Der sowjetische Standpunkt. Über die Westpolitik der UdSSR
(1981)–Georgi Arbatov, Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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IV) Handel treiben - ja oder nein?Es hat den Anschein, als habe der sowjetisch-amerikanische Handel unter der allgemeinen Verschlechterung der Beziehungen an der Schwelle der achtziger Jahre am meisten gelitten.
Nein, ich würde sagen, daß der größte und gefährlichste Schaden der Rüstungskontrolle zugefügt wurde. Es mag sein, daß die USA versuchen, den Eindruck zu erwecken, der Handel sei das Hauptopfer gewesen - sah doch auf diese Weise der Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik mehr wie eine ‘Bestrafung’ der Sowjetunion aus, sah doch Washington in Handelsbeschrànkungen den einfachsten Weg, uns größtmöglichen Schaden zuzufügen und gleichzeitig den Preis möglichst gering zu halten.
War diese Einschätzung zutreffend?
Nein. Es trifft weder zu, daß uns durch Handelsbeschränkungen, selbst durch einen Abbruch der Handelsbeziehungen ernsthafte Schwierigkeiten bereitet werden können, noch, daß Amerika daraus kein Schaden erwächst. Aber es war sicherlich ein einfacher Weg, um der amerikanischen Verärgerung - insbesondere Präsident Carters biblischem Zorn - Luft zu machen und Dampf abzulassen. Das war wieder einmal ein Fall, bei dem sich die Amerikaner von ihren Selbsttäuschungen mitreißen ließen.
Aber hatte die Sowjetunion nicht 1979 und 1980 eine schlechte Ernte zu verzeichnen, während sie doch für ihre Viehzucht große Mengen Futtergetreide benötigt?
Die Ernte war in der Tat schlecht, und es bestand auch die Notwendigkeit, Getreide einzuführen. Allerdings nicht in solch einem Ausmaß, daß ein amerikanisches Getreideembargo schon einer Katastrophe für unsere Wirtschaft gleichgekommen wäre. Dies um so weniger, als wir Maßnahmen getroffen haben, um den Schaden so gering wie möglich zu | |
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halten: Wir steigerten die Produktion bei anderen Futtermitteln und kauften Argentinien und anderen Ländem mehr Getreide ab. Gleichzeitig aber hatten die Amerikaner darunter zu leiden, vor allem die Farmer im Mittelwesten, aber auch das US-Finanzministerium. Laut amerikanischen Schätzungen beliefen sich die unmittelbaren Verluste auf 2,5 Milliarden Dollar, und der Gesamtschaden betrug rund 4,5 Milliarden Dollar.
Wobei hat sich Washington verrechnet?
Kurz gesagt, Washington überschätzte die amerikanische Wirtschaftskraft und deren Bedeutung ganz gewaltig, während es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Sowjetunion in gleichem Maße unterschätzte. Im amerikanischen Bewußtsein ist die Überzeugung tief verankert - was auch in offiziellen amerikanischen Überlegungen zum Ausdruck kommt -, daß Amerika in der Welt wirtschaftlich so dominierend ist, daß andere Länder an die USA herantreten und um Gunstbezeigungen bitten müssen. Daraus ergibt sich, daß es den USA freisteht, die Bittsteller zu belohnen oder zu bestrafen, je nachdem wie diese sich verhalten.
Dennoch ist die Sowjetunion weiterhin am Handel mit den USA interessiert, einschließlich des Imports von Getreide und Technologie.
Ja, wir sind daran interessiert, aber es ist sehr wichtig, sowohl die Natur, wie auch den Grad dieses Interesses zu begreifen, da man ansonsten unweigerlich schwere politische Fehler begeht.
Welche beispielsweise?
Ich denke daßei an das unentwegte Bemühen, den Handel und die wirtschaftlichen Beziehungen als Druckmittel einzusetzen, um die sowjetische Politik zu beeinflussen. Ich spreche von solchen Maßnahmen wie dem Jackson-Vanik-Amendment aus dem Jahre 1974, der Abänderung der Ausfuhrkontrollbestimmungen von 1978 in Zusammenhang mit der sogenannten Schtscharanski-Affäre, wie auch von den häufig diskutierten Plänen, uns mit der Androhung eines wirtschaftlichen Embargos zu erpressen, um außenpolitische Zugeständnisse zu erzwingen. Es ist genau diese Geisteshaltung, die hinter den Maßnahmen der Carter-Administration zu Beginn des Jahres 1980 stand, als der Handel zum Hauptinstrument erkoren wurde, um die Sowjetunion zu‘bestrafen’. Die gleichen Fehleinschätzungen erklären, warum sogar zu der Zeit, als die Entspannung gedieh, der Handel der Bereich in unseren Beziehun- | |
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gen war, der durch das Erbe des Kalten Krieges am meisten belastet wurde.
Wie groß ist denn Ihr Interesse am Handel mit Amerika wirklich?
Lassen Sie mich Ihnen die grundlegenden Fakten der Sachlage geben. Erstens, beide Volkswirtschaften - die amerikanische und die sowjetische - sind von so riesigem Ausmaß, daß der gegenseitige Handel, selbst wenn er unter den denkbar günstigsten Bedingungen ausgebaut wird, nur einen sehr kleinen Teil der jeweiligen Bedürfnisse abdecken kann. 1979 z. B. betrug der Anteil der USA an unserem Außenhandel nur 3,5 Prozent bzw. 0,5 Prozent unseres Bruttosozialprodukts. Deshalb sind die Auswirkungen des US-Handels auf unsere Wirtschaft nur geringfügig und werden es auch dann bleiben, wenn es zu den denkbar größten Steigerungsraten kommen sollte. Mehr noch, es ist einfach unrealistisch, sich vorzustellen, eines der beiden Länder würde es je zulassen, daß seine Wirtschaft in erheblichem Umfang einseitig von dem anderen Land abhängig werden würde.
Abgesehen davon betreibt die UdSSR mit anderen westlichen Ländern einen ziemlich umfangreichen Handel.
In der Tat sind die USA weder unser einziger, noch unser größter Handelspartner. Der größte Teil unseres Außenhandels entfällt auf andere sozialistische Länder. Der Anteil Amerikas an unserem Westhandel betrug 1979 lediglich 11 Prozent. Sieht man einmal vom Getreide ab, so betrug er 5 Prozent. Unser größter westlicher Partner ist Westdeutschland, während unser Handel mit Frankreich, Italien und Finnland im wesentlichen den gleichen Umfang erreicht wie unser Handel mit den USA. Wir können praktisch alles, was wir von Amerika kaufen, auch von anderen westlichen Ländern beziehen.
Dennoch, die Amerikaner verfügen offensichtlich in einigen Bereichen, z. B. bei Computer und Bohrausrüstungen, über ein Monopol.
Ja, das stimmt, und einige ihrer Computer sind, ebenso wie ihre Bohrausrüstungen und andere technisch hochstehenden Erzeugnisse, besser als die entsprechenden Produkte anderer Länder. Jedoch nicht um so vieles besser, daß die Weigerung der Amerikaner, uns diese Dinge zu verkaufen, unsere Wirtschaft zum Stillstand bringen würde. Schauen Sie sich an, was geschah, als die USA versuchten, uns an dem vermeintlich empfindlichen Punkt der Bohrausrüstungen unter Druck | |
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zu setzen - wir haben ganz einfach ein großes, für beide Seiten nützliches Geschäft mit Frankreich abgeschlossen. Und in den meisten Fällen kommen wir sehr gut selbst zurecht, haben wir doch eine von außen weitgehend unabhängige Volkswirtschaft. Tatsächlich erwies sich sogar zu einer Zeit, da wir in wirtschaftlicher Hinsicht noch viel schwächer waren, die Praxis, den Handel als politische Waffe einzusetzen, als unwirksam und als Eigentor. Wie denn auch kürzlich Robert Gilpin, ein Wirtschaftswissenschaftler von Princeton, der die Auswirkungen des Wirtschaftskrieges in der Vergangenheit untersuchte, zu dem Schluß kam: ‘Wenn wir ohne Erfolg blieben, als wir stärker und sie schwächer waren, wie können wir dann heute Erfolg haben?’Ga naar eind1
Und trotzdem scheinen Sie alles daran zu setzen, den Handel mit den Vereinigten Staaten anzukurbeln.
Ich glaube nicht, daß ‘alles daran setzen’ der richtige Ausdruck ist, um unsere Haltung in dieser Angelegenheit zu beschreiben. Nach unserer Auffassung ist der Handel innerhalb des ganzen Komplexes unserer Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von geringerer Bedeutung, das wichtigste dabei ist, den Frieden zu sichem und damit unsere Beziehungen im politischen Bereich und auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle zu verbessern. Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten haben während einer langen Zeit mit der Tatsache gelebt, daß sie keinen nennenswerten Handel miteinander trieben, und sie können sicher auch weiterhin damit leben. Der Handel ist für keines der beiden Länder eine Überlebensfrage. Aber falls ein Klima der Entspannung und eine generelle Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen eintritt, wird die Ausweitung unseres Handels ein logischer Teil dieser Entwicklung sein. Und zwar nicht nur deshalb, weil beiden Seiten größerer wirtschaftlicher Nutzen daraus erwachsen kann. Wir halten den politischen Aspekt dabei für wichtiger. Die Entwicklung des Handels und der wirtschaftlichen Beziehungen kann ein überaus wichtiges Instrument zur Verbesserung der allgemeinen Beziehungen sein. Was die Geschäftsbedingungen betrifft, so verlangen wir keine besonderen Vergünstigungen. Wir erwarten nicht mehr und nicht weniger als bei Geschäften Usus ist - also einen ordentlichen Preis für eine ordentliche Ware, und umgekehrt. | |
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Ist es nicht in gewisser Weise eine Ironie, daß ausgerechnet Kommunisten an die Amerikaner appellieren, sich wiegute Geschäftsleute zu verhalten?
Wissen Sie, so stolz die Amerikaner auch auf ihren kommerziellen Genius und ihren Pragmatismus sind, so neigen sie doch dazu, auf diesem Gebiet wie Amateurpolitiker aufzutreten.
Wie werden sich die Ereignisse in Afghanistan auf die Zukunft der sowjetisch amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen auswirken?
