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Karlheinz Deschner Sizilien - nach dreiunddreiszig Jahren
‘Gott sei Dank, daß alles, was wir... gesehen, schon genugsam beschrieben ist.’ Goethe, Taormina, 7. Mai 1787.
Mitten im Krieg kam ich nach Italien, am 23. Mai 1943; mein neunzehnter Geburtstag. Ich fuhr Eisen für Görings Panzerregiment, einen Opel Blitz, den ein Transportzug langsam über Toulouse, Marseille, Genua in die Gegend von Neapel trug; ein Strandwald, eine Sandbucht und Sonnenuntergänge wie aus einem Bilderbuch.
Dreimal brach ich von da nach Sizilien auf; hatte Pech, kam in Verschiß und weg vom Steuer, lag auf dem Eisen hinten, unter der Plane, von ganz Süditalien nur einen Spritzer Licht im Staub. Bloß nachts kam ich raus: erst Strafwache bis Catania, dann ein Panzersprengkommando zwischen den Linien. Endlich Nachschubtransporte vom Festland, von Bagnara. Fort vom Haufen, herrlich frei fast, vogelfrei: auf baumlosen Höhenstrecken, schmorenden Serpentinen, in der Straße von Messina, überall summten die Jabos; doch schossen sie mir, beinah unterm Hintern, die Karre erst bei Florenz in Brand.
Dreiunddreißig Jahre nicht mehr Sizilien. Nie Geld. Dann Merians Projekt, ein geschenkter Peugeot, günstige Zeiten, die Lira fiel, Italien blühe - ab mit der ganzen Familie.
Doch alles hopplahopp nur, Städte, Küsten, Tempel. Nachts Neapel, wo ich verwundet worden. Früh Salerno wieder am blaulüngigem Golf. In Paestum, wo Goethe den Genius gepriesen, feilschte ich um Käse- und Salamistullen. In Bagnara hatten mich die Jabosalven bei einem Munitionszug aus dem Schlaf gesprengt, Mittag wars, der 3. August. Gleich von oben sah ich den Bahnhof... Und hinter dem Nest, Gott, war es trist jetzt, glitt Bergzug um Bergzug ins schwach schimmemde Meer, lag nah schon Sizilien, kaum glaublich schön. San Giovanni. Ein weißes Schiff, ein Oberdeck, eine Bar. Damals auf Flößen, Baumstamm an Baumstamm, die Nasen platt am heissen Fährenholz, drüber die Jabos, unter tanzenden Sonnen, dunkel donnernd im Flakgewitter, und Messina immerfort flimmernd wie goldner Schnee hinter der Bläue des Meers. Jetzt düsterte es da, beinah im Regen, in Dämmerung schon, voller Autos die Stadt und Hupkonzerte.
Doch der Morgen dann in Taormina! Noch vor dem Ort, fast allein über Bäumen und Meer. ‘Bel Soggornio’, Schöner Aufenthalt, schönster vielleicht - zwischen riesigen Kakteen, den Flammen der Geranienfeuer, über Terrassen mit grünumblühten Krügen, Orangen im Laub, Zitronen, Lags nicht bezaubernder als jedes andere Hotel, Siziliens erstes eingeschlossen, das ‘San Domenico Palace’, 1943 deutsches Hauptquartier?
