Der sowjetische Standpunkt. Über die Westpolitik der UdSSR
(1981)–Georgi Arbatov, Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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VI) Die beiden Giganten und die WeltEs steht fest, daß das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten weiterhin einen unerhört wichtigen Teil der heutigen internationalen Beziehungen darstellt. Die gesamte Komplexität der internationalen Lage kann jedoch wohl kaum auf den Nenner Moskau - Washington reduziert werden. Beinahe neun Zehntel der Weltbevölkerung leben außerhalb der USA und der UdSSR. In einer Zeit zunehmender gegenseitiger Abhängigkeit können es sich weder die neun Zehntel leisten, die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen außer Betracht zu lassen, noch können die beiden Giganten ihre gegenseitigen Beziehungen losgelöst von dem betrachten, was sich in Asien, Afrika und Lateinamerika ereignet, von Europa ganz zu schweigen.
Dem kann ich nur zustimmen. Die Vorstellung, daß die beiden Supermächte spezielle Rechte hätten, war der Sowjetunion schon immer fremd. Wir halten die Entwicklung unserer Beziehungen mit all den anderen Ländem für sehr wichtig und ignorieren sie keineswegs der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen wegen.
Deshalb sollten wir die Probleme anderer Länder und Regionen sowohl im Kontext der sowjetischen Außenpolitik wie auch der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen erörtern. Lassen Sie uns mit dem Fernen Osten beginnen. Die Beziehungen der Sowjetunion sowohl zu China wie auch zu Japan scheinen Unbehagen zu bereiten. Die Grenzstreitigkeiten dauern weiter an. Ein Mitarbeiter des Weißen Houses schlug mir vor, Sie zu fragen: Warum gibt die UdSSR in dieser Frage nicht in einigen Punkten von geringerer Bedeutung nach, auch wenn sie das Gefühl hat, das Recht stünde auf sowjetischer Seite?
Unsere Beziehungen mit China und unsere Beziehungen mit Japan sind zwei verschiedene Dinge. Wenn wir sie begreifen und ihnen gerecht werden wollen, sollten wir sie trotz der geographischen Nähe nicht in ei- | |
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nen Topf werfen, weder bei der analytischen Betrachtung, noch in politischer Hinsicht. Lassen Sie uns zuerst unsere Beziehungen zu China betrachten. Obwohl China mit uns wegen Grenzfragen im Streit liegt, und wir die chinesischen Ansprüche schlicht für unverschämt halten, handelt es sich dabei weder um die einzige Schwierigkeit, noch um das wichtigste Einzelproblem, das zwischen uns besteht. Deshalb glaube ich nicht, daß Zugeständnisse oder Kompromisse in Territorialfragen (die wir ohnehin nicht machen werden) zu einer Wiederannäherung zwischen der Sowjetunion und China führen würden.
Was ist dann in erster Linie die Ursache für die Schwierigkeiten?
Die Ursache ist die gesamte Politik, die die Pekinger Führung nun seit mehr als zwei Jahrzehnten betreibt. Sie hat ehrgeizige, und ich würde - unter Verwendung ihres bevorzugten Wortes - sagen, hegemonistische Pläne, die ohne eine feindliche Haltung gegenüber der Sowjetunion undenkbar wären.
Im Westen wurde in verstärktem Maße die Meinung vertreten, daß das Motiv der Sowjetunion für ihre Entspannungspoltik in erster Linie die Angst vor China und dessen wachsender militärischer Stärke war.
Diese Meinung ist völlig unbegründet. Ganz im Gegenteil, unsere Politik der Entspannung wurde mit zum Grund für die Verschlechterung unserer Beziehungen zu China. Schon in den späten fünfziger Jahren wurden die sowjetischen Absichten, eine Entspannung gegenüber dem Westen anzustreben, von den Chinesen barsch als ‘Verrat an der Sache der Revolution’ bezeichnet.
Sind Sie der Meinung, daß es keine weiteren Gründe dafür gab, warum sich die chinesisch-sowjetischen Beziehungen so entwickelten, wie das der Fall war?
Sicher gab es - jedenfalls vom chinesischen Standpunkt aus gesehen - außer der angekündigten sowjetischen Entspannungspolitik gegenüber dem Westen, und hier insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten, noch weitere Gründe. Einer dieser Gründe, die hier anzuführen wären, war unsere Weigerung, ihnen die Nuklearbombe zu geben. Außerdem sahen die Chinesen ganz offensichtlich in der Sowjetunion ein ernsthaftes Hindernis für ihre Ansprüche auf die Führungsrolle unter den sozialistischen Ländern und in- | |
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nerhalb der kommunistischen Weltbewegung - Ansprüche, die nach Stalins Tod ganz offensichtlich wurden.
Wie erklären Sie sich diese neue Mode Washingtons, den Chinesen zu schmeicheln?
Psychologisch gesehen mag das mit dem Mythos zusammenhängen, der China jahrelang umgab. Dieser Mythos erhielt wahrscheinlich einen besonders starken Impuls zu der Zeit, als in Washington nach Richard Nixons sogenannter ‘epochemachender’ Reise in den Fernen Osten allenthalben Euphorie herrschte. Es ist eine menschliche Schwäche, das Exotische und Unbekannte zu romantisieren. Und die Chinesen haben alles getan - und zwar mit Erfolg -, um diese Haltung, die man gegenüber dem Fernen Osten einnahm, auszunutzen, ebenso wie sie nach Kräften versuchten, ihre amerikanischen Besucher mit einem gewissen Flair des Geheimisses, der dem volkreichsten Staat der Erde anhaftet, zu beeindrucken. Eine mehrtausendjährige Geschichte, eine alte Kultur, eine vorzügliche Küche, Wertordnungen, die sich von den westlichen unterscheiden - all das wirkte offensichtlich zusammen, um die amerikanischen Besucher und ihre Begleitung in einem Maß zu betôren und ihre Neugierde zu erwecken, daß sie fast überwältigt waren. Und sogar politische Platitüden beginnen manchmal - wenn sie in einer fremden Sprache und auf fremdartige Weise ausgesprochen werden -, verborgene Bedeutung, Charme und Weisheit anzunehmen. Sehen Sie sich an, wie geschickt die Pekinger Führung diese einmal erweckte Neugierde der Mandarine aus dem Weißen Haus, dem Capitol und der Wall Street nährte und ermutigte. Es ist sehr viel schwieriger, die Nachbarn Chinas, die im direkten Umgang mit diesem Land eine lange Erfahrung haben, von der chinesischen Mystik zu überzeugen. Für sie sieht alles ein bißchen einfacher aus, unheilvoller und sehr viel rauher. Wßhrend der letzten Jahre hat das Verhalten der Chinesen in internationalen Fragen gezeigt, daß ihnen nichts besonders Rätselhaftes anhaftet. Wir haben in der chinesischen Außenpolitik einige ziemlich simple Züge erlebt, nämlich Chinas Versuche, seine Gegner gegeneinander auszuspielen und schwächeren Ländern seinen Willen aufzuzwingen, sogar ohne dabei den geringsten Versuch zu unternehmen, seine Aggressivität zu verbergen.
Die chinesische Aggression gegen Vietnam war ein illustratives Beispiel dafür.
Ja. Das hat wahrhaftig einen tiefen Einblick zugelassen und das andere | |
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Gesicht des sogenannten rätselhaften Chinas in aller Deutlichkeit offengelegt. Die Verknüpfung mit einer mehrtausendjährigen Geschichte entpuppte sich auf ganz besondere Weise, nämlich als nicht sehr schmeichelhafte Parallele zwischen der gegenwartigen Pekinger Politik und den brutalen Intrigen und Machtkämpfen der feudalen chinesischen Kriegsherren. Kennen Sie Oriana Fallacis Interview mit Deng Xiaoping?
Ja, ich kenne es.
Dann werden Sie sich an den Zynismus erinnern, mit dem Deng diese Aggression beschreibt, wobei er nur bedauert, daß sie ‘nicht sehr effektiv war, da viele Länder unser Vorgehen nicht billigten’. Nichtsdestoweniger demonstrierte diese Aggression nach seinem eigenen Dafürhalten ganz deutlich, ‘wie entschlossen wir sind, dem Tigerins Auge zu sehen. Und wir behalten uns das Recht vor, ihnen eine weitere Lektion zu erteilen’.Ga naar eind1
Glauben Sie, die gegenwärtige Angewohnheit der Chinesen, andere Länder zu ‘bestrafen’, steht in einem Zusammenhang mit der Geschichte der alten chinesischen Kriegsherren?
Gut denkbar. Und sie hat ihre Verteidiger, ja sogar ihre Nachahmer im Westen gefunden, wo das Verlangen, die Sowjetunion zu ‘bestrafen’, zum Vorwand wurde, um zum Kalten Krieg zurückzukehren.
Zu der Zeit, als Generalsekretär Breschnew 1980 in Neu-Delhi zu Besuch weilte, sagte die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi zu mir, daß ihr die chinesischen Gebietsansprüche in Asien fortgesetzt Sorgen bereiten.
Das ist gut zu verstehen. Im Laufe der Jahre erlebte Indien wiederholte Male chinesische Invasionen, auch befleißigte sich China ausgedehnter umstürzlerischer Tätigkeiten bzw. anderer Arten der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Indiens. Ich vermute, daß das Motiv für die Feindseligkeit Chinas gegenüber Indien nicht ausschließlich territoriale Ansprüche sind. Besonders lästig muß es für Peking sein, daß Indien seit langen Jahren standhaft für den Frieden und die Sicherheit in Asien eintritt, wodurch sich dieses Land in der ganzen Welt einen hervorragenden Ruf erwarb. Diese Politik Indiens, die auf Jawaharlal Nehru zurückgeht, wurde von der Sowjetunion immer voll unterstützt. China sieht in Indien und dessen Außenpoltik auch das Haupthindernis für seine ehrgeizigen Ziele in Asien. | |
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Was ist zum realpolitischen Aspekt der neuen Haltung des Western gegenüber China zu sagen?
Chinas gegenwärtige Popularität im Westen ist - wie ich schon festgestellt habe - in erster Linie durch die antisowjetische Haltung Pekings zu erklären. Tatsächlich ist das einzige Produkt, das die Chinesen auf dem Weltmarkt anzubieten haben, ihr antisowjetischer Standpunkt. Können Sie sich vorstellen, daß Peking Kredite oder der Meistbegünstigtenstatus im Außenhandel eingeräumt werden würden, daß es militärische Ausrüstung erhielte und ihm allgemein die außerordentlich freundliche Behandlung durch die Vereinigten Staaten und die Nato-Länder zuteil werden würde - ganz zu schweigen von der ungewöhnlichen Freundschaft solcher Leute wie Senator Jackson, James Schlesinger und Zbigniew Brzezinski aus den USA oder Franz Josef Strauß aus der Bundesrepublik Deutschland -, wenn China normale Beziehungen zur Sowjetunion hätte? Ich will damit nicht sagen, daß das Fehlen von Beziehungen zwischen dem Westen und China nicht anomal gewesen sei. Seit der Gründung der Volksrepublik China 1949 taten wir unser möglichstes, um die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder dazu zu überreden, die neue Regierung Chinas anzuerkennen, normale diplomatische Beziehungen mit ihr aufzunehmen und der VR China in der UNO einen Sitz einzuräumen. Aber der Westen legte sich quer. Mehr noch, viele amerikanische Sinologen und Diplomaten, die dazu aufriefen, die VR China diplomatisch anzuerkennen, wurden während der McCarthy-Ära eingeschüchtert und auf die schwarze Liste gesetzt. Wird unser Mißtrauen nicht schon durch die bloße Tatsache gerechtfertigt, daß die Annäherung zwischen China und dem Westen erst zustande kam, als die maoistische Führung aggressiv antisowjetisch wurde?
Vom Standpunkt des Westens aus gesehen, insbesondere von dem der Vereinigten Staaten, mag es aber logisch gewesen sein zu versuchen, die Position gegenüber der Sowjetunion zu stärken, indem man die Beziehungen mit China verbesserte.
Nun, damit haben Sie auf recht freimütige und einfache Weise genau die konzeptionellen Grundlagen dieser Politik beschrieben - nämlich das aus dem 19. Jahrhundert stammende Spiel des Gleichtgewichts der Mächte. Dessen wesentlicher Kern besteht darin, daß man seine eigene Macht dadurch erhöht, indem man ein zusätzliches Gewicht in die Waagschale wirft. | |
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Meinen Sie damit die Art von Ansichten, wie sie Henry Kissinger vertritt?
Ja, Kissinger, aber nicht nur er. Die Vorstellung eines ‘multipolaren Gleichgewichts der Kräfte’ ist in den USA besonders populär geworden, als westliche Politologen anfingen, vom Ende der ‘bipolaren Welt’ und der an ihre Stelle tretenden ‘multipolaren Welt’ zu sprechen. Zu dieser Zeit begann man, sich sowohl in der Theorie wie auch in der praktischen Politik mit den Möglichkeiten zu befassen, die eigene politische Position dadurch zu stärken, daß man verschiedene ‘Machtzentren’ gegeneinander ausbalancierte.
Aber ist das nicht logisch?
Da habe ich sehr ernste Zweifel. Jedenfalls, wenn man das Ziel hat, eine atomare Vernichtung zu vermeiden und in den internationalen Beziehungen für Stabilität Sorge zu tragen. Dieses Konzept geht von einem ‘freien Spiel der Kräfte’ aus. Und jeder Teilnehmer wird natürlich auf eigenes Risiko ‘spielen’, und zwar ganz nach Laune, wobei er nur seine eigenen Regeln in Betracht zieht. Die historische Erfahrung zeigt, daß bei solchen Spielen nie etwas Gutes herauskommt.
Metternich, Talleyrand und Castlereagh wirken hier nach. Esscheint, daß eben solche Prinzipien auf dem Wiener Kongreß von 1815 kodifiziert wurden, ja sogar eine weihevolle Würdigung erfuhren.
Es gibt eine deutliche und bewußt angelegte Parallele. Aber genau diese Parallele hilft auch zu verstehen, warum das alte Konzept im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht anwendbar ist. Die Welt hat sich zu sehr verändert. Nehmen Sie nur einen Unterschied. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts bedeutete eine Fehlkalkulation, die zur Störung des Gleichgewichts führte, schlimmstenfalls eine weitere Umgestaltung europäischer Grenzen oder die Ersetzung einer Dynastie durch eine andere. Alles das war seinem Umfang nach ziemlich begrenzt und öfters reversibel. Der Lauf der Geschichte konnte auf lange Sicht die ‘Realpolitiker’ des 19. Jahrhunderts zügeln und korrigieren. So konnten die Beschlüsse des Wiener Kongresses - wenn sie Europa schon keine nennenswerte Stabilität bescherten - wenigstens nicht die Vernichtung der europäischen Zivilisation herbeiführen. Heute führt das Konzept eines solchen Kräftegleichgewichts unausweichlich zu einer Situation, in der ein Teilnehmer dieses Balanceaktes über ein ausreichendes Potential an Nuklearwaffen und Raketen verfü- | |
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gen würde, um einen oder mehrere seiner Gegner zu vernichten, und eine Fehlkalkulation könnte leicht zu einem irreversiblen Ergebnis führen. Im Rahmen einer solchen Konstellation an Stabilität zu denken, ist Unsinn. Man kann sich schwer vorstellen, wie jemand in solch einer pseudorealistischen Welt irgendeinen Vorteil daraus ziehen könnte, China beizustehen, es sei denn, man geht bis an die Grenze eines echten Krieges. Nebenbei gesagt könnte das einer der Gründe sein, warum Kissinger seine Vorstellungen darüber, wie China in seine Neo-Mettemich'sche Formel einzufügen sei, modifiziert zu haben scheint.
Hat er sie modifiziert?
Nun, hierzu ein Zitat aus seiner jüngsten Rede, die er anläßlich des 30. Jahrestages der Gründung der Nato in Brüssel gehalten hat: ‘Nach meiner Ansicht haben die Chinesen während 3000 Jahren überlebt, weil sie am wenigsten sentimental vorgingen, wenn es galt, die Strategie des Gleichgewichts der Kräfte in die Praxis umzusetzen, weil sie sich darin am geschicktesten erwiesen, und weil sie diejenigen waren, die am we- nigsten Illussionen hatten. China wird für uns nur in die Breche springen, wenn wir selbst das Notwendige tun. China wird nicht das Opferlamm spielen und - wenn wir uns weigern, es selbst zu tun - an unserer Stelle auf die Barrikaden steigen, um sich Kräften entgegenzustellen, die wir selbst entfesselt haben. Deshalb steht fest, daß mit China Zusammenarbeit nur dann möglich ist, wenn wir ein Gleichgewicht der Kräfte schaffen.’Ga naar eind2 Mit anderen Worten, Amerika muß seine Streitkräfte ausbauen und auch tatsächlich selbst kämpfen, wenn es will, daß China im Kampf gegen die Sowjetunion auf seiner Seite steht, sind doch die Chinesen nicht bereit, Risiken auf sich zu nehmen, auf die die Amerikaner nicht vorbereitet sind. Das Ergebnis davon ist eine starke Aufrüstung auf seiten Amerikas, mit der wiederum eine starke chinesische Aufrüstung bezweckt werden soll, die angeblich im Interesse Amerikas liegt. Ist es das, was sich die Amerikaner erhofft haben? Und welchen Nutzen werden die Vereinigten Staaten von solch einem System haben?
Die Rand Corporation hat bereits eine sehr umfangreiche Studie über die militärischen Verbindungen mit China in den achtziger Jahren ausgearbeitet.
Wir haben die Tendenz zur Schaffung einer Art amerikanisch-chinesischer Militärallianz aufmerksam verfolgt, seitdem wir erste entspre- | |
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chende Anzeichen beobachteten. Es handelt sich dabei um eine sehr gefährliche Tendenz - gefährlich nicht nur für uns, sondern gleichermaßen für die Vereinigten Staaten. Sehen Sie, das China von heute wäre in einem Krieg gegen die Sowjetunion möghcherweise ein sehr wertvoller Verbündeter für Amerika, würde es sich dabei um eine Wiederholung des Ersten oder Zweiten Weltkriegs handeln. Ich bin jedoch der Meinung, daß es sich im Atomzeitalter als mindestens ebenso gefährlich erweisen kônnte, mit China verbündet zu sein, wie China zum Gegner zu haben.
Wie das?
Ganz einfach. Ein Bündnis mit einem anderen Land zu schließen, bedeutet nicht nur, daß einem vom jeweiligen Partner Versprechungen gemacht werden, sondem heißt gleichermaßen, daß man selbst Verpflichtungen eingeht und damit seine eigene Politik an die des Partners bindet. Die VR China aber - der Partner in diesem Fall - stellt, wie wir schon erörtert haben, territoriale Ansprüche an all seine Nachbarn und verfolgt ganz allgemein eine Außenpolitik, die sich aus der Anmaßung ableitet, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Je enger die Verbindungen Amerikas und der Nato mit China sind, desto abhängiger werden diese von den Zielen, die von der chinesischen Außenpolitik gesetzt werden. Man könnte vielleicht noch weitere wohlbekannte und in diesem Zusammenhang angebrachte Bemerkungen hinzufügen. Die Chinesen haben wohl kaum vor, gegen eine große und Starke Nuklearmacht einen Krieg zu führen, wissen sie doch ganz genau, mit welchem Ergebnis sie dabei zu rechnen hätten. Sie würden lieber, wie Mao es ausgedrückt hat, ‘auf sicherer Anhöhe sitzen und zusehen, wie sich die beiden Tiger in Stücke reißen’. Das Motto des chinesischen Spiels ist es, zwischen der UdSSR und dem Westen einen Konflikt zu provozieren, möghcherweise sogar einen Krieg. Jedes Bündnis zwischen China und dem Westen wird unweigerlich diesem Zweck dienen, ganz gleich, welche Absichten der Westen dabei haben mag. Um ein Wort aus dem Neuen Testament abzuwandeln: ‘Manipuliert nicht, auf daß ihr nicht manipuliert werdet.’
Wenn wir jedoch das Problem unter dem Aspekteiner Politik des Gleichgewichts der Kräfte betrachten, ging dann die Rechnung des Westens nicht auf, als China Vietnam angriff und damit seine Bereitschaft demonstrierte, gegen einen anderen kommunistischen Staat zu kämpfen?
