Naamkunde. Jaargang 17
(1985)– [tijdschrift] Naamkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Appellativnamen im Lessico Etimologico Italiano am Beispiel von AntoniusAppellativnamen sind Eigennamen, die ohne Formveränderung zur Benennung sowohl für Personen (Michel für jeden einfältigen Menschen) als auch für Gegenstände (Dietrich ‘Nachschlüssel’) gebraucht werden könnenGa naar voetnoot(1). Die Problematik des Übergangs des Eigennamens zum Appellativnamen ist für das italienische Sprachgebiet von Bruno Migliorini dargestellt wordenGa naar voetnoot(2). Wie faszinierend, aber auch wie dornenreich die Darstellung eines Appellativnamens in einem etymologisch orientierten Wörterbuch sein kann, zeigt das Beispiel Antonius, das im folgenden als Musterbeispiel analysiert wird. Die vollständige Materialsammlung wird im LEI Faszikel 12 publiziert werden und ist hier nur insoweit zitiert, als es die Argumentation erfordert. Wenn wir z.B. im Vocabolario dei Dialetti della Svizzera Italiana die drei Formen herausgreifen: tic. prealp. (Breno) porscelín de sant Antòni ‘Tausendfüßler’, tic.alp.occ. (Menzonio) gili et dant Antoni ‘weiße Gartenlilie’, tic. prealp. (Rovio) tṓͅni ‘Dummkopf’, können wir nicht von einer einzigen Person namens Antonius ausgehen. Es handelt sich um zwei Heiligennamen, die in der mittelalterlichen Volkstradition Appellativa bilden konnten. Bei den häufigen Bezeichnungen von tṓͅni ‘dumm, einfältig’ wird man kaum direkt auf einen der beiden Heiligen zurückgreifen wollen, sondern eher auf den weit verbreiteten Personennamen Antonio, der im ganzen christlichen Abendland bekannt war und nach den statistischen Angaben von De FeliceGa naar voetnoot(3) heute noch in der Provinz und Stadt Padua an erster Stelle der Frequenzlisten steht. Selbstverständlich besteht in diesem Fall ein enger Zusammenhang zwischen der Personennamengebung und dem Paduaner Stadtheiligen. Die depreziative Übertragung bezieht sich aber keineswegs nur auf den Namen | |||||
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Antonius, sondern auf eine ganze Reihe weiterer christlicher Namen wie z.B.
Die wenig schmeichelhafte Übertragung von Antonius > ˹tṓͅni˺ ‘Dummkopf’ ist nicht auf das italienische Sprachgebiet beschränkt, wie z.B. galloromanische Dialektformen zeigen: occit. tòni ‘Dummkopf’ (FEW 1, 102a), tònio ‘törichte Frau’ ib. Ein wesentliches Gliederungsprinzip im Lessico Etimoligico Italiano besteht darin, daß erbwörtlich entwickelte Formen von sog. gelehrten oder halbgelehrten getrennt werden. Dies bereitet in unserem Fall Schwierigkeiten. Einerseits ist man geneigt, cal. centr. (Longobucco) tognu ‘uomo stupido’ als erbwörtlich einzustufen, andererseits können halbgelehrte und gelehrte Formen wie nap. antuono ‘babbeo’ oder piem. toni aus semantischen Gründen kaum von tognu getrennt werden. Auch die it. Eigennamen Antonio/Tonio (mit erhaltenem -y-) dürfen - gleich wie occit. Antoni, sp. Antonio - nicht als erbwörtlich angesehen werden. Zudem ist es fraglich, ob eine Namenskontinuität zwischen dem römischen Familiennamen Antonius überhaupt besteht. Muret (Glossaire des patois de la Suisse romande 1,470) weist zu Recht darauf hin, daß zwischen der frühchristlichen Namengebung und dem Wiederauftauchen verschiedener christlicher Namen im 12. Jahrhundert eine Lücke klafft. Die mittelalterliche Antonius-Verehrung steht im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Antonius-Laienbruderschaft zur