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Albert Vigoleis Thelen Grenzstein der Freiheit (2)
(Het eerste deel van dit verhaal stond in het augustus-septembernummer).
Da war also einmal ein gemeiner Soldat, der sich gleich vier Jahre vor seines Obersten Kriegsherrn Fahnenflucht entschloß, die betreffende Flucht in eigener Person zu ergreifen. Gepackt vom Granatfieber, der derzeit forensisch-psychiatrisch so gefürchteten ‘motorischen Unruhe’, wollte er nicht mehr dienen: Gott nicht, dem Kaiser nicht; dem Vaterlande nicht, - heim wollte er, heim zu Muttern. So schmiedete er den Plan der unerlaubten Entfernung von der Truppe; und mit solcher Komißschläue ging er zu Werke, daß man ihm nicht so leicht ein Vergehen gegen das Aushalten im militärischen Dienste werde vorwerfen können, so wahr ihm Gott helfe! Indes Gott half ihm nicht: gleich beim ersten Fluchtschritt wurde er vom Grabenältesten ertappt und vor einen Offizier gebracht. Dieser verhörte den Deserteur und ließ ihn in Arrest abführen. Bei der zweiten Einvernahme, die schon einem Kriegsgericht ähnelte, denn mein Fall lag ja vor dem Feinde, stritt er alles ab, was er dem Kompagnieführer zu Protokoll gegeben hatte, und er wurde frech, als dieser einwand: ‘Na, Gemeiner, es steht hier schwarz auf weiß!’
Der gemeine Soldat wußte es aber besser, er kannte sich aus im Reglement und er entgegnete, nun ganz sachlich: ‘Sie, Herr Kompagnieführer, haben mir überhaupt keine Vorhaltungen zu machen, - Sie hatten nämlich, als Sie mich verhörten, nicht einmal untergeschnallt!’
Das Wort platzte wie eine Eierhandgranate in die Kriegsgerichtsverhandlung hinein; aller Blicke waren auf den pflichtvergessenen Kompagniechef gerichtet, der sich mit einem Griff vergewisserte, ob er wenigstens jetzt untergeschnallt hatte. Das hatte er allerdings, aber von der Fahnenflucht des Muskoten konnte nicht mehr die Rede sein; der Offizier selbst mußte gemaßregelt werden, was wiederum nur durch ein Sondergeneralauditioriat geschehen konnte, weshalb man den Koppelmeuterer für's erste einmal seines Postens enthob; man stellte ihn zur Verfügung. Palaver entstand, die Herren wurden tumultuös und der fahrlässigerweise nicht durch ein Kettchen hinter der Ohrmuschel abgesicherte Pincenez eines Obermilitärgerichtsassessors ging in Splitter. Unser gemeiner Soldat benutzte den Klamauk sich dünn zu machen. Er ward nie mehr gesehen.
Unterschnallen, meine Herren, dachte ich, sonst kommt ihr alle vor ein Kriegsgericht, oder -
Es waren diese Herren, wenn ich zurückgreifen darf, damit wir endlich wieder ein Stück vorwärts kommen, diese Herren waren Mann für Mann Offiziere.
Welche Ränge sie freilich in der Hierarchie ihres Obersten Kriegsherrn Franco bekleideten, weiß ich nicht. Sie trugen Sterne und Streifen auf den Borten, die Ärmelaufschläge waren verziert, ich gewahrte Franzenbesatz, - sicherlich waren ein paar ganz hohe Chargen dabei.
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Als ich mich sonach zum Deutschen bekannt, und die Hauptleute alle aufgesprungen waren, schob ich die Geschichte des ununtergeschnallten preußischen Michelbruders ein, und nun will ich, damit uns keine dienstrechtlichen Verwicklungen erneut aufhalten, den Hauptleuten auch allen zubilligen, daß sie inzwischen untergeschnallt hatten; der letzte Hosenknopf, der letzte Knopf an Hemd und Waffenrock war geschlossen, - weiter im Text:
‘- und Sie sind,’ fuhr der Oberst, der mich ausfragte, mit fast verhaltener Stimme fort, ‘Sie sind, bitte, ich meine, Sie sind -?’
‘Nun, was soll ich sein, Herr Major?’
‘Sie sind, mein Herr, womöglich nicht nur Deutscher, sondern auch - Offizier?’
