Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die Figur des Kindes auf der antiken Bühne
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geht eben das Glück und die Freude der Kinder über die ihnen wieder geschenkte Mutter. Auch der Kinde der ‘Andromache’, die im Drama gleichen Namens mit ihrem Kinde zum Tode verurtheilt wird, bleibt nicht stumm, sondern singt im Zwiegesang mit seiner Mutter: Andromache:
‘Weh mir, weh, dass mit blut'ger Hand
Ich, in FesselnGa naar eindnoot8 hineingezwängt,
Niedersteig' in die Erde!
Molottus:
‘Mutter, Mutter, in deinem Arm
Gehe auch ich mit hinunter!
Er umklammert die Knie des Griechen, der ihnen das Urtheil verkündet, später aber, als sie beide auf Befahl des Urgrossvaters frei gegeben werden, hilft er selber die Bande der Mutter mitlösen. Dieses Kind ist also auch äusserlich in Sprache und in GeberdeGa naar eindnoot9 lebhaft an der Handlung betheiligt. In den ‘Troerinnen’ erscheint Andromache, die Wittwe des Hector, von ihrem kleinen Sohne Astyanax begleitet, der ihr dann eines Orakels wegen durch die Griechen entrissen und von der Burg herabgestürzt wird. Der Abschied der Mutter ist mit rührenden Farben von dem Dramatiker breit ausgemalt: ‘O Kind, du weinst ja? Fühlst du denn dein Elend voll?
Warum umschlingst du so mich und hältst mein Gewand,
Dem Vöglein gleich, zum Mutterflügel bang entstürmt?’
Auf dem Schild des Hector wird nachher der zerschmetterte Leib des Knaben noch hereingetragen, dem die Grossmutter ‘Hecabe’, die Aelteste dem Jüngsten, die Leichenklage bringt: ‘O Hände, wie der Vater Hände süsses Bild
Ihr träg' und kraftlos, aufgelöst nun vor mir liegt;
Der oft so stolz du zu uns sprachst, o süsser Mund,
Du schweigst nun! Ja du logest nur, wenn kletternd einst
Auf 's Bett, du ausriefst: ‘Mutter, reichen Lockenschmuck
Scher' ich für dich mir in der Gruft, der Freunde Schaar
Führ ich an's Grab hin, und begrüsse hold dich dort.’
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So wird in der Tragödie vom Kinde doch mehr episch erzählt als auf der Bühne dramatisch gezeigt. Und kleine Züge aus dem Familienleben, die an und für sich das scenische Bild am Ende hätten froher und vielseitiger machen können, werden lieber durch die Erzählung aus der Vergangenheit hervor geholt und dienen nur noch als schmerzsteigerndeGa naar eindnoot10 Zugaben. Se erinnert auch ‘Iphigenie in Aulis’, als sie hört, dass sie sterben soll, ihren Vater an die Vorgänge ihrer Kinderzeit, die hier wiederum nicht um ihrer selbst willen, sondern als Mittel für einen bestimmten, sehr ernsten Zweck eingaschaltetGa naar eindnoot11 sind: ‘Ich rief zuerst dich “Vater” und du “Tochter” mich,
Die erste war ich, die auf deinem Knie gewiegt,
Mit Küssen dich umschmeichelt, und die du geküsst.’