Versorgung der gesunden wie der kranken Pilger, die sich im 12. und 13. Jahrhundert zum Antoniter-Chorherrenorden entwickelte (LexMA 1,732). Ausgangspunkt dieser Bewegung war La-Motte-aux-Bois (später Saint-Antoine) im Dauphiné, wohin um die Mitte des 11. Jahrhunderts die Reliquien des heiligen Antonius gelangten. Bei den bündnerromanischen Namensformen von Antonius läßt sich am deutlichsten eine chronologische Staffelung feststellen. Die ältere bündnerromanische diphthongierte, halbgelehrte Form engad. Antöni, | |||||
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surselv. Antieni, hebt sich ab von gelehrtem Antoni (bezogen auf den heiligen Antonius von Padua). Aus diesen Überlegungen heraus werden alle hier zu behandelnden Appellativa als halbgelehrt oder gelehrt interpretiert, auch wenn besonders in Ableitungen (tognin/tognon) rein formal eine erbwörtliche Lautentwicklung nicht auszuschließen wäre. Der LEI-Artikel Antonius wird deshalb ausschließlich nach semantischen Kriterien strukturiert: 1. Bezeichnungen, die auf den Anachoreten Antonius zurückgehen, der in Ägypten am 17.1.356 gestorben ist und zu den bedeutendsten christlichen Asketen gehört, ja geradezu als Begründer des Mönchswesens gilt. 2. Getrennt werden Bezeichnungen aufgeführt, die auf den heiligen Antonius von Padua zurückgehen und die volkstümliche Verehrung dieses Stadtheiligen dokumentieren, der als einer der ersten franziskanischen Prediger betrachtet wird und bereits 1232 durch Papst Gregor IX. kanonisiert wurde. Es versteht sich, daß Wörter dieser Kategorie primär im Veneto und in Oberitalien auftreten. 3. Ein dritter Hauptabschnitt gilt den depreziativen Übertragungen, die auf den häufigen Personennamen it. Antonio, fr. Antoine zurückgehen und in einem größeren Zusammenhang von semantischen Übertragungen bei Eigennamen in Frankreich und in Italien gesehen werden müssen. Am Rande seien noch eine vierte und fünfte Kategorie erwähnt, die vereinzelte Namensträger oder Tätigkeiten umfassen. 4. It. antoniana f. ‘(bot.) Epilobium latifolium L.’ (Targioni 1809; Garollo 1913), tosc. ~ Penzig; ~ ‘Hesperis matronalis L.’ ib. Gen. antoina f. ‘Himantoglossum hircinum Spr.’ Penzig. Die Verehrung von Antonius dem Einsiedler geht auf eine ältere christliche Schicht zurück als diejenige des heiligen Antonius von Padua (gestorben am 13. Juni 1231). Die Antonius-Verehrung in der Iberoromania, Galloromania oder auch in Mittel- und Süditalien bezieht sich deshalb auf den koptischen Antonius, der in Europa vor allem dank seines berühmten Biographen Athanasius von Alexandria (Vita Antonii) bekannt ist. Der bündnerische Ortsname St. Antönien (Hof bei Chur, an der Straße nach der Lenzerheide) z.B. ist urkundlich bereits 1207 | |||||
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erwähnt und muß aus rein chronologischen Gründen mit dem Anachoreten Antonius in Verbindung gebracht werden. Der Eremit Antonius ist bekannt als Beschützer der Tiere, besonders der Haustiere, die jeweils an seinem Festtag (17. Januar) gesegnet werden, damit sie von Krankheiten und dem bösen Blick bewahrt werden. An diesem Tag werden z.B. in Losone (Tessin) vor der Kirche oder vor den Ställen die Pferde gesegnet, in Soazza ebenso die Esel und die Maultiere (VDSI 1, 192b). In der Toskana bezeichnet sant'Antonio ein Pferd oder andere Haustiere (Ochse, Kalb), die kränklich oder mit Fehlern behaftet sind und teilweise heimlich geschlachtet wurden. It. sant'Antonio