Ich glaube nicht, daß Amerikaner, die auch nur mit den wichtigsten Feinheiten außenpolitischer Fragen vertraut sind, diese Entwicklung le- | |
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diglich unter dem Aspekt betrachten konnten, daß hier Kommunisten gegen Kommunisten kämpften. Ich habe den Eindruck, daß sie den Krieg Chinas gegen Vietnam möglicherweise ganz anders beurteilt haben. In diesem Fall haben die Chinesen die Welt glauben gemacht, sie hätten den Angriff auf Vietnam irgendwie mit den USA und Japan abgesprochen, ja womöglich gar deren Segen dazu erhalten. Liegt das im Interesse der USA? Und was wäre gewesen, wenn es zu einer Eskalation des Krieges gekommen wäre? Hätte das nicht die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion heraufbeschworen? Diese Oder ahnliche Überlegungen sind in jenen Tagen zweifellos vielen in den Sinn gekommen.
Wie beurteilen Sie generell die Möglichkeit, daß es zwischen der Sowjetunion und China zu einem Krieg kommt?
Wir wünschen einen solchen Krieg nicht und sind bereit, unser möglichstes zu tun, um ihn zu vermeiden. Mehr noch, wir möchten unsere Beziehungen mit China normalisieren. Bekanntermaßen haben wir die Verhandlungen mit Peking fortgeführt, wann immer dies möglich war. Diese Verhandlungen wurden jüngst von Peking ausgesetzt, aber ich glaube, sie werden früher oder später wieder aufgenommen werden.
Alle westlichen Besucher, die aus China zurückkommen, berichten jedoch, daß Vertreter aller politischen Ebenen von einer bevorstehenden sowjetischen Aggression sprechen.
Die Chinesen sagen das. Aber ich möchte ernsthaft bezweifeln, daß die chinesische Führung wirklich eine sowjetische ‘Invasion’ so sehr befürchtet, wie sie vorgibt, oder daß sie uns wirklich verdächtigt, einen Krieg gegen China zu planen. Selbst wenn man das Problem aus der Sicht eines traditionellen Geopolitikers betrachtet, wäre ein sowjetischer Angriff auf China ein unerhört dummes Unternehmen.
Warum verbreitet dann die chinesische Führung diese Ängste?
Erstens, so glaube ich, besteht ein enger Zusammenhang zwischen dieser Kriegshysterie und einer sehr instabilen und unsicheren innenpolitischen Lage in China. In einer ‘äußeren Bedrohung’ kann demnach ein absolut unverzichtbarer Faktor gesehen werden, um das Land und die herrschende Partei zusammenzuhalten und die unzufriedene und murrende Bevölkerung zu disziplinieren. | |
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Einen weiteren Grand habe ich schon erwähnt: Der Antisowjetismus ist die wertvollste Ware, über die die Chinesen verfügen und die sie dem Westen anbieten können. Es läßt sich leicht denken, daß der Antisowjetismus in China zu Maos Zeiten stark von Fanatismus gefärbt war. Die Situation verschlimmerte sich noch durch die ganze Persönlichkeit Maos, der sich mittlerweile als Reinkamation Gottes betrachtete. Er war alt und senil geworden, und vielleicht ist das eine Erklärung für den verblüffenden Irrationahsmus, von dem das gesamte politische Leben des Landes während der letzten Jahrzehnte seiner Herrschaft durchdrungen war. In dieser Hinsicht muß die Situation in China heute ganz anders sein. Die neue chinesische Führung macht den Eindruck, als sei sie sehr pragmatisch, zynisch und verschlagen. Und ich vermute, daß ihr Antisowjetismus von ganz anderer Art ist. Es handelt sich hier um eine durchdachte Politik, die nicht deshalb von der Führung verfolgt wird, weil diese daran glaubt, sondern weil sie ihren Interessen dient und von den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern großzügig belohnt wird.
Aber auch hier in der Sowjetunion habe ich ernste Besorgnis über einen möglichen Krieg mit China festgestellt.
Ich habe unsere Position bereits dargelegt. Was China anbelangt, so glaube ich nicht, daß seine Führer einfältig genug waren, um sich eine Chance auf den Sieg in einem Krieg mit uns auszurechnen. Nichtsdestoweniger geht von Chinas Politik derzeit eine sehr ernste Kriegsgefahr aus, ebenso wie die Gefahr von Konflikten besteht und China somit den Weltfrieden und die Stabilität bedroht. Die Hauptziele der Außenpoltik des Maoismus wurden von Maos Nachfolgern nicht verworfen, und eines dieser Ziele ist es, einen Konflikt, möglicherweise auch einen Krieg, zwischen den beiden Supermächten zu provozieren. China setzt heute den Weltfrieden und die Stabilität ebenso in anderer Hinsicht aufs Spiel. Die chinesische Politik stellt eine sehr konkrete und unmittelbare Bedrohung für die übrigen Nachbarn dar. Die Angriffe auf Indien und Vietnam sowie Ansprüche auf beträchtliche Teile Indochinas und anderer Länder sind ein erschreckender Beweis dafür. Außerdem trägt China nach Kräften zu einer Verschärfung regionaler Konflikte bei.
Mich hat die Bemerkung Generalsekretär Breschnews gegenüber Redakteuren des Magazins Time, er habe es ‘endgültig sait, über China zu reden’, sehr erstaunt. | |
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Soweit ich mich erinnere, sagte er dies in Zusammenhang mit einer Diskussion über Chinas bösartigen Propagandafeldzug gegen Vietnam.
Henry Kissinger hat in seinen Meoiren unter anderem geschrieben: ‘Die Feindschaft zwischen China und der Sowjetunion folgte ihrer eigenen Dynamik. Wir hatten sie nicht erzeugt, sondern waren uns vielmehr während des größten Teils dieses Jahrzehnts ihrer Intensität gar nicht bewußt gewesen.’Ga naar eind3
Ich glaube nicht, daß Kissinger hier ein zutreffendes Bild gibt. Der Westen beobachtete, meines Wissens nach, die negativen Entwicklungen in den sowjetisch-chinesischen Beziehungen sehr aufmerksam.
Bleiben wir noch einen Moment bei Kissinger, war er doch schließlich derjenige, der unter Nixon im Weißen Haus die Fäden in der Hand hatte, derjenige, der hauptsächlich die Verhandlungen führte, die die Anerkennung Pekings durch die USA zur Folge hatte. Kissinger behauptet auch, daß die amerikanische Politik gegenüber China darauf abzielte, der UdSSR zu zeigen, daß sie nicht für alle kommunistischen Parteien in der Welt sprechen kann.
Hier ist vorauszuschicken, daß wir nicht den Anspruch erheben, für alle kommunistischen Parteien zu sprechen. Wir halten uns an die Regeln, die innerhalb der kommunistischen Bewegung seit vielen Jahren gelten und die auf der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen und auf der Unabhängigkeit der einzelnen Parteien beruhen. Aber selbst wenn man davon absieht - klingt es nicht recht sonderbar, daß sich ausgerechnet die Vereinigten Staaten um die Aufrechterhaltung fairer, demokratischer Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien sorgen, während der Antikommunismus gleichzeitig eine der Hauptsäulen amerikanischer Außenpolitik darstellt? Es ist allerdings wahr, daß Washington es nicht gänzlich uninteressant findet, daß China den Anspruch erhebt, ein revolutionäres Land zu sein. Ein Aspekt, der hier eine Rolle spielt, wurde von dem einflußreichen amerikanischen Sinologen Michael Pilsbury sehr deutlich ausgesprochen: ‘Es ware für die USA von Nutzen, von den Chinesen zu erfahren, wer welche Position innerhalb der revolutionaren Bewegung in den verschiedenen Teilen der Welt vertritt. Fällt es doch offiziellen amerikanischen Kreisen schwer, die Unterschiede zwischen revolutionaren Führern wahrzunehmen. Das ist Chinas Spezialität, und es könnte uns hierin ein Führer sein.’Ga naar eind4 | |
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Kissinger schrieb unumwunden: ‘Nixon und ich waren davon überzeugt, daß die USA einen militärischen Angriff der Sowjetunion gegen China nicht hinnehmen durften.’
Ich denke, daß Kissinger eine recht seltsame Vorstellung von der amerikanischen Position hat. Vor einiger Zeit noch erklärten die USA, ‘China sei der Feind Nummer eins’ und schienen durchaus geneigt zu sein, die UdSSR zu einem Krieg gegen dieses Land anzutreiben. Später entschlossen sich die USA zu dem Versuch, Pekings Sympathien dadurch zu gewinnen, daß sie verkündeten, sie würden einen militärischen Angriff der Sowjetunion auf China nicht hinnehmen. Dabei handelt es sich um eine reine Pose, die mit keinerlei Risiko verbunden ist, denn die Sowjetunion hat nie beabsichtigt, China anzugreifen, und beabsichtigt das auch heute nicht. Es ist sehr bequem, solche außenpolitischen Ziele zu proklamieren. Da ohnehin nichts passiert, kann man sich zugute halten, verhindert zu haben, daß etwas derartiges eingetreten ist.
Trotzdem sagten mir verschiedene amerikanische Geopolitiker immer wieder, daß die UdSSR als Supermacht, die im Zentrum Eurasiens liegt, nicht nur die Randgebiete kontrolliert, sondern auch eine ideale Lage hat, um die ganze Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Diese Leute scheinen ernsthaft solche Ängste zu hegen.
Wenn sie sich in unserer Lage befänden, würden manche amerikanische Geopolitiker vielleicht derartige außenpolitische Ziele aufstellen. Wir jedoch tun das nicht. Es erscheint mir absurd, wenn jemand sein Verständnis von der Außenpolitik eines Landes, ja sogar von dessen politischen Absichten, hauptsächlich mit der geographischen Lage begründet. Unsere Außenpolitik steht auf einer anderen Grundlage. Natürlich werden unsere geographische Lage wie auch die militärische und politische Situation jenseits unserer Grenzen in Betracht gezogen. Es besteht wohl ein Zusammenhang zwischen der geographischen Lage und den politischen Mitteln, nicht aber zwischen der Lage und den politischen Zielen. Um expansionistisch zu sein, muß ein Land ein starkes, in der inneren Situation begründetes Bedürfnis nach Ausdehnung und Eroberung aufweisen, ein Bedürfnis, das in erster Linie wirtschaftlicher und sozialer Natur ist. Die geopolitische Situation Amerikas nach dem Zweiten Weltkrieg erforderte keineswegs den Aufbau eines Weltreichs, aber das Weltreich wurde trotzdem errichtet, weil Amerika an einer weltweiten Expansion interessiert war. Dieses Ziel wurde in erster Linie durch die Situation in Amerika selbst hervorgerufen. In dieser Hinsicht besteht für | |
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die Sowjetunion keinerlei Notwendigkeit, die Welt oder die eurasische Landmasse unter ihre Kontrolle zu bringen. Außerdem sollte man immer daran denken, daß wir den Krieg viel zu ernst nehmen, als daß es uns in den Sinn käme, ihn zu beginnen. Und überhaupt - während uns diese amerikanischen Geopolitiker beneiden, wäre ich froh, wenn wir, was die geographische Lage anbetrifft, mit ihnen tauschen könnten.
Zbigniew Brzezinski hat einmal geschrieben, daß seiner Ansicht nach Peking einen bedeutenden Beitrag zur Schaffung stabilerer amerikanisch-sowjetischer Beziehungen leisten könnte.
Ja, das hat er geschrieben. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten. Gewisse Illusionen, denen die Vorstellung zugrunde lag, man könne möglicherweise die Drohung mit den Chinesen dazu benutzen, die Sowjetunion einzuschüchtern, waren nach meiner Ansicht ein wichtiger Grund dafür, warum Washington 1979/80 den Kurs der Entspannung verließ und den holprigen und gefährlichen Weg der Konfrontation einschlug. Wissen Sie, ich glaube nicht, daß Brzezinski jemals wirklich aufrichtig stabile und normale Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA gewollt hat. Wenn er davon sprach, auf die ‘chinesische Karte’ zu setzen, um diese Beziehungen zu ‘stabilisieren’, so meinte er damit eine Art von ‘Stabilität’, mit der sich die Sowjetunion nie einverstanden erklären könnte. Die Absicht, die man tatsächlich verfolgt mit der ‘chinesischen Karte’, hat mit Entspannung nichts zu tun - im übrigen verrat ein in diesem Begriff enthaltener Anklang an das Pokerspiel die dahinterliegende zynische, betrügerische und abenteuerliche Haltung. In Wirklichkeit soll damit bezweckt werden, aus der gegenwärtigen Einstellung der chinesischen Führung möglichst rasch Gewinn zu schlagen. Dieses Bestreben läßt langfristige Ziele und Interessen völlig außer acht - sogar die der Vereinigten Staaten selbst. Washington scheint bemüht zu sein, in einer Periode ernsthafter Schwierigkeiten zwischen der Sowjetunion und China auf schnellem Weg politische Vorteile zu erzielen, ohne dabei ernste langfristige Konsequenzen in Betracht zu ziehen. Die Politik der USA gegenüber China hat bereits die politische Instabilität erhöht und die Entspannung untergraben, ganz zu schweigen von der damit verbundenen Verschlechterung der politischen Lage in Asien.
Aber zeichnet sich nicht das ‘Spiel’ der internationalen Beziehungen genau dadurch aus? Spielt nicht Peking gleichermaßen die ‘amerikanische Karte’? | |
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Ja, das tut Peking sehr wohl, und nach meiner Einschätzung hat es sich als ein besserer Spieler erwiesen als umgekehrt Washington mit seiner ‘chinesischen Karte’. Beispielsweise verstand es die chinesische Führung bei ihrem Angriff auf Vietnam im Jahre 1979, die Vereinigten Staaten, wenn schon nicht zur direkten Komplizenschaft, so doch wenigstens zur passiven Hinnahme zu veranlassen.
Es erstaunt manche Beobachter noch heute, daß Peking so lange Zeit, nämlich von 1961, dem Zeitpunkt, als die Sowjetunion ihre Spezialisten abzog (wobei diese auch ihre Pläne mitnahmen), bis 1972 brauchte, um dem Westen seine Türen zu öffnen. Der sowjetische Abzug vermochte zwar vorübergehend, aber doch gewiß nicht für immer die Entwicklung Chinas zu verlangsamen?
Sie greifen mit Ihrer Frage eine Darstellung der Entwicklung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen auf, wie sie im Westen weit verbreitet ist, obwohl diese Version im Widerspruch zu den Tatsachen steht. Die Abberufung der sowjetischen Fachleute, die in China arbeiteten, war nicht die Ursache, sondern die Folge der Verschlechterung der Beziehungen, die durch das Vorgehen der Regierung Maos hervorgerufen wurde. Weiterhin war weder beabsichtigt, durch die Abberufung die Entwicklung des Landes zu verzögern, noch ist darin der tatsächliche Grund für eine solche Verzögerung zu sehen. Damais schon war der Wirtschaft des Landes durch den ‘Großen Sprung nach vorn’ unerhörter Schaden zugefügt worden, ja sie wurde durch die Politik Maos beinahe völlig ruiniert. China wurde dadurch wirtschaftlich zurückgeworfen. Peking hat mittlerweile selbst offiziell eingestanden, daß diese Politik verheerende Konsequenzen hatte. Unsere Experten und unsere Techniker wollten nicht an der gedankenlosen Zerstörung der chinesischen Wirtschaft mitwirken und haben das auch nicht getan. Auch wurden sie für den ‘Großen Sprung’ nicht benötigt, was ein Hauptgrund dafür war, daß die undankbaren Gastgeber für diese Leute unerträgliche Arbeitsbedingungen schufen.
Der chinesisch-amerikanische Handel ist bereits auf das doppelte Volumen angewachsen und wird sich in den achtziger Jahren womöglich verdreifachen.
Eine Verdoppelung oder sogar eine Verdreifachung des Handelsvolumens ist angesichts des niedrigen Niveaus, von dem diese Steigerung ihren Ausgang nahm, nicht von allzu großer Bedeutung. In amerikanischen Wirtschaftskreisen brach eine Art Euphorie aus, als die Nachrich- | |
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ten von den chinesischen Modernisierungsprogrammen in den USA bekannt und normale diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden. China erlebte eine wahre Flut von Delegationen aus Wirtschaftskreisen der USA, Japans und anderer westlicher Länder. Viele Verträge wurden unterzeichnet. Inzwischen herrscht jedoch in den Chefetagen der westlichen Konzerne eine nüchteme Stimmung vor. Der Grand dafür sind die einschneidenden Kürzungen bei den Modernisierungsplänen, die Tatsache, daß viele Verträge nicht eingehalten und Kredite in erheblichem Umfang nicht ausgeschöpft wurden. Die Chinesen selbst sehen der Zukunft etwas zurückhaltender entgegen. Es ist einfach eine Tatsache, daß China über sehr wenige Dinge verfügt, mit denen es westliche Waren bezahlen könnte. Außerdem stellt das Auftreten Chinas auf den Weltmärkten auf längere Sicht eine Gefahr für die wirtschaftlichen Interessen Amerikas dar. Japan befindet sich in einer besseren Lage als die USA, wenn es gilt, die in riesigem Ausmaß vorhandene überschüssige billige Arbeitskraft Chinas zu nutzen, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der Japaner gegenüber der amerikanischen Industrie weiter gestärkt wird.
Was geschieht, falls die USA und eventuell auch europäische Länder damit beginnen, Peking moderne Waffensysteme zu liefern?
Es steht fest, daß die westlichen Länder, insbesondere die Vereinigten Staaten, ihre militärische Zusammenarbeit mit China verstärken. Sie gehen nur schrittweise in diese Richtung und verfallen dabei auf Tarnungen und Ausflüchte, aber sie gehen in diese Richtung. Einer der ersten Schritte wurde während des Besuchs von Verteidigungsminister Harold Brown in Peking im Dezember 1979 getan - ein Vorgang, für den es, nebenbei gesagt, in der Geschichte der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen keine Parallele gibt. Der Besuch des stellvertretenden chinesischen Ministerpräsidenten Geng Biao in Washington im Mai 1980 endete mit dem Ergebnis, daß die USA zustimmten, militärische Ausrüstungsgegenstände - Waffen ausgenommen - an China zu liefern, was ebenso einen Schritt in die genannte Richtung darstellt wie die spätere Pekingreise des führenden amerikanischen Spezialisten für Waffenentwicklung, des Unterstaatssekretärs im Verteidigungsministerium, William Perry. Was die Konsequenzen anbelangt, so kann ich mir nicht vorstellen, wie die Entspannung eine solche Entwicklung überleben könnte. Wie könnten wir uns bemühen, die Spannungen zu vermindem und im Verhältnis mit den westlichen Ländern das gegenseitige Vertrauen zu fördern, wenn diese Länder gleichzeitig China aufrüsten? Wie könnten wir für ei- | |
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nen Rüstungs- und Truppenabbau in Europa eintreten, wenn wir von vomherein wissen, daß die Waffen, die die Nato möglicherweise aus Europa abziehen würde, an unserer Hintertür, der Grenze im Fernen Osten, wieder installiert werden würden? Ganz allgemein gilt, daß man bei uns in Waffenlieferungen an China nur eines sehen würde - nämlich die Errichtung einer Allianz, die gegen die Sowjetunion gerichtet ist. Unsere Haltung zu dieser Art von feindseliger Politik dürfte wohl jedermann klar sein.
Aber von Washington aus betrachtet, gibt es nun einmalgemeinsame strategische Interessen zwischen den USA und China.
Ob es solche Interessen gibt oder ob es sie nicht gibt, hängt davon ab, was nun genau die Ziele sind, die die USA verfolgen. Falls die Vereinigten Staaten mit den Mitteln der Gewalt und der Einschüchterung gegen die Sowjetunion vorgehen wollen, einen Kalten Krieg führen wollen - von einem tatsächlichen Krieg einmal ganz abgesehen -, dann gibt es einige gemeinsame strategische Interessen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was durch solch eine Politik gewonnen wird, ganz gleich, welche Verbündeten auch immer für solche Eskapaden gewonnen werden können. Andererseits aber - wenn das Ziel der USA Stabilität und ein dauerhafter Frieden ist -, welche strategischen Interessen könnten sie dann mit der gegenwärtigen chinesischen Politik gemein haben? Mit einer Politik, die die Entspannung für unmöglich, den Frieden für unerreichbar und den Krieg für unausweichlich hält? Mit einer Politik, die gegenüber allen Nachbarn Chinas Forderungen erhebt?
