Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Schluss.Zum Schluss noch eine Ermahnung: in Deutschland beachtet man den Kampf der Vlämen gegen die Wallonen, ihr Ringen um gleiche Rechte im öffentlichen Leben noch immer nicht genug. Wer diese Bewegung unseres Bruderstammes verfolgt, kann nicht annehmen, dass diese ehedem gottbegnadete mächtige Völkerschaft allmälige. Leider wird sie von den über den Abfall des Südens noch immer grollenden Holländern nicht unterstützt. ‘Wir aber,’ sagt Karl Brämer mit Recht, ‘haben die Treue nicht vergessen, mit welcher die Vlämen im letzten Franzosenkriege fast Mann für Mann im Geiste bei uns standen, und während wir nicht daran denken, den uns sprachlich mehr und mehr abgewandten Brüdern unser Hochdeutsch oder gar unsere Macht aufzudrängen, dürfen wir in Aufrechterhaltung unserer besonderen Kulturaufgabe im Leben der Menschheit nicht dulden, dass ein teurer Bruderstamm von echt germanischem Geiste dahinsieche, auch nicht dulden, dass ein Schleier über seine innere Kraft gezogen werde.’ Die 1839 Belgier gewordenen Luxemburger sind in ihrer nationalen Eigenart noch ihren Stammesbrüdern gleich geblieben, obschon sie seither gezwungen wurden, sich dem Französischen mehr zuzuwenden, als es bei den Bewohnern des Grossherzogtums der Fall ist. Für dieses war die damalige Trennung insofern von Vorteil, als damit die wallonischen Bewohner aus dem Staatsverbande ausgeschieden wurden und so nicht mehr die Notwendigkeit vorlag, zwei Sprachen gleichzeitig als Amtssprache zu gebrauchen. Allerdings wurde doch noch Französisch im Grossherzogtum als Amtssprache beibehalten, aber das ge- | |
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schah nicht aus Rücksicht auf das deutschsprechende Volk, sondern weil man sich von dem althergebrachten Brauche nicht trennen wollte. Jene Trennung hatte aber den Nachteil, dass auch deutschredende Luxemburger mit in den belgischen Staatsverband gezogen wurden. Es sind allerdings nur etwa 36 000 Luxemburger, aber das ist doch immerhin ein grosser Verlust für das Gebiet der Luxemburger Mundart gewesen. Auch in Deutsch-Lothringen und nach der Trierischen Seite hin hat dieses Gebiet bedeutenden Abbruch erlitten. Auf der deutschen Seite wird die Mundart allmälig durch die hochdeutsche Schriftsprache, und auf der belgischen Seite durch die französische verdrängt. Ein Gross-Luxemburg als selbständiger Staat wird wohl nie mehr verwirklicht werden. Aber wenn Trier, Diedenhofen und Arlon mit ihren Gebieten wieder in ein Verhältnis zu Luxemburg treten würden, zu dem sie ja früher gehörten, so wären doch wieder diejenigen Bewohner vereinigt, die wegen ihrer Mundart und ihrer Stammeseigentümlichkeiten zusammen gehören. Sehr interessant ist die Bevölkerungs-Bewegung in der Provinz Luxemburg zu beobachten. Da diese an das Grossherzogtum und an Frankreich stösst, ist die Einwanderung aus diesen Ländern und die Auswanderung nach denselben verhältnismässig sehr stark. Greifen wir aus den letzten Jahrzehnten nur einige Jahre heraus.Ga naar voetnoot*) Im Jahre 1881 kamen aus Deutschland nach der Provinz 76 Personen, aus Frankreich 179, aus Luxemburg 231, nach Deutschland wanderten aus 44, nach Frankreich 408, nach Luxemburg 160. Im folgenden Jahre waren die Zahlen höher, das Verhältnis blieb aber dasselbe. Im Jahre 1883 wanderten aus Deutschland ein 51 Personen, aus Frankreich 212, aus Luxemburg | |