Carters Entscheidung, über die Getreidelieferungen an die Sowjetunion ein Embargo zu verhängen und für den übrigen sowjetisch-amerikanischen Handel zusätzliche Restriktionen einzuführen, hatte sehr nachhaltige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung unserer Beziehungen. Man kann vielleicht darüber streken, welchen Stellenwert der internationale Handel und die wirtschaftlichen Beziehungen für die Entspannung haben - meiner Meinung nach kann er ganz erheblich sein -, es besteht aber kein Zweifel daran, daß ein Unterbrechen dieser Beziehungen unvermeidlich zu einer Erhöhung der Spannungen zwischen den Staaten führt. Am wichtigsten dabei ist, daß solche Maßnahmen buchstäblich die Zukunft wirtschaftlicher Beziehungen untergraben, indem sie das Vertrauen zum anderen zerstören. Früher oder später werden die Ereignisse in Afghanistan der Vergangenheit angehören. Aber das Image der Amerikaner, Partner zu sein, bei denen es vorkommen kann, daß sie ihre Verpflichtungen so leicht brechen, wird viel lßnger bestehen bleiben.
Kamen diese Repressalien für Moskau überraschend?
Nein, und zwar sorgte die Carter-Administration selbst dafür. Gleich von Beginn ihrer Regierungszeit an verstärkte sie die Politisierung des Handels und der Wirtschaftsbeziehungen, indem sie diese bei jeder entsprechenden Gelegenheit vollkommen den Zielen ihrer eigenen Außenpolitik unterordnete. Es wurde eigens ein neues Konzept, die sogenannte ‘conditional flexibility’, erarbeitet, das für diesen Kurs den theoretischen Rahmen lieferte.
Samuel Huntington war im Weißen Haus dafür berüchtigt, einer der wichtigsten Architekten der‘Bärenfalle’ zu sein, womit jene Politik gemeint ist, die den Handel als Waffe des Kalten Krieges einsetzt.
Er stand jedoch damit keineswegs allein. Obwohl Huntington schließlich zurücktrat, trug seine Politik, die ‘Handel als Waffe’ zum Motto hatte, | |
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letzten Endes im Weißen Haus den Triumph davon. Sie fand zum ersten Mal 1978 Anwendung, als das Weiße Haus den Schtscharanski-Prozeß zum Vorwand nahm, um eine Reihe von Geschäftsabschlüssen zu Fall zu bringen und zugleich einige weitere Beschränkungen für den Handel mit der Sowjetunion einzuführen. So steilten also die 1980 verhängten Sanktionen nur den Höhepunkt einer langen Entwicklung dar.
Wie lange wird es bei dieser Politik bleiben?
Diese Frage sollten Sie eigentlich dem Weißen Haus stellen. Nach meiner persönlichen Meinung dürfte sich diese Politik so lange behaupten, wie die neue vom Kalten Krieg geprägte Stimmung in Washington vorherrscht.
Finden Sie es paradox, daß Ronald Reagan, wahrend er eine US-Politik der harten Linie gegenüber der Sowjetunion forderte, im Verlauf des Wahlkampfes versprach, das gegen die Sowjetunion verhangte Getreideembargo aufzuheben, falls er Präsident werden würde?
Die Zeit wird zeigen, ob es ledigüch ein weiteres Wahlversprechen war oder eine Spiegelung realistischer Züge in Reagans außenpolitischem Ansatz. Ganz offen gesagt, halten wir nicht gerade den Atem an in der Erwartung, daß der neue US-Präsident seinen Standpunkt zum amerikanischsowjetischen Handel darlegt. Wir würden eine positive Haltung begrüßen. Aber die Sowjetunion hat andere Optionen offen, falls die Politik Carters dessen Präsidentschaft überdauert. Und wir verfügen selbst über ein starkes wirtschaftliches, wissenschaftliches und technologisches Potential, sowie über stabile und dynamische Wirtschaftsbeziehungen mit sozialistischen Ländern, mit vielen Entwicklungsländern, sowie blockfreien westlichen Staaten. Abgesehen davon glaube ich nicht, daß der amerikanischen Politik der Sanktionen eine Zukunft beschieden sein wird, läuft sie doch den entscheidenden Tendenzen der wirtschaftlichen Entwicklung in der modernen Welt zuwider. Die gesamte sich abzeichnende Haltung der Amerikaner gegenüber der Welt draußen steht mit der historischen Tendenz einer wachsenden gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und Verflechtung nicht in Einklang. Die Welt wird immer kleiner.
Ein einziges weltumfassendes Dorf also.
In gewisser Weise. Spinnt man diese Metapher weiter, so kann man hin- | |
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zufügen, daß das Leben in dem einen weltumfassenden Dorf, in dem jeder - was Ressourcen, Güter, Rohstoffe etc. anbelangt - auf seinen Nachbarn angewiesen ist, gegenseitige Mäßigung und Anpassung verlangt, sowie die Fähigkeit, die Interessen anderer zu berücksichtigen und mit ihnen auf gleichberechtigter Ebene zusammenzuarbeiten. Aber ich bin nicht sicher, ob sich Washington mit der Interdependenz in ihrer wahren Bedeutung abgefunden hat. In der wachsenden Abhängigkeit Amerikas von Rohstoffimporten, insbesondere vom Öl aus dem Nahen Osten, wurde eine unerträgliche Verletzbarkeit gesehen, die durch einen erneuten Rückgriff auf militarische Stärke und durch unverhüllten Druck überwunden werden sollte. Kurz gesagt, anstatt sich selbst zu ändern, um sich einer neuen Welt anzupassen, versuchen die Amerikaner jetzt, die Welt zu ändern, indem sie sie zwingen, die imperialen Ansprüche Amerikas zu akzeptieren.
Welche Haltung nimmt die Sowjetunion in der Frage der Interdependenz ein?
Wir glauben, daß es sich dabei um eine objektive und im allgemeinen gesunde Entwicklung handelt, die die Überlebenschancen der Menschheit erhöhen kann, ebenso wie die Chancen auf eine friedliche und vorteilhafte Zusammenarbeit auf der ganzen Welt. Die Frage ist nur, was die Basis dieser Interdependenz sein sollte. Wir sind fest davon überzeugt, daß sie nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens errichtet werden kann. Nur wenige würden wohl einer wirtschaftlichen Interdependenz zustimmen, wenn nicht garantiert wird, daß die Länder vor Ausbeutung, Einschüchterung und Erpressung geschützt sind. Aber natürlich setzt ein Fortschritt in dieser Richtung eine entsprechende politische Atmosphäre in der Welt voraus.
Sie haben vorhin erwähnt, daß selbst auf dem Höhepunkt der Entspannung das Erbe des Kalten Krieges im Bereich der Handelsbeziehungen besonders stark spürbar war. Ist das der Grund, warum das Volumen des amerikanisch-sowjetischen Handels in den siebziger Jahren ungefähr ein Fünftel Ihres Handels mit Finnland ausmachte, bzw. ein Zwanzigstel des amerikanisch-niederlandischen Handelsvolumens?
Sie haben ganz recht. Obwohl das Volumen des sowjetisch-amerikanischen Handels in den siebziger Jahren drastisch anstieg, nimmt sich, im Verhältnis zur Größe der Volkswirtschaften der beiden Länder, ihrer Außenhandelspotentiale und des Gesamtvolumens ihres Außenhan- | |
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dels, der Handel zwischen unseren beiden Staaten nahezu unbedeutend aus. Wir halten das für unnormal.
Könnten Sie genauer erklären, was eigentlich eine Ausweitung des amerikanisch-sowjetischen Handels verhinderte?
Das ist eine lange Geschichte, denn es gibt eine ganze Reihe von Hindernissen. Ich möchte mit dem Problem des Meistbegünstigtenstatus beginnen, der uns von Washington sogar auf dem Höhepunkt der Entspannung versagt wurde. Tatsächlich ist ‘Meistbegünstigtenstatus’ eine etwas irreführende Bezeichnung, weil das so klingt, als handle es sich um die Gewährung besonderer Vorteile. Und viele Amerikaner, darunter sogar einige Mitglieder des Kongresses, betrachten den Meistbegünstigtenstatus als etwas, das man entweder Amerikas besten Freunden als Belohnung oder anderen als Bonus für ihr Wohlverhalten zugesteht. Was die Leute im Zusammenhang mit der Meistgebünstigtenklausel irreführt, ist der diplomatisch höfliche Klang dieses Ausdrucks. Tatsächlich aber bedeutet, diesen Status einem Land zuzubilligen, nichts anders, als dieses Land hinsichtlich des Handels nicht schlechter zu stellen als alle anderen Länder auch. Anders ausgedrückt heißt dies, daß jenen Ländern, die diesen Status nicht haben, die Gleichbehandlung und bestimmte, weithin übliche Rechte vorenthalten werden, sie also diskriminiert werden. Verweigert man einem Land den Meistbegünstigtenstatus, so begeht man einen Akt der Feindseligkeit und bringt damit zum Ausdruck, daß man mit ihm keine normalen Beziehungen unterhalten will.
Ist denn die ganze Angelegenheit mit der Meistbegünstigtenklausel wirklich ein so gravierendes Hindernis für den sowjetisch-amerikanischen Handel? Es scheint, daß seine Bedeutung weitgehend symbolischer und politischer, nicht aber wirtschaftlicher Natur ist.
Nun, die symbolische und politische Bedeutung ist selbstverständlich gegeben. Daß sich die Amerikaner seit langem weigern, die UdSSR im Bereich des Handels mit anderen Partnern gleichzustellen, wurde zum Symbol dafür, daß uns Amerika diskriminiert, was unseren politischen Beziehungen sehr abträglich war. Jedoch ist der wirtschaftliche Aspekt ebenfalls wichtig. Das Fehlen dieses Status hat so hohe Schutzzölle auf sowjetische Waren zur Folge, daß wir sie entweder nur in kleinen Mengen oder überhaupt nicht verkaufen können, weil nicht gestattet wird, daß die Waren auf dem amerikanischen Markt auf der Grundlage gleicher Wettbewerbsbedingungen konkurrieren. | |
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Können Sie dazu einige Beispiele anführen?
Ein einfaches Beispiel ist russischer Wodka, der pro Flasche ungefähr zwei Dollar weniger kosten würde, hätten wir den Meistbegünstigtenstatus. Und natürlich geht es nicht nur um Wodka. Amerikanische Geschaftsleute haben Interesse daran gezeigt, sowjetische Produkte wie z. B. Flugzeuge des Typs ‘YAK-40’, Tragflügelboote, Kombiwagen des Typs ‘Lada’ Trakteren, Sportgewehre etc. zu importieren. Ohne Meistbegünstigtenstatus werden diese Waren aus der UdSSR jedoch zwei- bis viermal höher verzollt als die gleichen Waren aus anderen Ländern. Bei den YAK-40 Turbojets z. B. steigt der Zoll auf 30 Prozent des Preises an, was den Import dieser Güter von vomherein verhindert. So kommen also diese Verkäufe nicht zustande, was sowohl uns wie auch den Amerikanern schadet.