Präsident Reagan scheint der Idee einer amerikanisch-chenesischen Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet etwas distanzierter gegenüberzustehen als sein Vorgänger. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Präsident Reagans Chinapolitik ist noch nicht festgelegt worden, und es gibt verschiedene Ansätze, die zur Auswahl stehen und die darum wetteifern, die offizielle amerikanische Politik unter Reagan zu werden. Es ist möglich, daß die Reagan-Administration weitgehend die Politik ihrer Vorgängerin fortführt. Falls sie jedoch dieser Politik Einhalt gebietet, so könnte das Ausdruck dafür sein, daß man erkannt hat, daß ausgedehnte militärische Verbindungen mit Peking sehr wohl Pekings Zielen dienen könnten, ohne daß gleichzeitig für die USA greifbarer Nutzen daraus erwächst - wohl aber in der Zukunft dadurch neue Probleme entstehen werden. | |
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Was Sie gesagt haben, läßt nur wenig Hoffnung, daß es zu ernsthaften Veränderungen in der Außenpolitik Chinas und in den Beziehungen mit der UdSSR kommt.
Ich wollte damit nicht sagen, daß China für alle Zeiten an seinem Kurs festhalten muß. Wir hoffen aufrichtig, daß es früher oder später wieder zu einer realistischeren Haltung gegenüber der Welt zurückkehren und in der Völkerfamilie einen Platz einnehmen wird, der seiner wirklichen Größe angemessen ist. Die Normalisierung unserer Beziehungen mit China bleibt eines der Hauptziele der sowjetischen Außenpolitik.
Aber haben Sie nicht selbst darauf hingewiesen, daß der Antisowjetismus der gegenwärtigen chinesischen Führung deren Interessen sehr wohl dient?
Ja, und zwar solange, wie sie die nationalen Interessen Chinas in einer totalen Mobilisierung des Landes zum Zwecke einer abenteuerlichen Außenpolitik sieht. Aber diese sehr begrenzte Vorstellung von nationalen Interessen hat nichts mit der wirklichen Situation und den Problemen Chinas gemein. Und dabei handelt es sich in der Tat um enorme Probleme. Allein schon die Ernährung eines Volkes mit einer Milliarde Menschen sicherzustellen, ist eine ungeheure Herausforderung, und es wird die Zeit kommen, in der diese Menschen nicht mehr länger mit einer Handvoll Reis zufriedenzustellen sind, in der sie ganz zu Recht danach streben werden, der materiellen und kulturellen Errungenschaften der modernen Zivilisation teilhaftig zu werden. Das allein schon würde genügen, um Chinas Interesse an einer friedlichen internationalen Lage und einer Zusammenarbeit aller Länder zu begründen, könnten dadurch doch die gesamten Ressourcen zur Lösung der Probleme des Landes eingesetzt werden. Auch bin ich überzeugt, daß, anders als dies bei den gegenwärtigen, hegemonistischen Bestrebungen der Fall ist, solche Anstrengungen nicht zurückgewiesen werden würden, sondern daß man ihnen auf der ganzen Welt mit Verständnis und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit begegnen würde. Wir glauben, daß China früher oder später diese existentiellen Notwendigkeiten begreifen und damit den Boden für eine wirkliche Verbesserung unserer Beziehungen bereiten wird.
Wenden wir uns Japan zu. Welche Position vertritt die Sowjetunion gegenüber Ansprüchen Japans auf die sogenannten ‘Nordterritorien’?
Die japanische Regierung hat auf verschiedene Inseln, die zur Sowjet- | |
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union gehören, Ansprüche erhoben. Diese Insein wurden uns gemäß den Beschlüssen der Konferenzen von Jalta und Potsdam nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgegeben, und Japan erkannte 1951 auf der Konferenz von San Francisco selbst unsere diesbezüglichen Rechte an. Nach unserer Auffassung besteht hier weder in rechtlicher, noch in praktischer Hinsicht ein Problem.
Aber gerade das ist der entscheidende Punkt: Selbst wenn das Recht auf Ihrer Seite ist, warum sind Sie nicht in der Frage einiger kleiner Inseln zu Zugeständnissen bereit, um damit mit diesem Land zu besseren Beziehungen zu gelangen, kommt diesen doch sowohl heute wie auch in der Zukunft große Bedeutung zu?
Das entscheidende dabei ist, daß wir in diesen zwei, bzw. vier Insein mehr sehen als nur ein kleines Stück Land. Wir glauben, daß territoriale Probleme, ganz gleich, wie klein auch das in Frage kommende Stück Land oder das Gewässer sein mag, eine besonders behutsame Behandlung verlangen. In der Vergangenheit haben solche Probleme oft genug internationale Konflikte und sogar Kriege verursacht. Wir haben viel Mühe darauf verwandt, die Anerkennung und die Unverletzbarkeit der bestellenden Grenzen zu einer Regel der heutigen internationalen Beziehungen und zu einem grundlegenden Prinzip der internationalen Entspannung zu machen. Wir halten an unserer Auffassung fest, daß die Stärkung dieses Prinzips hilft, wichtige Gefahrenmomente, die den Weltfrieden bedrohen, zu beseitigen. Einer Ausnahme von dieser Norm an irgendeiner Stelle zuzustimmen, und sei es auch nur in einem winzigen Punkt, könnte sehr wohl die Schleusen für eine wahrhaftige Flut von Problemen öffnen: Viele weitere alte Territorialzwistigkeiten würden wahrscheinlich wieder ausbrechen und neue hmzukommen. Die internationale Stabilität würde weiter untergraben werden. Es ist nicht bloßer Zufall, daß gerade China, das ganz erhebliche territoriale Ansprüche gegenüber den meisten seiner Nachbarn erhebt, solch großes Interesse zeigt, die Japaner anzustacheln, Territorialansprüche zu erheben. Ich bin mir dessen sehr wohl bewußt, welche Gefühle viele Japaner mit dieser Frage verbinden, aber die japanischen Politiker haben sich die Probleme, die sie in diesem Zusammenhang haben, selbst zuzuschreiben, weil es vor allem durch ihre Politik dazu kam, daß solche Gefühle erweckt wurden. Ich hoffe, daß diese Frage im Laufe der Zeit einiges von ihrer gegenwärtigen Schärfe verlieren wird und damit aufhört, ein Hindernis auf dem Weg zu einer positiven Entwicklung der sowjetisch-japanischen Beziehungen zu sein. | |
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Aber werden die Japaner bereit sein, diesen Weg einzuschlagen, falls das Problem der Inseln ungelöst bleibt?
Ich weiß nicht, wann sie emotional dazu bereit sein werden. Geht man das Problem rational an, so sieht es ganz anders aus. Wissen Sie, ich glaube nicht, daß dieser Frage im Hinblick auf die Interessen Japans irgendwelche ernstzunehmende Bedeutung zukommt. Japans Hauptinteressen liegen darin, daß seine Sicherheit und sein wirtschaftliches Wohl gewährleistet sind. Diese Interessen haben in keiner Weise etwas mit den Inseln zu tun. Wohl aber hängen diese Interessen weitgehend davon ab, welcher Natur die Beziehungen zwischen Japan und der UdSSR insgesamt sind. Und mir scheint, daß der Sicherung dieser überaus vitalen Interessen weit mehr Bedeutung zukommt als dem Schicksal von ein paar Inseln. Dies trifft um so mehr zu, wenn man die gesamte wirtschaftliche Lage in der Welt, die zunehmende Knappheit der Rohstoffe, die Probleme im Welthandel und die protektionistischen Tendenzen der westlichen Länder in Betracht zieht.
Rechnen Sie damit, daß die Japaner in den achtziger Jahren jene politische Linie verfolgen werden, die Sie als ‘rationales Verhalten’ bezeichnet haben?
Ich hoffe, daß sie das tun werden.
Im Moment sieht es jedoch nicht so aus. Ganz im Gegenteil. In Japan scheint sich eine wachsende Feindseligkeit gegenüber der UdSSR breit zu machen, wie auch ein allgemeiner Unmut über das Auftauchen neuer sowjetischer Streitkräfte und Mittelstreckenraketen in den fernöstlichen Teilen der Sowjetunion.
Ich bin mir dieser Gefühle sehr wohl bewußt, ebenso aber der Gelüste einiger Japaner, sich aktiv am Wettrüsten zu beteiligen. Man sollte hinzufügen, daß der wahre Grund für die jüngste Verschlechterung der sowjetisch-japanischen Beziehungen (einschließlich der Beziehungen auf wirtschaftlichem Gebiet) nicht die Frage der Nordterritorien war, sondern der Druck von seiten der USA, d.h., deren beharrliche Bemühungen, die Japaner dazu zu bewegen, der politischen Linie Amerikas zu folgen. In Japan selbst werden starke Zweifel an dieser Politik laut. Viele Japaner erkennen, daß die Sowjetunion im Kontext wachsender Spannungen auf der gesamten Welt wie auch in Ostasien nicht umhin kann, angemessene Maßnahmen zu treffen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Die Kritiker sollten sich in erster Linie bei den USA für diese Rake- | |
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ten bedanken, aber auch bei China. Es war der erklärte Wunsch der Sowjetunion gewesen, ein System der kollektiven Sicherheit und der Rüstungskontrolle auf der ganzen Welt, einschließlich dem Fernen Osten, zu errichten. Trotz allem bin ich mir ganz sicher, daß der Anreiz für Japan, zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu gelangen, in den achtziger Jahren zunehmen wird. Es ist zutiefst meine Überzeugung, daß die Sowjetunion und Japan umfassende gemeinsame Interessen haben.
Sie meinen wirtschaftliche Interessen?
Nicht ausschließlich. Ich würde sogar die Betonung auf die Sicherheitsinteressen legen. Sowohl die Sowjetunion wie auch Japan sind daran interessiert, den Frieden zu bewahren und den Grad der militärischen Konfrontation in der gesamten Region zu verringem. Es ist ganz offensichtlich, daß Japan aufgrund seiner geographischen Lage und seiner Bevölkerungsdichte im Falle eines Konflikts in höchstem Maße verwundbar ist. Und diese Verwundbarkeit kann nicht mit Hilfe von Aufrüstung und Militärallianzen aufgehoben werden. Der einzige Weg für Japan, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, besteht darin, in der gesamten Region den Frieden und die Entspannung zu festigen, was vielleicht auf längere Sicht zu einem System der kollektiven Sicherheit und Zusammenarbeit führen wird. Was den wirtschaftlichen Aspekt anbelangt, so bietet die Region des nördlichen Pazifiks außerordentlich günstige Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese Region, die die westlichen Teile der USA und Kanadas, die fernöstlichen Gebiete der Sowjetunion sowie Japan und andere Lander umfaßt, verfügt zusammengenommen über ein ungeheures wirtschaftliches Potential. Eine allseitige Entwicklung des Handels und der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bindungen ist möglich und sollte angestrebt werden. Die sowjetisch-japanische Zusammenarbeit kann zu dieser Entwicklung in ganz wesentlichem Maße beitragen.
Jimmy Carter, den man als ein Produkt von David Rockefellers ‘Trilateral Commission’ bezeichnen könnte, hatte ein Netz enger Zusammenarbeit zwischen Japan, Westeuropa und den Vereinigten Staaten zum Ziel. Ruft diese gezielte ‘Dreieckspolitik’ in Moskau das Gefühl der Einkreisung hervor?
An und für sich weckt die Zusammenarbeit zwischen Japan, Westeuropa und den Vereinigten Staaten keine solchen Gefühle in Moskau. Es hängt | |
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alles von dem politischen Kontext ab, in dem eine solche Stärkung der Bindungen stattfindet. Sollten sie sich in einer allgemeinen Situation der Entspannung entwickeln und Hand in Hand einhergehen sowohl mit einer wachsenden Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern und den Staaten, die dieses kapitalistische Dreieck bilden, wie auch zwischen all diesen Ländern und der Dritten Welt, so wäre daran nichts auszusetzen. Wenn jedoch diese verstärkte Zusammenarbeit zwischen den drei kapitalistischen Zentren in Verbindung mit einer Neubelebung des Kalten Krieges stattfindet und eine Stärkung der militärischen Bindungen bedeutet sowie die Anhäufung eines noch größeren militärischen Potentials, das sich gegen die Sowjetunion oder irgend ein anderes Land richtet, dessen Politik dem Westen vielleicht im Moment nicht genehm ist; wenn die Koordinierung auf wirtschaftlichem Gebiet die Teilnahme aller Länder des Dreiecks an von Washington angeführten Boykottmaßnahmen, Blockaden oder Empbargos bedeutet, dann sind wir ganz entschieden gegen diese Art der Dreiecksbeziehungen. Aber selbst wenn es zu einem derartigen Zusammenschluß des Westens auf antisowjetischer Basis kommen sollte, was ich sehr bezweifle, glaube ich nicht, daß das bei uns ein ‘Einkreisungs-Syndrom’ hervorrufen wird. Wir waren vor dem Zweiten Weltkrieg wahrhaftig eingekreist, und doch haben wir seither viel erreicht. Inzwischen gibt es andere sozialistische Länder, und ein Großteil der Entwicklungsländer ist an guten Beziehungen zur Sowjetunion interessiert. Es besteht auch wenig Aussicht, daß der Westen - einerlei wie sich die Dinge entwickeln mögen - eine derartig monolitische antisowjetische Haltung einnehmen wird, wie das vor einiger Zeit der Fall war. Eine ganz andere Sache ist, daß solch ein Zusammenschluß auf antisowjetischer Basis die Gefahr einer militärischen Konfrontation um ein Vielfaches erhöht. Aber das sollte nicht nur uns Anlaß zur Besorgnis geben, sondern auch Japan, Westeuropa und den Vereinigten Staaten.
Offensichtlich platzt die japanische Wirtschaft aus allen Nähten. Es erscheint als eine natürliche Entwicklung, daß Japan mit aller Kraft versuchen dürfte, in den chinesischen Markt einzudringen.
Natürlich, Japan würde gerne den chinesischen Markt für sich gewinnen. Dieses Verlangen hat tiefe historische Wurzeln. Aber wir haben ja bereits über die Grenzen gesprochen, die einem Handel mit den Chinesen gezogen sind. Handel ist kein Akt der Mildtätigkeit, und ich glaube nicht, daß die japanischen Geschäftsleute einen Markt suchen, auf dem sie ihre Waren praktisch verschenken müßten. Natürlich, das Potential | |
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für einen japanisch-chinesischen Handel würde zunehmen, könnte Japan, das selbst fast keine Rohstoffe besitzt, diese aus China beziehen. Aber bislang gibt es keine wirklichen Beweise dafür, daß China in beträchtlichem Umfang über Rohstoffe verfügt. Sollten in der Zukunft größere Funde gemacht werden, so werden riesige Investitionen und viel Zeit erforderlich sein, um sie zu erschließen. Solche Pläne sind jedoch nicht unbedenklich angesichts der labilen Situation in China.
1973 führte ich mit dem damaligen japanischen Premierminister Kakuei Tanaka ein Gespräch. Damals hegte man hohe Erwartungen sowohl hinsichtlich einer raschen Entwicklung der Freundschaft mit den Chinesen, wie auch hinsichtlich einer raschen Expansion der Investitionen und der Wirtschaftsbeziehungen. Vor kurzem nun traf ich mit dem ehemaligen Außenminister Saburo Okita zusammen, der manchmal auch wegen seiner Wirtschaftskenntnisse der Robert McNamara Japans genannt wird. Er war von der derzeitigen Führung in Peking in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des japanischen Wirtschaftsforschungszentrums eingeladen und um seinen Rat zu Finanz- und Wirtschaftsfragen gebeten worden. Was rasche Geschäftsabschlüsse und eine rapide Entwicklung des Handels betrifft, so schien Saburo Okita vor allzu übertriebenem Optimismus zu warnen.
Genau davon spreche ich. Die Euphorie ist vorbei. Es ist Zeit für eine nüchteme und realistischere Einschätzung.
Takashi Watanabe, Vorsitzender der Trilateralen Kommission in Japan und ehemaliger Präsident der asiatischen Entwicklungsbank in Manila, versicherte mir, daß historisch und kulturell gesehen die Japaner den Chinesen natürlicherweise näher stünden. Er fügte hinzu: ‘Die sowjetische Diplomatie uns gegenüber ist oftmals “ungeschickt”.’
Ich weiß nicht, was er mit ‘ungeschickt’ meinte. Vielleicht die Tatsache, daß wir gegenüber den territorialen Ansprüchen nicht nachgegeben haben, aber nachzugeben wäre noch viel ‘ungeschickter’, fürchte ich. Was uns angeht, so gibt es ebenfalls manche Aspekte der japanischen Außenpolitik, die wir nicht schätzen, aber ich würde sagen, daß wir und die Japaner nicht jene Dinge betonen sollten, die wir an der jeweiligen Politik des anderen nicht mögen, sondern mehr über Wege nachdenken sollten, die der Entwicklung wahrhaft konstruktiver Beziehungen auf der Basis gegenseitigen Nutzens dienen, liegen doch solche Beziehungen im objektiven Interesse beider Länder. Was die ‘natürliche Nähe’ zwischen Japan und China betrifft - nun, | |
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zieht man in Betracht, wie oft und über welche Zeiträume hinweg die beiden Länder gegeneinander gekämpft haben, so könnte man diese ‘Nähe’ wohl auch ein wenig anders interpretieren, als Takashi Watanabe dies tut. In vielen Fällen tragen die Japaner die Verantwortung für diese Zusammenstöße, in anderen trifft die Chinesen die Schuld. Es wird erzählt, daß Japan einmal durch ‘Kamikaze’, den heiligen Wind, gerettet wurde, der die feindliche Flotte, die sich vom chinesischen Festland her näherte, zerstreute. Heutzutage ist es schwierig, sich auf heilige Winde zu verlassen. Viel wichtiger ist es, eine kluge, umsichtige Außenpolitik zu betreiben. Im übrigen bin ich sicher, daß die Beziehungen zwischen Japan und China von sehr viel komplizierteren Dingen bestimmt werden als lediglich von historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten oder ethnischen Ähnlichkeiten. Ich möchte an dieser Stelle eine allgemeine Bemerkung machen. Wir in der Sowjetunion sind selbstverständlich darüber besorgt, daß die USA, Westeuropa und Japan zusammen mit China im Antisowjetismus eine gemeinsame Grundlage finden. Wir sehen darin eine Gefahr für die ganze Welt. Wir sind jedoch weit davon entfemt, uns der Entwicklung normaler Beziehungen zwischen China und anderen Ländern zu widersetzen. Es ist nicht unser Ziel, die Isolation Chinas zu verewigen oder diesem großen Land auf der internationalen Ebene in irgendeiner Weise die Rolle eines Ausgestoßenen zuzuweisen. Mehr noch, wir hoffen, daß sich China früher oder später (vorzugsweise früher) als emsthafter und konstruktiver Partner an den Bemühungen um eine Stärkung des Friedens, an einer Begrenzung und Verminderung der Rüstung und an der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit beteiligt. Dies wäre von großer Bedeutung sowohl für die Sache des Friedens wie auch für das leidgeprüfte chinesische Volk selbst. Die Sowjetunion ist bereit, zu solch einer Entwicklung beizutragen.
Wenden wir uns Europa zu, wo der italienische Diplomat Graf Carlo Sforza 1936 schrieb: ‘Entweder werden wir dem europäischen Ideal dienen, oder wir werden untergehen.’ Wie kam es ursprünglich zu den Planen der Sowjets für eine gesamteuropäische Konferenz, die dann für lange Zeit ein immer wiederkehrendes Thema der sowjetischen Diplomatie waren?
Wir ergriffen bereits 1955 zum ersten Mal eine entsprechende Initiative. Später schlugen wir dann die Unterzeichnung eines gesamteuropäischen Vertrags zur kollektiven Sicherheit vor, der eine Laufzeit von 50 Jahren haben sollte. Danach forderten wir die Einberufung einer Ost-West- | |
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Gipfelkonferenz, auf der die grundlegenden Prinzipien der Ost-West-Beziehungen erarbeitet werden sollten. Die Vorstellungen von einer gesamteuropäischen Konferenz wurden in ihrer jetzigen Form 1966 auf dem Bukarester Treffen des Politischen Beratenden Ausschusses der Warschauer Pakt-Staaten vorgelegt. 1967 wurden sie schlieβlich auf einem Treffen der Kommunistischen Parteien Europas in Karlovy Vary noch einmal bekräftigt.
Der norwegische Professor Johan Galtung schlägt eine gesamteuropäische Symbiose von Ost und West vor, aus der heraus ein politischer und wirtschaftlicher Koloß entstünde, der sich durch eine verflochtene Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln auszeichnen würde.