m. ‘cavallo che ha difetti coperti; cavallo inservibile’ Petr. 1891, tosc. ~ FanfaniUso, fior. ~ ‘bestia difettuosa (cavallo, bove, vitello)’ Volpi, lucch. santantònio ‘bestia bovina magra, secca e anche malata’ Nieri, amiat. (serr.) ~ ‘bestia macellata perché ferita o ammalata, venduta a poco prezzo’ Rossolini, perug. sant'Antònio Catanelli, umbro occ. (Magione) santantǫ́ñño ‘bestia di bassa macelleria’ Moretti. In wörtlicher Auslegung einer Bibelstelle wollte Antonius allen Kreaturen, d.h. den Tieren der Wälder, der Felder und des Meeres das Evangelium verkündenGa naar voetnoot(6). Auf diese Art erklärt sich die Übertragung von Antonio auf eine Reihe weiterer Tiere und Insekten. Möglicherweise sind die folgenden Bezeichnungen durch die Beschützertätigkeit des Antonius bedingt, durch seine enge Naturverbundenheit, die sich aus seinem jahrelangen Aufenthalt in der ägyptischen Abgeschiedenheit ergab, ähnlich wie etwa bei Franz von Assisi in Umbrien. Bei den Bezeichnungen von Vögeln (Bachstelze), Fischen, SchneckeGa naar voetnoot(7) ist dies verständlich. Nach Ausweis des Handwörterbuches des deutschen Aberglaubens (HDA 1,504b) wird Antonius in einigen Sagen mit wunderbaren Fischen in Verbindung gebracht. Uccelli: romagn. antôn m. ‘varietà di uccello; verdone (Chloris cloris L.)’ Ercolani, faent. ~ Morri; aret. (Caprese Michelangelo) santantǫ́ñq, ‘ballerina (Motacilla alba)’ (AIS 498, p. 535); salent. sett. (brindis.) ntuèni ‘specie di | |||||
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gabbiano’ VDS; cal. merid. (catanz.) Ssant'Antoni portafortuna ‘colombina’ Garbini 1221. Bei Insekten dagegen, z.B. Libellenarten, Schmetterlingen und Gottesanbeterin, mögen mittelalterliche Tabu-Vorstellungen eine Rolle gespielt habenGa naar voetnoot(8); auch gegen die unansehnlichen, als Schädlinge angesehenen Kellerasseln, Tausendfüßler und Kornmaden scheint der heilige Antonius eher eine Abwehrfunktion gehabt zu haben. Vielleicht besteht auch, was den unansehnlichen Anblick betrifft, ein semantischer Zusammenhang zwischen Tausendfüßler und Antoniusschwein, da z.B. in Breno (Tessin) dieses Insekt auch mit porscelín de sant Antòni benannt wird (VDSI 1,192a). Lig. occ. (Bordighera) Ssant'Antònio m. ‘millepiedi’ Garbini 790, novar. Ssant'Antòni ib., tic. prealp. (Breno) porscelin de sant Antòni (VDSI 1,192a), romagn. (Forli) Ssant'Antòni Garbini 790, triest. Ssant'Antònio ib., chian. (Montepulciano) ~ ib., irp. (salern.) Sant'Antuòno ib. Eigenartig ist, daß ausgerechnet tonchio ‘Getreidewurm’ als ältester schriftsprachlicher Reflex von it. Antonio bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Genauer handelt es sich um eine Übertragung aus der Diminutivform Tonchio, die als Personenbezeichnung etwa gleichzeitig (1618) in der Komödie La Fiera von Buonarroti il Giovane bezeugt ist. | |||||
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It. tonchio m. ‘baco delle civaie, piccolo insetto appartenente a varie specie di bruchidi, che allo stato di larva penetra nei semi delle leguminose mangiandoli e rovinandoli’ (dal 1597, Soderini, Gher.; TB; Zingarelli 1983), chian. tóŋko ‘baco delle civaie’ (Maccarrone, AGI 19,83), romagn. tóngg Ercolani, Saludecio tǫ̈n (AIS 482, p. 499). Derivato: it. tonchioso agg. ‘simile ad un tonchio, di aspetto repellente e sporco’ (1618, Buonarroti il Giovane, TB), ~ ‘infestato dai tonchi’ (dal 1729, Salvini, Tramater; Zingarelli 1983). An der Richtigkeit der Herleitung von tonchio < Antonius kann nicht gezweifelt werden, da wir entsprechende dialektale Bildungen für synonyme Bezeichnungen besitzen: Tic. prealp. (Arogno) tugnin m. ‘baco delle castagne’ (VDSI 1,191). Am 17. Januar, dem Todestag des Heiligen, wurde das sog. Antoniusbrot gesegnet, das nicht schimmelte, heilkräftig war und von den Haustieren Unheil abwendete. Im DizEncIt. 