Germania. Jaargang 4
(1901-1902)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Das ‘humane’ England
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den direkten Beweisen noch andere indirekte in Menge vorhanden. (Vergleiche auch Blaubuch 1895 C. 1933 No 13, Schreiben Chamberlains vom 31. Dezember 1895.) Diese Auslegungen waren zu dem geplanten Anschlag gegen Transvaal notwendig. Die Interessenten jenseits des Kanals mühten sich nun redlichGa naar eindnoot6 ab, der südafrikanischen Republik in jeder ihrer Regierungshandlungen einen Bruch der Konvention zum VorwurfGa naar eindnoot7 zu machen, um dann als vermeintlicherGa naar eindnoot8 Suzerän im gekränkten Rechtsgefühl intervenieren zu können. Der Krieg nicht nur gegen Transvaal, sondern auch gegen den Oranje-Freistaat war ausgemachte Sache. Bereits im Mai und Juni 1899 bestand im Londoner Cabinet die feste AbsichtGa naar eindnoot9, sich der beiden Burenstaaten zu bemächtigen, nur wusste man noch nicht so recht, wieGa naar eindnoot10. Nachdem die öffentliche Meinung durch Lügen und HetzenGa naar eindnoot11 gegen das einfache schlichteGa naar eindnoot12 Volk von Bauern und Hirten auf beiden Seiten des Vaalflusses gehörig erregtGa naar eindnoot13 worden war - ich erinnere nur an den Edgar-Fall in Johannesburg und an das Zustandekommen der Petition an die Königin von England mit dem zum grossen Teil gefälschten Unterschriften - dachte man, leichtes Spiel zu haben. Man brachte dem Publikum die Meinung bei, der Krieg, bezw.Ga naar eindnoot14 die Einverleibung der beiden Burenrepubliken sei ein Akt der Civilisation. Wie man den Krieg gegen die Burenstaaten geplant hat, darüber geben zahlreiche Dokumente AufschlussGa naar eindnoot15, die uns nach dem Rückzug der Engländer bei Dundee in die Hände gefallen sind, oder die man sonst bei gefangenen englischen offizieren gefunden hat. Unter anderem wurden Kartenskizzen vorgefunden, die zu einem Bericht ‘über den Vormarsch aus der Kapkolonie in den Oranje-Freistaat’ gehören. Bereits im Februar 1897 war jene Aufnahme fertig; man muss also mit den Arbeiten bereits 1895 oder 1896 begonnen haben! Jene Karte ist | |
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keine gewöhnliche Landesaufnahme, sondern stellt lediglichGa naar eindnoot16 den Vormarsch von der Kapkolonie auf Bloemfontein dar mit den für militärische ZweckeGa naar eindnoot17 erforderlichenGa naar eindnoot18 Angaben. Bei einem Deutschen Farmer z. B. steht einfach ‘German’, bei einem Engländer dagegen ‘useful englishman, knows country’ (brauchbarer Engländer, kennt das Land) u.s.w. Man drängte und nörgelteGa naar eindnoot19, man schimpfte und drohte, man mischte sich unbefugt in die internstenGa naar eindnoot20 Angelegenheiten Transvaals hinein und hat damit dann schliesslich die Südafrikanische Republik auf freventlicheGa naar eindnoot21 Weise in den Krieg hineingedrängt. Die am 30. Mai und den folgenden Tagen stattfindende Konferenz zu Bloemfontein war auch nur eine von England geschicktGa naar eindnoot22 aufgeführte Komödie, die notwendige Erfüllung einer politischen Formalität, weiter nichts! Denn schon damals - und das ist ein Hohn auf jene Konferenz - hatte Grossbritannien mit den Truppenbewegungen in Natal und in der Kapkolonie begonnen. Aus den amtlichen Akten wiederum muss man zu dem Schlusse kommen: die britische Regierung hat einen friedlichen AusgleichGa naar eindnoot23 in Betreff der vom