Ich verstehe, daß Sie aus Gründen des Handels Interesse am Meistbegünstigtenstatus haben, aber warum sollte das die Sorge der Amerikaner sein? Was würden sie dabei gewinnen?
Nun, der amerikanische Verbraucher verliert gegenwärtig dadurch, daß ihm einige Waren vorenthalten werden. Aber der wesentliche Punkt ist, daß man unsere Exporte beeinträchtigt und unter dieser Diskriminierung unsere Exporterlöse leiden, die ansonsten dazu verwendet werden könnten, unsere Importe aus den Vereinigten Staaten zu erhöhen. Größere sowjetische Importe aus Amerika hätten eine verbesserte Handelsbilanz der USA, mehr Arbeitsplätze und erhöhtes Einkommen zur Folge. Weiterhin besteht von Seiten der Amerikaner ein Interesse daran, daß wir unsere Schulden aus dem Leih-Pacht-Abkommen begleichen. Entsprechend dem amerikanisch-sowjetischen Handelsabkommen von 1972 ist die Begleichung an die Normalisierung unserer Handelsbeziehungen gekoppelt.
Welche weiteren Handelshindernisse gibt es?
Das zweite bis heute ungelöste Problem ist das der langfristigen Kredite. Die Kredite der Export-Import-Bank wurden 1975 drastischen Einschränkungen unterworfen. Ironischerweise war der Zweck, zu dem dieses Institut am Ende des Zweiten Weltkrieges eigens gegründet wurde, kein anderer als die Kreditvergabe an die UdSSR. Genauso wie in der Meistbegünstigtenklausel, so wird auch in diesen Krediten in den USA häufig ein besonderer Vorteil gesehen, den sich die Sowjetunion erst | |
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noch durch das eine oder andere politische Zugestandnis verdienen muß. Aber solche Kredite, durch die große Geschäftsabschlüsse erleichtert werden, sind ein althergebrachter Teil ganz normalen Geschäftsgebarens und sowohl für den Kreditgeber wie auch für den Schuldner von Nutzen. Nebenbei gesagt, schadete die Entscheidung von 1975, die Kredite der Export-Import-Bank zu kürzen, vor allem den amerikanischen Finnen, die kurz vor dem Abschluß großer Geschäfte standen, die auf solchen Krediten aufbauten. Weil ihnen die Regierungskredite vorenthalten wurden, erlitten diese Firmen bei den Geschäften mit der UdSSR Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren europäischen Konkurrenten. Heute haben wir stabile und im Wachsen begriffene Kreditbeziehungen mit vielen westeuropäischen Ländern und Japan. Ein gutes Beispiel dafür ist das große Röhrengeschäft auf Kreditbasis mit Westdeutschland und einigen anderen Ländern. Zwischen 1976 und 1980 konnten mit Hilfe dieses Geschäfts 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas für unseren einheimischen Bedarf gewonnen werden, und fast die gleiche Menge stand für den Export nach Westeuropa zur Verfügung.
Die Amerikaner bedauern wahrscheinlich, daß ihnen so umfangreiche Geschäfte entgingen.
Gut möglich. Auf jeden Fall versuchen sie oftmals, solche entgangenen Geschäfte zu kompensieren, daß sie unseren Partnern Schauermärchen über eine angebliche sowjetische Zahlungsunfähigkeit erzählen.
Aber die Verschuldung Ihres Landes dem Westen gegenüber ist in der Tat ziemlich beträchtlich.
Das ist ein weiteres Klischee, das die wirkliche Lage verzerrt. Zunächst einmal sollte unsere Verschuldung im Vergleich zu der anderer Länder gesehen werden. Dann erscheint sie nämlich keineswegs mehr ungewöhnlich hoch. Aufgrund der komplexen Natur moderner ökonomischer Beziehungen ist jeder bei irgend jemand verschuldet. Wir selbst erhalten nicht nur Kredite, sondern gewähren auch vielen Ländern welche. Die wachsende gegenseitige Verschuldung ist eine der objektiv vorhandenen Tendenzen im Welthandel, bedingt durch die lange Dauer des Investitionsprozesses und andere Gründe. Heute werden fast 70 Prozent des internationalen Handels auf dem Maschinen- und Investitionsgütersektor auf Kreditbasis abgewickelt. Das gleiche gilt auch für unseren eigenen Export von Maschinen und Investitionsgütern. Mit anderen Worten, unser Außenhandel stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme von der weltweit üblichen Praxis dar. Außerdem verfügen wir über ausrei- | |
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chende Ressourcen und eine entsprechende Leistungsfähigkeit, um unseren finanziellen Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen. All das wissen unsere Handelspartner in Westeuropa und Japan sehr wohl, weshalb sie auch, was unsere Zahlungsfähigkeit anbelangt, keinerlei Zweifel haben.
Was verhindert darüber hinaus eine Ausdehnung des sowjetisch-amerikanischen Handels?
Nicht zuletzt gibt es da noch das Kontrollsystem für US-Exporte. Erstmals 1949 als ein Hauptinstrument der Politik des Kalten Krieges eingeführt, enthält es ein ausgefeiltes System von Handelsbarrieren, angefangen bei den Listen ‘strategischer Güter’ bis hin zu einem absichtlich kompliziert gehaltenen System der Exportlizenzen. Nur um einen Eindruck davon zu vermitteln, zu welch lächerlichen Ergebnissen das System führte: Zu den stategischen Gütern, deren Ausfuhr in die UdSSR verboten war, gehörten Dinge wie falsche Bärte, Perücken, Grabzäune, Büroklammern, Knöpfe und sogar Baseballschläger, letztere deshalb, weil sie für die Aufrechterhaltung der Moral unserer Trappen als wesentlich erachtet wurden. So mußten wir also all die Jahre lang ohne amerikanische Baseballschläger auskommen, was aber glücklicherweise unsere Soldaten nicht allzu sehr demoralisiert hat, da sie ohnehin nicht Baseball spielen.
Ist dieses sonderbare System noch in Kraft?
Nun, mit der Beendigung des Kalten Krieges wurde es merklich modifiziert, vor allem durch das ‘Export Administration Act’ genannte Gesetz von 1969. Obwohl man bestimmte gesetzliche Vorschriften liberalisierte, wurde das Grandschema der Exportkontrolle beibehalten. Die Carter-Administration versuchte, diesem alten System neues Leben einzuhauchen. Und zwar nicht nur im Hinblick auf den amerikanischen Handel, sondern auch was die Handelsbeziehungen der Verbündeten betrifft.
Sprechen Sie von COCOM, dem Nato-Ausschuß zur Koordinierung der Exportkontrolle?
Ja, von COCOM und auch von dem auf westeuropäische Regierungen verstärkt ausgeübten Druck. | |
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Maßnahmen zur Exportkontrolle werden normalerweise mit nationalen Sicherheitsinteressen begründet.
Ja, obwohl ich nicht glaube, daß irgendeine verantwortungsbewußte Regierung es je zu einer Situation kommen ließe, in der die Verteidigung ernstlich vom Handel mit einem potentiellen Gegner abhängen würde. Wir haben, soweit ich weiß, nie Anstrengungen untemommen, von den USA Minutemen-Raketen, Panzer oder auch nur Gewehre zu kaufen. Der Westen weiß ganz genau, daß wir vollkommen in der Lage sind, selbst herzustellen, was immer für unsere Verteidigung benötigen. Nebenbei gesagt, betrachtet man die Sache genauer und analysiert, was wir in westliche Länder, die USA inbegriffen, exportieren, so wird man darunter Güter finden, die uns die Vereinigten Staaten nie verkauft hätten.
Welche zum Beispiel?
Nun, wir haben Titan verkauft, wir verkaufen Chrom, Palladium, Mangan, natürliche und synthetisch hergestellte Diamanten sowie Lizenzen für neue Technologien zur Verarbeitung von Aluminium. Den Verkauf von Diamanten an die UdSSR hatten, nebenbei gesagt, die USA seit jeher verboten, was ein Grund dafür war, daß wir unsere geologischen Untersuchungen beschleunigt vorantrieben, mit dem Ergebnis, daß wir umfangreiche Diamantvorkommen in Sibirien entdeckten. Wir stellen auch synthetische Diamanten in großem Umfang her und exportieren sie selbst in die USA. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Vor kurzem vergaben wir an amerikanische Firmen Lizenzen für die Herstellung von Nachbrennem für Turbostrahltriebwerke sowie für Walzwerke feür dünnwandige Rohre, beides für militärische Zwecke durchaus verwendbar. In Wirklichkeit ist das ganze Spielchen der strengen Beschränkungen der Exporte in die UdSSR, die angeblich dazu dienen, unsere Rüstungsindustrie zu beeinträchtigen, nur ein Vorwand. Dahinter steekt eine ganz andere Argumentation, die einige amerikanische Politiker in den Vordergrund stellen, nämlich die, daß durch diese Restriktionen unserer Wirtschaft insgesamt Schaden zugefügt werden könnte.
Es scheint, daß es in den USA zwei Hauptrichtungen in der Einstellung zum Handel mit der UdSSR gibt. Nach der einen sollte man die UdSSR und ihr Gesellschaftssystem im eigenen Saft schmoren lassen - warum auch sollte Amerika den Russen helfen, ihre Engpässe zu beseitigen? Nach der anderen sollte Washington darauf hinarbeiten, die UdSSR wirtschaftlich von Amerika abhängig zu machen. | |
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Nach meiner Ansicht sind beide Einstellungen nicht nur feindselig uns gegenüber, sondent auch trügerisch. Die Vertreter der ersten unterstellen mit der ihnen eigenen Arroganz, daß wir ohne Amerika mit unseren sogenannten Engpässen nicht fertig werden. Wenn wir aber über ernste Probleme sprechen, dann erwarten wir nicht, daß die Amerikaner sie für uns lösen. Alle Länder, auch die Vereinigten Staaten, müssen ihre wichtigsten wirtschaftlichen Probleme weitgehend selbst lösen. Das wir in der Lage sind, uns auf unsere eigene Kraft zu verlassen, solite niemand in Zweifel ziehen. Im Verlauf unserer Geschichte haben wir es geschafft, auch sehr viel ernstere Schwierigkeiten ohne amerikanische Hilfe zu überwinden. Wir haben manchmal das Gefühl, daß, über längere Zeit hinweg gesehen, die vom Westen verhängte Blockade oder Teilblockade sich mitunter zu unseren Gunsten ausgewirkt hat - nämlich als ein zusätzlicher Anspom für uns, bei der Entwicklung bestimmter Schlüsselindustrien unserer Wirtschaft schneller und wirkungsvoller voranzuschreiten.
