| |
| |
| |
| |
Holland und Seine Bewohner
(Schluss)
In der Mitte ein langer Tisch mit den unvermeidlichen Kohlenhecken mit glühendem Torf zum Anzünden der Pfeifen und Cigarren, die einen dichten Tabaksqualm verbreiten. Hinter der Kajüte ist der Steuermann des Schiffes so postirt, dass er über die Kajüte hinweg den Blick nach vorn frei hat. Vor der Kajüte, an der Spitze des Schiffes ist ein Mastbaum aufgepflanzt, an dessen Spitze man eine nach dem Lande zulaufende starke Leine befestigt, welche von einem Pferde im Trabe gezogen wird. Auf dem Pferde hockt ein halbwüchsiger Bursche, het jagertje, der Jäger genannt, der einer alten Trompete schreckliche Töne entlockt, wenn er ein entgegenkommendes Schiff zum Ausweichen veranlassen, oder eine Schleuse zum Durchfahren geöffnet haben will. Ueber die Schnelligkeit eines langsamen Hundetrabes kommt diese Beförderungsart nicht hinaus, der Holländer vom alten Schlage benutzte die trekschuit aber am liebsten von allen Reisemitteln. Man fand sie am meisten in den nördlichen Provinzen, die überhaupt die Eigenthümlichkeiten Alt-Hollands am zähesten conserviren. Dort sah man zu meiner Zeit auf den Dörfern noch den alten bedächtigen Mijnheer in Kniehosen und Schnallenschuhen, wie er mit der langen Thonpfeise im Munde, den schwarzen Cylinderhut auf dem Kopfe, seine Tulpenbeete besichtigte. Dort, auf den Inseln der Zuiderzee linden wir heute noch genau dieselben Trachten bei den Schiffern, deren Frauen und Kindern,wie sie im Mittelalter gebräuchlich waren. Und wenn diese langen knochigen, wetterfesten Gestalten, diese Enakssöhne der Inseln Urk und Marken in ihrer wunderbaren Kleidung nach Amsterdam kommen, und
| |
| |
ihnen dort der Fremde in den Strassen begegnet, wie sie schweigend hinter einander herschwanken, die Hände tief in den Taschen der Pluderhosen vergraben, da hat man den Eindruck, als seien diese Figuren aus dem Rahmen irgend eines Rembrandt'- oder van Dyk'sehen Bildes herausgetreten, als greife eine Geisterhand aus früheren Jahrhunderten uns an.
Man kennt aus Gemälden diese Trachten der alten Fischer, weniger bekannt aber sind die nicht minder originellen Trachten der heutigen weiblichen Landbevölkerung, die sich besonders durch den Kopfputz von einander unterscheiden. Der nationale Kopfschmuck der Bäuerinnen ist die Goldplatte, oder ein Goldreif, an deren verschiedenen Formen man erkennen kann, welcher Provinz die Trägerin angehört. In Noordholland z. B. werden lange flache Goldbleche auf den kurzgeschorenen Kopf gelegt; die Frauen in Groningen lassen diese Bleche an den Schläfen zu beiden Seiten in goldene Blumen auslaufen; in Overyssel tritt an Stelle dieser Blumen eine gewundene Spirale, die in grossen Kreisen auf den Schläfen aufliegend ganz spitz zulaufend eine Hand breit vom Kopfe absteht, während in Friesland die Goldbleche in einem dicken Knopfe an der Stirn endigen. Der Kopfputz der Provinz Noordholland wird noch besonders malerisch durch eine Kapuze von weisser Gaze, reich mit Spitzen garnirt, von der Stirn über den Kopf bis in den Nacken fallend; quer über die Stirne geht dabei eine etwa zwei Finger breite, reich mit Perlen oder Edelsteinen besetzte Goldspange, welche sich an den Schläfen zu beiden Seiten in zwei grosse viereckige Goldplatten öffnet, ähnlich den Scheuklappen der Pferde. Kopfhaare sieht man bei dieser Tracht nicht, die werden sorgfältig unter der Kapuze verborgen, nur bei den Scheuklappen lassen die Frauen zwei wohlgedrehte Locken, die sogenannte Schnecke sehen, an welchen handfesten Locken Kapuze und Diadem mit grossen goldenen Nadeln, die wie Stricknadeln aussehen, befestigt werden. So in der Beschreibung nimmt sich das zwar nicht gut aus, wenn man sich aber das hübsche blühende Gesicht eines jungen Mädchens dazu denkt, und die Provinz Noordholland ist berühmt wegen ihren weiblichen Schönheiten, so giebt das Ganze einen lieblichen
| |
| |
Anblick. Solch' ein Kopfputz hat nebenbei bemerkt oft hohen Werth, über 1000 Gulden, und wandert als Familienerbstück von einer Generation in die Hände der folgenden.
