Der sowjetische Standpunkt. Über die Westpolitik der UdSSR
(1981)–Georgi Arbatov, Willem Oltmans– Auteursrechtelijk beschermd
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I) Leidensweg der EntspannungDie siebziger Jahre waren das Jahrzehnt der Entspannung. Werden die achtziger das Jahrzehnt des zweiten Kalten Krieges werden?
Wir sollten nicht so fatalistisch sein, gleich das ganze Jahrzehnt verloren zu geben. Aber so, wie es jetzt aussieht, hat sich die gesamte internationale Lage ernsthaft verschlechtert. Es ist noch gar nicht so lange her, da schien die Welt einen Weg aus den Feindseligkeiten und Dummheiten des Kalten Krieges gefunden zu haben, und es sah so aus, als wäre Entspannungspolitik zum Normalzustand geworden. Doch nun hat es den Anschein, daß für einige Leute die Entspannung zu einer vorübergehenden, wenn auch willkommenen Abweichung von dem düsteren Normalzustand des Mißtrauens, der Feindschaft und der Konfrontation wird, die die internationalen Beziehungen in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmten.
Was wäre denn der ‘ideale’ Normalzustand?
Ich würde allzugem ganz eindeutig sagen, daß das Abnehmen der Spannungen zwischen den Völkern, die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit sowie Fortschritte bei der Rüstungskontrolle der Normalzustand ist und wir derzeit eine Abweichung von diesem Normalzustand erleben. Aber ich zögere, das so auszudrücken, zumindest bevor wir nicht genau definiert haben, was der Begriff ‘Normalzustand’ bedeutet. Wenn wir unter ‘normal’ einen natürlichen Zustand verstehen, wie z. B. die ‘normale’ Körpertemperatur, und damit zum Audruck bringen, daß der Körper gesund ist und nichts seine Gesundheit bedroht, dann ist sicherlich die Entspannung der Normalzustand und nicht der Kalte Krieg. Man kann ‘normal’ aber auch als ‘allgemein üblich’ definieren, als einen Zustand, der so natürlich ist, daß es keiner besonderen Mühe bedarf, ihn aufrecht zu erhalten. Es ist z. B. ‘normal’, daß ein Korken an der Wasseroberfläche schwimmt. Will man ihn unter Wasser drücken oder ihn aus dem Wasser | |
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heben, so bedarf das einer Anstrengung; sobald man diese Anstrengung unterläßt, kehrt der Korken in seine normale Ausgangslage zurück. In diesem Sinn ist die Entspannung leider noch nicht der Normalzustand der internationalen Beziehungen geworden. Es bedarf immer noch besonderer Anstrengungen, sie aufrecht zu erhalten, während man Spannung allein schon dadurch erzeugen kann, daß man überhaupt nichts tut.
Mit anderen Worten, geriet die Entspannung in Nöte, weil sich die Anstrengungen, die zu ihrer Aufrechterhaltung unternommen wurden, als unzureichend erwiesen?
Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Sicherlich haben einige Leute mehr für die Entspannung getan als andere, aber es war nicht nur Trägheit, gegen die die Entspannung ankortimen mußte. Was wirklich den Ausschlag gab, war die starke Mobilisierung jener Gegenkräfte, die in der Entspannung eine gefährliche Irrlehre sahen. Insbesondere wurde die Entspannung durch den Kurswechsel der US-Außenpolitik Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre untergraben.
Amerikaner werden über eine solche Feststellung in Zorn geraten, denn sie sind überzeugt, daß die entscheidende Ursache der derzeitigen Verschlechterung Afghanistan war.
Ich bin mir darüber sehr wohl im klaren, daß unser Vorgehen in Afghanistan im Westen dazu benutzt wurde, einen Sturm der Emotionen und Denunziationen zu entfesseln. Politische Urteile sollten aber auf Tatsachen beruhen und nicht auf Emotionen. Das offizielle Argument der Amerikaner, demzufolge die Ursache der gegenwärtigen Verschlechterung die Ereignisse in Afghanistan sind, ist nicht stichhaltig, weil die prinzipiellen Entscheidungen, die die Basis der neuen Politik der USA darstellen und die hier in der Sowjetunion als ein gewaltiger Schritt zurück zum Kalten Krieg verstanden werden, lange vor den Ereignissen in Afghanistan getroffen wurden.
An welche Entscheidungen denken Sie dabei?
An den Beschluß der Nato, während der nächsten 15 Jahre die Rüstungsetats jährlich zu erhöhen (Washington, Mai 1978), an die Entscheidung des US-Präsidenten für einen ‘Fünfjahresplan’, der weitere militärische Programme und Rüstungsaufgaben in nie dagewesener Höhe vorsieht (November 1979), und an den höchst gefährlichen Nachrüstungsbeschluß der Nato, neue amerikanische Mittelstreckenraketen | |
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zu bauen und in Europa zu stationieren (Brüssel, Dezember 1979). Außerdem haben die USA noch vor den Ereignissen in Afghanistan die Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung praktisch zum Stillstand gebracht. Die Ratifizierung des SALT II-Abkommens war bereits im September/Oktober 1979 äußerst ungewiß. Darüber hinaus geschah die überstürzte Annäherung an China auf eindeutig antisowjetischer Basis, und hinzu kam, daß die USA Ende 1979 einen ganzen Schwarm von Kriegsschiffen samt Flugzeugen und Nuklearwaffen in den Persischen Golf entsandten. Wir konnten nicht recht glauben, daß das nur der Befreiung der Geiseln in Teheran dienen sollte und nicht Teil eines generellen Kurswechsels der amerikanischen Außenpolitik und ihrer militärischen Positionen war. Deshalb ging man in Moskau bereits Mitte Dezember 1979 davon aus, daß die Vereinigten Staaten einen scharfen Kurswechsel eingeleitet hatten.
Mit anderen Worten - die amerikanische Politik hat sich auf das sowjetische Vorgehen in Afghanistan ausgewirkt?
Sie war ein wichtiger Faktor.
Falls die Entspannung sich normal weiterentwickelt hätte und die von Ihnen genannten Probleme nicht aufgetreten wären, hätte die Sowjetunion also keine Truppen nach Afghanistan entsandt?
Sehr gut möglich. Verstehen Sie mich bitte richtig: Die Entsendung der Truppen war keine ‘Bestrafung’ der USA oder des Westens für schlechtes Betragen. Sie hat mehr mit unserer neuen Einschätzung der durch die USA und die Nato geschaffenen Situation zu tun. Wie der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, im Januar 1980 in einem Interview mit der Prawda sagte, war uns die Entscheidung, ein begrenztes militärisches Kontingent nach Afghanistan zu schicken, nicht leicht gefallen.Ga naar eind1 Die afghanische Regierung hatte uns schon lange vor Ende des Jahres 1979 wiederholt um Hilfe gebeten, aber wir haben diese nicht gewährt. Ende 1979 mußte jedoch die Lage in Afghanistan zwangsläufig im Kontext der ständig wachsenden internationalen Spannungen auf der ganzen Welt wie auch speziell in dieser Region bewertet werden. In diesem Rahmen gewann die Bedrohung der aus der Revolution hervorgegangenen afghanischen Regierung wie auch die Bedrohung unserer eigenen Sicherheit sehr viel mehr Bedeutung, als das zu Zeiten der Entspannung der Fall gewesen wäre. | |
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Die Ereignisse in Afghanistan haben die Amerikaner und ihre Verbündeten vor allem deshalb so verwirrt, weil sie sich über die sowjetischen Absichten im unklaren waren. Präsident Carter sagte ausdrücklich, er könne bezüglich der sowjetischen Absichten kein Risiko eingehen.Ga naar eind2 Der Grund für einen abrupten Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik liegt möglicherweise darin, daß man eine wachsende sowjetische Bedrohung festzustellen glaubte, und zwar lange vor Aghanistan, und sich dutch diese Eteignisse nur bestätigt sah.
Ehrlich gesagt: Wenn ich das Gerede von der ‘sowjetischen Bedrohung’ höre, und zwar nicht aus dem Munde des manipulierten Mannes von der Straße, sondern von verantwortlichen Politikern und Experten, dann drängt sich mir der Eindruck auf, daß diese Leute in Wirklichkeit nicht so sehr die Sowjetunion und deren Macht und Absichten meinen, sondern die Vereinigten Staaten, die amerikanische Politik und die Rolle Amerikas in der Welt. Es ist ganz einfach bequemer, die phantastischsten Ansprüche und Forderungen im Bereich amerikanischer Politik und militärischer Macht zu erheben, indem man die Sowjetunion als Provokateur erscheinen läßt, auf den die Amerikaner reagieren. Aus unserer Sicht hat jedoch niemand Amerika dazu provoziert, eine härtere Außenpolitik zu betreiben. Vielmehr steigerten sich die USA bereits seit geraumer Zeit systematisch in eine Haltung hinein, die zur gegenwärtigen Einschätzung ihrer Beziehungen zur UdSSR und der Welt ganz allgemein führte.
Sie können aber nicht bestreiten, daß die Sowjetunion im Laufe der Jahre ihre militärische Stärke ungeheuer ausgebaut hat.
Ja, unser Stärke hat zugenommen. Wir hatten gute Gründe, uns um unsere Verteidigung zu kümmern. Und manchem, der sich so lautstark über die sowjetische militärische Bedrohung beklagt, muß gesagt werden, daß die Aufrüstung der Verteidigung dient und nicht der Vorbereitung einer Aggression.
Die Nato behauptet aber immer wieder, die sowjetische Aufrüstung überschreite das ‘legitime Verteidigungsbedürfnis’.
‘Warum siehst du nur den Splitter im Auge deines Bruders, nicht aber den Balken im eigenen Auge?’ Ich frage mich oft, wie amerikanische Generäle und Politiker ihr ‘legitimes Verteidigungsbedürfnis’ wohl bemessen würden, wenn nördlich von Michigan ca. eine Million Solda- | |
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ten des Warschauer Paktes und ungefähr 700 Nuklearwaffen stehen würden und gleichzeitig Texas nicht an Mexiko grenzen würde, sondern an ein Land, das von einer Milliarde Menschen bewohnt wird, das mit Nuklearwaffen ausgerüstet und von messianischem Sendungsbewußtsein erfüllt ist, sowie auf einen erheblichen Teil des Südens der USA Anspruch erhebt. Ausdruck der offiziellen amerikanischen Heuchelei über die strategische Position der Sowjetunion ist das jüngst zur politischen Mode gewordene Schlagwort vom sogenannten ‘Arc of Crisis’. Dieser Begriff, von Zbigniew Brzezinski geprägt, bezieht sich auf das südwestliche Asien und den Nahen Osten. Dieses Gebiet wurde zu einer der ‘vitalen Interessensphären Amerikas’ erklärt. Ist wohl irgend jemand, der diesen Gedanken des ‘Bogens’ übernommen hat, dabei auch aufgefallen, daß dieser ‘Bogen’ in fast seiner gesamten Länge direkt an unseren Grenzen wie auch denen unserer südlichen Nachbarn entlang verläuft und es sich mithin um ein Gebiet handelt, das von äußerster Wichtigkeit für die nationale Sicherheit der Sowjetunion ist, also eine Zone wahrhaft vitaler Interessen für die UdSSR?
Wenn es keine sowjetische Bedrohung gibt, wie Sie sagen, was waren denn Ihrer Meinung nach die Gründe für die neue harte Linie der Amerikaner?
Meiner Meinung nach gibt es da zwei Kategorien von Ursachen: einmal die, die bewirkt haben, daß sich die Stimmung und das Kräftegleichgewicht innerhalb der amerikanischen Machtelite verändert hat, zum anderen jene, die eine politische Atmosphäre im Land geschaffen haben, in der es möglich war, solche Veränderungen in praktische Politik umzusetzen. Was die Elite angeht, so scheinen mir die hauptsächlichen Gründe für einen Umschwung deren Schwierigkeiten zu sein, sich den neuen Gegebenheiten der Weltlage anzupassen. Diese Gegebenheiten haben sicher Probleme für die USA geschaffen, da sie eine sehr grundlegende Neuorientierung der Außenpolitik verlangten. In der Tat erforderte es einen Bruch mit den Richtlinien, Neigungen und Maßstäben politischen Verhaltens, wie sie für eine ganze Epoche charakteristisch waren. Eine außergewöhnliche Epoche, nicht zuletzt wegen der Lage, in der sich die Amerikaner direkt nach dem Zweiten Weltkrieg befanden, aus dem sie als die reichste und mächtigste Nation hervorgingen, die weder Verwüstungen erlitten noch größere Opfer gebracht hatte. Diese Situation ließ damals den Eindruck entstehen, daß die USA na- | |
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hezu alles und jeden kaufen und diejenigen, die nicht käuflich waren, dank der überlegenen Macht unterdrücken oder gar vernichten konnten. Diese historische Situation war einzigartig und nicht von Dauer. Viele Amerikaner sahen darin bald die natürliche und ewige Ordnung der Dinge.
Aber glauben Sie nicht auch, daß viele Amerikaner diese Illusionen begraben haben?
Ja, aber das hat unsägliche Mühen gekostet. Das zeigte sich wieder einmal beim Wahlkampf 1980 mit seinem nostalgischen Motto des ‘American Dream’. Es fällt der Elite auch schwer zu glauben, daß ein Abnehmen der internationalen Spannungen den politischen Willen der USA nicht schwächt. Ich möchte dazu eine Episode aus dem Jahr 1972 in Erinnerung rufen, als das erste Gipfeltreffen gerade zu Ende gegangen war und der Präsident der USA nach Washington zurückkehrte. Was war der vorherrschende Gedanke in den Köpfen der amerikanischen Politiker? Wie Kissingers Memoiren besagen, war es nicht Freude und Genugtuung, sondern die Angst und die Sorge, es werde fortan viel schwerer fallen, die öffentliche Unterstützung für Rüstungsprogramme zu gewinnen und die alte Politik weiterzuverfolgen.Ga naar eind3 So hat man bereits 1972 reagiert. Die Ereignisse in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre machten alles noch wesentlich schwerer. Dadurch wurde das amerikanische Establishment anscheinend so verschreckt, daß sich der Anpassungsprozeß verlangsamte und schließlich zum Erliegen kam. Die Mißerfolge Amerikas in Indochina, im Iran und anderswo wurden von vielen Amerikanern für die Folge einer vermeintlichen Scheu der USA vor Gewaltanwendung gehalten. Hierher rührten dann die neubelebten Forderungen nach Aufrüstung und einer Überprüfung der militärischen Doktrin. Die wahren Motive für eine wachsende Unzufriedenheit innerhalb der amerikanischen Machtelite mit den Entwicklungen in der Welt liegen jedoch tiefer, glaube ich.
Woran denken Sie?
Nun, ein Faktum, mit dem die USA sich besonders schwer abfinden können, ist der Verlust der strategischen Überlegenheit und die Herstellung des Kräftegleichgewichts zwischen der UdSSR und den USA. Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Abhängigkeit der amerikani- | |
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schen Wirtschaft von anderen Ländern. Das sind die Amerikaner nicht gewöhnt. Jahrelang war viel von ‘Interdependenz’ die Rede, doch als sich herausstellte, daß das auch in einem gewissen Grad die Abhängigkeit Amerikas von anderen bedeutete, beklagte man lautstark die ‘Verwundbarkeit’.
Meinen Sie die amerikanische Abhängigkeit von Ölimporten?
Öl ist ohne Zweifel ein ganz wichtiger Faktor. Sind doch die USA heute abhängiger vom Öl aus dem Nahen Osten als je zuvor. Diese Abhängigkeit wurde aber nicht von den Ölproduzenten geschaffen. Hinzu kommt, daß die Abhängigkeit von anderen einem keinerlei besondere Rechte auf deren Eigentum gibt. Andernfalls hätten wir es mit dem Gesetz des Dschungels zu tun.
Welche weiteren Faktoren haben nach Ihrer Auffassung zu der Kursänderung der amerikanischen Politik beigetragen?
Der Faktor China hatte großes Gewicht. Um genauer zu sein: die illusorischen Hoffnungen auf eine rasche Verschiebung des globalen Kräftegleichgewichts zugunsten der USA durch das Zusammengehen mit China. Zuvor hatten die USA ihre Wiederannäherung an China viel behutsamer betrieben, um die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, denen man für die amerikanischen Interessen sehr große Bedeutung beimaß, nicht zu gefährden. Washington schien auch sorgfältig darauf zu achten, daß nicht ein Punkt erreicht wurde, an dem man unliebsame Verpflichtungen auf sich nehmen mußte, die weniger China vor den amerikanischen Karren spannen würden als vielmehr die USA vor den chinesischen. Heute hat es den Anschein, als sei dieser Punkt bereits erreicht. Ich würde noch auf einen wichtigen innenpolitischen Faktor in Amerika hinweisen.
Auf den Wahlkampf?
Über den Wahlkampf 1980 können wir auch sprechen, aber der Faktor, an den ich denke, hat längerfristige Auswirkungen. Ich meine die sich mehrenden Klagen des amerikanischen Establishments darüber, daß Amerika ‘unregierbar’ werde: der Mangel an Konsens, die Zersplitterung politischer Intistutionen, das ‘Übermaß’ an sozialen Forderungen, die an das System gestellt werden, ein ‘Zuviel’ an Demokratie, usw. Aber es ist nicht vergessen, daß während des Kalten Krieges die USA | |
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eine besser organisierte, diszipliniertere Gesellschaft gewesen sind, was die Aufgabe des Regierens vereinfachte. Viele derer, die angesichts der ‘Unregierbarkeit’ verzweifeln, habe ich im Verdacht, daß sie erwarten, daß die Amerikaner bei einer verschärften internationalen Lage gefügiger werden. Alle diese Faktoren zusammen bewirkten meiner Meinung nach bei wesentlichen Teilen der amerikanischen Machtelite eine Art Übereinstimmung. Demnach galt der Ausbau der militärischen Stärke Amerikas und die Bereitschaft sowie der Wille, sie anzuwenden, als ein Weg, sowohl die Macht und den Einfluß Amerikas in der Welt zu fördern, als auch die Instabilität im eigenen Land zu verringern. Zusätzlich sollte die wirtschaftliche Stärke Amerikas direkter und skrupelloser angewendet werden, um einige unter Druck zu setzen und andere wiederum einzuschüchtern. Natürlich ist das eine sehr grobe Skizzierung der Lage. Die Wirklichkeit ist komplexer.
Das hört sich wie eine Einschränkung an.