Zaune gebrochenenGa naar eindnoot24 streitigen Fragen nicht gewollt. Denn sobald eine Angelegenheit durch das Entgegenkommen Krügers erledigt schien, kam Sir A. Milner mit immer neuen Forderungen und äusserte zuletzt in hochfahrendemGa naar eindnoot25 Tone, es wäre ZeitvergeudungGa naar eindnoot26, auf die Einzelheiten näher einzugehen! Nun, das sagt genug. Vor allen Dingen wollte man auf keinen Fall das von Krüger vorgeschlagene Schiedsgericht. Trotzdem es schon einmal (in der sog. Kulifrage) angewandt und von Grossbritannien selbst in Vorschlag gebracht worden war, erklärte jetzt Herr Chamberlain: Grossbritannien würde sich niemals dem unparteiischen Ausspruch eines Schiedsgerichts unterwerfen, solange es sich um | |
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Auslegung oder VerletzungGa naar eindnoot27 der Londoner Konvention handele. Grossbritannien fürchtete aber den unparteiischen Ausspruch einer solchen BehördeGa naar eindnoot28, weil es sich selbst im Unrecht wusste. Ausserdem war es ja auch bequem, zu gleicher Zeit Kläger und Richter zu sein. Das ‘ceterum censeo Transvaliam esse delendam’, das man bisher nicht laut auszusprechen wagte; dieses ‘ceterum censeo’, welches den Kernpunkt, bezw. den LeitfadenGa naar eindnoot29 für die gewissenlose Firma Rhodes, Chamberlain & Co. bei dem in Scene gesetzten Firlefanz gebildet hatte; es klang jetzt plötzlich als schrillerGa naar eindnoot30 Trompetenton in alle Welt hinaus. Transvaal dagegen hat seine Friedensliebe bis zum Aeussersten gezeigt, damals sowohl, wie auch später bei allen anderen VerhandlungenGa naar voetnoot(1). Dass es die endgiltige Anfrage, das sog. Ultimatum, stellen musste, liegt auf der Hand. Denn es war nun klar, dass England sich rüstete, bezw. sich in Stand gesetzt hatte, um im geeigneten Moment mit gewaltiger Uebermacht die Burenstaaten zu überrumpeln. Transvaal wie auch der Freistaat sind zu diesem Ultimatum geradezuGa naar eindnoot31 gezwungen worden durch das perfideGa naar eindnoot32 Verhalten Grossbritanniens. Freilich hatte man auf der anderen Seite hiermit das, was man wollte. Das soviel genannte Ultimatum aber (vom 9. October 1899) war gar nicht notwendig, weil eben der Krieg schon Monate vorher im Londoner Cabinet beschlossene Sache war. Es ist daher verkehrt, wenn man sagt, Transvaal habe den Krieg begonnen. Und ebenso unrichtig ist es, wenn es heisst, der Gesandte Transvaals in Brüssel, Dr. Leyds, hätte seine Regierung zu solchen Schritten gedrängt. Im Gegentheil: von | |
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Seiten Transvaals ist alles mögliche gethan worden, um einen friedlichen Ausgleich herbeizuführen. Aber, wohl gemerkt, der friedliche Weg passte der britischen Politik gar nicht; der Krieg war die ultima ratioGa naar eindnoot33, um die Interessen der englischen Grosskapitalisten in Süd-Afrika zu wahrenGa naar eindnoot34, mit anderen Worten, um die Burenstaaten zu vernichten. Und doch wird mit einer Bronzestirn, die ihresgleichen sucht, von den leitenden Männern in London, von Salisbury und Josef Chamberlain, von jener Klique, an deren Spitze Rhodes, Milner und Konsorten stehen, der Welt die grosse Lüge aufgetischt: Der Krieg in Süd-Afrika ist das ErgebnisGa naar eindnoot35 einer seit Jahren vorbereiteten Verschwörung der Buren gegen England! Ist es nicht eher eine Verschwörung Englands gegen die Buren? Ist der RaubzugGa naar eindnoot36 Jamesons nicht