Germania. Jaargang 2
(1899-1900)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdLord Byrons einfluss auf die deutsche Litteratur.
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Anastasius Grün (Graf Alexander von Auersperg 1806-1876) führt uns in seiner Dichtung ‘Der Turm am Strande’ das Bild eines gefangenen venetianischen Dichters vor, welches an Byrons ‘Gefangenen von Chillon’ mahnt. In seinen Gedichten atmet die Freiheitsbegeisterung Byrons. Von dem düsteren Weltschmerze und der Skepsis des englischen Dichters ist Nikolaus Lenau (Niembsch von Strehlenau, 1802-1850) wesentlich beeinflusst worden. Er ging in Byronischer Zerrissenheit unter. Lenaus Schwermut hat indes den Grund in seinem Schmerze um ein verlorenes Paradies des Glaubens; seine Zerrissenheit ist kein koketter Weltschmerz wie bei Heine. Lenaus erste grössere Dichtung der ‘Faust’ erinnert in ihrem Geiste wie in ihrer Form an Byron. Sein ‘Savonarola’ (1837) und ‘Die Albigenser’ zeigen uns die düstere Skepsis des Engländers; ebenso is Lenaus ‘Don Juan’ 1851 von Anastasius Grün aus Lenaus Nachlasse herausgegeben, blasiert und sensualistisch, wie manche seiner politischen Gestalten. Der Zweifel, das Unbefriedigtsein trieben Lenau 1832 durch die vereinigten Staaten; aber auch hier fand seine Seele keine Ruhe. Wir sehen in ihm etwas von Byrons ungestilltem Verlangen. Von den Ideen Byrons erfüllt ist auch Karl Beck, (1817-1879). Durch alle seine Dichtungen ‘Nächte’, ‘Gepanzerte Lieder’, 1838, ‘Der fahrende Poet’ 1838, ‘Stille Lieder’, 1840 u.s.w. gehen ein melancholischer Zug und eine nagende Skepsis. Alfred Meissner (geb. 1822) lehnt sich in seinen Gedichten offenbar an Byron. Seine Naturschilderungen zeigen das eifrigste Studium des englischen Dichters. Moritz Hartmann (1821-1872) trat wie Byron lange Irrfahrten an; seine Abenteuer in Ost und West. Seine historische Erzählung ‘Der Gefangene von Chillon’ (1863) weist schon durch ihren Titel auf die Verwandtschaft mit der gleichnamigen Schöpfung Byrons hin. | |
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Der durchgehende Zug der österreichischen Lyrik ist also neben dem Streben nach Freiheit eine tiefe Skepsis; sie hat ihren letzten tüchtigen Vertreter in Robert Hamerling (geb. 1832) gefunden. In Deutschland fand die politische Poesie ihre Repräsentanten in Herwegh, Dingelstedt, Prutz, Hoffmann von Fallersleben, Freiligrath, Strachwitz und Max Waldau. Die politische Lyrik trat begeistert für das öffentliche Leben auf. Sie war ein Gegenschlag gegen die Blasiertheit und Frivolität der Zeit, und ihr Kern lag in Byrons freiheitatmenden Dichtungen. Der Philhellenismus, dessen Hauptstütze und Hort Lord Byron gewesen war, hatte längst in immer weiteren Kreisen um sich gegriffen, und an der Begeisterung für fremde Freiheit erstarkte man zur Begeisterung und zum Kampfe für die eigene. Die Unzufriedenheit über die allgemeine Lage in Deutschland, der schreiende Widerspruch zwischen der schwungvollen Begeisterung der Freiheitskriege und des gegenwärtigen ohnmächtigen Zustandes - dieses erzeugte einen tiefen Missmut, welcher mit dem Weltschmerze Byrons in Einklang stand. Die Politik wurde in die Poesie gèdrängt. Byron hatte den Geist gegen die allgemeine Unterdrückung aufgewiegelt. Er hatte das gefährliche Wort: ‘Revolution
alone can save the world from Hell's pollution’
in die Welt geschleudert. Unberechenbar waren hiervon die Folgen. Das Gute war, dass der gelähmten Welt so ein neuer Trieb zum Handeln gegeben wurde, welche Gefahr lief, in weichlicher Selbstsucht und niederem Materialismus zu verkommen. Georg Herwegh (1817-1875) war der Chorführer der politischen Lyrik in Deutschland. Seine Poesie atmet zügellosen Freiheitsdrang, An Herwegh schliessen sich die schon genannten Franz Dingelstedt (1814-81), Robert Prutz (1816-72), Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Ferdinand Frei- | |
