eine große Materialfülle für eine mehr oder weniger freie Variation zur Verfügung stand. Viele der verglichenen Texte sind später als die Brandanreise überliefert, so daß sich schon deshalb direkte Beziehungen ausschließen, was aber den unfaßbaren Traditionshintergrund - in dem auch eine ältere, verlorene lateinische Orient- und Kuriosaliteratur eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte - nur um so stärker zum Bewußtsein bringt. Ein besonderes Problem stellt das Verhältnis zu den irischen Immrama dar. Auch hier erweist sich das Beziehungsgeflecht als komplexer, als man das bisher angenommen hat.
Das letzte, 7. Kapitel befaßt sich mit der Frage des Konzepts und des dichterischen Verfahrens, d.h., es geht um die Beziehung zwischen dem neuen Rahmen, der die Perspektive für die Episodenreihe stellt, und dem erzählerischen Wildwuchs, der durch diesen Rahmen zugleich ermöglicht und gebändigt wird. Es ist nicht mehr wie in der Navigatio die Fahrt zur Terra Repromissionis, die im Zentrum des Interesses steht, sondern die Darstellung der ‘Wunder der Schöpfung’, die der ungläubige Brandan erfahren muß - eine Erfahrung, die schließlich in der Einsicht gipfelt, daß es gar nicht möglich ist, alle Wunder, die Gott gewirkt hat, zur Kenntnis zu nehmen. Und es ist dieser Blick auf die Unübersehbarkeit des Wunderbaren, was den Autor legitimiert hat, alles nur Denkbare und Zugängliche heranzuziehen, Quellen beliebig zu mischen und umzuformen, um gerade auf diese Weise seine These zu propagieren. Die kombinatorische Phantasie des Dichters legitimiert sich gewissermaßen durch die für ihn unerreichbar überlegene Phantasie Gottes. Clara Strijbosch hat dies nicht in dieser zugespitzten Form ausgesprochen, aber wer ihre unermüdlich gründliche Spurensuche nachvollzieht, kann schwerlich umhin, zu diesem Fazit zu kommen.
Den Schluß des Buches bilden eine umfassende Bibliographie zum Thema und Register zu Personen, Sachen und Episoden. Dazu kommt noch ein Anhang mit einer Episodenkonkordanz der Reise-Fassungen, mit Reimentsprechungen und mit Motivübersichten zur Navigatio und zur Vita Brendani sowie, besonders wichtig, mit einer Episodenparallelisierung der Reise, der Navigatio, des Immram Mael Dúin und der Vita. All dies ist angesichts der Komplexität der Materie überaus hilfreich.
Abschließend sei nocheinmal betont, daß Clara Strijbosch sich an eine Aufgabe gemacht hat, bei deren Lösung sie zwangsläufig immer wieder an die Grenzen dessen stoßen mußte, was bei diesem Typus von literatur als positiv wißbar erscheint. Die Intensität ihrer Bemühüngen um die einem immer wieder entgleitenden Gegenstände und ihre Zusammenhänge ist bewundernswert. Was als Ergebnis vorliegt, ist nicht nur eine kritische Summe der Forschung, sondern darüber hinaus eine Bestandsaufhahme dessen, was als literarischer Hintergrund der Brandanreise mitgedacht werden muß. Damit ist die Brandan-Philologie auf eine neue Grundlage gestellt. Alle künftige Forschung in diesem Bereich wird von dieser magistralen Arbeit ausgehen müssen.
Adresse des Rezensenten: Beim Schwingerkreuz 7, d-72108 Rottenburg