Was ist zur zweiten Einstellung zu sagen?
Diese Haltung gegenüber der Sowjetunion ist ebenfalls ziemlich sonderbar. Man fragt sich nur, warum in aller Welt wir uns erst in die Abhängigkeit begeben sollten, damit wir westliche Technologie erhalten, um dann zuzulassen, daß der Westen dies gegen uns ausspielen kann. Das Erstgeburtsrecht gegen 30 Silberlinge einzutauschen, ist kein guter Handel.
Aber Sie haben doch ernste wirtschaftliche Problème.
Nun, wir haben Probleme in einigen Branchen unserer Industrie und im Transportwesen. Über diese Probleme wird in unserem Land offen gesprochen. Ein Problem ist, daß wir den technologischen Fortschritt beschleunigen müssen. Auch gibt es Schwierigkeiten beim Transfer der Technologie: das Problem dabei ist aber nicht der Transfer westlicher Technologie in die sowjetische Industrie, sondern die raschere und effektivere Einführung unserer eigenen neuen Technologie in unsere gesamte Wirtschaft. Wir bemühen uns nach Kräften, die Lücke zwischen der Forschung und der praktischen Anwendung ihrer Ergebnisse zu schließen, und ich bin sicher, daß uns dies gelingt. Übrigens werden die Leistungen unserer Wissenschaft und Technik allgemein anerkannt. Wir verkaufen eine Menge Lizenzen ins Ausland, das jüngste Beispiel dafür ist die Lizenzvergabe an die amerikanische Indu- | |
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strie über 30 moderne energietechnologische Verfahren, die im wesentlichen magnetohydrodynamische Techniken betreffen. Deshalb glaube ich, daß, ganz abgesehen von der Feindseligkeit gegen die Sowjetunion, beide Denkrichtungen ziemlich naiv und wirklichkeitsfremd zu sein scheinen. Sie vergessen einfach, was für ein Land wir im Laufe der Jahre geworden sind. Oder, um es genauer zu sagen, sie vergessen es Solange, bis über die Finanzmittel für das amerikanische Militär diskutiert wird. Dann spricht plötzlich jeder von hervorragenden, modernen, ja sogar überlegenen sowjetischen Raketen, Kriegsschiffen, Panzern und Flugzeugen.
Um auf die Haupthindernisse für eine Normalisierung des sowjetisch-amerikanischen Handels zurückzukommen - glauben Sie nicht, daß es ziemlich akademisch ist, heute über diese Hindernisse zu sprechen, nachdem es doch ohnehin keine Chance für ihre baldige Beseitigung gibt?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn wir zu einer klaren Perspektive kommen wollen und über die Zukunft nachdenken, dann sollten wir all dies berücksichtigen. Sobald diese Probleme wieder an der Tagesordnung sind, wird ihre Lösung unumgänglich, um zu einer Normalisierung unserer Handelsbeziehungen zu gelangen und ganz allgemein die Hindernisse aus der Zeit des Kalten Krieges aus der Welt zu schaffen. Lassen Sie es mich wiederholen: Wir bitten nicht um Almosen oder Gefälligkeiten. Alles, was wir wollen, ist eine normale und faire Behandlung durch die andere Seite.
Die Entwicklung des Handels und der Wirtschaftsverbindungen wird aber tatsächlich sehr oft als eine Art westlicher Hilfeleistung für den Osten aufgefaßt. Gerade das macht sie auch bei Veränderungen der politischen Situation so verwundbar. Deshalb ja auch die Schwierigkeiten der letzten Jahre.
Die Vereinigten Staaten verhaken sich keineswegs so, wenn es um den Handel mit anderen Ländern geht. Innerhalb des Westens sehen die Beziehungen zwischen Käufern und Verkäufern, zwischen den Banken und ihren Kunden ganz anders aus und haben nichts mit Barmherzigkeit oder Gefühlen zu tun. Aber wir bauen auch gar nicht auf amerikanische Hilfe. Es würde schon genügen, würden sie darauf verzichten, uns Schaden zuzufügen. | |
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Was meinen Sie mit ‘Schaden zufügen’?
In erster Linie, daß sie uns das Wettrüsten aufzwingen. Die Logik, die dahintersteht, ist ganz einfach: Die USA haben ein größeres Bruttosozialprodukt; deshalb - so argumentiert man in Washington - muß die Sowjetunion, will sie ein vergleichbares militärisches Potential unterhalten, eine schwerere Bürde auf sich nehmen, wodurch ihrer Wirtschaft Schaden zugefügt oder sie sogar ruiniert wird. Ganz ehrlich gesagt, ich vermute, daß das eines der Ziele geworden ist, denen die amerikanischen Anstrengungen, das Wettrüsten zu beschleunigen, gelten.
Zum Beispiel?
Beispielsweise lautet eines der Hauptargumente, das die amerikanischen Militärs für die Bomber des Typs B-1 und für die Marschflugkörper bei Hearings vor dem Kongreß anführten, diese Waffensysteme würden dazu beitragen, die sowjetische Wirtschaft auszuzehren, sähe sich doch die Sowjetunion dadurch gezwungen, ein neues und sehr teures Luftabwehrsystem aufzubauen. So lächerlich das auch klingen mag, aber womöglich werden gerade deshalb, weil in den USA solche Überlegungen zur Routine geworden sind, der Sowjetunion manchmal ähnliche Absichten unterstellt.
Ist das Ihr Ernst?
Ja, ich erinnere mich, wie die Senatoren Stuart Symington und Charles Mathias, bewaffnet mit Zitaten von Marx und Lenin, nach Kräften versuchten, die Kommunisten als diejenigen hinzustellen, die eine militärische Aufrüstung Amerikas fördem würden, um dadurch den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus zu betreiben. Sie hörten sich wirklich sehr überzeugend an, als sie aufzeigten, wie ein fortgesetztes, uneingeschränktes Wettrüsten die amerikanische Wirtschaft zerstören könnte; jedoch kann ich den beiden Herren versichern, daß - falls das eintreten sollte - weder Marx noch Lenin damit etwas zu tun haben werden. Sie müssen dann schon die Schuld bei ihrem eigenen, ach so patriotischen, militärisch-industriellen Komplex suchen.
Der sowjetisch-westdeutsche Handel wuchs zwischen 1970 und 1978 um mehr als das Sechsfache an. Ein Beispiel für Amerika?
Sicher. Die Bundesrepublik wurde unser größter Handelspartner im kapitalistischen Westen, obwohl es erst ein Jahrzehnt her ist, daß wir auf | |
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sehr niedrigem Niveau begannen. Solch ein Durchbruch wurde erst im Klima der Entspannung möglich, und umgekehrt wurde der Handel ein überaus wichtiger stabilisierender Faktor in unseren politischen Beziehungen. 1978 schlossen wir ein Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und industriellem Gebiet, das eine Laufzeit von 25 Jahren vorsieht, womit unsere Wirtschaftsbeziehungen auf eine geordnete, langfristig geplante Grundlage gestellt wurden. Unsere Wirtschaftsverbindungen sind mannigfacher Art und für beide Seiten von Nutzen. Es sind mehr als 1500 westdeutsche Firmen daran beteiligt, und mehr als 500 000 Arbeitsplätze werden nach jüngsten Schätzungen der Bundesregierung dadurch gesichert. Das ist also ein wirklich hervorragendes Beispiel für gesunde Handelsbeziehungen.
Ihre Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik sind möglicherweise ein Sonderfall, dessen Wurzeln in der Geschichte und der Tradition beider Lander liegen. Ist dieses Beispiel wirklich auf andere Länder übertragbar?
Selbstverständlich. Unser Handel mit Frankreich z. B. stieg zwischen 1971 und 1979 um mehr als das Fünffache, der mit Japan um nahezu das Vierfache. Langfristige Abmachungen - ähnlich jenen mit der Bundesrepublik - regeln unseren Handel mit Frankreich und Finnland bis zum Jahre 1990. Unser Handel mit Italien nimmt ebenfalls rapide zu. Beispielsweise unterzeichneten wir mit einem Konsortium italienischer Firmen einen Vertrag zum Bau mehrerer Chemiewerke in der UdSSR, mit einem Gesamtvolumen von 800 Millionen Dollar. Es gibt auch enge Zusammenarbeit auf den Gebieten der Forschung und der Entwicklung technischer Projekte, vor allem im Bereich der Chemie und Elektronik, z.B. mit Westdeutschland und Italien. Und schlieBlich leisten auch wir beträchtliche technische Unterstützung beim Bau industrieller Projekte in westlichen Ländem. Um nur einige Beispiele zu nennen: In den vergangenen Jahren half die Sowjetunion beim Bau eines Atomkraftwerks in Finnland, der Errichtung eines Hüttenkomplexes in Frankreich sowie dem Bau von Wasserkraftwerken in Kanada und Norwegen.
Wenden wir uns nun den sowjetischen Wirtschaftsproblemen zu. Der CIA veröffentlicht regelmäßig Berichte, wonach sich die wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion verschlechtert, und das Außenministerium beeilt sich jeweils, dem hinzuzufügen, der Kreml zeige aufgrund dieser Verschlechterung neuerliches Interesse an der Entspannung. | |
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In den 63 Jahren unseres Bestehens haben wir so viele pessimistische Vorhersagen über unsere Zukunft ganz allgemein und unsere Wirtschaft im besonderen zu hören bekommen, daß ich mich frage, wie solche Vorhersagen immer noch auch nur die geringste Glaubwürdigkeit haben können. Ja, wir haben einige ökonomische Probleme. Aber gleichzeitig entwickelt sich unser Land stetig weiter. Unsere Wachstumsraten liegen auf einem Niveau, das man nach westlichem Standard mindestens als normal bezeichnen muß. Wir haben in unserer ganzen Geschichte nicht eine einzige wirtschaftliche Rezession erlebt. Im Verlauf der siebziger Jahre ist in der UdSSR das Realeinkommen pro Kopf der Bevölkerung um 50 Prozent angestiegen, und gleichzeitig konnten 40 Prozent der Bevölkerung neue und bessere Wohnungen beziehen.
