea nostrae quoque patriae sit felix, non solum PrincipiGa naar voetnoot2. Patria sind ihm die Niederlande als Länder Karls, in cuius ditione natus sumGa naar voetnoot3. Sie stehen als nostra regio im Gegensatz zu illa Germania superiorGa naar voetnoot4. Wenn er ‘Illustrissimus Burgundionum Princeps Carolus’ sagt, so muß man das als ‘Fürst der Niederlande’, nicht als ‘Herzog von Burgund’ verstehenGa naar voetnoot5. So ist es verständlich, daß Erasmus ebensogut von patria spricht, wenn er an die Gegenden um Saint Omer denktGa naar voetnoot6, wie wenn es sich um Mecheln handeltGa naar voetnoot7. In den letzten Jahren scheint sich sein Vaterlandsgefühl überwiegend auf Brabant bezogen zu haben; dahin hoffte er zurückzukehren, dort hoffte er zu ruhenGa naar voetnoot8. Die Heimat im engeren Sinne war für Erasmus Holland. In der frühesten Zeit bezieht sich bei ihm patria noch auf HollandGa naar voetnoot9, und auch später heißt, wenn er an Nikolaus Everard, den Präsidenten des Rates | |
[pagina 256]
| |
von Holland und Seeland schreibt, die patriae pietas, die ihm viel gilt, seine Liebe zu Holland (mea Hollandia), dessen Klima er leider nicht ertrage. Aber er verspürt im Innern eine wundersame Freude, wenn er bemerkt, daß Holland, so fruchtbar an anderen Dingen, jetzt auch reich wird an trefflichen und der Nachwelt denkwürdigen GeisternGa naar voetnoot1. So war es nicht immer, klingt hier hindurch. In des Erasmus Empfinden in bezug auf die Heimat, die er allem Anschein nach seit 1501 nicht mehr betreten hat, sind aufrichtige Vorliebe und unbilliger Groll seltsam gemischt. Martialis hat für das griechische βοιωτιϰὸν οὖς das lateinische Auris Batava eingeführt, um bäurische Grobheit zu verspotten, die keinen Spaß versteht? - Wohlan, wenn bäurisch heißen soll, die Witze jenes Dichters nicht zu verstehen, so möchten doch alle Christen batavische Ohren haben! Und wenn, wie die meisten Gelehrten ja meinen, das jetzige Holland dieses alte Batavien sei, ‘Hollandiam, terram mihi semper et celebrandam et venerandam, ut cui vitae huius initium debeam’, so brauchen wir uns über dieses Schimpfwort nicht zu schämen. Wir geben diese Grobheit gerne zu und fühlen uns dabei eins mit den einfachen Römern der Republik, mit den ehrlichen Spartanern, mit jenen alten Sabinern, denen allen sie gemein war. - Atqui utinam illi (terrae) nos tam possimus honestamento vicissim esse, quam illa nobis non est poenitenda! - Dann folgt das hohe Lob der holländischen Sitten. Non alia gens est ad humanitatem, ad benignitatem propensior. Sie sind einfach im Geist; Arglist und Betrug sind ihnen fremd, ihre Art ist frei von schlimmen Lastern, nur dem Genuß, besonders der Schmausens, sind sie ein wenig ergeben, aber das liege wohl an der Üppigkeit des Landes und der leichten Einfuhr über die Flüsse und über das Meer. Nirgends gebe es so viel mittelgroße, vorzüglich