Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdVIII
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dociert man mit hochwichtiger Miene über Recht und Rechtswissenschaft, während von den Kanzeln herab von einem ewigen Recht und der göttlichen Gerechtigkeit gepredigt wird. Es giebt ein Völkerrecht; es giebt eine Genfer-Konvention und es tagte eine Friedenskonferenz im Haag. Die ganze Welt weiss dies und brüstetGa naar eindnoot43 sich damit als Beweis für den unaufhaltsamen Fortschritt unserer hochcultivierten Zeit. Wir selbst leben im Zeitalter der Civilisation und Humanität und schauen stolzGa naar eindnoot44, ja oft mit EntrüstungGa naar eindnoot45 zurück auf die Jahrhunderte, in denen Rechtslosigkeit, Sklaverei und Willkür der rohen Barbaren geherrscht hat. Und doch, trotz alledem, trotz aller bestehenden und anerkannten RechtssatzungenGa naar eindnoot46 und Verträge, zum Hohn aller gesitteten Nationen führt Grossbritannien einen barbarischen Krieg. Das, was dort in Süd-Afrika eine goldhungrige Spekulantenbande mit ihren gedungenenGa naar eindnoot47 Räuber- und Mordbrennerhorden vollbringt, ist kein Krieg mehr, das ist ein systematisches Abschlachten, ein Hinmorden und qualvolles Sterbenlassen. Wenn die FelsenGa naar eindnoot48 Afrikas weinen könnten, sie würden blutige Thränen vergiessen ob all der Greuelthaten, ob all des erzeugten Jammers und Elends. Aber - so lauteten die Worte eines Engländers - wir sind zu reich, um uns um Moral zu kümmern, wir sind stark und mächtig, wir können thun, was uns gefällt und es giebt ja keine Verdamnis, die uns erwartet.’ Da liegt eben der Schwerpunkt: ‘wir können thun, was wir wollen! (We cann pay it)’. Das grelle Missverhältnis zwischen dem Ueberschuss an materieller und dem Mangel an moralischer Kraft ist das Unglück Englands, das darum der antieken Welt, als diese dem Untergang nahe war, immer ähnlicherGa naar eindnoot49 wird. Daher die Verrohung der Massen, die Verwilderung Aller, die Wahnsinnigkeit des Luxus, die Widernatur der Ausschweifungen und LasterGa naar eindnoot50! | |
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Grossbritannien thut eben was ihm beliebt. Vor den Augen der ganzen Welt begeht es hohnlachend Greuel und Frevel, die Einem das Blut in den Adern erstarren machen. Und nichts, rein nichts geschieht, diesem Wüthen EinhaltGa naar eindnoot51 zu thun. Auf der einen Seite höchste Anspannung aller Kräfte zu einem teuflischen Vernichtungswerk, auf der anderen Seite ruhiges Zuschauen und GewährenlassenGa naar eindnoot52, ein passieves Verhalten, das seinesgleichen sucht, ebenso wie jenes aktive. Ueber einige wenig authentische Sittlichkeitsvergehen in China oder einige Mordthaten in Macedonien oder Armenien geräht die civilisierte Kulturwelt in hysterische Krämpfe und hier bei dem Massenmorden und tausenden von Schändlichkeiten in Süd-Afrika merkwürdig, da bleibt alles ruhig! Was aber wird die Folge sein? Angesichts der von einer Grossmacht befohlenen und sanctionierten Verbrechen, angesichts der Thatsache, dass all diese Schändlichkeiten öffentlich und absolut ungehindert begangen werden, muss doch allmählig bei allen Völkern ein Zweifel am Ueberlieferten und Bestehenden aufkeimen. Man wird und muss anfangen zu zweifeln an einer waltendenGa naar eindnoot53 Gerechtigkeit und einem Recht, das zu beobachten uns Schule und Kirche gelehrt haben. Durch den unerhörten Bruch des Völkerrechts, den das hochcivilisierte England ungehemmt begeht, muss man zu dem Schluss kommen, das internationale Recht hat überhaupt zu existieren aufgehört. Das aber ist eine bitter böse Saat! Wehe, wenn die Früchte trägt! Mit Zweifeln und Verneinen fängt man an und hört auf mit dem RüttelnGa naar eindnoot54 am Bestehenden, an den Säulen des Staats, der Gesellschaft, der Familie! Und wehe, wenn jene faul und zerfressen sind, so dass sie nicht standhalten können, krachend brechen sie zusammen und begraben unter ihren Trümmern Schlechte und Gute, Böse und Fromme. | |
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Jedenfalls haben der Begriff des Rechts und die Anschauung der Völker über Recht und Gerechtigkeit durch diesen Raubkrieg eine erheblicheGa naar eindnoot55 Wandlung erfahren. Der langsam durch Gesetze und Verträge geschaffene Rechtszustand ist verloren gegangen, an Stelle des von allen Staaten geschützten internationalen Rechts ist das Faustrecht getreten, also ein Urzustand, wie bei unseren Vorvätern, als sie noch in Fellen durch die Urwälder zogen. Jeder kann also thun, was er will. Was der eine für Recht hält, betrachtetGa naar eindnoot56 der Andere als Unrecht, und was England heute bombastisch als sein gutes Recht proklamiert, ist in den Augen aller anderen Völker ein himmelschreiendes Unrecht. Und doch ist bisher noch von keinem einzigen Staate gegen dieses willkürliche Vorgehen Grossbritanniens irgend wie VerwahrungGa naar eindnoot57 eingelegt, mit anderen Worten: die dort geübte Praxis ist zu Recht bestehend gebilligt! Morden, Rauben, Brennen und Sengen, die grauenhafte Arbeit von Henkersknechten und Mädchenschändern wird als zu Recht bestehend anerkannt. Das Verbrechen im grossen Stil wird gutgeheissen. Alle Bande der Zucht und Ordnung werden dadurch gelöst und man muss nach und nach zur Ueberzeugung kommen, ‘dass dieses Jammerthal nur eine Bühne ist, worauf Schurken und Narren das Drama agieren, welches Weltgeschichte genannt wird’. (Voortzetting volgt.) |
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