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Vaters Frau!
von Reimond Stijns aus dem Vlämischen übersetzt durch Cl. v. Z.
Alles ist vorbei. Vor einem Augenblick kam ich durch die Hinterthür in das Elternhaus! Wie still und ruhig! Ja, viel zu still und viel zu ruhig, trotzdem die Turmuhr Mitternacht verkündete. Die Wohnung kam mir doch niemals so totenstill vor, und doch... Oh! Vater, Vater! Soeben habe ich Ivo, - deinen Sohn, meinen Bruder, - wie einen Hund begraben sehen. Und der Frau, die er Mutter nannte, hat solch ein Ereignis keinen Augenblick den Schlaf geraubt? Ich glaubte, dein Haus voll Jammer und Klage zu finden. Ich dachte, den Wachthund, den Ivo so liebte, heulen zu hören.... Nein! Alles still und ruhig!
Wie soll ich erzählen, was geschehen ist! - Es liegt mir wie eine brennende Last auf dem Herzen, mein Kopf schwirrt, schwirrt...
Mitternacht hat's geschlagen; beim ersten Morgengrauen wandre ich fort und kehre niemals wieder.
Sieh! Der Mond hängt über dem Dorfe; über den Nussbäumen erhebt sich der Kirchturm.... Vor dem Totenhaus liegt meine Mutter; links, hinter den alten Lebensbäumen haben sie Cilia begraben; soeben verscharrten sie Ivo im Hundeloch....
Ivo mein einziger Bruder. Wohl leben noch zwei grosse Söhne und eine erwachsene Tochter im Haus: Martha, Heinrich und Johann, - Kinder von Vaters Frau, - Ivo jedoch war mein Alles, was ich auf Erden besass...
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Arme Mutter, bist schon so lang, so lang begraben. Wie oft habe ich auf dein Grab gestarrt, niemals genug; heute weiss ich, dass ich unsern Kirchhof zum letzten Mal gesehn, oh, ich werde mir die Augen aus dem Kopfe weinen.... Und doch hatte ich bis zu dieser Woche seit Jahren nicht mehr geweint. Das thut man auch nicht, wenn man kein Mitleid erwecken kann... Wie erinnere ich mich der letzten Worte, die meine Mutter an den Vater richtete. - ‘Bruno, sei gut gegen unsere beiden armen Kleinen, die morgen mutterlos sein werden. Gieb Acht auf Willy, Bruno, gieb wohl Acht auf Ivo!’
Oh! Ja, gieb doch Acht auf Ivo! Nun liegt er da unten! Ivo, mein Junge, wer hat Acht auf dich gegeben?
.... Mutter war noch nicht lange tot.... Lass mich's dir erzählen, wie es mir frisch vor Augen steht... Ivo und ich, wir haben unsere besten Kleider an, Böllerschüsse donnern, junge Tannen sind vor das Haus gepflanzt, selbst unsere Wohnung ist geschmückt, und wir haben Geld in der Tasche, um Naschwerk zu kaufen; Alle sind freundlich. Die Knechte fassen uns bei den Händchen und Wanna, die Magd, küsst uns, was uns sehr befremdet.... Abends kommen Pferde auf den Hof und Wagen. In dem mit Blumen verzierten sitzen Vater und eine Frau, welche wir niemals gesehen... Wein wird an der Thüre geschenkt, man drückt sich die Hände; Pferde und Wagen kehren zurück, und der Vater tritt mit der Unbekannten hinein... Knechte und Mägde umringen ihren Herrn, er redet sie an... Darauf bringt man uns zu der Fremden und Vater sagt:
‘Das ist Ivo, der Aelteste... und dies ist Willy... Kinder, diese hier ist jetzt eure Mutter.’
Ich blicke auf; wie verführerisch, wie schön erscheint sie mir... ja, sie ist gross und schlank, hat schwarze Augen.... Sie befiehlt: ‘Bringt die Kinder zu Bett.’
