Ons Erfdeel. Jaargang 12
(1968-1969)– [tijdschrift] Ons Erfdeel– Auteursrechtelijk beschermd
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een nederlands boek in het buitenland
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Piechowski vergleicht Gott mit der Stille. Auch für Couperus ist Gott die Stille, aber die alten Menschen, die in die Stille lauschen, erlangen durch sie die Ruhe. Gott wird durch Angst und Hoffnung, Qual und Gewissensbisse gesehen. Das Neue, das auf dem anderen Ufer geschieht, wird von den Menschen nicht mehr wahrgenommen, weil der Tod den Eintritt in das Schweigen bedeutet. Deshalb wird das Urteil oder der Akt der Gnade im Herzen des Menschen vollzogen. Soviel zu Piechowski und seinen Bewertungen der metaphysischen Problemschicht. Eine andere, und für den polnischen Leser nicht weniger interessante, ist die der realen Darstellung. Das holländische Milieu, auf Den Hag kurz nach der Jahrhundertwende beschränkt, bietet auch ohne den niederländisch-indischen Hintergrund genügend exotische Einblicke. Die realistische Schilderung der reichen Bürgerfamilien, ihre Erbschaftsfragen und Leidenschaften, Verbrechen und Illusionen, bieten ein zwingendes Bild einer Epoche, deren selbstverständlicher Ordnungsglaube heute längst der Unruhe des 20. Jahrhunderts weichen mußte. Auch in dieser Beziehung muß dem Rezensenten Piechowski recht gegeben werden, daß Couperus' Kraft der Darstellung von einer überwältigenden Überzeugungsgabe und Meisterschaft ist. Piechowski sagt sogar: ‘Das ist ein großes Buch an der Grenze eines Meisterwerks.’
Aber in der Beurteilung der formellen Seite zeigen sich die ersten Widersprüche. Die Verlagsankündigung des ‘Pax’ auf der Umschlagsseite signalisiert eine traditionelle Form der Darstellung: ‘Das von den Kritikern als Hauptwerk angesehenen Buch... überschreitet nicht den Kanon der traditio- | |
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nellen Prosa, gibt aller ausgezeichnet die Stimmung dunkler Elementarkräfte, gewaltiger Gefühle wieder und zeigt die fast materielle Anwesenheit der Vergangenheit...’ Piechowski dagegen unterstreicht das Authentische von Couperus' Stil, seine gewaltige Suggestie. Abgesehen davon, daß dabei von angeblichen ‘naturalistischen Übertreibungen’ nicht die Rede sein kann, scheint es mir, daß dieser Effekt nur durch eine meisterhafte Beschränkung der Darstellungsweise möglich war, daß das, was die Ankündigung als traditionell empfindet, aus der künstlerischen Absicht des Schriftstellers hervorgeht, Couperus nämlich operiert mit solchen Mitteln, die dem dargestellten Milieu entsprechen und adequat sind mit seiner Denk- und Ausdrucksform. Dieses Versinken des Autors in den geschilderten Stoff ist allerdings nur ein scheinbares, denn mittelbar ist auf Schritt und Tritt die straffe Regie des Schriftstellers, das Aufzwingen seines Weltbildes ersichtlich. Gerade das aber ist eine Eigenheit der modernen Prosa, die analog etwa beim frühen Thomas Mann festgestellt werden könnte.
Auch das, was die Verlagsankündigung als ‘Längen und Wiederholungen’ gekennzeichnet hat, muß so verstanden werden, daß Couperus auf diese Weise das Schablonenhafte der dargestellten Denkweise beschreiben will. Wenn also Elly an einer Stelle ‘sehr schöne’ Hüte verfertigte, danach ‘sehr verliebt’ war und daraufhin ‘sehr litt’, so soll durch diese Stereotypität des Ausdrucks die stereotype Inhaltslosigkeit Ellys bezeichnet werden und gleichzeitig auch ihre seelische Aufnahmebereitschaft. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, daß der Leser solche Beschreibungen als umständlich oder schematisch empfinden kann.
Als Literaturhistoriker muß ich mich auch der Rezension Piechowskis an den Stellen widersetzen, wo Couperus in Beziehungen zum Zeitstil gebracht werden könnte. Piechowski sieht in dem Roman vor allem eine vorübergehende Mode, die Entwicklung von Generationen innerhalb einer Familie zu schildern, und bedauert gleichzeitig das Fehlen von Zeiteinflüssen auf die Persönlichkeit der dargestellten Helden. Freilich finden sich bei Couperus Anklänge an den zeitgenössischen Familienroman, etwa zu Thomas Manns ‘Buddenbrooks’. Aber die Zeiteinflüsse fehlen beim genaueren Hinsehen keinesfalls. In der Gestalt des Lot z.B. äußert sich zweifellos die überreizte, überempfindliche Epoche des ‘Fin de siècle’, in der Gestalt Ellys dagegen das soziale Bedürfnis der tätigen Nächstenliebe, wie wir es historisch als Tolstoismus kennen.
Ebenso muß ich Piechowski auch in anderer Beziehung widersprechen. Couperus ist ein Meister der Seelenschilderung, dazu, was seine Meisterschaft in meinen Augen noch hervorhebt, noch bevor die Erkenntnisse Freuds ihren Siegeszug durch die Psychoanalyse feierten. Aber Couperus ging es nie um das Hervorrufen von Stimmungen. Der Schriftsteller wendet die Technik des Porträtmalers an. Die alte Frau, die am Fenster sitzt, auf den Tod wartet und Gesiche hat, versetzt den Leser in keine Stimmung. Dafür bleibt diese plastische Szene im Gedächtnis des Lesers haften. Wie ganz anders sieht doch eine analoge Szene etwa in Maurice Maeterlincks ‘L'Intruse’ oder Hugo von Hofmannthals ‘Der Tor und der Tod’ aus. Da und dort die Erwartung des Todes, die Abrechnung mit dem Leben, aber bei Couperus keine Spannung, keine Musik, keine Stimmungskunst, sondern das große Schweigen vor der Ewigkeit. Gerade an dieser Stelle läßt sich Couperus im Grunde als realistischer Künstler erkennen. -
Die polnische Übersetzung des Buches erschien in einer Auflage von 10.000 Bänden. Aber vergebens wird man in den Buchläden Polens nach noch vorhandenen Exemplaren suchen. Couperus erzielte beim polnischen Leser einen Erfolg, und die zweite Auflage sollte daher nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Piechowski schreibt, man liest Couperus' Roman wie eine Kriminalgeschichte. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit wird dem Leser noch lange nach der Lektüre durch den Kopf gehen. Es sind dies die großen Erkenntnisse um die Vergänglichkeit des Lebens. Und an einen Ausspruch Lots werden sie noch lange denken: ‘Wir alle sind arme, suchende, im Dunkeln irrende Menschen.’ |
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