Nun, ich möchte die Situation nicht zu sehr vereinfachen und Ordnung und Systematik dort unterstellen, wo das eine wie das andere fehlt. So könnte ich zwei hauptsächliche Einschränkungen anführen. Zum einen ist die Art, wie die Machtelite der USA zum Konsens gelangt und Entscheidungen trifft, so beschaffen, daß der Präsident nicht unbedingt auf ein großes Maß an Übereinstimmung angewiesen ist. Tatsächlich mag es sogar einfacher sein, eine stärker aufgesplitterte Elite ohne einheitliche Orientierung zu führen, als eine, die eng miteinander verbunden und selbstsicher ist. Zum zweiten: Obwohl an der Spitze des politischen Systems in Amerika Konsens aufzukommen scheint, bleiben, glaube ich, ernste Zweifel an dieser neuen Außenpolitik der USA. Sie wird in Frage gestellt, weil viele ihr Scheitern befürchten und glauben, sie sei für die USA selbst sehr gefährlich.
Was hat die politische Atmosphäre im Land verändert?
Dazu bedurfte es enormer Anstrengungen der traditionellen Gegner der Entspannung. Die öffentliche Meinung in Amerika unterstützte die Entspannung sehr nachdrücklich. Aber es gab auch extreme Frustrationen aufgrund einiger außenpolitischer Entwicklungen während der letzten 10 Jahre. Die Falken waren mit ihrer Propaganda von der ‘sowjetischen Bedrohung’ und mit Parolen wie ‘Amerika läßt sich nicht herumsto- | |
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ßen’ sehr erfolgreich darin, diese Frustrationen in die gewünschte Richtung zu lenken.
War ein plötzlicher Ausbruch von Patriotismus vielleicht das Ergebnis des Teheraner Geiseldramas?
Man darf diesen Ausbruch nicht mit dem rechtfertigen, was der amerikanischen Borschaft in Teheran und deren Diplomaten widerfahren ist, sondern die amerikanische Reaktion auf diese Ereignisse scheint mir eher Chauvinismus und Hurrapatriotismus zu sein.
Lieben denn nicht auch die Russen ihr Vaterland?
Natürlich, aber wir erweisen auch dem Patriotismus anderer Nationen unsere Achtung und Wertschätzung. Wir sehen darin eine starke moralische Kraft, die in Zeiten nationaler Krisen eine entscheidende Rolle spielen kann. Wahrer Patriotismus aber setzt auch eine rationale Haltung gegenüber dem eigenen Land voraus, und sogar eine kritische, wenn es Fehler begeht. So übrigens hat Lenin Patriotismus verstanden. Man muß Patriotismus und nationalistischen Eifer, der die Völker schon so oft irreleitete, auseinanderhalten. Diese Art von Patriotismus hatte Samuel Johnson, der englische Lexikograph des 19. Jahrhunderts, vor Augen, als er ihn ‘die letzte Zuflucht der Schurken’ nannte.
Sehen Sie noch andere Ursachen für den Kurswechsel der US-Politik?
Ja, die allgemeine politische Haltung der Carter-Administration. Im Februar 1980 zitierte Time einen hohen Beamten des Außenministeriums, der sagte, Brzezinski habe ‘endlich seinen Kalten Krieg bekommen’. ‘Es kam einigen außenpolitischen Experten wie Ironie vor’, fährt Time fort, ‘daß Brzezinskis ständiges Eintreten für eine harte Linie anscheinend durch eine Kriste gerechtfertigt wurde, die möglicherweise durch seine Argumente, seine Politik der Nadelstiche gegenüber Moskau und seine Wendung nach Peking mitverursacht wurde.’Ga naar eind4 Natürlich ist Brzezinski nicht der einzige. Der Präsident und die gesamte Administration steuerten einen Zickzackkurs und betrieben bei sehr wichtigen Fragen eine wankelmütige Politik. Dadurch wurde das Fundament der Entspannung in den USA beträchtlich geschmälert und die Position ihrer Gegner gestärkt. Unter den Falken in Washington ist es derzeit Mode, die Entspannung zu verhöhnen und in ihr die Ursache dafür zu sehen, daß Amerikas Willenskraft und Entschlossenheit der Welt gegenüber geschwächt sind. | |
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Sollte es wirklich an Willenskraft und Entschlossenheit auf irgendeinem Gebiet gemangelt haben, dann war das Washingtons Haltung gegenüber der Rüstungskontrolle, der Förderung gegenseitigen Vertrauens und dem Abbau der Spannungen.
Und schließlich die Präsidentschaftswahlen 1980. Sogar prominente Analytiker des Westens, wie Oberst Jonathan Alford, stellvertretender Direktor des International Institute for Strategie Studies in London, halten es für ‘in der Tat sehr, sehr bedauerlich‘, daß die ganze Welt verharrt und darauf warten muß, bis der Zirkus der Präsidentschaftswahl in Amerika vorüber ist. Alford sagte zu mir: ‘Das ist nicht nur ungeheuer bedauerlich, sondern möglicherweise auch ziemlich gefährlich.’
Die Zeit des Wahlkampfs in Amerika ist tatsächlich eine schlechte Zeit für gute Politik und eine gute Zeit für schlechte Politik. Das ist in gewisser Weise verständlich. Bevor man ein ausgezeichneter oder ein miserabler Präsident wird, muß man überhaupt erst einmal Präsident werden. Aber manchmal wundert man sich, warum es jedesmal aufs neue den Anschein hat, als hätten sich die Kandidaten verschworen, dem Militarismus Vorschub zu leisten und das Wettrüsten und antisowjetische Gefühle zu fördern. Der bekannte amerikanische Wissenschaftler Jerome Wiesner erinnerte in einem Artikel in der New York Times am Ende des letzten Wahlkampfes daran: ‘Während eines jeden Präsidentschafts-wahlkampfes werden wir mit von hysterischer Angstmacherei geprägten Schätzungen der drohenden strategischen Überlegenheit der Sowjets bombardiert, begleitet von dem Ruf nach einer wesentlichen Verstärkung unserer Nuklearstreitkräfte.’Ga naar eind5 Nach Wiesner läßt sich die Geschichte dieser gefährlichen Tradition bis 1948 zurückverfolgen. Es gab seitdem in der Tat eine ganze Reihe von Wahlkämpfen, die in dieser Hinsicht wirklich schlimm waren. Doch der Wahlkampf 1980 war wahrhaftig ein Unglück von internationalem Ausmaß. Es wurden keine Debatten über die tatsächlichen Probleme, denen Amerika gegenübersteht, geführt. Auch wurde kein Versuch unternommen, die nationalen Interessen neu zu bewerten und vernünftige Wege zu finden, die diesen Interessen dienlich sind. Was haben wir stattdessen erlebt? Ohrenbetäubendes Säbelrasseln, ein heftiges gegenseitiges Überbieten in den Forderungen nach gesteigerten Militärausgaben, ein feuerwerkartiges Kommandounternehmen im Iran und die Ankündigung einer neuen, ziemlich gefährlichen Nukleardoktrin. Das Land befand sich im Zustand einer künstlichen Krise, weil nach Auffassung mancher Amerikaner der Präsident die einzige Rettung vor einer Wahlniederlage in einer Krisensituation sah. | |
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Was hätte die Alternative sein können?
Im Idealfall - obgleich ich selbst nicht recht daran glauben kann - könnte ein Wahlkampf als Mittel der politischen Bildung dienen und als ein Instrument, das Anstöße für Korrekturen der Politik der Regierung gibt. Doch die Mechanismen des politischen Prozesses waren solchen demokratischen Zwecken nicht förderlich. Ich meine, Senator Edward Kennedy hatte recht, als er sagte, 1980 seien die politischen Prozesse in Amerika einer Geiselnahme zum Opfer gefallen.
In einem Artikel der Prawda vom März 1980 haben Sie den Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik als einen Versuch charakterisiert, einen weiteren Kalten Krieg zu beginnen.
Ja, denn es gibt eine ganze Reihe von Parallelen. Wir beobachten, daß man erneut zu militärischer Stärke das bevorzugtem Instrument der Außenpolitik zurückkehrt. Das ist genau das, was den ersten Kalten Krieg charakterisierte, als militärische Stärke das Haupt-Fundament, wenn nicht gar der Ersatz für Außenpolitik war. Die gegenwärtige Wende hin zum Kalten Krieg bedeutet erneut das Streben nach militärischer Überlegenheit der USA sowie eine ganz erhebliche Steigerung des Wettrüstens und der Militärausgaben und ein Einfrieren der Gespräche zur Rüstungsbegrenzung. Weiter zeigt sich eine Rückkehr zu einer aktiven Interventionspolitik. Mit der Entsendung von Truppen zu drohen, ist in der amerikanischen Diplomatie wieder gang und gäbe geworden. Sogenannte mobile Eingreifreserven werden als Spezialtruppen aufgebaut, um binnen kürzester Zeit an beliebiger Stelle militärisch eingreifen zu können. Übrigens habe ich gelesen, daß solche Einheiten zum ersten Mal Ende der fünfziger Jahre von Henry Kissinger in einer Studie der Rockefeller-Stiftung vorgeschlagen wurden. Später, in den sechziger Jahren, wollte Lyndon B. Johnson sie, konnte aber den Kongreß nicht dafür gewinnen. Gegen diese Idee sprach sich ausgerechnet der Vorreiter der Falken unter den Senatoren, Richard Russell aus Georgia, mit Nachruck aus, weil nach seiner Ansicht das bloße Vorhandensein solcher Truppen die USA in ein zweites Vietnam verwickeln würde. Eine weitere Parallele liegt in einer Wendung hin zur Konfrontation in den Beziehungen mit der Sowjetunion. Ein recht hysterischer Kurswechsel, nebenbei gesagt. | |
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Gehen wir möglicherweise einem neuen Kalten Krieg entgegen?
Das Entscheidende dabei ist, daß die zweite Auflage des Kalten Krieges sehr viel gefährlicher wäre. Da die Vernichtungswaffen inzwischen ein ganz neues Niveau erreicht haben, wäre bei einer Rückkehr zu offener Feindseligkeit und Konfrontation ein militärischer Konflikt wahrscheinlicher und zugleich verheerender in seinen Auswirkungen. Darüber hinaus würden in den achtziger Jahren weit mehr Länder in den Sog des Kalten Krieges geraten als seinerzeit. Je größer aber die Zahl der Beteiligten an einem internationalen Konflikt ist, desto größer sind auch die Risiken, besonders natürlich, wenn einige der Beteiligten dazu neigen, auf der Weltbühne unbesonnen und unverantwortlich zu agieren.
Meinen Sie damit China?
Ja, hauptsächlich, aber nicht nur China. Bei einer Rückkehr zum Kalten Krieg wäre die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nicht zu vermeiden. Es gibt noch eine andere wichtige Seite. In den kommenden Jahrzehnten werden weltweite Probleme wie die Erschöpfung von Rohstoffen, die Umweltverschmutzung oder der Hunger noch dringlicher werden. Entspannung, Rüstungskontrolle und internationale Zusammenarbeit würden die Chancen, diese Probleme zu lösen, erhöhen, während sie sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges sehr schwer lösen lassen würden.
Patrick Caddell, ein Berater Präsident Carters, sagte in einem Interview mit dem Playboy: ‘Ein kleiner Krieg ist sehr hilfreich, was die Wählerstimmen anbelangt. Daraus, daß es keinen Krieg gibt, läßt sich dagegen kein politisches Kapital schlagen. Jeder Präsident kann das Land mit überzeugenden kriegerischen Aktionen dazu bringen, sich um ihn zu scharen. Eisenhower hatte Korea und den Libanon, Kennedy hatte Kuba und Vietnam, und Johnson, Nixon und Ford hatten ebenfalls Vietnam.’
Eine bezeichnende Illustration für die ‘Moral’ des Weißen Hauses: Krieg wird als ein akzeptables Mittel diskutiert, wenn es daraum geht, einen ganz normalen Machtwechsel zu verhindern. Deutet Caddells Außerung nicht auf einen ernsthaften Defekt in einem politischen System hin, in dem der Krieg zum politischen Erfolg beiträgt und deshalb willkommen ist? | |
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Caddell hört sich vielleicht zynisch an, aber solches Verhalten wurde in der Vergangenheit oftmals an den Tag gelegt.
Ja, es ist seit langem ein Grundzug amerikanischer Politik, daß es die Politiker in schwierigen Zeiten einträglicher und sicherer finden, nach rechts zu driften, den starken Mann zu spielen. Aus irgendeinem Grund wird eine solche Haltung immer noch für besonders patriotisch gehalten, obwohl gerade sie im Atomzeitalter die schlimmsten Folgen für ein Land haben kann. Aus ebenso unerfindlichen Gründen wird eine solche Haltung auch als besonders realistisch angesehen, wenngleich es heutzutage die größte Illusion ist, Sicherheit durch Wettrüsten und Gewaltanwendung erlangen zu wollen. Der Cowboy, der aus der Hüfte schießt, ist nach wie vor eine populäre Symbolfigur in Amerika, doch es muß für diese Einstellungen noch gewichtigere psychologische Gründe geben. Eine davon könnte Denkfaulheit sein, die Unfähigkeit, alte, aus dem Kalten Krieg übernommene Vorstellungen abzuschütteln. Vorstellungen, die wegen ihrer verführerischen Einfachheit stark verwurzelt bleiben.
Was meinen Sie mit Einfachheit?
In einer Welt des Kalten Krieges läuft alles in der Art eines billigen Western ab. Man hat einen konkreten Feind, der die Ursache allen Übels ist. Man hat ein glasklares Ziel: den Feind zu erledigen. Je mehr Schaden man der anderen Seite zufügt, desto besser ist man selber dran. Man hat auch Mittel gefunden und erprobt, um es ohne schlechtes Gewissen zu tun. Man kann an atavistische Gefühle appellieren wie Hurrapatriotismus, Feindseligkeit und Mißtrauen gegenüber Leuten, die anders leben und anders aussehen und damit dem starken Verlangen nach nationaler Überlegenheit Ausdruck verleihen. Man befindet sich in einer Welt mit zwei Dimensionen: schwarz und weiß. Und, was ziemlich wichtig sein kann, man kann seinen politischen Standort zur kostbarsten Fernsehzeit innerhalb einer einzigen Minute umreißen. Die Denkkategorien der Entspannung sind dagegen viel ausgefeilter und schwieriger zu begreifen. Man muß einen weiten Horizont haben und entsprechend tolerant sein, um zu verstehen, daß Koexistenz und Zusammenarbeit möglich und wünschenswert sind, auch wenn die Gesellschaftssysteme der einzelnen Länder, die politischen Institutionen, die Werte und die Sympathien und Antipathien weitgehend verschieden sind. Es wäre dazu auch notwendig einzusehen, daß Beziehungen zwischen Ländern nicht rechnerisch aufgehen und eine Seite genauso viel gewinnt, wie die andere verliert, und daß trotz aller Differenzen und | |
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Schwierigkeiten dennoch die gemeinsamen Interessen bei weitem überwiegen werden. Was noch schwieriger ist: Man muß einsehen können, daß die Schuld an einem Problem nicht immer der andere hat, sondern oft auch die eigenen Fehler und das eigene falsche Handeln schuld sind, ganz zu schweigen von Ereignissen und Kräften, die niemand unter Kontrolle hat. Weiter muß man einsehen, daß Eigenschaften wie Zurückhaltung, Mäßigung und Kompromißbereitschaft, die sowohl ein größeres Maß an Klugheit als auch mehr politischen Mut erfordern, vorzuziehen sind gegenüber Selbstgerechtigkeit, Arroganz und der Neigung, den starken Mann zu spielen. Schließlich sollte man versuchen, die andere Seite zu verstehen. Wie erscheint die eigene Politik dem anderen? Welche Empfindungen erweckt die eigene Politik beim anderen?
Sind Sie enttäuscht? Hat sich Entspannung als zu kompliziert erwiesen, als daß die breite Öffentlichkeit sie begreifen könnte?
Sehen Sie, es handelt sich um einen Prozeß. In den fünfziger Jahren verstanden nur sehr wenige Leute die komplizierten politischen Zusammenhänge in der modernen Welt. In den sechziger Jahren wuchs die Zahl derer, die die Situation begriffen, rasch an. Und in den siebziger Jahren wurden schließlich bestimmte Einsichten in die moderne Welt bereits von Millionen von Menschen geteilt. Ich hoffe immer noch, daß die Idee der Entspannung in den achtziger Jahren die Oberhand gewinnen wird.
Sie haben gesagt, daß es große Mühe kostet, die Entspannung aufrechtzuerhalten, die Spannungen dagegen von allein entstehen. Wollten Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Entspannung ein Netz komplizierter intellektueller und psychologischer Verflechtungen ist, verglichen mit den gefährlich vereinfachenden Formeln des Kalten Krieges?
Ja, aber nicht nur das. Schwerfälligkeit spielt eine wichtige Rolle. Die Entspannung ist erst ein paar Jahre alt, während der Kalte Krieg, der ihr vorausging, mehrere Jahrzehnte gedauert hat. Diese Jahrzehnte haben nicht nur eine Unzahl vorgefaßter Meinungen und Vorurteile hinterlassen, sondern auch gewisse darin begründete Mechanismen. Ich spreche von Mechanismen wie dem Wettrüsten, den bestehenden militärischen und politischen Allianzen und auch von anderen Teilen einer riesigen Infrastruktur, die im Dienste des Kalten Krieges geschaffen wurden, wie z. B. Bürokratien und Organisationen für psychologische Kriegsführung, für subversive Tätigkeiten und andere ähnliche Dinge. Alle diese | |
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Mechanismen trachten danach, ihr Überleben und ihr Fortbestehen zu sichern. Das bedeutet, sie müssen internationale Spannungen schaffen, die Rivalität auf militärischem Gebiet anspornen und Mißtrauen und Haß gegen den ‘äußeren Feind’ säen. Diese Mechanismen werden in den USA noch verstärkt durch bestimmte ‘Transmissionsriemen’, durch die sie mit bedeutenden Teilen des Wirtschaftssystems und mit sehr einflußreichen etablierten Mächten verbunden sind.
Wird es je dauerhafte Entspannung geben?
Es spricht sehr vieles für die Entspannung. Sie besitzt eine starke vitale Kraft. Das Hauptargument für Entspannung ist, daß es keine akzeptable Alternative gibt, wenn wir den Weltuntergang vermeiden wollen.
Was genau versteht die UdSSR unter Entspannung?