Atemlose Stille im Raum der Offiziere. Alle Augenpaare waren auf mich gerichtet, die Spanier standen in fast strammer Haltung da, jedenfalls war es für jene Breiten vorbildlich, wie sie dastanden, und sie an meinem Munde hingen, aus dem nur ein einziges Wort kommen durfte, das Jawort meiner eigenen Aushebung und schnellen Beförderung.
Doch ach, werter Leserfreund, auch wenn es um Sein oder Nichtsein geht, spricht mein Vigoleis dieses eine Wort nur aus in der Umkleidung vieler Worte, ja selbst Wörter. Hier denn die wortgetreue Wiedergabe meiner Antwort, die ich auf dem Sterbebett noch werde aufsagen können; denn der Geist des Allerhöchsten war über mich gekommen, wieder ein Mal; nein, nicht der des allerhöchsten Henkers und Hunkiars meines zuschanden gesunkenen Volkes, dem immer noch anzugehören meine Papiere dartaten: es war der Geist der Freiheit, der zuweilen in Zungen spricht, aber immer dann, wenn es, eben, um Sein und Nichtsein geht, von unmißverständlicher Klarheit ist. Hört:
‘Ich bin, meine Herren Offiziere, wenn Sie erlauben, daß ich's bekenne, und es vor Ihnen zu bekennen, ist mir die Ehre selbst; ich bin, Ihr Offiziere alle, tatsächlich auch Offizier.’ Aufrechter denn je in meinem Leben stand ich da, von Gestalt nicht eben unansehnlich; zwar kein Gardemaß, indes auch nicht schlecht gekleidet, obwohl mein Anzug Falten warf, die Hose durchlöchert war und was sich an Bart gebildet hatte, umdunkelte mein Antlitz. Als das Wort heraus war, verbeugte ich mich mit einer so vollkommenen Würde und edelmännisch-bühnenreifen Artigkeit, daß ich Spaß an mir selber hatte, während den echten Offizieren nicht einmal aufzufallen schien daß ich, der deutsche Offizier, nicht die Hacken zusammenknallte. Dann verbeugte ich mich nochmals, um die Leere auszufüllen, die zufolge meiner militärischen Offenbarung entstanden war, und zu allem Überflusse führte ich mit der Rechten eine alles umfassende Bewegung aus.
Da sprengten meine Herren Hauptleute davon; sie rasten durch die Bude, - was suchen sie, was erwischen sie? Ha, die Dienstmützen; sie setzten sie auf, zogen sie in rascher Eitelkeit noch zurecht, dann flogen die Hände zum Gruß an den Schirm, die Handflächen wie weiße Tischtennisschläger nach außen gekehrt, - so hohe Offiziere waren das, allerhöchste Patente selbst.
‘- und, bitte, im Range eines...?’
‘Eines Hauptmanns, Herr Oberhauptmann, Artillerie, - schwerste Kaliber habe ich die Ehre unter meinem Befehl zu haben.’
Ich verbeugte mich, und reihum taten es die galonierten Kriegsgurgeln es mir nach. Vigoleis war zum Schlafwandler geworden, der mit geschlossenen Augen den Weg findet. Hier wählte er aus ein paar Dutzend Truppengattungen die vornehmste aus, ohne zu wissen, daß sie es war; denn er hatte ja von militärischem Tuten und Blasen und Schiessen keine Ahnung; ihm gehören Steinbeil und Atombombe der selben Mordordnung an. Er hatte eben die Witterung für den hohen Rang, und er würde sich heute, gut fünfundzwanzig Jahre nach der Kabale in Fuentes de Oñoro, allsogleich in die gesellschaftsfähige Klasse eines Atomkanoniers erhoben haben. ‘Womöglich dann, Herr Hauptmann, sind Sie, - na, wie soll ich sagen, - hm, Sie sind -
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in einer geheimen Mission begriffen?’
Es war dies aber ein anderer Offizier, der so heikel zu fragen sich unterstand.
‘Sie haben recht, Herr Oberstleutnant, ich bin in geheimstem Auftrage unterwegs, für meinen Herrn und Führer, meine Herren’ - reihum blickte ich jeder Gurgel ins Auge - ‘komme aus Frankreich, und trachte nun, so rasch wie möglich, Lissabon zu erreichen, wo unser Panzerkreuzer “Deutschland” - ich verbeugte mich - vor Anker liegt, im Tejo, und er wird sie erst lichten, wenn ich die Planken betrete.’