der beste Beweis dafür? Hat die damalige Untersuchung nicht genug belastendes Beweismaterial zu Tage gefördert? Hat Rhodes nicht selbst schamlos vor der Untersuchungskommission sich damit gebrüstetGa naar eindnoot37: er werde jetzt, nachdem Jameson's Anschlag und die Johannesburger Komödie nicht zum Ziele geführt hätten verfassungsmässigeGa naar eindnoot38 Mittel (constitutional means) anwenden, um Transvaals Starrsinn zu brechen, d.h. mit anderen Worten: seinen Kapitalismus zum Herrn von Transvaals reichen Goldfeldern zu machen. Für ihn waren ja Geld und Gold und Diamanten von immensem Wert, für ihn, der cynisch die Behauptung aufstellt, er habe noch keinen Menschen gefunden, der nicht für eine gewisse Summe Geldes käuflich sei. Hiernach kann man ungefähr bemessen, welche Rolle das Geld in den Händen einer solchen Clique spielt. Mit Geld wird alles, aber auch alles gemacht, in erster Linie aber die öffentliche Meinung. In England hatte das Geld als solches politischen Einfluss er- | |
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langt und konnte jede andere Gewalt, jeden im Staats- und Privatleben massgebendenGa naar eindnoot39 Faktor an sich reissen und sich dienstbar machen. Die eigenartige VerhältnisseGa naar eindnoot40 in Süd-Afrika wiederum gaben Gelegenheit zur Vereinigung von Kapitalismus und Jingoismus, der eine die Ergänzung des anderen. Es entstand jener kapitalistische Jingoismus, der zu einer Geissei für die ganze Welt zu werden droht. Das kapital sollte absoluter Despot in Süd-Afrika werden. Das waren die Pläne von Rhodes & Co., von Chamberlain und Genossen. Auch die soviel genannte ‘Ausländerfrage’ war eitel Lug und Trug, die alte Jeremiade über nichts, wie s. Zt. vor dem Jameson-Raid. Es wurde geradezu unheimlichGa naar eindnoot41 gelogen und mit sittlicher Entrüstung schmetterteGa naar eindnoot42 die bezahlte Presse einen jeden als Barbaren nieder, der ihre aufgebauschtenGa naar eindnoot43 Behauptungen zu bestreiten wagte. Sobald man aber aus dem Nebel dieser Phrasen in die klare scharfe Luft des Geschäftslebens trat, erschien doch alles erheblichGa naar eindnoot44 anders. Bei ruhiger Ueberlegung musste man dann zu dem Schlusse kommen, dass wohl in keinem anderen Lande der ‘Ausländer’ so viel Freiheiten genoss, wie gerade in Transvaal. Unter englischem Regime werden das die betreffenden Herren wohl noch einsehen. Heute schon wünschen die früheren Feinde der Buren sehnlichstGa naar eindnoot45 die Burenregierung zurück; sie haben übergenug von der schönen Wirtschaft der ‘Befreier vom Burenjoch’, und letztere wissen ganz gut, die Gelegenheit sich zu bereichern, kommt nie wieder! Der Arbeiter, der Handwerker, der Kaufmann - sie alle waren zufrieden mit ihrem LoseGa naar eindnoot46. Bei verhältnismässig geringen AbgabenGa naar eindnoot47 an den Staat war ihnen die Möglichkeit gegeben, nicht nur ein menschliches Dasein zu führen, sondern auch in einer | |