Es sollte festgehalten werden, daβ diese Idee nicht neu ist. Vor achtzig Jahren hat man in diesem Zusammenhang für gewöhnlich von den ‘Vereinigten Staaten von Europa’ gesprochen. Diese Idee wurde von W.I. Lenin aufs schärfste kritisiert, der davon ausging, daβ eine solche Symbiose unter den damais herrschenden Bedingungen entweder gänzlich unmöglich sei oder einen reaktionären Charakter haben würde, sich also in letzterem Fall als eine Allianz imperialistischer Staaten erweisen würde, die sich vereinigen, um das System der kolonialen Ausbeutung zu konsolidieren.
Aber welche Haltung nimmt die Sowjetunion heute gegenüber einem Vereinigten Europa ein?
Die Frage ist, in welchem Umfang vereinigt? Falls man dabei an das Entstehen einer neuen Supermacht denkt, so scheint es sich um eine recht utopische Perspektive zu handeln. Wir sehen objektive Tendenzen, die die wirtschaftliche Integration in Europa wie auch ganz allgemein auf der Welt begünstigen, obwohl wir gleichzeitig die Schwierigkeiten erkennen, die diesem Prozeβ entgegenstehen, wie auch dessen widersprüchlichen Charakter. Es genügt, auf die bestehenden Ungleichheiten und die für den Kapitalismus so typische Vorherrschaft der reicheren und mächtigeren Staaten hinzuweisen. Es ist kaum zu erwarten, daβ dieser Prozeβ in naher Zukunft in irgendeiner Form zur Vereinigung der europäischen - oder auch nur der westeuropäischen - Volkswirtschaften führt. Die übrigen Aspekte des Problems, die nicht wirtschaftlicher Natur sind, sind sogar noch komplizierter. Denken Sie nur an das anwachsende ethnische Bewuβtsein, wie es besonders in jüngster Zeit in einigen unerwarteten Fällen in ziemlich scharfer Form zutage tritt: bei den Wallonen in Belgien, den Schotten und Walisern in Groβbritannien, den | |
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Korsen in Frankreich; ganz zu schweigen von den Ländern, in denen die ethnischen Probleme den Charakter offener bewaffneter Konflikte angenommen haben, wie in Nordirland oder dem Baskenland. Wie kann man eine Verschmelzung zur Supermacht erwarten, wo die europäischen Nationen sich in wichtigen Wesenszügen so sehr unterscheiden? Ich habe bis jetzt über historische Tendenzen gesprochen. Was nun die politischen Vorhaben anbelangt, die mit solchen Plänen der ‘Vereinigung’ verbunden sind, so machen sie auf uns einen ziemlich unheilvollen Eindruck.
Warum?
In aller erster Linie deshalb, weil diese Vorhaben nur eine Vereinigung des kapitalistischen Europas enthalten, weshalb wir nicht umhin können, in diesen Plänen einen Versuch zu sehen, die Teilung Europas in zwei sich feindselig gegenüberstehende militärisch-politische Blöcke zu festigen und zu verewigen. Wir vertreten, wie Sie sicher wissen, eine Position, die darauf abzielt, diese abnormale Situation zu beenden und schlieβlich sogar zur völligen Auflösung der beiden Blöcke oder zumindest ihrer militärischen Organisationen führen soil.
Faβt man eine Vereinigung ganz Europas ins Auge, so erhebt sich sofort die Frage - auf welcher Grundlage? Die sozialistischen Länder haben nicht vor, kapitalistisch zu werden, und, soweit uns jedenfalls bekannt, hegt der Westen keine Plane, in allernächster Zeit sozialistisch zu werden. Wollte man versuchen, der anderen Seite sein eigenes System aufzuzwingen, so würde das Krieg bedeuten.
Sie sehen also letzten Endes auch für die nächsten Jahre eine Teilung Europas vorher.
Wenn Sie dabei an die Existenz sozialistischer und kapitalistischer Gesellschaften in Europa denken - ja. Aber dies bedeutet nicht, daβ feindselige Beziehungen und Spannungen in Europa unvermeidlich sind. Ich habe ja, was unsere Einstellung zur Blockbildung betrifft, schon ausführlich dazu Stellung genommen. Wir treten für eine weitere Entwicklung der politischen Zusammenarbeit ein, mit dem Ziel, die Rüstungskontrolle und die Abrüstung voranzutreiben und zu gröβerem gegenseitigen Vertrauen zu gelangen. Wir befürworten auch eine umfassende Entwicklung der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit innerhalb Europas, der kulturellen Bindungen, des Tourismus und anderer Arten von Kontakten. Wir sind davon überzeugt, | |
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daβ die beiden Teile Europas miteinander in einem Zustand der Sicherheit, der engen Zsuammenarbeit und, wenn man so will, der Harmonie leben können, ungeachtet ihrer unterschiedlichen sozio-ökonomischen Systeme.
Wie würden Sie unter dem Aspekt politischer Konzeptionen die Sicherheitsprobleme in Europa bewerten?
In erster Linie besteht das Problem darin, daβ das ganze System der internationalen Beziehungen in dieser Region ziemlich radikale Veränderungen erfahren muβ. In Europa treffen Länder, die den beiden verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen angehören, unmittelbar aufeinander. Und dieses Aufeinandertreffen gilt nicht nur für den politischen Bereich, sondem gleichermaβen für den militärischen. Es gibt keine andere Region auf dieser Welt, in der die verheerendsten Waffen, die denkbar sind, in solchem Ausmaβ angehäuft wurden, und auch keine andere Region, die ein vergleichbares Pulverfβb geworden ist, ein Pulverfβb, das im Falle eines Konflikts sehr leicht explodieren kann. Hier stellt sich uns die wichtigste, ja ich würde sagen, die alles entscheidende Frage ganz besonders deutlich, namlich die Frage, ob friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit überhaupt möglich sind. In gewisser Hinsicht ist Europa zum Prüfstand für die Lösung der wesentlichsten Probleme unserer Zeit geworden. Die ersten eineinhalb Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gaben in dieser Hinsicht allen Anlaβ zu Pessimismus. Die Situation begann sich jedoch in den sechziger Jahren zu ändern, als es zu einer bedeutenden Verbesserung der sowjetisch-französischen Beziehungen kam. Dieser Entwicklung folgten bald weitere ähnliche Ereignisse, unter anderem auch die bedeutsame Verbesserung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland. All das stellte, im Hinblick auf die beiderseitige Sicherheit und die friedliche Koexistenz, einen wichtigen Durchbruch dar. Der Prozeβ der Normalisierung der Beziehungen erfaβte den gesamten europäischen Kontinent und sogar Kanada und die Vereinigten Staaten. Das war in der Tat eine Entwicklung von groβer Bedeutung.
Willy Brandt hinterlieβ bei mir den Eindruck, daβ er seine Ostpolitik weder als vollkommen gescheitert, noch als besonders erfolgreich ansieht.
Gibt es denn wirklich viele Beispiele dafür, daβ menschlichem Bemühen uneingeschränkter Erfolg beschieden war? Insgesamt gesehen hat Brandts Ostpolitik ohne Zweifel zu bedeutenden | |
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Ergebnissen geführt. Ich glaube, daβ Willy Brandt und seine Mitarbeiter auf das, was sie geleistet haben, stolz sein können, haben sie doch dazu beigetragen, die Entspannung in der potentiell explosivsten Region in die Wege zu leiten, in einer Region, in der dem Ost-West-Konflikt eher zentrale denn periphäre Bedeutung zukommt. Es ist ganz wesentlich, daβ diese Entwicklung beibehalten und weiter vorangetrieben wird. Die bestehenden Probleme und Schwierigkeiten zeigen, daβ die politischen Beziehungen in Europa nicht in wünschenswertem Maβe umgestaltet wurden, und daβ, zu welchen Veränderungen es auch immer gekommen sein mag, man noch nicht davon ausgehen kann, daβ diese Entwicklungen nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten. Diese Tatsache mindert jedoch keineswegs die Bedeutung der positiven Veränderungen in Europa, zu denen die Ostpolitik einen sehr wichtigen Beitrag geleistet hat.
Zum Abschluβ des Besuchs von Generalsekretär Breschnew 1978 in Bonn wurden die gemeinsame Erklärung und das Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und industriellen Bereich unterzeichnet. Der Moskaubesuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt im Juli 1980 führte zu einer Reihe von spezifischen Maβnahmen, die der Durchführung dieses Abkommens dienen. Das ist eine für Europa ungeheuer wichtige Tendenz.
Ja, das kann für Europa eine sehr wichtige Rolle spielen. Wir streben eine langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den einzelnen westeuropäischen Ländern an, wobei wir gleichzeitig auf eine breite, gesamteuropäische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet hinarbeiten. Leonid Breschnew hat dazu verschiedene Vorschläge auf dem Energiesektor, beim Umweltschutz und in anderen Bereichen gemacht. Ohne Zweifel erfordert eine langfristige Zusammenarbeit Stabilität und Vertrauen zu den jeweiligen Partnern. Andererseits kann eine solche Zusammenarbeit ein wichtiger Faktor der Stabilität und des gegenseitigen Vertrauens werden.
Trotz dieser positiven Entwicklungen hält der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans Apel, daran fest, die Gespräche zwischen Ost und West würden zu nichts führen, wenn sie nicht von militärischen Vorbereitungen begleitet würden.
Das ist wohl genau die Auffassung, die man von einem westdeutschen Verteidigungsminister erwarten würde, obwohl damit nur dem Wettrü- | |
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sten und einer Verstärkung der Spannungen Vorschub geleistet wird. Gerade die militärischen Vorbereitungen sind es, die heutzutage zu nichts führen. Hinter uns liegen drei Jahrzehnte, die von solchen Anstrengungen bestimmt waren. Haben sie uns bei den Verhandlungen geholfen oder haben sie auch nur ein einziges Mal zu einem Ûbereinkommen oder zur Zusammenarbeit geführt? ‘Si vis pacem para bellum’ - dieses ewig gleiche Lied vom ‘Frieden durch Krieg’ hort die Menschheit schon seit Jahrhunderten. Aber hier und heute hat dieser Aphorismus keine Gültigkeit mehr.
Denkt man zurück an die Schluβakte von Helsinki von 1975, so erscheint das Bild vom Europa der achtziger Jahre wirklich düster.
Nun, nach meiner Auffassung hatte die Entspannung die spektakulärsten Erfolge in Europa erzielt, und zwar vor allem in der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Nach 1975 wurde die ganze Sache komplizierter und widersprüchlicher - vor allem aufgrund der amerikanischen Haltung. Das wurde schon auf der Belgrader Konferenz von 1977 deutlich.
Wie schätzen Sie diese Konferenz ein?
Kein völliges Desaster, aber dennoch in vieler Hinsicht ein enttäuschendes Ereignis.
Und die Madrider Konferenz?
Mein Eindruck war, daβ es ganz einfach Washingtons Absicht war, sie zu sabotieren. Es mag genügen zu erwähnen, daβ einer der Führer der amerikanischen Delegation früher ein Mitglied des ‘Committee on the Present Danger’ war. Im übrigen war es die erklärte Absicht der USA, die Sowjetunion auf der Konferenz anzuklagen. All das erweckte den Eindruck, die Carter-Administration handle, was die europäische Sicherheit betrifft, in beispiellos fahrlässiger Weise. Ich habe den Verdacht, daβ es in Wirklichkeit ihr Ziel war, die Unzufriedenheit der Europäer mit Amerikas Neuauflage der Politik des Kalten Krieges zu beschwichtigen und Entschuldigungen dafür zu konstruieren. Es bleibt abzuwarten, ob die Europaer ihrerseits bereit sind, in diesem Spiel des Weiβen Hauses die Rolle des Betrogenen zu übernehmen.
Madrid spiegelt also eine Verschlechterung dergesamten Situation in Europa wider? | |
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In dem Augenblick, in dem dieses Buch in Druck geht, dauert die Konferenz immer noch an. Und ich habe durchaus Hoffnung, daβ es zu Verbesserungen kommt. Wenn Sie mich nach einer Einschätzung der ersten Phase der Madrider Konferenz fragen, so würde ich sagen, daβ die allgemeine Situation in Europa besser ist als die Situation der Konferenz. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa wurden weiterentwickelt. Gleichzeitig gab es auch einige negativ zu bewertende Tatsachen. Am meisten beunruhigt dabei, daβ bei der Rüstungsbegrenzung keine positiven Resultate erzielt wurden. Ganz im Gegenteil, die Nato hat 1978 und 1979 verschiedene Entscheidungen getroffen, durch die sich die militärische Rivalität noch zuspitze. Aber ich möchte noch einmal betonen, daβ sich nicht nur ein ausschlieβlich negatives Bild ergibt, wenn man die Zeit seit den frühen siebziger Jahren oder selbst nur die Zeit seit Helsinki in Betracht zieht und die Entwicklungen bewertet, zu denen es seither in Europa kam. Ich glaube, daβ die Grundlagen der Entspannung in Europa intakt geblieben sind, was man von unseren Beziehungen mit den USA nicht unbedingt sagen kann.
Zur Frage der Abneigung Europas, sich Washingtons neuem Feldzug des Kalten Krieges anzuschlieften, stellte Kissinger zusammenfassend fest: ‘Es geht nicht an, daβ die Europäer ein Monopol darauf haben, maβigend zu wirken, wahrend die USA das Monopol darauf haben, Druck auszuüben.’
In der Tat ist solch eine Rollenverteilung nicht die beste Lösung. Wir würden es sehr viel üeber sehen, wenn sowohl Westeuropa wie auch die USA mit uns Beziehungen unterhielten, die eher auf Müβigung denn auf Druck und eher auf Zusammenarbeit denn auf Konfrontation beruhen. Wenn es dazu nicht kommt, so solite Kissinger nicht den Europäern die Schuld dafür geben. Die Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa haben ihre Wurzeln in der amerikanischen Politik, in dem Kurswechsel, bei dem die Entspannung durch eine Steigerung der Spannungen abgelöst wurde. Mit anderen Worten, und darauf habe ich bereits hingewiesen: Die Europäer nehmen die Entspannung ernster als die Amerikaner.
Sie haben zwar darauf an früherer Stelle hingewiesen, ich möchte Sie aber noch um eine detailliertere Analyse bitten.
In erster Linie sind die Europaer sensibler, was die Kriegsgefahr anbe- | |
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langt. Wie der berühmte amerikanische Historiker Charles Beard sagte, sind die Problème Europas ‘überzogen von einer Blutkruste, die fünfzig mit Kriegen angefüllte Jahrhunderte hinterlassen haben’.Ga naar voetnoot5 Und schlieβlich sind es auch nicht die Amerikaner, sondern die Europäer, die in unmittelbarer Nähe jener sowjetischer Panzer und SS 20-Raketen leben müssen, derentwegen die Nato soviel Aufhebens macht. Ein Krieg in Europa mag sich für die USA wie ein ‘lokaler’ Konflikt ausnehmen, aber dieser Kriegsschauplatz ist, wie weit er auch von Washington entfernt sein mag, für die Europäer der einzige Lebensraum, über den sie verfügen. Deshalb ist für sie solch ein - aus amerikanischer Sicht - ‘lokaler’ Krieg eine Angelegenheit auf Leben und Tod. Zweitens ware zu erwahnen, daβ im Zusammenhang mit der Entspannung für die Europäer ein sehr viel gröβerer wirtschaftlicher Einsatz auf dem Spiel steht. Und schlieβlich gibt es noch die menschlichen Kontakte, das Gefühl, durch ein gemeinsames Schicksal verbunden zu sein, das gemeinsame kulturelle Erbe, in das sich alle Völker Europas, Ost und West, teilen. Es gibt viele starke historische Bande, unser gemeinsamer Kampf gegen Hitler, an dem auch die USA teilnahmen, war eine Erfahrung, die die Europäer einander besonders nahebrachte. Sowjetbürger, die den Konzentrationslagern in Westeuropa entfliehen konnten, beteiligten sich am Kampf der Widerstandsbewegungen Frankreichs, Italiens, Belgierts und vieler andere Länder. Franzôsische Offiziere kämpften in unserer Luftwaffe. Die sowjetische Armee spielte eine entscheidende Rolle bei der Befreiung Europas - das haben die Europäer besser begriffen als die Amerikaner. Die Gräber sowjetischer Soldaten, die ihr Leben dafür gaben, daβ die Nazis besiegt wurden, liegen über den ganzen Kontinent verstreut. Alles in allem wird dem Frieden und der Entspannung in Westeuropa eine sehr viel höhere Priorität eingeräumt als in den Vereinigten Staaten. In gewisser Hinsicht geriet Amerika bei der Entspannung manchmal richtiggehend in den Sog, der von Westeuropa ausging, und heute leistet Europa, wenn auch vielleicht mitunter nur zôgernd und widersprüchlich, Widerstand gegen die Versuche der Amerikaner, den Kalten Krieg aufs neue zu beleben. Ich will damit nicht sagen, daβ die ½berbleibsel des Kalten Krieges schon aus den Kôpfen aller Europäer verbannt wären. Es gibt in Westeuropa Kräfte, die die Entspannung fürchten und einer angespannteren Atmosphäre im Ost-West-Verhältnis den Vorzug geben würden.
An welche Kräfte denken Sie dabei? | |
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Nun, zum einen hat jedes westeuropäische Land sein eigenes militärisch-industrielles Macht- und Interessenkartell, das zur Entspannung so ziemhch die gleiche Haltung einnimmt wie das amerikanische. Es gibt Leute, die iiber die ‘innenpolitische Instabilität’ in ihren Ländern besorgt sind und auf der Suche nach einem Sändenbock die Entspannung als einen Hauptgrund für diese ‘Instabilität’ hinstellen. In ihren Augen stellt ein von neuerlichen Ost-West-Feindseligkeiten und einer neuerlichen Polarisierung geprägtes Klima ein wirksames Mittel dar, um jene zu disziplinieren, die für gesellschaftliche Veränderungen in Westeuropa kämpfen. Zugleich stellt es auch ein Mittel dar, um unter dem Motto der äuβeren Bedrohung die ‘nationale Einheit’ herzustellen, gleichgültig, ob es eine solche Bedrohung nun gibt oder nicht. Man sollte auch den Antikommunismus nicht unerwähnt lassen. In Westeuropa, vor allem in jenen Ländern, in denen die Kommunisten eine ernstzunehmende politische Kraft darstellen, nimmt der Antikommunismus andere Formen an als in den Vereinigten Staaten. Dennoch gibt es ihn, und er trägt nicht unerheblich zu den verstärkten internationalen Spannungen bei. Schlieβlich spielt, was die Spannungen in Europa anbelangt, solch ein traditioneller Faktor wie die imperialen Bestrebungen der Deutschen eine Rolle. Selbstverständlich sind diese Bestrebungen heute schwächer als vor 40 oder 70 Jahren, aber es gibt in der Bundesrepublik Deutschland immer noch Leute, darunter sehr einfluβreiche Teile der Machtelite, die glauben, Deutschland sollte ein weiteres Mal versuchen, die Hegemonie über Europa und andere Teile der Welt zu erlangen. Ihnen sind die bestehenden Beschränkungen, die den Deutschen im militärischen Bereich auferlegt sind, ein Dorn im Auge.
Die Bundeswehr hat bereits Zugang zu Nuklearwaffen.
In gewisser Hinsicht. Die mit Nuklearsprengköpfen bestückten amerikanischen Raketen, die in Europa stationiert sind, werden mit Hilfe von zwei Schlüsseln aktiviert, davon wird einer von der Bundeswehr verwahrt. Dasselbe wird, so wie es aussieht, für die amerikanischen eurostrategischen Waffen (Pershing 2 und Marschflugkörper) gelten, die von 1983 an in erster Linie in der Bundesrepublik stationiert werden sollen. ½berdies wird die Möglichkeit diskutiert, ein gemeinsames französich-deutsches Arsenal von Nuklearraketen aufzubauen.