verwaltete Städte. Die Reinlichkeit und schöne Ausstattung des Hausrats rühmen alle Kaufleute, die in der Welt herumgekommen sind. Nirgends gibt es so viele mäßig gebildete Leute. Zu einer ausgezeichneten Bildung, besonders in den alten Sprachen, dringen allerdings nur wenige vor, sei es wegen der Üppigkeit des Lebens, sei es weil sie die hohe Sauberkeit der Sitten hoher Gelehrtheit vorziehenGa naar voetnoot2. Der ganze Erasmus steckt in diesem Lob seiner Heimat. An anderer Stelle in den Adagia hat er noch beiläufig die holländischen Hausfrauen um ihren Fleiß gepriesen, freilich nich bloß im Gegensatz zu den | |
[pagina 257]
| |
französischen Frauen, sondern auch zu ihren eigenen müßigen und schlemmenden Männern, die sie mit ihrem Fleiß ernährenGa naar voetnoot1. Schließlich hat er im Colloquium ‘Der Schiffbruch’ den Holländern die Ehrenrolle der Retter gegönnt. ‘Dort haben wir’, sagt der Schiffbrüchige, ‘eine unglaubliche Menschlichkeit des Volkes erfahren, das uns seltsam herzlich mit Allem zu Hilfe kam: Obdach, Feuer, Speise, Kleider und Wegzehrung.’ - ‘Welches Volk war es?’ - ‘Holländer.’ - ‘Es gibt kein menschlicheres, obwohl es von wilden Nationen umgeben ist.’Ga naar voetnoot2 Noch öfters spielt Erasmus, in etwas gezierter Bescheidenheit, mit dem Thema, daß er, als Bataver, eigentlich ein Böotier seiGa naar voetnoot3. Oder er entschuldigt sich wegen seiner Jugendschriften, sie seien ja nur für Bataver verfaßtGa naar voetnoot4. Er sieht mit Verdruß, daß sein Freund Willem Hermans sich mit holländischem Ruhm begnügtGa naar voetnoot5. Die Holländer gelten ihm seit langem als ungebildet, roh und trunksüchtig: hominum genus sordidum, incultumGa naar voetnoot6. Stultitia nennt sie speziell Hollandi mei. In Holland bedroht ihn Neid und üble Nachrede. Selbst in Löwen fühlt er sich noch zu nahe bei den holländischen Zungen, quae plurimum nocere norunt, nulli autem prodesse didiceruntGa naar voetnoot7. In dieser Abneigung spielte wohlt ein gut Teil Enttäuschung und verletzter Stolz aus seinen frühen Jahren mit. Faktischer war ein anderer Grund seines Unwillens: die ewigen Trinkgelage, auf die er zurückkommt, so oft nur das Wort Holland anklingt. In Holland verweilen bedeutet ihm immer trinken müssen, zum Schaden seiner Gesundheit. Noch 1527 rät er seinem Famulus Nikolaus Cannius: halte dich nicht in Holland auf. Was ruft dich dahin außer ein paar Trinkgelagen, die weder deinem Geist noch deiner Gesundheit nützlich sindGa naar voetnoot8. Alle diese Ursachen des Widerwillens aber dehnt Erasmus von Holland, auf welches sie sich im besonderen beziehen, auf die Niederlande im allgemeinen aus. Auch in Löwen geschehe nichts ohne TrinkgelageGa naar voetnoot9. | |
[pagina 258]
| |
Nirgends seien die Studien so in Mißachtung wie in den Niederlanden, nirgends gebe es soviel Verleumder der bonae literaeGa naar voetnoot1.