Ich schaute hinaus, fast ungläubig verzückt. Daß es das gab, daß es wartete, irgendwo und immerfort - vor Hallands Väderö, Nymindegab, vor Arild, Texel, La Rochelle, um Piran oder hier, während man am
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Schreibtisch saß, am Schreibtisch starb, ein Leben lang Papier! Jeden Morgen nun, wenn die Amseln riefen, sah ich, vom winzigen Balkon, die Sonne groß das Meer befahren, sahs blauhin breit nach Süden tellern, bis nah, dann ferner stets, verschwimmender, hoch über züngelnden Zypressen fort, ihm Land entstrich, um weite Buchten faßte, unendlich sanft in grüne Höhn sich hob, harmonisch über zwanzig, dreißig Kilometer her, betörend leicht, nichts alpin Zackiges, Verzupftes, nichts Aufgetakeltes aus Oberbayern, aus Saas Fee, aus Südtirol, nur eine behutsam steigende Gartenfläche am Himmel, die dann in Weiß überging, in Schnee, und ganz allmählich weiter, höher lief, bis sie endlich, ebenso sacht, wieder sank. Jeden Morgen, ja, stand ich und schaute so, am längsten aber stets auf diesen schwebend flachen Küstensaum, der da mit seiner Städte Gischt am Horizont zerflatterte, verdampfte, bei Acireale, Catania, wo ich, ein junger Sklave, in einem Steinbruch lag, voller Heimweh, Haß und Angst.
Und meist warf ich dann, zwischen Bad und Frühstücksterrasse, noch einen Blick ins leere Lesezimmer, das ich besonders liebte, das mich so seltsam anzog, mit dem Ätna, schneeig und parkhaft, wie gemalt im Fenster, und einer kuriosen deutsch-angelsächsischen Vereinigung - ein einzigartiges Idyll: der weißhäuptige Alte, Ganghofers ‘Der Besondere’ gleich neben George Eliot's Works, Band X, umringt von Laureaten der Nazizeit, den Grimm, Baumann, Zillich, gestrandeten Trümmern des ‘Seenotdienstführer Mittelmeer’, vom ganzen Großdeutschland gespendet.
als wär's ein Händedruck,
den dir die Heimat reicht,
um immer mit dir so zu stehen
Ich sah zum Ätna hinüber, zum ‘San Domenico Palace’. Da also hatten die hohen Herren, umschwirrt von Funksprüchen und Ferngesprächen, abwechselnd in ihren Blitzmädchen und sizilianischen Nutten gesteckt. Da stopften sie sich, zwischen Ordonnanzen, Jungfrauenbeinen und Stimmen vom Führerhauptquartier, Thunfischrogen und Krebsschwänze in die befehlsgewohnten Visagen, Spanferkel und Fasan, Makkaroni mit Hummer, Frittura a sciabacheddu, Anelletti gratinati, spülten fleissig mit dem rubinfarbenen Faro nach, dem kirschroten Cerasuolo di Vittoria (etwas Sieg wenigstens brauchte man), dem bernsteingelben Malvasia di Lipari (und auch ein bißchen kz). Zum Dessert ein wenig Frutta candite noch, Cannoli, Cassata, Gelati. Und wenns hochkam, stocherten sie schon zur Siesta in ihrem jungen deutsch-italienischen Gemüse herum oder machten gar einmal eine Spritztour nach Agrigent, Segesta, Selinunt und schickten der fernen Alten melancholische Heldengrüße ins Haus.
Wir zerflossen inzwischen in Dreck und Öl unter Panzern und lkws in jenem benzinverseuchten Zwinger bei Acireale. Und als sie im hohen ‘San Domenico’ schon die kostbaren Koffer packten, eilten wir über Caltagirone mitten hinein in Schiffsari, Tiefflieger und Panzeraufmärsche und hatten in neununddreißig Tagen Sizilien verloren: Eichenlaub für den General.
All diese glorreichen Rückzugsstraßen, ich kurvte sie nun, mit den Meinen, in wenigen Tage ab, bald im Osten, Süden, im Norden der Insel, zweitausendzweihundert Kilometer: sonnengebadete Autobahnen, schlangenhaft sich windende Küstenstraßen, verlassene Gebirgspässe in Regen und Nebel.