Die alte Wanna, die ich des Morgens hab' weinen sehen, tritt vor und ruft: ‘Gieb doch Acht auf Willy!’
Ich erinnere mich dieser Worte, die Mutter auf ihrem
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Sterbebette ausgesprochen. Und Ivo, der sich so sehr um die tote Mutter gegrämt, sagt: ‘Das ist meine Mutter nicht!’
Es war nur allzu wahr! Nein, dies war seine Mutter nicht. Fremd und unheimlich ward's in unserm Hause! Wie traurig ist es, zu fühlen, wenn andere Kinder kommen, dass diese allein geliebt und dass jene, die früher auf Vaters und Mutters Schoss gesessen, bei Seite geschoben werden!
... Im Sommer war der Vater beinahe immer auf dem Feld. Wie oft aber geschah es, nicht wahr armer Ivo, dass, als Vater nach Hause kam, er, auf Klagen der Fremden hin, zur Peitsche griff, um uns - ach - so lange und grausam zu bestrafen.... Und oft hätten wir schwerlich sagen können, worin wir gefehlt hatten... Erinnerst du dich daran, Ivo, wie du einst mit dem Kopf gegen die Thür flogst, niederfielst und wie tot liegen bliebst?..... Damals sprang ich hervor und rief: ‘Vater, das werde ich der Mutter auf dem Kirchhof erzählen!’
Und was sagte die Frau?
‘Bruno, Bruno, eines Tages wirst du selbst noch von diesen bösen Buben misshandelt werden! - Da liegt solch ein Halunke, der thut, als ob er in Ohnmacht gefallen wäre, und der andre bedroht dich gar noch. Pass auf, Bruno!’
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Nein, wir haben niemals geheuchelt, und bei Allem, was Ivo gelitten, entschlüpfte keine Klage seinem Munde.... Er bat mich nur, das Dorf zu verlassen.... Diese Nacht gehe ich fort. Ja, Ivo, ich weiss - trotzdem sie immer behauptete, dass wir dumm und durch und durch schlecht seien - hat unser seliger Lehrer dich stets den Bravsten und Klügsten der Klasse genannt - und das warst du auch.
.... Vieles von früher schwebt mir vor dem Geist! -
Auf dem Kirchhof bei dem Totenhaus steht eine hölzerne Bank; im Frühjahr, so oft die Sonne schien, sah ich dich dort und neben dir sass Cilia, Schulmeister's Cilia. Wieviel Stunden habt ihr so nicht gesessen, Massliebchen um euch her und summende Bienen.
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Wie schön war Cilia damals schon! Und wie viel schöner ist sie geworden!
Seit sie tot ist, frage ich mich stets, was so bezaubernd an ihr wirkte... Ich weiss es nicht... Doch ja... Mund und Lippen, Kinn, Nase und Stirn, Gott selbst würde keinen Fehler daran entdeckt haben. Schön gezeichnet waren ihre Augenbrauen! Wie oft habe ich vergebens nach ähnlichen ausgeschaut. Als ich manchmal im Osten die Sonne voll Pracht aufgehen sah, dann - ich begreife nicht, wie es kam, dann dachte ich an Cilia's wallende Locken...
Und ihre Augen, die mich so tief, so sanft, so ernst, so süss fragend anblickten: Ein Himmel lag darin!...
Ivo und ich schliefen in einem Bett auf dem Speicher.
Ivo kam einmal später herauf als ich, und fragte: ‘Willy, hast du schon gehört, dass der neue Doktor Cilia zur Frau will?’
‘Ob ich's weiss,’ rief ich aus. ‘Und Jan Vergeys! und der Brauer und Karel Abeel! -’
‘'s ist wahr!’...
‘Ich muss dir etwas anvertrauen...’
‘Wir stehen allein auf der Welt und dürfen unter uns keine Geheimnisse haben...’