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207. Die Auswanderung betrug nach Deutschland 40, nach Frankreich 460, nach Luxemburg 190. Wie man sieht, wird die Verwelschung der Bevölkerung auch durch den starken Verkehr mit Frankreich gefördert. Der sittliche Zustand der Bevölkerung ist ein günstiger im Vergleich zum übrigen Belgien. Ehescheidungen kommen fast gar nicht vor. Die Zahl der Schulen ist verhältnismässig höher als in anderen Provinzen. Dieses gilt nicht blos von den Volksschulen (Gemeindeschulen und freie Anstalten), sondern auch von den ‘écoles d'adultes’ (Fortbildungsschulen). Königliche Athenäen (Gymnasien) giebt es in Arlon, Bouillon und Virton. Was die Hochschulen betrifft, so müssen die Studenten der Provinz eine der vier Hochschulen Brüssel, Gent, Lüttich oder Löwen besuchen, auf denen das Französische natürlich Amtssprache ist. Wenn ungünstige Ergebnisse betreffs der Volksbildung vorlägen, so wäre das, meint Brämer, ebenso begreiflich wie bei den Vlämen. Er bemerkt, dass das geringe Bildungsmass der Vlamen nicht von diesen verschuldet ist. ‘Waren doch Flandern und Brabant Jahrhunderte hindurch Stätten der vornehmsten Kultur, während der Hennegau in geistiger Finsternis verharrte. Die Schuld trägt das romanisierende Unterrichtssystem, das zwar die Anwendung der Landessprache in den niederen Schulen der Gemeinden vorschrieb, von den Beamten aber die Kenntnis des Französischen verlangte und so den Trieb der Vlamen nach Vervollkommnung im Wissen durch Vermittelung der Muttersprache eher erstickte als förderte.’ Auf dem Gebiete des Zeitungswesens sucht natürlich die französische Sprache die deutsche zu verdrängen. In Arlon erscheint nur die ‘Arloner Zeitung’ in deutscher Sprache: daneben giebt es mehrere Blätter in französischer Sprache und kleinere Blätter auch in Marche, Neufchâteau, Virton usw. Luxemburgische Zeitungen werden wenig gelesen, reichsdeutsche kommen wohl garnicht dahin, dagegen werden grössere belgische Zeitungen gehalten. | |
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Nach diesen Mitteilungen über die sprachlichen Verhältnisse will ich etwas näher auf Arlon, seine Umgebung, die Bewohner, Sitten und Gebräuche usw. eingehen. Arlon, die Hauptstadt der belgischen Provinz Luxemburg, liegt auf dem Wege von Luxemburg nach Namur und Lüttich. Die Stadt, die in der Mundart Arel genannt wird - diesen Namen giebt Andrees Handatlas mit Recht neben der amtlichen Bezeichnung an - hat eine deutsche Bevölkerung, obschon höheren Orts diese als solche gar nicht in Betracht gezogen wird. (Man spricht bekanntlich nur von Wallonen und Vlämen.) Auch sind 36 Grenzgemeinden der Provinz noch deutsch. Auf diese Ortschaften wurde im Jahre 1839 bei der Theilung des Luxemburger Landes keine Rücksicht genommen, und so sind etwa 36 000 Deutsche durch ihren Anschluss an Belgien der Gefahr der Verwelschung ausgesetzt. Ihre luxemburgisch-deutsche Mundart haben die Bewohner zwar in einem halben Jahrhundert noch nicht aufgegeben und werden sie auch in den nächsten Jahrzehnten noch nicht aufgeben, selbst wenn ihnen keine Hilfe zu Theil wird. Aber das Volkstum hat doch schon stark unter dem eindringenden Wallonenthum gelitten. Als ich zum ersten Male nach Arlon kam und in einer Wirtschaft in der Nähe des Bahnhofes einkehrte, redete der Wirt, der zufällig selbst die Gäste bediente, mich französisch an. Ich antwortete ihm in derselben Sprache, fragte ihn dann aber: ‘Wird hier kein Luxemburger Deutsch oder Hochdeutsch gesprochen?’ ‘O doch’, sagte er mir, und da sagte ich ihm denn: ‘Ech senn nemlich e Letzeburger.’ (Ich bin nämlich ein Luxemburger). Nun thaute der Wirt etwas auf und liess sich mit mir in ein Gespräch ein, das für mich mindestens ebenso belehrend war, wie die Unterhaltungen, die ich später mit andern Bewohnern der Stadt und Umgegend hatte. Er sagte mir: ‘Wir müssen eben die Leute zuerst auf französisch anreden, weil man nämlich nicht weiss, ob es ein Luxemburger oder ein Wallone ist. Deutsche kommen ja weniger | |