Das hört sich recht optimistisch an. Aber sind nicht die Wachstumsraten sowohl Ihres Bruttosozialprodukts wie auch Ihrer Industrieproduktion in den siebziger Jahren stark zurückgegangen?
Sie sind etwas zurückgegangen. Dennoch waren sie in den siebziger Jahren fast zweimal so hoch wie in den USA.
Wie steht es mit der Landwirtschaft? Sie wird im Westen oft als ein totales Fiasko dargestellt.
Das ist einfach nicht wahr. Wir haben immer noch ernste Probleme im Bereich der Landwirtschaft. Jedoch handelt es sich hier um einen Zweig unserer Volkswirtschaft, der sich in einem besonders raschen und grundlegenden Entwicklungsprozeß befindet. Allein in den letzten fünf Jahren haben wir 172 Milliarden Rubel für Investitionen in der Landwirtschaft aufgewendet, das entspricht ungefähr 25 Prozent des gesamten Staatshaushalts. Die Erzeugung der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte hat stetig zugenommen, wenn auch langsamer, als wir das gerne hätten.
Erwarten Sie, daß diese Getreideexporte aus dem Brotkorb Amerikas, dem Mittleren Westen, unbegrenzt weitergehen?
Diese Frage hat zwei Seiten. Eine betrifft die Unzuverlässigkeit der USA als Partner, die andere unsere Bedürfnisse und Pläne. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir umfassende landwirtschaftliche Programme in die Wege geleitet, durch die uns Getreide in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen wird. Das betrifft ohnehin nur Futtergetreide, da das Problem des Brotgetreides seit langem gelost ist. Geht man aber von normalen, zuverlässigen, politischen und wirtschaft- | |
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lichen Beziehungen mit den USA aus, so würde das nicht bedeuten, daß der Getreidehandel damit zu Ende geht. Mais und Sojabohnen werden unter den amerikanischen Witterungs- und Klimabedingungen immer besser gedeihen als unter unseren. Aufgrund der Transportkosten wäre es auch billiger, Getreide aus den westlichen Teilen der USA und Kanadas in die entfernten östlichen Gebieten der UdSSR einzuführen, anstatt es von unseren getreideproduzierenden Gebieten im europäischen Teil und in Kasachstan durch das ganze Land dorthin zu transportieren. So bestehen auch weiterhin gute Gründe für einen solchen Handel, obwohl ich sicher bin, daß es in dem Maße, in dem sich unsere Landwirtschaft weiterentwickelt, immer seltener zu massiven Einkäufen kommen wird.
Ein weiterer schwacher Punkt der sowjetischen Wirtschaft, auf den man im Westen erst in allerjüngster Zeit aufmerksam wurde, ist die bevorstehende Energieknappheit. Sie wurde zum Gegenstand spezieller CIA-Berichte, deren Ergebnisse von Experten und von der breiten Öffentlichkeit lebhaft diskutiert werden. Was halten Sie davon?
Nun, auf lange Sicht wird sich sogar Saudi-Arabien mit der Energieknappheit konfrontiert sehen. Das ist lediglich eine Frage der Zeit. Wenn man jedoch bei der Erörterung dieser Frage einen Vergleich mit anderen Ländern anstellt, dann befindet sich die Sowjetunion in einer ziemlich guten, verglichen mit den meisten Industrieländern sogar ausgezeichneten Lage. Unsere Ölreserven sind nach wie vor ganz erheblich, und unsere Pläne sehen für die achtziger Jahre einen Anstieg der Ölproduktion vor. Zusätzlich verfügen wir über ungeheuere Kohlevorkommen. Nach jüngsten Schätzungen unserer Energieexperten belaufen sich die gesicherten Kohlevorkommen der UdSSR auf 5710 Milliarden Tonnen und die vermuteten Erdgasvorkommen auf ungefähr 150 Billionen Kubikmeter. Rechnet man das Öl hinzu, so ergibt sich, daß diese Vorräte noch sehr lange ausreichen, selbst bei dem geschätzten Wachstum unseres Energieverbrauchs, der sich bis zum Jahr 2000 mehr als verdoppeln wird; dieses Bild wird noch verstärkt, wenn man berücksichtigt, daß das Öl nur 35 Prozent unseres Energiebedarfs deckt, verglichen mit fast 50 Prozent in den Vereinigten Staaten.
Samuel Huntington schrieb in dem Magazin Foreign Policy, daß die sowjetische Erdölproduktion ohne die jüngsten Technologieimporte um 10-15 Prozent niedriger wäre als heute.
Diese Rechnung erscheint mir sehr zweifelhaft, und ich weiß nicht, wor- | |
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auf sie beruht. Tatsache ist, daß wir ungefähr 20 Prozent unseres Öls exportieren und daß diese Lieferungen recht wichtig sind - nicht nur für Osteuropa, sondern auch für Länder wie Italien, Westdeutschland und Frankreich. Selbst wenn Huntington recht hätte - was selten genug der Fall ist - wäre in dieser Steigerung eher ein Segen für Westeuropa zu erblicken, als ein Rettungsring für die sowjetische Wirtschaft. Und was ist schon generell schlecht am Handel mit den Vereinigten Staaten und den anderen Ländern, der uns hilft, die Ölförderung bis zu einem gewissem Grad zu steigern? Was ist denn wirklich falsch daran? Das hat nicht nur uns geholfen, sondern anderen genauso, einschließlich der Verbündeten der Amerikaner und, indirekt, nämlich durch ein erhöhtes Angebot auf den Ölmärkten, sogar den Amerikanern selbst. Ganz allgemein scheint die Haltung der Vereinigten Staaten in diesem Punkt sehr widersprüchlich zu sein. Einerseits ist in CIA-Berichten von unserer angeblichen Ölknappheit die Rede, verbunden mit massiven Warnungen, daß sich diese Situation zu einer Hauptquelle der internationalen Spannungen entwikkeln wird; wobei man davon ausgeht, daß sich die UdSSR durch ihre angebliche Ölknappheit genötigt sieht, um das Öl aus dem Nahen Osten zu konkurrieren, bzw. es einfach in Beschlag zu nehmen. Wenn sie solche Überlegungen anstellen, sollten die Amerikaner eigentlich an einem Ansteigen der sowjetischen Erdöl- und Erdgasförderung interessiert sein, dies umsomehr, als das dazu beitragen würde, die Nachfrage auf dem Ölmarkt zu beruhigen und die Ölpreise niedriger zu halten, ganz zu schweigen davon, daß die Chancen, sowjetisches Öl und Gas direkt zu importieren, steigen würden. Andererseits aber stellen die Amerikaner, sobald sie an unserer Außenoder Innenpolitik etwas mißbilligen, dem Verkauf spezieller Technologie neue Hindernisse in den Weg, wie etwa im Fall der Ausrüstungen für Erdölbohrungen.
Ihr ehemaliger stellvertretender Ministerprasident und Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Technologie des Ministerrats der UdSSR, Wladimir Kirillin, hat mir versichert, daß nach seiner Meinung die Energieversorgung auf der Welt für weitere 100 bis 150 Jahre gesichert sei.
Ohne Zweifel ist Kirillin ein Experte auf diesem Gebiet. Er hat dabei, glaube ich, in erster Linie von den Gesamtvorräten an Energieträgern gesprochen. | |
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Fahren wir fort, Ihre wirtschaftlichen Probleme zu diskutieren. Der Bürokratismus scheint für die Sowjetunion ein Quell immerwahrender Sorgen zu sein.
Einer der Gründe ist das unentwegte Anwachsen von organisatorischen Strukturen, das diese für bürokratische Tendenzen anfälliger werden läßt. Das scheint ein weitverbreitetes Problem sowohl hier wie auch im Westen zu sein. Ein weiterer Grund ist nach meiner Ansicht die bürokratische Tradition Rußlands, die Jahrhunderte zurückreicht. Lenin maß dem Kampf gegen diese Tradition große Bedeutung bei, dem Kampf gegen den bürokratischen Stil in der Regierung, der nicht nur der Effektivität der Regierungsarbeit schadete, sondern - was vielleicht noch wichtiger ist - auch den Unternehmungsgeist des Durchschnittsbürgers beeinträchtigte.
Wird in der Sowjetunion offiziell zur Kenntnis genommen, daß der Bürokratismus ein Problem ist?
Und ob. Das wird nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch als etwas gesehen, was nicht geduldet werden kann, etwas, das ausgemerzt werden kann und muß. Hierzu ein Zitat aus einer kürzlich gehaltenen Rede von Generalsekretär Breschnew: ‘Je schwerer es für den Bürokraten ist, in unserer Gesellschaft zu überleben, desto ausgefeilter werden seine Methoden, sich der Veränderung anzupassen und sich ein neues Äußeres zuzulegen. Aber das Wesen bleibt das gleiche - die Substanz der Arbeit wird ihrer äußeren Form geopfert, der Bürokrat vernachlässigt die Interessen des Staates, die Interessen der Gesellschaft und die Interessen des Volkes, um der Interessen seines Amtes willen...’
Was wird konkret zur Eindämmung eines einseitig bürokratischen Vorgehens gegen nahezu jegliche persönliche Initiative getan?
Ja, es gibt bei uns Bürokratie, und sie neigt dazu, persönliche Initiative zu erschweren. Ihre Frage erweckt jedoch den falschen Eindruck, in unserem Land regiere die Bürokratie, während jegliche private Initiative unterdrückt wird. In Wirklichkeit sprechen wir aber in diesem Zusammenhang nicht vom System als solchem, sondern von Erscheinungen, die eine Verzerrung darstellen, selbst wenn diese nicht gerade selten vorkommen. Die Beamten in den Behörden werden für bürokratisches Verhalten bestraft: im Rang zurückgestuft oder aus der Partei ausgeschlossen. | |
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Für welches bürokratische Verhaken im besonderen?