Lassen Sie mich die offizielle sowjetische Definition von Leonid Breschnew zitieren: ‘Entspannung bedeutet in erster Linie die Überwindung des Kalten Krieges und den Übergang zu normalen, reibungslosen Beziehungen zwischen den Staaten. Entspannung bedeutet die Bereitschaft, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten nicht mit Gewalt, Drohungen oder mit Säbelrasseln zu lösen, sondern mit friedlichen Mitteln am Verhandlungstisch. Entspannung setzt ein bestimmtes Maß an Vertrauen voraus, sowie die Fähigkeit, die Interessen der anderen Seite mit einzubeziehen. Das ist, kurz gesagt, unsere Auffassung von Entspannung.’Ga naar eind6
Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky sagte zu mir, seiner Meinung nach stelle der Österreichische Friedensvertrag aus dem Jahr 1955 den allersten Schritt einer Politik der Entspannung in Europa dar.
Die Unterzeichnung des Österreichischen Friedensvertrages war seiner Natur und seinen politischen Konsequenzen nach unzweifelhaft ein Akt der Entspannung. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir es wirklich als den ersten Schritt dieses politischen Prozesses betrachten können.
Die internationale Politik wird immer komplizierter. Nichtsdestoweniger spielen die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion weiterhin eine ausschlaggebende Rolle und bleiben der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Weltsystems. | |
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Sie haben recht. Obwohl es falsch wäre, jede Entwicklung auf der Erde unter dem Blickwinkel dieser Beziehungen zu sehen, kann man ihre Bedeutung für die Menschheit kaum überschätzen. Ich würde es so beschreiben: Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington ist kein Allheilmittel für alle Schwierigkeiten; dagegen kann eine schrankenlose Feindseligkeit zwischen den beiden zur Zerstörung der ganzen Zivilisation führen.
Ich fragte den Harvard-Psychologen B.F. Skinner, was heutzutage von absolutem Vorrang sei. ‘Das Überleben!’ erwiderte er ohne zu zögern.
So einfach ist das. Das überragende gemeinsame Interesse der UdSSR und der USA ist es tatsächlich, zu überleben. Deshalb ist die friedliche Koexistenz zwischen uns unabdingbar. Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind auf diesem Planeten zusammengekettet. Keiner kann diesen Globus verlassen. Wir sind hier. Die Amerikaner sind hier. Wir müssen lernen, in Frieden miteinander zu leben. Gelingt es uns, so werden wir nicht nur überleben, sondern vielleicht auch imstande sein, Beziehungen aufzubauen, die für beide Seiten wie für die übrige Welt von Nutzen sind.
Von Nutzen?
Unser Wohl und das Wohl der Welt hängen weitgehend davon ab, ob wir mehr für friedliche Zwecke ausgeben oder unsere Mittel für das Wettrüsten verschwenden. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden größten wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Mächten könnte für alle Seiten von ungeheurem Nutzen sein. Schließlich sehen wir uns mit wachsenden weltweiten Problemen konfrontiert, die nur in einer friedlichen Atmosphäre in Angriff genommen werden können. Wenn wir uns gestatten, uns in unkontrollierbare Feindseligkeiten zu verstricken, steht uns bestenfalls eine trostlose, düstere Zukunft bevor, schlimmstenfalls aber die atomare Vernichtung des Lebens auf diesem Planeten.
Im Grunde genommen gibt es im herkömmlichen Sinn keine unmittelbaren Konfliktherde zwischen Moskau und Washington, wie z. B. Streitigkeiten über territoriale Ansprüche.
Vor langer Zeit gab es vielleicht einmal einen potentiellen Zankapfel zwischen Rußland und Amerika.
Alaska? | |
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Ja. Die Russen entdeckten das Gebiet schon lange vor der Gründung der Vereinigten Staaten. Aber die russische Regierung verkaufte es 1897 zu einem Preis von ca. fünf Cents pro Hektar an Washington. Als Russe bedauere ich den Verkauf natürlich, weil es wirklich ein sehr schlechter Handel war. Andererseits hat uns der Verkauf aber vielleicht eine Menge Ärger erspart.
Offensichtlich sind die Schwierigkeiten in den gegenwärtigen sowjetisch-amerikanischen Beziehungen ganz anderer Natur. Wir sprechen von den beiden Hauptrivalen um die Einflußnahme in der Welt.
Gewiß, die Beziehungen zwischen den beiden größten und mächtigsten Ländern, die sich jahrzehntelang als die Hauptkontrahenten gegenüberstanden, zu verbessern, ist eine unerhört schwierige Herausforderung. Aber die Realität des Atomzeitalters erfordert es.
Erwartungen, daß es zu besseren Beziehungen komme, werden ständig torpediert. Dies führt zu wachsender Hoffnungslosigkeit und zu Zynismus.
Unglücklicherweise ist das so. Es ist deshalb ein Unglück, weil in solch negativen Einstellungen gegenüber der Idee des Spannungsabbaus offensichtliche Gefahren liegen. Wird dauernd eine solche Haltung eingenommen, so werden es viele Menschen für selbstverständlich halten, daß nur Feindseligkeiten, ein unkontrolliertes Wettrüsten und politische oder in der Zukunft vielleicht sogar militärische Auseinandersetzungen zu erwarten sind. Solche verzweifelten Stimmungen können zu sich - von selbst - erfüllenden Prophezeiungen werden.
Hat man die Ereignisse im Winter 1979/80 verfolgt, so kann man die Leute eigentlich nicht dafür tadeln, wenn sie solche Gefühle hegen.
Es ist dennoch falsch. Diese Ereignisse beweisen wohl kaum, daß eine Konfrontation und ein Wiederaufleben des Kalten Krieges unvermeidbar sind. Was wir erlebt haben, zeigt eher, daß die Prozesse, die auf eine Verbesserung unserer Beziehungen und eine Minderung der internationalen Spannungen abzielen, zum Stillstand gebracht werden können und eine Verschlechterung jederzeit provoziert werden kann. Es zeigt zugleich, daß vieles von dem, was in den letzten zehn Jahren von beiden Seiten unter großen Anstrengungen und mit viel Mühe behutsam aufgebaut wurde, nur allzu leicht zerstört werden kann. Anders gesagt: Wir haben gesehen, daß es nicht genug ist, bessere Beziehungen zu schaffen, | |
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sondern daß wir auch lernen müssen, sie zu bewahren und zu sichern. Das ist eine Schlußfolgerung, die wir in der Sowjetunion daraus ziehen.
Es wird viel von der Rivalität zwischen den USA und der UdSSR gesprochen. Die höchsten Regierungskreise in Washington sagen, daß Rivalität die Hauptursache der Probleme ist und auch weiterhin unter allen Umständen sein wird, selbst wenn vielleicht eine begrenzte Zusammenarbeit hinzukommt.
Richtig, das ist die offizielle amerikanische Haltung. Während der letzten zwei bis drei Jahre hat sich aus dem ‘Wettstreit und Zusammenarbeit’ ein ‘vorwiegend Wettstreit’ entwickelt. Beide Elemente sind gewiß vorhanden. Die amerikanischen Politiker haben damit nur Selbstverständlichkeiten wiederholt, als sie anfingen, davon zu sprechen. Wenn wir jedoch etwas verstehen wollen, anstatt auf eine weitere Plattitude auszuweichen, sollten wir sehen, daß sich das relative Gewicht und die Bedeutung jedes dieser beiden Elemente in unseren Beziehungen - Wettstreit und Zusammenarbeit - unter verschiedenen politischen Bedingungen beträchtlich unterscheiden können. Um ein bekanntes Zitat von Clausewitz abzuwandeln: Entspannung ist nicht die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen (d.h. vorsichtigeren und sichereren) Mitteln. Es handelt sich vielmehr um eine Politik, die ihrer Natur und ihren Zielsetzungen gemäß sich gegen den Kalten Krieg richtet, nicht jedoch darauf abzielt, bei Konflikten mit Mitteln, die bis an die Schwelle des Atomkriegs reichen, den Sieg zu erringen, sondern die Regelung und Vermeidung von Konflikten sowie den Abbau der militärischen Konfrontation und die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit zum Ziel hat.
Der US-Botschafter in Moskau, Malcolm Toon, sagte einmal - und das ist eine weitverbreitete Meinung in Washington -, daß es kein Jahrtausend der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens geben könne ‘ohne einen grundlegenden Wandel der sowjetischen Denkweise und Weltanschauung’.
Man muß in übertrieben optimistischer Laune sein, um zu erwarten, es werde in naher Zukunft irgendwo auf Erden ein Jahrtausend der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens anbrechen. Natürlich wäre es ideal, solch ein Jahrtausend zu schaffen, aber im Augenblick sollten wir zunächst viel einfachere Überlegungen anstellen, z. B. solche, die das schlichte Überleben betreffen. Die Vorstellung, eine spürbare Verbesserung der Beziehungen sei nur | |
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bei einem ‘grundlegenden Wandel der sowjetischen Denkweise und Weltanschauung’ möglich, ist einstweilen der sichere Weg zu noch größeren Spannungen. Das ist genau der Ansatzpunkt, von dem die USA seit mehr als einem halben Jahrhundert immer wieder ausgegangen sind. Einziges Ergebnis war stets, daß unsere beiden Länder davon abgehalten wurden, ihre Beziehungen zu normalisieren. Keine Seite zog daraus Nutzen. Der wesentliche Kern der friedlichen Koexistenz ist, daß wir Seite an Seite leben und normale Beziehungen - ja sogar gute Beziehungen - haben können und doch verschieden voneinander bleiben und nicht fordern, die andere Seite müsse wie wir werden.
Aber die vorhandenen tiefen weltanschaulichen Unterschiede werden weiterhin ungünstige Auswirkungen auf Beziehungen haben.
Nun, sie können solche Auswirkungen haben, aber das in diesen Unterschieden enthaltene Potential hinsichtlich internationaler Konflikte sollte nicht übertrieben werden. Stellen wir uns die rein hypothetische Situation vor, anstatt der Sowjetunion stünde eine andere Supermacht den Vereinigten Staaten gegenüber, die den USA in jeder Weise, also wie eine Kopie, gleicht: eine Supermacht mit der gleichen Denkweise und Weltanschauung, dem gleichen wirtschaftlichen und politischen System, den gleichen politischen Gepflogenheiten einschließlich derer, die mit der Wahl zusammenhängen, mit einem ähnlichen Kongreß mit einer Reihe von schießwütigen Politikern, mit dem gleichen Pentagon, dem gleichen militärisch-industriellen Komplex und den gleichen Massenmedien; eine Supermacht mit dem gleichen energieverschwendenden Lebensstil und ganz ähnlichen Interessen am Persischen Golf, an Erdöl und anderen Bodenschätzen überall auf der Welt. Stellen wir uns vor, diese USA Nr. 2 sind genauso egozentrisch, selbstgerecht und voller messianischem Sendungsbewußtsein wie Nr. 1, genauso voller Gelüste, die ganze Welt nach den eigenen Wünschen umzugestalten, um eine eigene Pax Americana zu begründen. Wäre unser Planet besser dran und ein sichererer Lebensraum als gegenwärtig, da die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion nun einmal verschieden sind?
Augenblick mal. Wollen Sie damit sagen, die grundlegenden Unterschiede zwischen den USA und der UdSSR sind letztlich der Sache des Friedens dienlich? | |
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Nein, aber ich glaube, daß solche Unterschiede einen Krieg weder herbeiführen müssen, noch erscheint es wahrscheinlich, daß es deshalb zum Krieg kommt. Und ich glaube fest daran, daß die Existenz und die Politik der Sowjetunion der Sache des Friedens förderlich sind.
Was wäre, wenn es eine UdSSR Nr. 1 und Nr. 2 gäbe?
Ich glaube, wir wären imstande, mit unserem Ebenbild viel leichter in Frieden zu leben. Aber lassen Sie mich fortfahren. Der Erste Weltkrieg und ebenso zahllose kleinere Kriege waren ja tatsächlich Zusammenstöße zwischen Staaten mit ähnlichen Denkweisen und sozio-ökonomischen Systemen, ähnlichen Zielen und Weltanschauungen. Im Zweiten Weltkrieg waren kapitalistische Länder untereinander verfeindet, und einige waren Verbündete der UdSSR. Was den sowjetisch-amerikanischen Wettstreit anbelangt, so würde ich sagen, daß es ein natürlicher Wettstreit bleibt, solange er keine Gefahr für den Frieden schafft und wir das Ansteigen der militärischen Rivalität unter Kontrolle haben, solange wir künstliche Konflikte vermeiden und die vorrangigen gemeinsamen Interessen, die Zusammenarbeit verlangen, nicht vergessen.
Wie würden Sie ‘natürlichen Wettstreit’ zwischen den zwei Supermächten definieren?
Es ist nicht so sehr ein Wettstreit zwischen zwei Supermächten als solchen, sondern eher ein Wettstreit zwischen verschiedenen Gesellschaftssystemen. Natürlicher Wettstreit bedeutet, daß jedes System nicht nur seinem eigenen Volk, sondern auch der gesamten Welt zeigt, was es in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, in bezug auf Lebensqualität, Kultur, Ideen usw. hervorzubringen vermag. Solcher Wettstreit ist unvermeidlich, aber er müßte nicht notwendigerweise zu politischen und militärischen Konflikten zwischen den Staaten führen. Ein erheblicher Teil der gegenwärtigen Mißverständnisse wie auch der absichtlich falschen Interpretationen der sowjetischen Anschauungen zu diesem Thema beruhen auf unterschiedlichen Vorstellungen von ‘Wettstreit’. Sowjetisch-amerikanischer Wettstreit wird in Amerika oft als Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt; zwischen Guten und Bösen, wobei die Amerikaner selbstverständlich die Guten sind. Jene, die versuchen, objektiver zu sein, oder wenigstens glauben, daß sie das sind, denken vielleicht an eine Art Wettstreit zwischen zwei Weltreichen, wobei jedes vermutlich versucht, so viel wie möglich vom Kuchen | |
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an sich zu reißen und die Kontrolle über die Welt zu erlangen. Aber das ist nur für diejenigen eine ‘natürliche’ Betrachtungsweise, die von imperialistischem Denken durchdrungen sind.
Die Vereinigten Staaten hatten 1945 das Schicksal der Welt in der Hand, haben aber diese Position anscheinend verloren.
In unseren Augen hatte Washington nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesprochen imperiale und hegemonistische Ziele. Die Vereinigten Staaten waren wirtschaftlich tatsächlich stark dominierend und dank ihres Monopols auf Nuklearwaffen strategisch weit überlegen. Sie glaubten, sie könnten die Welt nach ihrem Geschmack gestalten und umgestalten, bzw. wenn man so will, die Welt ausbeuten.
Von einer solchen Stellung sind sie heute weit entfernt.
Ja, aber es ist nicht so, daß die USA aus freien Stücken oder aus Versehen weggegeben haben, was sie einst in Händen gehalten hatten. Die Welt wandelte sich vielmehr grundlegend, und die USA nehmen auf unserem Planeten nun einen bescheideneren, wenn auch immer noch bedeutenden Platz ein. Es hat sich jedoch für Washington als äußerst schwierig erwiesen zu lernen, mit diesen Veränderungen zu leben, alte Illusionen, falsche Vorstellungen und unbegründete Ansprüche loszuwerden. In letzter Zeit sah es so aus, als ob diese überholten Ansprüche erneut Washingtons Außenpolitik bestimmen würden.
Warum sollte nicht der Verdacht aufkommen, die UdSSR strebe nur danach, anstelle der USA diese überragende Position einzunehmen?
Eine solche Idee wäre unserer Denkweise und Weltanschauung vollkommen fremd. Es sollte auch daran erinnert werden, daß die sowjetische Wirtschaft für ihr Wachstum nicht auf Expansion im Ausland angewiesen ist. Aber auch, wenn man das alles außer acht ließe, gäbe es immer noch sehr stichhaltige praktische Gründe dafür, die USA in dieser Hinsicht nicht nachzuahmen. Ein Weltreich aufrechtzuerhalten, wird heutzutage immer kostspieliger, während der Nutzen geringer wird. Sehen Sie sich die Probleme an, die Amerika in den letzten 15 Jahren wegen seiner weltweiten Verwicklungen gehabt hat. Der momentane imperiale Zug kann nur dazu führen, daß Amerikas Probleme noch weiter anwachsen. In der Welt von heute ist der Imperialismus ein Verlustgeschäft. Er funktioniert einfach nicht. | |
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Wie beurteilen Sie gegenwartig die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen?
Je mehr ich mich mit den USA befaßt habe, desto vorsichtiger bin ich mit meinem Urteil geworden. Manchmal, wenn ich nach den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gefragt werde, fällt mir jener weise Mann ein, der auf die Frage ‘Wie geht es deiner Frau?’ erwiderte: ‘Verglichen mit wem?‘. Nur wenn man Beziehungen in einem Vergleich untersucht, kann man sowohl übertriebenen Pessimismus wie übersteigerten Optimismus vermeiden. Als Antwort auf Ihre Frage würde ich sagen, es gab schlechtere Zeiten in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen, aber es gab auch sehr viel bessere Zeiten. Genauer gesagt, da die Amerikaner 1980 so vieles getan haben, um unsere Beziehungen zu verschlechtern, haben diese Beziehungen nun den tiefsten Punkt-zumindest während der letzten 10 Jahre - erreicht.
Das ist eine ziemlich düstere Einschätzung.
Ich gäbe gern eine andere, doch was kann ich anderes sagen, nachdem sich die Carter-Regierung buchstäblich austobte und dabei alles, was mit soviel Mühe und Anstrengung geschaffen wurde, zerschlug. Es hat den Anschein, als hätten einige Leute von dieser Zerstörungsorgie seit langem geträumt und sich nur zurückgehalten. Die Rüstungskontrollgespräche wurden in Mitleidenschaft gezogen, wenn nicht gar zunichte gemacht. Die Wirtschaftsbeziehungen sind fast völlig zum Erliegen gekommen. Die kulturellen Beziehungen wurden unterbrochen. Konsularische Verbindungen wurden ausgehöhlt. Das Abkommen über direkte Flugverbindungen wurde verletzt und viele Projekte wissenschaftlicher Zusammenarbeit wurden abgebrochen. Es wurde eine Atmosphäre geschaffen, die antisowjetische Gmppen mit Erfolg zu kriminellen Handlungen ermutigte. Leider ist es viel leichter zu zerstören, als aufzubauen.
Erwarten Sie, daß die Beziehungen noch eine Weile auf diesem beklagenswerten Stand bleiben?