Zuerst meist die langgestreckten Städtchen
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Richtung Catania: Giardini, Fiumefreddo, Riposto, Giarre. Überall noch dieselben häßlich dürren Köter auf den Gassen, dieselben gräßlichen, schwarzstangigen, ewig unbetretenen Balkons, wahre Lichtblicke für Selbstmörder. Draußen trompeteten morgenüberstürzte Plantagen ihr Gold uns ins Fenster, schwoll manchmal, hob sich die Straße, funkelnd und weither das Meer. Dreimal nacheinander durch Acireale. Wo war dieses Steinloch doch? Fand ich denn in Sizilien überhaupt etwas wieder? Außer vielleicht, dann und wann, Fetzen von Erinnerung? Beim Anblick eines Stadtplatzes schneegrell vor offener See? Einer weißkitschigen Kirche? Eines Orts wie Krätze auf dem Rücken eines Bergs? Ach, ich fuhr da mit einem erstaunt ungläubigem Kopfschütteln gleichsam der Seele, mehr in der Gegenwart gewiß als in der Vergangenheit - aber doch nie ganz ohne sie.
Catanias Nächte belebten einstmals die Christbäume der Bombergeschwader; seine Ebene eines Morgens die Fallschirmjäger, hunderte großer, weißblühender Pilze plötzlich im Blau; Feste für Götter und Generale. Jetzt schwang da die Autostrada, umschüttet von gelblohenden Blumenflächen, märchenhaft in ferne Höhen hinein. Nebenstrecken, kakteenumklettert, ergraute Mäuerchen vor Ölbaumträumen. Ein staubhelles Nest ab und zu, einfach sagenhaft elend, ein stummer Proletarieraufschrei an der Wand und Trauer dunkelrund aus Kinderaugen - wirklich, da wäre ich auch Kommunist. Draußen schwingendere einsamere Kuppen allmählich, kaum glaublich grün, eine Herde von Schafen, von Steinen darübergestreut, ein kürbisgelbes, ein melonenrotes Haus, reglos alles, baumlos fast, weit, von Licht und Schatten bloß belaufen, und etwas, etwas noch zwischen Hügeln, violetten Wolken... - irgendwie muß ich vor tausend Jahren dagewesen, in Verbannung hier gestorben, vor Heimweh längst im Norden umgekommen sein.
Doch da ist Caltagirone! Wirklich, ganz oben am Hang, wie ich mirs vorgestellt. Nur sonnenlos jetzt, fremd, fast gefährlich. Vierzigtausend Seelen, und niemand hat Lust, auch nur auszusteigen.
Dabei schwiegen die Schiffskanonen schon dreiunddreißig Jahre. Plünderte keine deutsche Eliteeinheit mehr. Kein Panzersprengkommando auch zwischen den Fronten, keine Reiterhaufen im Niemandsland, jäh aus Dunkelheit und Geschützdonner gespien, aufgerissene Pferdemäuler, sich bäumende Leiber, Italiener, wildgestikulierend, darüber, darunter, halb ohne Waffen schon - nur jetzt nicht noch sterben, wo es zu Ende ging!
Oh, die Familie interessierte sich brennend für meine Vergangenheit! Eine einzige Frage der jüngeren Tochter, pure Barmherzigkeit. Der Sohn sagte ‘Nazi’, auch einmal bloß, und dachte vielleicht: ‘faschistisches Schwein’. Doch saßen sie alle, auf jeder Fahrt, neben und hinter mir, wo immer es hinging, verloren zusammen fast dreißig Pfund an Gewicht und ersparten mir sechzig Mittagessen. Wir machten die alte Nachschubtour, beinah rund om den Ätna, durch die Lavahalden bei Randazzo auch, wo die Jabos, fast vor meiner Nase, einmal einen Fiat abgeknallt: der Mann überm Lenkrad wie schlafend, und draußen ein Mädchen, es war schön, als habe es sich gerade ein wenig an den Felsen gelehnt. Wir schraubten uns die Windungen von Francavilla nach Novara im Regen hinauf, und oben am Kamm auf einmal noch immer das schon vergessne Kiefernholz, ein winziges Stück Deutschland damals. In Syrakus empfing ‘Papa Binetti’, ein Verwandter von Freunden, uns Fremde mit soviel Herzlichkeit (A rivederci, Signore!), daß wir auf das nahe griechische Theater gerade einen Blick noch mit dem rechten Auge, auf das römische daneben einen mit den linken werfen konnten. Und im Zeustempel Agrigents bekraxelte der sechsjährige Sproßling eines arbeitslosen Architekten aus Hessen die monumentale Telamonfigur (ich habs in Farbe), während ihm der Vater von Zeus und den Göttern und
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Goethe erzählte.
