Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die deutsche Politik und die Buren
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der Niederländer gegen Spanien und der Buren gegen England, soweit die Politik des Reiches in Betracht kommt, entschieden zurückzuweisen. Die Niederlande waren ein Teil des Reiches und wurden als solcher unterdrückt durch die spanische Fremdherrschaft. Hier war die Hilfeleistung eigenes Lebensinteresse des Reiches, insbesondere seiner protestantischen Teile. ‘Tua, tua res agitur’, rief der grosse Oranier den deutschen Protestanten zu, indem er ihren Beistand forderte. Dass sie ihn versagtenGa naar eindnoot1, hat sich für Deutschland schwer gerächtGa naar eindnoot2. Die Niederländer, vom Reiche verlassen, aus eigener Kraft ihre Freiheit erringendGa naar eindnoot3, mussten damit Kraft geschichtlicher Notwendigkeit zum eigenen Staate, zum eigenen Volke werden. Die Buren standen zum Reiche in keinem staatsrechtlichen Verhältnisse. Ob es einer geschickt geleiteten deutschen Kolonialpolitik vor Jahrzehnten hätte gelingenGa naar eindnoot4 können, um solches herzustellen, mag unerörtert bleiben. Wir haben nicht mit entschwundenen Möglichkeiten sondern mit Thatsachen zu rechnen. Auch das Bewusstsein der Volksgemeinschaft mit den Deutschen war bei den Buren nicht mehr vorhanden. Gewiss hofften sie auf fremde Hilfe. Aber Frankreich stand ihrem Bewusstsein eben so nahe wie Deutschland. Ga naar eindnoot5War es nun in der That ein eigenes Lebensinteresse des deutschen Reiches, den Buren zu helfen? Deutschland hat durch seine einzige für europäische Ansiedlung'Ga naar eindnoot6 geeignete überseeische Besitzung grosse Interessen in Südafrika. Ein schneller, überwählender Sieg, wie die Engländer ihn hofften, hätte zweifellos die englische Uebermacht derart gesteigert, dass die deutsche Stellung schwer gefährdet worden wäre. Aber ebenso wenig lag, diese ketzerische Ansicht muss einmal ausgesprochen werden, ein vollständiger Sieg der Buren im deutschen Interesse. Hatten die Buren, was nicht unmöglich war, die Engländer beim ersten Ansturm ins Meer geworfen, und ein grosses Burenreich | |
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mit der Hauptstadt Kapstad begründet, so war bei dem hohen Selbstgefühl junger Kolonialvölker, die keinen AngriffspunktGa naar eindnoot7 in Europahaben, das deutsche Südwestafrika nochunendlich schwerer gefährdet. Dem deutschen Interesse entsprach allein ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte, in erster Linie allerdings der Fortbestand der Republiken. War dieser nicht zu erreichen, so ist die Festklemmung der englischen Macht mit einem Beine in die südafrikanischen RaubtierfalleGa naar eindnoot8, wie sie jetzt mindestens für ein MenschenalterGa naar eindnoot9 bestehen wird, es ist der wirtschaftlicheGa naar eindnoot10 RückgangGa naar eindnoot11 des englischen Kolonialgebietes, die Auswanderung eines Teiles seiner Bewohner die günstigste Lage, die wir für Deutschland wünschen können. Und Deutschland konnte endlich die Buren gar nicht helfen. Bei der Ueberlegenheit der englischen Flotte war eine wirksame Hilfe nur möglich durch eine deutsch-französische Koalition. Eine solche wäre, wie allgemein bekannt ist, nicht zu erzielen gewesen. Beim ersten Säbelrasseln Deutschlands hätte sich Frankreich auf die englische Seite geschlagen, um Elsas-Lothringen wieder zu gewinnen. Mit Frankreich wären wir selbstverständlich fertig geworden, England hätte uns auch auf dem Festlande nichts anhabenGa naar eindnoot12 können. Inzwischen wäre unser überseeischer Handel bis auf die Wurzel vernichtet, unsere aufstrebendeGa naar eindnoot13 Kriegsflotte aufgeriebenGa naar eindnoot14 oder in den deutschen Häfen blockiert worden. Daneben wäre der Krieg Englands mit den Buren ruhig weiter gegangen, da das englische Landheer gegen uns nicht gebraucht wurde. Unsere Hilfe hätte also den Buren nicht das Geringste genützt, wir hätten uns nur zwecklos der wirtschaftlichen Vernichtung durch England ausgesetzt, das jedenfalls die günstige Gelegenheit aufs äusserste ausgenutzt hätteGa naar eindnoot15. Eine solche Don-Quixott Politik kann man nimmermehr einem grossen Reiche zumuten. Nun wird schliesslich immer noch das angebliche Schwanken | |