Beispielsweise, wenn Beschwerden über wirtschaftliche Mißstande oder Gesuchen nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Erst kürzlich wurden zwei Sekretäre eines Bezirksparteikomitees aus ihren Ämtern entfernt, ganz zu schweigen von Beamten in niedrigeren Positionen. Eine weitere wesentliche Tendenz ist es, die öffentliche Meinung dahingehend zu beeinflussen, daß sie bürokratisches Verhalten nicht toleriert. Man hört selten eine Rede von führenden Persönlichkeiten, in der dieses Problem nicht angesprochen würde. Gleichzeitig wird persönliche Initiative in jeder Weise ermutigt. 1979, beispielsweise, faßten das Zentralkomitee der KPdSU und der Ministerrat der UdSSR einen speziellen Beschluß zu Fragen von Planung und Management, der Anspom für eine ganze Reihe spezifischer Maßnahmen war, welche die Entscheidungen in Industrie und Landwirtschaft betreffen, wodurch für umfangreiche Vorkehrungen gesorgt wurde, die landwirtschaftliche Produktion auf privatbewirtschaftetem Boden zu ermutigen.
Marshall Goldman vom ‘Soviet Research Center’ in Harvard sagte mir, er finde, daß die Prognosen des CIA, in denen dieser wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Sowjetunion heraufziehen sieht, allzu oft im Widerspruch zu den Tatsachen stünden.
Es überrascht micht nicht, wenn die Leute immer wieder Beweise dafür finden, daß Berichte, die aus nachrichtendienstlichen Quellen stammen, einem ganz anderen Zweck dienen als dem, die Öffentlichkeit über die Realitäten zu informieren. Mir ist klar, daß es ein wichtiges Ziel solcher Berichte ist, den Amerikanern zu Zeiten, in denen ihre eigene Wirtschaft in tiefen Schwierigkeiten steckt, Mut zuzusprechen. Es ist eines der Rätsel der menschlichen Psyche, daß es irgendwie immer leichter ist, die eigene Last zu tragen, wenn man meint, daß es dem Nachbarn noch schlechter geht. Solche Berichte sind auch dazu da, ein düsteres Bild von der Sowjetunion und ihrer Zukunft zu malen. Tatsächlich ist es so, daß die politisch bedingte Fehlerhaftigkeit dieser pessimistischen Vorhersagen über unsere Wirtschaft oft sogar von offiziellen Stellen der USA anerkannt wird. Erinnern Sie sich an den CIA-Bericht von 1977 über die Energiesituation in der UdSSR?
Sie meinen die Vorhersage, daß Sie in den achtziger Jahren mehr Erdöl importieren müssen, als Sie exportieren werden? | |
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Ja. Der US-Kongreß entschloß sich, die Aussagen des CIA zu überprüfen - im Kapitol war man zu jener Zeit noch in einer Stimmung, in der man Nachprüfungen anstellte -, und die Experten fanden heraus, daß die CIA-Prognose nicht nur falsch war, sondern eindeutig politisch motiviert, um die Situation zu dramatisieren, in der Absicht, für Präsident Carters Energieprogramm Unterstützung zu mobilisieren. Oftmals wurden die Kampagnen, die die ‘wirtschaftliche Schwäche’ der UdSSR zum Gegenstand hatten, auch noch aus anderen Überlegungen heraus betrieben - man wollte beweisen, daß unser Zusammenbruch kurz bevorstehe, um damit jene Politik rational zu begründen, die es darauf anlegte, durch fortgesetzte Ausübung von Druck ein solches Ergebnis schneller herbeizuführen. Auch sollte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, es sei sinnlos, überhaupt an eine Koexistenz mit der Sowjetunion auf demselben Globus zu denken, da es diese ohnehin bald nicht mehr geben würde. Mehr als einmal wurde der Westen, indem er sich selbst etwas vorgaukelte, ein Opfer seiner eigenen Propaganda.
Geschieht das Ihrer Ansicht nach auch jetzt wieder?
Oh ja. Wir verleugnen nicht, daß wir Probleme haben - und welches Land hat wohl schon keine -, aber, um zu einem realistischen Bild der sowjetischen Wirtschaft zu gelangen, sollte man nicht nur die Probleme und Schwierigkeiten sehen. Wir können, wenn wir Bilanz ziehen, einige recht eindrucksvolle Erfolge anführen. Da ist einmal die in der Geschichte beispiellose Umwandlung des rückständigen, armen und vorwiegend agrarischen Rußlands in die zweitgrößte Industriemacht der Erde innerhalb von nur einem Menschenalter. In diesem Zeitraum wurde unsere Wirtschaft zweimal zerstört - zuerst durch den Bürgerkrieg und dann durch den Zweiten Weltkrieg - aber beide Male hat das sowjetische Volk sie auf den Ruinen neu aufgebaut. Das stellt fürwahr selbst märchenhafte Heldentaten in den Schatten. Hat es nicht auch enorme Verbesserungen für die ethnischen Minderheiten gegeben, deren Lebensstandard, Lebenserwartung und Bildungsstand auf das Niveau des übrigen Landes angehoben wurde? Sind die Neuerungen im Wohnungswesen, die wahrhaftig einer Revolution gleichkommen, oder die gigantischen Öl- und Gasprojekte in Westsibirien etwa nichts? Wir waren die ersten, die eine nationale Wirtschaftsplanung und eine umfassende Sozialpolitik einführten. Es ist zu einem nicht unerheblichen Teil der Wirkung des sowjetischen Beispiels zuzuschreiben, daß für die arbeitende Bevölkerung im Westen heutzutage der Achtstundentag gilt, | |
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daß es die Sozialversicherung, die Arbeitslosenunterstützung, den bezahlten Urlaub und die gesetzliche Verankerung der Gewerkschaften und ihrer Rechte gibt - Dinge, die noch vor einem halben Jahrhundert, wenn nicht gar in noch jüngerer Zeit, in einem Atemzug genannt wurden mit subversiven Tätigkeiten. Ich erinnere mich an die Worte Theodore Dreisers, nachdem das ‘Social Security Bill’ 1935 als US-Gesetz in Kraft trat: ‘Dafür danke ich Karl Marx und dem Roten Rußland’. Und selbst ein so unvoreingenommener, nichtmarxistischer Beobachter wie Arnold Toynbee räumt ein, daß die UdSSR eine wichtige Rolle daßei spielte, sahen sich doch die westlichen Länder dadurch die Existenz der Sowjetunion dazu gezwungen, ‘Dinge zu tun, die sie eigentlich immer schon tun hätten sollen...’Ga naar eind2
Sie mögen den Ansporn dafür geliefert haben, daß es im Westen zu größeren Fortschritten gekommen ist, als es sie ohne die UdSSR gegeben hätte, aber dennoch liegen Sie in vieler Hinsicht hinter dem Westen zurück.
Nun, manche Waren sind noch knapp, und die Auswahl in den Geschäften ist begrenzter als im Westen. Der Dienstleistungsbereich läßt viel zu wünschen übrig, und der allgemeine Lebensstandard ist bis jetzt noch niedriger als in einigen anderen Ländern. Ich schäme mich nicht, das zuzugeben.
Ihre Aufrichtigkeit ehrt Sie. Könnten Sie mehr dazu sagen?
Ich schäme mich nicht, diese Mangel einzugestehen, weil sie vor allem durch unsere schwierige geschichtliche Vergangenheit zu erklären sind, lebte doch unser Volk die meiste Zeit unter unglaublich harten Bedingungen und mußte sich deshalb auf das Allernotwendigste beschränken. Eine Folge war, daß wir uns nicht nur mit dem Problem einer unzureichend entwickelten Konsumgüterindustrie konfrontiert sahen, bzw. anderen Konsequenzen, die sich aus dem chronischen Investitionsmangel im Bereich der Landwirtschaft, des Wohnungsbau, des Einzelhandels und der Dienstleistungsbetriebe ergaben, sondern auch mit einer besonderen Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber diesen Bereichen, denen sie nachgeordnete Bedeutung beimaß. Erst jetzt können wir damit anfangen, diese Tradition zu überwinden, und es hat sich, nebenbei gesagt, erwiesen, daß das keine leichte Aufgabe ist.
Aber die Dienstleistungen sind immer noch ziemlich schlecht.
Was sollte man anderes erwarten? Tatsächlich kamen wir erst in den | |
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letzten 10,20 Jahren allmählich in den Genuß eines gewissen Luxus, und zwar zum ersten Mal im Verlauf unserer Geschichte.
An welche Art Luxus denken Sie?
Zum Teil handelt es sich um recht elementare Dinge. Aber lassen Sie mich, bevor ich ins Detail gehe, folgendes betonen: Immer, wenn man den Lebensstandard in der Sowjetunion und in westlichen Ländern vergleicht, sollte man nicht vergessen, daß die Menschen in der Sowjetunion seit Jahrzehnten in den Genuß vider Dinge kommen, die für den Durchschnittsbürger des Westens noch immer schwer zu erlangen sind.
Ich meine damit ein kostenloses Bildungswesen, Gesundheitsfürsorge, Beschäftigungsgarantie usw. Bei uns ist man an diese Dinge so gewöhnt, daß man sie oft vergißt - und gar mancher, der die UdSSR verläßt und in den Westen auswandert, erlebt das Fehlen alldessen als einen schweren Schock. Andererseits ist es erst seit ziemlich kurzer Zeit so, daß eine abgeschlossene Wohnung für die einzelne Familie kein unerhörter Luxus mehr ist. Ich will dafür das Beispiel anführen, mit dem ich am besten vertraut bin - meinem eigenen Fall. Ich erhielt 1958 zum ersten Mal eine Zweizimmerwohnung, also zu einer Zeit, als ich bereits ein anerkannter Journalist war. Vorher wohnte ich mit meiner Frau, meinem kleinen Sohn und meiner Schwiegermutter in einem Zimmer, das knapp 16 Quadratmeter maß. In den übrigen neun Zimmern dieser Wohnung lebten mehr als 30 Menschen, mit denen wir die Küche und die sanitären Einrichtungen teilten. Ich kann nicht behaupten, daß das sehr komfortabel war. Aber ich versichere Ihnen, daß wir darin weder eine Entbehrung sahen, noch unglücklich darüber waren, lebten doch alle um uns herum unter denselben Umständen. Man sollte sich darüber im klaren sein, daß fast alle, die meiner Generation angehören, noch aus eigener Erfahrung wissen, was Hunger bedeutet - nicht nur Eiweiß- oder Vitaminmangel, sondern tatsächlicher Hunger. Und solche Mühsal, die tatsächlich von nahezu alien Menschen geteilt wurde, führte zu ganz bestimmten Verhaltensweisen. Ich erinnere mich an die asketische Einstellung, die zur Zeit meiner Kindheit vorherrschte: Zu bestimmten Zeiten ware es allgemein als unschicklich empfunden worden, einen goldenen Ehering oder eine Krawatte zu tragen, selbst wenn man sie gehabt hätte.