Da ich gerade bei den Trachten bin, so will ich noch die der Waisenkinder in Amsterdam erwähnen. Die Waisenmädchen dort gehen in langen Kleidern, deren eine Hälfte oben am Halse bis unten zu den Füssen schwarz, während die andere Hälfte feuerroth ist, dazu tragen sie enganliegende, bis zum Ellenbogen hinaufreichende Lederhandschuhe. Der Anblick ist ein grotesker, wenn eine Schaar der Mädchen, wohlgeordnet nach der Grösse, in langer Reihe durch die Strassen zieht. Sieht man sie von der rechten Seite, so ist Alles schwarz, von der anderen Seite ist die ganze Gesellschaft roth. Im Uebrigen ist vortrefflich für die Kinder gesorgt.
In Holland pflegt jeder einigermassen bemittelte Mann sein Haus allein zu bewohnen, als Miethspartei mit Anderen ein Haus theilen, gilt nicht für passend, das thun nur unverheirathete junge Leute. Dieser Sitte entsprechend findet man selten ein grosses, auf gemeinsame Benutzung mehrerer Familien berechnetes Haus. Ein Jeder baut für sich allein ein kleines Haus nach seinem Geschmack, ohne sich seinen Nachbaren in Grösse oder Styl anzupassen. So bietet denn eine lange Häuserreihe ein merkwürdiges Comglomerat von seltsamen Giebelformen und gespenstischen Schornsteinen, von allen möglichen Ausartungen des Häuser-Anstrichs und besonders der Bauart selbst, in welcher der Styl aller Jahrhunderte und aller Nationen vertreten ist. So will es die persönliche Freiheit der Besitzer. Die Häuser sind stets fest verschlossen mit einem schweren Messingklopfer an der Hausthüre, die Fenster meistens dicht verhängt, denn sich am Fenster zu zeigen, gilt nicht für schicklich. Die Frauen und Töchter der besseren Stände würden niemals zum Zeitvertreib, oder um frische Luft zu schöpfen, zum Fenster hinausschauen, wie das bei uns doch gern geschieht. Wie ein Heiligthum wird dort die Häuslichkeit gegen unbefugte Einblicke Fremder geschützt. In ihrer Häuslichkeit aber sind die Holländer, gleich den Engländern, Virtuosen, und man kann auf sie wohl das Goethe'sche Wort anwenden:
| |
| |
‘Der ist am Glücklichsten, er sei
Ein König oder ein Geringer, dem
In seinem Hause Wohl bereitet ist.’
