Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Thesen zur LandarbeiterfrageGa naar voetnoot(1)I. Thatbestand.I. Der Landarbeiterfrage (Landarbeiternot im Osten) liegt eine Doppelerscheinung zu Grunde: Der Zug nach dem Westen und der Zug in die Stadt. Die nach dem Westen ziehen, sind, wenn auch nicht ausschliesslich, doch der Mehrzahl nach Wanderarbeiter, sie verbringen den Sommer im Westen, für den Winter kehren sie zurück. Die in die Stadt gehen, gehen dahin meist mit der Absicht, daselbst ständigen Aufenthalt zu nehmen, Beide Erscheinungen führen zu einem Landarbeitermangel in den Grenzgebieten, deren östliches Hinterland, aus dem der Zug nach dem Westen zu bewerkstelligen wäre, Ausland ist. 2. Die Ursachen des Zuges vom Osten oder vom Land weg sind beim Zug nach dem Westen vornehmlich ökonomischer, beim Zug in die Stadt psychologischer und ökonomischer Natur. | |||||||||||||||||||||||||||||
A. Psychologische Faktoren.Die Stadt bietet mehr Anregung, ein abwechselungsreicheres, minder eintöniges Leben. Bereits das Strassenbild kommt hier in Betracht. Sie bietet mehr Gelegenheit der Unterhaltung, der Annäherung beider Geschlechter, dabei ein Minus an Kontrole, grössere Ungezwungenheit und Ungebundenheit, grössere Selbständigkeit. Welche grössere Selbständigkeit dann aber auch für alle anderen Beziehungen gilt, so insbesondere für das Dienstverhältnis. Die Herrschaft des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer ist weniger betont. Der Arbeiter hat sich nicht in gleichem Masse wie auf dem Lande als Untergebener zu fühlen, er fühlt sich einfach als Verkäufer der von ihm angebotenen Ware ‘Arbeit’, als Verrichter des von ihm verkauften Dienstes. Endlich giebt ihm auch noch die Möglichkeit der Vereinigung mit Gleichgestellten, Gleichgesinnten seiner Wahl, seine Inanspruchnahme für politische Zwecke ein höheres Mass von Selbstgefühl, als er es auf dem Lande zu gewinnen vermag. | |||||||||||||||||||||||||||||
B. Oekonomische Faktoren.Winterarbeit in der Stadt. Häufig, nicht immer höherer Durchschnittslohn in der Stadt, dabei Möglichkeit des Aufsteigens für den begabteren Arbeiter zu besseren Stellungen. Da der Lohn durchweg als Geldlohn gezahlt wird, volle Freiheit seiner Verwertung nach dem persönlichen Belieben des Empfängers. Zu den psychologischen und ökonomischen Faktoren treten. | |||||||||||||||||||||||||||||
C. Täuschungselemente.mit Hinsicht auf das Leben in der Stadt, die den Zug in dieselbe befördern. Solche Täuschungselemente sind: Ueberschätzung des Geldlohns in Hinsicht seiner Bedeutung als Reallohn, Unterschätzung des Wertes der auf dem Land gewährten Realien, Unterschätzung der Kosten derselben in der Stadt. Der minder Befähigte wird bestochen durch die dem höher Befähigten gezahlten Löhne, meint auch seinerseits sie erzielen zu können. Uebersehen werden die Schattenseiten des Städte-Lebens, die sich hauptsächlich ausdrücken in seiner grösseren Schädlichkeit, sodann die Gefahr der Arbeitslosigkeit bei unterdurchschnittlicher Leistungsfähigkeit, die in gleichem Masse auf dem Lande nicht besteht. | |||||||||||||||||||||||||||||
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Diese Faktoren gelten beim Zug vom Land in die Stadt. Beim Zug vom Osten nach dem Westen giebt der meist höhere im Westen gezahlte Lohn den Ausschlag. 3. Sind diese Zustände ungesund? | |||||||||||||||||||||||||||||
Der Zug nach dem Westen.Er entspricht einem thatsächlichen Arbeitsbedarf im Westen, einheimische Arbeiter daselbst werden durch den Zug aus dem Osten, soviel bekannt ist, nicht aus der Arbeit geworfen, der Zug nach Westen bringt kein Ueberangebot an Arbeitern daselbst zu Wege. | |||||||||||||||||||||||||||||
Der Zug nach der Stadt.Der Zug nach der Stadt geht notorisch - darauf weisen vielerlei Wahrnehmungen in den Städten hin - über den Bedarf hinaus. Dies zeigt 1. die Thatsache des städtischen Proletariats, der, wenn auch unter Umständen nur auf kleine Percente der städtischen Bevölkerung beschränkten Arbeitslosigkeit daselbst. Dies zeigt 2. die Thatsache, dass dem Zuge in die Stadt ein Rückstrom aus der Stadt gegenüber steht, der oft nicht einmal kleiner ist als der Zuzug. Wir haben einen Zug nicht bloss in die Stadt, sondern auch einen Zug aus der Stadt.