Wahrend der Besetzung Hollands durch die Nazis haben wir auch einmal Tulpenzwiebeln gegessen. Welche Gefühle rufen solche Erinnerungen bei Ihnen wach? | |
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Ich erinnere mich an all das mit Schmerzen, manchmal mit einem Làcheln, aber auch mit Stolz. Ja, mit Stolz, weil wir dies ailes mit Würde zu tragen wußten und auch einen unerhört schwierigen Geschichtsabschnitt mit Würde durchgestanden haben. Die Zeiten haben sich geändert, und heute ist es zum bevorzugten Zeitvertreib der alten Leute geworden, über die Jüngeren zu klagen, die sich der Vergangenheit nicht erinnern oder das, was sie haben, nicht genügend zu schatzen wissen. Das gleiche gilt aber wahrscheinlich für die Alten überall auf der Welt. Die Menschen bei uns stellen heute höhere Ansprüche, was die Annehmlichkeiten des Lebens anbelangt, und das ist meiner Meinung nach auch nur natürlich und angemessen. Das spricht deutlich für sich - ist ein Zeichen für die Veränderungen zum Besseren, und zugleich bedeutet es, daß wir die Ziele, die wir uns gesteckt haben, erreichen werden. Wenn jedoch unsere Schattenseiten ständig von Fremden angeprangert werden, die nichts von den harten Prüfungen wissen, durch die wir zu gehen hatten, nichts von den Anstrengungen, die unser Leben bestimmten, so kommt mir das unfair vor.
Glauben Sie nicht, dafi einige Ihrer Probleme nicht Resultat einer schmerzlichen Geschichte sind, sondern eher mit der sozialistischen Or- ganisationsweise der Produktion zu tun haben?
Nein. Gleichzeitig aber muß man sich vor Augen halten, daß es tiefgehende Unterschiede in den Wertvorstellungen geben kann. Jedes Land muß seine Wahl treffen und sollte - hat es sich einmal entschieden - nicht über die Konsequenzen klagen. Zu der Wahl, die wir getroffen haben, gehört z. B. ein möglichst umfassendes System der sozialen Sicherheit, was eine Garantie der Vollbeschäftigung einschließt, sowie Rechte für die Arbeitnehmer, die so weit gehen, daß es nahezu unmöglich ist, jemand zu entlassen. Natürlich laßt sich nicht vermeiden, daß sich daraus Auswirkungen auf die Intensitßt der Arbeit und somit auch auf die Produktivität ergeben. Keines unserer Unternehmen kann praktisch Bankrott machen, was sich wahrscheinlich auch in der Arbeit des Managements widerspiegelt.
Ich möchte aber nicht alles darauf zurückführen. Auch bemühen wir uns nach Kräften, an diesen Vorzügen festzuhalten und gleichzeitig die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und bessere ideelle und materielle Anreize zu schaffen. Aber dennoch haben die Dinge, die ich erwähnte, Auswirkungen. Niemand muß bei uns ums Überleben, um die nackte Existenz kßmpfen. Ist das gut oder ist es schlecht? Ich bin sicher, die überwiegende Mehrheit in der UdSSR denkt, daß es gut ist. | |
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Ist das nicht ein zu hoher Preis für die soziale Sicherheit?
Wir glauben, daß der Preis angemessen ist. Wir haben diese Wahl getroffen und wir sind bereit, dafür zu zahlen. Andere haben das Recht, ihre eigene Meinung zu vertreten, und wir werden nicht versuchen, sie zu zwingen, diese Meinung zu ändern. Und ich möchte betonen, daß unser Ideal nicht ein asketisches Leben ist. Wir sind keineswegs für ein langweiliges, eintöniges Leben. Andererseits lehnen wir den Konsum um des Konsums willen ab, weil wir glauben, daß dadurch menschliche Wertordnungen entstellt werden und das menschliche Leben sinnentleert wird.
Solche Haltungen müssen in Ihrem Land wohl ideologisch verwurzelt sein.
Das ist richtig. Die kommunistische Ideologie betont besonders die Rolle des Kollektivismus, d.h., es kann und sollte eine Harmonie bestellen zwischen individuellen und kollektiven Interessen, sind doch letztere ein genauso natürlicher und unerläßlicher Bestandteil der individuellen Freiheit und Entfaltung wie die unmittelbaren Interessen des einzelnen. Das steht in starkem Kontrast zu dem extremen Individualismus, der für viele Amerikaner typisch ist.
Die Amerikaner glauben, er helfe ihnen, ihre Freiheit zu bewahren.
Nun, das ist eine vielschichtige philosophische Frage, die uns von unserem Thema zu weit wegführen würde. Ich möchte mich auf eine Bemerkung beschränken, ohne dabei auf die grundlegende Definition von Freiheit einzugehen: Der Individualismus war eine machtige Antriebskraft in der amerikanischen Geschichte, jedoch verschlechtert sich die Bilanz immer mehr. Die Amerikaner zahlen jetzt für ihren extremen Individualismus den Preis in Form der weitverbreiteten Entfremdung, der gesellschaftlichen Vereinzelung, der wachsenden Anarchie im Bereich der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ordnung und in Form einer Eskalation gesellschaftsschädigenden Verhaltens wie Verbrechen, Drogenmißbrauch, Gewalttätigkeit, usw.
Aus dem Vergleich der beiden Gesellschaftssysteme würden Sie also den Schluß ziehen, daß eine umfassende Kosten-Nutzen-Abwägung für den Sozialismus spricht.
Richtig. Auch glauben wir, daß es ohne eine vernunftgemäße Organisie- | |
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rung der Gesellschaft keine wirkliche individuelle Freiheit geben kann. Das höchste Ideal des Kommunismus ist die freie und allseitige Entwicklung der Persönlichkeit eines jeden Individuums. Dieses Ziel kann nur in einer Gesellschaft erreicht werden, die eher auf das Gemeinwohl bedacht ist, als daß sie der privaten Habsucht dienlich ist.
Aber hat nicht der Kapitalismus großartige Ergebnisse aufzuweisen, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet?
Sicherlich ist das der Fall. Gleichzeitig müssen wir, wenn wir die gesamte Leistungsfähigkeit der beiden Systeme einschätzen, viele Faktoren mitberücksichtigen: die Leistungen, die in der Vergangenheit erbracht wurden, die Geschwindigkeit, mit der die Entwicklung heute auf beiden Seiten fortschreitet, die Fähigkeit, in einer Zwangslage Leistungen zu erbringen; außerdem müssen wir aber auch beide Systeme daraufhin untersuchen, inwieweit sie zur Lösung der komplizierten Probleme der Gegenwart und der Zukunft imstande sind. Der Kapitalismus hat seine Fähigkeiten bewiesen, viele Dinge schnell und zu günstigen Bedingungen zu produzieren und die Märkte ausreichend mit Konsumgütern zu versorgen (obwohl ich sicher bin, daß ein System auf der Basis der zentralen Planung und der vergesellschafteten Produktionsmittel es mit dem Kapitalismus in dieser Hinsicht aufnehmen kann und aufnehmen muß). Aber gesellschaftliche Bedürfnisse beschränken sich nicht auf Autos, Strumpfhosen oder Kaugummi. Eine moderne Gesellschaft richtet in zunehmendem Maß ihr Augenmerk auf die Bildung, die medizinische Versorgung, den Umweltschutz, den haushälterischen Umgang mit der Energie und anderen natürlichen Ressourcen, die öffentlichen Transportmittel, die Lebensgestaltung in den Großstädten, usw. Hier gerät der traditionelle Kapitahsmus ins Straucheln, wogegen unser System, trotz aller Probleme, bessere Ergebnisse erzielt und leistungsfähiger ist. Und diese sozialen Bedürfnisse gewinnen heutzutage mehr und mehr an Bedeutung. Es ist kein Zufall, daß man auch im Westen den Problemen der Planung in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit widmet. Sogar im amerikanischen Kongreß wurden mehrere Gesetzesvorlagen eingebracht, die sich mit dieser Materie befassen. Albert Einstein hat schon 1949 sehr treffend gesagt: ‘Die wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft in ihrer heutigen Form ist meiner Meinung nach die wirkliche Quelle des Übels... ‘Er führte das auf die Konzentration der wirtschaftlichen und politischen Macht in den Händen einiger weniger zurück, sowie auf den Verfall der demokratischen Prozesse, der zu einer ‘Verkrüppelung des sozialen und moralischen Gewissens des Individu- | |
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ums’ führt. ‘Ich bin überzeugt’ - so die Schlußfolgerang Einsteins - ‘daß es nur einen Weg gibt, um diese ernsten Übel auszumerzen, nämlich die Einführung einer sozialistischen Wirtschaftsform, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialistischen Zielen zu orientieren hätte.’
Dennoch herrscht im Westen die Ansicht vor, daß der Sozialismus in der Praxis weniger leistungsfähig ist als der Kapitalismus, wenn es gilt, den Lebensstandard anzuheben. Angeblich liegt die sowjetische Wirtschaft in dieser Hinsicht deshalb noch weit hinter den USA zurück.
Wie ich schon erwähnte, ist nicht zu leugnen, daß Länder wie Schweden, Westdeutschland oder die Vereinigten Staaten einen höheren Lebensstandard haben. Doch der Abstand zwischen dem Lebensstandard der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder und dem der UdSSR verringert sich stetig. Ich glaube, er wird sich in Zukunft sogar noch rascher verringern.
Worauf stützen Sie Ihre Zuversicht?
Ein Grand - und ich sage das ohne alle Schadenfreude - ist der, daß alle Anzeichen, einschließlich der Wirtschaftsprognosen, darauf hindeuten, daß der amerikanischen Wirtschaft harte Zeiten bevorstehen. Tatsächlich haben sie ja auch schon begonnen.
Sie meinen die Inflation?
Ja, sowohl sie wie auch weitere Schwierigkeiten wie Arbeitslosigkeit, Problème der Energieversorgung, die Schwache des Dollars und ein stark verlangsamtes Wirtschaftswachstum. Ich kann auch solche, für die amerikanische Wirtschaft relativ neue Phänomene anführen wie die praktisch bereits eingetretene Stagnation beim Produktivitätszuwachs, die Verlangsamung des technischen Fortschritts und andere Merkmale einer zunehmenden wirtschaftlichen Ineffizienz. Die Statistiken zeigen, daß nach einer Periode der Stagnation ein Rückgang des amerikanischen Lebensstandards eingesetzt hat.