Die ‘Heracliden’, die Söhne des Heracles, die vor den NachstellungenGa naar eindnoot12 des Euristheus geflohen sind, beginnen wieder, wie der Oedipus Rex des Sophocles, mit einer Altar-Scene. Ihre hilflose Lage wird durch den gebrechlichen Eindruck ihres alten Führers Jolaus noch vermehrt: Diese Kinder setzen eben das Schicksal ihres Vaters fort, der ja im Leben auch keinen Frieden fand. Sie verhalten sich, trotzdem sie mehrfach angeredet werden, stumm, abergeben später ihren Rettern, den Athenern, doch die Hand. Wesentlich freier gestaltete der Dichter die selbe Lage in den ‘Flehenden’ aus, wo unter Führung des Adrast die jungen Söhne der vor Theben gefallenen Feldherrn nach Athen kommen um BestattungGa naar eindnoot13 für die Leichen ihrer Väter, die auf Kreon's Befehl im freien Felde den Thieren zum FrassGa naar eindnoot14 dienen, zu erwirken. Sie werden von den Müttern der Feldherren, also von ihren Grossmüttern, begleitet, sodass sich hier wieder die erste zusammen mit der dritten Generation, die Jugend und das Greisenalter, in ein und derselben Notlage befinden. Die Kna- | |
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ben bleiben, unter bittenden GeberdenGa naar eindnoot15 und Seufzern, auf der Bühne, damit dem Zuschauer die letzte Absicht der Handlung eigentlich immer gegenwärtigGa naar eindnoot16 bleibt. Als dann auf Befehl des König von Athen die Feldherren herangetragen werden, folgen die Söhne bis zum ScheiterhaufenGa naar eindnoot17 und kehren nachher mit den Aschenkrügen der Väter zurück. Mit einem Klagegesang der Knaben und Greisinnen endet die Handlung: ‘Ich bring', ich bring'
O arme Mutter, aus der Glut des Vaters Leib,
Mir keine leichte BürdeGa naar eindnoot18, den der Kummer beugt,
Doch dies GefässGa naar eindnoot19 birgt mein Alles in sich.’
Die Tragödie ist besonders sicher und bis zu dem LeichenzugGa naar eindnoot20 in gewaltiger Steigerung aufgebaut. Und die Freude über den erreichten Zweck, dass nämlich die nachgesuchte Bestattung endlich gewährtGa naar eindnoot21 wurde, bildet am Schluss das künstlerische heitre Gegengewicht zu dem ernsten EreignissenGa naar eindnoot22 der BühneGa naar eindnoot23. Dass ferner Euripides die Söhne selber und zwar an der bedeutsamsten Stelle des Dramas mitsingen liess, war entschieden ein Fortschritt über den stummen, mehr zur AusschmückungGa naar eindnoot24 dienenden KnabenreigenGa naar eindnoot25 im Sophocleischen Oedipus. In der ‘Iphigenie in Aulis’ wird das jüngste der Euripideischen Kinder, der kleine Orest, ‘fast noch Säugling’ von seiner Mutter mit in das Feldlager des Vaters Agamemnon gefahren, wo angeblich die VermählungGa naar eindnoot26 der Tochter gefeiert werden soll: ‘O Lieber, schläfst du? Hat dich der Wagen eingewiegt?
Wach' auf zu deiner Schwester Brautfest, Glücklicher.’
Natürlich musste hier bei der Kürze und Undeutlichkeit des Auftrittes eine Puppe oder ein Phantom die Stelle des Knaben versehenGa naar eindnoot27. Die Kilissa-Episode des Aeschylus hat den Euripides, | |
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der wie Sophocles, seinem Drama jedes komische Element fern hielt, nicht zur Nachahmung gereiztGa naar eindnoot28. Gelegenheit war freilich da; denn es treten bei ihm ja verschiedene AmmenGa naar eindnoot29 auf, die sich wohl etwas genauerGa naar eindnoot30 über das Betragen ihrer einstigen Säuglinge äussern dürften. Aber sie halten über die eigensten Angelegenheiten der Phädra, Medea und Deianira reinen Mund und männlicherseits geizenGa naar eindnoot31 auch die Erzieher ebenso sehr mit ihren Worten. Diese zum Teil schon recht alten Herren haben ausserdem auch manche Einzelheit wohl wieder vergessen, denn in der ‘Jo’ und im der ‘Electra’, wo sie die Väter im Stücke schon unterrichteten, kommt ihnen den Titelheldmnen gegenüber eine fast urgrossväterliche Stellung zu, die von grösseren geistigen LeistungenGa naar eindnoot32 selbstverständlich ein für allemal entbindet. Am natürlichten erscheint noch der Erzieher bei den beiden Kindern der Medea - eine Rolle, die