1955, 516 wird der Ursprung des Antoniusbrotes dem heiligen Antonius von Padua zugeschrieben. Als Wundertäter sollte er die Kinder beschützen. Als Gegenleistung wurde ihm gelobt, das Gewicht des beschützten Kindes an Korn oder Brot zu spenden, Gaben, die für die Speisung der Armen verwendet wurden. Die geographische Verbreitung des Antoniusbrotes (Campania) sowie die Angaben im HDA 1,505 und die Verbindung mit den Haustieren lassen aber eine Zuordnung zum Anachoreten Antonius als wahrscheinlicher erscheinen. Garf.-apuano (Colonnata) paŋ də saət aŋtǫ́ni ‘grosse forme di pane che il giorno della benedizione di Sant'Antonio abate il parroco faceva distribuire alle famiglie povere, grazie ai lasciti di alcune famiglie benestanti’ (Luciani, ID 37). Umbro occ. (Magione) la paññǭkka d'sant antǭo ‘pane e sale che venivano distribuiti il giorno di S. Antonio’ Moretti; grosset. (Radicòfani) santantònio m. ‘spuntino’ Cagliaritano. Möglicherweise ist - wenigstens in Oberitalien - an die Überlappung und Vereinigung zweier ursprünglich verschiedener Traditionen zu denken, wie dies z.B. auch für Bezeichnungen für ‘Almosen’ zutreffen kann, bei denen eine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Heiligen Schwierigkeiten bereitet. Verwechslungen sind seit dem 16. Jahrhundert umso eher verständlich, als in nachmittelalterlicher Zeit die Verehrung des heiligen Antonius von Padua immer mehr den Kult des heiligen Antonius Eremita verdrängte. Loc.: tic. alp. (Caviano) poch danee, poch sant Antoni ‘poca elemosina, poca S. Antonio: con poco si ottiene poco’ (VDSI 1,193), mil. pocc danee pocc Sant'Antoni Cherubini. Der Anachoret Antonius wird auch als Beschützer gegen das Feuer | |||||
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angesehen, ähnlich wie Sankt Florian. Im Mittelalter war das fuoco di Sant'Antonio die Bezeichnung für eine lästige Hautkrankheit, die sich rasch am menschlichen Körper ausbreiten konnte, die sog. Gesichtsrose, welche im Mittelalter häufig war, Mutterkornbrand (Kriebelkrankheit, Ergotismus gangraenosus), welcher bewirkte, daß die Gliedmaßen schwarz wurden und dann abfielen. Antonius, als Bezwinger der menschlichen Leidenschaften in der Wüste, wird als Helfer gegen diese teuflischen Flammen der Herpeskrankheit zu Hilfe gerufen: fiug s. Antieni ‘Krebs, Gesichtsrose’ ist auch in der Surselva bekannt (DRG 1,304a). It. fuoco di S. Antonio ‘risipola’ Chambers 1749, tic. alp. centr. (Carasso)fegh da sant Antoni ‘fuoco di Sant'Antonio, la serpigine; malattia della pelle che provoca un forte prurito e colpisce soprattutto i maiali (Herpes zoster)’ (VDSI 1,193), lomb. or. (Gromo) fǣ́k dẹ sánt antóne ‘rosolia’ (AIS 691, p. 237), garf.