Zur Diatopie der deutschen Dialekte in Belgien
(1979)–Hartmut Beckers, José Cajot– Auteursrechtelijk beschermd
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3.0. EinleitungWie einleitend von J. Cajot bemerkt, bildet das deutschsprachige Gebiet Belgiens kein zusammenhängendes räumliches Ganzes: zwischen dem flächenmäßig bei weitem größeren, zur Provinz Lüttich gehörenden Nordteil, der sich dialektgeographisch in das überwiegend niederfränkische Eupener Land und in das teils ripuarische, teils moselfränkische St. Vither Land aufgegliedert, und dem wesentlich kleineren, zur Provinz Luxemburg gehörigen Südteil, dem moselfränkischen Areler Land, liegt ein zum Großherzogtum Luxemburg gehörender Gebietsstreifen von rd. 40 km Länge. Eine zusammenfassende dialektgeographische Darstellung der beiden moselfränkischen Mundartgebiete Belgiens würde also eine Einbeziehung dieses zwischen ihnen liegenden luxemburgischen Territoriums erfordern und ist daher im Rahmen dieses Bandes, der thematisch auf das belgische Staatsgebiet beschränkt ist, nicht möglich. Die diatopische Gliederung der moselfränkischen Mundartlandschaft des St. Vither Landes und des Areler Landes wird daher hier in jeweils eigenen Abschnitten erörtert. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1. Das nordwestmoselfränkische Gebiet des St. Vither Landes | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.1. Allgemeine dialektgeographische Charakteristik | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.1.1.Nur auf zwei Seiten, nämlich im Westen durch die romanisch-germanische Sprachgrenze und im Norden durch die ripuarisch-moselfränkische Mundartscheide, sind die Außengrenzen der nordwestmoselfränkischen Sprachlandschaft des St. Vither Landes vermittels intern-linguistischer Kriterien angebbar. An den beiden verbleibenden Seiten im Osten und Süden werden die Grenzen des in Rede stehenden Gebietes durch primär außerlinguistische Faktoren bestimmt, nämlich durch die so erst seit 1919 bzw. 1839 bestehende belgische Staatsgrenze gegenüber Deutschland bzw. dem Großherzogtum Luxemburg. Daß mit diesen jungen politischen Grenzen auch neuere Mundartgrenzen parallellaufen können, wird u.a. auf Karte 23 gezeigt. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.1.2.Naturräumlich stellt das St. Vither Land den im Norden vom Hohen Venn und im Osten von den Höhen der Schneifel begrenzten Nordausläufer des luxemburgisch-westeiflerischen Öslinggebietes dar. Es gliedert sich in eine Reihe von durch Forste getrennte Siedlungskammern, und zwar (von Nord nach Süd gesehen) in die Ortschaften entlang des in westlicher Richtung fließenden Amelbaches, in die Gemeinden des oberen Ourtals mit vorwiegend nordöstlich-südwestlicher Verkehrsrichtung, in das zentrale Hochland um die Stadt St. Vith sowie in die beiden südlich daran anschließenden, jeweils von einem in west-östlicher Richtung zur Our hin fließenden Bach durchflossenen Siedlungskammern von Braunlauf und Burg Reuland. Territorialgeschichtlich gehörte das St. Vither Land seit dem Spätmittelalter fast geschlossen zum alten Herzogtum Luxemburg; lediglich die Gemeinden des oberen Ourtals von Manderfeld bis Schönberg bildeten bis zum Ende des Alten Reichs einen Teil des Territoriums der Fürstabtei Prüm bzw. des Trierer Kurstaates. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.1.3.Die neuzeitliche dialektgeographische Struktur des nordwestmoselfränkischen Gebiets um St. Vith stellt sich im wesentlichen dar als Ergebnis einer stufenweisen Überformung einer altmittelfränkischen Grundstruktur durch von Südosten herangedrungene Wellen sprachlicher Neuerungen. Eigenständige sprachliche Innovationen hat das St. Vither Land kaum hervorgebracht. Ebenso wie die nördlich und südlich | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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anschließenden Gebiete entlang der romanisch-germanischen Sprachgrenze stellt also auch der moselfränkische Teil des St. Vither Landes eine ausgesprochen passive, beharrsame Sprachlandschaft dar: einerseits gekennzeichnet durch zähe Bewahrung alten fränkischen Spracherbes, das diesen Mundartraum mit dem nördlich anschließenden Ripuarischen und weiterhin mit dem Niederfränkischen verbindet, andererseits bestimmt durch die Aufnahme von Innovationsschüben, die meist vom südöstlich anschließenden moselfränkischen Kernraum aus, in geringerem Maße auch vom nordöstlich angrenzenden zentralripuarischen Raum aus vorgedrungen sind. Der Charakter des St. Vither Landes als Vorbruchsraum von hauptsächlich aus dem Südosten vorgestoßenen sprachlichen Neuerungen zeigt sich augenfällig im Grenzverlauf derjenigen beiden Spracherscheinungen, die den hier in Rede stehenden Mundartraum im Norden begrenzen und aufgrund derer man ihn dem Moselfränkischen zurechnet. Die Grenzlinie des für das Moselfränkische typischen Lautverschiebungsstandes (Verschiebung von germ. /p/ nach /r/ und /l/, also Typ dorf und helfen gegenüber Typ dorp und helpen im Ripuarischen) zeigen Karten 1 u. 18Ga naar eindnoot107. Dabei wird deutlich, daß es sich hier um eine von Süd nach Nord vorgerückte Lauterscheinung handelt: vom Territorialzentrum St. Vith aus sowie das Ourtal aufwärts nach Norden vordringend, hat die moselfränkische Verschiebungsstufe die Gemeinden des mittleren und des oberen Ameltals erfassen können, Die sprachgeschichtlich wesentlich jüngere Diphthongierung der alten Langvokale /î - - û/ ist ebenfalls bis zu dieser Lautverschiebungslinie vorgerückt; gewisse Reste undiphthongierter Wörter sind jedoch stellenweise (z.B. in St. Vith) erhalten geblieben (s.u. 3.1.3.5.). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.1.4.Die nachfolgende Darstellung der dialektgeographischen Binnengliederung des moselfränkischen Teils des St. Vither Landes beruht, außer auf den Darlegungen großräumiger dialektologischer Untersuchungen wie denjenigen von Th. Frings (1926) oder P. Wiesinger (1970), im wesentlichen auf den Materialien dreier Ortsgrammatiken: derjenigen E. Theissens (1937) über die Mundart von Wallerode, derjenigen J. Heiderscheids (1966) über die Mundart von Deifeld und derjenigen H. Kellers (1972) über die Mundart von Setz. Dazu kommt der wichtige Versuch eines strukturell-sprachgeographischen Gesamtüberblicks von H. Hecker (1972). Dieser Arbeit zufolge gliedert sich das moselfränkische Gebiet des St. Vither Landes in folgende drei Teilräume auf: (1.) in das nordöstliche Gebiet des oberen Ourtals mit den Hauptorten Manderfeld und Schönberg, (2.) in das zentrale Gebiet mit den Hauptorten Amel und St. Vith, (3.) in das südliche Gebiet mit dem Hauptort Burg Reuland.
Da außer der Arbeit von H. Hecker nur diejenige von H. Keller an strukturalistisch-phonologischen Gesichtspunkten orientiert ist, ist es nur z.T. möglich, aus den Darlegungen der vorhandenen dialektologischen Literatur die strukturell wichtigsten Isoglossen des in Rede stehenden Mundartgebiets zu ermitteln. So läßt sich z.B. die genaue Verbreitungsgrenze einer so wichtigen Erscheinung wie der Rheinischen Akzentuierung mit den beiden Typen des Schärfungs- und des Trägheitsakzents aus den genannten Arbeiten nicht entnehmenGa naar eindnoot108.
Was die dialektgeographische Abgrenzung der Mundarten des moselfränkischen Teils des St. Vither Landes von den nördlichen, östlichen und südlichen Nachbarmundarten betrifft, so steht zwar für den ripuarischen Norden und den moselfränkischen Süden brauchbares Material zur VerfügungGa naar eindnoot109, nicht jedoch für die östlich der belgischdeutschen Staatsgrenze gelegenen moselfränkischen Nachbarmundarten. Es erwies sich daher als unmöglich, die Isoglossen der nachfolgend behandelten Spracherschei-scheinungen über die Staatsgrenze hinaus weiter nach Osten zu verfolgen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.1.2. Das Mundartgebiet des oberen Ourtals | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.2.l.Die dialektgeographische Sonderstellung des oberen Ourtals (Hauptorte Manderfeld und Schönberg) ist in dessen klarer naturräumlicher Abgrenzung und territorial-geschichtlicher Sonderstellung gegenüber dem übrigen St. Vither Land gewissermaßen vorgeprägt. Die geographische Nähe zur ripuarischen Zentraleifel hat manche kölnisch-zentralripuarischen Spracherscheinungen bis hierher vordringen lassen, während andererseits die territoriale Zugehörigkeit zur Fürstabtei Prüm bzw. zum Trierer Kurstaat das Gebiet den sprachlichen Einflüssen Prüms und des weiteren moselfränkischen Zentralraums geöffnet hat. Die beiden wichtigsten Isoglossen sind die dorp-dorf-Linie (s.Kt. 18), sowie die in nord-südlicher Richtung abbiegende Gutturalisierungsgrenze (s.Kt. 19), die das obere Ourtal vom moselfränkischen Hauptteil des St. Vither Landes scheidet und die Grenze aus dem kölnisch-zentralripuarischen Raum vorgestoßener Lautentwicklungen bezeichnet. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.2.2.Unter dem Begriff Gutturalisierung werden in der rheinischen Dialektgeographie herkömmlicherweise zwei unter ähnlichen Bedingungen zustandegekommene Lautentwicklungen zusammengefaßt: zum einen diejenigen von altem /d/ nach ursprünglich langem Hinterzungenvokal entweder zu /g/ und auslautend weiter zu /k/ oder zu /gd/ und auslautend weiter zu /kt/, zum anderen die Entwicklung von altem /n/ in gleicher Position zu /ŋ/Ga naar eindnoot110. Mit dem zentralripuarischen Raum teilt das obere Ourtal die Entwicklung von /d/ zu /g/ bzw. /k/, während nordwestlich und südwestlich davon (also sowohl am ripuarischen als auch am moselfränkischen Westrand) /gd/ bzw. /kt/ gilt. Manderfeld und Schönberg weisen also wie der zentralripuarische Raum den Gutturalisierungstyp /šnegen/ (schneiden) und /lök/ (Leute) statt des westlicheren Typs /šnegden/ und /lökt/ aufGa naar eindnoot111. Ferner beschränken die Mundarten des oberen Ourtals zusammen mit fast dem gesamten nördlich angrenzenden ripuarischen Gebiet die Gutturalisierung von /n/ zu /ŋ/ auf die Stellung nach ursprünglich langem Hinterzungenvokal (Typ /peŋ/ (Pein)), während das übrige St. Vither Land (einschließlich einiger ripuarischer Randgemeinden) zusammen mit dem weiteren südwestmoselfränkischen Gebiet diesen Lautwandel auch auf andere Positionen (z.B. nach wg. /ai/: Typ /šteŋ/ (Steine)) ausgeweitet hatGa naar eindnoot112. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.2.3.Ein weiteres Kennzeichen der Mundarten des oberen Ourtals ist der Nichteintritt der Monophthongierung der mhd. Diphthongreihe /ei - öü - ou/ vor Konsonant. Diese alten Diphthonge werden hier durch die gleichen Laute repräsentiert wie die aus den alten Monophthongen /î - - û/ hervorgegangenen neuen Diphthonge (Beispiele aus Manderfeld: /zeif/ (Seife) - /peif/ (Pfeife), /boum/ (Baum) - /drouf/ (Traube)Ga naar eindnoot113. Die Entwicklung ist allerdings nicht in allen Ortsmundarten des oberen Ourtals ganz gleichartig erfolgt; im nördlich an der Grenze zum Ripuarischen gelegenen Lanzerath z.B. wechseln Monophthonge (in ungeschärften Silben) mit Diphthongen (in Schärfungssilben): z.B. /drōm/ (Traum) mit /dröime/ (träumen) oder /bōm/ (Baum) mit /böim/ (Bäume)Ga naar eindnoot114. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.2.4.Eine weitere Lauterscheinung, die die Übergangsstellung der Mundarten des oberen Ourtals zwischen Nord und Süd spiegelt, ist die Entwicklung der Laute /f/ und /w/ (s. Kt. 20). Im Gegensatz zum Westripuarischen und zum Nordteil des moselfränkischen St. Vither Landes haben die Mundarten des oberen Ourtals die alte mittel- und niederfränkische Anlautrealisierung dieser Laute als /v/ und /w/ unter südlichem (hochdt.) Einfluß umgestaltet, allerdings nicht wie der weitere Süden durch das der nhd. Norm entsprechende Lautpaar /f/ und /v/ ersetzt, sondern lediglich durch /f/ und /w/Ga naar eindnoot115. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.1.2.5.Die südlichste Gemeinde des oberen Ourtalgebietes, Schönberg, hat noch Anteil an der für die Südhälfte des St. Vither Landes charakteristischen Form des Verbs backen mit inlautendem Reibelaut /x/ (s.Kt. 21 und Abschn. 3.1.3.4.). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3. Die Mundarten des zentralen Gebietes um Amel und St. Vith | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3.1.Als wichtigste Grenzlinie des westlich an die Gemeinden des oberen Ourtals anschließenden zentralen Mundartgebietes um Amel und St. Vith ist, außer den schon beschriebenen Isoglossen im Norden (dorp - dorf - Linie, Kt. 18) und im Osten (Gutturalisierungslinien, Kt. 20), vor allem die südliche Begrenzungslinie dieses zentralen Mundartraumes, die sog. Entrundungslinie (s.Kt. 21), zu nennen. Bei dieser von der romanisch-germanischen Sprachgrenze südlich von Crombach ausgehenden, unterhalb von St. Vith verlaufenden und nördlich von Steinebrück die Our (und damit die belgisch-deutsche Staatsgrenze) kreuzenden Isoglosse handelt es sich wiederum um eine Grenzlinie, die die Grenzen des Vorbruchs einer strukturell wichtigen, vom weiteren moselfränkischen Süden aus ins St. Vither Land reichenden Neuerung markiert.
Nördlich dieser Isoglosse, also innerhalb des zentralen Gebietes (und natürlich auch im unter 3.1.2. beschriebenen Mundartraum an der oberen Our) hat sich die alte dreigliedrige Vokalismusstruktur mit gespreizten Palatalvokalen, gerundeten Palatalvokalen und gerundeten Velarvokalen (z.B. Reihe /i - ü - u/) halten können; südlich dieser Linie (also in dem unter 3.1.4. zu beschreibenden Raum) sind die gerundeten Palatalvokale entrundet worden und mit den gespreizten Palatalvokalen zusammengefallen, so daß in diesen Mundarten nurmehr jeweils zweigliedrige Vokalreihen (z.B. /i - u/ vorkommen)Ga naar eindnoot116. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3.2.Wie mit der Erhaltung dreigliedriger Vokalreihen steht das Zentralgebiet auch noch mit verschiedenen anderen Lauterscheinungen im Zusammenhang mit dem nördlich anschließenden Ripuarischen und im Kontrast zum weiteren moselfränkischen Süden. Genannt sei hier, neben der strukturell weniger bedeutenden Aufhebung der Opposition von /g/ und /r/ in intervokalischer StellungGa naar eindnoot117, der strukturell wichtige phonologische Zusammenfall der mhd. Diphthongreihen /ie - üe - uo/ und /ei - öü - ou/ zu Langvokalen mittlerer Zungenhöhe (Beispiele aus Wallerode: /blōm/ Blume, /jrn/ grün, /brēf/ Brief; /drōm/ Traum, /drmen/ träumen, /zēf/ SeifeGa naar eindnoot118. Demgegenüber ist in den oberen Ourtalgemeinden die mhd. Reihe /ei - öü - ou/ als Diphthongreihe erhalten und mit den aus mhd. /î - - û/ entstandenen Diphthongen zuasmmengefallen (s.o. 3.1.2.3.), während südlich des Zentralgebietes nur die mhd. Reihe /ei - öü - ou/ durch Monophthonge mittlerer Zungenhöhe vertreten wird, die mhd. Reihe /ie - üe - uo/ dagegen, zusammen mit der mhd. Langvokalreihe /ê - - ô/ durch Hochzungenmonophthonge. Vgl. folgende TabelleGa naar eindnoot119: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Wo genau die Südgrenze des nördlichen Typs des Zusammenfalls der beiden mhd. Diphthongreihen zu langen Mittelzungenmonophthongen verläuft, läßt sich aus der dialektologischen Literatur gegenwärtig noch nicht ermitteln, da die einzelnen Arbeiten hier z.T. widersprüchliche Angaben enthaltenGa naar eindnoot120. Der an der südöstlichen Peripherie des Zentralgebiets gelegene Ort Setz z.B. scheint schon nicht mehr den nördlichen Typ, sondern einen eher dem südlicheren Typ entsprechenden Entwicklungszustand aufzuweisen, während sich Deifeld in der Südwestecke ähnlich wie das Zentralgebiet verhältGa naar eindnoot121. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3.3.Als markanteste Binnengrenze des Zentralgebiets ist die knapp nördlich von St. Vith in ziemlich genauer West-Ost-Richtung verlaufende Isoglosse für die Vertretung von wg. /f/ und /w/ im Anlaut vor Vokal und vor /r/ anzusehen (s. Kt. 20). Die im oberhalb dieser Linie gelegenen moselfränkischen Nordstreifen geltende Vertretung von /f/ durch labiodentales /v/ und von wg. /w/ durch bilabiales /w/ entspricht dabei den Verhältnissen im nördlich angrenzenden Ripuarischen und im Niederfränkischen; die südlich der genannten Linie liegenden Mundarten realisieren die beiden Laute dagegen entsprechend der nhd. Norm als stimmloses (labiodentales) /f/ und stimmhaftes (labiodentales) /v/Ga naar eindnoot122. (Zu den eine Mittelposition vertretenden Verhältnissen im oberen Ourtal s.o. Abschn. 