Ich hoffe nicht. Wir waren und sind nach wie vor daran interessiert, geordnete und überschaubare Beziehungen zu den USA zu unterhalten. Bei vielen Gelegenheiten hat die sowjetische Führung dieses Ziel in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Es muß unterstrichen werden, daß wir es lieber hätten, unsere Beziehungen wären wie 1972, als wir den | |
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Weg der Entspannung eingeschlagen hatten. Doch das hängt nicht allein von uns ab. Wie bei zwischenmenschlichen Beziehungen kann einer allein einen Streit anfangen, wogegen Friede nur mit der Zustimmung aller Beteiligten geschlossen werden kann.
Wie beeinflußt die Wahl Ronald Reagans die Aussichten für die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen in nächster Zeit?
Nun, zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man sich schlecht eine definitive Meinung dazu bilden. Und es wird geraume Zeit dauern, bis die Aussichten für unsere Beziehungen für die nächste Zeit klar zutage treten. Dies um so mehr, als jede Wachablösung in Washington dazu führt, daß Entscheidungen aus dem einfachen Grund verzögert werden, daß die neue Mannschaft Zeit braucht, um sich mit allen Einzelheiten vertraut zu machen. So wie es heute aussieht, stehen verschiedene Wege offen. Obwohl wir uns darüber im klaren sind, daß die während des Wahlkampfs geführten Reden sehr oft wenig Hinweise auf die Politik nach der Wahl geben, können wir dennoch manches von dem, was die Neulinge in Washingtoner Schlüsselpositionen vorher gesagt haben, nicht einfach beiseite schieben. Was sie gesagt haben, spiegelte bis zu einem gewissen Grad ihre Ideologie wider, die eine Ablehnung der Entspannung und eine starke Betonung der militärischen Stärke als Werkzeug der Außenpolitik bejaht. Gleichzeitig weiß jeder, daß man sich dem Luxus, sich ganz und gar ideologischen Auseinandersetzungen zu widmen, nur in der Opposition hingeben kann. Wie es ein Mitarbeiter Präsident Fords in seinen Erinnerungen ausdrückt, sieht es von ‘innen’ noch einmal ganz anders aus. Wenn man an der Regierung ist, hat man es mit einer Realität zu tun, die sich häufig ganz wesentlich von der ‘Realität’ unterscheidet, die man auf Festessen zur Finanzierung des Wahlkampfes darstellte. Und gegen Ende des Wahlkampfes, wie auch unmittelbar danach, konnte man Anzeichen feststellen, die auf den Umstand hinwiesen, daß die neue Führung, die sich der Mitte annäherte, bereit war, Mäßigung zu versprechen. So würde mich beides nicht überraschen - positive oder negative Entwicklungen.
Aber selbst, wenn Washington wünschte, die Beziehungen mit der Sowjetunion zu verbessern, blieben immer noch zahllose Hindernisse.
Ja, es gab schon immer Hindernisse, die einer Verbesserung sowjetisch-amerikanischer Beziehungen im Wege standen. Und viele davon gibt es auch heute. Aber die jüngste Geschichte, denke ich, hat deutlich | |
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genug gezeigt, daß es möglich ist, sie zu beseitigen, wenn beide Seiten begreifen, daß im beiderseitigen Interesse gewaltige Anstrengungen erforderlich sind. Trotz einiger Enttäuschungen sind es diese Interessen meiner Meinung nach wert, die Bemühungen fortzusetzen.
Wir sprechen von Koexistenz. Drückt denn der berühmte Satz von Chruschtschow ‘Wir werden euch begraben’ nicht immer noch die sowjetische Haltung angemessen aus?
Dieser Ausspruch wurde Gegenstand fieberhafter Spekulationen, als er vor zwei Jahrzehnten fiel. Ich möchte die rhetorischen Qualitäten dieses speziellen Satzes nicht verteidigen, aber lassen Sie mich aufzeigen, daß er alles andere als aggressiv oder kriegerisch gemeint war. Vielmehr sollte damit unser Vertrauen in die historische Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus ausgedrückt werden, die nach unserer Überzeugung auf lange Sicht unweigerlich auf der ganzen Welt zum Sieg des Sozialismus führen wird. Natürlich ist Sieg in dem Sinn zu verstehen, daß sich die Völker in den kapitalistischen Ländern ohne Druck und Zwang von unserer Seite für den Sozialismus entscheiden. Wir Kommunisten glauben daran. Sonst wären wir keine Kommunisten. Genauso, wie ich annehme, daß die Verfechter des Kapitalismus oder des Systems der freien Marktwirtschaft, oder wie immer sie es auch nennen mögen, von der Überlegenheit ihres Systems überzeugt sind und erwarten, daß früher oder später alle Länder ihm den Vorzug geben. Wir glauben aber nicht, daß uns unsere verschiedenen Überzeugungen und Erwartungen davon abhalten sollten, miteinander auszukommen.
Wir im Westen glauben, die Kommunisten sind nicht einfach Zuschauer, was die Frage sozialistischer Revolutionen angeht; sie betrachten es vielmehr als eine Pflicht des Internationalismus, anderen Revolutionären beizustehen. Dadurch werden dann Situationen geschaffen, in denen für friedliche Koexistenz kein Platz bleibt.
Diese Überlegungen sind nur auf den ersten Blick plausibel. Uns ist der Ausgang des Kampfes um den Sozialismus in anderen Ländern nicht gleichgültig, auch machen wir kein Hehl aus unseren Sympathien. Aber wir halten daran fest, daß der einzige Weg, sozialistische Revolutionen im Ausland zu fördern, der ist, ein Beispiel zu geben, indem wir in unserem Land eine bessere Gesellschaft aufbauen und die noch vorhandenen Probleme erfolgreicher lösen. Wir sind dagegen, anderen Ländern den Sozialismus aufzuzwingen, gegen einen ‘Export der Revolution’. | |
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Zugleich aber widersetzen wir uns jedem Export der Konterrevolution, d.h., den Versuchen, vorrevolutionären Regierungen durch Einmischung von außen wieder in den Sattel zu verhelfen. Die Geschichte hat uns gezeigt, daß der Export der Konterrevolution eine weitverbreitete Praxis bleibt, d.h., die Feinde des Sozialismus sind selbst keineswegs unbeteiligte Zuschauer.
Tut mir leid, aber das klingt wie Propaganda.
Uns ist es mit diesen Dingen sehr ernst. Tatsächlich war ja auch die erste ernsthafte Auseinandersetzung innerhalb unserer Partei, nach der Revolution von 1917, genau dieser Frage gewidmet, weil einige in der Partei - die Ultralinken, die Trotzkisten - darauf bestanden, wir sollten die Revolution mit dem Mittel des ‘revolutionären Krieges’ über unsere Grenzen hinaus fortsetzen. Die Partei hat diese Idee entschieden zurückgewiesen. Lenin beharrte darauf, daß es ‘ein vollständiger Bruch mit dem Marxismus’ wäre, ein Land von außen zur Revolution zu drängen.Ga naar eind7
Es gab anscheinend einen ähnlichen Konflikt zwischen Moskau und Peking.
Sie haben recht, das war eines der Hauptthemen, als in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren erste Risse zwischen uns auftraten. Mao und seine Gruppe erklärten, die friedliche Koexistenz sei ein ‘Verrat der Revolution’, und sie beharrten darauf, daß ‘die Macht aus den Läufen der Gewehre kommt’. Das war die gleiche unannehmbare Vorstellung, gegen die Lenin einst gekämpft hatte. Übrigens hat bislang anscheinend noch niemand versucht herauszufinden, welche Rolle bei der rapiden Zunahme des Terrorismus in den sechziger Jahren und Anfang der siebziger Jahre diese Ideologie der Chinesen spielte (die in einer Reihe von Fällen praktisch angewandt wurde, indem man zahlreiche Extremistengruppen im Ausland unterstützte).
Wie steht es mit Afghanistan? Hat die Sowjetunioh nicht seit 1978 einem kleinen Nachbarn ihren Willen aufgezwungen, sich nach und nach immer stärker eingemischt, bis zu einem Punkt, an dem sie heute das Land praktisch regiert. Das scheint ein klassischer Fall des Exports des Kommunismus mit Waffengewalt zu sein.
Wir haben die April-Revolution 1978 nicht nach Afghanistan ‘expor- | |
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tiert’. Jeder, der die Lage dort kennt, weiß um diese Tatsache. Wir haben von der Revolution zuerst aus westlichen Medien erfahren. Tatsächlich mußte auch niemand die Revolution nach Afghanistan exportieren: Die Situation im Land hatte einen Punkt erreicht, an dem eine radikale Änderung des politischen und sozialen Systems für Afghanistan der einzige Ausweg aus der tiefen Krise war. Vergessen Sie nicht, daß Afghanistan zu den ärmsten und rückständigsten Ländern der Welt gehört. Es braucht dringend wirtschaftliche Entwicklung, sozialen und kulturellen Fortschritt und eine sinnvolle Demokratie für seine 17 Millionen Einwohner. Einige halbherzige Reformversuche gab es schon vor der Revolution, aber es gelang damit nicht, die sozialen und ökonomischen Probleme des Landes hinreichend zu verbessern. Eine Modernisierung durch allmähliche Entwicklung kam einfach nicht zustande, wogegen die Forderungen nach Veränderung immer drängender wurden. Übrigens wurde der Umsturz, der im April 1978 stattfand, vom alten Regime selbst provoziert, als man nämlich versuchte, gegen die afghanische Linke einen Schlag zu landen und z. B. die Gewerkschaften, die Studentenverbände und die Nationale Demokratische Partei zu zerschlagen versuchte. Als Antwort auf eine Reihe von Morden und Verhaftungen griffen die Nationalen Demokraten zu den Waffen und stürzten das alte Regime. Das war eine rein innerafghanische Entwicklung.
Aber die Sowjetunion hegte große Sympathien für die Revolutionäre.
Ja, richtig. Die Ziele der Revolution waren sehr edel und Ausdruck der wahren Bedürfnisse der Menschen: das Land denen zu geben, die es bebauen, den Hunger zu beseitigen, die Diskriminierung der Frauen und ethnischen Minderheiten zu beenden, das Volk zu bilden, das zu 90 Prozent aus Analphabeten besteht - kurzum: die elementaren Menschenrechte zu verwirklichen und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Wir haben nach der Revolution unsere wirtschaftliche und technische Unterstützung für Afghanistan beträchtlich erhöht.
Auch die Militärhilfe?
Aber sicher. Die Revolution mußte sich verteidigen. Die ehedem herrschende Elite, die ihre Macht, ihren Landbesitz und ihre Privilegien infolge der Revolution verloren hatte, unternahm alles, um die Macht wiederzuerlangen. Sie wurde dabei von den USA, China, Pakistan, Saudi-Arabien und Ägypten aktiv unterstützt. Die neue Regierung in Kabul stand einer erschreckenden Reihe feindlicher Kräfte gegenüber. Man muß bedenken, daß ein Teil der afghanischen Grenze wegen der Wande- | |
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rungen der Nomaden praktisch offen ist. Beinahe vom ersten Tag der Revolution an war Afghanistan fremden Einmischungen ausgesetzt. Bis diese schließlich das Ausmaß eines unerklärten Krieges erreichten. Mit anderen Worten, unsere Militärhilfe hatte nicht zum Ziel, Afghanistan unseren Willen aufzuzwingen, sondern der Regierung zu helfen, der äußeren Einmischung Herr zu werden.
Auf Afghanistan sollten wir später zurückkommen. Wir sind abgewichen vom Thema der friedlichen Koexistenz, die schließlich in hohem Maße davon abhängt, wie die Sowjetunion die Vereinigten Staaten einschätzt. Wie beurteilen Sie von Moskau aus die Vereinigten Staaten?
Das ist eine komplizierte Frage. Amerika ist für die Sowjetunion von großem Interesse. Viele Bûcher und Artikel wurden dazu geschrieben. Es ist eine schwierige Aufgabe, eine substantielle und doch kurze Einschätzung zu geben. Ich will es versuchen, obwohl die Darstellung nur skizzenhaft sein kann. Ich möchte noch einmal wiederholen, daß die Menschen in der Sowjetunion lebhaftes Interesse an Amerika haben. Das betrifft weite Kreise der Bevölkerung, ohne Ansehen des Alters, der Bildung oder des Berufs. Das ist meiner Meinung nach bei uns entschieden anders, verglichen mit dem Interesse der Amerikaner an der UdSSR. Wir sehen die Vereinigten Staaten als ein sehr starkes Land an, sowohl ökonomisch als auch militärisch, als ein Land, das zu beobachten nie langweilig wird. Ganz privat würde ich hinzufügen, daß es einen dennoch manchmal wütend machen kann. Die Menschen bei uns sind sehr an amerikanischer Kultur, Literatur und Filmkunst, an Musik und Architektur interessiert. Die besten amerikanischen Arbeiten auf diesen Gebieten sind weiten Kreisen bekannt. Unsere Spezialisten sind mit den Errungenschaften in der Technologie, der Industrie, der Medizin und der Landwirtschaft in Amerika bestens vertraut. Es herrscht Interesse und, insbesondere unter jungen Leuten, manchmal geradezu Enthusiasmus für bestimmte Merkmale des ‘American way of life’, wie Popmusik, Jeans, Kaugummi, Pepsi Cola, Coca-Cola, den Wilden Westen, usw., usw. Zugleich ist die sowjetische Öffentlichkeit über die wachsenden Probleme, denen Amerika gegenübersteht, gut informiert. Ich denke dabei in erster Linie an wirtschaftliche Probleme - Inflation, Arbeitslosigkeit, Energieprobleme, die Schwäche des Dollars usw. Ich denke auch an soziale Probleme, als da sind: die Lebensbedingungen der schwarzen Amerikaner, der Indianer und der spanischsprechenden ethnischen Minderheit; weiter die wachsenden Sorgen der alten städtischen Zen- | |
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tren wie New York oder Cleveland, die Gesundheitsfürsorge, die für die Mehrheit der Amerikaner unzureichend ist, die Kriminalität und die Drogensucht und vieles andere. Schließlich denke ich an politische und geistige Probleme, die die amerikanische Gesellschaft bedrängen. Wir sind überzeugt, und der Lauf der Geschichte bestätigt uns darin, daß in Amerika die ausschlaggebende Macht, die letzte Entscheidung über staatliche Angelegenheiten bei der Elite der Konzerne liegt, und diese Überzeugung bestimmt in ganz erheblichem Grad unsere Ansichten über die amerikanische Demokratie und den amerikanischen Lebensstil.
Wie haben die Menschen in der UdSSR den Watergate-Skandal aufgenommen?
Sie fanden ihn höchst ungewöhnlich. Aber offensichtlich ging es den Amerikanern selbst so. Etwas Ähnliches hatte sich in der Geschichte der USA niemals vorher erreignet. Nebenbei gesagt, verschiedene Forscher unseres Instituts haben darauf gewettet, daß Nixon vorzeitig zurücktreten werde. Ebenso viele aber behielten nicht recht; ich würde deshalb mit unseren prophetischen Gaben nicht prahlen wollen.
Ich möchte an Sie ein paar Fragen über das Institut zum Studium der USA und Kanadas richten. Sie haben da, man muß schon sagen, ein prachtvolles Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, ich glaube, nicht einmal eine Meile vom Kreml entfernt. Würden Sie bitte erklären, was Sie und Ihre Kollegen dort tun?
Nun, Sie können mir glauben, daß wir unsere Zeit nicht nur damit verbringen, Wetten über politische Ereignisse in den USA abzuschließen. Unser Institut ist eines von vielen Forschungszentren, die die sowjetische Akademie der Wissenschaften unterhält.
Wann wurde es gegründet?
1968.
Was sind Ihre Studienschwerpunkte?
Amerikanische und kanadische Wirtschaftsprobleme, innerpolitische und soziale Probleme, die politischen Parteien, die Vorgänge im Zusammenhang mit der Wahl usw. Wir untersuchen auch die Militärpolitik der USA, nicht das militärische Establishment als solches, sondern die | |
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Auswirkungen von Rüstungsausgaben und Rüstungsprogrammen sowie den Einfluß von militärischen Doktrinen und Gegebenheiten auf die amerikanische Außenpolitik, die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen natürlich eingeschlossen. Ebenso befassen wir uns mit Problemen der Rüstungskontrolle. Eine besondere Abteilung betreibt Forschungen über allgemeine Probleme der US-Außenpolitik und ihrer regionalen Schwierigkeiten, wie die Politik der USA gegenüber Europa, Asien und dem Nahen Osten sowie gegenüber den Entwicklungsländern. Es gibt auch eine Abteilung, die die öffentliche Meinung, die Ideologie und Kultur in Amerika untersucht.
Haben Sie viele Mitarbeiter?
Ungefähr 350, hinzu kommen 20 bis 30 Doktoranden. Unser Institut verleiht den Doktorgrad. Ein Großteil unserer Mitarbeiter wurde hier ausgebildet.
Wo erscheinen Ihre Veröffentlichungen?
Hauptsächlich veröffentlichen wir Bücher. Zu unseren letzten Veröffentlichungen gehören z. B: ‘Neueste Konzepte der amerikanischen Außenpolitik’, ‘Kanada an der Schwelle der achtziger Jahre’, ‘Politisches Bewußtsein in den USA heute’ und ‘Die Wirtschaft der USA: Probleme und Widersprüche’. Wir geben auch eine Monatszeitschrift heraus. Unsere Spezialisten sind sehr gefragt für ein breites Bildungsprogramm; sie halten Vorlesungen, schreiben Artikel und treten im Fernsehen auf.
Sicher gehen die Forschungsberichte auch an die Regierung?
Nun, sollten wir irgendwelche Erleuchtungen haben, so ist es kein Problem für uns, diese der Regierung zu Gehör zu bringen. Aber Erleuchtungen muß man erst mal haben. Wenn wir von Leuten aus der Regierung zu Themen, die unser Spezialgebiet sind, gefragt werden, so antworten wir bereitwillig. Aber ich möchte betonen, daß unser Institut nicht als ständiger Zulieferer für die Außenpolitik fungiert. Das ist Aufgabe des Außenministeriums und unserer Botschaft in Washington Unsere Aufgabe ist es, Langzeitprobleme und Tendenzen zu untersuchen und eine Grundlagenforschung zu betreiben, die dazu beiträgt, die Länder, die wir beobachten, gründlicher und verläßlicher zu verstehen.
Es müßte eigentlich entsprechende Einrichtungen in Amerika geben.
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Etwas, was dem direkt entspricht, gibt es nicht. Es gibt aber an vielen Universitäten kleine Zentren zur Erforschung der UdSSR, oder auch im Rahmen von Organisationen, die vom Pentagon gefördert werden, wie die RAND Corporation oder das Institute for Defense Analysis. Es gibt dann noch andere Zentren, wie z. B. das George Kennan Institute an der Smithsonian Institution in Washington.