‘Deutschland, Herr Hauptman,’ sagte der Jüngste der untergeschnallten Kartenbrüder, ‘hat seinen großen Führer, und jetzt kommt auch seine große Stunde.’
‘Die Stunde des Jahrhunderts, die ein Jahrtausend währt, meine Herren Offiziere, und alle, wir alle müssen uns ihrer würdig erweisen. Hier denn unsere Pässe und die besonderen Führerpapiere.’
Ich hielt dem mir zunächts befindlichen Offizier die Kreditive hin, wobei ich ihn scharf ins Auge faßte, während er seinerseits die Augenbrauen ein wenig hochzog, was Mißtrauen so gut wie Verwunderung ausdrücken konnte.
‘Unsere? Befinden Herr Hauptmann sich in Begleitung? - aber gewiß, Ihr Bursche...’
‘Mein Bursche ist mit dem großen Gepäck gleich ins Reich gefahren; wer mich begleitet, Herr Oberst, das -’
‘Das wäre -?’
‘Das ist meine Frau.’
‘Ihre, pardon, Sie sagen -?’
‘Ja, meine Frau.’
Es kam Bewegung in den Kreis der Untergeschnallten, man rief Sakrament, Potztausend und ähnliches.
‘- und wo, bitte, halten Madame sich auf?’
‘Wo anders, meine Herren, könnte sie sein als da unten in der Halle, bei der Zollabfertigung. Man durchsucht nämlich, meine Herren, unser Reisegepäck.’
‘Zum Henker, Hostia!’ rief nun der wohl Rangälteste des Kartenstabes, ‘Sie sind doch in geheimer Mission und somit exterritorial! Solch eine Schlamperei da unten, wo höchste Eile geboten ist.’
‘Mehr als geboten, Herr General, wir sind in fliegender Eile sogar mit einem Taximeter gekommen, da wir den Anschluß an den Lusitania-Expreß in Medina del Campo verpaßten. Sie hätten sehen sollen, wie der Kutscher der Kraftdroschke unsere Koffer vom Verdeck des Wagens auf den Boden schmiß; das ging wie der Blitz!’
‘Wir haben es ja gesehen, Herr Hauptmann, - ha! also das war's!’
Nun prasselte ein Feuerwerk von Worten, Flüchen, Befehlen; ich wußte wieder einmal nicht, wo mir der Kopf stand ob dieses hellen Spotts, und da niemand mir meine Beglaubigungsschreiben abnahm, steckte ich sie ein; es war auch besser so, da man meine Gerechtsame hätte anzweifeln können.
Wo immer ein Dieb sich dünn machen will, erschallt der Ruf: Haltet den Dieb! Hier, in Fuentes de Oñoro, erscholl uns, die wir zwar keine Diebe waren, indessen allen Grund hatten, uns so dünn wie nur möglich zu machen, der Ruf: Haltet den Zug!
Ja, rief nun der Chor der Kartenritter, man solle den Zug anhalten, des Führers Plenipotenciario müsse noch mit, - ‘Hauptmann, kommen Sie, der Führer ruft!’
Vom gesamten Generalstabe umschwärmt, verließ ich, der einzige, der nicht untergeschnallt hatte, sei es denn, daß ich gegürtet war mit dem schieren Schwindel, das große Hauptquartier, auf dessen Tisch die ungestochenen Karten lagen, um die sich keine Spielsau mehr kümmerte.
Vom Gerüfte angelockt, hatte sich der alte Carlist unter die Tür seiner Stube gestellt; er wollte wissen, was es da gebe. Als er mich erblickte, und er auch wohl gehört haben mochte, daß ich mit Hauptmann angeredet wurde, legte er die Rechte salutierend an seine Boina, führte sie dann an den Mund, so als hielte er eine Trompete, und schmetterte
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dreimal die Fanfare seiner Legion, re-queté, re-queté, re-queté!