übrigens Euripides seinem Vorarbeiter Neophron von Sikyon entnahm, der zuerst die Pädagogen auf die Bühne brachteGa naar voetnoot(1). Für manche Kinderscenen des Euripides war gewiss aus der Ilias der Abschied Hectors von Frau und Kind, von Andromache und Astyanax, vorbildlichGa naar eindnoot33 gewesen, der auch in der neuen Kunst, in Schillers Jugendgedicht und dichterisch und musikalisch zugleich in dem Bulthaupt-Bruch'schen Oratorium Achilleus noch weiter lebt. Sonst ist übrigens in den Homerischen Gedichten neben den helcenhaften, verklärtenGa naar eindnoot34 Gestalten, - die ‘den Unsterblichen ähnlich’ oder ‘schön wie die goldene Aphrodite’ und ‘an WuchsGa naar eindnoot35 und reizender BildungGa naar eindnoot36 einer Unsterblichen gleich’ einhergehen, - kein Plätzchen für das Kind frei. Im Zug des Todes, in der ‘Nekya’, wo sich die neuere Kunst in Bild und Wort - man denke nur an Spangenbergs' Gemälde, - die Gelegenheit zu einer ergreifenden | |
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Einschaltung des Kinde nicht entgehen liess, führt Homer nur ‘kindliche Mädchen, in jungem GrameGa naar eindnoot37 sich härmend’ auf. In der Ilias und Odyssee lebt eine Menschheit von gesteigerter Form, ein Geschlecht, dessen Frauen und Männer schöner und grösser als in Wirklichkeit scheinen, weil ihnen die Götter etwas von ihrem Glanze mitgetheilt haben. So prägten sich die ungemein einfachen traulichen Verhältnisse in der Familie des Hector dem Griechen wohl um so tiefer ein, wenn er Andromache im 3. Gesang mit dem Kind und der Dienerin auf den Thurm nach ihrem Gatten schauen sah. Hector begegnet ihr später am skäischen Thore: 400: ‘Die Dienerin aber, ihr folgend
Trug an der Brust das zarteGa naar eindnoot38, noch ganz unmündige Knäblein,
Hectors einzigen Sohn, den schimmernden Sternen vergleichbar...
Sieh', mit Lächeln blickte der Vater still auf das Knäblein...
Hin nach dem Knäblein streckt' er die Arme;
Aber zurück an den Busen der schön gegürteten Amme
Schmiegt sich schreiend das Kind, erschreckt von dem liebenden Vater,
Scheuend des Erzes Glanz und die flatternden Mähne des Busches....
Lächelnd schaute der Vater das Kind und die zärtlicheGa naar eindnoot39 Mutter.
Schleunig nahm vom Haupt den Helm der strahlende Hector,
Legete dann auf die Erde den schimmernden; aber er selber
Küsste sein liebes Kind, und wiegt' es sanft in den Armen.
Laut dann flehet er also zu Zeus und den andern Göttern:
‘Zeus und ihr andern Götter, o lasset doch dieses mein Knäblein
Werden hiezuvor, wie ich selber im Volke der Troer,
Auch so stark an Gewalt und Ilios mächtig beherrschen.
Und man sage dereinst: der ragtGa naar eindnoot40 noch weit vor dem Vater!
Wenn er vom Streit heimkehrt, mit der prächtigen Beute beladen
Eines erschlagenen Feindes! dann freue sich herzlich die Mutter’
Also spricht er, und reicht in die Arme der liebenden Gattin
Seinen Sohn und sie drückte ihn an ihren duftendenGa naar eindnoot41 Busen.
Freilich ist bei dem Tragiker Euripides die Rührung des Abschiedes mehr betont als bei dem Epiker Homer, wo sie | |
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durch die Schilderung des herrlichen Helden, auf dem unwillkürlich die Phantasie befriedigt weilt, merklich abgeschwächt wird. Doch einige Grundmotive sind gegeben: Der Wunsch des Vaters, dass sein Sohn ihm ähnlich werde und die Bitte um Schutz für das hilflose Kind, im Epos aber unmittelbar an die Götter, statt wie im Drama an die überlebenden Erwachsenen gerichtet. Auch die Klage und Furcht der Andromache um ihr Kind, als im 22. Gesang der Ilias, die Nachricht vom Tode Hectors eingetroffen ist, enthält Einwürfe, die von den Dramatikern in solchen Lagen ebenfalls erhoben wurden: ‘DarbendGa naar eindnoot42 gehet das Kind umher zu den Freunden des Vaters,
Fleht und fasst den einen am Rock, den andern am Mantel....
“Heb dich weg! dein Vater ist nicht bei unserm Gastmahl.”
Weinend geht von dannen das Kind zur verwittweten Mutter...’
(Fortsetzung folgt.)
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