-apuano (carr.) fok də sant antǫ́ni ‘Herpes zoster’ (Luciani, ID 37). In den ikonographischen Darstellungen des ausgehenden Mittelalters wird der heilige Antonius meistens als alter Anachoret mit weißem Bart, in Grobleinen gekleidet, mit einem Stock dargestellt. Möglicherweise gehen die Bezeichnungen für Stock, Dreschflegel und die damit verabreichten Prügelstrafen an renitente Gefangene auf dieses Attribut des Antonius zurück. Migliorini möchte eher einen Zusammenhang mit der heimlichen Abschlachtung der kränklichen Tiere sehen; Menarini (AI-Ven. 102) sieht einen semantischen Anhaltspunkt für diese Bezeichnung in den in Gefängnissen erlittenen Qualen des heiligen Antonius. Weder der Anachoret Antonius noch der Franziskaner-Prediger Antonius waren aber in Gefängnissen besonderen Qualen ausgesetzt gewesen. Die Krücke des Antonius konnte sehr wohl mit einem Dreschflegel oder einem Dietrich verglichen werden; vermutlich geht auch das Ordenszeichen der Antoniter auf eine stilisierte Krücke zurück (LexMA 1, 732). Ver. santantònio m. ‘bastone’ Beltramini-Donati, emil. occ. (regg. gerg.) santantòni ‘pugnalata’ (Menarini, AIVen. 102); teram. (Cortina) nubbillə sandandǫ́Ọ̄iïə ‘solenne bastonatura, specialmente da parte di poliziotti o carcerieri’ DAM, Padula-Macchiatornella ~ ib., nap. santantuóno Altamura, àpulo-bar. (grum. gerg.) sandandónie ColasuonnoStorie. Der hartnäckige Widerstand, den Antonius in der Wüste den Versuchungen (symbolisiert durch wilde Tiere) leistete, wirkte sich in Übertragungen aus, die sich vor allem auf Bezeichnungen der Widerspenstigkeit und des Eigensinns beziehen. | |||||
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Ver. santantònio agg. ‘testardo, irriducibile’ Beltramini-Donati. Daß eine derartige psychische Widerstandkraft auch einen gestählten Körper voraussetzte, könnte man annehmen, wenn man die Übertragungen des Namens Antonius für ‘starken Körperbau’ betrachtet. Möglicherweise ist aber Migliorini beizupflichten, wenn er einen Einfluß von Marcus Antonius und der semantisch nahestehenden Wortfamilie it. marcantonio/marcantonia ‘hochgewachsene, robuste Person’ vermutet. Ver. santantònio agg. ‘robusto, erculeo’ Beltramini-Donati, umbro merid.-or. (Foligno) santantǫ́ñño m. Bruschi, sandandǫ́ññə ib., aquil. sandandǫ́niyə ‘persona alta e robusta’ DAM, teram. ~ ib., abr. or. adriat. (pesc., chiet.) ~ ib. Im Mittelalter wurden Mönche, die sich auf den Anachoreten Antonius berufen, häufig dargestellt als Bettelmönche, die um Almosen bitten, deshalb die Übertragungen fûr ‘Almosen einsammeln’ und für ‘Gabe’. Molis. (Ripalimosani) s̨end̨endwǫ́nə m. ‘dono in occasione della festa, strenna’ Minadeo. Auffallenderweise ist das Antoniusschwein, das den Heiligen der Legende nach begleitete, im Appellativ-Wortschatz unbedeutend geblieben. Die Bettelmönche, die sog. Antoniter, besaßen das mittelalterliche Privileg, das Antoniusschwein auf Gemeindekosten aufziehen zu lassen. Das sog. Tönlschwein war mit einem Glöckchen versehen und konnte ungehindert in Städten und Dörfern umherlaufen; aus Ehrfurcht vor dem heiligen Antonius wurde es von jedermann gefüttert (HDA 1,505a). Zu Weihnachten oder Silvester wurde es geschlachtet, sein Fleisch in der Kirche geweiht und an die Armen verschenkt. Außer der Apposition beim Heiligennamen (Viganello: Sant'Antòni dal purcell) und der vereinzelten friul. Bezeichnung sind keine direkten appellativen Fortsetzer in Italien bekannt. Einzig Pedrotti-Bertoldi, für Pflanzenbezeichnungen eine fast unerschöpfliche Fundgrube, erwähnen einen Dialektbeleg für die ‘Nieswurz’, die häufig als Impfmittel für Schweine verwendet wurde und ihre Bezeichnung wahrscheinlich mit dem Schutzheiligen des Schweines, d.h. mit Antonius, in Zusammenhang gesehen werden muß. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß ähnlich wie bei anderen Pflanzen, die auf den Namen des heiligen Antonius von Padua zurückgehen, die Blütezeit der schwarzen Nieswurz für die | |||||