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II. Abhülfe und Aussichten.4. Wahrscheinlich von vornherein ist, dass die Möglichkeiten der Abhülfe hier wie überall der mit elementarer Macht vordringenden Entwicklung nur zum Teile, zum kleineren Teile, gewachsen sind, sie im ganzen und grossen aber nicht stauen können. Das ist die Resignation, die die Betrachtung socialer Dinge dem Wahrheitssucher aufdrängt, die aber freilich für die moderne politische und selbst wissenschaftliche Betrachtung sozialer Dinge nur selten besteht. 5. Es ist Beschränkung des Rechts der Freizügigkeit gefordert worden. Die organisatorisch einzig richtige, gleichzeitig politisch einzig mögliche ‘Beschränkung’ oder ‘Regelung’ des freien Zuges vom Land in die Stadt ist eine Organisation der Arbeitsvermittlung, welche darauf hinwirkt, dass die Auswechselung der begabteren Elemente, welche die Stadt braucht, gegen die minder begabten, welche sie abgeben kann, thatsächlich abgiebt, und die dem Land, wie vielerlei Thatsachen ausweisen, häufig genügen, nicht nach dem Regime der Zufälligkeit, sondern nach dem Regime der Ordnung geschieht. Eine materielle Beschränkung der Freizügigkeit liegt in solcher Ordnung nicht. Ob eine solche Arbeitsvermittlung freilich, die möglicherweise staatlich in Scene zu setzen wäre, eine Organisation des Zugs in die Stadt werden kann, ist fraglich. Ich glaube es nicht. Aber sie kann eine Organisation des Zugs aus der Stadt werden. 6. Das Land wird desto erfolgreicher der Stadt Konkurrenz machen, je bessere Arbeitsund Lebensbedingungen es bietet. Bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen sind höhere Löhne, fortschreitend bessere Behandlung, die Möglichkeit der Ansiedelung, eigenen Gutserwerbs, also des Aufsteigens zu halber, dreiviertel oder ganzer Selbständigkeit. 7. Immerhin haben sich Stadt und Land in die einmal vorhandene Bevölkerung zu teilen. Und die Frage ist nun, ob die einmal vorhandene Bevölkerung für den Bedarf | |||||||||||||||||||||||||||||
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von Stadt und Land ausreicht. Es liegt nicht genügend Material vor, um diese Frage abschliessend zu beantworten. Aber das kann ausgesprochen werden, dass in Deutschland sich allmählich Verhältnisse anzubahnen scheinen, in welchen trotz der starken Bevölkerungsvermehrung dahier nicht Arbeitsmangel, sondern Menschen-, bezw. Arbeitermangel den Notstand bezeichnet. 8. Um diesen Notstand aufzuheben oder abzuschwächen, ist weiter vorgeschlagen, für die Einwanderung aus dem Osten die Thore des Reichs zu öffnen. Theoretisch stehen dem Reiche alsdann zur Verfügung: Russische Polen, Oesterreichische Polen, Oesterreichische Ruthenen, Oesterreichische Slowaken, österreichische Südslaven, Italiener, nicht slavische russische Bevölkerung, solche nämlich der Ostseeprovinzen: Esten und Letten. Aus nationalen Gründen auf der einen, sozialen Gründen auf der anderen Seite wird die Oeffnung der Grenzen für die Angehörigen dieser nicht deutschen Völkerstämme nicht beliebt. Der darin liegende Verzicht aus nationalen Gründen verdient um so höher in seinem Werte angeschlagen zu werden, als er ohne Opfer seitens jener, welche ihn aussprechen, nicht möglich ist. 9. Diese Opfer kommen in letzter Linie zum Ausdruck in einer bei Fortdauer und Verschärfung der gegenwärtigen Zustände für die nächsten 50 oder 100 Jahre wahrscheinlichen ökonomischen und sozialen Umwälzung im Osten des Reichs. Abzuwenden ist dieselbe, wenn andauernd hohe Fruchtpreise, das Zurückweichen der ausländischen Getreidekonkurrenz es ermöglichen, dem ländlichen Arbeiter höhere Löhne zu zahlen als dem städtischen und ihm noch andere Vorteile zu gewähren, welche die in der Stadt gewährten und vorausgesetzten wett machen. Ist solches nicht möglich, so könnten als Erscheinungen des kommenden Jahrhunderts, vielleicht schon seiner ersten Hälfte, zu gewärtigen sein:
Als Grund und Folge all dessen: Entwertung des Grundbesitzes, insbesondere des Grossgrundbesitzes, bei welchem die Arbeitsfähigkeit des Grundbesitzers in der Wirtschaft nicht oder nur als dispositive in Anschlag kommt, vielfach Bildung kleinerer Parzellen, insbesondere solcher für welche bereits die Arbeitskraft des Besitzers ausreicht, ohne dass aber von diesen Parzellen, so wie es von der inneren Kolonisation gedacht ist, ein Arbeiterstrom ausgehen würde zur Verfügung des Grossgrundbesitzes. Breslau. Julius Wolf. |
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