Solange aber 300 000 amerikanische Soldaten in Westeuropa stationiert sind, wird wahrscheinlich der amerikanische Atomschirm aufrechterhalten werden. | |
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In der Theorie ist vorgesehen, daβ im Rahmen der Nato-Verpflichtungen der USA der Atomschirm, von dem Sie sprechen, Europa abdeckt. Was die 300 000 amerikanischen Soldaten anbelangt, so stellen sie einerseits Amerikas Beitrag zu den regulären Streitkräften des Bündnisses dar, während man in ihnen andererseits auch eine Art von Geiseln sehen kann. Denn die Vereinigten Staaten müβten dann im Falle eines Krieges auch tatsächlich kämpfen, und sei es nur deshalb, um diese Soldaten nicht im Stich zu lassen. Dies entspricht der traditionellen Denkweise, die davon ausgeht, daβ allein durch militärische Mittel die Sicherheit gewβhrleistet werden kann. Nebenbei gesagt, führt das in diesem Fall zu einigen unlösbaren Problemen spezifischer Art. Unter den gegenwärtigen Umstanden schüren manche Amerikaner genauso wie gelegentlich auch jene Europäer, die das Wettrüsten unterstützen, künstliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Granatien, für die sich Amerika mit seiner Nuklearstreitkraft verbürgt. Diese Leute weisen auf das strategische Gleichgewicht zwischen den USA und der UdSSR hin, sowie darauf, daβ die USA im Falle eines gröβeren Konflikts in Europa die Europäer ihrem Schicksal überlassen würden, da ein Atomkrieg für die Vereinigten Staaten mittlerweile einem Selbstmord gleichkäme. Diese Ängste und Zweifel haben bei der Debatte, die der jüngsten Entscheidung der Nato zu den Pershing II-Raketen und den Marschflugkörpern vorausging, eine gewisse Rolle gespielt. Aber wie wir im Laufe unserer Diskussion schon an anderer Stelle festgestellt haben, löst diese Entscheidung das ‘Problem’, das es zu lösen vorgibt, nicht.
Was sollen die angstlichen Europäer also tun?
Das gleiche wie die angstlichen Russen und die angstlichen Amerikaner. Sie sollten begreifen, daβ militärische Stärke allein keine Gewähr für Sicherheit bietet, und daβ für einen dauerhaften Frieden Entspannung und Rüstungsbegrenzung sowie eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ost und West erforderlich sind. Auβerdem sollten die Europäer nicht den Ängsten Raum geben, die die Verfechter eines fortgesetzten Wettrüstens verbreiten, indem sie eine angebliche ‘Wehrlosigkeit’ der Europäer an die Wand malen. Alles, was durch die Abschreckung überhaupt erreicht werden kann, kommt auch den Europäem zugute. Denn ein Krieg in Europa ist zugleich ein Weltkrieg, und zwar ein Atomkrieg. Das ist die politische Realität der Welt von heute. Ich bin überzeugt, daβ man das in der Sowjetunion ganz genau begriffen hat. Es wäre nur zu wünschen, daβ man das im Westen ebenfalls begreift. | |
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Kennedy lieβ es sich nicht nehmen, bei seinem Berlin-Besuch der Bevölkerung - wenn auch mit ausländischem Akzent - zuzurufen: ‘Ich bin ein Berliner!’ Ähnlich später Jimmy Carter. Er betonte, er würde Westdeutschland verteidigen, ‘als sei es unser eigenes Land’.
In solcher Rhetorik kommen ganz deutliche antisowjetische Tendenzen zum Ausdruck. Sie zielt darauf ab, antisowjetische Gefühle zu schüren. Gegen wen sollte Carter Westdeutschland eigentlich verteidigen? Wir haben nicht die Absicht anzugreifen. Un die meisten Westeuropäer wissen das. Die Ängste aus der Zeit des Kalten Krieges, wonach die Russen versuchen würden, Westeurpa zu erobern, haben viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren. Heute scheinen sich die Amerikaner wegen dieser gar nicht bestehenden ‘Gefahr’ vielmehr Sorgen zu machen als die Völker in Westeuropa - was die tatsächliche Situation auf dem Kontinent ziemlich genau kennzeichnet.
Auch wenn man zugeben muβ, daβ sich das 1949er Modell der sowjetischen Bedrohung Westeuropas heute recht sonderbar ausnimmt, so bestehen doch noch immer Ängste, die Sowjets könnten militarisch vorgehen - sagen wir als Antwort auf eine Krise in Osteuropa.
Ja, die gegenwärtigen Überlegungen innerhalb der Nato gehen in diese Richtung. Man muβ ein glaubhaftes Feindbild vorweisen können, um die vernünftigen Zweifel, die in der Öffentlichkeit auftreten, im Zaum halten zu können. Ich bezweifle aber, ob die Leute dieses neueste Produkt, das sich die Nato ausgedacht hat, glaubhaft finden werden. Überlegen Sie sich das einmal. Man behauptet, man müsse Westeuropa gegen einen denkbaren sowjetischen Angriff verteidigen, zu dem es infolge von Ereignissen in Osteuropa, die der Sowjetunion möglicherweise miβfallen, kommen könnte. Falls hier überhaupt ein logischer Zusammenhang besteht, dann doch nur unter der Annahme, daβ Westeuropa mit solchen Ereignissen in Osteuropa sehr viel zu tun hat; stellt sich doch andernfalls die Frage, warum man von der Sowjetunion irgendwelche feindseligen Reaktionen gegenüber dem Westen erwartet. Um es einfacher auszudrücken: Es könnte sein, daβ die Nato versucht, die Absicht zu verteidigen, sich in die inneren Angelegenheiten der osteuropäischen Staaten einzumischen. Hat solch eine Absicht irgend etwas mit den wahren Interessen Westeuropas zu tun, mit den Interessen ganz Europas? Der Westen muβ die Tatsache akzeptieren, daβ der Sozialismus in Osteuropa von Bestand sein wird.
Was würden Sie unter diesem Aspekt zu Polen sagen? Sind nicht die jüng- | |
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sten Ereignisse dort Ausdruck einer ernstzunehmenden Unzufriedenheit mit den gegebenen Verhältnissen?
Ja, es gab Unzufriedenheit. Sie richtete sich jedoch nicht gegen das Gesellschaftssystem. Sie hängt vielmehr mit Dingen zusammen, die mit dem System als solchem nichts zu tun haben, Dingen, vor denen niemand sicher ist - den Fehlern einiger Leute aus der Führung, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der Korruption und anderer Vergehen einiger Beamter. Dieses Land erlebt gegenwärtig schwere Zeiten. Aber das kann nicht über die offenkundige Tatsache hinwegtäuschen, daβ Polen, einst eines der ärmsten Länder Europas, unter dem Sozialismus sehr viel erreicht hat. Und dieses Land wird auch einen Ausweg aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten finden.
Betrachtet die UdSSR die polnischen Ereignisse als eine Bedrohung?
Das hängt davon ab, an welche Ereignisse Sie denken. Wir unterstützen vorbehaltlos die Beschlüsse, die das Zentralkomitee der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei auf seinen jüngsten Plenarsitzungen gefaβt hat und die besagen, daβ in der Wirtschaft ein effektivererer Führungsstil erforderlich ist, daβ die Politik der Auslandsverschuldung, die in den letzten Jahren betrieben wurde, nicht fortgeführt werden kann, daβ Korruption und Bürokratismus bekämpft werden müssen und den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung gröβere Aufmerksamkeit geschenkt werden muβ. Dieses und vieles andere betrachten wir keineswegs als bedrohlich. Wir hoffen, daβ der politische Kurs, den die polnische Führung eingeschlagen hat, für das Land von Nutzen sein wird. Aber es gibt auch noch andere Dinge - wie z. B. eine anarchistische Haltung gegenüber staatsbürgerlichen Pflichten, fehlende Bereitschaft, den Ernst der wirtschaftlichen Lage zu begreifen, offen antisozialistische Erklärungen und Aktivitäten, die vom Ausland her von antipolnischen und antikommunistischen Elementen unterstüzt werden. Diese schädlichen Tendenzen können gefahrlich sein, wenn ihnen nicht entschlossen begegnet wird; wir hoffen jedoch, daβ die polnischen Genossen imstande sind, der Lage Herr zu werden. Die Sowjetunion ist von der Prämisse ausgegangen, daβ es sich dabei um eine innerpolnische Angelegenheit handelt. Wenn wir darum gebeten wurden, haben wir bei der Lösung der Krise mitgeholfen, indem wir der polnischen Wirtschaft finanzielle Unterstüzung gewährten. In allen Phasen der Krise haben wir die polnische Regierung unterstüzt. Andere sozialistische Nachbarn Polens haben sich ebenso verhalten. | |
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Andererseits jedoch betrachteten manche westliche Kreise die polnische Krise als eine günstige Gelegenheit, um sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen und zu versuchen, das sozialistische System Polens zu untergraben.
Könnten Sie das näher ausführen?
Auβer zu wütenden Propagandaausfällen kam es auch zu Erklärungen von Franz Josef Strauβ und anderen konservativen westlichen Politikern, die den Zweck hatten, die Emotionen anzuheizen. An solchen Versuchen beteiligten sich auch einige westliche Gewerkschaftsführer, Industriebosse und Stiftungen. Des weiteren erhielt die neue Gewerkschaft aus der Bundesrepublik, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern finanzielle Unterstützung.
Offensichtlich sind Sie nicht bereit einzugestehen, daβ der sowjetische Kommunismus, der in Polen nach 1944 eingeführt wurde, aufgrund seines Versagens und des Widerstands, der ihm von den Arbeitermassen entgegengebracht wird, an einem Scheideweg angekommen ist.
Einer solchen Auffassung kann ich keineswegs zustimmen. Und ich bin fest überzeugt, daβ die Mehrheit der Polen dem genausowenig zustimmen würde. Sie werden sicher verstehen, daβ es nicht einfach ist, auf die polnischen Ereignisse genauer einzugehen, da die Lage im Moment noch zu veränderlich ist. Zu viele Dinge sind noch nicht abgeschlossen: Die neue Wirtschaftspolitik ist noch nicht vollständig ausgearbeitet, die Partei bereitet sich auf ihren nächsten Kongreβ vor, und was die Beziehungen zwischen den neuen Gewerkschaften und dem Staat betrifft, so muβ erst noch ein angemessener Modus gefunden werden. Aber ich möchte noch einmal wiederholen: Wir hoffen, daβ die polnische Führung der Situation Herr werden wird.
Sie haben gesagt, Washington versuche, unter Ausnutzung der verstärkten internationalen Spannungen, seine Beziehungen zu den Verbündeten zu stärken.
Ja, das versucht Washington. Man kann sogar unterstellen, daβ genau aus diesem Grund nicht wenigen amerikanischen Politikem die Entspannung miβfiel und sie ein Klima der Spannungen bevorzugten, helfen doch Spannungen, die Zügel zu straffen und die Verbündeten, wie auch die eigenen Leute, zu ‘disziplinieren’. | |
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Was die Wirksamkeit dieser Taktik angeht, so bin ich der Meinung, daβ sie in begrenztem Maβe und auf kurze Sicht zum gewünschten Ergebnis führt, während sich gleichzeitig die langfristigen Problème, die zwischen Westeuropa und Amerika bestehen, zuspitzen und sowohl offene wie auch verborgene Spannungen in diesen Beziehungen verstärkt bzw. neu geschaffen werden. Tatsache ist, daβ wir heute schon Zeugen einer solchen Entwicklung sind.
Heiβt das Ihrer Meinung nach, daβ ein Kalter Krieg, dem keine ‘echten’ Motive zugrunde liegen, auch zu keiner ‘echten’ Einheit im Westen führen kann?
Ja, die Welt hat sich seit den fünfziger Jahren verandert, und gleichgültig, wie sehr man sich auch in Washington nach diesen Zeiten zurücksehnt - sie lassen sich nicht zurückholen. Nun, da die westeuropäischen Verbündeten wirtschaftlich sehr viel starker und in politischer Hinsicht von den USA unabhängiger geworden sind, fordern sie, daβ ihre Interessen Berücksichtigung finden. Einige der auβenpolitischen Eskapaden der Amerikaner haben unter den Verbündeten emsthafte Besorgnis hervorgerufen. Sicherlich, Washington ist immer noch in der Lage, den Partnern seinen Willen aufzunötigen. Jedoch wird mit jedem derartigen Vorgehen die Bereitschaft der Westeuropäer, in Amerikas Fuβstapfen zu treten, geringer. Dieses Verhältnis kann nicht endlos so weitergehen, ‘es gibt eine Grenze, jenseits derer Geduld aufhört, eine Tugend zu sein’.
Wenn man in den Niederlanden in den sechziger Jahren Lyndon B. Johnson wegen der Ereignisse in Vietnam öffentlich einen Mörder nannte, wurde man gerichtlich verurteilt. Heute stellen immer mehr Europäer Washingtons Vorgehen in Frage.
Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, daβ das Vertrauen der westlichen Verbündeten in die amerikanische Führung erschüttert ist. Man vertraut Washington nicht mehr in dem Maβ, wie das vielleicht früher einmal der Fall war. Es ist nicht nur so, daβ es für die Vereinigten Staaten schwieriger geworden ist, Westeuropa dazu zu zwingen, sich den amerikanischen Wünschen zu beugen, sondern es hat umgekehrt der Einfluβ der Verbündeten auf Washington in beachtlichem Maβe zugenommen. Der Standpunkt und das Urteil Westeuropas hat heute gröβere Bedeutung für den Entscheidungsprozeβ in der amerikanischen Auβenpolitik. | |
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Helmut Schmidt, Giscard d'Estaing und möglicherweise auch der spanische Premierminister Adolfo Suarez scheinen 1980 nach den Ereignissen in Afghanistan mäβigenden Einfluβ auf Washington ausgeübt zu haben.
Das mag der Fall sein, doch muβ erst noch abgewartet werden, wie nachhaltig diese Einfluβnahme war und welche Bedeutung ihr zukommt. Die Versuche der USA, die Spannungen in der Welt und insbesondere auch in Europa zu erhöhen, könnten die Besorgnis und die Ängste der Europäer für eine Weile verstärken und dazu führen, daβ Washington sein Ziel, Europa zu gröβerer Gefolgschaft zu verpflichten, zum Teil erreicht. Wie lange dieser Zustand andauem wird und ob nicht dadurch sogar noch stärkere Gegentendenzen verursacht werden, ist eine andere Frage. In gewisser Hinsicht ist eine solche Entwicklung bereits eingetreten. Denken Sie an die Reaktion Amerikas auf das Treffen Giscard d'Estaing und L.I. Breschnew oder an die Weigerung der meisten west-europäischen Länder, sich dem Boykott der Olympischen Spiele in Moskau anzuschlieβen, oder an die Wirtschaftssanktionen, die gegen den Iran verhängt wurden.
Die meisten Europäer fühlen sich vielleicht belästigt und gelangweilt oder gar völlig verwirrt, angesichts des endlosen Geredes von den unvorstellbaren Gefahren und von Raketen, die ihre unheilvolle, zerstörerische Last mit Schallgeschwindigkeit ‘durch die Lüfte tragen’.
Die Europäer geben ihren Widerwillen klar zu erkennen, aber man kann das Problem des Überlebens nicht einfach beiseite schieben. Widerwillen hilft nicht weiter, wenn es um das Problem des Überlebens geht. Wenn Sie mir eine allgemeinere Bemerkung gestatten - ich möchte nicht den falschen Eindruck erwecken, ich sei eine Art Eurozentrist, aber uns allen liegt dieser Kontinent sehr am Herzen. Mit ‘uns allen’ sind nicht nur die Sowjetbürger diesseits, sondem auch jenseits des Urals gemeint und auch die Amerikaner, von denen die meisten europäischer Abstammung sind. Es ist ungeheuer wichtig, diesen Kontinent zu erhalten und günstige Bedingungen für seine Zukunft zu schaffen. Es liegt in er- ster Linie an den Europäem selbst, dafür Sorge zu tragen. Aber das gleiche Anliegen sollte auch bei den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen eine Rolle spielen, ist es doch eines der wichtigsten Problème. Diese Beziehungen können nicht losgelöst von Europa betrachtet werden. Europa war sowohl die Brutstätte des Kalten Krieges wie auch der Ge- burtsord der Entspannung. Bei dem Thema Europa handelt es sich nicht nur um das selbstlose Ein- | |
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treten zweier Supermächte für die Europäer. Es handelt sich um die Frage der Selbsterhaltung - das gilt sowohl für die UdSSR wie auch für die USA. Hieraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, ein hohes Maβ an Verantwortungsgefühl an den Tag zu legen. Wenn ich das sage, denke ich in erster Linie an die Amerikaner, aber auch die Westeuropäer haben in dieser Hinsicht ein Wort mitzureden.
Sie meinen, was ihre Verantwortung anbelangt?
Ja. Und ich meine nicht nur Verantwortung für das, was sich in Europa ereignet, sondern auch Verantwortung für die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Mir scheint, daβ manche Europäer die entscheidende Bedeutung, die diese Beziehungen für ihren Kontinent haben, nur dann anerkennen, wenn es zwischen den beiden Giganten nicht rei bungslos läuft und sich Problème ankündigen. Sobald sich jedoch die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen bessern, bekommen es dieselben Europäer mit der Angst zu tun, diese Beziehungen kônnten ‘zu gut’ werden. Diese Gefahr besteht freilich im Moment nicht.
Was ware Ihrer Ansicht nach die für Europa erstrebenswerteste Situation im Hinblick auf die internationalen Beziehungen?
Ich würde sagen: Sicherheit von gröβtmöglicher Dauer und Zusammenarbeit in höchstmöglichem Maβe. Um das zu erreichen, ist es notwendig, Schluβ zu machen mit der anomalen Situation, daβ der Kontinent in zwei feindliche Lager gespalten ist, die mit mächtigen nuklearen und konventionellen Waffen ausgerüstet sind und Milliarden und Abermilliarden für militärische Zwecke ausgeben. Deshalb befürworten wir die Auflösung der Militärblöcke oder, als einen ersten Schritt, den Abbau der jeweiligen militärischen Organisationen. Die Charta des Warschauer Paktes enthält einen besonderen Artikel, demzufolge sich der Pakt auflöst, wenn die Nato nicht mehr besteht.
Indem Sie dieses Ziel anstreben, möchten Sie auch erreichen, daβ die USA aus Europa abziehen.
Wie kommen Sie darauf? Wir sind Realisten und stellen uns keine unlösbaren Aufgaben. Auβerdem ist es undenkbar, daβ wir das Ziel, von dem ich sprach, ohne die Zustimmung der Amerikaner erreichen, ja mehr noch, ohne ihre aktive Teilnahme am Prozeβ der Entspannung und Abrüstung. Schlieβlich wünschen wir nicht nur, daβ es in Europa zu Ent- | |
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spannung, Sicherheit und Zusammenarbeit kommt, sondem daβ dies überall auf der Welt geschehe, wovon selbstverständlich auch das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Amerika betroffen ist. Es liegt auf der Hand: wenn sich die Vereinigten Staaten die Intensivierung der Spannungen und die Beschleunigung der militarischen Vorbereitungen der Nato zum Ziel setzen, wenn sie ihren Einfluβ auf die Verbündeten dazu benutzen, die politische Atmosphäre in Europa zu vergiften, dann können wir nur entschiedene Gegner dieses destruktiven Einflusses der Amerikaner auf die europäischen Angelegenheiten sein. Wir setzen es uns jedoch nicht zum Ziel, im Kontext der Entspannung einen Keil zwischen Westeuropa und Amerika zu treiben. Meiner Ansicht nach fällt es schwer, sich ein stabiles System der internationalen Beziehungen vorzustellen, wenn nicht gleichzeitig stabile, ausgeglichene und gleichberechtigte Beziehungen zwischen den USA und Westeuropa bestehen. Und auβerdem - solange viele westeuropäische Staaten sich ihre Sicherheit nicht ohne die Grande der Atommacht USA vorstellen können, könnte der Abzug der Amerikaner aus Europa - es sei denn, er geschieht im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung - der Weiterverbreitung von Atomwaffen Vorschub leisten und einem neuen Wettrüsten Tür und Tor öffnen. Ich möchte noch einmal feststellen: Unser Ziel sind gute Beziehungen mit Westeuropa, gute Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und gute Beziehungen mit allen anderen Ländern.
In Europa wird jedoch vor allem seit Afghanistan der politische Kurs der Sowjets als ziemlich antiamerikanisch empfunden.
Das ist eine unmittelbare Konsequenz der Politik, die die Vereinigten Staaten heute betreiben, eine sehr natürliche Reaktion auf diese antisowjetische Politik. Aber dieses Thema haben wir schon erörtert. Wenn ich unser Gescpräch über die europäischen Belange zusammenfassen soil, so würde ich betonen, daβ Europa letztlich zu klein wird und zu stark bevölkert ist, als daβ Raum bleibt für das Wettrüsten und für Feindseligkeiten und Konfrontationen, die ihm von auβen aufgenötigt werden.