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Namengebung ausschlaggebend war: sie blüht mitten im Winter, d.h. zur Zeit des 17. Januar, dem Todestag des Anachoreten Antonius. Lad. flamm. (Val di Cembra) erba da Sant'Antòni ‘elleboro, rose di Natale (Helleborus Niger L.)’ Pedrotti-Bertoldi 187. Der heilige Antonius von Padua erscheint auf spätmittelalterlichen Gemälden (seit dem 15. Jahrhundert) meistens im braunen Franziskanergewand, mit der Bibel, der Flamme, dem Herzen und der Lilie. Die weiße Lilie, Symbol der Reinheit und der Keuschheit, wird deshalb besonders im Veneto und im Ausstrahlungsgebiet der Republik Venedig mit dem Namen Antonius bezeichnet. Borgomaro šū́y̨e de sánt antǫ́niọ ‘giglio (Lilium candidum)’ (p. 193), tic. alp. occ. (Menzonio) gili et sant Antoni (VDSI 1,194), Moghegno sant Antoni ib., Toscolano fyūr dẹ sánt antǫ́nẹ (p. 259), trent. occ. (bagol.) fyúr da sánt antǫ́ni (p. 248), emil. occ. (regg.) géli ed Sand'Antoni CremonaPiante 11, lunig. (Arzengio) fyǫ́r di sant antǫ́ni (p. 500), venez. ǵilyo de sánt antǫ́nyo (p. 376), ven. centro-sett. (trevig.) gilgio de Sant Antonio (Rossi, AIVen. 121), istr. (rovign.) fyū́r dẹ sant antúañǫ (p. 397), ver. gilio de S. Antonio (Rossi, AIVen. 121), fior. (Incisa) gī́lǫ di santantọónyo (p. 534), àpulo-bar. (martin.) giglie de Sant'Antonie Selvaggi, Cèglie Messàpico kúkkə də Sand'Andǫ́nyə VDS, salent. merid. (otr.) fyúri t antonī́u pl. (Hubschmid, ZrP 78, 260); AIS 639. Eine ganze Reihe weiterer Pflanzenbezeichnungen gehen ebenfalls auf Antonius zurück. Meistens handelt es sich um andere Lilienarten (wilde weiße Berglilie) oder um Pflanzen, die im Juni (13. Juni, Tag des Heiligen) blühen und am Fest des heiligen Antonius von Padua gepflückt werden. Nach Ausweis des HDA gilt dieser Tag in Italien als Beginn der Sommerzeit (HDA 1,506). In Lantsch (Kanton Graubünden) ist der 13. Juni zu Ehren des Antonius von Padua neben Fronleichnam das glanzvollste Fest des Jahres (DRG 1,302a). Lig. occ. (Porto Maurizio) sciure de S. Antogno m. ‘giglio (Iris florentina L.)’ Penzig, gen. sciù de S. Antonio ib. | |||||
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Ein sehr umfangreiches Belegmaterial liefert die dritte Kategorie der Bezeichnungen, die vom generellen Personennamen Antonius hergeleitet werden: die Übertragungen von Antonius auf die Bezeichnungen für ‘dumm, einfältig, töricht’, die nicht nur in Italien, sondern auch in Südfrankreich, in einzelnen nordfranzösischen Dialekten sowie in Katalonien auftreten: Ajoie (Schweiz) tǽ̣ni ‘idiot’ (FEW 1,102), aveyr. touóni ‘nigaud’ ib. cat. fer el toni ‘sich unwissend stellen’ (DCVB 10,344b). Auffallend ist die Häufigkeit christlicher Namen für diese abwertende Bezeichnung. Das von Heiligen praktizierte Gebot der christlichen Nächstenliebe und Demut wurde im Mittelalter vielfach als einfältig und töricht angesehen und dürfte bei der Entstehung derartiger Appellativnamen ausschlaggebend gewesen sein. Piem. toni m. ‘sciocco, babbeo, stupido, minchione’ Levi, tic. prealp. (Rovio) tǥ̜ni Keller, lomb. occ. (aless.) tòni (Parnisetti; Prelli), lomb. or. (bresc.) tône Gagliardi 1759, vogher. tòni Maragliano, ven. merid. (poles. gerg.) togno Mazzucchi, nap. antuono (ante 1627, CorteseMalato; ante 1632, BasilePetrini), cal. centr. (Longobucco) tognu NDC, cosent. ntoni