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hierher, und die Wallonen würden es einem furchtbar verübeln, wenn man sie nicht französisch anredete.’ Es sprechen allerdings bei Weitem nicht alle Einheimischen neben ihrer Muttersprache französisch, aber in den Schulen lernen sie es, und die, welche etwas auf sich halten, suchen sich auch darin zu vervollkommnen. Wer in eine Verwaltung eintreten will oder sich für eine ‘carrière liberale’ (liberalen Beruf) bestimmt, muss natürlich das Französische als seine Muttersprache betrachten. Die wallonischen Beamten (Post, Eisenbahn u.s.w.), die regelmässig nach Arlon kommen oder dort wohnen, erinnern die Bewohner täglich daran, dass französische Sprache und Sitten in Belgien massgebend sind oder doch dem Wunsche der Machthaber gemäss sein sollen. Die Nationalitätsverhältnisse in Belgien ersieht man aus folgender Sprachenstatistik vom Jahre 1880 (die Zahlen von 1866 füge ich zum Vergleich in Klammern bei). Es sprachen französisch (wallonisch) 2 230 316 (2 041 784), vlämisch 2 485 384 (2 406 491), deutsch 39 550 (35 356), französisch und vlämisch 423 752 (308 361), französisch und deutsch 35 250 (20 448), vlämisch und deutsch 2956 (1625), alle drei Sprachen 13 331 (4966), keine der drei Sprachen 6412 (6924). Von den nur deutsch sprechenden Bewohnern gehört die Mehrzahl der belgischen Provinz Luxemburg an. Diese Provinz wurde infolge der belgischen Revolution vom deutschen Bunde losgerissen und durch die Beschlüsse der Londoner Conferenz vom 15. November 1839 zur belgischen Provinz erklärt. Sie begreift die grössere westliche Hälfte des früheren Grossherzogtums und enthält 80 Quadratmeilen mit über 200 000 Einwohnern, Sie grenzt im Osten an Preussen und Deutsch-Luxemburg, im Süden an Frankreich, im Westen an die Provinz Namur und im Norden an die Provinz Lüttich. Das ganze Land ist gebirgig, indem die Ardennen von Neufchâteau aus sich darin nach allen Richtungen verzweigen. Es giebt aber fast nirgends hohe Berggipfel; vielmehr | |
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bietet das Land, besonders im Norden, einförmige, von Thälern durchschnittene Hochebenen. Die Höhen sind nur zum Teil bewaldet, dagegen giebt es im Westen umfangreiche Wälder. Die meisten Höhen sind kahl und unfruchtbar, häufig mit Haide bewachsen. Nur einige Gegenden sind wohlangebaut. Die Provinz steht in der Hinsicht dem luxemburgischen Gutlande weit nach. Sie erzeugt fast keinen Wein und nicht hinreichendes Getreide und Obst; ihre Industrie ist nicht sehr bedeutend. In landschaftlicher Hinsicht ist die Provinz eines Besuches wert; gerade in den letzten Jahren sind in Belgien und England Versuche gemacht worden, Touristen auf die Schönheiten besonders der wallonischen Gegend, wo sich interessante Ruinen befinden, aufmerksam zu machen. In dem nichtdeutschen Teile sind die Bewohner hauptsächlich Wallonen, mit einer rauhen, kräftigen Sprache. Die Einwohner sind meistens katholisch und gehören in kirchlicher Beziehung zur Diöcese Namur. In Bastnach besteht ein kleines Seminar, in welchem für die zahlreichen deutschen Zöglinge fleissig deutscher Unterricht gegeben werden soll. Die Stadt Arlon mit über 9000 Einwohnern liegt auf einer Anhöhe, von welcher aus sich schöne Ausblicke in die Umgegend bieten. Breite mit Pappeln besetzte Landstrassen führen von allen Seiten nach der Stadt hinauf. Vom Bahnhof aus zur Stadt hin erheben