ganz unzureichend sein, wenn nicht andere Bildungsmomente ergänzend hinzuträten. Da die Welt des Schönen so reich an mannichfaltigen Gestalten ist, von denen doch immer nur wenige dem Schüler vorgeführt und benutzt werden können, sein Gefühl für das Schöne zu wecken und seinen Geschmack zu bilden, so ist die Nohtwendigkett nicht einzusehen, warum gerade Homer und Sophokles zu diesem Zweck benutzt werden müssen, deren Verständniss im Original mit so viel Zeit und Kraft der schönsten Bildungsjahre erkauft werden muss. Könnte das Ziel ästhetischer Bildung nicht in gleichem Umfange leichter auf anderem Wege erreicht und diese ungeheure Summe von Zeit und Kraft anderen dringlicheren Aufgaben zugewendet werden?
Man kann sich diesen und ähnlichen Bedenken nur verschliessen, wenn man wirklich in den Werken der griechischen Klassiker ‘ewig giltige und absolut vollkommene Vorbilder’ erblickt. Wenn wir Philologen dies mit voller Ueberzeugung thäten, und wenn die Jugend uns glaubte, und wenn es sie einsichtiger und besser machte, die Werke einzelner Sterblichen mit den absoluten und ewig giltigen Normen alles künstlerischen und litterarischen Schaffens zu verwechseln, dann könnte der Klassizismus dauernd die Grundlage unserer höheren Jugendbildung bleiben. Aber keine dieser Voraussetzungen trifft zu. Jeder Lehrer, der durch die Schule der Geschichtswissenschaft gegangen ist und durch sie gelernt hat, die menschlichen Dinge liebevoll und gerecht, ein jedes in seinem bedingten Werthe zu verstehen, wird es ablenen, selbst in den genialsten Offenbarungen menschlicher Schopferkraft ewig giltige Vorbilder alles zukünftigen Schaffens zu erblicken. Die Jugend, obwohl sie lebendiger, persönlicher Vorbilder bedarf, ehe sie zum Ahnen und Schauen unpersönlicher Ideale fortschreiten kann, wird es in unserer Zeit gesteigerten nationalen und kulturellen Selbstgefühles ablehnen, in den Heroen einer fernen Vergangenheit und eines fremden Volkes die für ihr eigenes Denken und Empfinden unmittelbar maassgebenden Vorbilder anzuerkennen; und könnten wir sie durch pädagogische Künste dazu zwingen, so würde sie dadurch nicht einsichtiger und besser werden, Denn nur der Wahrheit, nicht der Mythologie, ist diese Macht gegeben. Die Mythologie des Klassizismus und seine falsche Heroenverehrung würde die Jugend in der Erfassung der uns und unserer Zeit gemässen Ideale erbenso sehr hemmen, wie die echte Heroenverehrung sie fördern könnte. Man weckt nur den Geist des Widerspruchs in der Jugend, wenn man ihr als Vorbild
hinstellt, was nach geschichtlicher Notwendigkeit für sie nicht vorbild sein kann, und verhindert dadurch, dass sie aus der Lektüre der Alten für ihre Bildung den Nutzen zieht, den sie aus ihr ziehen könnte.
Es kommt hinzu, dass die deutsche Bildung infolge des wirtschaftlichen und politischen Aufschwunges innerhalb der letzten Generation nicht mehr in einer Zeit überwiegend ästhetischer Interessen lebt. Diese müssen sich jetzt mit dem bescheideneren Platze begnügen, der ihnen neben den anderen grossen Menschheitsinteressen von Natur zukommt.
Enkele citaten van Hans von Arnim.
Deutsche Litteraturzeitung.