Die Zugehörigkeit zum burgundischen Staatskomplex, welche den ziemlich schwachen Patriotismus des Erasmus bedingte, ließ eine Frage offen, welche in jenen Tagen eigentlich mehr den Humanisten als den Staatsbürger anging: zählte man als ‘burgundischer’ Niederländer zu den Germanen oder zu den Galliern? Tatsächlich war ja, soweit man Gallier als Romanen verstehen darf, beides möglich: Artesier, Hennegauer, Namureser und ein kleiner Teil der Flandrer und Brabanter waren ebenso entschieden romanisch wie der übrige Teil der Niederländer germanisch. Die Frage, zu welchem Teil er gehöre, konnte, scheint es uns, für Erasmus nicht zweifelhaft sein. Sie ist es anfänglich offenbar auch nicht gewesen. Freund Sixtinus, der Friese, solle der Welt beweisen, daß der Verstand der Germanen in keiner Weise demjenigen der Italiener nachsteheGa naar voetnoot2. Zu jenen rechnet sich hier also auch Erasmus ohne weiteres. Später aber, als sein Ruhm gewachsen war, und die Humanisten in Frankreich und in Deutschland ihn als den ihrigen begrüßten, ließ in bezug auf seine Stammesart die klassische Autorität Erasmus keine Ruhe mehr. Es versteht sich, daß der Gegensatz deutsch-französisch sich bei den beiderseitigen Humanisten ganz in den Termini der klassischen Literatur ausdrückte. Seit dem ersten Aufenthalt in Basel, 1514, umjubelten Erasmus die deutschen HumanistenGa naar voetnoot3. Im Januar 1515 forderte Heinrich Bebel ihn auf, sich so öffentlich als Deutschen zu bekennen, daß weder Engländer noch Franzosen sich seiner als Landsmann rühmen könntenGa naar voetnoot4. Anfangs stimmte Erasmus in diesen Ton des humanistischen Nationalstolzes mit ein. Die warme Bewunderung von seiten der deutschen Literaten war ihm überraschend und wohlgefällig. Audio passim apud | |
[pagina 259]
| |
Germanos esse viros insigniter eruditos, quo mihi magis ac magis arridet et adlubescit mihi mea Germania, quam piget ac pudet tam sero cognitam fuisseGa naar voetnoot1. Er adressiert an Jakob Wimpfeling Germanus Germano, theologus theologo, und moduliert wiederholt auf das Thema der deutschen Ehrlichkeit: ut... homo Germanus cum Germano germana illa et simplici veritate agam...Ga naar voetnoot2. Johannes Sapidus, der Scholarch von Schlettstadt, verfaßte im folgenden Jahre ein Gedicht, in dem er Gallia und Germania um die Ehre, den Roterodamus hervorgebracht zu haben, streiten ließ. Es war nicht freundlich für Frankreich. Germania, quae gerit immota pectora plena fide, läßt Gallia, perfidiae Sisypheae conscia, den usurpierten Ruhm: sed tibi, sed toti hunc partum concedimus orbi...Ga naar voetnoot3 Auf die Dauer aber wurde ihm die eifersüchtige Verehrung der deutschen Humanisten doch etwas unbequem. Diese Nationalitätsfrage war ihm ja im Grunde gleichgültig, und er wollte darüber die angenehmen Beziehungen zu seinen französischen Freunden nicht verlieren. So äußert er sich in den nächsten Jahren dazu überaus schwankend. Einmal heißt es, an Budaeus: ut... pristinam illam laudem nostrae asseras Galliae - (nihil enim vetat eundem ditione Germanum esse et veterum cosmographorum descriptione Gallum: atque utinam quidam non conarentur ea distrahere quae suapte natura coniuncta sunt!)Ga naar voetnoot4 - Ein anderes Mal, an denselben: Gallien sei ihm immer teuer gewesen: a qua non est quod me facias alienum et, ut tu vocas, externum. Nam si cosmographis credimus, ad Galliam pertinet et HollandiaGa naar voetnoot5. Es handelte sich also darum, ob Holland mit dem alten Batavien gleichstünde, und ob dieses in den alten Grenzen Galliens einbegriffen sei. Die meisten bejahten es, Gerard Geldenhauer aus Nymwegen leugnete es und nannte Erasmus einen GermanenGa naar voetnoot6. Die Frage kam noch wiederholt zur Sprache. Louis Ruzé fordert ihn 1519 in geschwollenem Stil nochmals auf, sich doch zu Gallien zu bekennen und wie eine Sonne über das Mutterland Frankreich aufzugehenGa naar voetnoot7. Erasmus antwortet ausweichend. Er sondert die Niederländer als nos ausdrücklich von Germanien ab, und sagt: Gallum esse me nec assevero nec inficior; sic natus, ut | |
[pagina 260]
| |