Haben Sie regelmäßige Kontakte mit amerikanischen Forschern?
Ja, wir unterhalten viele Arbeitskontakte mit Universitäten, dem Council on Foreign Relations, der Brookings Institution, dem Stanford Research Institute und anderen Zentren und Universitäten. Mit einigen führen wir gemeinsame Forschungsprojekte durch.
Tauschen Sie auch Wissenschaftler aus?
Ja, unsere Leute gehen dorthin, und wir laden unsererseits Wissenschaftler, Personen des öffentlichen Lebens, Prominente aus der Wirtschaft und andere zu uns ein. Daneben wenden sich viele Amerikaner an uns, wenn sie Moskau besuchen.
Können Sie ein paar Namen nennen?
Natürlich. Walter Mondale hat bei uns einen Vortrag gehalten, als er noch Senator war. Edmund Muskie besuchte uns, seinerzeit ebenfalls Senator. Averell Harriman war mehrmals Gast des Instituts. Wir haben auch Führer der kommunistischen Partei der USA, wie Gus Hall, Henry Winston und Angela Davis zu Gast gehabt. Wen noch? Die Liste ist ziemlich lang: die Senatoren Kennedy, Biden, Baker, Tower, Garn, den Kongreßabgeordneten Vanik u.a., Cyrus Vance und selbst Zbigniew Brzezinski, Harold Brown und Marshall Shulman, Michael Blumenthal, Arthur Burns, John K. Galbraith, George Kennan, Robert Pranger, Leslie Gelb, Harold Agnew vom Los Alamos Nuclear Weapons Laboratory, Paul Doty und Stanley Hoffman von Harvard, William Kintner, David Rockefeller, den Präsidenten der Bank of America, A. Clausen, Tex Thornton und Roy Ash von Litton Industries, Paul Austin von Coca-Cola und Don Kendall von Pepsi Cola. Den obersten Bundesrichter Warren Burger, General a. D. James Gavin, Admiral a. D. Gene LaRocque, fast alle Mitglieder des Ausschusses des Repräsentantenhauses für die Streitkräfte, sowie Buckley.
Welcher Buckley? | |
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Es waren sogar zwei Buckleys hier, wenn ich mich recht erinnere, William F. jr. und sein Bruder James.
Haben Sie aus all den Gesprächen mit diesen Besuchern und bei ihren eigenen Reisen in die Vereinigten Staaten nicht den Eindruck gewonnen, daß die Amerikaner oft dazu neigen, viel Aufhebens um ihre Probleme zu machen und zu übertreiben? Es muß eine Art von masochistischem Zug im Wesen der Amerikaner geben.
Sehen Sie, jede Gesellschaft hat ihre eigenen Maßstäbe dafür, was ein Problem ist und was nicht. Diese Maßstäbe ändern sich im Laufe der Zeit. Es stimmt, Amerikaner neigen dazu, sehr offen über manche ihrer Probleme zu sprechen, und ich halte das für ihre starke Seite. Ich glaube nicht, daß das Masochismus ist. Wir Kommunisten nennen es Selbstkritik, und wir glauben, daß sie nur hilfreich dabei sein kann, eine Gesellschaft weiterzuentwickeln. Gleichzeitig sollte die Selbstkritik der Amerikaner nicht immer für bare Münze genommen werden, sie hat ihre sonderbaren Seiten. Die Amerikaner haben z. B. eine besondere Gabe dafür, ihre Probleme durch ‘Exorzismus’ auszutreiben, sie reden ihre Probleme hinweg, wenn ich so sagen darf. Oft scheint es, daß sie es für ausreichend erachten, ein Problem aufzuwerfen, zu erörtern, sogar in grelles Licht zu tauchen, ihr Unbehagen darüber laut zu bekunden - und schließlich alles wieder zu vergessen, um sich gleich darauf dem nächsten wunden Punkt zuzuwenden. Das wirkt dann so, als würde man aus einem Kessel Dampf ablassen. Eine weitere Eigenheit, die den Außenstehenden verblüfft, ist die Fähigkeit der Amerikaner, die Übel ihrer Gesellschaft reinzuwaschen und damit zu leben. Die Amerikaner wissen z. B. genau, daß die Polizei von Baltimore - und nicht nur dort - korrupt ist, daß die Spielkasinos von der Mafia kontrolliert werden, daß die Werbung voller Lügen ist, daß Politiker oft betrügen, um gewählt zu werden, und es mit ihren Versprechungen nicht so genau nehmen, sobald sie erst einmal gewählt sind, daß widerliche Dinge in der Politik und im Geschäftsleben geschehen, usw. Aber trotz allem kommt es zu keinem öffentlichen Sturm der Entrüstung. Weit gefehlt: Es sieht sogar aus, als würden einige Leute in diesen Dingen eine vergnügliche Unterhaltung oder eine Art Sport erblicken, und einige beneiden die Akteure sogar noch um deren Geschicklichkeit. Was nun den Masochismus anbelangt - derartige Klagen kann man in den USA tatsächlich immer häufiger hören. Ich glaube nicht, daß das Zufall ist. In den letzten Jahren kann man eindeutig beobachten, daß der | |
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Trend von der Selbstkritik wegführt und zur nationalen Selbstzufriedenheit hingeht; der Wunsch, die Probleme frontal anzugehen, wird dabei geschwächt.
Können Sie das genauer ausführen?
Viele Leute mit starkem Einfluß auf die öffentliche Meinung in den USA haben versucht, den Amerikanern einzureden, daß es ihnen noch nie so gut gegangen sei wie heute, bzw., daß es ihnen doch immer noch besser gehe als anderen Ländern, oder daß die Ursachen für ihre Probleme nicht im eigenen Land lägen. Diese Art intellektueller Feigheit und das Suchen nach Sündenböcken ist in meinen Augen heutzutage eines der ernsten geistig-politischen Probleme in Amerika. Es ist deshalb ein wahrhaft ernstes Problem, weil es lähmend auf die Suche nach vernünftigen Lösungen wirkt, und zwar gerade in dem Moment, wo diese dringend geboten wären. Zugleich wächst die Gefahr, daß eine Nation ernste Fehler begeht.
Sie meinen also nicht, daß die Zeiten, in denen die Vereinigten Staaten Selbstkritik übten, heute überholt sind?
Nein, das glaube ich nicht. Und sei es nur, weil die Suche nach Lösungen für die zahlreichen Probleme, vor denen das Land steht, noch längst nicht abgeschlossen ist. Meine Mitarbeiter und ich sind der Meinung, daß die amerikanische Gesellschaft eine langwierige und vielschichtige Krise durchlebt hat, von der viele Bereiche des Lebens betroffen sind. Eines wird immer deutlicher: Wenn in den USA nicht sehr ernste und rationale Versuche gemacht werden, die amerikanische Politik einschließlich der Außenpolitik den sich verändernden Gegebenheiten anzupassen, dann stehen Amerika eine Reihe sehr starker Erschütterungen bevor - womöglich schwerere, als je im Laufe seiner Geschichte auftraten.
Eine Revolution?
Keine Sorge, für die nächste Zeit ist der Zusammenbruch der gesellschaftlichen und politischen Institutionen in Amerika nicht zu erwarten.
Also keine kommunistische Machtübernahme im Jahre 1984?
Falls sich die Dinge in eine Richtung entwickeln, wie sie einige Leute | |
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prophezeien, könnten sich bis 1984 einige der Vorhersagen Orwells über den ‘Großen Bruder’ erfüllen, aber das wäre dann mit Sicherheit ein antikommunistischer ‘Großer Bruder’.
Wäre nicht eine Verschärfung der amerikanischen Probleme in Ihren Augen zu begrüßen, da sie doch für die Sowjetunion in dem historischen Wettstreit mit den USA von Vorteil wäre?
Nun, jeder verspürt eine gewisse intellektuelle Genugtuung, wenn sich seine politischen Anschauungen und Theorien einmal mehr als richtig erweisen. Auch Marxisten machen davon keine Ausnahme. Doch das ist keineswegs Schadenfreude. In der UdSSR weiß man sehr wohl, daß nicht ‘Wall Street’ unter dem Niedergang der Städte, unter der Arbeitslosigkeit oder der Kriminalität auf den Straßen zu leiden hat, sondern der Durchschnittsamerikaner, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muß, wenn er überhaupt Arbeit findet. Wie sollten wir uns über diese Probleme freuen können? Wenn Sie die Berichte unserer Medien über die sozialen Probleme im Westen analysieren, werden Sie feststellen, daß wir weder Freudengesänge darüber anstimmen, noch uns dabei die Hände reiben. Wir bringen keinen Toast auf die Autoschlangen vor amerikanischen Tankstellen aus oder berufen jedesmal einen Parteitag ein, wenn wieder eine amerikanische Stadt Bankrott macht. Weitsichtigere Leute bei uns sind sogar über die Verschärfung gewisser Probleme Amerikas besorgt - nicht weil sie das gegenwärtige amerikanische System gut fänden, sondern weil sie sich darüber im klaren sind, daß möglicherweise eine nationale Krise tiefere Gründe haben kann als nur jeweils die, die auch von der breiten Öffentlichkeit erkannt und folglich bei Lösungsversuchen berücksichtigt werden. Sehen Sie, so kann es z. B. sein, daß Leute mit dem gegenwärtigen Zustand unzufrieden sind, sie aber bei der Suche nach den tatsächlichen Ursachen in die Irre geleitet werden. Sie hören dann vielleicht auf falsche Propheten und unterstützen Scheinlösungen. Genau das geschah in den zwanziger Jahren in Italien und in den dreißiger Jahren in Deutschland. Schließlich hat dieselbe Weltwirtschaftskrise, die Franklin Roosevelt in den USA an die Regierung brachte und dort zu den Reformen des ‘New Deal’ führte, Hitler zum deutschen Führer gemacht und damit zum Zweiten Weltkrieg geführt. Ja, wir wollen den historischen Wettstreit mit dem Kapitalismus gewinnen, aber wir möchten unseren Sieg nicht auf radioaktiven Trümmerhaufen feiern. | |
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Das Magazin Time veröffentlichte Zahlen, nach denen sozialistische Regierungen 39 Prozent der Erdoberfläche kontrollieren, während 42 Prozent der Weltbevölkerung Anhänger des Marxismus sind.
Diese Zahlen mögen im einzelnen korrekturbedürftig sein, aber es ist für jeden offenkundig, daß der Sozialismus, der Kommunismus, in weiten Teilen der Welt zur Grundlage des Lebens geworden ist.
Wie erklären Sie sich die Bemerkung Carters in seiner Rede in Annapolis, daß der Kommunismus für die Völker zunehmend an ‘Anziehungskraft verloren hat, selbst für jene marxistisch-leninistischer Färbung’?
Wir können solche Aussprüche nur als Wunschdenken des Weißen Hauses verstehen. Sie werden von den gerade genannten Zahlen widerlegt, zeigen diese doch, daß der Trend der Entwicklung in der Welt weggeht vom Kapitalismus, einschließlich seiner amerikanischen Spielart. Hat nicht Brzezinski in einem Artikel von 1976 mit der Überschrift ‘Amerika in einer feindlichen Welt’ davor gewarnt, die USA könnten schon bald das einzige kapitalistische Land sein? Natürlich verläuft kein geschichtlicher Prozeß, keine Revolution je ganz reibungslos. Sozialistische Länder mußten auch mancherlei Enttäuschungen einstecken. Analysiert man aber objektiv, was in der Welt vor sich geht, so denke ich, der ehemalige amerikanische Präsident hätte vorsichtiger sein sollen.
Sie glauben nicht an eine Revolution in absehbarer Zeit in den USA. Halten Sie es aber ganz allgemein für möglich, daß es früher oder später zu radikalen Veränderungen in diesem Land kommt?
Warum nicht? Nachdem ich an eine sozialistische Zukunft für alle Völker glaube, sehe ich gemäß der marxistischen Auffassung keinen Grund dafür, warum die USA in dieser Hinsicht eine Ausnahme sein sollten. Vielleicht nicht in der nahen Zukunft - aber irgendwann einmal wird die amerikanische Gesellschaft zum Sozialismus übergehen. Es liegt allein beim amerikanischen Volk, darüber zu entscheiden, welches System seinen Interessen am besten dient. Wenn die Zeit für eine sozialistische Revolution in Amerika reif ist, könnte sich diese von anderen Revolutionen, die die Welt bis jetzt erlebt hat, ganz wesentlich unterscheiden. Der amerikanische Sozialismus wird das Markenzeichen ‘Made in USA’ tragen.
1933 haben sich die Amerikaner für eine rationale Lösung ausgespro- | |
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chen, während die Deutschen den Weg ins Verderben einschlugen. Wer weiß, ob die Vereinigten Staaten nicht unbeabsichtigt in eine ähnliche Krise stolpern könnten?
Hoffentlich nicht, es spricht manches dagegen. Wenn ich eine Beobachtung machen konnte, dann die, daß die Amerikaner erheblich dazugelernt haben in den letzten Jahrzehnten. Stürmische Zeiten sind gewöhnlich bessere Lehrer als verschlafene Zeiten. Neben einem Mehr an geschichtlicher Erfahrung beobachten wir einen deutlichen Fortschritt, was die Bildung der breiten Schichten anbelangt. Die Amerikaner lesen heutzutage mehr. Es gibt geradezu einen Leseboom. Das Interesse an wahrer Kultur hat ebenfalls erheblich zugenommen. Viele Amerikaner sind heute wahrscheinlich weniger empfänglich für amtliche Propaganda und eher geneigt, sich selbst ein Urteil zu bilden, als früher. Aber diese Entwicklung auf dem Weg zu einer realistischen Einschätzung der Welt ist ziemlich langsam vorangegangen, fürchte ich. Immer noch gibt es eine Menge Unwissenheit und Leichtgläubigkeit im Lande. Die Situation ist heute sowohl in Amerika als auch anderswo sehr viel komplexer als 1933, und gleichzeitig wurden die Techniken zur Manipulation der Massen mit Riesenschritten weiterentwickelt. Jene, die das Volk in die Irre führen wollen, sind raffinierter geworden. Aus diesen Gründen kann meiner Meinung nach nicht ausgeschlossen werden, daß trotz der gewachsenen Aufgeklärtheit des Durchschnittsamerikaners in einer Krise ein falscher Weg eingeschlagen wird.
Tatsächlich hat man in Europa oft das Gefühl, die Amerikaner weigern sich einfach einzusehen, daß Weltreiche heutzutage überholt sind. Wir Europäer haben diese Lektion gelernt. Jetzt sind die Amerikaner an der Reihe.
Ich gebe Ihnen recht. Es gibt noch viele Lektionen zu lernen, viele neue Realitäten zu begreifen. Bei den Amerikanern ist z. B. das Gefühl der absoluten Sicherheit tief eingewurzelt, weil es über zwei Jahrhunderte hinweg durch die unüberwindbaren Barrieren der beiden Ozeane genährt wurde. Die strategische Überlegenheit, derer sich die USA in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erfreuten, muß zu diesem Gefühl der absoluten Sicherheit beigetragen haben. Nun hat sich die Situation aber drastisch verändert. Amerika muß sich nicht nur mit einem ungefähren militärischen Gleichgewicht abfinden, sondern ist auch genauso verwundbar und von der Vernichtung bedroht wie wir und alle übrigen Länder, falls es zu einem Krieg kommen sollte. Das ist für die Amerikaner eine neue psychologische Erfahrung. Es ist gewiß nicht | |
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leicht, sich daran zu gewöhnen und damit zu Rande zu kommen. Dadurch wird ein Klima gefördert, in dem sich mit dem Hinweis auf die ‘sowjetische Bedrohung’ Panikmache betreiben läßt, und zugleich wird die ständige Versuchung geschaffen, jenen Gefolgschaft zu leisten, die ein Wunder - nämlich aufs neue die Unverwundbarkeit früherer Jahre - versprechen, allein vorausgesetzt, es steht genügend Geld dafür zur Verfügung und es werden Waffen im entsprechenden Umfang produziert. Weiter muß man sehen, daß die Abgeschiedenheit, die fast vollständige ökonomische Unabhängigkeit und die Isolation, in der Amerika sich lange befand, das Interesse an der übrigen Welt nicht gerade gefördert haben. Deshalb liegt es den Amerikanern auch nicht besonders, die Verwicklungen auf der internationalen Ebene zu erforschen. Das trägt mit dazu bei, daß die Außenpolitik nur allzu oft ein Opfer der innenpolitischen Situation wird.
Welche Einstellung hat der Durchschnittsamerikaner, Ihren Eindrücken nach, zur UdSSR?
Nun, ich bin sehr viel Unwissenheit begegnet, unzutreffenden Vorstellungen, Mißverständnissen, Mißtrauen usw. Doch so gut wie nie bin ich Haß begegnet - weder gegenüber unserem Land, noch gegenüber den Russen. Der Durchschnittsamerikaner - das ist wenigstens der Eindruck, den ich bei Begegnungen gewonnen habe - ist bereit, zuzuhören und zu lernen. Ich glaube auch, daß die natürliche Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der meisten Amerikaner dabei sehr hilfreich ist.
1979 hat der für auswartige Beziehungen zuständige Ausschuß des Senats ein Buch über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen herausgegeben. Sie haben, neben anderen, dazu einen Beitrag geleistet. Ich möchte, daß wir uns mit einigen der von Ihnen dort erörterten Fragen befassen. Eine davon ist, ob die amerikanische Öffentlichkeit eine zutreffende Vorstellung von der Sowjetunion, ihren Menschen und ihren Führern hat.
Ich glaube nicht, daß das der Fall ist - nicht einmal, was die sowjetische Haltung zu den Problemen anbelangt, die auch für die USA selbst, für ihre nationalen Interessen und die Formulierung ihrer Außenpolitik von großer Bedeutung sind. Die Ungenauigkeit vieler amerikanischer Vorstellungen von der Sowjetunion kann kaum überraschen, wenn man davon ausgeht, daß das Bild der Amerikaner von der Sowjetunion von so ausgesprochen einseitigen und verzerrten Informationen bestimmt wurde, wie es bei keinem anderen Land der Welt der Fall ist - zumal das auch noch über einen so langen Zeitraum hinweg geschah. Das ist der | |
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Grund, warum die Vorstellungen geprägt sind von starker Voreingenommenheit und Vorurteilen.