‘Du weisst, Willy, wie ich mich einst für dich schlagen liess und wie wir dann gelobten, für einander zu leben und zu sterben.....Seitdem habe ich dich, wenn möglich, noch mehr geliebt, und darum sage ich dir, was mir das Herz bedrückt, obwohl Cilia mich bat, kein Wort davon laut werden zu lassen.... Cilia und ich, wir waren allein; sie legte ihren Kopf an meine Brust und flehte, ewig zu verschweigen, dass sie mir ihre Liebe gestanden habe.
Ivo, ich sprach kein Wort, ich konnte es nicht. Meine Kehle war zugeschnürt... Du deutetest mein Schweigen als Furcht vor der Zukunft!
Ach, hätten wir damals gewusst, was uns vorbehalten war!
Ich will lieber erzählen, was die darauf folgenden Tage geschah; wie du, der Stolze, auf die Knie fielst und den
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Vater vergebens flehtest, deine Heirat mit Cilia zuzugeben...
Cilia's Vater war gestorben, sie besass nichts...
Ach Ivo, ich bin dir gegenüber nicht aufrichtig gewesen. Ich hätte dir zurufen müssen: Auch ich, auch ich liebe Cilia!
Ich hätte hinzufügen müssen, ich selbst hoffte, dass diese Heirat nicht zu Stande käme...
... Zwei Jahre zogen vorüber.
Aber was für ein Traufest ist dann gefeiert worden! Erst das Kind in ungeweihter Erde, dann Cilia in die allgemeine Grube und du schliesslich in's - Hundeloch!
Gewiss, für mich ist Cilia heilig! Und dennoch, so ein göttlich reines Antlitz und... ein Kind!
... Ivo, du und ich, wir lagen beide schlaflos im Bett. Du sprachst mir wieder von Cilia. - Es war lange her, denn ich beantwortete deine Fragen niemals, du sagtest mir:
“Ich habe soviel Geduld gehabt aber man wollte nicht. Jetzt wird man wohl müssen... 's ist schrecklich, aber jetzt wird man wohl müssen!... Cilia wird Mutter werden!
Was that ich dann? Ich sprang auf und gab dir einen Schlag, Ivo, einen Schlag, um dir den Kopf zu zerschmettern...
Du hast nicht zurückgeschlagen, du sagtest nur:
Willy, Willy! Du weisst nicht, wie unglücklich ich bin.”
Ich auch, Ivo, ich auch war unglücklich!
Am andern Tage riefst du den Vater allein in das Zimmer, aber sie kam mit herein, obwohl gegen deinen Wunsch...
Du beginnst: “Vater, ich würde dir mehr sagen, wenn wir allein wären. So aber nur dies: Cilia wird meine Frau!”
Sie schrie:
“Wenn ihr allein wäret! Ich bin also hier zu viel! Hätte ich das jemals ahnen können! Unglückliche zweite Mutter! Gieb ihm die Zustimmung, lass ihn gehen, dass er aufhört... Ha! Er will heiraten!... Mit der Tochter eines erbärmlichen Schulmeisters! Welch' Elend!”
Ich war in der Küche, die Thüre stand halb offen, ich hörte Alles.
Der Vater sprach: “So, so! Du wirst heiraten!... Du erklärst
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das einfach, du frägst nicht mehr? Du bist gross geworden, Bursche!”
Der Vater bebte vor Wut; es musste etwas geschehen...
Sie rief aus: “Schau ihn nur an!... Freilich frägt er nicht! Wenn er mit dir allein wäre! Wäre ich nicht hier!... Begreifst du nicht?...
Sie ist schwanger, sie ist schwanger... 'ne Schlunze ist sie.