Gallusne an Germanus sim, anceps haberi possit. Quanquam apud studiorum cultores minimum habere momenti par est regionum discriminaGa naar voetnoot1. Sein Lebenslauf drängte Erasmus mehr und mehr auf die deutsche Seite. Der Geldrer Gerard Geldenhauer hatte 1520 den Streit über die Insula Batavorum wieder aufgenommen in einer Schrift, die am 19. September in Antwerpen erschien, und in deren Vorwort er Erasmus Batavorum Germanorumque immortale decus nannteGa naar voetnoot2. Elf Tage später schrieb dieser einen Brief an einen Landsmann Peter Manius, der übrigens unbekannt ist, sodaß Kalkoff vermutet hat, er sei eine fiktive Person und der Brief also eine spontane Äußerung des ErasmusGa naar voetnoot3. Das ist gerade wegen der eben vorangegangenen Schrift Geldenhauers höchst wahrscheinlich: diese war der Anlaß, zu dieser wollte Erasmus sich äußern. Manius habe ihn gebeten, heißt es, er möchte doch nicht zugeben, daß Frankreich ihn sich zueigne, und ehrlich bekennen, daß Batavien ein Teil von Deutschland sei, damit dieses nicht um so großen Ruhm betrogen werde. - Erasmus antwortet nochmals ausweichend. Es mache nicht viel aus, wo einer geboren sei, es sei eitle Glorie, wenn eine Stadt oder ein Volk sich rühme, einen großen Gelehrten geboren zu haben. Atque hactenus ita loquor, quasi quicquam sit in me, de quo possit sibi placere patria. Mihi satis est, si non pudeat illam mei... Sofern solcher Wettstreit zu edlem Wetteifer reizt, wolle er, daß nicht bloß Frankreich und Deutschland, sondern jedes Land und jede Stadt ihn für sich beanspruche, damit solcher Irrtum alle zum Rechten herausfordere. An Batavus sim, mihi nondum satis constat. Hollandum esse me negare non possum, ea in parte natum ut, si cosmographorum picturis credimus, magis vergat ad Galliam quam ad Germaniam; quanquam extra controversiam est totam eam regionem in confinio Galliae Germaniaeque sitam esse. Erasmus hielt sich also, wie er gerne tat, in der Mitte. Er wollte nicht kurzweg Deutscher genannt werden. Gelegentlich fließt ihm wohl noch mal ein nostra Germania aus der FederGa naar voetnoot4. Anderwärts aber spricht er wegwerfend von Leuten, die aus Galliern Germanen machen und so den Haß zwischen den Völkern schürenGa naar voetnoot5. Dem englischen Freunde John Fisher schreibt er, nicht ohne Selbstgefälligkeit, er | |
[pagina 261]
| |
drohe seinen deutschen Verehrern, er wolle Franzose werden, wenn diese nicht aufhören, ihn so belästigend zu liebenGa naar voetnoot1. Nachdem einmal das Verhältnis zu Luther für Erasmus selbst und für die meisten der Zeitgenossen das alles beherrschende Moment geworden war, trat die Frage seiner nationalen Zugehörigkeit an Bedeutung ganz zurück. Hutten wollte ihn nicht einmal mehr als Deutschen gelten lassen. Et postea relegat me in meam Gallo-Germaniam, schreibt Erasmus in der Spongia. Me relegat e Germania. Was dann folgt ist wichtig. Quasi Basileae vivens, fährt er fort, agam in Germania! Basel gilt ihm also nicht mehr als Deutschland. Das wird bestätigt durch das, was gleich folgt. Natus sum inter ostia Rheni, sed propior Galliae quam Germaniae, nec unquam attigi Germaniam nisi semel atque iterum obiter aliquod invisans oppidum Rheno vicinum, velut olim Francfordiam, nuper Friburgum. Nec admodum in votis est altius ingrediGa naar voetnoot2. So wenig war ihm von der Stimmung der ersten Basier Jahre geblieben. Noch einmal sollte ihm das Wort Germanus lästig werden. In der Vorrede zur Neuauflage des Enchiridion militis christiani, bei Froben, 1518, hatte Erasmus von der Lehre der Apostel geschrieben: Haec est illa theologia vera, germana efficax, quae olim et philosophorum supercilia et principum invicta sceptra Christo subegitGa naar voetnoot3. Später, als die Gegner überall in seinen Schriften nach verdächtigen Stellen spürten, kam ein spanischer Mönch darauf, Erasmus habe hier behauptet, es gäbe nirgends in der Welt wahre Theologie außer in Deutschland, das ja gerade von Ketzereien wimmle! Der alte Erasmus ärgerte sich darüber sehr. Begriff man denn nicht, daß germana hier γνήσιος ‘echt’ bedeutete? Und daß vor vierundzwanzig Jahren, als er es schrieb, in Deutschland von Ketzerei überhaupt noch nicht die Rede war?Ga naar voetnoot4 Im letzteren Punkt aber irrte er sich: er hatte die gerügten Worte nicht im Texte des Enchiridion, 1503, sondern erst in der Vorrede zur neuen Ausgabe, also vor neun Jahren, geschrieben.
