endlich, was dieser Wilhelm Spohr eigentlich geleistet hatte. Bislang galt er uns als rechte Hand von Gustav Landauer bei der Herausgabe des berühmten Anarchistenblattes Der Sozialist, als unermüdlicher Organisator der legendären Kinderfeste in den 20er Jahren in Friedrichshagen, als letzter, wenn auch nicht immer zuverlässiger Chronist des Dichterkreises und schließlich als Streiter für eine Erinnerungsstätte für die ‘schwarze Realistenbande’ (Theodor Fontane) in Friedrichshagen nach 1945.
Daß seine bedeutendste Leistung die übersetzerische und propagandistische Vermittlung des Werkes von Multatuli war, machte uns Jaap Grave mit diesen Briefen überzeugend und engagiert bewußt. Und noch etwas wurde deutlich: der Friedrichshagener Kreis hatte im Laufe seiner Auseinandersetzungen und Erfahrungen seine Ideale, die immer auch Programm waren, gewechselt. Am Beginn, also in der linksradikalen Phase, in der sie die Programmatik der spd umwerfen wollten, stand Karl Marx; als es darum ging, den literarischen Naturalismus in der Literatur und im Theater durchzusetzen, waren Zola, Tolstoi, Ibsen und andere die Halbgötter. Als man sich von der ‘Herdenmentalität’ politischer Organisationen abgestoßen fühlte, wurde Friedrich Nietzsche, der ‘Einsame’ und der Kulturkritiker die neue Leitfigur. Die Anarchisten um Gustav Landauer und Erich Mühsam, und dazu gehörte Spohr, die die ‘Philosophie der Tat’ verfochten, sahen schließlich in Multatuli den großen praktischen Moralisten, der bei Inkaufnahme persönlicher Repressionen seine Anklage gegen Mißstände unermüdlich aufrecht erhielt.
Dies alles zusammen begleitete sozusagen meine erste Lektüre des Max Havelaar. Mein Eindruck war eher von moralischer Wucht, die ästhetische Qualität spielte keine Rolle; dies ist ja eine alte Leseerfahrung, dernach brisante moralische Wirkungen von Literatur - man denke auch an Tolstoi - wenig Platz lassen für Fragen nach der ästhetischen Qualität, denn das Leben spricht selbst in direkter Weise aus den Zeilen und zwar so, daß man das Gefühl hat, formale Mängel zu erörtern, sei hier unerheblich, ja fast unmoralisch. Man denke an die zahlreiche Kritik, die zum Beispiel der große Stendhal zu ertragen hatte und die vom formalhandwerklichen Standpunkt berechtigt war, aber von der eigentlichen Wirkung der Texte nichts erkennen ließ, und somit das Wesentliche, die als modern empfundene Wirkung, verfehlte.
Dies war genau die Wirkung meiner erneuten Max-Havelaar-Lektüve: ein im Grunde unbeirrbar stark moralisch empfindender Mann klagt seine Landsleute wegen ihrer Kolonialpraktiken an. Meine Neugier lehrte mich: ‘Eduard Douwes Dekker, alias Multatuli, wurde kürzlich offiziell zum bedeutendsten Autor der niederländischen Literatur erklärt. Er ließ damit Vondel, Hermans, [...] Couperus und Reve hinter sich. Und nicht nur das: Sein berühmtestes Werk Max Havelaar