Ivo hatte seine Linke wie bittend nach dem Vater ausgestreckt; jetzt wandte er sich zu ihr und rief:
Von Dir vertrage ich nichts.... Eine Schlunze sagst du, eine Schlunze.” Dies Wort wiederholte er drei, vier Mal und trat einen Schritt vor. Ivo war ein starker Bursche, der hundert Kilo schwere Säcke auf den Wagen werfen konnte. Er trat auf sie zu, ich las Furchtbares in seinen Augen... Ich sprang hinzu und rief, indem ich mich vor Vaters Frau stellte:
“Zurück, zurück, sonst ermordet er dich!”
“Ermorden!” schrie der Vater, ergriff ein schweres Stück Holz, das neben dem Heerd stand und gab Ivo einen Schlag auf den Schädel, blutend fiel dieser nieder.
... Wochen und Monde bist du krank gewesen, Ivo. Und als du den schrecklichen Ausdruck in den Augen hattest, war es nicht allein um Cilias willen, sondern all' des Leidens wegen, das wir zusammen erduldet hatten. Lange, sehr lange bist du krank gewesen.
Einmal hörte ich wie der Doctor zum Vater sagte, dass in Folge des Schlages vielleicht etwas in Deinem Gehirn verschoben wäre. Und was antwortete sie? “In Folge des Schlages”.... Sollte der Schlag vielleicht unterbleiben?... Sollte man den Kerl vielleicht einen Mord begehen lassen?... Etwas im Gehirn!... Sein Gehirn ist niemals klar gewesen... Eine zweite Mutter muss gar viel vertragen; ich weiss was man aussagt: 's ist für und durch mich, dass so etwas geschah! Doctor, Sie sind kein Freund des Hauses!... Das hatte ich von Ihnen nicht erwartet!... Sie kennen ihn von
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Kind an; haben Sie ihn jemals sprechen, sich amüsiren sehen, wie andre Jungen?... Betrachten Sie Martha, Heinrich und Johann, die sind fröhlich und aufgeweckt den ganzen Tag. Liebe zu mir liest man auf ihrem Antlitz, während die beiden Andern mich stets anstarren, als wollten sie mich durchbohren... Wer lehrt sie das?.... Oder liegt das in ihrem Blut? “.... O ja, der Schlag ist zu beklagen! Hätte ich keinen Wittwer geheiratet, dann wäre so etwas niemals vorgekommen... Aber ich folgte der Stimme meines Herzens und das ist nun meine Strafe!... ja, ich wiederhole es, sie sind Beide schlecht, und Beide halb verrückt!”
Ich konnte mich nicht länger bezwingen, trat hervor, ballte die Faust und rief:
“Ivo ist nicht schlecht, - vielleicht bin ich's. Ivo ist gut und nie verrückt gewesen!”
Wüthend sah ich sie an. Der Vater ergriff mich bei der Kehle, er schäumte vor Wuth....
Was lag mir am Leben, da Cilia für immer für mich verloren war. Der Doctor sprang herzu und rief:
“Was wollt Ihr thun?... Ist es mit Einem nicht genug? Lasst los, zurück!... Ihr handelt nicht recht.... Und Ihr Frau, soeben bedrohtet Ihr mich.” Soll ich Jedem sagen, was für eine schlechte Mutter Ihr seid? Ihr habt die Kinder erster Ehe verfolgt, gequält, gemartert. Wie könnt Ihr es wagen so unbarmherzig zu sein?’...
Darauf wandte er sich zum Vater, sprach von unsrer guten seligen Mutter und endete mit den Worten:
‘Nie werde ich mehr einen Fuss über diese Schwelle setzen, jedoch passt auf, dass ich nichts mehr höre!’
Dann ging er davon.
Weinend war sie auf einen Stuhl gesunken; ich blieb stehn, blickte nach dem Vater, zögernd wies er mir die Thür.... Ich verliess die Wohnung, bemerkte durch das Fenster, wie er sich zur Frau hinsetzte und ihr mit sanften Worten zuzusprechen schien.... Des Nachts, als ich mit Ivo im Bett lag, erkundigte
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sich dieser, was der Lärm da unten bedeutet habe. Ich antwortete: ‘Nichts.... Nicht der Mühe werth.’