Es bleibt noch übrig, einiges über die Beurteilung zu sagen, welche Erasmus von den verschiedenen Nationen, mit denen ihn ein Aufent- | |
[pagina 262]
| |
halt in ihrem Lande in nähere Berührung brachte, gegeben hat. Mehr als gelegentliche Bemerkungen findet man bei ihm darüber begreiflicherweise nicht. Es kam ihm nicht in den Sinn, sich grundsätzlich darüber zu äußern. Er hatte aber für nationale Eigentümlichkeiten ein scharfes Auge und ein gutes Gedächtnis, wenn es auch meistens nur Kuriositäten betrifft, wie ja überhaupt diese dem Reisenden immer am meisten auffallen. Manchmal erwähnt er, beispielsweise, irgendeine Geste oder Gewohnheit, die er im fremden Lande beobachtet hat. In Italien sieht man, um jemand Ehrfurcht zu bezeugen, ihn mit erstaunten Augen anGa naar voetnoot1. In Holland sprechen die meisten Leute mit halbgeschlossenen LippenGa naar voetnoot2. In Venedig werden sogar Handwerksleute mit großem Pomp, aber mit wenig Kosten, begrabenGa naar voetnoot3. Von den Deutschen hat Erasmus merkwürdigerweise nur sehr weniges, und das in oberflächlicher Art, zu sagen. Ihre Haupteigenschaft scheint ihm der kriegerische Sinn, belli studiumGa naar voetnoot4. Sie haben immer im Preis ihres Mutes und ihrer Standhaftigkeit alle andern Völker überragtGa naar voetnoot5. Sie selbst sind stolz auf ihren Leibeswuchs und auf ihre Kenntnisse der ZauberkunstGa naar voetnoot6. Das sind alles stereotype Wendungen, wie man sie bei jedem Schriftsteller antreffen kann. Etwas mehr in die Tiefe dringen folgende Äußerungen. Das Stürmische der deutschen Natur berührt ihn, der selbst nichts davon hatte, besonders stark. Dem jungen Humanisten, der ihn ganz ungestüm um einen Brief angefleht hatte, antwortet er scherzhaftGa naar voetnoot7: aber ich bitte dich, ist das fragen oder zwingen? Vides mihi vix ocium esse ad tuendam valetudinem, vides tot studiorum laboribus obrutum, et tamen efflagitas epistolam. Adeo violenta res est et impotens amor, praesertim Germanicus... Du hast um meinetwillen die große Reise von Erfurt nach Brüssel gemacht? du sagst, nicht mit Stockslägen werdest du abzuwehren sein... Wie deutsch ist das! Illud autem quam Germanice! - Die deutsche Art, sagt er anderswo, ist heftig, sie haben die angeborene Wildheit noch nicht ganz abgelegt, obwohl sie fortwährend durch die humanae literae sanfter werdenGa naar voetnoot8. Darum wird auch Luther durch gewisse Schriften so gereiztGa naar voetnoot9. Was Erasmus an den Deutschen am meisten gestoßen hat, war ihr Adelsstolz. Die Meinung, unter dem Vorwand der edlen Geburt sei | |
[pagina 263]
| |
einem alles gestattet, nennt er praecipua pestis GermaniaeGa naar voetnoot1. Wenn man in einem deutschen Gasthof einen anderen Wein bestellt, gibts ein böses Gesicht, und wenn man fest bleibt, sagt der Wirt: Hier haben so viele Grafen und Markgrafen verkehrt, und keiner hat je über meinen Wein geklagt... Solos enim nobiles suae gentis habent pro hominibusGa naar voetnoot2. In seinem abfälligen Urteil über den verschwenderischen und prahlenden deutschen Junker, der sich überdies noch öfters selber den Adel angedichtet habe, spielten nicht wenig die Unannehmlichkeiten mit hinein, welche Erasmus während so vielen Jahren mit Heinrich von Eppendorff erlebt hatte, der nicht nur im Colloquium ἱππεὺς ἄνιππος gemeint warGa naar voetnoot3, sondern auf welchen auch das Adagium Proterviam fecit