China, Japan, Indien und Europa haben für die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zweifellos groβe Bedeutung. Aber in Zusammenhang mit den Prüfungen und Enttäuschungen, mit denen die Entspannung während der letzten fünf Jahre verknüpft war, denkt man an verschiedene Ereignisse - an Angola, an das Horn von Afrika, an Afghanistan und selbstverständlich an den Nahen Osten. Die Ereignisse in der Dritten Welt, | |
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die immer mehr Dynamik entwickeln, schaffen für eine Annäherung zwischen den USA und der UdSSR Probleme. Umgekehrt komplizieren die erhöhten Spannungen zwischen den beiden Supermachten die Lösung der drängenden Probleme der Entwicklungsländer.
Die Welt hat sich in der Tat rasch verändert, und die Industrieländer kommen damit unterschiedlich gut zurecht. Ich glaube jedoch nicht, daβ es gerechtfertigt ist, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten über den gleichen Kamm zu scheren, was ihre Politik gegenüber den Entwicklungsländern betrifft. Werfen wir einen Blick auf einige grundlegende Tatsachen, die die Dritte Welt betreffen. Während vieler Generationen war dieser Teil der Welt der koloniale bzw. halbkoloniale Hinterhof des kapitalistischen Westens. Sucht man nach Kräften, die von auβen einwirken und für die schreckliche Lage von Hunderten von Millionen Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika verantwortlich sind, so trägt eindeutig der Westen die Verantwortung.
Und Ruβland...
Ruβland ist 1917 aus dem Kreis der Kolonialmächte ausgeschieden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ruβland Teile des eigenen Landes in einem kolonialen Zustand gehalten und sie unbarmherzig unterdrückt und ausgebeutet. Es war eine der Hauptaufgaben unserer Revolution, für eine politische Befreiung und ein wirtschaftliches und kulturelles Wiedererstehen dieser Gebiete zu sorgen.
Es ist ganz offensichtlich - die zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion haben seit 1917 sehr groβe Fortschritte gemacht.
Ja, die Menschen dort haben in einer sehr kurzen Zeitspanne den Schritt von der mittelalterlichen Rückständigkeit in die moderne Zivilisation getan. Was ganauso wichtig ist -ihr volkstümliches Erbe wurde nicht nur bewahrt, sondem ist neu aufgeblüht. Wir glauben also, daβ wir, soweit wir für das traurige Los dieser Kolonialvölker direkt verantwortlich sind, das Notwendige getan haben, um die begangenen Fehler wiedergutzumachen.
Bedeutet das, daβ Sie den Entwicklungsländern keine weitere Hilfe mehr gewähren werden?
Nein. Wir leisten heute Hilfe, und wir werden das in der Zukunft tun, so | |
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gut wir können. Aber wir glauben auch, daβ die Lander, die Kolonialreiche besaβen und diese ausbeuteten sowie deren Reichtum und Rohstoffe veruntreuten, eine besondere Verantwortung tragen. Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, daβ Privatunternehmen aus den Ländern, die einst die Kolonialmacht waren, weiterhin in den Entwicklungsländern investieren, um dort Riesengewinne herauszuziehen.
Bemühen sich denn nicht viele Entwicklungsländer nach Kräften um ausländisches Kapital - sei es nun in Form privater oder öffentlicher Investitionen?
Sie haben recht, diese Länder haben einen ganz erheblichen Bedarf an Investitionen, Kapital, Technologie, Know-how, qualifizierten Arbeitskräften etc. Und die multinationalen Konzerne verfügen über enorme Ressourcen, die der Dritten Welt zugute kommen könnten. Die groβe Frage ist nur - unter welchen Bedingungen und in wessen Interesse? Wenn ein Privatunternehmen in einem Land der Dritten Welt investiert, so ist das Hauptziel dabei, dort eine Profitrate zu erzielen, die in einem Industrieland aufgrund der viel höheren Lohnkosten nicht möglich ist. Das bedeutet im wesentlichen die ‘Über-Ausbeutung’ der Entwicklungsländer. Hierin liegt eine der Ursachen für Konflikte zwischen diesen Ländern und dem Westen.
Was die multinationalen Konzerne anbelangt, nehmen die verschiedenen Entwicklungsländer offensichtlich eine unterschiedliche Haltung ein.
Das stimmt. Einige Regime in der Dritten Welt sind den multinationalen Konzernen vollständig oder nahezu vollständig ergeben, sie gewähren diesen freie Hand und lassen sich dafür bezahlen. Das Ergebnis ist für gewöhnlich immer das gleiche - das Land blutet aus, es entsteht eine allgemeine Unzufriedenheit, die früher oder später zum Staatsstreich oder gar zur Revolution führt, und das neue Regime versucht dann, mit den Multis bessere Bedingungen auszuhandeln. Über ein bereits abgeschlossenes Geschäft noch einmal zu verhandeln, ist jedoch immer ein äuβerst mühevoller Prozeβ. In vielen Fällen versuchen die Multis, unterstützt von den Regierungen ihrer Länder, die ihnen Schutz gewähren, das neue Regime zu destabilieren oder zu bestechen. So kommt es, daβ die Entwicklungsländer lernen, auf der Hut zu sein und nach anderen Auswegen zu suchen.
Sich also beispielsweise der Sowjetunion zuzuwenden? | |
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Für viele Entwicklungsländer stellen die Beziehungen zur Sowjetunion ein wichtiges Gegengewicht dar, das bei Verhandlungen mit dem Westen ihre Position stärkt und ihnen ermöglicht, den Multis bessere Bedingungen abzuhandeln. Hätte es nicht die Sowjetunion und andere sozialistische Länder als Alternative zum Kapitalismus gegeben, würde ein ganz erheblicher Teil der Weltbevölkerung noch heute in Kolonien leben.
Kann es denn je zu einer wirksamen Entspannung kommen, wenn die Haltung zum Nationalismus in der Dritten Welt von Konkurrenzdenken bestimmt ist?
Nichts von dem, was wir in der Dritten Welt tun, ist mit dem Völkerrecht, der Charta der Vereinten Nationen oder den UN-Resolutionen und -Deklarationen unvereinbar. Übrigens hat mittlerweile sogar der Westen begriffen, daβ das Schema, nach dem die Beziehungen zu den Entwicklungsländem bislang abliefen, hoffnungslos veraltet ist. Zu wiederholten Malen hat die Völkergemeinschaft ausdrücklich anerkannt, daβ die Entwicklungsländer Anspruch haben auf einen gerechten Anteil an den Ressourcen der Erde. Es Uegt im vitalen Interesse aller Industrienationen, dieses weltweite Problem zu lösen - das ist der Kern der Bemühungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung. Das Ziel der sowjetischen Politik gegenüber der Dritten Welt ist es mitzuhelfen, diese Probleme zu lösen. Warum das mit der Entspannung unvereinbar sein sollte, kann ich nicht einsehen. Selbstverständlich kann man die Dritte Welt in eine Arena des Machtkampfes zwischen Ost und West verwandeln, man kann aber in den Problemen der Entwicklungsländer auch einen zusätzlichen Ansporn zu weltweiter Zusammenarbeit sehen. Den zuletzt genannten Weg würden wir vorziehen.
Was ist zu Angola zu sagen?
Gut, beginnen wir mit diesem Land. Die Krise in und um Angola brach 1975 aus. Die stärkste politische Kraft war damals wie heute die MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola). Seit den frühen sechziger Jahren führte sie einen Befreiungskampf gegen die portugiesische Herrschaft. Die Vollversammlung der UNO unterstützte diesen Kampf durch die Annahme einer Reihe von Resolutionen und die Aufforderung an alle Staaten, die Befreiungsbewegungen in ihrem Kampf gegen den Kolonialismus mit allen Mitteln zu unterstützen. Die MPLA ersuchte Washington um Hilfe, jedoch zeigte man ihr dort die kalte Schul- | |
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ter. So wandte sie sich an die Sowjetunion, und wir gewährten beträchtliche materielle Hilfe, von unserer moralischen und politischen Unterstützung ganz zu schweigen. All das geschah in voller Übereinstimmung mit den Beschlüssen der UNO. Tatsache ist, daβ auch andere Länder, darunter Schweden, die MPLA unterstützten. 1974 fand in Portugal eine Revolution statt. Die neue Lissaboner Regierung verkündete ihre Absicht, sich aus allen Koloniën, einschlieβlich Angola, zurückzuziehen. Die MPLA wurde von den meisten Angolanern, wie auch von Portugal, als die führende politische Kraft des neu entstehenden Staates anerkannt. Die Vereinigten Staaten, China, Südafrika und Zaire jedoch mischten sich in die inneren Angelegenheiten ein, indem sie die beiden rivalisierenden Bewegungen FLNA und UNITA unterstützten. Der CIA pumpte Geld und Waffen in diese beiden politischen Gruppierungen, die selbst während der Kolonialzeit nahezu all ihre Energie darauf verwendet hatten, die MPLA zu bekämpfen und darüber den Kampf gegen die portugiesische Fremdherrschaft hintanstellten. Die Südafrikaner fielen in angolanisches Territorium ein und stieäen dabei nahezu bis zur Hauptstadt des Landes vor. Mit dieser ausländischen Aggression konfrontiert, bat die angolanische Regierung die UdSSR, Kuba und eine Reihe afrikanischer Staaten um Hilfe. Diese Hilfe wurde gewährt. Kuba entstandte sogar Militär. Entgegen westüchen Vorhersagen wurde Angola aber weder in eine sowjetische Kolonie noch in einen sowjetischen Militärstützpunkt verwandelt. Es scheint angebracht, an dieser Stelle zu erwähnen, daβ der Groβteil des angolanischen Erdöls von der in Pittsburgh (Pennsylvania) ansässigen Gulf Oil Company gefördert wird.
Äthiopien?
In Äthiopien bestand insofern eine ähnliche Situation, als sich ohne die ausländische Aggression gegen das Land die sowjetische Militärhilfe Oder die Entsendung kubanischer Truppen von Anfang an erübrigt hätte.
Die Somalis waren es, die den Krieg gegen Äthiopien begannen. Ich persönlich bin überzeugt, daβ sie ihren Nachbarn nie angegriffen hätten, wären sie nicht zu dem Glauben verleitet worden, sie würden die Unterstützung der USA und einiger anderer Lander genieβen. Nebenbei gesagt, haben die Somalis in der Zeit, als wir noch freundschaftliche Beziehungen mit ihnen unterhielten, nie gewagt, sich in die äthiopischen Angelegenheiten einzumischen, geschweige denn territoriale Ansprüche gegenüber Äthiopien zu erheben. Wir haben den Somalis nie Grund zu der Annahme gegeben, sie könnten auf unsere Unterstützung oder Hilfe | |
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reduien, sollten sie sich zu einem Angriff entschlieβen. Und das, obwohl Äthiopien zu dieser Zeit noch eine pro-westliche Monarchie war. Ohne die Hilfe Kubas wäre Äthiopien, dieser älteste unabhângige Staat des afrikanischen Kontinents, wahrscheinlich zerstückelt worden, was zu ungeheuren Verlusten unter der Zivilbevölkerung geführt hätte.
Aber warum wurden die Somalis zu der Annahme verleitet, sie könnten auf Unterstützung rechnen?
Weil Washington darauf aus war, unsere Freundschaft mit Somalia zu zerstören und das Land zu seinem Satelliten zu machen, was seinen Grund darin hatte, daβ man der strategischen Lage dieses Landes, insbesondere der des Hafens Berbera am Indischen Ozean, groβe Bedeutung beimaβ.
Man hat aber der Sowjetunion vorgeworfen, sie habe in Berbera einen Flottenstützpunkt errichten wollen.
Genau in der Zeit, als man uns solche Pläne vorwarf, stimmten wir zu, mit den USA über ein Abkommen zu verhandeln, das die Errichtung ausländischer Militârstützpunkte im Indischen Ozean verbieten sollte. Aber diese Gespräche wurden von den USA abgebrochen, und Berbera ist heute ein amerikanischer Flottenstützpunkt.
Der stellvertretende kubanische Ministerpräsident, Dr. Carlos Raphael Rodriguez, hat mir in aller Ausführlichkeit die Beweggründe der kubanischen Regierung für ihr Vorgehen in Afrika dargelegt. Mich mag er damit überzeugt haben, aber Washington denkt ganz anders darüber.
Gewiβ denken die USA ganz anders darüber. Ich glaube, sie hätten heber südafrikanische Truppen in Angola gesehen oder die Zerstückelung Äthiopiens - allein um jeglichen sozialistischen Einfluβ fernzuhalten. Ich möchte mit Nachdruck betonen, daβ der Beistand, den Kuba verschiedenen afrikanischen Staaten gewährt, die Normen des Völkerrechts in keiner Weise verletzt. Sowohl die MPLA wie auch der Revolutionsrat in Addis Abeba hatten nicht nur das volle Recht, um Hilfe zu bitten, sondern auch alien Grund dazu. Ebenso war es das Recht der Kubaner, diese dringenden Bitten zu erfüllen.
Am meisten nahm Washington daran Anstoβ, daβ die Kubaner anscheinend im Auftrag und im Namen des Kremls gehandelt haben. | |
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Kuba ist ein unabhängiger, souveräner Staat, der nicht willens ist, sich zu einem bestimmten Handeln drängen zu lassen oder blindlings dem Willen anderer zu folgen. Es war die Entscheidung der Kubaner, den Angolanern zu helfen. Und wir haben ihr Vorgehen unterstützt, weil wir den Zielen, für die die MPLA kämpft, wohlgesonnen sind, nämlich dem Ziel der vollständigen Unabhängigkeit und der territorialen Integrität Angolas, ein Ziel, das durch die militärische Intervention Südafrikas, durch weiβe Söldner und den CIA bedroht ist.
Die Amerikaner empfinden es als ein permanentes Ärgernis, daβ mit Kuba ein Verbündeter der Sowjetunion vor ihrer Haustür lebt. Das ist auch eine neue Erfahrung in der amerikanischen Geschichte.
Ja, sie ist neu, genauso wie viele andere Dinge, mit denen die Vereinigten Staaten in Zukunft leben müssen. Eine wachsende Zahl von Ländern im näheren Umkreis der USA verfolgen heute eine unabhängige Politik. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum ein unabhängiges Land unbedingt ein Ärgernis darstellen sollte.
In dem Gespräch mit Dr. Carlos Raphael Rodriguez ist mir klar geworden, daβ die kubanische Regierung bereit wäre, wieder normale Beziehungen aufzunehmen, sobald Washington seine Blockade aufhebt.
Wir glauben, daβ solch eine Normalisierung möglich und längst überfällig ist. Wir sind voll und ganz dafür. Nichts anderes als die seit langem bestellenden Hemmungen vor diesem Schritt hindem Washington daran, Vernunft anzunehmen und seine feindseligen Tätigkeiten gegen Kuba einzustellen.
Provokationen wie das groβe Flottenmanöver der USA im Mai 1980 in der Karibischen See sind ebenfalls völlig sinnlos. Was will man damit bezwecken?
Die jüngst zu beobachtende Zunahme der militärischen Aktivitäten der USA in der Karibik ergibt in der Tat keinen Sinn.
Welche Entwicklung ist Ihrer Meinung nach in nächster Zeit in Lateinamerika zu erwarten, wenn man in Betracht zieht, daβ es dort in den vergangenen Jahren zu einer Reihe von Revolutionen kam, wobei Nicaragua den Höhepunkt darstellte?
In Lateinamerika haben die USA mit mehr Sprengstoff ihre Politik ge- | |
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fährdet als irgendwo sonst auf der Welt. Seit den frühen Tagen des 19. Jahrhunderts, als die Monroe-Doktrin verkündet wurde, haben die Amerikaner Lateinamerika als ihre ureigenste Plantage betrachtet. (Nebenbei gesagt wird sehr oft vergessen, daβ Präsident Monroe, als er den Anspruch auf eine Hegemonie Amerikas in der westlichen Hemisphäre erhob, gleichzeitig auch gelobte, Amerika werde sich ansonsten jeder Einmischung enthalten.) In keiner anderen Region können die USA so ungehindert schalten und walten wie in Lateinamerika. Hier wird die Ausbeutung durch die US-Konzeme am deutlichsten, hier geschieht die Einmischung der USA in die Politik anderer Länder auf denkbar plumpe Weise, und hier ist auch die Haltung der Amerikaner insgesamt so kurzsichtig wie nirgends sonst.
Andererseits versuchte Franklin D. Roosevelt, eine Politik der guten Nachbarschaft zu betreiben, und John F. Kennedy rief die Allianz für den Fortschritt ins Leben.
Der harte Kurs, der für gewöhnlich die US-Politik gegenüber Lateinamerika auszeichnet, erzeugt dort ganz offensichtlich Unzufriedenheit und Widerstand und führt zu einer Radikalisierung. Hin und wieder versucht es Washington mit einer reformistischen, versöhnlichen Haltung, gibt in Kleinigkeiten nach. Aber diese neuen Methoden haben das Wesen der amerikanischen Politik nicht verändert, deren Ziel es ist, Lateinamerikas Rolle als Objekt der neokolonialen Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund führen die Reformversuche auch nie zu einem Ergebnis, das den Wünschen der Lateinamerikaner entspricht, worauf Washington wieder zum harten Kurs zurückkehrt und dabei militärische Stärke anwendet und pro-amerikanische Junten installiert. Ich würde nicht ausschlieβen, daβ wir gegenwärtig in der ganzen Region eine Rückkehr zu einer Politik der harten Linie erleben. Der unmittelbare Anlaβ könnten die Revolutionen in der Karibik und in Mittelamerika sein. Genauso, wie man 1965 die Dominikanische Republik überfiel, um ein ‘zweites Kuba’ zu verhindern, sind die USA dabei, sich in El Salvador militärisch zu engagieren, um ein ‘zweites Nicaragua’ zu verhindern. Der CIA hat seine subversiven Maβnahmen gegen jene Regierungen in der Region verstärkt, die nach Ansicht Washingtons gefährlich sind. Die Pseudokrise um Kuba vom September 1979 wurde wirkungsvoll dazu benutzt, eine neue Einschüchterungskampagne gegen dieses Land einzuleiten und die militärische Präsenz der USA in der Karibik zu erhöhen. | |
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Besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, daβ es hier zu internationalen Komplikationen kommt?
Ja, und ich denke dabei nicht einmal an historische Parallelen, wie die unbestrittene Tatsache, daβ wir dem Krieg nie näher waren als 1962 während der Raketenkrise um Kuba. Die achtziger und neunziger Jahre könnten für die westliche Hemisphäre zu einer recht stürmischen Zeit werden, falls die USA bei ihrer derzeitigen Politik bleiben. Daraus folgt nicht, daβ Lateinamerika im Hinblick auf die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen ein Krisenfaktor ist, insbesondere daim nicht, wenn die Abkommen, denen beide Länder zugestimmt haben, beachtet werden. Hier handelt es sich vielmehr um einen Krisenfaktor, der die Beziehungen der USA mit den Ländern dieser Region betrifft, und eine Krise, die hier ihren Ausgang nimmt, wird möglicherweise für die internationale Situation insgesamt sehr gefährlich sein.
Um auf Afrika zurückzukommen - Sie bedauern also nicht, Angola und Äthiopien geholfen zu haben?
Nein. Natürlich hätten sowohl die Kubaner wie wir selbst eine andere Situation sehr viel lieber gesehen, eine Situation, in der die Notwendigkeit, diesen beiden Ländern Militärhilfe zu gewähren, nicht bestanden hätte. Aber nach unserer Einschätzung lieβ die Entwicklung der dortigen Ereignisse eine solche Zurückhaltung einfach nicht zu. Tatsächlich ist es so, daβ heute nicht wenige Amerikaner, die der Sache der Befreiung Afrikas wohlwollend gegenüberstehen, anerkennen, daβ diese Hilfe eine konstruktive Rolle in Afrika gespielt hat. Ich glaube z. B., daβ unsere Hilfe für Angola und Äthiopien ein wichtiger Faktor war, der zu einer friedlichen Regelung in Zimbabwe beitrug. Ich bezweifle, ob Zimbabwe 1980 ein freies Land gewesen ware, hatte der Westen nicht früher schon die Erfahrung gemacht, daβ die afrikanischen Befreiungsbewegungen nicht hilflos sind. Es vergingen Jahrzehnte, in denen der Westen nur Heuchelei und Lippenbekenntnisse für die Sache der Entkolonialisierung übrig hatte. Um den Westen dazu zu bringen, seine Haltung zu ändem, bedurfte es einiger starker Mittel.