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der deutschen Politik, das Kaiser-Telegramm an Krüger nach Jamesons Ritt im GegensätzeGa naar eindnoot16 zu dem späteren VerhaltenGa naar eindnoot17, angeführt. Man mag vielleicht der Ansicht sein, dass das Telegramm besser unterblieben wäre. Aber es ist das in der That ein gewaltiger Unterschied zwischen einer Sympathie-Kundgebung nach Niederwerfung einer Räuberbande und bewaffneter Hilfe im Kriege gegen eine Weltmacht. Die erstere zieht die letztere keineswegs notwendig nach sich. Gewiss hatte der Staatssekretär Frhr. von Marschall Recht, wenn er die Erhaltung der Burenstaaten als ein deutsches Interesse bezeichneteGa naar eindnoot18. Allein dies Interesse war nicht so gross, um deshalb einen Weltbrand zu entzünden, zumal dadurch das deutsche Interesse auch nicht gewahrt worden wäre. Hiernach kann nur entschieden VerwahrungGa naar eindnoot19 eingelegt werden, wenn Herrn Reismann-Grone sagt: ‘Die Regierungsjähre Wilhelms II. hapen die jämmerlichen Tage Maximilians II. und Rudolfs II. erneuert’. Die Politik Wilhelms II. in der Burenfrage war unter den gegebenen Umständen die einzig mögliche, jede andere hätte eine freventlicheGa naar eindnoot20 Preisgabe unmittelbarer Lebensinteressen, die uns näher lagen als die Buren, bedeutet. Möglich wäre eine andere Politik nur gewesen mit einer machtvollen deutschen Flotte. Kann ein Herrscher, der die Schaffung einer solchen als seine Lebensaufgabe betrachtet, mit den elenden Habsburgern Maximilian II. und Rudolf II. auf eine Stufe gestellt werden? | |
Entgegnung
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gehabt habe, widerlegt er so zutreffend selbst, dass mir kaum etwas zu sagen übrig bleibt. Er sagt nämlich, dem ‘deutschen Interesse entspräche ein Gleichgewicht der Kräfte in Afrika’. Ist dies Gleichgewicht etwa heute vorhanden? Das Gleichgewicht wurde durch die Buren als dritte Macht hergestellt, und so lange es die Burenrepubliken gab, herrschte Friede. Jetzt schiebt sich ein überstarker britischer KeilGa naar eindnoot23 zwischen unsere Kolonieen Westafrika und Ostafrika. Es ist dasselbe Verhältnis, wie seinerzeit zwischen Hannover und Preussen: entweder musste Preussen Hannover zerquetschenGa naar eindnoot24, oder Hannover musste Preussen nach beiden Seiten zurückwerfen und zwischen Rhein und Elbe einen grossen Staat ausbauen. Die Karte Südafrikas ist, wie sie heute ist, unhaltbar. Das Schlimmste ist, dass erst infolge dieses Krieges England und Deutschland natürliche Feinde geworden sind. Bis hierher hatten wir wohl kommerzielle Gegensätze, aber keine politische. Seit dem Untergang der Burenstaaten aber sind wir politische GegnerGa naar eindnoot25, und jeder NiedergangGa naar eindnoot26, sei es Grossbritanniens oder Deutschlands, jede Verlegenheit, in der sich eine von beiden Mächten befindet, muss die andere ausserordentlich reizenGa naar eindnoot27, zuzugreifen. England ist jetzt geradezu gezwungen, sich auf die Seite unserer Gegner zu schlagenGa naar eindnoot28, und es wird den ersten Krieg, in den Deutschland sich verwickelt, benutzen, um in Afrika die Karte zu bereinigenGa naar eindnoot20. Diese unanfechtbare Thatsache allein genügt, um die unheilvolle Politik zu charakterisieren, die nach dem Abgang des Freiherrn von Marschall getrieben ist. Bornhak findet den grundlegenden UnterschiedGa naar eindnoot30 zwischen den Niederlanden und den Burenstaate darin, dass die Niederlande zum deutschen Reiche gehörten, die Buren aber nicht. Ich erwidere darauf, 1. dass die Burenrepubliken heute längst dem | |