unverkennbar hindeutetGa naar voetnoot4. Es wird kaum nötig sein, darauf hinzuweisen, daß in diesen wenigen und losen Bemerkungen über das deutsche Wesen das ganze Urteil des Erasmus über alles, was Deutschland war, und was es ihm gab, keineswegs enthalten ist. Die Tatsache allein, daß er in Deutschland so viele treue Freunde und Gesinnungsgenossen hatte, genügt, um es zu beweisen. Ganz anders als zu Deutschland ist seine Einstellung zu Frankreich. Das französische Wesen hat ihn gereizt. Er hat immer wieder seine starke Bewunderung für Frankreich bezeugtGa naar voetnoot5, aber im Grunde doch offenbar zugleich gegen die französische Art eine gewisse Abneigung empfunden. - Wenn es eine Nation gebe, der er im Herzen zugetan sei, so sei es Frankreich, schreibt er, noch 1527, an Budaeus. Man habe ihm diese Sympathie sogar öfters verübelt. Et tamen hic affectus naturae videtur, non iudicii. Denn kein Land sei ihm persönlich so unfruchtbar gewesen wie FrankreichGa naar voetnoot6. Was er an französischen Nationalzügen zu erwähnen findet, ist aber nur selten lobend, abgesehen vom Lob, das er den französischen Gasthöfen im Vergleich mit den deutschen spendetGa naar voetnoot7. Die Franzosen lieben, was wenig kostet. Deshalb stellen sie Blumen auf den Tisch bei der Mahlzeit, das ist ihre magnificentiaGa naar voetnoot8. Vide quam Galli sumus, sagt er ironisch über sich selbst, wenn er dem Freund Willem goldene Berge versprichtGa naar voetnoot9. Ein französiches Versprechen ist nicht viel wertGa naar voetnoot10. | |
[pagina 264]
| |
Französischer Witz ist beißend und allzufreiGa naar voetnoot1. Eine französische Antwort heißt keine AntwortGa naar voetnoot2. Das Ungestüme der deutschen Art hat Erasmus abgeschreckt, die Überlegenheit der Franzosen hat ihn gereizt und öfters geärgert, die vornehme Selbstsicherheit der Engländer hat ihm imponiert. In England hatte er einen Teil seiner besten Jahre erlebt, er hatte dort viele seiner treuesten Freunde gefunden und es vor allem deswegen oft hoch gepriesen, ja zu seinem Adoptiv-Vaterlande erklärt. Und doch mischt sich in seine Erinnerungen an England ein Widerwille, der nicht einzig auf die spät verschmerzte Wunde seines Unglücksfalles in Dover, 1500, zurückgehtGa naar voetnoot3. Im Ärger über seinen Streit mit Edward Lee wirft er auf England die Schuld seines Ausscheidens aus dem Mönchsstand und ruft: nec ullo nomine peius odi Britanniam, licet mihi semper pestilens fueritGa naar voetnoot4. In ruhigerer Stimmung hat er später seinem jungen Famulus Nikolaus Cannius Ratschläge über das Betragen in England erteiltGa naar voetnoot5, welche zu bezeugen scheinen, daß Erasmus das englische Wesen mit mehr Aufmerksamkeit beobachtet hat, als er dem deutschen und französischen entgegen brachte. Der Umgang mit den englischen hohen Herren und Gelehrten wird Cannius feine Gesittung und Vorsicht lehren. Ihre besondere Humanität soll ihn aber weder nachlässig noch dreist machen. Diese Heroen meinen nicht immer, was ihre Miene anzeigt. Wie ehemals mit den Göttern, so soll man jetzt mit den Summitäten in frommer Ergebenheit sprechen. Vorsicht ist geboten im Annehmen von Geschenken. Den Sitten des Landes soll man sich anpassen: Hut abnehmen, shake-hands, einem andern den Platz räumen, zulächeln, aber nicht jedem Unbekannten trauen. Vor allem aufgepaßt, daß du nichts Englisches geringschätzest oder verurteilst. Für