Eine andere Frage war damals: Auf welchen Informationen basiert in Amerika die öffentliche Meinung über die Sowjetunion und Ausdruck welcher psychologischer, sozialer und politischer Kräfte ist sie?
Meine Antwort war damals folgende: Der Großteil der Informationen, die die Amerikaner über die Sowjetunion erhalten, stammt aus zweiter Hand, wird dem amerikanischen Publikum durch amerikanische Vermittler dargebracht (Journalisten, Experten, Politiker, CIA-Berichte und andere staatliche oder private Organisationen). Bis zu einem gewissen Grad ist das wahrscheinlich bei anderen Ländern ähnlich. Wenn es aber gilt, die amerikanische Öffentlichkeit über die Sowjetunion zu informieren, zeigen diese Vermittler sehr oft eine besondere Voreingenommenheit. Dies ist das Ergebnis persönlicher ideologischer Vorurteile, wie sie in vielen Fällen charakteristisch sind, und ist zugleich Ausdruck des direkten oder indirekten Drucks, der von jenen Kräften des Establishments ausgeübt wird, in deren Interesse es liegt, ein verzerrtes Bild von der Sowjetunion zu schaffen. In wohl kaum einem Land der Erde haben diverse Interessen so starken Einfluß auf die nationale Politik und die ihr zugrunde liegenden Konzeptionen, wie vergleichsweise in den USA. Zu denen, die vitales Interesse daran haben, daß in Amerika verzerrte Vorstellungen über die UdSSR herrschen, gehören der militärisch-industrielle Machtkomplex, die ultrakonservativen Kräfte, die Gruppen, die vom Kalten Krieg profitieren, antikommunistische Emigrantenorganisationen aus Osteuropa, die Israel-Lobby und andere.
Hat die amerikanische Öffentlichkeit nach Ihrer Auffassung tatsächlich einen Einfluß auf die US-Außenpolitik?
Ohne Zweifel beeinflußt die öffentliche Meinung die offizielle Politik. Dieser Einfluß kann zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Bedingungen (z. B. vor Wahlen) in der Tat sehr wesentlich sein. Nach meiner Auffassung nehmen jedoch die Exekutive und der Kongreß normalerweise auf Stimmungen in der öffentlichen Meinung weniger Rücksicht als auf die der gut organisierten ‘pressure groups’. Natürlich geschieht es oft, daß die US-Regierung und Gruppen, die auf die Politik Einfluß nehmen wollen, anstatt den Empfindungen der Öffentlichkeit zum Ausdruck zu verhelfen, versuchen, solche Empfindungen in der von ihnen gewünschten Art und Weise umzuformen. | |
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Unterscheidet sich das Bild, das in der öffentlichen Meinung von der Sowjetunion herrscht, wesentlich von dem der Experten?
Das ist wahrscheinlich der Fall, aber man darf nicht vergessen, daß es ruiter den US-Experten selbst die unterschiedlichsten Auffassungen gibt. Lange Zeit nahm die Mehrzahl von ihnen eine äußerst feindselige Haltung gegenüber der Sowjetunion ein. Das ist wahrscheinlich dem Umstand zuzuschreiben, daß die Studien über die Sowjetunion zur Zeit des Kalten Krieges einen Aufschwung erlebten und viele der Experten diesen politischen Zielen dienten. Der unverhältnismäßig hohe Anteil osteuropäischer Emigranten unter den US-Experten war ebenfalls ein Faktor. Ihre Einstellung gegenüber der Sowjetunion mag in Verbindung mit den Veränderungen, zu denen es in ihren Heimatländern nach dem Zweiten Weltkrieg kam, von stark ablehnenden persönlichen Gefühlen geprägt worden sein. Die Situation hat sich während der letzten Jahre bis zu einem gewissen Grad geändert. Die USA haben inzwischen einen Kreis von Experten für die Sowjetunion hervorgebracht, die in Amerika geboren wurden und in ihren politischen Ansichten das ganze Spektrum der amerikanischen Politik abdecken. Seien es nun Experten des alten oder des neuen Schlages - die US-Politiker finden unter ihren Ansichten für praktisch jeden gewünschten Standpunkt eine Bestätigung. Das ist nicht als Aufforderung gemeint, den Experten zu mißtrauen. Ich meine nur, daß erstens - selbst wenn Experten zur Verfügung stehen - die persönliche Kompetenz der politischen Führer unerläßlich ist; und daß zweitens diejenigen, die sich auf den Rat von Experten verlassen wollen, zuerst selbst Experten werden sollten, um zu wissen, wer aller Voraussicht nach eine objektive und gründliche Analyse der Sowjetunion erstellen kann.
Wie sieht es mit der politischen Elite aus - ist sie Ihrer Meinung nach ausreichend aufgeklärt, um wirksam Politik betreiben zu können?
Hier haben wir es mit einem weiteren Paradoxon zu tun. Man kann nicht umhin festzustellen, daß eine sehr starke Konzentration intellektueller Kapazitäten - vielleicht die stärkste auf dieser Welt - im Dienst der US-Außenpolitik steht (oder zumindest bis jetzt stand). Die Administration war stets darauf bedacht, die besten und klügsten Köpfe dafür zu gewinnen, in der Regierung und für die Regierung zu arbeiten. Eine Unzahl von Forschungsstätten innerhalb und außerhalb der Universitäten prüft Tag für Tag aufmerksam alles, was der Beachtung überhaupt wert ist, und sogar Dinge, die solche Beachtung ganz und gar nicht verdienen. | |
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Das Pentagon, der CIA, das Außenministerium und andere Behörden haben riesige Summen ausgegeben, um der Politik analytische Forschung als Entscheidungshilfe an die Hand zu geben. Die Eliten werden ständig über die Schwierigkeiten der Weltpolitik und über die Wege zur Lösung militärischer, ökonomischer und politischer Probleme aufgeklärt und in diesen Bereichen weitergebildet. Aber sobald man die praktischen Ergebnisse dieser umfangreichen Aktivitäten betrachtet, fragt man sich, in welchem Verhältnis Aufwand und Ertrag stehen. Das gesamte intellektuelle Potential, das hinter der US-Politik steht, erwies sich als unfähig, Amerika vor einer Reihe sehr gravierender Fehleinschätzungen und falscher Schritte zu bewahren, die vielleicht sogar schwerwiegender waren als die anderer Länder.
Wie erklären Sie dieses Paradoxon?
Nun, ich glaube nicht, daß die Politiker einfach nicht auf die Forscher und Analytiker hören. Mag sein, daß sie manchmal nicht sorgfältig genug zuhören, und zudem sind vielleicht manchmal die Spezialisten nicht allzu gut. Aber die Ursachen für die politischen Fehlschläge liegen tiefer. Man muß verschiedene innenpolitische Mechanismen in Betracht ziehen, die die Politiker zu falschen oder gar irrationalen Entscheidungen drängen. Die Art und Weise, in der in den USA die politische Führungsschicht ausgewählt wird, bringt mit sich, daß in manchen Fällen die Qualifikation dieser führenden Persönlichkeiten möglicherweise nicht den Aufgaben entspricht, die sie zu erfüllen haben. Die wichtigste Ursache aber ist das Vorhandensein bestimmter mächtiger Interessen des Establishments, die im Widerspruch stehen zu den Forderungen der Logik und der Vernunft und diese verneinen. Stanley Hoffman hat einmal gesagt, daß die Ursachen für die Fehler in der amerikanischen Außenpolitik nicht mit den Muskeln in Zusammenhang stehen, sondern mit dem Verstand. Das ist mit Sicherheit wahr. Wenn wir aber jetzt eine neue Welle politischer Kraftmeierei beobachten können, so nicht nur deshalb, weil einige Leute zu dumm sind, um die Situation zu verstehen. Es muß tatsächlich das System selbst sein, das die Vernunft zügelt und ihr die Grenzen durch einen sehr engen und festen Rahmen setzt.
Welche Aspekte der amerikanischen Außenpolitik bereiten Ihnen das größte Kopfzerbrechen?
Einige haben wir schon angesprochen, wie z. B. die Neigung, den äußerst komplizierten Problemen der Sicherheit im Atomzeitalter auszu- | |
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weichen und stattdessen die Rüstungsausgaben weiter zu erhöhen und Berge von Waffen anzuhäufen. Ein weiterer Aspekt ist der Vorrang, den politische Führer innerpolitischen Erwägungen einräumen, und zwar auf Kosten eines beständigen Kurses in der Außenpolitik. Schauen Sie sich dazu nur das Beispiel der US-Politik im Nahen Osten an. Die US-Außenpolitik zeigt einen Mangel an Kontinuität, der die USA zu einem unbeständigen und unzuverlässigen Partner macht, selbst bei so wesentlichen Bemühungen wie den Abkommen zur Rüstungsbegrenzung. Sehen Sie sich nur die traurige Geschichte des SALTII-Vertrages an. Wir begannen die Verhandlungen darüber mit Präsident Nixon, mußten dann aber mit Ford und Carter fast wieder von vorne beginnen. Und nun gibt es abermals Versuche, eine ‘Neuverhandlung’ des Vertrages in die Wege zu leiten. Ich möchte auch auf deutlich spürbare Reste eines messianischen Sendungsbewußtseins hinweisen.
Was meinen Sie damit genau?
Vielleicht handelt es sich dabei um ein Erbe der calvinistischen Vergangenheit. In jenen Tagen mußten die Pilgerväter, allein schon um des Überlebens willen, einfach daran glauben, daß sie ein neues, auserwähltes Land gründeten, das frei von den Sünden der Welt war. Möglich, daß dieses Gefühl, das dem eigenen Schutz diente, im Laufe der Zeit einen offensiven Charakter annahm und in Überzeugungen von der ‘schicksalhaften Bestimmung’ und später dem ‘Jahrhundert Amerikas’ seinen Ausdruck fand. Obwohl dieses Sendungsbewußtsein viel von seinem alten Schwung verloren hat, ist bis heute das tiefe, fast instinktive Verlangen unvermindert erhalten, andere, wenn möglich mit Worten, wenn nötig mit Gewalt, zu schulmeistern. In jüngster Zeit haben wir sogar die Wiedergeburt eines Enthusiasmus erlebt, der von dem gleichen, immer wieder aufs neue auftauchenden Geist getragen wird. Das schlimmste dabei ist, daß dadurch ständig zweierlei Maß angelegt wird, was sich auf die Aufrechterhaltung normaler Beziehungen zwischen den USA und anderen Ländern äußerst störend auswirkt.
Falls Sie an die ‘Menschenrechts-Politik’ denken - darauf werden wir zurückkommen. Lassen Sie uns im Augenblick bei der amerikanischen Außenpolitik verweilen.
Ein weiteres typisches Merkmal der US-Außenpolitik - wenngleich Amerika darin nicht einzigartig dasteht - ist die außergewöhnliche | |
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Hochschätzung von Macht und Stärke. Soweit ich die amerikanische Haltung begriffen habe, ist ein schwaches Land für sie kein Partner, nur dem Starken begegnen sie mit Respekt. Davon sollten wir als Tatsache ausgehen, zumindest für die Gegenwart. Obwohl die vorherrschende amerikanische Klage der Stärke der Sowjetunion gilt, ja sogar unserer angeblichen Überlegenheit (ob letzteres der Wahrheit entspricht, ist eine andere Frage), glaube ich, daß Schwäche unsererseits zu keinen besseren sowjetisch-amerikanischen Beziehungen geführt hätte. Ganz im Gegenteil. Unser Land wäre, was seine Beziehungen zu den USA anbelangt, in diesem Fall weitaus schlechter dran als heute. Das gleiche gilt übrigens für viele andere Länder, die ihre Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit nur gewinnen konnten, weil die Sowjetunion als ein Gegengewicht zur überwältigenden Macht Amerikas auf den Plan trat. Wenn ich das sage, so will ich die Amerikaner damit nicht als ein Volk darstellen, das schon von Natur aus aggressiv ist. Dem ist einfach nicht so, wenn wir die Amerikaner als Einzelwesen betrachten. Obwohl die USA gerne anderen Ländern eine besondere Hochschätzung der Stärke unterstellen, trifft eine solche Wertschätzung doch am allermeisten für die USA selbst zu. Das haben wir mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Ihr Erstarken hat aber die Beziehungen zu den USA nun auch nicht gerade in eine Romanze verwandelt.
Nein, das nicht. Ich wollte auch nur betonen, daß Schwäche unsererseits diese Beziehungen nur noch verschlechtert hatte. Dadurch wären die falschen Hoffnungen, uns nach amerikanischen Vorstellungen ummodeln zu können, nur noch verstärkt worden. Wenn ich das feststelle, so habe ich nichtsdestotrotz die Hoffnung, daß sich die Situation ändern wird, daß der Aspekt der Macht sowohl in der US-Politik wie auch in internationalen Beziehungen allgemein eine geringere Rolle spielen wird. Entspannung, Rüstungskontrolle und internationale Zusammenarbeit sollen uns ja genau auf diesen Weg bringen.
Während der zwanzig Jahre, in denen ich von Corpus Christi in Texas bis Sheboygan in Wisconsin Vorträge vor amerikanischem Publikum gehalten habe, ist es mir nie gelungen, deutlich zu machen, was Krieg bedeutet, und die Furcht vor dem Krieg, wie wir sie während der Okkupation Hollands durch Nazi-Deutschland erlebten, zu beschreiben.
Gunnar Myrdal hat jüngst festgestellt: ‘Daß die US-Bürger die Schrekken des Krieges nicht aus eigener Erinnerung kennen, stellt für die USA | |
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wie für die übrige Welt eine Gefahr dar.’Ga naar eind8 Es ist eine Tatsache, daß die beiden Kriege, die Europa verwüsteten und die Haltung der Europäer zum Krieg so einschneidend veränderten, Amerika reicher machten. Während des Zweiten Weltkriegs, der 50 Millionen Tote forderte, betrugen die amerikanischen Verluste ungefähr zwei Prozent der unseren. Auf dem Leningrader Piskarev Soldatenfriedhof ruhen allein schon mehr Gefallene, als die Amerikaner an allen Kriegsfronten zusammen zu beklagen hatten. Für unser Land bedeutete der Zweite Weltkrieg die Vernichtung eines ungeheuren ökonomischen Potentials, während derselbe Krieg die Amerikaner aus der wirtschaftlichen Depression führte. In Korea und Südostasien waren die Verluste der Amerikaner nichts im Vergleich zu den Leiden der Koreaner, Vietnamesen, Kambodschaner und Laoten. Natürlich mache ich Amerika daraus keinen Vorwurf, daß es weniger als andere auf dem Altar des Krieges geopfert hat, noch fordere ich es zu größeren Opfern auf. Von dem Standpunkt der Moral aus betrachtet, könnte man von den Amerikanern aber eine weit weniger sorglose Haltung dem Krieg gegenüber erwarten. Was die praktische Seite angeht, so stimme ich mit Myrdal darin überein, daß dadurch, daß in ihrer geschichtlichen Erfahrung Lücken bestehen, im Bewußtsein der Amerikaner ein wichtiger Sicherheitsmechanismus fehlt.
Als Europäer würde ich sagen, das alles hängt sehr eng mit der typisch amerikanischen Egozentrik zusammen.
Ich glaube, Sie haben recht. Ich habe oft erlebt, wie schwierig es für Amerikaner ist, sich in die Lage anderer Völker zu versetzen, ja auch nur die Folgen des amerikanischen Handelns für andere zu ermessen. Manchmal glaube ich, es sind nicht nur die dubiosen Absichten und etablierten Interessen eines Teils der Amerikaner, die einige der brennendsten Probleme von heute schaffen, auch ihre Unfähigkeit, das Leben durch die Brille der anderen Seite zu sehen, trägt dazu bei. Wir haben schon davon gesprochen, daß die USA z. B. bei der Einschätzung der militärischen Stärke der Sowjetunion die tatsächlichen Gefahren ignoriert, denen die Sowjetunion sich gegenübersieht, zugleich aber heftig die ‘sowjetische Bedrohung’ beklagt. Ich glaube auch nicht, daß die USA ihre eigenen Verbündeten vollkommen verstehen. Vor allem verstehen sie nicht, daß Europa für die Europäer nicht ein vorgeschobener Außenposten ist, der das amerikanische Kernland bewacht, nicht eine weitentfernte Bühne für taktische Schachzüge, sondern daß es ihr Lebensraum ist - und zwar ihr einziger. Vielleicht hat Europa deshalb zur Entspannung und zu einer Verbesserung | |
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der Beziehungen zu der UdSSR eine andere Einstellung. Von westdeutschen Freunden hörte ich, daß Jimmy Carter fast die gesamten vier Jahre seiner Regierungszeit brauchte, um zu begreifen, was die Ostpolitik wirklich für die Westdeutschen bedeutet. Man kann nur hoffen, daß sein Nachfolger schneller lernt. Die amerikanische Ignoranz gegenüber der Dritten Welt ist sogar noch größer. Ich glaube nicht, daß die Amerikaner überhaupt wissen, wie die Völker der Dritten Welt leben, was sie fühlen und was sie wollen - nicht einmal was Amerikas nächste Nachbarn betrifft, wie die Völker von El Salvador, Nicaragua, Guatemala und Panama oder das übrige Lateinamerika. Oft scheint es mir so, als hätten die Amerikaner in ihrer Geschichte unerhörtes Glück gehabt, vielleicht zu viel Glück, um Völker, deren Geschichte weniger glücklich verlaufen ist, verstehen zu können und für sie tiefe Sympathien zu hegen.
Was ist zu den vielgerühmten amerikanischen Wohltätigkeitsprogrammen und kostenlosen Hilfslieferungen zu sagen?