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deutschen Reiche gehören könnten; Krüger hat seinerzeit nach dieser Richtung hin das deutsche Reich sondiertGa naar eindnoot31, und u.a. in der berühmten Audienz vor Kaiser Wilhelm sich und sein Volk direkt als Niederdeutsche bezeichnetGa naar eindnoot32. 2. aber ist diese These Bornhaks falsch. Man sieht das sofort, wenn man sie anderswo anwendet. Kann es uns gleichgültig sein, ob die Deutschen in Oesterreich verloren gehen, einfach aus dem formalen Grunde, weil sie nicht zum deutschen Reiche gehören? Der letzte Grund Bornhaks ist so oft erhoben und so oft widerlegt, dass es sich für eine in Deutschland erscheinende Zeitschrift nicht mehr lohnte, ihn zu besprechen. Deutschland soll nicht haben helfen können, weil unsere Flotte nicht bereit war. Unsere Flotte wird auch in 20 Jahren Englands Flotte nicht gewachsen sein. Aber ohne ebenbürtige Flotte hat Fürst Bismarck nicht nur das gewaltsame Ausbreiten Englands in Afrika verhindert, sondern gegen direkte englische KriegsdrohungenGa naar eindnoot33 uns grosse Kolonieen in Afrika erworben. Und das alles ging, weil Bündnisse uns deckten, Bündnisse, die unter Kaiser Wilhelm II. leichtherzig aufgegeben worden sind. Das bezeichnet genügend den Weg den Graf Bülow hätte betreten sollen. Es war zweifellos richtig, aus der Rolle des Vorkämpfers zurückzutreten, die anscheinend Wilhelm II. durch das Telegramm Krügers beim Jamesoneinfall auf sich genommen hatte, denn ein Vorkämpfer wird gern im Stiche gelassen, und auf ihn allein fällt dann die Last des Kampfes. Aber nichts zwang uns, nun die gegenteilige Stellung einzunehmen und jeden Versuch aufzugeben, im Bunde mit anderen Kontinentalmächten das afrikanische GleichgewichtGa naar eindnoot34 aufrechtGa naar eindnoot35 zu erhalten. Maximilian II. als ‘elenden Habsburger zu bezeichnen’, ist geschichtlich unrichtig. Im Uebrigen habe ich ihn nicht mit Kaiser Wilhelm II. verglichen, sondern nur die beiden Zeitalter in ParalleleGa naar eindnoot36 gestellt. Dass Wilhelm II., nachdem er 11 Jahre | |
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regiert hatte, die Verstärkung der Flottenmacht, dem Drängen des Volkes nachgebend, in die Hand genommen hat, ist sehr erfreulich: für Afrika kommt sie leider zu spät. Für den schwächsten Punkt in den Bornhakschen Ausführungen erachte ich den Satz: ‘War der Forcbestand der Republiken nicht zu erreichen, so ist die Festklemmung der englischen Macht mit einem Beine in die südafrikanische Raubtierfalle, wie sie jetzt für ein Menschenalter bestehen wird, es ist der wirtschaftliche Rückgang des englischen Kolonialgebietes, die Auswanderung eines Teiles seiner Bewohner die günstigste Lage, die wir für Deutschland wünschen können’. Ich finde hier den geradezu verhängnisvollenGa naar eindnoot37 Optimismus wieder, die uns Deutsche seit Jahrhunderten verfolgt; wir sind mit Brosamen zufrieden, wir lächeln unter Schlägen und Thränen, und diese gutmütige Selbstzufriedenheit ist einer der gewichtigsten Gründe gegen unser Vorwärtsstreben und unser Vorwärtskommen. Aber so scharf, wie in diesem Satz ausgedrückt, habe ich unsern nationalen Fehler nur ein einziges Mal noch gefunden. Es war bei Gelegenheit des Bombardements von Samoa; die deutschen Rechte wurden seitens der Briten und Yankees missachtet, die Deutschen verjagt, unsere Pflanzungen mit Granaten verwüstet, und nach all diesem Elend hatte der ‘halbamtliche Hamburger Correspondent’ den Mut zu schreiben, das Bombardement sei der grösste Triumph Deutschlands, denn dadurch hätten sich die anderen Mächte so offenbar in ein schreiendes Unrecht gesetzt, dass sie hinterherGa naar eindnoot38 AbbitteGa naar eindnoot39 leisten müssten. Wir glauben nicht, dass ein einziger Engländer und ein einziger Bur mit Herrn Bornhak den Sieg Englands als eine ‘Festklemmung in der Raubtierfalle’ auffasst. Thatsächlich hat England einen ausserordentlichen Triumph gefeiert. Südafrika mag wirtschaftlich eine Zeit lang zurückgehen, die Briten werden dort aber vorwärtsgehen; schon sind die holländischen und deutschen | |
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Staatsbeamten entlassenGa naar eindnoot40, schon sind diedeutschen InhaberGa naar eindnoot41 von Transvaalkonzessionen vor den Ruin gestellt, schon hat die kapstädter medizinische OberbehördeGa naar eindnoot42 die Einwanderung deutscher und holländischer Aerzte untersagt; von allen Seiten fluten die Briten nach Südafrika herein, und das soll nach Bornhak ‘die günstigste Lage’ sein, die wir für Deutschland wünschen können! Ich verstehe nicht, wie man eine derartige optimistische Auffassung auch nur einigermassen begründen will. |
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