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gewissen Wohlhabenheit zu leben. Wenig Lasten - dafür mehr Einkommen und Freiheiten. Natürlich; allen recht machen kann es kein Staat; das ist unmöglich; auch will ich keineswegs die Verwaltung Transvaals als mustergiltig hinstellen. Fehler werden überall gemacht, namentlich in einem Staatswesen, das noch in der Entwickelung begriffen istGa naar eindnoot48. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Entwickelung aus der Unkultur mit kolossaler Schnelligkeit stattgefunden hat. Von einem ‘Transvaal’ kann man doch erst seit 1880/81, seit dem Freiheitskriege, sprechen. Ich stelle hier nur die allgemein gültige Behauptung auf: Das ganze Lamento über die gedrückte LageGa naar eindnoot49 und die Rechtlosigkeit der sog. Ausländer war unbegründet. Aber es war erforderlich in dem britischen Lügengewebe, um die öffentliche Meinung zu ködernGa naar eindnoot50; und diese liess sich ködern, weil in der Ferne alles anders aussieht, als man es bei näherer Besichtigung findet. Dass man es bei der Ausländerfrage geradezu mit einer Lüge zu thun hatte, beweist die Thatsache, dass eben jene ‘Ausländer’ - Deutsche, Franzosen, Holländer, Italiener, Irländer, Amerikaner, u.s.w. - bei Ausbruch und im Verlauf des Krieges ohne ZaudernGa naar eindnoot51 und Bedenken auf Seite der Buren traten. Jedenfalls würden das unterdrückte und unzufriedene Menschen nicht gethan haben. Es war doch merkwürdig, dass sich draussen in Süd-Afrika im gegebenen Momente fast alle, ja alle Nationen des Erdballs in gemeinschaftlichem Hasse gegen Grossbritannien vereinigten. Fühlte man dort etwa instinctiv die Gefahr, die der Welt von dem internationalen Halsabschneider John Bull drohtGa naar eindnoot52? Sah und fühlte man dort deutlicher als in dem alten Europa alle FrevelGa naar eindnoot53, alle Lügen und VerbrechenGa naar eindnoot54, die England von jeherGa naar eindnoot55 an der gesammten Welt begangen hat? | |
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Dass ausserdem Englands geheuchelte Sorge für die ‘armen Ausländer’ nur hochtrabende Worte waren, dass die mit dem Brustton der Ueberzeugung proklamierte Behauptung, Grossbritannien führe den Krieg, nur für die Rechte und das Wohl der Ausländerbevölkerung, eine fürchterlicheGa naar eindnoot56 Lüge ist, zeigt das VorgehenGa naar eindnoot57 der britischen Regierung gegen eben jene Ausländer nach der Besitznahme von Bloemfontein, von Johannesburg und Pretoria. Des Landes verwiesenGa naar eindnoot58 wurden sie, hinausgeworfen und behandelt wie gemeine Verbrecher! Namentlich wir Deutsche können ein Liedchen hiervon singen! Auf einer grossen Lüge basierte Englands Anschlag gegen Transvaal. Wer Gründe sucht, der weiss sie auch zu finden. Lug und Trug lieferten der britischen Regierung den VorwandGa naar eindnoot59 zur Intervention, den Vorwand zu einem Kriege, den eine Grossmacht angeblich ‘im Namen der Humanität und Civilisation’, in Wahrheit aber ‘im Namen des Geldbeutels’ führt. ‘Das fromme England hat ja, wie die Welt weiss, allzeit und überall Kriege nur um Gottes und der Frömmigkeit willen geführt; es hat seine Siege’ auch nur dieserhalb davongetragen und beileibe niemals nutzbar gemacht.’ Jener Gott aber war der gefüllte Geldsack und jene Frömmigkeit gipfelteGa naar eindnoot60 in schwülstigerGa naar eindnoot61 Scheinheiligkeit und brutalem Egoismus. Von diesem Gesichtspunkte aus ist denn auch der Krieg gegen die ‘unkultivierten’ Buren ‘notgedrungen’ geführt worden. Ach ja, das gute, fromme, humane und weltbeglückende England! Der blutige Krieg war wieder notwendig. Denn ohne Krieg liess sich das System Pitt nicht gut durchführen, d.h. ‘die Ausbeutung der Welt durch England und die Ausbeutung Eng- | |
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lands durch das bekannte Zehntausend von privilegierten Leuten.’ |
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