Nach einer Pause fragte er mich: ‘Hast Du schon Jemand sterben sehn?
Ja, Nardus, den Flachsbrecher.’
‘Ich erinnere mich: Du standst mit mir an seinem Bett.... Wolltest du auch so sterben?’
Ich behauptete ihn nicht zu verstehen. ‘Du weisst wie Nardus Tag und Nacht schrie und klagte.... So möchte ich nicht sterben.... Ich habe schon viel gelitten, aber wollte man mich selbst in Stücke reissen, so würde ich dennoch schweigen. Geh morgen nochmals in meinem Auftrag zu Cilia und wiederhole, was ich vom Sterben gesagt habe.... Und so bald ich auf bin, wird sie meine Frau, müsste ich meinen Leib in Stücke zerfetzen lassen.’
Wir schwiegen beide. Nach einer Pause frug er:
‘Vernahmst Du nichts?... Ich möchte schwören, dass ich Jemanden vor der Thür seufzen hörte... Rufe 'mal...’
Ich sprang aus dem Bett, eilte zur Thür, riss sie auf.
Durch das Dachfenster an der Treppe fiel der Mondschein herein, ich sah meinen Vater vor mir.
Tiefe Rührung lag in seinem Auge, er flüsterte:
‘Still!... Still!...’
Ich wusste nicht was thun, ich bat:
‘Vater komm herein... komm herein!’
Er that's und sagte:
‘Geh' schlafen Junge, geh' schlafen.’
Ich war sehr betroffen, weil er mich so kurzweg Junge nannte; war's doch als hätte er Mitleid mit Jemand. Ich legte mich wieder zu Ivo.
Der Vater stellte sich vor das Bett, und es schien mir, als ob seine Brust sich höbe... Niemand sagte ein Wort, das Schweigen dauerte lang, so lang... bis es endlich wie Gurgeln aus seiner Kehle kam, er schluchzte:
‘Kinder, betet ihr manchmal ein Vaterunser?... Ein Vaterunser für eure Mutter?
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‘Für welche Mutter, Vater?’ frug Ivo, und so schwach er war, richtete er sich mit Gewalt empor. ‘Für welche Mutter, Vater?’
‘Für die Mutter die tot ist’, antwortete er.
Ich weiss nicht was in Ivo vorging; er, der niemals den Vater anzusprechen wagte, flog ihm jetzt an den Hals, küsste ihn und schluchzte:
‘Vater, Vater ich danke dir, ich danke dir... Mein Leben lang will ich dich lieb haben... Vater, wenn die Mutter noch lebte, dann - ach sie liebte Cilia so innig - sie würde unsrer Heirat zustimmen... Vater thu' du es auch; verlange alles in der Welt und ich gebe es dir...’
‘Halt ein, halt ein’, bat der Vater. ‘Hört!’
Unten vernahm man das sonderbar drohende Husten der Frau! Der Vater sprach:
‘Ich kam um das Dachfenster zu schliessen... Schweig', hab' Geduld, Ivo, es wird sich alles zum Besten wenden... Du weisst nicht, wie unglücklich ich bin.’
Der Vater entfernte sich. Ich folgte ihm und sah vorsichtig über das Treppengeländer.
Die Frau stand da unten, die blossen Arme über der halbnackten Brust gekreuzt.
.... O welchen Kummer hat Ivo mir manchmal bereitet ohne es zu wissen! Er frug mich, ob er gesund sein werde, bevor Cilia niederkäme; ob alle Menschen wüssten, dass sie schwanger wäre; ob sie mutig wäre; ob ich ihr gesprochen von leiden und schweigen...
Ach, Ivo, hätte ich in die Zukunft blicken können, wie hätte ich da gehandelt... so aber nagte mir Eifersucht am Herzen..... Welch' furchtbarer Tag, als man mich zu ihr rief. Niemand durfte es Ivo sagen. Er würde aufgesprungen sein, hätte das Zimmer verlassen und durfte es doch nicht: er war noch nicht genesen und wäre sicherlich gestorben...