Mit anderen Worten, die ‘sowjetische Bedrohung’ stellte sich in Wirklichkeit als segensreich heraus?
Ich bin mit Ihrer Wortwahl ganz und gar nicht einverstanden. Es ist wichtig, die Sache der Völker, die gegen den Kolonialismus kämpfen, ernstzunehmen. | |
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Lassen Sie uns davon ausgehen, daβ die sowjetische und kubanische Unterstützung den Völkern Afrikas half; gleichzeitig hat sie aber der Entspannung geschadet, und wenn es nur dadurch war, daβ es nun zusätzliche Gründe gab, die sowjetischen Absichten in Zweifel zu ziehen und der Sowjetunion Expansionismus vorzuwerfen.
Unsere Hilfe für Angola und Äthiopien wurde tatsächlich zum Anlaβ genommen, um solche Anschuldigungen zu erheben. Wäre die Entspannung stark genug, so kônnte sie dazu beitragen, Probleme zu vermeiden, die militärischen Beistand erforderlich machen, wie das in Äthiopien und Angola der Fall ist.
Was wäre bei einer ernsthafter betriebenen Entspannung anders gewesen?
Hätte 1974/75 in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Amerika gröβeres Vertrauen geherrscht, und hätte die Frage der Militärbasen und der militärischen Präsenz fremder Mächte im Indischen Ozean damals durch ein entsprechendes friedliches Übereinkommen ihre Bedeutung verloren, so hätten es die USA möglicherweise nicht nur unterlassen, bei den Somalis falsche Illusionen zu wecken, sondern wahrscheinlich sogar einen mäβigenden Einfluβ ausgeübt. Auf diese Weise hätte es keinen Konflikt gegeben. Auch in Angola hätten viele Probleme durch Konsultation und Verhandlungen gelöst werden können. Die Entspannung kann die Völker in den ehemaligen Koloniën nicht des Rechts berauben, für ihre Befreiung zu kämpfen - und zwar auch mit Waffengewalt, wenn dies erforderlich ist. Entspannung, eine ruhige internationale Lage und eine Stärkung des Vertrauens zwischen den Ländern - all das kann von Nutzen sein, um Situationen zu vermeiden, in denen sich Befreiungskämpfe zu internationalen Konflikten, ja sogar zu einer Konfrontation zwischen Groβmächten ausweiten.
Ohne Zweifel war die Befreiung Zimbabwes ein Ereignis von historischer Bedeutung. Aber dieses Ereignis wurde überschattet von den Entwicklungen im Nahen Osten, am Persischen Golf und in Südwestasien. Seit mehr als einem Jahr ist die ganze Aufmerksamkeit vor allem auf den von Brzezinski so genannten ‘Bogen der Instabilität’ gerichtet.
In der Sowjetunion verwenden wir oft den Ausdruck vom ‘Nahost-Knoten’, wenn wir über diese Probleme sprechen. Tatsächlich sind die dort anstehenden Fragen auf vielschichtige Weise miteinander verknüpft und berühren viele widerstreitende Interessen. Soil ein den Weltfrieden bedrohender Gefahrenherd beseitigt werden, so muβ dieser Knoten aufge- | |
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löst werden. Unglücklicherweise war in den letzten ein, zwei Jahren genau die gegenteilige Tendenz zu beobachten. Neue Probleme, durch die die Situation sogar noch komplizierter und explosiver wird, sind entstanden; u.a. ist hier die gestiegene Abhängigkeit Amerikas vom Erdöl aus dem Nahen Osten zu nennen; die USA benötigen heute mehr Öl aus dem Ausland denn je. Aber die Zeiten, da Erdöl billig war, sind vorbei, und die ölproduzierenden Staaten möchten ihre Ressourcen in einer Weise ausbeuten, die in erster Linie ihren eigenen Interessen dient. Hier besteht ein sehr tiefgehender Widerspruch, doch Washington scheint offenbar zu glauben, es kônne das Problem mit den Mitteln der Stärke zu seinen Gunsten lösen.
Anscheinend miβbilligen Sie die mit Camp David verbundenen Vorstellungen zum Nahost-Problem?
Wir sehen darin eine gefährliche Abweichung von den Bemühungen, zu einer umfassenden, friedlichen Regelung in dieser Region zu gelangen; ein erneutes Streben nach amerikanischer Hegemonie im Nahen Osten, einen Versuch, das zentrale Problem, nämlich die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser, auszuklammem. Trotz all der Enttäuschung darüber, daβ die USA ihre früheren Zusagen nicht einhielten, glauben wir auch weiterhin, daβ eine Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und den USA, wie auch anderen Ländem, von vitaler Bedeutung ist, um diese sehr komplizierten und wichtigen Probleme zu lösen. Dies läge nicht nur im Interesse der beiden Groβmächte und des Friedens allgemein, sondern auch in Interesse von ölimportierenden und ölexportierenden Staaten sowie im Interesse der Völker Palästinas und Israels. Was Camp David anbelangt, so wird mehr und mehr deutlich, daβ diese Vereinbarungen nicht dazu taugen, dieses Problem zu lösen. Offensichtlich lag dem Übereinkommen die Überlegung zugrunde, daβ die USA nichts zu verlieren hatten, sollten andere Länder diese separaten Vereinbarungen unterstützen. Würde diese Unterstützung ausbleiben, so wäre die Achse USA-Israel-Ägypten-Iran stark genug, um das amerikanische Interesse vertreten zu können, auch ohne die Bestätigung durch die Genfer Konferenz oder ein anderes Gremium.
Doch dann fiel der Iran bei diesem Spiel aus.
Richtig, und die erwartete Unterstützung für die Camp-David-Vereinbarungen von seiten konservativer arabischer Regierungen wie der von Saudi-Arabien und der von Jordanien, blieb aus. Der ganze Handel | |
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stimmte hinten und vorne nicht mehr und der laut hinausposaunte ‘Triumph’ der Carter-Administration erwies sich als ein Reinfall. Aber die Carter-Administration tat ihr bestes, um das durch und durch gescheiterte Unternehmen zu retten. Einerseits bemühte sie sich durch Kunststückchen, wie z. B. bei der Abstimmung des UN-Sicherheitsrats im März 1980, die Weltöffentlichkeit über die wahre Natur der Camp David Vereinbarungen hinters Licht zu führen.Ga naar voetnoot6 Zur gleichen Zeit bauten die USA unter allen möglichen Vorwänden ihre militärische Position im Nahen Osten, im Persischen Golf und im Indischen Ozean aus. Wir erlebten ein Erstarken der militärischen Komponente in der amerikanischen Politik in diesen Regionen.
Glauben Sie, daβ die USA Erfolg haben werden und ihren Willen auf diese Weise durchsetzen können?
Das bezweifle ich sehr stark.
Warum?
Die Grenze solchen Unterfangens hat ein führender Politiker des Nahen Ostens einmal so beschrieben: ‘Öl brennt’. Noch ehe Washington auch nur in die Nähe seines Ziels der Hegemonie gelangt, werden wahrscheinlich die Spannungen und Konflikte, die sich aus einer solchen Politik unausweichlich ergeben, die Energieversorgung der Weltwirtschaft zum Erliegen bringen.
‘Öl brennt’ könnte auch das Motto des Krieges zwischen dem Iran und dem Irak sein.
Ja, was das Öl betrifft. Aber dieser Krieg weist auf viele weitere Aspekte hin. In erster Linie zeigt er die Gefahren auf, die aus der allgemeinen Instabilität dieser Region erwachsen, und die auch darin lauern, daβ neue Konflikte sich zu ernsten Krisen auswachsen können. Dies insbesondere, solange alte Konflikte in nächster Nähe weiterschwelen.
Unter diesen Umständen erweist sich die Taktik, die Camp David zugrunde liegt, sogar als noch gefährlicher?
Ohne Zweifel.
Hätte all das vermieden werden können? | |
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All das hätte vermieden werden können, wenn 1977/78 eine vernünftige, flexible und realistische Haltung in Washington vorgeherrscht hätte.
Ist es Ihrer Meinung nach immer noch möglich, zu jenem gemeinsamen amerikanisch-sowjetischen Ansatz zurückzukehren, der eine umfassende Regelung vorsah?
Nicht zurück, sondern vorwärts müssen wir gehen. Soweit das an uns liegt, ist der Weg dazu frei. Ich glaube, daβ der Meinungsumschwung zur Palästinafrage, der in Westeuropa in jüngster Zeit zu beobachten ist, dazu beiträgt, daβ es zu einer umfassenden Lösung kommt. Andererseits bleibt abzuwarten, welchen Standpunkt die neue Administration in Washington einnehmen wird. Einige der Männer in der Umgebung des neuen Präsidenten geben zu erkennen, daβ sie weiter eine separate Lösung betreiben wollen.
Warum bestehen keine diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und Israel? Haben Sie die Absicht, diese wieder aufzunehmen?
Die diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und Israel wurden 1967 während des Sechs-Tage-Krieges abgebrochen. Damit reagierten wir auf die Aggression Israels und seine Weigerung, seine territorialen Gewinne wieder abzutreten. Die diplomatischen Beziehungen können wieder aufgenommen werden, wenn die Krise im Nahen Osten in Übereinstimmung mit den allgemein bekannten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats beigelegt wird.
Sie stellen das Existenzrecht des Staates Israel dabei nicht in Frage?
Nein, wir haben wiederholte Male in offiziellen Verlautbarungen erklärt, daβ die Garantie des Existenzrechts und der Sicherheit für alle Staaten der Region, einschlieβlich Israels, ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil jeder Lösung des Nahost-Problems sein sollte.
Im Westen werden Spekulationen darüber angestellt, welche Haltung die Sowjetunion in der Frage des Terrorismus einnimmt, insbesondere im Zusammenhang mit den Ereignissen im Nahen Osten.
Wir sind gegen den Terrorismus.
Sie unterhalten aber freundschaftliche Beziehungen zu Arafat, obwohl die PLO oftmals mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht wird. | |
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Wir haben die Palâstinenser und ihren Kampf seit jeher untersützt. Das heißt nicht, daß wir jeden Schritt oder jede Aktion der verschiedenen extremistischen Splittergruppen billigen, zu denen diese sich in ihrer Verzweiflung getrieben fühlen. Was Yassir Arafat anbelangt, so halten wir ihn für den prominentesten und einflußreichsten Führer der Palästinenser. Und diese Ansicht wird von einer immer größeren Zahl führender Politiker, einschließlich solcher aus dem Westen, geteilt. Wenn wir vom Terrorismus in seiner ausgeprägtesten Form sprechen, so sollten wir auch daran erinnern, daß Begin friiher selbst ein Terrorist war, was aber den Westen nicht daran hindert, ihn zu akzeptieren.
Die UdSSR wird beschuldigt, sie sei bestrebt, im Nahen Osten einen Zustand zu erhalten, den man als ‘weder Krieg, noch Frieden’ bezeichnen kann.
Wir treten für die Entspannung in diesem Gebiet genauso ein wie für die Entspannung in allen anderen Teilen der Welt. Selbst wenn wir davon ausgegangen waren, daß eine Situation der ‘kontrollierten Spannungen’ - und das ist gewöhnlich mit dem Wort ‘weder Krieg, noch Frieden’ gemeint - unseren Interessen entsprechen würde, hätten wir sie nicht gewollt. Wir sind uns nämlich dessen vollkommen bewußt, daß eine Spannungssituation in einer derartig explosiven Region wie dem Nahen Osten nicht unbegrenzt lange unter Kontrolle gehalten werden kann. Deshalb käme eine Politik des ‘weder Krieg, noch Frieden’ einer Politik gleich, die den Krieg akzeptiert. Einerlei, ob das beabsichtigt ist oder nicht - es ist Tatsache, daß die Politik von Camp David voller solcher Gefahren steekt.
Wie beurteilen Sie den Aufschwung, den der orthodoxe Islam in jüngster Zeit in Asien genommen hat?
Ich würde die Rolle, die die Religion als eine unabhängige Kraft im gesellschaftlichen und politischen Leben einnimmt, nicht überschätzen. Die Neubelebung des Islam ist Ausdruck der wachsenden gesellschaftlichen Spannungen und der politischen Unruhen in Asien. Die Religion ganz allgemein und der Islam im besonderen kann beachtliche ideologische und manchmal auch politische Kräfte entfalten. Aber ich glaube, daß die ‘islamische Welt’ ungefähr die gleiche Abstraktion darstellt wie die ‘christliche Welt’. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Länder in Asien verwenden religiöse Slogans, um damit verschiedene, manchmal sich sogar gegenseitg ausschlieBende Ziele zu verfolgen. Der Aufbruch der breiten Massen in Asien zu politischer Aktivität verleiht | |
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der islamischen Religion ganz offensichtlich einen neuen Inhalt; ein Zeichen dafür, daß sich diese Religion - wie jede andere auch - an die sich verändemden Umstände permanent anpassen muß, um zu überleben.
Ihnen ist bestimmt bekannt, welche Verwirrung in unserem Teil der Welt die Tatsache auslöste, daß Moskau so viele Sympathien, vor allem bei islamischen Ländern und Ländern der Dritten Welt aufs Spiel setzte, indem es das gegenwärtige Regime in Afghanistan mit militärischen Mitteln im Sattel hält.
Da Sie noch einmal die Rede auf Afghanistan gebracht haben, möchte ich eine allgemeine Bemerkung machen. Ich rechne nicht damit, amerikanische oder westliche Leser dazu überzeugen zu können, dem sowjetischen Standpunkt in Zusammenhang mit den Ereignissen in Afghanistan zuzustimmen. Auch rechne ich nicht damit, jemand dazu zu bekehren, daß er die dortige Revolution vom April 1978 unterstützt oder auf Babrak Karmals Seite steht, oder die sowjetische Entscheidung gutheißt, der Kabuler Regierung militärische Unterstützung zu gewähren. Sehen Sie, es handelt sich hier nicht nur um die bloße Kenntnis von Fakten, sondem um die Haltung, die man zu diesen einnimmt. Und diese Haltungen werden nicht allein durch die Informationen, sondern auch durch die Klassenzugehörigkeit und die ideologischen und politischen Sympathien und Interessen bestimmt.
Hat es dann überhaupt einen Sinn, diese Themen zu diskutieren?
Mir scheint, daß es dennoch von Nutzen sein könnte, weil dadurch amerikanische und andere westliche Leser eine klarere Vorstellung von dem sowjetischen Standpunkt gewinnen können. Das gilt um so mehr, als im Westen so viele Lügen über den wirklichen Sachverhalt verbreitet wurden.
Warum hat sich dann die Sowjetunion entschlossen, durch die militärische Intervention in Afghanistan ein so hohes Risiko einzugehen?
Wir haben aus zwei eng miteinander verknüpften Grimden Trappen dorthin entsandt: um der nach dem Umsturz in Afghanistan gebildeten Regierung dabei zu helfen, Angriffe von auBen abzuwehren, und zu verhindem, daß Afghanistan zu einem anti-sowjetischen Stützpunkt an den Südgrenzen unseres Landes wird. Diese Trappen wurden erst auf wiederholtes Ersuchen der Kabuler Regierung nach Afghanistan entsandt. | |
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Darüber hinaus gibt es einen wichtigen rechtlichen Aspekt: Unser Beistand wurde auf der Grundlage des im Jahre 1978 zwischen der UdSSR und Afghanistan unterzeichneten Vertrages gewährt. Wir haben nicht die Absicht, für immer in Afghanistan zu bleiben oder dieses Land in ein Sprungbrett für Aktionen gegen andere Länder zu verwandeln. Unsere Truppen werden abgezogen, sobald die Gründe entfallen, die für ihre Stationierung verantwortlich waren.
Sie sagten, das Ziel der sowjetischen Truppenentsendung ware es gewesen, dem Revolutionsregime zu helfen. Dieses Regime wurde aber von Hafizullah Amin angeführt, der beim Eintreffen der sowjetischen Truppen ermordet und von Babrak Karmal ersetzt wurde. Karmal brandmarkte Amin und änderte jäh den Kurs der Kabuler Politik. Dies nimmt sich doch seltsam und widersprüchlich aus.
Vergessen Sie bitte nicht, daß wir von einer Revolution sprechen. Jede Revolution mit ihren raschen Veränderungen, jähen und unerwarteten Wendungen ist ein höchst komplexes Ereignis, ein beständig wechselndes Spiel der Kräfte, wobei Leute über Nacht die Seite wechseln. Ich habe bereits über die Ursachen gesprochen, die im April 1978 zur Revolution in Afghanistan führten. Die unmittelbar nach dem Umsturz gebildete und von Noor Muhammad Taraki geführte Regierung erhielt eine breite Unterstützung. Babrak Karmal, wie auch Hafizullah Amin, gehürte zu den führenden Personen. Die Revolutionsregierung rief ein umfangreiches Programm sozialer Veränderungen ins Leben; ein Programm, das sich auf die Landreform, auf Entwicklungsprojekte zugunsten ethnischer Minderheiten, auf die Rechte der Frauen und auf das Bildungswesen konzentrierte.
Soviel ich weiß, wird dieser Politik Widerstand entgegengebracht. Wie kommt das?
Dadurch, daß er sich gegen die Interessen der ehemals herrschenden und 1978 abgesetzten Klassen richtet, wie etwa gegen jene 40 000 feudalen Großgrundbesitzer, die das Land an die Bauem zurückgeben mußten. (Vor der Revolution gehörten 70 Prozent des gesamten Landes diesen Leuten.) Dieser Widerstand ist bei jeder Revolution ganz normal - keiner möchte auf seine Macht und seine Privilegiën verzichten, und es wird mit allen Mitteln versucht, den Status quo ante wiederherzustellen. Die ihrer Privilegien beraubten Personengruppen bildeten das Rückgrat der Konterrevolution in Afghanistan. Sie hätten allerdings keine so große Gefahr dargestellt, waren sie nicht von außen unterstützt worden. | |
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Einmischung von außen kommt überall vor.
Leider.
Jede Revolution muß mit Opposition rechnen, jedoch wäre diese für die neue Regierung gewiß nicht zu einer ernsthaften Bedrohung geworden, haften nicht einige Aspekte der Regierungspolitik zu verbreiteter Unzufriedenheit geführt.
Sicher, die neue Regierung beging Fehler; diese sind nun einmal bei jeder Revolution unvermeidlich und besonders verstandlich im Falle eines so rückständigen Landes. Der größte Fehler bestand meiner Ansicht nach darin, daß man versuchte, zu vieles in zu kurzer Zeit zu tun - eine typisch linke Abweichung nach marxistischer Sprachregelung. Schwerwiegende Fehler wurden auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen dem Staat und der moslemischen Geistlichkeit begangen. Der größte Teil dieser Geistlichkeit wurde als konterrevolutionäre Kraft abgetan; manche der Mullahs wurden verfolgt, Moscheen geschlossen. Und, nicht zu vergessen, die Lage wurde von Hafizullah Amin und seiner Grappe nachhaltig verschlechtert.
Sie nannten ihn als einen der Führer der afghanischen Revolutionsregierung?
Ja. Eine von Babrak Karmal angefiihrte Fraktion innerhalb der Regierung versuchte, diese Fehler zu vermeiden, und drängte auf eine realistischere und demokratischere Politik, wurde aber hauptsächlich aufgrand von Intrigen aus dem Lande vertrieben oder verhaftet. Dies erleichterte es Amin, einen harten Kurs zu steuern und das Land mit einer von Gewalt und Repression geprägten Politik zu überziehen. Es steht fest, daß die Schwierigkeiten der afghanischen Revolution in engem Zusammenhang mit der Persönlichkeit Amins zu sehen sind; war er doch ein machthungriger Verschwörer, ein skrupelloser Intrigant, der den revolutionären Aufschwung dazu benutzte, an die Spitze zu gelangen und zum Alleinherrscher zu werden. In der Geschichte trifft man mehr als einmal auf solche Gestalten. Amin fiihrte im September 1979 einen Staatsstreich aus und tötete Präsident Taraki. Später wurde er von der Regierung des Hochverrats beschuldigt.
Wenn die UdSSR schon nicht einverstanden war mit Amin, warum hat sie dann seinem Hilfeersuchen entsprochen? | |
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Dies geschah ja nicht Amins wegen, sondern in der Absicht, die afghanische Revolution zu retten. Darüber hinaus erhielten wir bereits früher ähnliche Hilfeersuchen von Taraki.