Zugegeben, es gibt viele caritative Institutionen, von denen manche bei der Beseitigung von Armut und anderem menschlichen Elend mithelfen. Aber was die Mildtätigkeit anbelangt, möchte ich nicht den üblichen Vorwurf wiederholen, es handle sich dabei lediglich darum, das Gewissen zu beruhigen, um die eigene Sattheit um so mehr genießen zu können. In manchen Fällen sind die Motive ganz andere, in manchen Fällen sind sie edel. Aber die meisten Wohltätigkeitsprogramme sind meilenweit von Idealen wie der Selbstlosigkeit und dem Teilen in christlicher Nächstenliebe entfernt. Sie richten sich vielmehr weitgehend nach den wirtschaftlichen und politischen Interessen des amerikanischen Establishments. Nehmen wir die Ereignisse 1980 in Kamputschea. Einerseits behinderten die USA die Lieferung von Hilfsgütern an die kamputscheanische Regierung, die den größten Teil des Landes kontrollierte und einen verzweifelten Versuch unternahm, dieses vom Schicksal hart getroffene Volk vor Tod und Erniedrigung, welche die barbarische Herrschaft Pol Pots über das Land gebracht hatte, zu retten. Andererseits pochten die Amerikaner lautstark auf ihr Recht, den Resten der Pol-Pot-Armee nahe der thailändischen Grenze ‘humanitäre Hilfe’ zukommen zu lassen. Damit nicht genug des Unrechts, lasteten die Amerikaner der kamputscheanischen Regierung auch noch an, sie stehe dem menschlichen Leid gleichgültig gegenüber. Man kann das amerikanische Verhalten in diesem Fall beim besten Wil- | |
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len nicht als Ausdruck humanitären Anliegens bezeichnen. Allerdings gewinnen die Vorgänge an Logik, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß einerseits die USA mit China gemeinsame Sache machen und Pol Pot Chinas Marionette war und andererseits die Gelegenheit zur Vergeltung an Vietnam bestand. Ferner wird oft im Eifer selbstgerechter Empörung übersehen, daß der Löwenanteil der Schuld an Kamputscheas hartem Schicksal bei den Vereinigten Staaten liegt. Haben doch letztlich die USA den Weg für Pol Pot geebnet, indem sie 1970 militärisch gegen das damalige Kambodscha vorgingen und indem sie sich in die inneren Angelegenheiten einmischten und damit den Sturz der neutralistischen Regierung des Prinzen Norodom Sihanuk erleichterten.
Um zu den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zurückzukehren: Glauben Sie, daß eine pluralistische, ungeordnete und bisweilen außer Rand und Band geratende Gesellschaft wirklich mit einer geordneten und zentralisierten Gesellschaft in Koexistenz leben kann?
Wenn eine Gesellschaft außer Rand und Band gerät, ist es, für wen auch immer, schwierig, mit ihr zu leben. Aber lassen wir Fälle nationalistischer Hysterie als außergewöhnliche Situationen hier einmal außer Betracht. Den amerikanischen ‘Pluralismus’ dafür verantwortlich zu machen, daß die Entspannung in den letzten Jahren Rückschläge erlitten hat, würde nichts anderes bedeuten, als einen Sündenbock zu suchen. Wir wissen, daß die amerikanische Gesellschaft vielschichtig, heterogen und in gewisser Hinsicht dezentralisiert ist, und wir sind ganz und gar darauf vorbereitet, mit dieser Gesellschaft so in Koexistenz zu leben, wie sie wirklich ist.
Wäre es nicht sinnvoll, wenn der US-Kongreß disziplinierter wäre und den Präsidenten z. B. in dringenden Angelegenheiten, wie dem SALT II-Abkommen, unterstützen würde.
Sicher wäre es sinnvoll. Aber wir müssen Realisten sein. Der Kongreß spielt im politischen System der USA eine wichtige Rolle, und jetzt, nach all der Erfahrung, die wir mit ihm gemacht haben, verstehen wir die politischen Vorgänge in Washington gut genug. Allerdings, das muß ich eingestehen, zweifeln wir manchmal daran, ob Verfahrensregeln weise zu nennen sind, die es einigen Senatoren, die eine kleine Minderheit vertreten, möglich machen, einen Vertrag zu blockieren, der von hervorragender, ja entscheidender Bedeutung für die ganze Nation ist und der laut Umfragen von einer Mehrheit von über | |
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70 Prozent unterstützt wird, bei nur 10-15 Prozent Gegenstimmen. Aber solche Fragen wollen wir außer acht lassen, denn wir wissen, daß sie eine Frage der Verfassung sind, über die nur die Amerikaner selbst entscheiden können. Wir sind im übrigen der festen Überzeugung, daß die Entspannung einer ehrlich geführten politischen Debatte in Washington standgehalten hätte, ja sogar gestärkt daraus hervorgegangen wäre. Nach unserer Auffassung waren es nicht die verfassungsmäßigen Rechte des Kongresses, die zu den Problemen im Handel und beim SALT-Abkommen führten, genauso wenig, wie die Pressefreiheit für den dogmatischen Antisowjetismus verantwortlich ist, der in den amerikanischen Medien vorherrscht. Das Problem besteht darin, daß sich wohletablierte, festverankerte und weitverzweigte Kräfte innerhalb der Machtelite - wie z. B. das militärisch-industrielle Macht- und Interessenkartell -, die daran interessiert sind, die Entspannung zu unterhöhlen und die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zu stören, des Pluralismus in den USA auf sehr wirklungsvolle Weise bedienen. Jene, die andere Interessen haben, und auch jene, die die nationalen Interessen in ihrer Gesamtheit wahren müssen, haben es diesmal nicht geschafft, sich diesen Angriffen wirkungsvoll zu widersetzen, so daß die Entspannung problematisch geworden ist. Ich möchte sogar behaupten, daß das im Kongreß nicht passiert wäre, wenn die Exekutive hartnäckiger und nicht so unentschlossen gewesen wäre.
Sie geben der Exekutive die Schuld?
Ja, vor allem, was die Debatte zum SALT II-Abkommen anbelangt. Niemand hätte den Vertragsgegnern mit mehr Autorität entgegentreten können als der Regierungsapparat. Nur die Regierung konnte der Öffentlichkeit nachweisen, daß es eine militärische Überlegenheit der UdSSR über die USA nicht gibt und daß die größte Bedrohung für die Sicherheit der USA nicht von der Sowjetunion ausgeht, sondern von einem unkontrollierten Wettrüsten. Die US-Regierung hätte auch besser als irgend jemand sonst die Öffentlichkeit über die tatsächliche Situation im Bereich des sowjetisch-amerikanischen Handels und anderer wichtiger Themen aufklären können. Unglücklicherweise hat das Weiße Haus diese Chance nicht nur verpaßt, sondern in entscheidenden Phasen der Kampagne gegen die Entspannung selbst mitgewirkt und die positiven und realistischen Tendenzen in der öffentlichen Meinung mit abgewürgt.
Was halten Sie von dem Argument, die USA könnten in einem mit vollem | |
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Einsatz geführten Wettstreit mit der Sowjetunion nicht ihre gesamten Resourcen aufbieten, da sie ein weniger straff geführtes Land sind?
Genau genommen ist dieses Argument die Kehrseite der Vorstellung, die Sowjetunion müßte erst eine weniger straff geführte Gesellschaft werden, bevor die USA einer Koexistenz mit ihr zustimmen könnten. Die Liberalen bevorzugen in der Regel eine ‘weniger straff geführte’ Sowjetunion, die Konservativen ein ‘straffer geführtes’ Amerika. Die extreme Rechte will beides. Während die Amerikaner das Recht haben, die USA so zu ‘organisieren’, wie sie wollen, müssen sie es uns überlassen, unsere grundlegenden Hoheitsrechte auszuüben - unsere eigene Gesellschaftsordnung zu bestimmen. Hinzu kommt, daß all diese vereinfachenden Vergleiche an dem entscheidenden Punkt, den ich schon erwähnt habe, vorbeizielen: Der eigentliche Wettstreit findet zwischen sozialen Systemen statt, d.h., zwischen ihrer Fähigkeit, den Menschen von heute ein glückliches und sinnerfülltes Leben zu ermöglichen. Es ist wichtig, das zu betonen, denn wenn die Amerikaner ‘Ressourcen mobilisieren’ sagen, meinen sie wohl kaum mehr Geld für die Armen und Alten. Sie meinen nicht die friedliche Koexistenz und den friedlichen Wettstreit. Die militärische Nebenbedeutung des Wortes ‘mobilisieren’ ist nicht ohne Symbolik.
Sie würden also nicht verleugnen, daß die UdSSR für eine Auseinandersetzung mit den USA besser vorbereitet zu sein scheint, als es die Amerikaner für eine Auseinandersetzung mit den Russen sind?
Weil in unserer Gesellschaft größere Einmütigkeit herrscht und wir uns geschlossener um eine nationale Sache sammeln, sind wir, glaube ich, besser dafür gerüstet, jedwede nationale Politik konsequent zu verfolgen - vorzugsweise eine Politik der Entspannung, aber im Fall der Konfrontation auch eine Politik mit den dann erforderlichen Maßnahmen. Gleichzeitig sollte man aber nicht die Fähigkeit der Amerikaner unterschätzen, solche gemeinsamen Anstrengungen zuwege zu bringen, bedauerlicherweise aber sind sie mit sehr viel mehr Bereitschaft bei der Sache, wenn es um eine Auseinandersetzung geht, wenn die Trommeln des Patriotismus, ja des Hurrapatriotismus ertönen und der Schlachtruf erschallt ‘Gib's ihnen, Harry!’ (oder Jimmy, oder Ronnie) - ganz gleich, wer ‘sie’ nun gerade sind. Die späten siebziger Jahre und der Beginn der achtziger Jahre haben uns die Richtigkeit dieser These erneut demonstriert. Freilich dürfte heutzutage die Fähigkeit, alle Kräfte für eine Auseinan- | |
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dersetzung aufzubieten, nicht mehr von allzu großer Bedeutung sein. Wenn es nicht zum schlimmsten kommt und die Zeit der Konfrontation früher oder später abgelöst wird von einer neuen Periode der Entspannung, wird diese Fähigkeit keine große Rolle spielen. Kommt es aber zum schlimmsten Fall - ist es dann noch von Belang, ob sich eine Nation durch Bereitschaft, Geschlossenheit oder nationale Gefühle auszeichnete?
Reginald Bartholomew, ein ehemaliger Mitarbeiter Brzezinskis und späterer Direktor des State Department Bureau of Political and Military Affairs, deutete in einem Gespräch mit mir an, im Weißen Haus habe man mitunter den Eindruck, die Sowjetunion stelle Amerikas Mannhaftigkeit auf die Probe.
Ich muß mich häufig über die Besessenheit amerikanischer Politiker wundern, wenn es um ihre Mannhaftigkeit geht; nicht um die persönliche Mannhaftigkeit, die natürlich wichtig ist, sondern um die Mannhaftigkeit in politischer Hinsicht. Sie scheinen an dieser Vorstellung von Männlichkeit Gefallen zu finden, daran, sich wie Matadore in der Arena zu gebärden. Effekthascherei kann aber in der Politik extrem gefährliche Folgen haben. Das Ziel kann nicht und sollte auch nicht sein, bei jeder Gelegenheit der ganzen Welt seine Mannhaftigkeit zu beweisen. Eine solche Haltung führt zu falschen und unrealistischen Ansätzen in öffentlichen Angelegenheiten. Worauf es dagegen beim politischen Handeln wirklich ankommt, das sind Weisheit, Zurückhaltung, die Fähigkeit, die andere Seite zu verstehen, sowie das Auffinden möglicher und realisierbarer Lösungen, denn Politik war immer die Kunst des Möglichen und wird es auch immer bleiben. Dies sollte wirklich verstanden und für das Atomzeitalter als besonders wichtig erkannt werden. Aber vielleicht ist die Öffentlichkeit in diesen Belangen nicht ausreichend aufgeklärt und informiert. Und Politiker, die versuchen, sich und ihre Politik der Öffentlichkeit zu verkaufen, sind versucht, solche Sehnsüchte nach übertriebener Männlichkeit (die so sichtbar von Bombern, Flugzeugträgern und anderem militärischen Gerät symbolisiert wird), zu wecken, vor allem, weil das viel einfacher ist und weniger geistige Fähigkeiten und Mut verlangt; der Frage, wie unangemessen solches Verhalten ist, wird dagegen kaum Beachtung geschenkt. Unangemessen vor allem im Hinblick auf die wichtigsten Probleme wie Frieden, Inflation, Arbeitslosigkeit und Energiefragen.
Dieses einzigartige Syndrom übersteigerter Männlichkeit kann nicht nur | |
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in der amerikanischen Politik beobachtet werden, sondern ebenso in anderen Bereichen, bei den Künsten, ja sogar bei der Popmusik.
Ich bin kein Experte auf dem Gebiet der Kunst. Aber was die amerikanische Politik anbelangt, so gibt es womöglich eine verständliche Erklärung. Die lange Reihe außenpolitischer Niederlagen hat in den letzten Jahren militante Gefühle geschürt und die Eitelkeit gekränkt. Allzuwenige versuchen den tatsächlichen Ursachen dieser oft verletzenden Niederlagen auf den Grund zu gehen, stattdessen schwingt man lieber wutentbrannt die Fäuste.
In der Teheraner Geiselaffäre hat ein Beobachter die USA mit einem Löwen verglichen, der verwundet wurde. In diesem Zustand sind Löwen gewöhnlich am gefährlichsten.
Im Dschungel ja. Aber wir sollten eigentlich in einer zivilisierten Welt leben und nicht im Dschungel.
Leslie Gelb hat die Ansicht vertreten, es sei höchste Zeit für die USA, ‘ein besseres Gespür für die eigenen Interessen zu entwickeln und sie die Russen im voraus wissen zu lassen’. Er fuhr fort: ‘Das Zuckerbrot war das eine wie das andere Mal erbärmlich und die Peitsche zwangsläufig unangemessen. Wir hatten zu wenig anzubieten und keine ausreichenden Drohmittel.’Ga naar eind9
Offen gesagt, bei allem Respekt vor Leslie Gelb, halte ich das Symbol von Zuckerbrot und Peitsche für eine allzu simplifizierende Ebene, um auf ihr die Probleme unserer Zeit zu diskutieren. Woran Leslie Gelb gedacht haben muß, ist, daß die USA zu wenig Zuckerbrot angeboten haben und schon bald nur mehr ziemlich erbärmliche Krümel übrig waren, bis die US-Regierung schließlich in einem Ausbruch biblischen Zorns auch diese wieder wegschnappte. Es gab auch nicht den großen Knüppel, abgesehen vom Krieg, der Selbstmord bedeuten würde. Und die kleineren Knüppel, die die USA hatten, waren sehr schnell aufgebracht, wobei sich im weiteren Verlauf herausstellte, daß sie auch ihren Benutzer treffen können und somit den Vereinigten Staaten nicht weniger schaden als uns (z. B. das Getreideembargo, der Abbruch der Handelsbeziehungen und andere Dinge). In einigen Fällen ist nicht auszumachen, zu welcher Kategorie sie gehören - dem Zuckerbrot oder der Peitsche. Nehmen wir den SALT II-Vertrag. Unabhängig davon, wie diese Frage letztlich geregelt werden wird, scheint die ganze Abmachung nun dem wütenden Wunsch, die Sowjet- | |
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union ‘zu bestrafen’, zum Opfer zu fallen. Es werden jetzt unsere beiden Länder darunter leiden, und zwar gleichermaßen. Gleichzeitig würde ich sagen, daß allein schon die Idee, Zuckerbrot und Peitsche anzuwenden, in unserer Zeit nicht funktionieren kann. Ich glaube nicht, daß irgendein Land bereit ist, eine solche Abhängigkeit von Bestechungen und Drohungen zuzulassen, daß seine Politik von der Hauptstadt eines anderen Landes aus gelenkt wird. Und gewiß haben sowohl die USA wie auch die Sowjetunion es bis jetzt vermieden, in eine solche Situation zu geraten, und werden dies auch weiterhin vermeiden. Mit anderen Worten: Zuckerbrot und Peitsche funktionieren nicht, weil es eine Art der Einflußnahme ist, die in unserer Zeit kein souverändes Land dulden würde.
Weil es Ungleichheit voraussetzt. Aber folgt nicht aus dem Gesagten, daß das internationale Geschehen weniger steuerbar und chaotischer wird? Die Gefahren eines solchen Trends - falls es ihn gibt - scheinen offenkundig zu sein.
Die Außenpolitik eines Landes von außen zu steuern, wird in der Tat immer weniger durchführbar. Ob das gefährlicher oder weniger gefährlich ist, ist eine andere Frage. Denken Sie an die Zeiten, als die Welt in verschiedene Weltreiche aufgeteilt war, die als straffe Kontrollsysteme wirkten. Damals gab es endlose Kriege. Jeder war blutiger als der vorhergehende. Wir in der Sowjetunion glauben, daß die nationale Souveränität und die Gleichberechtigung der Staaten notwendige Voraussetzungen für den Frieden und die internationale Stabilität sind. Gerade auf diesem Fundament der Souveränität und der Gleichheit kann ein neues internationales System errichtet werden, das die Außenpolitik der einzelnen Staaten überwacht und kontrolliert, ein System, das bestimmte politische Verhaltensweisen ausschließt und andere unterstützt. Die Kontrolle wird jedoch nicht in der Hand eines einzelnen Landes oder eines Militärblocks liegen. Dieses System kann nur durch das Völkerrecht oder kollektive Sicherheitseinrichtungen wie die Vereinten Nationen gewährleistet werden. Andernfalls würden wieder imperiale Zustände herrschen mit all den unvermeidlichen Brandherden.
Welche Belohnungen und Strafen kann es in einem solchen System geben?
Zu den Belohnungen würde eine Garantie der Sicherheit gehören, die es dem betreffenden Land gestattet, für seine interne Entwicklung mehr Ressourcen bereitzustellen. Was die Strafen anbelangt, so würde sich ein | |
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Land selbst bestrafen, wenn es sich durch sein Verhalten um die genannten Vorteile bringt und das bestehende Sicherheitssystem verletzt. Andere Formen der Strafe wären die wachsende Kriegsgefahr und die Verurteiling durch die Weltöffentlichkeit. In extremen Fällen könnten bestimmte Arten kollektiver Maßnahmen zur Anwendung kommen, wie jene, die in der UN-Charta enthalten sind, und die Stabilität dieses neuen internationalen Systems würde auch noch durch eine Art weitgehende Unabhängigkeit der Staaten gewährleisttet.
Was versteht der Westen und was versteht er nicht im Zusammenhang mit der sowjetischen Außenpolitik?