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ligrath (1810-76) - welcher auch eine Anzahl Gedichte Byrons trefflich übersetzteGa naar voetnoot*) - Moritz Graf von Strachwitz (1822-47) und Max Waldau (Georg von Hauenschild, 1825-1855.) Sämtliche politischen Dichter wandeln in den Fusstapfen Byrons: sie haben Ideen von ihm in sich aufgenommen. Sie haben den von Byron ausgesprochenen Gedanken, dass die Machthaber vielfach Unterdrücker der Völker, dass die Reichen die Armen ausbeuteten, dass die socialen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit einer durchgreifenden Reform bedurften, einen weiten Boden geschaffen und damit noch für die Neuzeit eine folgenschwere Wirkung gehabt. Ein allgemeiness Freiheitsstreben hatte auf Byrons Anregung hin unter den Nationen Platz gegriffen. Diesem Enthusiasmus gaben die Dichter Ausdruck; wie Platen seine ‘Polenlieder’, Wilhelm Müller seine ‘Griechenlieder’ und schon früher Püttmann und Karl Gaillard die ‘Tscherkessenlieder’. Seinen Höhepunkt indes erreichte der Byronismus durch das ‘junge Deutschland’, welches zu Byron in ähnlichem Verhältnisse steht, wie ‘Die Stürmer und Dränger’ zu Shakespeare. Das war die Blütezeit des Radikalismus, der Freigeisterei und des Weltschmerzes in der deutschen Litteratur! Wie Byron hielten die Dichter des ‘jungen Deutschlands’ wichtige Erlebnisse, glühende Leidenschaften und geniales Überspringen der gesellschaftlichen Ordnungen für unerlässliche Erfordernisse. Die jungen Schriftsteller, welche sich vereinigten, griffen besonders die eine in Byrons Dichtungen betonte Seite auf; sie kamen überein, dass nicht nur die politischen, sondern hauptsächlich die socialen Verhälnisse der Gegenwart die Schuld der allgemeinen misslichen Lage trügen. Zur Verbreitung ihrer Ideen wählten sie den Roman und das Drama. Karl Gutzkow (1811-1878), das bedeutendste Glied des | |
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‘jungen Deutschlands’, erfüllte tief eine beunruhigende Byronische Skepsis. Seine Novelle ‘Wally, die Zweiflerin’ erregte durch ihre antichristliche Tendenz allgemeines Aufsehen. Sein Trauerspiel ‘Nero’ ist die Ausgeburt seiner Skepsis; der Held in seinem ‘Uriel Akosta’ krankt an einer inneren Unbefriedigung. Die Einwirkung Byrons liegt überall auf der Hand. An Gutzkow schliessen sich Heinrich Laube, Theodor Mundt, Gustav Kühne, Hermann Margraff und Alexander Jung, deren gemeinschaftliche Bestrebungen von Byron vielfach inspiriert sind. An das ‘junge Deutschland’ reiht sich Ernst Willkomm mit seinem 1823 erschienenen Roman ‘Die Europamüden’, in welchem Zerrissenheit und Wehmut die äusserste Spitze erreichte. Willkomms bestes Werk ist ‘Lord Byron, ein Dichterleben’ (8 Bände 1839), in welchem der moderne Weltschmerz zum Ausdruck kommt. Eine ähnliche verwilderte Genialität wie Willkomm in seinen Erstlingswerken zeigt Charles Braun (Braun von Braunthal) in seinen Romanen. Von Byron, insbesondere von seinem ‘Childe Harold’ beeinflusst, treten gleichzeitig Dichter auf, welche, wie Byron, einen Trieb in die Ferne, eine Sucht nacht Abenteuern haben. Schon bei einigen der früher erwähnten Persönlichkeiten, wie Lenau, Chamisso u.s.w. haben wir diesen charakteristischen Zug angetroffen; am ausgebildetsten tritt uns dieser Byronische Hang im Fürsten Pückler-Muskau (1785 1861 entgegen. Die Zeit seiner Reisen fällt in den Anfang der dreissiger Jahre. Wie sein von Ludmilla Assing, der Nichte Varnhagens von Ense, herausgegebener Briefwechsel und die vorausgeschickte Biographie darthun, hatte er sich dabei, ähnlich wie Byron, von allen gesellschaftlichen Satzungen emancipiert. Von Byron hatte er auch die warme Empfänglichkeit für landschaftliche Reize und das Naturleben überhaupt. Er war, wie Byron, Aristocrat mit vollem Bewustsein und wusste, wie | |
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jener, seiner Stellung überall Geltung zu verschaffen. Sogar sein Halstuch liess er à la Byron schweben; auch im Äusseren suchte er eine Ähnlichkeit mit seinem Vorbild. Die üppige Reiselitteratur gehn in ihren Anfängen wesentlich auf Byron zurück, ihm verdankt sie die Entstehung. In den gesammelten Werken fast jedes irgend wie bedeutenden Schrifstellers finden wird jetzt mehrere Bände Reisebeschreibungen. Dass dabei früher besonders die Stätten, welche Byrons Lied besang, besucht wurden, liegt auf der Hand. Bevor wir nach anderen Gebieten Ausschau halten, auf welche Byron unverkennbaren Einfluss ausgeübt hat, haben wir noch einige Dichter Revue passieren zu lassen, die von