Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDas Fehlen einer Sprachscheide zwischen dem Deutschen Reiche, den Niederlanden und Belgien
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eine auf diese gegründete eigene Literatur. In der Tat bildet diese Schriftsprache eine ScheidewandGa naar voetnoot(*) gegen das Deutschtum. Dem ist nicht immer so gewesen. Gegen Ausgang des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit gab es auf dem Boden des Deutschen Reichs, zu dem ja damals auch die Niederlande gehörten, mehrere Schriftsprachen oder sagen wir besser Schriftmundarten. Unser Hochdeutsch galt nur in der (östlichen Hälfte des Reichs mit Ausnahme des niederdeutschen Nordens. Im Südwesten schrieb man ein besonderes alamanisches Deutsch; ein andres, auf der kölnischen Mundart beruhendes Deutsch schrieb man in der Rheinprovinz, und wieder ein andres in den Niederlanden und in Niederdeutschland. Die kölnische Schriftmundart hielt etwa die Mitte zwischen unserm Deutsch und dem Niederländisch-Niederdeutschen. Alle diese Schriftmundarten empfand man zur Zeit als mundartliche Varietäten, nicht als selbständige Schriftsprachen, auch das Niederländische nicht. Und wären die Niederlande beim Reich geblieben, so wörden die Niederländer schliesslich ebenso unsere hochdeutsche Schriftsprache angenommen haben, wie es ihre plattdeutschen Brüder in Deutschland, wie es die Kölner, wie es die Schweizer gethan haben, ebenso widerstrebend, aber ebenso durch die Macht der Zeitverhältnisse gezwungen. Die Schriftsprache der Hanse hatte noch für Niederdeutschland von Dünkirchen bis Riga ein einigendes Band gebildet, in Ostfriesland hat die niederländische Schriftsprache erst im 19. Jahrhundert ihre Geltung eingebüsst: hinsichtlich der Schriftsprache hat in der Tat die politische Grenze eine Scheidewand aufgerichtet. Aber eben auch nur hinsichtlich der Schriftsprache und der Gebildeten, nicht hinsichtlich der Volkssprache, der Mund- | |
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art. Nicht an einem einzigen Punkte, nicht auf eine Strecke von auch nur einer Meile bildet die politische Grenze eine Grenze der Mundart. Verfolgen wir einmal diese Grenze! An der Nordsee, am Dollart, wird in der Provinz Gröningen ein Platt gesprochen, welches von dem ostfriesischen Platt nicht so stark abweicht wie dieses von den oldenburgischen. Ebenso, unterhalten sich die Leute aus Drenthe und Overijssel in ihrer Mundart ohne Schwierigkeit mit ihren reichsdeutschen Nachbarn an der Ems. Die Mundart in Arnheim und Nimwegen ist dieselbe wie die klevische. An der Maas wird bis Venlo eine Mundart gesprochen, die identisch ist mit derjenigen, die von Kleve bis Kaldenkirchen gesprochen wird. Von Venlo bis Maastricht dieselbe Sprache wie von Kaldenkirchen bis etwa nördlich von Aachen. Alle bisherigen Mundarten sind niederdeutsch. Bei Aachen beginnt das hochdeutsche Sprachgebiet. Aber wiederum bezeichnend: die östlichsten, Aachen zunächst liegenden Dörfer der niederländischen Provinz Limburg sprechen bereits Aachensch, und anderseits südlich von Aachen gehört noch eine kleine Landschaft bei Eupen zum Limburger Platt, wie die beigegebeneSprachkarte veranschaulicht. Es folgt im Süden Malmedy, wo jene Abart des Französischen, die wir Wallonisch nenneu, gesprochen wird, genau wie auf der belgischen Seite. Endlich unterscheidet sich die Luxemburgische Mundart in keinem wesentlichen Punkte von der in der Eifel und an der deutschen Mosel gesprochenen, | |