Überhaupt: cultura allerwegen. Auch zuletzt in Cefalù, wo das Meer herrlich und sogar zu horen war, wir den Dom links liegen ließen und die lange leere Küstenstraße mit den Serpentinen dann in einer Mondscheinnacht befuhren. Und da uns schwante, Siziliens schönstes Stück im Dunkeln nun verpaßt zu haben, gaben wir am Morgen einen Tag zu und leisteten uns den ganzen, ziemlich gewaltigen Weg ein zweitesmal, nahmen jetzt auch Palermo mit, im Vorbeifahren wenigstens sahen wir den Dom, in Monreale hielt die Kathedrale grad Siesta, der Kreuzgang hatte zu bis anderntags. Doch was auch Kirchen und Kreuze! Was Karthager, Romer, Staufer, Normannen, Sarazenen, Mafiosi! Wir machten diese einsamlange Nordpartie, hart am Strand hin und hoch dariüer, nun bei Tag, hörten es noch einmal weißlippig im schönen Cefalù rauschen, sahen auch die unvergeßliche Kathedrale dort ein zweitesmal nicht, sahen aber immerfort das Meer, von oben, von unten, über blühenden Margareten und Kirschen, über alten Pinien und Villen und dem grünen Silber der Olivenhaine, es umschwang uns, umsang uns, als seis ein Abschied ohne Wiederkehr... Und am nächsten Tag dann auf der Fähre wieder war es fast wie einst, mittags und heiß und ein goldner Sonnenwind fuhr durch die Wasserstraße, ich starrte auf die Berge, ich sah nach Messina zurück, nach Villa S. Giovanni voraus, alles drehte sich noch, war ganz unglaublich, wie geträumt.
Und wie gekommen, so entronnen.
Amalß nur noch flüchtig und Pompeji. Und karfreitags natürlich in den Petersdom, wo zwei Soutanen gewaltige Tüten schwenkten am Portal: ‘Terra santa’! Und da ich zu ‘santa’ immer nur ‘moneta’ denken konnte, die beiden Priesterlein auch recht bekümmert schauten, die Chöre schon gar schmerzlich aus den Innern schallten und überhaupt, nicht wahr, aus alter Sympathie für Rom, den Heiligen Vater und die ganze arme Kirche, auch weil wir, zugegeben, ohnedies kaum wußten, wohin mit all dem Geld, stopften wir die Fünfzig-, die Hunderttausendlirescheine nur so rein.
Wir kamen übrigens von Roccasecca, gleich bei Cassino, nicht weiter nennenswert an sich. Der Spieß von uns hat da einmal ein Kind, einen dreizehn, vierzehn Jahre alten Italiener, der täglich brav für uns Kartoffeln schälte, wie soll ich sagen, als Zielobjekt benutzt. Bloß um seine Kunst zu zeigen. Und weil der Spieß halt auch mal schiefßen wollte, wenn schon alles schoß! Ich stand dabei und buddelte den Jungen - noch heute seh ich seine Eltern ihn am Abend suchen - selbst mit ein, gleich unter den Olivenbäumen, wie Hauptfeldwebel Beutel es befahl, in einer Zeltplane sogar, mit einem wirklich guten Schuß, direkt ins Herz. Ich fand auch diesen Platz nicht mehr, stieg gar nicht aus - es gibt so viele Olivenbäume dort. Doch beim Wegfahren stoppte ich am Ortsschild. ‘Roccasecca’, las ich noch einmal, und darunter, in vier Sprachen, zuletzt deutsch: ‘Herzlich willkommen’.
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