das übrige scheinen die Bemerkungen des Erasmus über englische Dinge sich auf landläufige stereotype Urteile und einige Kuriositäten beschränkt zu haben. England habe keinen guten Namen in bezug auf TreueGa naar voetnoot6. Die Engländer sind nicht frugalGa naar voetnoot7. Während sie genau auf die Freitagsfasten sehen, wird in der Fastenzeit alle zwei Tage gut gegessen; das sei Landessitte, meinen sieGa naar voetnoot8. Die reichen Leute in England haben zu viel unnütze DienerschaftGa naar voetnoot9. Neben Be- | |
[pagina 265]
| |
merkungen über die Gewohnheit, die Damen zur Begrüßung zu küssen und beim Gastmahl der Reihe nach aus einem Becher zu trinkenGa naar voetnoot1, sei noch die Klage erwähnt, daß in England die Fenster nicht geöffnet werden könnenGa naar voetnoot2. Auch Landesbräuche ändern sich mit der Zeit.
Was Erasmus über die Italiener zu sagen hat, wird fast ganz von seinen literarischen Beziehungen zu diesem Lande bestimmt. Dem Humanisten ist selbstverständlich Italien an erster Stelle das gelobte Land der klassischen Bildung, ubi vel parietes sint tum eruditiores tum disertiores quam nostrates sunt homines, wie er 1499 an Robert Fisher schreibtGa naar voetnoot3. Dem belli studium der Deutschen gegenüber ist civilitas et eruditio der Grundzug des italienischen WesensGa naar voetnoot4. Sie sind frugalGa naar voetnoot5 und wenig kriegerischGa naar voetnoot6: wir erwähnten schon, wie ihm letztere Äußerung heftigen Protest aus Italien zuzog. Bekanntlich hat Erasmus später über die Bedeutung, welche die Jahre in Italien für seine eigene Bildung gehabt hatten, sich geringschätzig geäußert. Er sei dort hingezogen non discendi, iam enim serum erat, sed videndi gratia. Et utriusque literaturae plus habebam ingrediens Italiam quam extuliGa naar voetnoot7. Es lohnt sich nicht, meint er in einem Brief an Latimer, einen Lehrer des Griechischen aus Italien kommen zu lassen. Man laufe Gefahr, daß statt eines tüchtigen Gelehrten irgendein geschäftiger Nichtstuer komme. Nec ignoras Italorum ingenium quam immenso praemio conduci postulent, ut ad barbaros demigrent, etiam ii qui mediocres sunt: ut ne dicam interim, quod, qui bonis literis instructi veniunt, mores nonnunquam non perinde bonos secum adferantGa naar voetnoot8. Als der Schiffer im Schiffbruch befiehlt, die Ladung über Bord zu werfen, sträubt sich der Italiener, der von einer Gesandtschaft in Schottland heimkehrt, und als es doch geschehen muß, beklagt er sich bei Göttern und Teufeln, daß er sein Leben einem so barbarischen Element anvertraut habe. Agnosco vocem Italicam, sagt der Zuhörer im DialogGa naar voetnoot9. Die Italiener hatten ja immer das Wort barbari im Munde, sobald von fremden Nationen die Rede war. Aus der heidnischen Literatur haben sie den Wahnsinn geschöpft, ut extra Italiam natos barbaros | |
[pagina 266]
| |
appellent, quod quidem cognominis apud illos contumeliosius est quam si parricidam dicas aut sacrilegum. Wie sehr zu Unrecht: cum sint ex omni barbarissimarum nationum colluvie conflati confusique, non aliter quam sentina quaedam. So heißt es im Julius ExclususGa naar voetnoot1. Diesen Gedanken über die Herkunft der Italiener hat Erasmus in einem Brief an Budaeus, 1527, wiederholtGa naar voetnoot2 und schließlich in seiner Antwort an Petrus Cursius, 1535, etwas näher, sogar mit einem anthropologischen Einschlag, ausgeführt. Sein Gegner hatte