ib. Bemerkenswert ist die Übertragung von generellem ‘Dummkopf’ auf ‘deutschsprechender Soldat’. Ausgangspunkt war die Zeit des Risorgimento, als Venetien und Lombardei sich vom Kaiserreich Österreich lösen wollten. Emil. occ. (moden.) toni ‘soldato tedesco’ Neri, lad. cador. (amp.) tòmo ‘uomo stravagante’ Majoni. Bezeichnend auch die stark wertende Definition bei Angiolini (1897): tognitt, s.m. pl. = gli austriaci. Noi chiamavamo così per dileggio i soldati che l'austriaco teneva qui a mantenerci sul collo la catena del suo governo. Diese konnotativ belastete Bezeichnung hatte aber auch noch im ersten und zweiten Weltkrieg ihre Vitalität behalten: moden. tognàro, toni ‘soldato tedesco (seconda guerra mondiale)’ Neri, mit dem Hinweis: ‘durante la prima era più comune dire tugnin’. Die Übertragung von togno ‘dumm’ > ‘österreichischer, bzw. deutscher Soldat’ ist vermutlich erleichtert worden durch den homonymen Anklang der Anfangssilbe: todesco-tognòn. Lig. occ. (Novi) tuñéyn m. ‘Tedesco’ Magenta, gergo milit. mil. tugnin ‘Austriaco’ (M.A. Cortelazzo, SMLV 19,40), gergo milit. pav. tugnín ‘id.; Tedesco’ Annovazzi, moden. tugnin ‘soldato austrìaco o tedesco (prima guerra mondiale)’ Neri, romagn. tugnin ‘Tedesco’ Ercolani. | |||||
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Die abwertende Verwendung dieser Appellativa als Ausdruck von Körperbezeichnungen, besonders jener Teile, die dezenterweise tabubehaftet waren und nicht ausgesprochen wurden, ist keineswegs vereinzelt; cfr. gen. breuxo m. ‘Anus’ (Frisoni, LEI s.v. Ambrosius), Paris bernard m. ‘Arsch’ (FEW 15/1,97b). Venez. gerg. toni m. ‘posteriore, deretano’ Boerio, trent. or. (rover.) ~ Azzolini. Lad. ven. (Gosaldo gerg.) tǫ́na f. ‘natura della donna’ (Pellis, SillogeAscoli 560), ~ ‘castagna’ ib. Die semantischen Übertragungen auf Gegenstände, vor allem auf Diebeswerkzeuge, sind z.B. bei grimaldello, dt. Dietrich, hinreichend bekannt. Mil. gerg. toni m. ‘scalpello, piede di porco (utensile ladresco)’ (BazzettaDeVemenia; Parlangèli, RIL 11.84,274), mant. gerg. ~ (Frizzi, MondoPopLombardia 8,265), bol. gerg. tọ́niMenarini. Eher vereinzelt für Antonius - aber keineswegs isoliert bei Appellativnamen - sind die Bezeichnungen für Geld und völkstümliche Spiele. Bezeichnenderweise liefern gerade für diese depreziativen, z.T. vulgären Bezeichnungen die Sondersprachen, die sog. gergo-Quellen, zahlreiches und interessantes Material. Ven. or. (Tesino gerg.) tọníni m.pl. ‘centesimi’ (Tomasini, Aevum 15). Wenn auch diese eher summarische Präsentierung des Wortmaterials von Antonius nur einen teilweisen Einblick in die Materialfülle des vollständigen LEI-Artikels gewährt, so werden doch die Probleme der Darstellung von Appellativnamen deutlich und erlauben im Sinne einer Zusammenfassung einige Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung:
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Die Anforderungen an ein etymologisches Wörterbuch, das auch den Appellativ-Wortschatz berücksichtigen will, zeigen aber, daß die Grundlagen derartiger Interpretationen nur interdisziplinär erarbeitet werden können: in enger Zusammenarbeit zwischen Philologen, Historikern, Namenforschern und Kunsthistorikern. Welcher Platz in diesem Gesamtrahmen einer quellenkritischen Onomastik zukommt, hat der mit dieser Festschrift Geehrte in zahlreichen Beiträgen überzeugend dargelegt.
Saarbrücken M. Pfister |
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