Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdGeschichte der Einwirkungen der deutschen Litteratur auf die Litteratur Dänemarks (und Islands).The wir zur Betrachtung der dänischen Litteratur übergehen, auf welche von den nordischen Litteraturen der Einfluss naturgemäss am stärksten sein musste - weil Dänemark in direktester Berührung mit Deutschland stand und noch steht - wollen wir noch vorübergehend der neuisländischen Litteratur gedenken, eine Litteratur, welche im Verhältnis zu der geringen Grösse des Landes oder vielmehr zur Einwohnerzahl eine sehr reiche ist. Die Isländer haben ein warmes und reges Interesse für die Erinnerungen der Vorzeit und auf wenigen Stellen in der Welt, bemerkt Frederik Winkel Horn, ist der Sinn für Dichtkunst in höherem Sinne so allgemein verbreitet, wie auf Island; nirgends wird der wirkliche Dichter von seinem Volke so hoch in | |
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Ehren gehalten wie hier. Die Dichtergabe ist hier in der That ein Adelsbrief, der überall Geltung hat, wohin der Dichter kommt. In diesen eigentümlich günstigen Verhältnissen ist sicherlich der wesentlichste Grund zu suchen, dass dieses kleine Völkchen in Jahrhunderten voller Not und Leiden eine Reihe von Dichtern hervorbringen konnte, von denen nicht wenige in der That einen Platz in der grossen Dichterhalle der civilisierten Welt beanspruchen können. Ein eigentlich hervortretender Einfluss der deutschen Litteratur auf die neuisländische ist nicht wahrzunehmen, aber wir haben die letztere hier zu erwähnen, weil sie eine meisterhafte Übersetzung von Klopstocks ‘Messias’ - ins Neuisländische von Yon Thorlackson (1744-1819) übertragen - aufzuweisen hat. Wie schon bemerkt, hat die deutsche Litteratur auf die dänische in umfassendster Weise eingewirkt. Schon am Schlüsse des Mittelalters hatte sich das Deutschtum in Dänemark auf allen Punkten der Herrschaft bemächtigt. Die deutschen Universitäten waren es, welche die alleinige höhere Bildung vermittelten, und als im Jahre 1479 die Universität Kopenhagen gegründet wurde, berief man an sie von der Rheinischen Universität Bonn die ersten Lehrer. ‘Die Einwirkung Deutschlands auf alle dänischen Verhältnisse war eine unvermeidliche Folge der ganzen historischen Situation, aber jener Einsfluss musste auch notwendigerweise der Entwicklung eines selbständigen Geisteslebens und einer eigentümlichen, auf nationaler Grundlage ruhenden Litteratur hemmend in den Weg treten... Die Hansestädte hatten sich allmählig des ganzen Nordens bemächtigt, deutsche Handwerker waren massenweise eingewandert, die dänischen Könige waren von deutscher Herkunft, die Bildung des Landes war deutsch, sofern sie nicht lateinisch war.’ Von Deutschland kam die Reformation nach Dänemark. Von den Führern der Reformation in Dänemark, sowie anderen Gebildeten wurden geistliche Gesänge aus dem Deutschen ins Dänische übersetzt. | |
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Hans Tavsen (1494-1561), welcher am meisten zur Durchführung des Reformationswerkes beitrug, hielt sich lange in Rostock auf. Von hier ging er nach Wittenberg, hörte Luther und ward von ihm für den neuen Glauben gewonnen. Nach Kopenhagen zurückgekehrt, wurde er in Luthers Geist Reformator seines Vaterlandes. Aus dem Zeitalter der Reformation haben wir von Hermann Vejyern den aus dem Plattdeutschen übersetzten Reineke Fuchs (En Raeffuebog) hier zu nennen, welcher im Jahre 1555 erschien. Die Einführung der Reformation in Dänemark bewirkte auch, dass die Universität Kopenhagen in eine protestantische umgebildet wurde. Ihre Einrichtung, sowie die