Ich kam an die Treppe, da sah ich unten, o du lieber Himmel! die ganze Bescherung! Die Halle war übersäht mit dem Inhalt unserer Koffer und Bündel, eine bewaffnete Meute wühlte in dem Kram, so wie ich selbst auf Plundermärkten oft im Brast gewühlt habe auf der Suche nach einer Schraube, einem Vogelkäfig, einem verschollenen Buch, oder was immer ein armer Dichter so nötig braucht. Was da unten sich abspielte, das freilich war nicht mehr und nicht weniger als eine Verhöhnung des Völkerrechts; es war ein Eingriff in meine Exterritorialität, die sich, das wußte ich aus dem Umgang mit dem exterritorialen Grafen Harry Keßler, ausdehnte auf meine Gemahlin und die ons beiden gehörigen Sachen. Wir waren immun, ich hatte Anspruch auf Exemtion; ja, würde ich mit einem Hauskaplan reisen, stände mir sogar das Kapellenrecht zu, - und unten, da wurden nicht nur meine Befugnisse mit Füssen getreten, man trat buchstäblich alles, was mein war, in den Dreck.
Da hätte die Koffer gleich auf dem Vorplatz platzen können!
Die Hauptleute, sie flogen die Stufen hinunter, als hätten sie Knallfrösche in den Gesäßen, die zu lüften sie so schwer angekommen, während Beatrice zu uns hinauf blickte und ich selber gerade noch die Zeit hatte, ihr auf Holländisch zuzurufen, sie solle mich machen lassen, - ‘nein, jetzt keine Fragen, es geht, wieder einmal um's ganze.’
Einer der Herren vom Stabe bot ihr seine Entschuldigung an, und seine Hilfe. Die niederen Waffenburschen wurden barsch beiseite geschoben und zusammengeranzt; verflucht, - Sakrament, he, wie das nun zuging!
Die Offiziere bückten sich, rafften unsere Sachen auf, stopften alles in die Koffer, ich bündelte den Rest, - und schon kam eine Ordonanz angetrabt und erstattete Meldung: der Zug sei zum Halten gebracht, ein Abteil Erster Klasse werde für die Exzellenzen geräumt.
Die Herren Hauptleute ergriffen das Gepäck, selbst nahm ich nur die Schreibmaschine in die Linke.
Unser Zug setzte sich in Bewegung, - nein, nicht der expresse, der von Irun über Medina del Campo, Fuentes de Oñoro und Vilar Formoso nach Lissabon fuhr; vorerst war es unser eigener Zug, der kleine Trupp, der wie aus dem Nichts entstanden war; an der Spitze der höchste Offizier, auf dessen Kragenspiegel in Rankenstickerei und goldenen Borten sein Rang vermeldet stand, zweifelsohne ein General.
Der General hatte seinen Flederwisch aus dem Waffenschlitz des Rockes gezogen und trug ihn, gesenkt, vor dem Bauch. Hinter ihm schritt ich, Sonderbeauftragter des Führers in geheimer Mission; hinter mir die völlig verdutzte Beatrice, im nu zur Frau Hauptmann geworden, was sie zum Glück nicht wußte, sonst hätten ihre Augen noch mehr Feuer gesprüht, als sie's schon taten.
Im Gefolge die Stabsoffiziere mit dem exterritorialen Gepäck.
So betraten wir den Bahnsteig, der wie tot dalag, da alle Reisenden schon abgefertigt worden waren und in den Abteilen mehr oder weniger unter Siegel standen. Nur ganz vorne, im ersten Wagen, ließ Lärm sich vernehmen, es wurde geschimpft, geflucht, in hundert Zungen. Feinste und reichste Leute wichen der Gewalt, sie wurden nämlich aus ihrem Abteil Erster Klasse hinausbefördert und drückten sich mitsamt ihrer Bagage in die schon überfüllten Coupés der Zweiten Klasse. An allen Fenstern drängten sich die Köpfe der Schaulustigen; da gab es wieder etwas zu sehen, und sieh einer an, stand da nicht unser Krummer, der Geheime, der Pferdegesichtige, der hinkende Teufel, der uns in Medina nicht in den Expreß hatte steigen lassen, vielmehr den Wachen überantwortet? Er war's, er stand wie gepfostet, und starrte uns an; doch nicht lange gab er sich dem Bemühen hin, sein Geheimagentenhirn mit der Frage zu foltern, ob's denn wirklich wir zwei beiden
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seien, denen er in Medina del Campo ein Bein gestellt, - denn was sich nun um uns herum zutrug, zeigte ihm, daß es an der Zeit sei, sich aus dem Staube zu machen. Ich sah noch gerade, wie er sein heiles Bein auf ein Trittbrett schwang, das lahme nachzog und mit dem Rest seiner ganzen schnöden Leibhaftigkeit verschwand. Dann mußte ich meine Aufmerksamkeit der Rolle zuwenden, die zu spielen mir hier zugefallen war.