So glauben Sie also, daß Amerika magere Jahre bevorstehen?
Das ist nicht nur meine Meinung. Forderten nicht Präsident Carter, der Präsident des Zentralbankrats, Paul Volcker, und andere hohe Regierangsstellen die Amerikaner mit schöner Regelmäßigkeit dazu auf, | |
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den Gürtel enger zu schnallen? Wirtschaftswissenschaftler stimmen in ihren skeptischen Prognosen für die achtziger Jahre einhellig üßerein. Allein schon die Höhe des gegenwärtigen Leßensstandards ßeizußehalten, wird für die USA und andere westliche Länder zu einer sehr schweren Aufgaße werden. Die Amerikaner werden lernen müssen, nicht üßer ihre Verhältnisse zu leßen, sowohl die Nation wie auch der einzelne.
Was meinen Sie mit ‘nicht über ihre Verhältnisse leben’?
Ich meine damit, daß es Dinge gißt, die sich Amerika nicht mehr leisten kann, ohne sich daßei selßst zu gefährden. Es kann sich kein unßegrenztes Wettrüsten leisten, ohne seine Wirtschaft dadurch weiter zu schwächen. Es kann nicht die Situation wiederherstellen, die vor 1973 im ßereich der Ölversorgung herrschte, ßetrachten es doch die ölproduzierenden Länder als ihr souveränes Recht, selßst die Kontrolle üßer ihre Ressourcen auszuüßen. Es kann nicht darauf verzichten, drastische und kostspielige Maßnahmen zu ergreifen, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen und zu bewahren. Und es kann sich nicht leisten, weiterhin die Ressourcen in einer Weise zu vergeuden, als wären diese unerschöpflich. Nehmen Sie die sogenannte Energieknappheit. Die Vereinigten Staaten verhalten sich, als waren sie eher bereit, ihre Söhne in den Tod in den Wüsten des Nahen Ostens zu schicken und dabei die Welt an den Rand eines Atomkriegs zu treiben, denn ihre verschwenderischen Gewohnheiten beim Energieverbrauch zu ändern.
Sie haben von den Belastungen gesprochen, denen sich die amerikanische Wirtschaft ansgesetzt sieht. Bleibt die Wirtschaft der Sowjetunion von solchen Belastungen verschont?
Nun, ich wollte nicht als Prophet auftreten, der Amerika den Untergang weissagt und auch nicht als ein überschwenglicher Optimist erscheinen, wenn ich von uns spreche. Wir haben ebenfalls Probleme, und zwar in Zusammenhang mit ökologischen Fragen, mit Rohstoffen und Arbeitskräftemangel. Aber diese Problème sind meiner Meinung nach in den Griff zu bekommen. Und wenn wir daran gehen, diese Problème zu lösen, dann schwebt uns dabei nicht die amerikanische Verschwendungssucht als die Verkörperung des guten Lebens vor. | |
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Es bleibt die Frage, ob es wirtschaftliche Interessen sind, die die Sowjetunion dazu veranlaßt, dauernd auf Entspannung zu drängen.
Wie ich schon gesagt habe, ist das vorrangige Motiv bei unseren Bemühungen, die Spannungen zu entschärfen, das Bestreben, einen Krieg zu verhindern und unser Überleben als Nation wie ganz allgemein das Überleben der Menschheit zu gewährleisten. Aber die wirtschaftlichen Erwägungen haben ebenfalls großes Gewicht. Auch sehe ich darin nichts Schändliches. Wenn die Wirtschaft aus der Entspannung Nutzen zieht und Entspannung verlangt, so handelt es sich um eine gesunde Wirtschaft und eine gesunde Gesellschaft, die sich vor anderen weder fürchtet, noch eine Gefahr für andere bedeutet. Welches sind unsere wirtschaftlichen Motive? Zum einen sind wir daran interessiert,unsere Militärausgaben zu senken. Unser ganzes Streben gilt der Schaffung internationaler Verhältnisse, die uns erlauben würden, weniger für Kanonen und stattdessen mehr für Butter auszugeben. Ein weiteres wirtschaftliches Motiv ist darin zu sehen, daß wir nichts von Autarkie halten. Die internationale Arbeitsteilung ist eine, wirtschaftlich gesehen, gesunde Erscheinung, und wir erwarten, daß wir aus einer Ausweitung des Handels und einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern Nutzen ziehen, und zwar in gleicher Weise wie unsere Partner.
Bei der Erörterung der amerikanisch-sowjetischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben Sie den Eindruck erweckt, daß alle Hindernisse von den Amerikanern verursacht wurden. Ist die UdSSR in dieser Hinsicht ohne Fehl und Tadel?
Handel und wirtschaftliche Verbindungen erfordern gegenseitige Anpassung, die Entwicklung angemessener institutioneller Einrichtungen für diese Beziehungen sowie die Suche nach neuen und effizienteren Formen des Wirkens, etc.; dazu müssen wir unseren Teil beitragen. Es kommt immer noch vor, daß unsere Behôrden untereinander zu wenig Kontakte pflegen, vor allem bei großen Projekten, wenn es entweder zu einer Überschneidung oder Aufteilung der Verantwortung kommt. Die Vorgänge in Zusammenhang mit der Entscheidungsfindung im Außenhandel sind oftmals zu starr und kompliziert, was unseren Verhandlungsspielraum einengt und Verhandlungen verzögert. Auch kennen wir möglicherweise den amerikanischen Markt nicht gut genug. Wir unternehmen große Anstrengungen, diesbezüglich für Verbesserungen zu sorgen, und es bleibt auch weiterhin noch viel zu tun. Aber dazu ist auch | |
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ein gewisser Anreiz erforderlich, also die Aussicht auf greifbare Ergebnisse.
Bestehen denn tatsächlich die Voraussetzungen für solche Ergebnisse?
Gewiß. Als erstes wäre zu sagen, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion natürliche Handelspartner sind. Die Größe dieser beiden Volkswirtschaften, die immense Aufnahmefähigkeit ihrer Binnenmärkte, die mannigfaltigen Strukturen ihres Außenhandels - all diese Faktoren bilden eine solide Grundlage für Handelsbeziehungen auf der Basis gegenseitigen Nutzens. Zweitens: Unsere Länder verfügen über die zwei größten technisch-wissenschaftlichen Potentiale auf der Welt. Angesichts der rasant anwachsenden Kosten und der zunehmenden Spezialisierung der wissenschaftlichen Forschung liegt ein weiterer gewichtiger Beweggrund für die technologische und wissenschaftliche Zusammenarbeit vor. Ein spezieller Bereich, in dem eine solche Zusammenarbeit sowohl am dringendsten geboten ist, wie auch am einträglichsten zu werden verspricht, ist die Entwicklung alternativer Energiequellen. Wir verfolgen einige sehr vielversprechende Ansätze bei der Kohlevergasung, bei magnetohydrodynamischen Generatoren, im Bereich der thermonuklearen Energie und im Zusammenhang mit weiteren Neuerungen. Die Amerikaner arbeiten ihrerseits an eigenen Projekten. Doch die steigenden Kosten und die Kompliziertheit solcher Vorhaben sowie die entscheidende bedeutung, die sie für die ganze Menschheit haben, gebieten mit allem Nachdruck gemeinsame Anstrengungen in diesem Bereich.
Gibt es noch weitere Beispiele?
Solche bereiche gibt es viele: die Erforschung des Weltraums und der Ozeane, die friedliche Nutzung der Atomenergie, die Landwirtschaft, die Medizin, usw. Eine solche Zusammenarbeit würde nicht nur in beiden Ländern eine beträchtliche Einsparung von Staatsgeldem zur Folge haben, sondern auch dabei helfen, viele drängende und komplizierte technische Probleme zu lösen, mit denen sich die gesamte Welt konfrontiert sieht. Schließlich ist auch die Tatsache nicht unerheblich, daß wir und die Vereinigten Staaten ähnliche Merkmale aufweisen, etwa die Größe unserer Länder, die geophysikalische Beschaffenheit einiger Regionen sowie Aufgaben, die an beide gleichermaßen gestellt werden, z. B. in der Landwirtschaft, beim Umweltschutz, im Energiebereich, beim Verkehrs- und Transportwesen und anderem mehr. Diese Ähnlichkeiten | |
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führen zu zusätzlichen übereinstimmenden Interessen, zu neuen und einmaligen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, wie wir sie ansonsten in unseren Beziehungen zu anderen Ländern nicht kennen.
So kann man also sagen, daß das Potential vorhanden ist und die Hindernisse vorwiegend politischer Natur sind.
Genau, und das Haupthindernis bleibt diese längst überholte Haltung der Amerikaner, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen als politische Waffe einzusetzen, was nun fürwahr ein Überbleibsel der Mentalität des Kalten Krieges darstellt. Diese Denkungsweise läßt sich nur dann rechtfertigen, wenn man seine langfristigen Ziele hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der militarischen Konfrontation sieht. Wenn man die Zukunft dagegen unter dem Aspekt der friedlichen Koexistenz zwischen den USA und der UdSSR betrachtet, dann kann man nicht von der bankrotten Voraussetzung ausgehen, der anderen Seite das höchstmögliche Maß an Schaden zuzufügen.
Worüber sprechen wir dann eigentlich hier? Obwohl so viel Aufhebens gemacht wird um die Frage, ob man bestimmte technische Neuigkeiten an die UdSSR verkaufen sollte oder nicht, steht doch eigentlich zur Debatte, welcher Art die Welt sein soil, die wir für kommende Generationen schaffen.
Natürlich, es sollte tatsächlich darüber debattiert werden, wie nach den Vorstellungen der Sowjetunion und der Vereinigten Saaten die künftige Welt aussehen sollte. Es wäre einfach tragisch, wenn wir bei unserem Bestreben, zu überleben und zu Wohlstand zu gelangen, einen gangbaren Weg darin sehen würden, der anderen Seite so viel Schaden wie möglich zuzufügen oder gar darin, unseren Konkurrenten gänzlich niederzuringen. Tragisch deshalb, weil in der Welt von heute kein Land in der Lage wäre, anderen zu schaden, ohne sich selbst gleichermaßen Schaden zuzufügen. |