ganze Ordnung des Kirchenwesens, mit dem sie in die engste Verbindung trat, geschah durchaus in deutschem Geiste. Das eigentliche Vorbild für die dänische Hochschule wurde Wittenberg, denn Luthers Freund Bugenhagen, welcher von dem Könige Christian III. zur Neugestaltung der kirchlichen, wie der Universitätsverhältnisse nach Dänemark berufen war, hatte daselbst als Professor gewirkt. - Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ein Abschnitt, welcher den Namen des gelehrten Zeitalters führt, war Tyge Brahe. Nachdem er sein Vaterland nach dem Tode seines hohen Gönners Friedrich III. verlassen hatte, erhielt er von dem gelehrten Grafen Heinrich Rantzau das Schloss Wandsbek zum Aufenthalt, wo er im Jahre 1598 sein Werk ‘Astronomiae instauratae Mechanica’ herausgab. Er widmete dasselbe dem deutschen Kaiser Rudolf II. Anders Arrebo (1587-1637) schloss sich in seiner Dichtung ‘Hexaëmeron’ dem von Martin Opitz in seiner ‘Prosodia germanica’ aufgestellten System an, wonach die Betonung der Silben das Bestimmende ist. Er wählte den von Opitz als heroisches Versmass empfohlenen Alexandriner, welcher von da ab lange Zeit im dänischen Epos und Drama verwendet wurde. | |
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Aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben wir Ludwig Holberg, geboren im Jahre 1684 zu Bergen in Norwegen, zu nennen, welcher von Deutschland die fruchtbarste Anregung empfing. Er war selbst kürzere Zeit in Deutschland und gab 1717 sein ‘Natur- und Völkerrecht’ heraus, ein Werk, für welches Grotius, Pufendorf und Thomasius die Vorbilder lieferten. Erik Pantoppidan (1698-1764) verfasste eine wertvolle Geschichte der dänischen Kirche in deutscher Sprache. Das Zeitalter der Aufklärung (1750-1800) führte eine grosse Zahl deutscher Gelehrter und Dichter nach Dänemark, wo dieselben die neuen Ideen ausstreuten. Die Begünstigung des fremden Elementes erregte aber in Dänemark einen bitteren Kampf, aus welchem das nationale Element am Ende siegreich hervorging. Bereits im Jahre 1751 ward Klopstock nach Dänemark berufen. Er erhielt bis zu seinem Tode von der dänischen Regierung, wie bekannt, eine Pension von 400 Reichsthalern. In einer Ode widmete der deutsche Dichter dem dänischen Könige den noch in demselben Jahre erscheinenden ersten Band des Messias (5 Gesänge). Als Klopstocks Freund, der Graf Bernstorff im Jahre 1771 von Christians VII. Günstling, Struensee, verdrängt wurde, siedelte Klopstock nach Hamburg über. Klopstock übte einen mächtigen Einfluss auf die poetische Geschmacksrichtung in Dänemark aus. Der grösste dänische Dichter dieser Zeit, Johannes Ewald, welcher im preussischen und dann im östreichischen Heere diente, empfing von ihm die wirksamste Anregung; sein biblisches Drama ‘Adam ag Eva’ ist ganz im Geiste der Klopstockschen Schöpfungen gehalten. Klopstock, dessen Bekanntschaft Ewald machte, regte ihn persönlich zu dem Trauerspiele ‘Rolf Krage’ an. Freilich musste die spezifisch deutsche Geistesrichtung der Entwicklung des nationalen Elementes in der dänischen Litteratur entgegen sein; um Klopstock scharte sich ein grosser Kreis geringer dänischer Dichter, welche seine Nachahmer wurden. Nennenswert ist hier nur der Norweger Sternersen | |