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und diese Mundart reicht sowohl im Norden wie besonders im Westen, bei Arel (Arlon), nach Belgien hinüber (s. die Karte): von Arel über Luxemburg nach Trier eine Sprache. Man wird fragen: Ja wo wird denn eigentlich eine niederländische Sprache gesprochen, wenn längs der ganzen reichsdeutschen Staatsgrenze dieselbe Sprache hüben wie drüben herrscht? Die Sache liegt folgendermassen: Entschieden weder noch deutsch ist die Mundart in der Provinz Friesland, wo eine besondere Sprache gesprochen wird, ähnlich wie im oldenburgischen Saterland und an der schleswigschen Westküste. Die friesische Sprache ist eine selbständige germanische Sprache, der englischen näher verwandt als der deutschen. Entschieden nicht niederländisch sind ferner die Mundarten östlich der Süder-See, in Gröningen, Drenthe, Overijssel und dem östlichen Geldern. Hier wird ein Plattdeutsch gesprochen wie an der Ems, und dieses Platt ist nur eine Abart desjenigen Niederdeutschen, wie es in Westfalen, Hannover, Hollstein und Mecklenburg-Vorpommern gesprochen wird. Als niederländisch anzusprechen sind allein die westlichem Mundarten sowhl im Königreich der Niederlande als in Belgien bis Brüssel und Dünkirchen. Wir sind gewohnt, die deutschen Mundarten Belgiens als flämisch zu bezeichnen, und mancher meint woh1, diss niederländischGa naar voetnoot(*) und flämisch zwei verschiedene Mundarten seien. Das ist nicht richtig. Der Name flämisch kommt von Rechts wegen nur der Landschaft westlich der Schelde, nämlich Flandern zu, nicht auch dem östlichem Brabant. Es gibt wohl eine flämische (flandrische) Mundart, nicht aber eine deutsch-belgische. Die politische Grenze Belgiens und der Niederlande ist keine Sprachscheide. | |
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Wir unterscheiden innerhalb der niederländischen Mundartengruppe das Flämische, die Mundart der Seelande, das Brabantische, das Holländische und das Geldersche. Zu der letztern Untermundart, die östlich von Uetrecht beginnt, gehört auch die Mundart der nördlichen Rheinprovinz bis einschliesslich Duisburg und bis vor die Tore von Krefeld und Kaldenkirchen. Die Mundart der belgischen und niederländischen Provinzen Limburg steht den niederländischen Mundarten ferner und nähert sich bereits dem Kölnischen. Diese limburgische Mundart wird auch in der Rheinprovinz in dem Viereck Kaldenkirchen-Krefeld-Düsseldorf-Geilenkirchen gesprochen. Der Uebergang zu der kölnischen Mundart ist nicht so schroff wie der zu den niederländischen Mundarten. In der limburgischen Mundart heisst es bereits ich, mich, dich, euch, auch, mit hochdeutschem ch, im übrigen ist der Konsonantismus noch niederdeutsch, während er im Kölnischen bereits hochdeutsch ist. Aber der Unterschied zwischen nieder- und hochdeutsch ist in den rheinischen Mundarten überhaupt ein fliessender. Auch der kölnische Konsonantismus hat noch niederdeutsche Besonderheiten, und erst die südlichem Mundarten an der Mosel und in noch ausgeprägtem! Masse die pfälzischen sind als rein hochdeutsch zu bezeichnen. Innerhalb der Niederlande und Deutsch-Belgiens - von Luxemburg sehe ich ab - gibt es also ausser dem Friesischen der Provinz Friesland vor allem zwei Hauptmundartengruppen: 1. niederdeutsch oder niedersächsich, östlich der Süder-See, und 2. eine Gruppe - ich nenne sie fränkisch -, die sämtliche übrige Mundarten sowie die nördliche Hälfte der Rheinprovinz umfasst und wiederum in zwei bzw. drei Gruppen zerfällt: a) die niederländischen Mundarten bis Löwen - Venlo - Duisburg und b) und c) die limburgische Mundart bis Eupen - Geilenkirchen - Düsseldorf und die kölnische Mundart, zu der noch die niederländischen Grenzdörfer bei Aachen gehören. Es kann nicht | |
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meine Aufgabe sein, die Unterschiede zwischen diesen Mundarten im einzelnen darzulegen. Nur einige wichtige Punkte will ich namhaft machen, in denen sich die fränkischen Mundarten von der niedersächsischen unterscheiden: In den ersten wird a vor sch, z. B. in Asche, Flasche, Tasche, wie e ausgesprochen, ebenso a vor r + Konsonant z. B. in arg, scharf, warm; d und t zwischen Vokalen ist zu j oder g geworden, z. B. in leiden, Vater; nd und nt wird wie ng ausgesprochen, z. B. in finden unter; zwischen 1 und r und zwischen n und r wird ein d eingeschoben, z. B. Keller, Hühner wie Kelder und Hühnder ausgesprochen; in der Endung en, z. B. in sieben, machen, wird das n nicht ausgesprochen; der Plural des Präsens der Zeitwörter endigt auf en bzw. e, im Niedersächsischen aber auf et oder t, z. B. fränkisch: wi make, wir machen; niedersächsisch: wi maket oder wi makt. - Ferner unterscheidet sich die kölnische Mundart von der westfälischen durch ihren hochdeutschen Konsonantismus: Ziet Zeit, schlafe schlafen, mache machen: westfälisch Tied, slapen, maken. Ferner unterscheiden sich die niederländischen Mundarten von den niedersächsischen dadurch, dass in jenen jedes ü wie i ausgesprochen wird, z. B. in Brücke, dünn, dass niederländischem u (geschrieben oe) im Niedersächsischen ein o oder au entspricht, z, B. in Buch, Fuss, zu, dass niedersächsisch u, z. B. in Hus Haus, supen sauten, im Niederländischen ü oder eu (geschrieben ui), dass niederländisch ie, z. B. in giessen, lieb, im Niedersächsischen wie e oder ei ausgesprochen wird. - Die Unterschiede innerhalb der fränkischen Mundarten sind nicht so gross. Ich habe bereits die Ausdrücke ‘niedersächsisch’ und ‘fränkisch’ gebraucht. Sachsen und Franken sind die beiden deutschen Stämme, welche das in Frage stehende Gebiet besiedelt haben, und deren Nachkommen die sprachlichen Besonderheiten ihrer Vorfahren bewahrt haben. Wüssten wir es nicht aus | |
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der Geschichte, aus der gegenwärtigen Sprache könnten wir diese Stammesverschiedenheit erschliessen. Und auch die Gruppierung der fränkischen Mundarten in eine nördliche (niederländische) und südliche (limburgisch-kölnische) Hälfte entspricht der geschichtlichen Zweiteilung der Franken in salische und ripwarische Franken. Man hat die kölnische Mundart darum auch die ripwarische genannt, besser würde man sie als die hochripwarische und die limburgische als die niederripwarische bezeichnen. Auch die Grenzen beider fränkischen Stämme haben sich seit der Völkerwanderungszeit in den heutigen Sprachgrenzen treu erhalten.
Mundarten- u. Staats-Grenzen
in Nordwest-Deutschland (nach Bremer). Bie breite gestrichelte Linie bezeichnet die Grenze zwischen niedersächsisch u. niederfränkisch, die schmalen sind Mundarten-Grenzen. Ich darf aber diesen Aufsatz nicht schliessen, ohne darauf hingewiesen zu haben, einen wie wesentlichen Anteil die salischen wie die ripwarischen Franken an der Kolonisation von Nordostdeutschlandim 12. und 13. Jahrhundert habenGa naar voetnoot(1). | |
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Sachsen und Franken haben sich darein geteilt. Erstere haben vorzugsweise die Küstenlandschaften besiedelt, letztere das Binnenland östlich der Elbe, besonders die Mark Brandenburg, die Weichselniederung und Teile von Ostpreussen. Der Fläming trägt noch heute den Namen dieser Pioniere des Deutschtums - alle Kolonisten vom Niederrhein nannte man zur Zeit Flemminger oder Holländer. Auch die Weser und Elbmarschen sind bereits im 12. Jahrhundert von ihnen urbar gemacht und besiedelt worden. Die plattdeutschen Mundarten Ostelbiens verraten noch heute die Herkunft der Kolonisten, und wenn der Berliner jedes anlautende g wie j ausspricht, so ist die Heimat dieser Aussprache innerhalb des ripwarischen Gebiets zu suchen. Die Niederländer gehören ihrer Geschichte una ihrer Sprache nach untrennbar zu den Deutschen. Von der Rheinmündung ab flussaufwärts eine fränkische Mundart, ein Volkstum; die reichsdeutsche Grenze durchschneidet dieses Gebiet willkürlich, sie trennt wohl die Staaten politisch, aber sie trennt die Menschennicht. Und ein grosser Teil der besten, überschüssigen Volkskraft der Niederlande hat auf slawischem Boden ein Neu-Deutschland geschaffen. Wie die Franken Chlodwigs und Karls des Grossen durch Unterwerfung der übrigen, vordem politisch selbständigen deutschen Stämme ein deutsches Reich begründet haben, so haben ihre Nachkommen im 12. und 13. Jahrhundert im Osten ein neues Deutschtum begründet, so lebenskräftig, dass auf diesem Boden ein Preussen erstehen konnte, welches wiederum die deutschen Stämme zu einem Reich geeinigt hat. Dass wir statt einzelner kleiner Staaten (wie die Niederlande, Belgien, Schweiz) eine deutsche Nation haben, das danken wir jenen Franken. |
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