Auf dem Bahnsteig lagerten viele Truppengattungen; alle Formationen des Caudillo waren vertreten, es fehlte einzig die Reiterei, sie hatte nicht rechtzeitig einschwenken können; und hätte ich nicht anderes zu bedenken gehabt, damals, als man mich zum Hauptmann geschlagen, ich hätte mir die bunten Reiterscharen meiner niederrheinischen Heimat mit ins Bild gedacht, Krefelder Husaren und den Düsseldorfer Ulan.
Nun erschallten die Kommandorufe, wer sich gelümmelt hatte, und das hatten sie alle, denn es war ja fast totenstill auf den Bahnsteigen, als der Tanz begann; oder wer auf seinem Flintenkolben gehockt, wo immer er gestanden, gesessen oder gelegen hatte: alles flitzte herbei, fügte sich einer Ordnung, Adjutanten flogen die Reihen entlang, man trat ins Gewehr und einander auch wiederum in den Weg, der Wirrwar war groß, die Plempen blitzten, Gewäff jeglicher Art ward präsentiert. Eine Zeile waffenstarrender Gestalten, vom Milchbart bis zum Greise, Köttelgarde und Veteran, führte, als sie einmal sich festgefügt, bis an die Lokomotive des Lusitania-Expreß, der noch länger geworden war als in Medina del Campo.
Der General winkte mir, er hob den Degen zum höchst militärischen Ehrerweis. Der Stab mit dem Gepäck, jeden Grußes überhoben, blieb mir auf den Fersen, und Beatrice, ach, die Ahnungslose, blieb mir auch auf den Fersen, von einem baumlangen Eskorte-Fähnrich galant geführt.
In der linken Hand trug ich die Schreibmaschine, die rechte war frei.
Was wird unser Vigoleis mit dieser freien Rechten tun, fragt sich der gewierige Leser, der dem Helden ebenfalls auf Schritt und Tritt gefolgt ist bis zu diesem Augenblick, wo er sich anschickt, die Front abzuschreiten und die Parade abzunehmen, - wird er den freien Arm heben, er, der ihn nicht gehoben hatte, als im spanischen Bürgerkriege Pistolenläufe auf ihn und seine Beatrice gerichtet waren und sie beide Arriba España! Viva Franco! und Heil Hitler hätten rufen sollen? Um sie herum lagen die Leichen im Feld, aber Vigoleis hob den Arm nicht, zu geschweigen von Beatrice, die die Mordbrenner voll Verachtung übersah. Da sagte Vigoleis: Schießt, ihr Rotzlöffel - denn es waren junge Burschen, die den Haufen Heilrufer bedrohten - abgezogen den Hahn, ihr seid ja die Stärkeren, heute noch - ob aber morgen? Los! nicht feige sein, wo es um den heiligen Krieg eures Caudillo geht, - hier die Brust!
Die Rotzlöffel zogen nicht ab, mit baffem Maule standen sie da und ließen die Faustflinten sinken; dann hieß es, wir sollten uns aus dem Staube machen, was im heißen spanischen Sommer die einfachste Sache von der Welt ist. Würdig, langsam, immer der Kugel im Nacken gewärtig, verließen wir die Walstatt. Wir hatten wieder eine Schlacht gewonnen. Und hier, wird er den Arm heben? Die bange Frage! Gar keine bange Frage; und keine Bange nicht, mein Leser, du kommst nicht um deinen Spaß. Vigoleis hebt den Arm, und der zur Pöbelgeste entartete Caesarengruß geht ihm sogar ganz gut von der Hand; daß es eine Uraufführung war, hätte niemand ihm angemerkt, - hätte? Man merkte ihm nichts an, wo ja die ganze Köpenickiade wie einstudiert klappte.