sich moderne Villen, umgeben von Terrassengärten. Die Stadt selbst, die übrigens sehr alten Ursprungs ist, macht mit ihren hübschen Neubauten einen sehr vorteilhaften Eindruck. Den Hauptplatz in der Mitte der Stadt hat man Leopoldsplatz genannt; er ist von öffentlichen Gebäuden umgeben. Bevor die Eisenbahnen die Provinz durchzogen, war Arlon kaum dem Namen nach in Belgien bekannt. Seitdem es die Hauptstadt einer Provinz ist, giebt es dort Beamte; der Handel hat einen gewissen Aufschwung genommen, und zahlreiche Wallonen strömten dorthin, so dass jetzt ein Reiseführer, | |
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wenn auch mit starker Uebertreibung, sagt: ‘Unter der von auswärts zugezogenen Bevölkerung verliert sich - rarinantes - die Rasse der Einheimischen.Ga naar voetnoot*) Von der Provinz Luxemburg ist nur der Bezirk Arlon ganz deutsch, während die Bezirke Marche, Bastogne (Bastnach), Virton und Neufchâteau hauptsächlich französisch (wallonisch) sind. Im Bezirk Arlon sprechen 2148 männliche Bewohner und 1661 weibliche nur französisch (eingewanderte Wallonen), 5182 männliche und 3927 weibliche französisch und deutsch, 7263 männliche und 8592 weibliche nur deutsch. Bei denen, welche französisch und deutsch sprechen, kann man mit einiger Sicherheit annehmen, dass sie deutschen Ursprungs sind. Bemerkenswert ist noch der Bezirk Bastogne mit 965 männlichen und 1083 weiblichen Bewohnern rein deutscher Zunge, denen allerdings 16 130 bezw. 15 257 nur französisch redende und 916 bezw. 662 deutsch und französisch redende Bewohner gegenüber stehen. Die Bevölkerung ist in Belgisch-Luxemburg bei Weitem nicht so dicht, wie in den übrigen Provinzen. Während in Brabant 323 und in Belgien überhaupt 198 Einwohner auf den Quadratkilometer kommen, zählt die Provinz Luxemburg auf einer solchen Fläche nur 48 Einwohner. Die Namen der Ortschaften sind für die Sprachenverhältnisse nicht immer massgebend. Manche tragen allerdings noch jetzt nur deutsche Namen, andere sind jedoch schon amtlich verwelscht oder wenigstens mit französischen Endungen versehen worden. Ich erwähne nur folgende: Metzig = Messancy, Ibingen = Aubange, Rösig = Rochecourt, Helsingen oder Holdang = Halanzy, Hollen = Hollange, Bastnach (Bastnech) = Bastogne, Bocholtz oder Bockels = Beho, Tinnen oder Tintingen = Tintange, Ober- und Nieder-Elter = Autel-haut, Autel-bas, Hondelingen = Hondelange. Manche dieser kerndeutschen Namen nehmen sich mit ihrer französi- | |
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schen Endung sehr komisch aus. Uebrigens haben ja auch im Grossherzogtum viele Ortschaften deutsche und französische Namen; dieses ist z. B. bei der Grenzortschaft Küntzig (Clémency) der Fall. Von Arlon führen eine Eisenbahn und eine Landstrasse nach Luxemburg. Erstere geht durch die Ortschaften Oberund Nieder-Elter. Folgt man der Landstrasse, so sieht man links die Ruinen des Klosters Clairefontaine, sowie den hinter denselben aufsteigenden Bardenberg, und rechts die zwei Dörfer Elter und Sterpenich. Letzteres war früher eine angesehene Herrschaft. Bekannt ist u. A. Raoul von Sterpenich, der 1267 Vorstand von Arlon und Schiedsrichter in dem von der Fürstin Ermesinde gegründeten Rittergericht des luxemburgischen Adels war und 1280 Seneschall von Luxemburg wurde. Von Sterpenich wird eine Sage erzählt, in der der Name der Ortschaft allerdings auf eine sehr unwahrscheinliche Weise erklärt wird. Ein Ritter soll nämlich zusammengesunken sein mit den Worten: ‘Sterben - ich’, Dass diese Ableitung haltlos ist, dürfte schon daraus hervorgehen, dass Sterben im Dialekt ‘sterwen’ heisst. Ob auf dem Bardenberg früher Barden sich aufgehalten haben, mag dahingestellt bleiben. In dem engen Thal von Clairefontaine, das früher Schönthal hiess, Hess im Jahre 1216 die Gräfin Ermesinde ein Frauenkloster errichten, von welchem jetzt nur mehr unbedeutende Ruinen übrig sind. Das Kloster wurde nämlich während der französichen Revolution von den ins Land eingefallenen Franzosen zerstört. Von der französischen Grenzfestung Longwy führt eine Strasse durch Ibingen und Messancy an Hondelingen vorbei nach Arlon. Zwischen dieser Stadt und der luxemburgischen Grenze liegen Nieder-Elter und Waltzing. Auch die anderen Ortschaften in der Umgebung von Arlon führen deutsche Namen: Törnich (am Hirschberg), Heinsch, Bonnert, Guirsch Akert, Grendel u.s.w. | |
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Weiter hinauf nach Bastnach liegen noch an der luxemburgischen Grenze: Warnach, Tintingen u.s.w. Dagegen scheint in der Gegend von Bastnach und Houffalize das wallonische Element das Uebergewicht zu haben, denn von den nördlichsten Ortschaften im Oesling (Grossherzogthum) haben bereits manche von den Grenzbewohnern französische Namen erhalten, so Heisdorf (Hamiville), Holzingen (Hachiville), Niederbesslingen (Bas-Bellain), Trotten (Troine) u.s.w. Der Bezirk Marche ist rein wallonisch. Was den Bezirk Bastnach betrifft, so ist derselbe noch zum Teil deutsch. Nach Karl BrämerGa naar voetnoot*) sind die nördlichsten Grenzorte wallonisch, dagegen ist der letzte Grenzort gegen Preussen, die zugleich an das Grossherzogtum anstossende Gemeinde Beho (mit den deutschen Wohnplatznamen Deyfeld, Ourt und Watermal) ein Teil des deutschen Sprachgebiets. Vom Kanton Bihain liegen Limerlé und Tavigny, vom Kanton Bastnach Longvilly und Wardin, vom Kanton Amberloup Villers la Bonne Eau zwar dicht an der Grenze des Grossherzogtums und enthalten auch vereinzelt deutsche Namen von Wohnplätzen, sind aber trotzdem entschieden wallonisch. Erst Tintingen (mit Romeldingen und Warnach) erscheint wieder als eine deutsche Gemeinde. Die in zweiter Reihe der Grenze folgenden Orte Cherain, Houffalize, Noville, Bastnach, Hompré und Hollingen weisen wenig deutsche Bewohner auf. Verlässt man Arlon, um weiter nach Belgien hineinzudringen, so merkt man, dass das Land ärmer und wilder wird. Ueber Stockem und Offen gelangt man nach Neu-Habich, einem von Wäldern umgebenen Flecken von etwa 2000 Einwohnern. Die Bewohner sind dort schon stark verwelscht; die jungen Leute gehen meistens nach Frankreich und gewöhnen sich dort an die französische Sprache. Kehren sie dann in ihre Heimath zurück, so ist es natürlich mit dem Gebrauch der Mundart | |
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vorbei. Von den andern bedeutenderen Ortschaften sind noch zu erwähnen: Neufchâteau, das sehr anmutig auf einem Hügel liegt, Bastnach, das sich etwas pomphaft ‘le Paris des Ardennes’ nennen lässtGa naar voetnoot†), das als Wallfahrtsort bekannte Städtchen St. Hubert mitten im Ardennenwalde, die reizend gelegene Stadt Laroche u.s.w. Die Bewohner dieser Ortschaften sind dem Deutschtum verloren. Es wäre aber interessant, festzustellen, wie früher die Verhältnisse dort waren. Die Luxemburger sind seit der Römerzeit ein wesentlich germanischer Stamm. Im Beginn des gallischen Krieges (58 bis 50 v. Chr. G.) gab es nämlich auf der linken Rheinseite neben dem Gebiet rein deutscher Bevölkerung (nämlich der ‘Germania inferior’ d.h. dem unteren Maas- und Rheinland, und der ‘Germania superior’, d.h. dem Elsass, der Pfalz und dem Rheinland bis zur Mosel) ein ziemlich bedeutendes Gebiet gemischter Bevölkerung, in