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(1723-76), der in seinen Oden über eine blosse geistlose Nachahmung Klopstocks hinausging. Wie Klopstock hat insbesondere der grösste deutsche Dichter, Göthe, umfassend auf die dänische Litteratur eingewirktGa naar voetnoot*). Am 19. September 1776, bemerkt Brandes in der erwähnten Abhandlung, berichtete die dänische Kanzlei dem Könige über eine von Göthes ‘Werther’ zu veranstaltende dänische Übersetzung, dass ‘das Buch die Religion verspotte und die guten Sitten verderbe.’ Aber das Verbot das Buch zu übersetzen, sagt der erwähnte dänische Literarhistoriker, hatte keine Wirkung in einem Lande, wo alle Gebildeten Deutsch verstanden. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts war die Wertherepidemie unter der Jugend Dänemarks sehr stark verbreitet. Dennoch brachen sich die Werke Göthes in Dänemark nur langsam Bahn, obschon man Göthe schätzte und seiner Entwicklung mit Vertändnis und Freude folgte. Rahbeck gab eine Übersetzung von ‘Wilhelm Meisters Lehrjahre’ heraus. Der norwegische Dichter Johann Herman Wessel (1742-1785) freilich parodierte in seiner komischen Erzählung ‘Stella’ Göthes gleichnamiges Schauspiel. Fruchtbarer gestaltete sich Göthes Einfluss bei den folgenden Dichtern. Jens Baggesen (geb. 1764), bei welchem sich eine tiefere Einwirkung des deutschen Geistes zeigt, ist Göthe indes noch nicht näher getreten. Er wurde von dem Herzoge von Augustenburg nach Deutschland gesandt, wo er mit Voss, Klopstock, Wieland, Schiller, Herder und Jacobi in nähere Verbindung trat. Baggesen wohnte in Weimar bei Wieland; Göthe sah er aber zu dieser Zeit nicht, dieser war in Schlesien. Im Jahre 1795 machte Baggesen Göthe bei einem neuen Aufenthalte in Weimar einen Besuch, der keinen günstigen Eindruck bei dem ‘hysterisch empfindsamen’ Dänen erweckt haben muss. Dagegen erfüllte ihn die Philosophie Kants mit Begeisterung. Seine von derselben erhaltenen Eindrücke legte er nieder in dem Werke ‘Labyrinthen eller Digtervandringer.’ (1792-1793.) | |
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Baggesen hatte das Bestreben auch deutscher Dichter zu werden. In seinen Werken gewahrt schon ein flüchtiger Blick seine Vorbilder. Seine Oden und Lieder stehen unter dem Einflüsse Klopstocks; seiner Idyllik diente Voss, seinen komischen Erzählungen Wieland zum Muster. Später wurde Baggesen auch Göthe geneigter. Die Schwester Oerstedts, zu welcher er eine heftige Neigung fasste und welche mit der deutschen Litteratur innig vertraut war, übte Einfluss auf seine bisherigen einseitigen Urteile über Göthe aus. In seinem Tagebuche bemerkt er im Jahre 1807: ‘Lelia (d.i. Sophie Oerstedt), diese reine poetische Seele bewirkte, dass ich (1806-1807) Göthe zu lesen anfing, während ich früher in seinen Schriften nur geblättert habe.’ Baggesens deutsche Gedichtsammlung ‘Haideblumen’ enthält nicht nur Anklänge an Göthe, sondern auch direkte Huldigungen. Baggesens Verhältnis gestaltete sich dennoch wieder kühler gegen Göthe. ‘Der zersplitterte, unruhige, enthusiastische, hyperkritische Baggesen’, bemerkt Brandes mit Recht, ‘konnte Göthe nicht rückhaltlos erkennen, ohne gleichzeitig sein eigenes poetisches Wesen zu verurteilen oder wenigstens als eine untergeordnete Entwicklungsstufe anzusehen.’ Baggesen zog lange Zeit in der Fremde umher und starb im Jahre 1826 in Hamburg. Stark ist der Norweger Henrik Steffens (1773-1845) von dem deutschen Geiste beeinflusst worden. Mit dem Jahre 1801 war überhaupt ein Umschlag in der neueren dänischen Litteratur erfolgt. Steffens war ein eifriger Jünger Schillings. Nach Dänemark zurückgekehrt, verkündete er hier dessen neue Lehre und öffnete der jüngeren Generation die Augen für die Bedeutung und Grösse Göthes. ‘Eine unruhige Empfänglichkeit, ein inniger Erlösungsdurst’, äussert GottschallGa naar voetnoot*), ‘trieb den Nordländer an die Quellen des deutschen Geistes dessen Offenbarungen er mit Begeisterung nachstotterte; aber es war nicht Lessings scharfer Geist, noch weniger Schillers feurige Energie, | |