Das klingt eher wie eine Ausrede. Zu diesem Zeitpunkt war doch Amin der Führer Afghanistans.
Er ergriff widerrechtlich diese Position. Trotz all seiner Repressionen und Intrigen gab es aber in der Partei, ja selbst in der Regierung, noch viele Leute, die sich seiner Politik widersetzten und nach Kräften darum bemühten, das Erbe der April-Revolution von 1978 zu retten. Diese Leute entmachteten ihn am Vorabend des Tages, an dem die Gruppe run Amin eine große Anzahl gefangener Revolutionsführer hinrichten lassen wollte.
Warum aber hat die Sowjetunion zugelassen, daß Karmal außer Landes geschickt wurde und daß Amin seine Verbrechen beging?
Was heißt hier ‘zugelassen’? Wir haben der afghanischen Regierung geholfen, haben sie beraten, aber wir konnten doch nicht den Verlauf der Revolution diktieren. Es war dies kein von der Sowjetunion gesteuerter Prozeß, hätte dies auch nicht sein können. Und was das von Ihnen berührte Problem anbelangt, so kann ich sagen, daß wir die afghanischen Führer warnten, schließlich war es ihre Revolution und sie mußten die Entscheidungen treffen.
Ist es der Regierung Babrak Karmal gelungen, die Position der Revolutionsregierung zu stärken?
Karmal und seine Mitarbeiter machten sich rasch daran, die Regierungspolitik wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Man befreite 15 000 politische Häftlinge, die unter Amin eingesperrt worden waren, bestrafte die für die Repressionen Verantwortlichen und erließ eine Generalamnestie für alle die jenigen, die aus dem Lande geflohen waren. Man stellte die Religionsfreiheit wieder her und ergriff vernünftige wirtschaftspolitische Maßnahmen. Auf außenpolitischem Gebiet bemüht man sich, die Beziehungen zu den Nachbarn, insbesondere die zu Pakistan, zu normalisieren.
Dies bringt uns zum zweiten Motiv, der sowjetischen Truppenentsendung nach Afghanistan. Glaubte man in Moskau, daß ein Scheitern der afghanischen Revolution eine Gefahr für die Sowjetunion darstellen könnte? | |
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Um diese Frage beantworten zu können, muß man eine Gegenfrage stellen. Warum hatten China und die USA so großes Interesse am Scheitern der afghanischen Revolution? Wir hatten Grund zu der Annahme, daß dieses Interesse hauptsächlich deswegen bestand, weil beide Länder die Absicht hatten, Afghanistan als Basis für Aktionen gegen die Sowjetunion zu benutzen. Unsere Grenze mit Afghanistan ist 2500 Kilometer lang, und jahrzehntelang war dies eine sehr friedliche und ruhige Grenze.
Was glauben Sie, wäre in Afghanistan geschehen, hätte die Sowjetunion nicht Truppen dorthin entsandt?
Denken Sie bitte nicht, die Entscheidung dafür wäre der Sowjetunion leicht gefallen und alle möglichen negativen Reaktionen darauf wären nicht bereits vorher bedacht worden. Die sowjetische Regierung kam zu der Schlußfolgerung, daß die afghanische Regierung nicht in der Lage sein würde, die Revolution zu retten sowie die von außen kommenden Angriffe abzuwehren, und daß die weitere Entwicklung der Dinge in dieser Region die Sicherheit der Sowjetunion bedrohen könnte. Für Afghanistan selbst hätte dies den Triumph der Konterrevolution mit all seinen zwangsläufigen Begleiterscheinungen bedeutet - Terror, Blutvergießen, wütende Rache der Reaktion.
Welche spezielle Bedrohung ihrer Sicherheit befürchtete die Sowjetunion?
Afghanistan hätte in eine antisowjetische Basis verwandelt werden können, eine Basis, die von China und/oder den Vereinigten Staaten sogar zur Errichtung von Militärstützpunkten an unserer Grenze benutzt werden könnte.
Militärbasen?
Warum nicht? Es gab früher US-Militärstützpunkte im Iran, und die USA suchen nun in der ganzen Region nach einem Ersatz dafür. Wieso also nicht in Afghanistan?
Nach einer im Westen weitverbreiteten Meinung entsandte die Sowjetunion deshalb Truppen nach Afghanistan, um einen direkten Zugung zu den warmen Meeren und zum Öl des Nahen Ostens zu erlangen.
Selbst vom rein militärischen Standpunkt aus betrachtet, ist dies Nonsens. Die Sowjetunion befindet sich bereits nahe genug sowohl am Persi- | |
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schen Golf als auch am Indischen Ozean. Hätten wir beabsichtigt, einen direkten Zugang zu erreichen, so hätten wir niemals Afghanistan mit seinem unwegsamen Terrain als Sprungbrett dafür gewählt. Wie ein amerikanischer Freund von mir sagte, wäre dies genauso, als würden die Kalifomier bei einem Angriff auf Oregon erst Nevada durchqueren. Das wichtigste Argument gegen den uns unterstellten Vorstoß zu den warmen Meeren ist aber, daß solch ein Schritt den Dritten Weltkrieg herbeiführen würde. Anders als die amerikanische Propaganda behauptet, wird man sowjetische Panzer oder sowjetische Soldaten weder an den Küsten des Persischen Golfs, noch an den Küsten der anderen warmen Meere zu Gesicht bekommen.
Wie werden sich nun die Dinge um Afghanistan entwickeln?
Wir halten eine politische Lösung für möglich und unterstützen deshalb ohne Einschränkung den von der afghanischen Regierung am 14. Mai 1980 eingebrachten Vorschlag, der eine Normalisierung der Lage in dieser Region zum Ziel hat. Kabul ist dazu bereit, mit seinen Nachbarn über eine Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zu sprechen. Mit Beginn des Jahres 1981 konnte man einige ermutigende Signale feststellen, die einen Fortschritt in der Verständigung zwischen der afghanischen und der pakistanischen Regierung andeuteten. Der Weg für eine friedliche Regelung steht offen, und ich bin sicher, daß es möglich sein wird, zu einer Vereinbarung zu gelangen. Falls Afghanistans Nachbarn und die USA eine konstruktive Haltung einnehmen, würde dies dann auch den Abzug sowjetischer Trappen beinhalten. Afghanistan war blockfrei und wird es auch bleiben. Was wir nicht wollen, ist ein uns feindlich gesonnenes Afghanistan - und dieser Wunsch ist meines Erachtens gerechtfertigt.
Im Westen wird behauptet, die Sowjetunion wäre darüber besorgt, daß die Errichtung eines militanten Moslemregimes in Kabul Unruhe unter die Moslems im zentralasiatischen Teil der UdSSR tragen könnte.
Das ist wirklich unglaublich. Vergleichen Sie doch einmal das arme, analphabetische, rückständige Afghanistan mit den zentralasiatischen Gebieten der Sowjetunion, Aserbeidschan und anderen ehemals islamischen Teilen der UdSSR. Diese sind wohlhabend, stabil und zufrieden. Kann denn wirklich jemand allen Ernstes glauben, daß eine rückständige, repressive Theokratie, wie sie die Konterrevolution in Afghanistan einsetzen wollte, eine ideologische Herausforderung an die Sowjetunion darstellen könnte? | |
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Ich bin von der Republik Aserbeidschan mit ihrer großen islamischen Bevölkerung in den Obersten Sowjet der UdSSR gewahlt worden. Ich vertrete dort seit einigen Jahren einen Bezirk dieser Republik und kann Ihnen aus erster Hand sagen, daß der Islam für die Sowjetunion kein politisches Problem bedeutet. Diejenigen, die an Allah glauben, können zu ihm beten; es gibt Moscheen, und die islamische Geistlichkeit wird respektiert.
Sind Sie aber nicht rückblickend der Meinung, daß die UdSSR die Reaktionen des Westens auf die Ereignisse in Afghanistan im allgemeinen falsch einschätzte?
Nun, die Reaktionen anderer Staaten auf ein bestimmtes Ereignis lassen sich niemals in allen Einzelheiten vorhersehen. Es gibt dabei immer sowohl erfreuliche als auch unerfreuliche Überraschungen. Im großen und ganzen jedoch haben wir die Lage meiner Meinung nach richtig beurteilt. Sehen Sie, wir gingen davon aus, daß die amerikanische Politik ihren Kurs geändert hatte. Diese Ansicht vertraten wir bereits vor Afghanistan. Ich glaube, man konnte in Moskau wohl erwarten, daß die USA und einige andere westliche Länder die Ereignisse in Afghanistan als Vorwand für eine antisowjetische Kampagne benutzen würden. Indem es diese Kampagne startete, hat Washington, wie ich meine, extrem überreagiert und nicht nur seinen, sondern auch den Interessen aller anderen Länder geschadet. Diese Überreaktion kann bis zu einem gewissen Grad mit den fieberhaften Bemühungen der Carter-Administration erklärt werden, einen Ausweg zu finden aus den innen- und außenpolitischen Schwierigkeiten - wie etwa im Iran oder dem Nahen Osten. In diesem Zusammenhang schienen die Vorgänge in Afghanistan eine günstige Gelegenheit zu bieten (die sich jedoch nicht erfüllt hat), die USA als eine für die islamische Welt möglicherweise nützliche Kraft darzustellen. In gewisser Weise handelte es sich um einen Gefühlsausbrauch, den einige Leute in der Carter-Regierung nicht zu kontrollieren wußten.
Sie bestreiten aber nicht, daß auch ehrliche Emotionen und aufrichtige Empörung darüber im Spiel waren, daß eine Großmacht sich mit Waffengewalt in die Angelegenheiten eines kleinen Staates einmischte?
Ich kann mir vorstellen, daß Teile der Öffentlichkeit, die nur sehr unklare Vorstellungen über die Lage hatten, solche Empfindungen hegten. Es fällt jedoch schwer zu glauben, solche Emotionen hätten das Vorgehen der westlichen Regierungen, insbesondere die Schritte der Vereinig- | |
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ten Staaten, beeinflußt. Es gibt einen weiteren Grund dafür, warum es uns schwerfällt, in diesen Aktionen einen Ausdruck politischer Moral zu sehen. Afghanistan zählte nämlich zu den Staaten, in denen die USA einen blutrünstigen Diktator unterstützten - in diesem Fall Amin. Hier sehen wir uns erneut einer doppelten Moral gegenüber. Betrachten wir doch einmal drei in diesem Punkt sehr ähnliche Fälle: Hafizullah Amin in Afghanistan, Idi Amin in Uganda und Pol Pot in Kamputschea. In jedem dieser Fälle wurde ein blutrünstiger Diktator mit Hilfe militärischer Unterstützung aus dem Ausland von den vereinten Kräften der nationalen Opposition - innerhalb und außerhalb des Landes - gestürzt. Was Afghanistan und Kamputschea betrifft, so haben die Umstürze in diesen Ländern im Westen eine unglaubliche Empörung hervorgerufen. Haben wir aber je auch nur ein einziges Wort der Entrüstung darüber gehört, was in Uganda geschah? Offensichtlich handelt es sich dabei nicht um eine Frage des Prinzips, sondern um politische Zweckmäßigkeit. Wenn dem tatsächlich so ist, so sollte man nicht als strenger Moralist auftreten. Ich möchte unser Gespräch zum Thema Afghanistan noch einmal zusammenfassen: Ich hoffe, daß sich die Voraussetzungen für eine nüchterne Betrachtungsweise einstellen, sobald sich der Staub der antisowjetischen Kampagne legt. Unter solchen Voraussetzungen wird es weitaus leichter fallen, die Vorgänge in den entsprechenden Proportionen und in der richtigen Perspektive zu sehen, sie in angemessener Weise zu bewerten und zu entscheiden, ob diese Ereignisse es wert sind, deshalb all das zu zerstören, was lebenswichtig ist - in erster Linie die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden und die Einstellung des Wettrüstens.
Aber meinen Sie nicht, daß die Betrachtung anderer, vielleicht viel wichtigerer Themen nachhaltig verhindert wird, solange die Ereignisse in Afghanistan sich in der jetzt eingeschlagenen Richtung fortentwickeln?
Zunächst einmal hoffe ich, daß es schon in nächster Zukunft zu einer politischen Lösung kommen wird. Und ich glaube, es liegt im Interesse des Westens, seine Haltung zu den Problemen in dieser Region zu überdenken. Auf lange Sicht gesehen ist der Westen nämlich nicht an einer weiteren Destabilisierung der Situation in Südwestasien interessiert. Falls dies zutrifft, kann ihm auch nicht an einer Destabilisierung der Lage in Afghanistan und an einer Ausweitung der Konfrontation gelegen sein. Im Gegenteil, je schneller sich die Lage hier normalisiert, desto besser ist dies für die Menschen in dieser Region, für den Westen und für die gesamte Welt. | |
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Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, inwieweit Vorgänge in der Dritten Welt die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen beeinflussen. Immer öfter hört man heute im Westen, daß die Zusammenstöße in der Dritten Welt zum hauptsächlichen Störfaktor der Entspannung geworden sind.
Ja, diese Meinung ist weit verbreitet. Ob sie aber richtig ist, bezweifle ich sehr. Es ist enorm wichtig zu prüfen, warum diese Ansicht eine so weite Verbreiding finden konnte. Der erste Grund dafür dürfte sein, daß die Großmächte eingesehen haben, daß eine direkte Konfrontation zwischen ihnen extrem gefährlich, ja sogar selbstmörderisch ist. Sie vermeiden direkte Zusammenstöße, die ihre Beziehungen zentral betreffen. Dies erweckt den Eindruck, als wäre die Dritte Welt jetzt die wesentlichste Gefahrenquelle. Der zweite Grund ist wohl die große, nicht zu bestreitende Unbeständigkeit der Situation in der Dritten Welt. Bei einer ganzen Reihe in jüngster Zeit unabhängig gewordener Staaten kann sich die Lage jederzeit verändern, gibt es doch dort die verschiedensten Gruppierungen nationaler Befreiungsbewegungen. Der dritte Grund ist, daß einige Großmächte - und ich muß hier wiederum auf die USA verweisen - aus strategischen Gründen ein ungewöhnlich starkes Interesse an der Dritten Welt zeigen. Für den Fall eines Konflikts mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern möchte der Westen in der Dritten Welt Stützpunkte und gut gesicherte Verbindungslinien haben. Als vierter Grund wäre die große Bedeutung zu nennen, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten den Entwicklungsländern als Lieferanten für Rohstoffe - besonders Erdöl - beimessen.
Mit anderen Worten, Sie bestätigen, daß die Dritte Welt zur größten Gefahrenquelle für den Frieden geworden ist.
Keineswegs. Weit davon entfernt, die Bedeutung der Entwicklungsländer zu unterschätzen, möchte ich betonen, daß der Gang der Dinge in diesen Ländern, insbesondere was die Schwere eines Konflikts und dessen Auswirkung auf die internationale Lage betrifft, weitgehend vom Stand der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen abhängt. Nehmen Sie beispielsweise den Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973. Im Kontext der Entspannung war es möglich, eine Ausweitung dieses Konflikts zu verhindern, und es konnte sogar ein erster Rahmen für eine umfassende Regelung der Probleme in dieser Region ausgearbeitet werden. Mich schaudert allein schon bei dem Gedanken, daß dieser Krieg auch in | |
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einem Klima der Spannungen - auch von der Art, wie sie jetzt bestehen - hätte stattfinden können. Nein. Was ich gesagt habe, führt zu einer anderen Schlußfolgerung; nämlich zu der, daß hierbei sehr viel von der politischen Lage in den Ost-West-Beziehungen abhängt, also von den Beziehungen zwischen sozialistischen und kapitalistischen Ländern, zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Werden diese Beziehungen durch den Kalten Krieg bestimmt, so wird die Dritte Welt zu einem seiner gefährlichsten Schauplätze, auf dem die einander feindlichen Kräfte ihre Rivalität austragen. Sollte sich jedoch die Idee der Entspannung durchsetzen, so könnte die Dritte Welt eine wesentliche Sphäre der Zusammenarbeit aller wirtschaftlich fortgeschrittenen Staaten werden. Diese könnten dann gemeinsam dazu beitragen, die Entwicklung der Länder der Dritten Welt zu beschleunigen, brauchbare Sicherheitssysteme in den verschiedenen Regionen zu schaffen sowie die Ressourcen dieser Länder wohlüberlegt und unter angemessener Berücksichtigung der Interessen und Bestrebungen der jeweiligen Bevölkerung zu nutzen. Selbstverständlich müssen wir uns der Widersprüche und Spannungen bewußt sein, die der Befreiungsprozeß in der Dritten Welt mit sich bringt. Für den Westen bedeutet dies ein schmerzliches Umdenken. Doch diese Prozesse sind ‘so natürlich wie das Wachsen eines Baumes’ - ein Wort, mit dem Richter Oliver Wendell Holmes Revolutionen einmal beschrieb. Die Dritte Welt wird weder den USA noch der UdSSR, weder dem Westen noch dem Osten zuliebe ihren geschichtlichen Weg gehen, wird nicht derentwillen Fortschritte machen und Rückschläge erleiden. Sie wird für sich selbst da sein und sich um ihretwillen entwickeln. Der größte Teil der Weltbevölkerung lebt in den Staaten der Dritten Welt, und die Menschen in diesen Ländern haben den gleichen Anspruch auf das Recht und auf die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, wie sie die Europäer und Amerikaner haben. Mehr noch, sie wissen dies und sie sind entschlossen, für eine bessere Existenz zu kämpfen.
Viele Experten im Westen betonen, daß es keine Hoffnung auf Entspannung gibt, wenn für die Supermächte nicht bestimmte Regeln im Umgang mit der Dritten Welt gelten sollen oder wenn nicht sogar ein Mechanismus des Krisenmanagements entwickelt wird.
Der Gedanke einer bilateralen Zusammenarbeit bei der Beilegung von Krisen und bei ihrer Verhütung gehörte von Anfang an zum Konzept der Entspannung. Was den Nahen Osten beispielsweise angeht, so entstand in Form der Genfer Konferenz fast ein Mechanismus des Krisenmana- | |
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gements. Daß dieser Weg nicht weiter verfolgt wurde, war nicht unsere Schuld. Die gleiche Idee liegt dem umfassenden, von Generalsekretär L.I. Breschnew im Dezember 1980 vorgebrachten Plan zur Entmilitarisierung der Region am Persischen Golf zugrunde. Dieser Plan kann als Grundlage dienen für eine Stabilisierung dieser so äußerst kritischen Region der heutigen Welt. Eine weitere, seit langem bestehende sowjetische Initiative, die die Ächtung der Anwendung militärischer Gewalt vorsieht, könnte sehr wohl Grundlage dieser neuen Verhaltensregeln werden. Wir denken nicht an ein Kondominium der Supermächte, die den Weltpolizisten spielen, sondern wir sind der festen Überzeugung, daß die Entspannung eine Menge von dem Zündstoff, der die Krisen nährt, aus dem Wege räumen könnte, und daß gemeinsame Anstrengungen der Supermächte zur Beilegung und Verhütung von Krisen ein wesentlicher Bestandteil der Entspannung werden könnte.
Glauben Sie, daß die beiden Giganten, Amerika und Rußland, am Ende des Jahrhunderts eine größere oder eine weniger gewichtige Rolle in der Welt spielen werden?
Falls die Entwicklungsländer Erfolg haben in ihren wirtschaftlichen Angelegenheiten, dann dürfte sich der Anteil aller Industrienationen am Bruttosozialprodukt der gesamten Welt verringern. Generell gesagt, die Weltbühne wird gegen Ende des Jahrhunderts abwechslungsreicher werden - politisch, kulturell und philosophisch. Dies würde nur eine angemessene und gesunde Entwicklung darstellen. In der vorhersehbaren Zukunft jedoch werden die beiden Großmächte weiterhin eine Hauptrolle spielen, und sei es nur der Dimensionen ihrer äußeren Macht wegen. Wichtig ist dabei, daß ihr militärisches und wirtschaftliches Potential ihnen nicht etwa besondere Rechte und Privilegiën verleiht, sondern ihnen einzig und allein besondere Verantwortung auferlegt. Sie schulden der ganzen Menschheit dafür Verantwortung, daß sie normale und friedliche Beziehungen zueinander unterhalten und eine konstruktive Rolle spielen bei der Lösung jener Probleme, denen sich die ganze Welt gegenübersieht. |
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