hen Ideen des Engländers inspiriert sind. Adolf Böttger, der talentvolle Übersetzer Byrons, hat aus den Dichtingen desselben reiche Nahrung gezogen. Von seinen ersten, an Byron anklingenden Erzeugnissen, ist ‘Haban’ (1853) der Vorzug zu geben. Seine Dichtung ‘Die Tochter des Kain’ zeigt eine Abhängigkeit von Byrons ‘Heaven and Earth’. Ein Geist Byronischer Skepsis herrscht in den Dichtungen Dranmors (Ferdinand von Schmid geb. 1823); in den Schöpfungen Julius Mosens, Wilhelm Jensens, Heinrich Leutholds, Max Kalbecks, Arthur Fitgers u.s.w. tönt die eine Saite von Byrons Geiste an, der Weltschmerz. Von den Dramatikern schuf Rudolf von Gotschall 1847 das Drama ‘Lord Byron in Italien’, in welchem der Dichter in schöner Weise verherrlicht wird. Salomon Mosenthal erinnert in seiner orientalischen Pracht der Sprache bisweilen an Lord Byron. Der Stoff seines Dramas ‘Parisina’ ist identisch mit demjenigen des englischen Dichters. Der Held in Emil Brachvogels ‘Narciss’ ist ein Skeptiker im Sinne Byrons. Albert Lindner schuf 1875 nach Byrons gleichnamiger Dichtung seinen ‘Marino Falieri’. | |
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Heinrich Kruse veröffentlichte im folgendem Jahre einen ‘Marino Falieri’, ebenso Martin Greif in Jahre 1879. Der Stoff war zuvor schon von Amadeus Hoffmann in seinem ‘Doge und Dogaressa’ als Novelle und von Murad Effendi dramatisch behandelt worden. Adolf Friedrich von Schacks ‘Lothar’, 1872 erinnert in seiner stimmungsvollen Landschaftsmalerei und in dem Hass gegen die Machthaber der geistestötenden Restaurationsepoche an Lord Byron. Sein Roman in Versen ‘Durch alle Welten’ zeigt im Stile den Einfluss von Lord Byrons ‘Don Von den Epikern, die an den Quellen Byronischer Dichtung sich genährt haben oder doch von ihrem Geiste beeinflusst sind, nennen wir Gustav Kastropp, dessen ‘Kain’ (1880) unter der Anregung von Byrons gleichnamiger Schöpfung entstanden ist. Julius Mosens Roman ‘Der Kongress von Verona’ (1842) behandelt denselben Stoff wie Byrons satirische Dichtung ‘Age of bronze’ d.h. den Kampf des Absolutismus und des Liberalismus. Im Jahre 1862 verfasste A. Bucher eine Novelle, betitelt ‘Byrons letzte Liebe’. Von den grossen Zeitfragen, welche zu Anfang der dreissiger Jahre unter der Fahne des ‘jungen Deutschlands’ aufzutauchen begannen, wurden auch die Frauen lebhaft ergriffen. Emancipation des weiblichen Geschlechtes von den Fesseln des Mittelalters lautete ja einer der Sätze ‘Jungdeutschlands’. Wir können also auch diese Bestrebungen in letzter Instanz auf Byron zurückführen. Nicht minder aber hat der Engländer auch deutsche Theologie, Philosophie und die Politik beeinflusst. An Byron lehnt sich der theologische und politische Radikalismus an. In Arthur Schopenhauers Philosophie ist alles Dissonanz und Schmerzensschrei. Offenbar findet zwischen Schopenhauers und Byrons Ideen ein innerer Konnex statt. An Schopenhauer, welcher in der geistigen Atmospäre Byrons atmete, | |
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schliesst sich Eduard von Hartmann. Es ist nur allzu natürlich, dass ihre philosophischen Systeme wieder einen Einfluss auf Staat, Gesellschaft, Kirche und Kunst ausüben mussten. Zum Schluss haben wir noch auf die grosse Anzahl von Übersetzungen Byronscher Werke hinzuweisen; ein voilständiges bibliographisches Verzeichnis liegt uns natürlich dabei völlig fern. Wie überhaupt die englische. Litteratur in ihren nur einigermassen bekannten Erzeugnissen in Deutschland ihre Übersetzer gefunden hat, so - neben Shakespeare - vor allem Byron. Einzelne Dichtungen Byrons übersetzten Adrian, H. Döring, Freiligrath, Heyse, Hertz, Hilscher, Elise von Hohenhausen, Janert, Ortlepp, Pfizer, Th. von Sauken, Schäfer, Stadelmann, Zedlitz u.s.w. Die sämtlichen Werke Byrons in deutscher Übersetzung erschienen zuerst in Zwickau in den Jahren 1821-27. Im Jahre 1839 veröffentlichte Adolf Böttger seine Übersetzung der sämtlichen Werke (Leipzig, Wigand), welcher 1864-65 diejenige von Otto Gildemeister und 1867 die von Neidhardt folgten. Von der Gildemeisterschen, der besten, erschien eine 3. Auflage (Berlin 1877). Charlottenburg. Dr. O. Weddigen. |
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