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die ihn anlockten; es waren die phantastischen Wunderwelten der Romantik, in die er sich mit Andacht versenkte. In patriotischer Begeisterung focht er die deutschen Befreiungskriege mit und lehrte dann die Naturwissenschaften auf preussischen Lehrstühlen.’ Steffens hat deutsche Dichtung in Dänemark nach allen Seiten hin verbreitet; seine Vorlesungen hatten die fruchtbringendste Wirkung. Grundtvig fasste das Wesen derselben in die Worte zusammen, ‘dass, wenn man wissen wolle, was Poesie sei, nur Shakespeare und Göthe zu lesen seien, wenn man einen Begriff von Philosophie haben wolle, so solle man nur Steffens hören und Schelling lesen.’ Von den talentvollen jungen Männern, welche sich um Steffens scharten, ist der hervorragendste Adam Öhlenschläger (1779-1850). ‘Durch seine zahlreichen Berührungen mit den deutschen Romantikern hat er vieles aus ihrer Weltanschauung angenommen, ohne ihre ästhetische Dogmatik Punkt für Punkt zu unterschreiben. In einer für sein Vaterland förderlichen Weise hat er besonders den glücklichsten Grundsatz der Romantiker in Theorie und Praxis adoptiert und die Poesie mit der Eigentümlichkeit des nationalen Lebens und seiner grossen Erinnerungen zu befruchten gesucht. Dadurch gewann er für Dänemark und den ganzen skandinavischen Norden eine hervorragende Bedeutung... Den grössten Eindruck auf das Gemüt des Jünglings machte Schiller, und es ist ebenso ehrenvoll für die Selbständigkeit seines Urteils, wie für die tüchtige Grundrichtung seiner Geschmacksbildung, dass er sich durch die Geringschätzung, welche die Romantiker gegen diesen Dichter hegten, keineswegs die Bewunderung für unseren grössten dramatischen Genius rauben liess. Im Jahre 1805 reiste Öhlenschläger mit einem dänischen Stipendium, welches ihm von Schillers geistvollem Protektor Schimmelmann für seine ersten, eben erchienenen Dichtungen bewilligt worden war, nach Deutschland. Hier wurde er bei Göthe und bei den Koryphäen der ““jungen Schulerd”” eingeführt. Göthe beobachtete den jungen Dänen, der noch unbeholfen mit dem deutschen Sprachidiom rang, als ein interessantes Menschen- | |
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exemplar, einen Beitrag zur Völkerkunde, aus dem er sich die dänische Nation konstruierte, wie aus seinem venetianischen Schafschädel das ganze Tier.’ Öhlenschläger verkehrte in Weimar fast täglich mit Göthe. Fichte, welchen der Däne in Berlin besuchte, wurde von Öhlenschlägers Redseligkeit anfangs abgestossen, doch nannte er ihn später einen ‘wackeren Mann’! In Berlin lernte Öhlenschläger auch die Gebrüder von Humboldt kennen. Näher trat er Hegel, sowie Ludwig Tieck in Dresden. In dieser Stadt sah er zum ersten Male Gemälde von Correggio; sein Drama gleichen Namens führt sich auf diese Zeit zurück. Von den übrigen Romantikern, welche Öhlenschläger teils bei dieser teils bei einer späteren Reise im Jahre 1817 kennen lernte, entwirft er anziehende Schilderungen (Briefe in die Heimat, 1820). Bekannt wurde er auf denselben mit Rückert, Uhland, Schelling, Beethoven, Maria v. Weber, den Brüdern Grimm, Grillparzer, Fouqué, Hoffmann, Friedrich Schlegel, August Wilhelm Schlegel, Zacharius Werner, Arnim, Brentano u.s.w. Öhlenschläger hat von dem deutschen Geiste die mächtigsten Anregungen empfangen. Seine Werke ‘Alladin’, ‘die Fischerstochter’, welche er Tieck widmete, ‘die Drillingsbrüder von Damask’ stehen unter dem Einflusse von Tiecks Märchendichtungen. Seine Künstlertragödie ‘Correggio’ schrieb er in deutscher Sprache, da ‘er den Wunsch hegte, das Bürgerrecht auch in der deutschen Litteratur zu erwerben.’ In dem in derselben auftretenden Buonarotti ist mit Leichtigkeit Göthe wieder zu erkennen, während Tieck das Vorbild des Julio Romano lieferte. Zwei Göthische Gedichte, ‘Künstlers Erdenwallen’ und ‘Künstlers Apotheose’, die Öhlenschläger übersetzt hat, enthalten ausserdem im Grundriss die Idee des Dramas. ‘Correggio’ begründete Öhlenschlägers Ruf in Deutschland und wurde in mehreren Städten mit Beifall aufgenommen. Göthes Einfluss verspürt man am meisten in Öhlenschlägers Judgendwerk ‘St.-Johannes Abend-Spiel’, welches nach dem ‘Jahrmarktsfest zu Plundersweilern’ geschaffen ist. | |
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Der ‘Palnatoke’ behandelt einen ähnlichen Stoff wie Schillers ‘Wilhelm Teil.’ Göthes ‘Götz’ hat wesentlich dazu beigetragen, dass Öhlenschläger früh zu den nationalen Stoffen seines Volkes zurückgriff. Seine Begeisterung für die mittelalterlichen Baudenkmäler Dänemarks ist hervorgerufen durch Göthes Enthusiasmus für das Strassburger Münster. Nach Göthes Beispiele schöpfte er auch aus den alten Volksliedern. Öhlenschläger war lebhaft von dem Gefühle durchdrungen, wie viel er der deutschen Litteratur zu verdanken habe, von der aus seine dichterische Thätigkeit den entscheidenden Anstoss erhalten hatte und mit deren Koryphäen ihn ein enges Freundschaftsbündnis verknüpfte. ‘Wunderbar und seltsam’, urteilte Steffens, ‘war seine Leichtigkeit, mit welcher er das innere Verständnis der deutschen Sprache sich zu eigen zu machen wusste, obgleich er mit der Grammatik derselben völlig unbekannt war.’ Aber eben dieser letzte Umstand bildete auch den Grund dafür, dass seine Werke ausser in den eigentlich litterarischen Kreisen wenig Beachtung fanden. Er übertrug dieselben selbst ins Deutsche in einer Form, welche viel zu wünschen übrig liess. - Von den deutschen Romantikern, welche im ganzen einen weiter gehenden Einfluss auf die dänische Litteratur ausübten als Göthe, und von der damals in Deutschland stark entwickelten Naturphilosophie ist Adolf Wilhelm von Staffeldt (1769 bis 1826) wesentlich angeregt worden. Er schrieb mit Leichtigkeit in deutscher Sprache; in seinen Dichtungen kommen direkte Nachahmungen Göthes zahlreich vor. Ohne seine Vertiefung in Göthes Dichtungen hätte er überhaupt nie die Stelle eingenommen, die er als dänischer Lyriker erreicht hat. Auch G. Christian Oerstedt (geb. 1777), welcher Göthe 1822 in Weimar besuchte, ist von dem letzteren beeinflusst worden. Bernhard Severin Ingermanns (geb. 1789) erste Gedichtsammlung, welche dieser im Jahre 1811 veröffentlichte, erinnert in dem sie beherrschenden elegischen Tone an die Romantiker, mehr aber noch an Schiller. | |
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Unter entschiedener Einwirkung von Schellings Naturphilosophie und der der deutschen Romantik steht der Norweger Johannes Karsten Hauch. Er besuchte Deutschland im Jahre 1821 und trat mit Tieck in freundschaftliche Beziehung. Hauchs Erstlingswerk, das elegisch-romantische Gedicht ‘Die Hamadryade’, ist von deutschem Geiste inspiriert. Hans Christian Andersens (1805-75) Märchen sind ein Gemeingut der Nationen geworden, vor allem der deutschen. ‘Andersen wurzelt mit seinem Wesen mehr in Deutschland als in Dänemark.’ Eine Gesamtausgabe seiner Werke in deutscher Sprache hat Andersen selbst besorgt. Seine erste grössere Schöpfung ‘Fodreise fra Holmens Kanal til Östpynten of Amager’ ist eine humoristische Phantasie in Hoffmanns Manier. Frederik Christian Sibbern (1785-1872) war von Begeisterung für Göthe erfüllt. Er reiste nach Deutschland, traf aber Göthe weder in Weimar noch in Jena. Er pilgerte daher zu Fuss nach Karlsbad, wo derselbe sich aufhielt. Sibbern beschäftigte sich sein ganzes Leben hindurch mit Göthes Schöpfungen, seine Briefe an Henriette Herz legen davon ein beredtes Zeugnis ab. In seinem Werke ‘Über Poesie und Kunst’ ist Göthe als der ideale Künstler dargestellt. Johann Ludwig Heiberg (1791-1860) befestigte die geistige und künstlerische Überlegenheit Göthes dauernd in dem Bewusstsein des dänischen Volkes. Er, welcher eine einflussreiche Stellung in der Litteratur einnahm, hat alles, was er von Göthe in sich aufgenommen, zum geistigen Eigentum der höheren Klassen Dänemarks gemacht und dadurch seinem Einfluss weitere Bahnen geöffnet. Heiberg führte auch die Hegel'sche Philosophie nach Dänemark über und war, wie die meisten Hegelianer, Anhänger von Göthes Farbenlehre. In seinem Aufsatze ‘Über die Bedeutung der Philosophie’ (1833) äussert er: ‘dass die übertriebene Bewunderung Shakespeares lächerlich und unverzeihlich in einem Zeitalter sei, das einen weit grösseren Dichter besitze. Göthe stehe durchaus nicht in Liebe zu den Einzelheiten der Natur und des Menschenlebens hinter Shakespeare zurück, im Gegenteil er übertreffe ihn auch in der liebevollen Vertiefung | |
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ins Endliche’ u.s.w. In Heibergs Werken finden sich überall zerstreute Beiträge zur Ästhetik der Göthischen Dichtung. Er gab überdies einen Auszug des Briefwechsels zwischen Schiller und Göthe heraus. Wie die Dichtung Dänemarks, so ist von Deutschland fast jedes geistige Gebiet daselbst: die Philosophie, Litteraturforschung, Altertumsforschung, Geschichtsforschung und Philologie mehr oder weniger beeinflusst worden. ‘Auf die jüngste Generation in Dänemark’, bemerkt der bekannte, wegen seiner ausgesprochenen Sympathieen für Deutschland heftig angefeindete Litterarhistoriker Georg BrandesGa naar voetnoot*), ‘hat Göthe durch hundert Kanäle gewirkt. Seine Dichtung, seine Weltansicht, seine Ideen sind vielen so ins Blut übergegangen, sein Einfluss hat durch so viele Kanäle gewirkt, dass nur wenige mit einiger Genauigkeit ihre Schuld an ihn anzugeben vermögen. Man las in den Jahren, da das jetzt in den dreissiger Jahren stehende Geschlecht aufwuchs, in Dänemark wenig deutsch. Die Nationalfeindschaft gegen Deutschland, die wir fast alle als Jünglinge gegen Deutschland leidenschaftlich teilten und die nach dem Verlust des ganzen Schleswig heftig aufloderte, machte uns die deutsche Litteratur wenig sympathisch. Überhaupt ist die deutsche Geistesart den Dänen fremder, als man nach der Verwandtschaft und nach der langen Abhängigkeit von Deutschland glauben sollte. Göthe war aber (mit Heine) einer der wenigen Sterne Deutschlands, die auch zur Zeit, da die nationale Entfremdung von Deutschland am grössten war, ihr Licht über die Grenze sandten. Nicht dass seine Werke in guten, künstlerisch ausgeführten Übersetzungen vorlagen; die Übersetzungen, die es von ihnen giebt, sind fast ohne Ausnahme schlecht, veraltet oder verschollen und sind nie populär gewesen. Wer ihn gelesen hat, las ihn im Original.’ Es ist wahr, das Jahr 1864 hat eine unvermeidliche Kluft zwischen Dänemark und Deutschland geschaffen. Dänemark kann | |
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aber nur zu seinem Heile der Thatsache eingedenk sein, dass es mit dem deutschen ein verwandtes Volk ist, dass Deutschland allein segenbringend auf dänisches Denken und Dichten einwirken kann. Charlottenburg. Dr. Otto Weddigen. |
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