Also er kroch zu Kreuz, unser aufrechter Ritter Wigalois? fragst du, nun schon leicht empörter Leser. Gar nicht, mein Freund, er setzte nur das Spiel fort, das oben in der Generalstabsredoute begonnen hatte; ein Spiel, bitte, mit dem Tode; denn hätten sich die Kartenkumpane seine litterae credentiales
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einmal näher angesehen, alles wäre gleich aufgeflogen; ein Schuß in den Nacken, und - he! Burschen, schafft den Kadaver hier weg, man verscharre ihn in der Schlackenhalde, und weiter klopfen die Karten auf den Tisch. Du mußt es, mein Leser, anders sehen: denke dir die Läufe der Gewehre, die man jetzt zu unseres Helden Ehre präsentiert, auf ihn und seine Beatrice gerichtet, und er und seine Beatrice hätten sich loskaufen können mit dem Hunkiarschrei, - sei des versichert, die beiden hätten wieder gesagt: schießt, ihr Rotzlöffel, ihr seid die Stärkeren, heute noch, - ob aber morgen?
So habe deinen Jux, mein Freund, frage aber nicht, ob ich den meinen hatte, als ich so dahinschritt mit erhobenem Arm, hinter mir die Beatrice wissend, die wohl denken mochte, ihr Vigo sei verrückt geworden; denn daß er Verrat üben könne, selbst bei Rad und Pfahl, das hätte sie ihm nicht zugetraut.
Musik mit Kalbfell und Bombardon war keine auf dem Bahnsteig aufgezogen, kein Tambourmajor schwang den bunten Stab, kein Schellenbaum klimperte, und um die Ecke brausend bricht's, wie Tubaton des Weltgerichts, - so hatte ich's als Zögling einer Kaiser-Wilhelm-Schule aufsagen müssen, am Geburtstage dieses Kaisers.
Außer unseren Schritten war kein Laut mehr zu vernehmen. Die Menschen in den Zugfenstern aber sahen mit Staunen, wie da einem hohen zivil getarnten Haupte mit militärischem Klimbim das Ausgeleite gegeben wurde, - viele von ihnen waren Zeuge gewesen, wie der hinkende Scherge das Paar wollte an die Wand stellen lassen; und nun diese Erhöhung! Als unser feierlich einherschreitender Zug die Spitze des angehaltenen Zuges erreicht hatte, stiegen die Offiziere mit dem Gepäck in das requirierte Abteil.
Der General pflanzte sich vor der Wagentür auf und senkte den Flederwisch. Ich wollte ihm die Hand geben, da merkte ich allsogleich, daß dies ein Fehler gewesen wäre; immerhin hatte ich meinen Arm sinken lassen, und merkwürdig, ich war mir des nicht einmal mehr inne, daß er die ganze Zeit oben in der Luft gewesen war. Wie von unsichtbaren Fäden gehalten, hatte er sein Marionettenspiel vollführt.
Der General klemmte den Degen unter den linken Arm, - wollte er mir die Hand geben? Da merkte auch er, daß dies ein faux-pas gewesen wäre; wieder ergriff er die Waffe, salutierte, ehrerbietig, vor Beatrice, ließ den Stahl sinken, und wünschte uns eine gute Reise. Dann wurde er förmlich, schulterte den Säbel auf echt spanische Art und trug mir Empfehlungen an meinen Führer auf, im Namen des seinigen, und, den Flamberg schwenkend, im Namen seiner Schwiete.
Es rasselten die Wehrgehänge, Griffe wurden geklopft; mit einer alles umfassenden Geste dankte ich, im Namen der Freiheit. Da jeder die Freiheit auf seine Art auslegt, war dieses mein Wort ein gutes Wort, und recht am Platze.
Dann stiegen wir ein, die Servisdeputations-offiziere wiesen uns unsere Plätze an in dem Abteil, das völlig leer war, - aber natürlich, man hatte ja den territorialen Plebs hinausgeworfen, unseretwegen, die wir auf Kosten eines wirklich pöbelhaften Haufens exterritorial geworden waren.
Die Herren stiegen aus, die Coupétür fiel ins Schloß.
Beatrice ließ sich in den Sitz fallen, sie starrte ins Leere. Die hat es, so übel ihr auch zumute sein mag, überstanden; unser Vigoleis indessen muß seine Rolle weiter spielen, das Stück ist noch nicht zu Ende.