Ihre Frage bringt mich in Versuchung, ein Klagelied über all die Ungerechtigkeiten uns gegenüber anzustimmen. Obwohl es für solche Klagen mehr als genug Gründe gäbe, ziehe ich es dennoch vor, mir eine solche Aufzählung zu versagen. Ich möchte lieber versuchen, die Hauptpunkte darzulegen. Das hauptsächliche Problem sind nicht Mißverständnisse oder ein Mangel an Verständnis, sondern es sind allgemeine Haltungen. Lange Zeit hat sich der Westen geweigert, unsere Existenz überhaupt zu tolerieren, und es gibt Leute, die sich noch heute weigern, sie zu akzeptieren. Einige haben wahre Wahnvorstellungen über uns entwickelt. Diese starrsinnige Weigerung, die Realität anzuerkennen, ist sowohl die Wurzel der Schwierigkeiten als auch die Hauptursache für Mißverständnisse. Man kann beredter sein als Cicero, wenn es gilt, die Argumente von Leuten wie Richard Pipes, Paul Nitze oder von Senator Henry Jackson zu widerlegen, dennoch werden sie sich nicht überzeugen lassen, weil ihre Ansichten von einem gußeisernen Anti-Sowjetismus bestimmt sind. Selbstverständlich stellen solche Leute heute eine Minderheit dar. Aber ihre Haltung ist nur ein Extremfall, wogegen viele, auch wenn sie frei von solchem Extremismus sind, immer noch mit den gleichen politischen Haltungen infiziert sind, die in ihrer logischen Konsequenz die Idee einer friedlichen Koexistenz mit der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern ablehnen. Natürlich gibt es im Westen auch andere führende Politiker, sonst hätte es die Entspannung überhaupt nie gegeben. Diese Leute denken in umfassenden zivilisierten Begriffen, sie beweisen Weitblick. Sie sind vernünftig genug, die äußerste Dringlichkeit der Koexistenz mit der Sowjetunion zu begreifen, ob sie nun unsere Gesellschaft mögen oder nicht. | |
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Können Sie einige beim Namen nennen?
De Gaulle und Brandt sind vielleicht zwei der prominentesten Beispiele, was ihren Einfluß auf die praktische Politik anbelangt. Es ist natürlich sehr schwierig, diese beiden Männer in die gleiche Kategorie einzuordnen - unterschiedlich wie sie nun einmal sind - sowohl in ihren politischen Auffassungen, als auch in anderer Hinsicht. Gemeinsam war ihnen aber die Fähigkeit, Vorurteile und Stereotype zu überwinden und die Dinge realistischer zu sehen als viele ihrer Zeitgenossen im Westen. Beide erkannten klar die fundamentalen Interessen ihrer eigenen Länder und versuchten nicht, die der Sowjetunion sowie deren Politik und wirkliche Ziele außer acht zu lassen. Vielleicht waren ihre Erfahrungen aus der Kriegszeit ein Grund dafür, daß sie die Realität begriffen. Brandt war von den Nazis aus Deutschland verjagt worden und nahm am Kampf gegen sie teil. De Gaulle war ebenfalls ein entschlossener Kämpfer für die Befreiung Frankreichs von der Okkupation durch die Nazis. Diese Erfahrungen mögen eine Schlüsselrolle gespielt haben, ist doch unsere Einstellung zum Krieg einer der wichtigsten Punkte, über die im Westen falsche Vorstellungen von der Sowjetunion herrschen. Leute aus dem Westen, besonders Amerikaner, übersehen oftmals, was der Zweite Weltkrieg tatsächlich für die Sowjetbürger bedeutete. Wissen Sie, heutzutage kann man manchmal im Westen Meinungen wie diese hören: Da die Russen im letzten Krieg 20 Millionen Menschen verloren haben, sind sie abgehärtet genug, um bei einem Atomkrieg ohne weiteres noch einmal 20 oder sogar 40 Millionen Tote hinzunehmen.
Was steekt hinter solchem Denken?
Versuche, zu beweisen, daß die Aussicht auf große Verluste die Sowjetunion nicht davor abschrecken kann, einen Atomkrieg zu beginnen. Genauso gut könnte man von jemand, der bei einem Autounfall ernsthaft verletzt wurde, sagen, er werde in Zukunft besonders leichtsinnig fahren, weil er an schwere Verletzungen gewöhnt sei. Der Zweite Weltkrieg hat uns einen glorreichen Sieg beschert. Aber er hat die Sowjetbürger auch gelehrt, den Frieden zu schätzen - mehr noch als je zuvor. Frieden ist unser oberstes Ziel.
Haben Sie selbst am Zweiten Weltkrieg teilgenommen?
Ja. Ich war 18, als der Krieg begann, und nach ein paar Monaten Ausbildung an einer Militärschule wurde ich als Offizier mit einer der ersten | |
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Einheiten unserer Raketenartillerie an die Front geschickt. Ich weiß, was der Krieg bedeutet. Aber die nachfolgende Generation, wie z. B. mein Sohn, die den Krieg nur aus Büchern und Filmen kennt, fühlt die gleiche tiefe Verpflichtung zum Frieden. Diese Verpflichtung ist ein sehr starker kultureller Zug in unserem Land. Das ist auch der Grund, warum die Politik des Friedens und der Entspannung so einmütige und breite Unterstützung bei unserem Volk findet, warum sie so tiefe geschichtliche Wurzeln hat.
Verkörpert Leonid Breschnew diese Friedenspolitik?
Generalsekretär Breschnew hat großen persönlichen Anteil an dieser Politik. Zugleich aber ist es die Politik der ganzen Partei. Es ist das Mandat verschiedener vom ZK der KPdSU durchgeführter Parteitage. Aber ich möchte noch etwas Wichtiges anfügen. Daß wir uns dem Frieden verpflichtet haben, heißt nicht, daß wir uns irgendwelchem Druck beugen werden. Unsere Menschen hassen den Krieg, aber sie sind stolz und patriotisch gesonnen; wenn sie fühlen, daß jemand unsere Sicherheit bedroht, so sind sie bereit, sich dieser Bedrohung zu widersetzen. Ich halte diese Mahnung für sehr wichtig, weil es den Anschein hat, als würde derzeit in den USA wieder in wachsendem Maße die Illusion gehegt, man könne uns in die Knie zwingen, indem man uns in ein neues Wettrüsten verstrickt. Wir mögen ein geringeres Bruttosozialprodukt als die USA haben, aber wir können größere Entbehrungen ertragen. Eine weitere Tatsache wird oft nicht richtig verstanden. Ich meine unsere Empfindlichkeit gegenüber Einmischung von außen in unsere inneren Angelegenheiten. Während unserer ganzen Geschichte seit 1917 waren wir ständig Versuchen von außen ausgesetzt, unsere Entwicklung in der einen oder anderen Weise zu behindern und zu vereiteln. Um uns davon abzuhalten, den 1917 eingeschlagenen Weg fortzusetzen, wurde ein umfangreiches Arsenal an Maßnahmen eingesetzt, angefangen bei bewaffneter Intervention bis hin zu raffinierter Propaganda. Das hat uns ungleich empfindlicher werden lassen für jedwede Einmischung in unsere Angelegenheiten als jene, die nie eine wirkliche feindliche Umwelt zu spüren bekamen. Nicht, daß wir Angst haben, nein. Wir sind stark und zuversichtlich genug. Aber wir neigen leichter dazu, hinter jeglicher Einmischung Feindseligkeit und subversive Ziele zu sehen.
Sprechen Sie hierbei von der Haltung der Führung oder von der breiten öffentlichen Meinung in der UdSSR?
Von beiden. Ihre Frage bringt uns übrigens zu einem dritten Bereich, in | |
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dem die sowjetische Politik mißverstanden wird: der Rolle der öffentlichen Meinung in der UdSSR. Im Westen ist die gängige Annahme die, daß die öffentliche Meinung in diesem Land nichts zählt, bzw., daß die Haltung unserer Führung notwendigerweise im Gegensatz dazu steht, was der gemeine Mann denkt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die öffentliche Meinung spielt bei uns eine wichtige Rolle bei der Festlegung der sowjetischen Politik, wenngleich diese Einflußnahme auf ihre Weise geschieht und sich vielleicht von dem, was wir in den USA beobachten, unterscheidet. Ganz gewiß fehlt ihr der amerikanische Hang zur Zurschaustellung, doch sie funktioniert bestens. Sehen Sie, manche Amerikaner scheinen davon auszugehen, daß einerlei, was sie auch tun, die sowjetische Öffentlichkeit - ware sie nicht der Indoktrination von offizieller Seite ausgesetzt - ihnen allzeit zugetan sei. Das nehmen sie übrigens auch von allen anderen Ländern an. Sie scheinen zu glauben, sie könnten sich heute wie Gangster benehmen, und dennoch sei alles wieder in Ordnung und alles Schlechte vergessen, wenn sie morgen ein paar nette Dinge sagen und ein paar Türen öffnen. Das ist eine ungemein chauvinistische Haltung. Wir gehen nicht nur davon aus, daß die öffentliche Meinung von unserer Außenpolitik überzeugt sein muß, wenn diese Substanz haben soll, sondern sie bringt auch auf vielfältige Weise ihre Vorstellungen und Empfindungen zu wichtigen politischen Themen den Führern in Partei und Regierung gegenüber zum Ausdruck. Die USA erweckten in jüngster Zeit viel Mißtrauen in unserer Öffentlichkeit. Einige Handlungen der Amerikaner im Verlauf des Jahres 1980 waren wahrlich bösartig, z. B. das miese Spiel, das man mit Flugzeugen der Aeroflot auf dem Kennedy-Flughafen getrieben hat, wobei das Leben vieler unserer Bürger in Gefahr war. Oder, als weiteres Beispiel, die Ermutigung der Terroristen, die unsere UN-Vertretung attackierten. Oder der Bruch von Handelsvereinbarungen unter dem Vorwand, sie könnten für unsere Wirtschaft von Nutzen sein.
Eines der immer wiederkehrenden Themen im Verlauf unseres Gesprächs ist Ihr Appell an die Amerikaner, die Sowjets so zu sehen, wie sie sind, ihre Vorstellung von der Sowjetunion der Realität anzupassen.
Ja, ich glaube, daß im Bereich der internationalen Beziehungen die Vermischung von Phantasievorstellungen und Wirklichkeit immer unnötige Schwierigkeiten geschaffen hat. Damit sind wir wieder bei der Egozentrik der Amerikaner. Die Vereinigten Staaten haben in den Augen vieler Amerikaner das Monopol auf das Gute, sollte es aber etwas | |
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Schlechtes in Amerika geben, so nehmen sie an, das gleiche Übel existiere überall. Haben die USA z. B. Schwierigkeiten mit ihrem militärisch-industriellen Macht- und Interessenkartell, so nimmt man automatisch an, in der Sowjetunion gäbe es ein ähnliches Problem. Dabei wird völlig außer acht gelassen, daß unser Wirtschaftssystem nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniert und daß das Maß an Freiheit, das dieses Kartell als spezielle Interessengruppe in den USA genießt, ein einzigartiges Charakteristikum der amerikanischen Gesellschaft und ihres politischen Systems ist. Die gängige Art imd Weise, in der der Westen auf bei uns bestehende Probleme eingeht, ist ein weiteres Beispiel für Mißverständnisse. Dabei wird das Leben in der Sowjetunion unentwegt als ‘ärmlich’, ‘schäbig’, ‘rückständig’ usw. diffamiert.
Nun, der sowjetische Lebensstandard ist ja auch offenkundig niedriger als in den meisten kapitalistischen Ländern des Westens.
Wir wissen selbst, daß wir bestimmte Gegenstände, an die sich die wohlhabenden Schichten im Westen schon gewöhnt haben, immer noch nicht im Überfluß haben. Ich schäme mich nicht, das zuzugeben. Es macht mich aber wütend, wenn ich höre, wie flott und herablassend manche Amerikaner über die Russen daherreden. Ich meine, unser Volk hat Anspruch auf Respekt angesichts dessen, was es trotz all der unermeßlichen Schwierigkeiten erreicht hat. Im übrigen steigt unser Lebensstandard auch an.
Im Westen beginnt sich eine harte Linie gegenüber der UdSSR abzuzeichnen, da nur eine geschlossene Haltung der westlichen Verbündeten die Sowjets lehren könnte, daß sie Afghanistan nicht wiederholen sollten - z. B. im Falle Polens.
Meiner Meinung nach ist praktisch jedes Wort Ihrer Frage eine Verdrehung. Ich sehe definitive Versuche, eine geschlossene antisowjetische Front im Westen aufzubauen und zu stärken, aber ich bezweifle nicht nur ernsthaft die Wirklichkeitsnähe solcher Pläne, sondern auch die Motive, die Sie dahinter sehen. Diese Motive sind offensiv, nicht defensiv. Ich habe bereits auf jene Tatsachen hingewiesen, die meiner Meinung nach beweisen, daß die intensivierten antisowjetischen Tendenzen in der Politik der USA und einiger ihrer Verbündeten den Ereignissen in Afghanistan vorangingen und nicht durch diese verursacht sein konnten. Was die Ereignisse in Polen anbelangt, so rechtfertigen sie in keiner Weise | |
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Versuche, eine geschlossene Front der westlichen Verbündeten zu schaffen und auszubauen. Solche Versuche werden unvermeidlich die Spannungen und die Gefahr eines Konflikts erhöhen, was keinem Land - weder im Westen noch im Osten, auch Polen nicht - nutzen würde. Gleichzeitig möchte ich betonen, daß die Sowjetunion, selbst wenn sie mit feindseligen Maßnahmen der USA und der Nato konfrontiert wird, alles nur mögliche unternimmt, um Schritte zu vermeiden, die die Spannungen erhöhen und der Entspannung schaden würden.
Vielleicht ist das einer der Gründe, warum man von den Sowjets oft den Eindruck hat, ihnen sei mehr an Entspannung gelegen als dem Westen.
Wissen Sie, diese Auffassung ist zweischneidig. Einerseits betrachte ich es als Kompliment, wenn Leute sagen, daß wir in höchstem Maße an Frieden und Entspannung interessiert sind. Ich lasse mich lieber einen Mann des Friedens nennen als einen Kriegstreiber. Andererseits wird dieser Auffassung natürlich nicht Vorschub geleistet, um zu beweisen, wie friedliebend die Sowjets sind. Dahinter steckt eine oft finstere und zynische Absicht: Wenn die Russen auf die Entspannung stärker angewiesen sind als der Westen, dann kann der Westen den Preis dafür erhöhen. Das nennt man dann hartnäckig feilschen, harte Geschäfte nach amerikanischem Muster machen, usw. Aber wir sprechen nicht vom Verkauf vorzüglicher Medizin oder von Erdnüssen, wenn wir die Grundlagen der Außenpolitik erörtern. Wir sprechen vom Überleben des Menschen auf diesem Planeten. Händlermentalität ist hier fehl am Platz.
Sie glauben also, daß die sowjetische Einschätzung der USA eher zutrifft als die amerikanische Einschätzung der UdSSR?
Ich würde eher sagen: weniger falsch. Es ist immer schwer, ein fremdes Land zu verstehen. Die richtige Einschätzung der jeweiligen Gegenseite bleibt ein ungeheuer wichtiges Problem für die sowjetisch-amerikanische Beziehungen, weil sie unmittelbar im Zusammenhang steht mit dem gegenseitigen Verständnis und damit auch dem gegenseitigem Vertrauen. Zutreffende Einschätzungen sind ein sehr wichtiger zusätzlicher Schutz vor einem endgültigen Zusammenbruch der beziehungen, vor einem Atomkrieg. Ich übertreibe nicht, denn solch ein Zusammenbruch kann keine vernunftgemäße Wahl sein, sondern kann nur auf groben Fehlern bei der Beurteilung bestimmter Faktoren, z. B. dem Verhalten, den Absichten und den wahren Zielen der anderen Seite, beruhen. | |
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Ist Ihnen die neue Untersuchung der International Communication Agency über die sowjetische Einschätzung der USA bekannt?
Ja, ich habe den Untersuchungsbericht gesehen.
Er ist nicht allzu schmeichelhaft für die sowjetische Seite.
Er ist sehr unterschiedlich. Einige Teile, die unsere Einschätzung der amerikanischen Außenpolitik behandeln, sind ziemlich zutreffend. Viele andere, die das Verständnis der amerikanischen Gesellschaft betreffen, sind entweder naiv oder basieren auf Verzerrungen. Nehmen wir als Beispiel die Behauptung, unsere US-Experten hätten nie von Dingen wie Arbeitslosengeld oder sozialer Sicherheit gehört, oder sie nähmen an, verborgene Planungsmechnismen, die angeblich ein ‘Staatsgeheimnis’ seien, kontrollierten die amerikanische Wirtschaft. Sogar unsere Schüler der Oberstufe wissen weit besser Bescheid, als es hier unterstellt wird. Ich war wirklich überrascht über solche Schlußfolgerungen, die sowohl denen zugeschrieben werden müssen, die den Bericht verfaßten, als auch den Quellen, auf die sie sich verlassen haben. Ich möchte auch der Schlußfolgerung des Berichts entschieden widersprechen, daß in den letzten Jahren ‘ein Rückgang der Kenntnisse’ über die USA festzustellen sei, obwohl ich zustimmen würde, daß es aufgrund einer Reihe von Ursachen in letzter Zeit für jedermann, vermutlich auch für die Amerikaner selbst, noch schwieriger geworden ist, die USA zu verstehen.
Gab es während der letzten Jahre nicht auch Fortschritte im gegenseitigen Verstehen?
Ich glaube, wir haben auf diesem Gebiet wesentliche Fortschritte gemacht. Die Entspannung hat natürlich eine Hauptrolle gespielt, da sie zur Entwicklung politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kontakte führte, sowie zu kulturellen Verbindungen, verstärktem Tourismus und Kontakten von Mensch zu Mensch. Das aber waren nur die allerersten Schritte. Das Problem ist nicht behoben, es könnte vielmehr als Folge der wachsenden Spannungen zwischen unseren Ländern noch an Bedeutung gewinnen.
Wenn Einschätzungen so großes Gewicht zukommt, was kann man tun, damit sie zutreffender werden?
Darauf gibt es keine leichten Antworten. Ich will es folgendermaßen ausdrücken: Wir müssen das Gleiche tun, was wir vorher auch getan ha- | |
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ben, aber wir müssen mehr tun und es konsequenter tun. Wir sollten auf die Schaffung normaler politischer Zustände hinarbeiten, die eher eine rationale als eine emotionale Einschätzung von Ereignissen erleichtert. Wir sollten uns darauf konzentrieren, hart an der Ausmerzung von Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen zu arbeiten. Wir sollten eine objektive Einstellung zum anderen Land (oder besser gesagt - zu anderen Ländern, da das nicht nur für die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gilt) fördern, ebenso wie ein dauerhaftes Interesse an diesem Land, seinen Menschen, seiner Kultur und seinem politischen Leben erwekken. Und selbstverständlich sollten wir den Aufbau von Kontakten und die Entwicklung eines ständigen Dialogs auf verschiedenen Ebenen ermutigen. Mit anderen Worten, wir müssen mit dem fortfahren, was wir begonnen haben, als wir den Weg der Entspannung einschlugen. Und wir müssen die Hindernisse, die einem Fortschritt bei diesen Bemühungen im Wege stehen, überwinden. |
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