welchem jedoch die Deutschen überwogen, obgleich ihre Sprache nicht rein war, nämlich das Land der Trevirer (Trierer), zu welchem das Gebiet des nachmaligen Luxemburger Landes gehörte, und das der wilden Nervier zwischen der Scheide und der Sambre. Aus dem ersten, dem Cäsar gemachten Berichte der Remen geht hervor, dass die Trevirer an der ganzen mittleren Mosel (der kleinen Maas) damals ein keltisch-deutsches Mischvolk gewesen sind. Sie waren, wie die Germanen, höchst kriegerisch, und als Cäsar sich in ihre inneren Streitigkeiten mischte, suchten sie bei den überrheinischen Deutschen Hilfe. Nachdem er durch wiederholte Kämpfe mit ihnen sie genauer kennen gelernt hatte, sagte er von ihnen, dass die gesammte Einwohnerschaft durch Lebensweise und Wildheit sich nicht | |
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sehr von den Germanen unterscheide. Hieraus darf man wohl folgern, dass die deutschen Bestandteile in ihnen überwogen. Uebrigens berichtet Tacitus, der etwa 150 Jahrenach Cäsar schrieb, dass die Trevirer und Nervier sich viel auf ihre deutsche Abkunft zu gute thaten, gleich als ob sie durch dies ruhmreiche Blut schon vor dem Verdachte der Aehnlichkeit mit den Galliern und des Mangels an Thatkraft sicher geschützt wären. Die jetzigen Verhältnisse im Grossherzogtum sind bereits anderweitig eingehend besprochen worden. Ich möchte hier noch etwas näher auf die der belgischen Provinz Luxemburg eingehen. Die Namen der Bewohner sind noch überwiegend deutsch, aber selbstverständlich vollzieht sich auch hier allmählich eine Wandlung. Kerndeutsch sind noch all die Sagen, Märchen und Legenden, die im Volksmunde fortleben. N. Warker, ein Professor des Arloner Gymnasiums, hat mit lobenswertem Eifer die Sagen der belgischen Provinz Luxemburg gesammelt. Die meisten sind in einem starken Bande vereinigt, der den Titel führt: Wintergrün. Sagen, Geschichten, Legenden und Märchen aus der Provinz Luxemburg.Ga naar voetnoot*) Einen Nachtrag dazu bilden die ‘Sagen des Luxemburgischen Volkes. Aus Belgisch-Luxemburg und dem Eischthal. Neu bearbeitet und herausgegeben von N. Warker.’Ga naar voetnoot**) Dem Verfasser gebührt für diese mühevolle Arbeit Dank und Anerkennung. Den belgischen Folkloristen mögen die Bücher weniger gut gefallen, weil sie deutsch geschrieben sind, aber es wäre geradezu ein Verrat am Volkstum gewiesen, sie französisch zu veröffentlichen und dadurch eine Täuschung in Bezug auf die Sprache der Bewohner zu versuchen. Die Arbeit war um so verdienstvoller, als bis dahin noch Niemand eine solche Sammlung zusammenzustellen versucht hatte. J.W. Wolf hat 1843 zu Leipzig ‘Niederländische Sagen’ veröffentlicht, die er (585 an der Zahl) in Belgien persönlich gesammelt hatte. | |
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Die Provinz Luxemburg war in dieser Sammlung aber nur mit zwei Sagen vertreten, von denen noch eine nachträglich vom Verfasser selbst als falsch erkannt wurde. Die Provinz ist aber keineswegs sagenarm, obschon ja auch dort wie überall der Geist der Neuzeit sie zu verdrängen sucht oder wenigstens über sie spöttelt. N. Warker sagt hierüber in dem Vorwort zum ‘Wintergrün’: ‘Seitdem manche dünkelhafte Menschen, die in ihrer scheinbar gelehrten Aufgeblasenheit gescheiter als andere Menschenkinder sein wollen, mit der ihnen eigenen Impertinenz die Sagen, das heiligste Eigentum des Volkes, als dummes Zeug, “bêtises” und “enfantillages” taufen, wagt sich die Sage, die zarteste und keuscheste Poesie, meistens nur mehr schüchtern hervor. Kein Wunder also, wenn der Sagensammler trotz seiner grössten Mühe, trotz aller Opfer und Beschwerden, durch Wind und Wetter zu laufen, trotz aller seiner Ehrlichkeitsversicherungen mehr als einmal den mit alter Treue und grosser Innigkeit an seiner trauten Sage hängenden Landmann mit leerer Mappe verlassen muss. Zum Lobe unserer luxemburgischen Bevölkerung sei es gesagt, dass sie grösstenteils noch immer recht fest und mit echt deutscher Treue an dem kostbaren Gute der Sage, dem immergrünen Erbteile der Väter, festhält.’ Von den gedruckten Quellen, die Warker benutzt hat, sind die belgischen sämtlich in französischer Sprache; nur die luxemburgischen sind zum Teil deutsch. Er nennt sein Werk selbst eine Materialiensammlung. In der That lässt er sich nicht auf eine kritische Sichtung des Stoffes ein, obschon es z. B. sehr interessant gewesen wäre, festzustellen, wie die Sagen der belgischen Provinz Luxemburg mit denen des Grossherzogtums und des Deutschen Reiches zusammenhängen und welchen Einfluss die Sagen aus den wallonischen Gegenden in dem westlichen Teil der Provinz ausgeübt haben, der nicht mehr dem deutschen Sprachgebiet angehört. Jedenfalls tragen die Sagen noch durchaus ein germanisches Gepräge. Das gilt auch von den Sitten und | |
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Gebräuchen, deren hauptsächliche Warker ebenfalls beschreibt. Der Verfasser hat sich im Wesentlichen die luxemburgische Sagensammlung von Gymnasial-Direktor N. Gredt zum Vorbild genommen, der er übrigens manche Stücke entlehnt hat. Beide Verfasser sind aber insofern unkritisch zu Wege gegangen, als sie auch manche Geschichten aus Zeitschriften, Kalendern u.s.w. aufgenommen haben, die von einem Schriftsteller erfunden sind. Nicht jede Erzählung, die sagenoder märchenhaft klingt, kann auch als im Volksmunde lebend betrachtet werden. Die Arloner Sprichwörter, die Warker anführt, sind sämtliche solche, die im Grossherzogtum gang und gäbe sind. Etwas näher möchte ich auf die Arloner Sitten, Bräuche und Meinungen, eingehen. Früher, als die Stadt noch viel kleiner war und noch grössere Innigkeit unter der Einwohnerschaft bestand, und, wie Warker sagt, ‘der Peter in dem Hause des Klaus stets wie ein lieber Bruder aufenommen war’, herrschten auch mehr Gemütlichkeit und mehr Ungezwungenheit, grössere Eintracht und treuere Freundschaft unter den Leuten. Da ging keine Feier, keine Fastnacht und keine Kirmes vorüber, welche nicht von der ganzen Nachbarschaft unter allerlei Lustbarkeiten in trauter Gemeinschaft gefeiert worden wäre. Mit dem naiven Gemütsleben der Vorfahren ist mancher schöne Brauch und manche althergebrachte Sitte verschwunden. Zu Arlon war es ehedem Brauch, dass jeder Erwachsene am Mittfastensonntag den ‘Halbfasten-Hering’ essen musste. Wer das nicht that, von dem hiess es, die Mücken würden ihn im Sommer verzehren. Die Wirtshäuser waren an jenem Tage immer dicht mit Städtern und Bauern gefüllt. Der Hering wurde der Länge nach entzweigerissen und seine wie Silber glänzende ‘Seele’ mit einer gewissen Gewandtheit an die Zimmerdecke geschleudert. Nicht selten wurden in einer Wirtsstube so viele Heringe verspeist, dass die Decke fast ganz unter den ‘Seelen’ verschwand. Dieser Brauch | |