Ich lehnte mich zum Fenster hinaus, unten stand der General, im Halbkreise um ihn geschart die Haupdeute. Ohne mit der Wimper zu zucken, blickte ich jedem der Tapferen unerbittlich ins Auge. Da kam ein Meldejunker angejagt und flüsterte dem General ganz unmilitärisch etwas ins Ohr. Meine Knie begannen zu wanken, - ertappt! An die Wand mit dem Schelm! Nun sagte der General, das Paraderapier wieder hebend: ‘Herr
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Hauptmann, wenn Sie erlauben, lasse ich dem Bahnhofsvorsteher die Weisung zugehen, daß er dem Zugführer das Zeichen zur Abfahrt gebe.’
‘Zu Befehl, mein General! Was uns betrifft, möge der Fahrdienstleiter seine Kelle heben.’ Winke, Getümmel, Pfiffe, ein Stoß ins Horn; und wieder trat der ganze Heerhaufe in die Waffen; der Flederwisch des Kommandeurs hob sich, feierlich, segnend fast, als sei es Altekläre, das heilige Schwert des Heidenschlächters von Roncesvalle; noch andere Säbel sah ich in Hirnhöhe blänkern, und wer keinen Mordstahl zum Heben hatte, hob den Arm.
Aber da, was ist das? - ich verspürte einen Zwang im eigenen Arm, - war es der faustische Höllenzwang, der mächtiger ist als Gold und Flinten? Unsichtbare Schnüre zogen ihn wieder hoch, rückten ihn zum Fenster ganz hinaus, bis er unbeweglich in der Schwebe stand. Ich hörte Vigoleis sagen, mit fester Stimme: ‘Herr General, ihr Hauptleute alle, tausend Dank! Ich werde meinem Führer berichten, was man in Fuentes de Oñoro in großer, und, vielleicht letzter Stunde für ein großes Brudervolk getan.’
Man schlug an die Schilde, - wie im spielmännischen Hildebrandslied: welaga nu waltant got... ein gellender Pfiff, das Sirenengeheul iberischer Lokomotiven, der Zug ruckte an, keuchend stampfte die Maschine, Dampf wurde abgelassen; langsam, langsam fuhren wir aus dem Bahnhof hinaus.
Vigoleis, jetzt noch ein paar Minuten! Richte deine Augen stetig auf den General, nimm nur ihn in den Blick, kümmere dich um weiter niemand, auch nicht um deinen Arm, der bleibt noch oben, die Drähte halten gut, der Poppenspäler im Kaste kennt die Regie, - oder kommen die Fäden geradewegs aus dem Himmel, wo unser aller Schritte gelenkt werden sollen? Zum Glück war kein Laternenpfal da, der ihn unserem Hauptmann von Köpenick abgeschlagen hätte.
Als der General seine Plinte sinken ließ, und die Ehrengarde auf einen weithin verhallenden Ruf in die rührende Lümmelei zurückfiel, fiel auch mein Arm aus der Luft, dann fiel ich selbst in die Polster. Schlotterten die Knie? Wurde es naß um die Fünf meines Hosenbodens?
Ich war wie erschossen, wie gerädert, wie gelähmt, wie... doch was biete ich noch Vergleiche mit Lebendigem auf, in Wirklichkeit war ich tot.
Beatrice sah den toten Mann an, selber auch nicht lebendig, - so boten unsere Helden das Bild einer Leichlege, bei der keine Träne floß. Einige Minuten weilte ich dergestalt im Jenseits; der Zug war schon in rasche Fahrt gekommen, im Unterbewußten hörte ich die Schwellen schlagen, da spürte ich auf einmal, wie jemand meine rechte Schulter berührte - also doch! Ich sah mich um, hinter mir stand ein Mann in grauer Uniform, eine rotlakierte Tasche umgebunden, eine Art Zeppelinmütze mit speckig-schwarzem Schilde auf dem Kopf, ein dicker Schnauzbart vervollkommnete das Gesicht, - ein Schaffner!
Der Schaffner sagte, teils auf Spanisch, teils in gebrochenes Französisch fallend: ‘Mein Herr, Madame, Sie brauchen nicht länger Theater zu spielen, wir haben schon portugiesischen Boden unter uns. Sie sind frei! Seien Sie willkommen in unserem Lande.’
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