für Italien den ganzen Kriegsruhm der alten Römer aufgeboten, um es vom Verdacht, wenig kriegerisch zu sein, zu befreien. - Mir ist es recht, meint Erasmus: quanquam interim periculum est, ne, dum avos, proavos, atavos, tritavosque commemorat. Gotthos laudet pro Italis. Siquidem cum essem Romae, quidam eruditi serio fatebantur, heroicos illos viros Gotthorum aliarumque barbararum nationum esse progeniem, pusillos quosdam deformes ac macilentos esse veras Romanae stirpis reliquias. Nec illud dissimulabant, plerosque Italiae nobiles generis originem ad barbaras nationes referreGa naar voetnoot3. Eine leise Ahnung von Rassenunterschied war also dem Humanisten schon geläufig. Schon lange fühlte sich damals Erasmus von der Feindschaft der Italiener umgeben, sowohl wegen seiner Haltung in Glaubenssachen wie wegen seiner Stellungnahme gegen den extremen Klassizismus der italienischen Humanisten in seinem CiceronianusGa naar voetnoot4. Schon 1524 beklagt er sich bitterlich darüber bei Aleander. Fingunt me hostem Italiae, quum nemo candidius praedicet de ingeniis ItalorumGa naar voetnoot5. Später, an Damianus a Goes, heißt es: Itali passim in me debacchantur maledictis libellisGa naar voetnoot6.
So wie in seiner Würdigung der Nationen öfters etwas von persönlicher Empfindlichkeit mitspielte, so stand das Verhalten den Nationalsprachen gegenüber bei Erasmus unter dem Einfluß seines Ehrenstandpunktes als Humanisten. In seiner Unkenntnis von Landessprachen, die er doch während mehrerer Jahre hatte sprechen hören, steckt wohl ein wenig Pose. Englisch und italienisch hat er weder lesen noch | |
[pagina 267]
| |
sprechen gekonnt. Italice non intelligo, sed curabo vertendum, schreibt er noch 1535 an Damianus a GoesGa naar voetnoot1, wie er früher Bernardo Rucellai, der ihn italienisch anredete, versichert hatte, er spreche zu einem TaubenGa naar voetnoot2. Daß er tatsächlich leichter und verständlicher Latein schrieb, als er Niederländisch geschrieben hätte, untersteht keinem Zweifel; er tue es nicht aus Mißachting der Landessprache, versichert erGa naar voetnoot3. Eine holländisch geschriebene Streitschrift, sagt er, 1526, habe er nicht beantwortet, weil es doch lächerlich wäre, einem, der sich der Volkssprache bediente, lateinisch zu antworten, das wäre ja wie wenn einer, vor der Plebs angeklagt, im Senat dem Gegner Rede stündeGa naar voetnoot4. In der Ratio seu Methodus compendio perveniendi ad veram theologiam behauptet er, es sei leichter, die drei Sprachen der heiligen Schrift, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, zu erlernen, quam hodie discitur unius semilinguae miseranda balbutiesGa naar voetnoot5. In dieser Geringschätzung der Landessprachen spürt man die ganze Distanz, welche uns vom Humanismus des sechzehnten Jahrhunderts trennt. Dasselbe gilt von der Gleichgültigkeit des Erasmus für das Nationale überhaupt. Und doch ist der Kerngedanke, der ihn, in der zerrissenen Welt seines Zeitalters, zu seinem Standpunkte zwang, auch in der unsrigen gerade wieder überall im Aufkommen. In notwendigem Widerspruch gegen den extremen Nationalismus, dessen giftige Früchte wir heute ernten, regt sich unter Zahllosen in der ganzen Welt wieder der Geist, der sie, ohne Abfall vom eigenen Volkstum und Vaterland, mit Erasmus reden läßt: Cives inter se sunt ac symmystae, quicunque studiis iisdem initiati suntGa naar voetnoot6. |
|