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erinnert so recht an die Ungebundenheit, die auf den vlämischen Kirmessen herrscht. Eine eigenartige Sitte bestand ehemals den ganzen Mai hindurch. Ging ein Mädchen des Abends durch die Strassen, und wäre es auch die Tochter eines angesehenen Rates gewesen, so konnte es ihm leicht vorkommen, von einigen Burschen ‘gehöht’, d.h. emporgehoben zu werden. Einer der Burschen hielt dem Mädchen die Arme, ein Zweiter die Beine fest, während ein Dritter sich die Maid auf die Schulter setzte und sie ein paar Mal kräftig schüttelte. War das unter allgemeinem Gelächter geschehen, so konnte das Mädchen weiterziehen. Das ‘Höhen’ wurde später polizeilich verboten. In der ganzen Provinz wird noch jetzt ein eigenartiger Brauch aufrecht gehalten. Am 6. Dezember findet nämlich alljährlich in Arlon der ‘Markt der Verliebten’ statt. Aus Bastnach, Neufchâteau und den andern luxemburgischen Ortschaften begeben sich die Landleute zu Fuss oder auf den mannichfaltigsten Wagen nach Arlon, um diesem Markte beizuwohnen. Festlich gekleidete junge Männer treffen mit den schmucken Bäuerinnen zusammen. In bestimmten Kaffeehäusern scherzen sie mit einander, während die Eltern der jungen Leute sich besprechen. Die Burschen kaufen denjenigen Mädchen, die ihnen gefallen, einen ‘heiligen Nikolaus’, d.h. ein kleines Geschenk. Auf diesen ersten Markt folgt am ersten Donnerstag des Monats Januar der zweite Markt. Hat man sich in der Zwischenzeit unter den Familien geeinigt, so findet auf diesem Markte die Verlobung statt. Die Vermittlung übernehmen die sich eines allseitigen Vertrauens erfreuenden ‘Heiligmänner’, welche die Verhältnisse genau kennen und die Bedingungen festsetzen. Zu diesem Zwecke verleben sie die Zeit zwischen den zwei Märkten in den beteiligten Familien, essen und trinken aufs Beste und werden sehr geehrt. Kommt die Heirat zu Stande, so erhalten sie bestimmte Prozente von der Mitgift und ausserdem - so will es der Volksbrauch - ein Paar Stiefel und einen Zylinderhut. | |
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Wer das Warkersche ‘Wintergrün’ liest, das noch manche andere merkwürdige Gebräuche enthält, hat auf den ersten 400 Seiten des Bandes keine Ahnung, dass er sich in einem der Verwelschung ausgesetzten Lande befindet. Erst im letzten Drittel kommen allmählich französische Namen von Gemeinden, Fluren u.s.w. vor. Von diesen haben übrigens einzelne neben den wallonischen Bezeichnungen auch noch deutsche, so die zur Gemeinde Herzig gehörige Ortschaft Fouches, die auf deutsch Offen heisst (Ofen, Fouches, entstellt von ‘fours’; früher befanden sich dort Kalköfen). Sehr spassig ist eine Mittheilung, nach welcher die Bewohner Hatrivals behaupten, ihr Dorf sei die erste Stadt des alten Frankreichs (Galliens) gewesen. ‘Immerhin steht fest’, sagt Warker, ‘dass die Hatrivalenser sich durch ihren lebhaften Charakter, ihre Energie und eine grössere Intelligenz vor den Einwohnern der umliegenden Dörfer auszeichnen Scherzeshalber nennt man sie Krähen’, weil sie, ohne bösartig zu sein, sehr laut sprechen, viel schwatzen und grossthun.’ Der Charakter der Belgisch-Luxemburger entspricht ungefähr demjenigen der Bewohner des Grossherzogtums: ziemlich nüchtern, etwas derb und rauh, im Grunde aber gutmütig. Reichsdeutsche und Wallonen kommen nicht immer gut mit ihnen zu Wege, besonders hält die erste Annäherung äusserst schwer. Im Metzer Lande sagt der Bauer in seiner altfranzösischen Mundart: ‘Lo va d'Erden ne vom myse ke le ja do peyi, s'a de mar' ja.’ Man wird diese eigenartige Mundart leicht verstehen, wenn man mit diesen Worten die französische Uebertragung des Satzes vergleicht: ‘Le vent d'Ardennes ne vaut pas mieux que les gens du pays, ce sont de mauvaises gens.’ (Der Wind von den Ardennen ist nicht besser, als das Volk dieses Landes; es sind schlechte Leute.) Wie man sieht, sind die Metzer nicht gut auf die Luxemburger und die Belgier zu sprechen, ob mit Recht oder Unrecht mag dahingestellt bleiben. |
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