3.1.2.4.). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3.4.Erwähnt sei schließlich noch eine weitere konsonantische, das Zentralgebiet etwas weiter nördlich ebenfalls in West-Ost-Richtung durchquerende Isoglosse, nämlich die Grenzlinie für das Vorkommen des Reibelauts /Χ/ statt des Verschlußlauts /k/ beim Verb backen (s. Kt. 21)Ga naar eindnoot123. Während die nördlichen Mundartformen mit Verschlußlaut ebenso wie die schriftsprachliche Form auf eine wg. Gemi- | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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nata /kk/ zurückgehen ist die südliche Form mit Reibelaut /Χ/ (dem im äußersten Süden der palatalisierte dorsale Reibelaut /š/ entspricht, s.u. Abschn. 3.1.4.3.1.), auf eine ehemals vor allem im Mitteldeutschen weiter verbreitete Nebenform mit einfachem wg. /k/ zurückzuführen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.3.5.Die Mundart der Stadt St. Vith unterscheidet sich durch einige kleinere Besonderheiten von derjenigen ihrer ländlichen Umgebung. Interessant sind hier besonders gewisse Reste der Erhaltung des Monophthongcharakters von altem /î/ und /û/ in Wörten wie /wis/ weiß oder /hūs/ Haus. Bei den Wörtern Maus und Laus kommen in St. Vith monophthongische und dipthongische Formen nebeneinander vor; bemerkenswerterweise werden gerade die monophthongischen Formen als ‘vornehmer’ empfunden als die diphthongischen, obwohl letztere der Hochsprache viel näher stehenGa naar eindnoot124. Einen durch die Lage St. Viths an der unmittelbaren Grenzlinie zweier konkurrierender mundartlicher Lautungen begünstigten Übergang zu einem der Hochsprache entsprechenden Lautstand treffen wir beim Wort Salat an. Das zugrundeliegende romanische Phonem /s/ wird in St. Vith durch /z/, in dem unmittelbar nördlich angrenzenden Mundartgebiet durch /š/ und in dem südlich angrenzenden Mundartgebiet durch /ts/ wiedergegebenGa naar eindnoot125. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4. Das Mundartgebiet südlich der Entrundungslinie | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.1.Der noch verbleibende südlichste Teilraum des St. Vither Landes stellt ein mehrfach gestaffeltes Übergangsgebiet zwischen dem noch starke Gemeinsamkeiten mit dem Ripuarischen aufweisenden moselfränkischen Nordsaum und dem Luxemburgischen dar. Insgesamt überwiegt die Zahl der Gemeinsamkeiten mit dem luxemburgischen Nordösling die Zahl derjenigen mit dem St. Vither Kerngebiet; dialektgeographisch ist dieses Südgebiet also dem ‘Verkehrsraum Nordösling’ zuzurechnenGa naar eindnoot126. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.2.Als Südgrenze des St. Vither Kerngebiets war im vorigen Abschnitt die sog. Entrundungslinie angesetzt worden. Der hier zu behandelnde südlich anschließende Raum ist also durch die Reduzierung der ehemals dreistufigen Vokalreihen zu nurmehr zweistufigen Reihen charakterisiert. Einen mit der Entrundungslinie identischen Verlauf weisen auch die Grenzen einiger weniger wichtiger Lauterscheinungen auf; genannt war bereits die Vertretung von romanischem /s/ in Salat durch /š/ im Norden bzw. /ts/ im Süden. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.3.Ein wenig unterhalb der Entrundungslinie, knapp südlich der mittleren und unteren Braunlauf, verläuft ein wichtiges Isoglossenbündel, das die Grenzen folgender drei Lauterscheinungen in sich vereinigt: (1.) des Zusammenfalls der Phoneme /Χ/ und /š/, (2.) der Dipthongierung von altem /e/ und /o/ zu /jä/ und /vǫ/ in offener Silbe, und (3.) der Diphthongierung von /a/ vor altem /Χt/ (s. Kt. 21 f.). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.3.1.Die Aufhebung der Opposition zwischen /Χ/ und /š/ stellt eine besonders interessante und kennzeichnende nordwestmoselfränkische Sonderentwicklung dar. Während die der Hochsprache entsprechende allophonische Repräsentation des Phonems /Χ/ durch die beiden positionsgebundenen Varianten schon nördlich der genannten Linie dadurch eine Umgestaltung erfahren hat, daß das palatale Allophon aufgegeben und durch das Phonem /š/ ersetzt worden ist, hat diese Tendenz zur Palatalisierung des /Χ/ im Süden auch die im Norden verbliebene velare Variante x erfaßt und damit zur völligen Aufhebung der Opposition zwischen /Χ/ und /š/, und zwar zu ihrer Vereinigung in dorsalem /š/, geführt. (Vgl. folgende Beispiele aus Burg Reuland: /bräše/ brechen, /reš/ reich, /keše/ Küche; /bāš/ Bach, /būš/ Buch, /kōše/ kochen; /bāše/ backen, /plūš/ Pflug)Ga naar eindnoot127. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.1.4.3.2.Typische Kennzeichen des nordöslingischen Mundartraums stellen auch die Entwicklung von altem /e/ und /o/ in offener Silbe zu Diphthongen mit halbvokalischem ersten Lautelement (Typ /jä/- /vǫ/; Beispiele aus Burg Reuland: /jäzel/ Esel, /fjäder/ Feder, /vǫven/ Ofen, /kvǫle/ Kohlen sowie diejenige von altem /a/ vor altem /Χt/ zu /ai/ (z.B. in /nait/ Nacht) darGa naar eindnoot128. Während der Diphthongierungstyp /jä/- /vǫ/ eine eigenständige nordöslingische Entwicklung darstellt, steht das Vorkommen des Diphthongs /ai/ für /a/ vor altem /Χt/ im Zusammenhang mit großräumigeren, vom kölnisch-zentralripuarischen Raum ausgegangenen EntwicklungenGa naar eindnoot129. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.4.Am äußersten Südrand des St. Vither Landes treffen wir auf einen dialektgeographisch relevanten Unterschied hinsichtlich der Realisierung von silbenanlautendem /g/: im Gegensatz zum übrigen Gebiet, in dem anlautendes /g/ stets durch /j/ vertreten wird, läßt sich in den Grenzorten zum Luxemburgischen ein Schwanken zwischen Reibelaut- und Verschlußlautsprache feststellen (s. Kt. 23)Ga naar eindnoot130. In der Isoglosse für diese j / g-Unsicherheit haben wir wiederum eine Rückzugslinie eines ehedem weiter verbreiteten mittelfränkischen Lauttyps gegenüber einer von der Hochsprache gestützten südlichen Lautung zu sehen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.5.Eine weitere Gemeinsamkeit der Mundarten am äußersten Südrand des St. Vither Landes mit denen des luxemburgischen Nordöslings markiert die von Bocholz nach Oudler parallel zur Staatsgrenze verlaufende Isoglosse für die Sonderentwicklung von altem /â/ zu /u/ (bzw. /ū/, /uw/)in den Präteritalformen der starken Verben der IV. und V. Ablautreihe sowie in einigen anderen Wörtern (s. Kt. 23) (Beispiele aus Deifeld: /kum/ kam, /luš/ lag, /zuš/ sah usw.; /špuŋ/ Span, /vu/ wo, /vūr/ wahr)Ga naar eindnoot131. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.1.4.6.Die Südgrenze des nordwestmoselfränkischen Mundartgebietes des St. Vither Landes ist, wie einleitend gesagt, durch das primär außerlinguistische Kriterium der heutigen belgisch-luxemburgischen Staatsgrenze gegeben. An dieser rund 160 Jahre alten politischen Grenze haben sich einige Isoglossen stabilisiert, die die Mundarten des von 1815 bis 1919 preußisch-deutschen, seither belgischen St. Vither Landes von denen des luxemburgischen Nordöslings scheiden. Zu nennen ist hier in erster Linie die Isoglosse für die Senkung von altem /i/ zu Vokalen mittlerer Zungenhöhe im St. Vither Land gegenüber der weitergehenden Senkung zu /a/ im LuxemburgischenGa naar eindnoot132 Interessanterweise hat das kleine, in der äußersten Südwestecke gelegene ‘altbelgische’ Mundartgebiet von Bocholz, Deifeld und Urth, das politisch seit 1815 vom St. Vither Land und seit 1839 von Luxemburg getrennt ist, die ‘luxemburgische’ Senkung zu /a/ mitvollzogen (s. Kt. 23)Ga naar eindnoot133. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2. Das südwestmoselfränkische Mundartgebiet des Areler Landes | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1. Allgemeine dialektgeographische Charakteristik | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.1.Das im Südosten der Provinz Luxemburg gelegene südwestmoselfränkische Mundartgebiet des Areler Landes ist als schmaler, beim Orte Tintingen (1 Ti)Ga naar eindnoot134 im Norden beginnender und beim Orte Athem (71 Ath) im Süden endender Streifen von rund 40 km Länge, der belgisch-luxemburgischen Staatsgrenze vorgelagert. Als äußerster Westrand des moselfränkischen Mundartraumes ist das Gebiet zugleich der am weitesten nach Westen reichende Teil des geschlossenen deutschen Sprachgebiets. Während die romanisch-germanische Sprachgrenze, die die Westgrenze des deutschsprachigen Areler Landes bildet, eine während vieler Jahrhunderte im wesentlichen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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konstant gebliebene Linie darstellt, handelt es sich bei der Ostgrenze des Areler Landes um eine erst 140 Jahre existierende, zunächst durch das außerlinguistische Faktum der 1839 erfolgten politischen Verselbständigung des Großherzogtums Luxemburg zustande gekommene Begrenzungslinie, die erst sekundär in jüngerer Zeit auch als sprachliche Grenzlinie Bedeutung gewonnen hat. In den acht vorhergehenden Jahrhunderten hatte das jetzt belgische Areler Land stets zum gesamtluxemburgischen Territorium gehört. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.2.Von den naturräumlichen Gegebenheiten her teilt sich das Areler Land auf in einen noch zum Öslinggebiet gehörenden, die sieben im Tal der oberen Sauer gelegenen Ortschaften umfassenden Nordzipfel, und in das hiervon durch den siedlungsleeren Wald von Anslier getrennte eigentliche Areler Land, das geographisch einen Teil der fruchtbaren und siedlungsfreundlichen Kalkbördenlandschaft des luxemburgischen Gutlandes bildet. Dieser Hauptteil des Areler Landes weist in sich nur schwache natürliche Hemmnisstellen für Siedlung und Verkehr auf; eine gewisse natürliche Binnengrenze wird lediglich durch den Setzbach und das südlich anschließende Waldgebiet gebildet, vermittels derer man das eigentliche Areler Land in eine nördliche und eine südliche Hälfte gliedern kann. Alle Teile des Areler Landes, sowohl der isolierte Nordzipfel als auch das in sich zweigeteilte Hauptgebiet, sind nach Osten (also zum heutigen Großherzogtum Luxemburg hin) für Siedlung und Verkehr offen, so daß sprachliche Isoglossen hier kaum natürliche Hemmstellen vorfinden, an denen sie sich verfestigen könnten. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.3.Als ursprünglich integrale Bestandteile des gesamtluxemburgischen Sprachraums teilen die Mundarten des Areler Landes mit den Dialekten des heutigen Großherzogtums alle diejenigen Charakteristica, durch die sich der luxemburgische Mundartraum in seiner Gesamtheit vom übrigen, weiter östlich gelegenen moselfränkischen abhebtGa naar eindnoot135. Als im (sprachhistorisch gesehen) toten Winkel an der romanisch-germanischen Sprachgrenze liegender äußerster Westteil dieses gesamtluxemburgischen Mundartraumes hat das Areler Land eine Reihe von Spracherscheinungen bewahrt, die im Großherzogtum unter dem Einfluß teils von Osten/Südosten kommender, teils intern entwickelter Neuerungen größtenteils schon aufgegeben worden sind. Der kennzeichnende Grundzug der westluxemburgischen Mundarten des Areler Landes ist also ihre Beharrungskraft, vermittels derer sie ehemals weiter verbreitete altluxemburgische Sprachzustände bewahrt haben. Auch das Areler Land ist also, ähnlich wie das St. Vither Land und wie die anderen Gebiete unmittelbar an der romanisch-germanischen Sprachgrenze, eine im wesentlichen passive Sprachlandschaft. Die Isoglossen, die die sprachgeschichtlich älteren westlichen Phänomene von den sprachgeschichtlich jüngeren östlichen scheiden, verlaufen dabei, da eine naturräumliche oder alte territoriale Hindernisschwelle fehlt, als zerfasertes Linienbündel entweder knapp östlich der politischen Grenze des Areler Landes zum Großherzogtum, oder sie durchqueren das Areler Land ziemlich geradlinig von Norden (Nordosten) nach Süden (Südwesten), oder sie haben sich bereits soweit nach Westen vorgeschoben, daß sie nur noch kleine, inselhafte Reliktgebiete direkt an der Sprachgrenze abteilen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.4.Die geschilderte dialektgeographische Grundstruktur des Areler Landes hat freilich im Verlauf der letzten 140 Jahre eine tiefgreifende Erschütterung erfahren. Mit der 1839 vollzogenen Trennung des Areler Landes vom übrigen deutschsprachigen Luxemburg ist nämlich nicht nur eine allmählich immer stärkere Isolierung | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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dieses westlichen Mundartgebietes vom Gesamtluxemburgisch-Moselfränkischen (und erst recht vom weiteren binnendeutschen Sprachraum) bewirkt, sondern darüberhinaus ein Prozeß der allmählichen Aushöhlung dieser alten westluxemburgischen Sprachlandschaft von innen her eingeleitet worden. Die seit 1839 vom administrativen Zentrum Arel ausgehende Französierung hat inzwischen zu einem so weitgehenden sprachlichen Umbruch geführt, daß die heute lebende jüngere und mittlere Generation, soweit sie nicht bereits primär französischsprachig geworden ist (mit bestenfalls sekundär-passiver Kompetenz der deutschen Mundart), stärker zu einer Annäherung an die gemeinluxemburgische Koinè neigt als zur Bewahrung der alten, vielfältig differenzierten westluxemburgischen Ortsmundarten des Areler Landes selbstGa naar eindnoot136. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.5.Diese (hier aus Platzmangel nur eben angedeutete) EntwicklungGa naar eindnoot137 hat zur Folge, daß die alte dialektale Raumstruktur des Areler Landes heute nur noch resthaft erhalten und für die Forschung nur noch schwer erkennbar ist. Untersuchungen zur Dialektgeographie des Areler Landes gilt es bisher kaum. Als Materialbasis für den hier unternommenen Versuch einer kurzen Darstellung der diatopischen Gliederung der Mundarten konnten lediglich folgende Arbeiten herangezogen werden: zunächst die den Sprachzustand der Stadt Arel vor 1914 beschreibende, leider auf Vergleiche mit den Nachbarmundarten verzichtende Areler Grammatik von A. Bertrang (1921), sodann G. Peters 1943 geschriebene Abhandlung über die Mundart von Diedenburg, die auch einen ersten Versuch zur Lautgeographie des Areler Landes enthält, ferner einige kurze Informationen über die Lautsysteme der Mundarten von Martelingen bzw. von Niedereiter und Umgebung innerhalb der wortgeographischen Untersuchungen von C. Schmit (1951) und G. Medinger (1972), sowie schließlich noch die rein wortgeographische Arbeit von E. Jeanty (1947). Dazu kommen die bekannten Veröffentlichungen von R. Bruch (1953, 1954, 1963), in denen eine Reihe von Phänomenen aus den Mundarten des Areler Landes, soweit sie im Rahmen gesamtluxemburgischer Zusammenhänge von Bedeutung sind, mitbehandelt werden. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.1.6.Bevor im weiteren die einzelnen heute noch erkennbaren mundartlichen Teilräume des Areler Landes zur Sprache kommen, soll am Beispiel dreier Isoglossen das oben erwähnte allgemeine Charakteristicum des Mundartraumes des Areler Landes, nämlich die Bewahrung alter, ehemals im Luxemburgischen weiter verbreiteter Spracherscheinungen und deren Zurückdämmung von Osten her, illustriert werden (s. Kt. 24). Die Staffellage der drei Isoglossen macht dabei zugleich deutlich, daß es mit der jungen politischen Ostgrenze des Areler Landes exakt übereinstimmende sprachliche Grenzlinien nicht gibt. Während etwa beim Sb. Hengst das gesamte Areler Land zusammen mit einem angrenzenden Streifen des Großherzogtums die alte n-lose Wortform (Typ /heišt/) erhalten hatGa naar eindnoot138, ist die Senkung von wg. /i/ zu /a/ (Typ /hart/ Hirte) zwar im gesamten Areler Hauptgebiet, nicht aber im isolierten Nordzipfel (Sauertal) zu belegenGa naar eindnoot139; im Falle der /št/-Aussprache der Verbalendung der 2. Person Sgl. schließlich scheint bereits der ganze Ostrand des Areler Landes zur gemeinluxemburgischen /š(t)/-Aussprache übergegangen zu seinGa naar eindnoot140. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.2. Das nördliche Mundartgebiet des Sauertals | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.2.1.Der dialektgeographisch am eindeutigsten abgrenzbare Teilraum des Areler Landes ist der die sieben Ortschaften des oberen Sauertals umfassende Nordzipfel. Die Mundarten dieser auch geographisch und siedlungsmäßig vom Areler Hauptgebiet isolierten Orte stimmen in den kennzeichnenden Zügen mit denen des angrenzenden Südwestöslings im Großherzogtum überein. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.2.2.2.Die Palatalisierung der Lautgruppe /Χt/ zu /št/, die sprachhistorisch im Zusammenhang mit dem oben erwähnten, für das südliche St. Vither Land kennzeichnenden allgemeinen Phonemzusammenfall von /Χ/ und /š/ steht, ist in den Orten des belgischen Sauertals wie im anschließenden Ösling durchgehend, also unabhängig von der Artikulation des vorhergehenden Vokals, über die Stufe çt bis zur dorsalen Stufe št durchgeführt worden (Beispiele aus Martelingen: /āšt/ acht, /ūšt/ Ucht, Nachtwache, /vōšt/ Wacht usw.)Ga naar eindnoot141. Das südlichere Areler Land kennt die /Χt/-Palatalisierung nur in eingeschränktem Maße (s. Kt. 25, vgl. Abschnitt 3.2.3.3.). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.2.3.Beim Komplex der /d/-Gutturalisierung zu /gd/ (bzw. auslautend zu /kt/), deren Isoglossen für die einzelnen Wörter das übrige Areler Land in auffällig zerfaserter Staffelung durchlaufen (s. Kt. 26 u. 27).Ga naar eindnoot142, weisen die Sauertalorte wie das westlich anschließende Öslinggebiet in allen Fällen gutturalisierte Formen auf. Auch die /n/-Gutturalisierung ist im Sauertal ausgeprägter als im eigentlichen Areler Land; so kommen nur hier die für das Ösling typischen /ŋ/-Formen für mein und kein vorGa naar eindnoot143. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.2.4.Den lautgeographischen Isoglossen lassen sich auch einige wortgeographische Isoglossen anreihen. So verwendet man im Sauertal für den Begriff brünstig (in Bezug auf Kühe) den Worttyp spieligGa naar eindnoot144, während im eigentlichen Areler Land die Worttypen stierig (im Norden) und ochsig (im Süden) üblich sind (s.u.). Mit dem Typ spielig hat die Mundart des Sauertals ein altes, für die Randgebiete entlang der Sprachgrenze vom niederländischen Limburg bis nach Lothringen hinein typisches Wort bewahrtGa naar eindnoot145. Andere wortgeographische Eigentümlichkeiten des Sauertals sind etwa die Typen Krapen für ‘Kartoffelhacke’ (gegenüber den Typen Karst oder Häuel weiter südlich) oder der Typ Schubkarre (gegenüber Bahre bzw. Schubbahre im Areler Kernraum)Ga naar eindnoot146. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.3. Das Mundartgebiet des arelländer Westens | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.3.1.Der nächst dem Sauertal im Norden sich am klarsten heraushebende mundartliche Teilraum des Areler Landes ist die westlich gelegene Randzone entlang der Sprachgrenze. Viele sprachliche Neuerungswellen, die die Osthälfte des Areler Landes vom Großherzogtum aus schon erreicht haben, haben sich in diesem äußersten Westrand des Moselfränkischen noch nicht durchsetzen können. Eine klare und eindeutige lineare Abgrenzung dieses beharrsamen Westrandes nach Osten hin ist allerdings nicht möglich, da die Isoglossen der einzelnen Lauterscheinungen das Gebiet in starker Zerfaserung durchlaufen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.3.2.Ein besonders deutliches Beispiel dieser Isoglossenaufsplitterung im Westen liefert das schon mehrfach angesprochene Phänomen der /d/-Gutturalisierung. Die gutturalisierten Formen mit /gd/ bzw. /kt/ erscheinen in den verschiedenen Beispielwörtern unterschiedlich weit nach Westen in Richtung auf die Sprachgrenze zurückgedrängt und sind z.T. nur noch in kleinen Inseln üblich (s. Kt. 26 u. 27) Auffällig ist, daß die Angaben zum Verlauf der einzelnen Isoglossen in den Arbeiten von E. Peter (1943), R. Bruch (1963) und G. Medinger (1972)Ga naar eindnoot147 z.T. von einander abweichen. So tritt etwa der bei Peter deutlich als Reliktinsel hervortretende äußerste Südwesten (um 65 Bettenhofen und 66 Esch a.d. Hurt) bei Bruch gar nicht in Erscheinung. Daß dieses Südwestgebiet jedoch bis in die Gegenwart an einzelnen /gd/- und /kt/- Formen festhält, geht aus den Angaben von Medinger (1972) hervor: /kt/-Formen etwa beim Wort ‘heute’ werden von ihm noch aus dem gesamten Südwesten (von 51 Üdingen über 52 Wolkringen und 56 Hewerdingen bis 65 Bettenhofen) gebucht. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.2.3.3.Ein etwas anderes Raumbild als im Falle der /d/-Gutturalisierung ergibt sich in Bezug auf die Palatalisierung von /Χt/(s.Kt. 25, vgl. Abschn. 2.2.2.). Während das Nordgebiet an der Sauer diese Lautgruppe durchgehend zu dorsalem /št/ gewandelt hat (s.o.), hat das übrige Areler Land die Palatalisierung anscheinend nur bis zur Stufe çt durchgeführt, so daß altes /Χt/ (in den Varianten çt und xt erscheinend) hier phonologisch nicht wie im Norden mit /št/ aus altem /st/zusammengefallen istGa naar eindnoot148. Die palatale Variante çt erscheint dabei im Areler Hauptgebiet generell nur nach Palatalvokal, in anderen Fällen (etwa in /āçt/ acht, /frūçt/ Frucht, /lūçt/ Leuchte, Licht) kommt sie dagegen regelmäßig nur noch im Westen vor, während der Osten in diesen Fällen ein ungeregeltes Schwanken zwischen çt - und xt-Formen aufweist, und die Stadt Arel samt ihrer unmittelbaren Nachbarschaft die palatale Variante in solchen Wörtern bereits ganz aufgegeben hat. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.3.4.Das westliche Teilgebiet oberhalb des Setzbaches, das sich schon auf den Gutturalisierungskarten als besonders beharrsamer Reliktraum herausgehoben hatte, erweist sich als solcher auch im Falle einiger weiterer Lauterscheinungen. So hat sich in diesem Gebiet als Vertretung von mhd. /ou/ der Monophthong /ǭ/ gehalten, während im übrigen Areler Land, ebenso wie im Großherzogtum, durchweg /ā/ gilt (s. Kt. 28). Isolierte /ǭ/-Lautungen kommen freilich auch im Norden und im äußersten Süden des Areler Landes vorGa naar eindnoot149. (Zu den westlichen Monophthongresten für mhd. /î - - û/ vgl. den folgenden Abschnitt). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.4. Die Mundart der Stadt Arel und ihr Ausstrahlungsbereich | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.4.1.Die ziemlich genau im Zentrum des Gesamtgebiets gelegene Stadt Arel ist zwar heute weitestgehend romanisiert, muß aber früher der beherrschende Mittelpunkt des westluxemburgischen Mundartgebietes gewesen seinGa naar eindnoot150. Ihre auffälligste Eigenheit stellt der hartnäckige Widerstand gegen die Dipthongierung von altem /î - - û/ dar: im Gegensatz zum sonstigen Areler Land und zum Großherzogtum lauten die Normalentsprechungen dieser Laute in Arel nämlich monophthongisch (/ɛ̄/bzw. /ə̄/, phonetische Transkriptin bei Bertrang æ̈ː bzw. ɒː)Ga naar eindnoot151 Streubelege für monophthongische Reflexe der alten langen Hochzungenvokale gibt es im Areler Land allerdings auch sonst, und zwar vom Norden über den Westen zum Südosten reichend (s. Kt. 28); Regellautungen des Areler Landes sind jedoch, wie im Großherzogtum, DiphthongeGa naar eindnoot152. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.4.2.Von der Erhaltung des Monophthongcharakters für die Reflexe von altem /î - - û/ abgesehen, ist die Mundart der Stadt Arel ansonsten keineswegs besonders beharrsam. Sie bildete vielmehr in der Regel das erste Rezeptionszentrum innerhalb des Areler Landes für von Osten herandrängende Neuerungen, die sich dann von Arel aus weiter ins Umland verbreiteten. Bereits hingewiesen worden war auf die von Arel aus nach allen Seiten ausstrahlende Rückgängigmachung der Palatalisierung von altem /Χt/. Ein anderes Beispiel stellt der Übergang von älterer, in nordwestlichen Zusammenhängen stehender /s/-Lautung zu südöstlich-hochsprachlicher/ks/-Lautung in Wörtern wie Ochse und sechs darGa naar eindnoot153. Die Grenze der /ks/-Lautung bei Ochse verläuft heute nordöstlich von Arel und hat bei Herzig (29 He) bereits die romanische Sprachgrenze erreichtGa naar eindnoot154. Im abgeleiteten Adj. ochsig /uesix/ brünstig (von der Kuh) hat sich die /s/-Lautung dagegen halten können, und zwar gerade im Süden des Areler Landes (s. Kt. 29)Ga naar eindnoot155. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3.2.4.3.In anderen Fällen scheinen jüngere, näher bei der Schriftsprache stehende Formen inselhaft auf die Stadt Arel beschränkt geblieben zu sein. Dies gilt etwa für die n-haltigen Formen des Pronomens uns und des Sb. Dienstag. Während das Areler Land die alten n-losen Formen (/ais/ bzw. /dāštix, dāšten/) bewahrt hat, haben die aus dem östlichen Luxemburg herangetragenen Formen mit n in der Stadt Arel schon vor 1914 Fuß fassen könnenGa naar eindnoot156. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.5. Das Mundartgebiet des arelländer Südens | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.5.1.Eine sprachgeschichtlich besonders aufschlußreiche, das südliche Drittel des Areler Landes ausgrenzende Isoglosse liegt vor im Falle der Grenzlinie für die Repräsentation von mhd. /ie/und /üe/ durch /ǫi/ statt durch /ei/ (s. Kt. 28). Dieses südliche /ǫi/-Gebiet des Areler Landes ist ein Relikt aus der Zeit eines im Westmoselfränkischen ehemals weiter verbreiteten Entwicklungszustandes innerhalb des Vokalsystems, bei dem die den mhd. Reihen /ie-üe -uo/ und /ê - œ̂ - ô/ entsprechenden Laute noch nicht, wie jetzt innerhalb des größten Teils des Areler Landes und des Großherzogtums, zusammengefallen warenGa naar eindnoot157. Eine /ǫi/-Insel besteht auch noch im Südwesten des Großherzogtums bei Capellen; die beiden Reliktgebiete berühren sich heute jedoch nicht mehr. Eine exakte Abgrenzung des heutigen /ǫi/-Gebietes im südlichen Areler Land ist schwierig, da die Angaben von G. Peter (1943) und G. Medinger (1972) teilweise divergierenGa naar eindnoot158. Der äußerste Süden weist Medinger zufolge heute keine /ǫi/-Lautungen mehr auf, während sie bei Peter (1943) noch sporadisch (z.B. für 66 Esch) notiert sind. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3.2.5.2.Eine wortgeographisch interessante Isoglosse durchquert den Süden des Areler Landes von Bettenhofen (65 Be) in Richtung auf die Staatsgrenze hinter Niederelter (48 Ne) (s. Kt. 29). Nördlich dieser Linie, im mittleren Teil des Areler Landes, verwendet man für den Begriff brünstig (von der Kuh) im wesentlichen den Typ stierig, südlich davon den Typ ochsig (s.o. Abschn. 3.2.2.4.). Beide Worträume stehen in größeren wortgeographischen Zusammenhängen: das stierig-Gebiet des mittleren Areler Landes hängt über Zentralluxemburg mit dem Mosel-Nahe-Raum, das ochsig-Gebiet des Südens über das südliche Großherzogtum mit dem lothringischen Nordrand und dem Gebiet an der unteren Saar zusammenGa naar eindnoot159. |
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