Es war ein Kindchen tot zur Welt gekommen... Und die Mutter war so krank, ach, so krank! Ich flog zu ihr.
Der Arzt war da; der alte Mann nahm mich beiseite und sagte:
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‘s' ist zu Ende mit ihr...Gewähr ihr nur alles, was sie wünscht.’ Er liess mich allein mit Cilia.
‘Warum ist Ivo nicht gekommen?’ fragte sie.
Ich bebte wie ein Rohr, konnte erst nicht sprechen und stammelte endlich:
‘Müsste er jetzt das Zimmer verlassen, es kostete ihm sicher das Leben.’
Nachdem sie eine Weile nachgedacht, sprach sie:
‘Sie wussten nicht, dass ich alles vernommen ... Ich konnte mich nicht rühren, lag da wie tot, und doch hörte ich, wie der Arzt meinte, ich würde den morgenden Tag nicht mehr erleben ... Wäre Ivo doch nur gekommen; das Kindchen ist uns vorausgegangen und ... Doch nein, nein, nein! .. Sage ihm, dass er lebe; lange noch lebe; viele Jahre glücklich sei... Ich hatte den Pastor ersucht, für mich und Ivo ein gutes Wort einzulegen, aber er wollte nicht; er ist der Freund der zweiten Mutter ... Ja, der Priester wollte nicht, und war nun gekommen, um mich beichten zu lassen; ich habe mich geweigert ihn zu empfangen... Ich will ihn nicht, ich will ihn nicht -
Sie richtete sich halb auf und schrie:
‘Ich will ihn nicht!.. Er weigerte sich mir zu helfen, meinem Kinde einen Vater zu geben, damit es kein Kind der Schande wäre; er ist nicht der Mann um meine Rechnung mit dem Herrn auszugleichen. Das wird Ivo gemeinsam mit mir thun vor Gott... Wir müssen Beide einstehen für das, was wir verbrochen ... Sage das dem Ivo...’
Ein beseeligendes Feuer lief durch ihre Adern, bei jedem Wort, das sie sprach ... Und doch, wie schrecklich blass sie schien; es war, als ob die Zunge langsam erlahmte, ich sah etwas Sonderbares um ihre Lippen schweben... Sie stöhnte:
‘Nein, Ivo darf nicht kommen ... Ich sterbe! .. Küsse mein Kindchen.’
Die kleine Leiche lag dort in einer Wiege unter weissen
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Tüchern ... Das Wichtchen war so klein, so klein, gleich einem Wachsbildchen.
‘Küss' es’, flehte sie.
Als ich dies gethan, blickte sie mich an und bat:
‘Küsse nun auch mich.’
Ich wusste wohl warum, weil meine Lippen auf dem Gesichtchen des todten Kindes geruht hatten, und ich, der sie so lieb hatte, ich küsste sie. Kaum hörbar flüsterte sie:
‘Sag' ihm, er soll leben und glücklich sein .... aber vor Gott werden wir zusammen steh'n ... Dein Mund hat mein totes Kindchen geküsst, lass nun meinen fast leblosen Mund den Deinen küssen... und überbringe Ivo diesen meinen letzten Kuss ...’
Mein Herz brach fast. Cilia hat es gewünscht: ‘Dein Mund hat mein totes Kindchen geküsst, lass nun meinen fast leblosen Mund den Deinen küssen ...’
Ja, das war's, was sie sagte. Und so hab' ich seit Vaters Heirat den ersten Kuss empfangen. Ich weiss nicht wie wild und unsinnig ich mich dabei angestellt, was ich ausgerufen, wen und was ich verwünscht und verflucht... Cilia war tot und mit ihr mein und Ivo's Glück?
(Schluss folgt.)
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