Viel trägt zu dem behaglichen Charakter des holländischen Hauses die festgefügte Organisation des Haushaltes bei, namentlich das Verhältniss zwischen Herrschaft und Gesinde. Man gönnt den Dienstboten dort eine grössere Selbstständigkeit, als es bei uns Sitte ist. Eine Holländerin aus guter Familie geht fast nie in die Küche, vom Kochen versteht sie nichts, geschweige denn etwas vom Reinmachen oder anderer häuslicher Arbeit. Das ist Sache der Dienstboten. Dadurch gewinnt sie natürlich viel Zeit zur Repräsentation, in welcher die Frau ihre Hauptaufgabe erblickt. Ich möchte hier einschalten, dass die Holländer in ihren Anschauungen über Liebe und Ehe wenig von unserem deutschen Hermann und Dorothea-Element halten, dass sie einer Romantik des Lebens im deutschen Sinne, beispielsweise der Schwärmerei vor und nach der Verheirathung unzugänglich sind. Von sentimentalen Empfindungen lassen sie sich überall nicht gern beeinflussen, mehr von thatsächlich praktischen. Heirathen werden in Folge dessen mehr unter dem Einflusse wirtschaftlicher als Gefühlsrücksichten geschlossen, doch würde es eine grobe Uebertreibung sein, wollte ich behaupten, dass nur solche Motive massgebend sein. Es kommen im Gegentheil recht häufig Ausnahmen davon vor.
Wenden wir uns nach dieser Abschweifung wieder der Hausfrau zu, wie sie in der Repräsentation ihre Beschäftigung findet. Das ist natürlich nur möglich bei guten Dienstboten, und ich nehme keinen Anstand, auf Grund meiner Beobachtungen zu behaupten, dass der holländische Dienstbote im Allgemeinen auf einer höheren Bildungsstufe steht und zuverlässiger ist, als bei uns, gar nicht zu reden von der vollendeten Sauberkeit und Ordnung, welche dort in allen Verhältnissen den Menschen zur zweiten Natur geworden ist. Ehrlichkeit und Treue der dortigen Dienstboten sind noch kein leerer Wahn, und Fleiss und Pflichtgefühl bei den meisten Mädchen verbunden mit Schlichtheit der Gesinnung. Die Löhne sind nur wenig höher,
| |
| |
als bei uns. Sparsam gehen die Mädchen mit dem Verdienst um, und doch übertrifft so eine Amsterdamer Köchin an Sauberkeit und Schicklichkeit ihres ganzen Wesens besonders ihres Anzuges ihre ausländischen Kolleginnen weitaus. Niemals würde sie sich wie ihre Herrin kleiden, wie das bei uns und in Frankreich immer mehr Mode wird. Das holländische meisje, die Maid, hat den Takt zu fühlen, dass sich für sie nicht schickt, was ihrer Herrin ziemt. In ihrem Departement dagegen sind sie kleine Tyrannen, sie setzen einerseits eine Ehre darein, durch gute Leistungen Tadel zu vermeiden, lassen sich aber andererseits nicht in ihrer persönlichen Freiheit beschränken, dafür sind sie eben Holländerinnen. Eine richtige Amsterdamer Köchin kündigt lieber ihren Dienst, ehe sie zugiebt, dass ihre Herrin ihr in die Töpfe guckt.
Der Erziehungsplan für Töchter von guter Familie schliesst deshalb von vornherein ein praktisches Eingreifen in die häuslichen Arbeiten aus und beschränkt sich auf die Beaufsichtigung des Dienstpersonals. Nur in einem Punkte betheiligt sich die Holländerin der höheren Stände mit an dem Haushalte, und zwar in der Behandlung der Wäsche. Darin sind die Frauen sehr geübt, und auf ihren Wäscheschrank ist die Holländerin noch ebenso stolz wie unsere altdeutschen Vorfahren in der besten Zeit des selbstgesponnenen Leinens es waren.
Und wie soll ich die Reinlichkeit, die Sauberkeit schildern, welche die Häuser von aussen wie innen ziert! Sie ist ja sprichwörtlich bekannt, aber ich bekenne offen, dass sie für mich etwas Beängstigendes hatte. Ich erinnere mich heute noch mit Unbehagen des Donnerstags, des feststehenden Reinmachetages für Amsterdam, wo ich erst durch Besen und Scheuertuch aus meinem Zimmer vertrieben, und dann auf der Strasse fortwährend von Strömen Wassers bedroht wurde, welche die Mädchen durch Handspritzen bis hoch an die Dachgiebel der Häuser hinaufschleuderten. Und doch ist das beständige Putzen und Reinigen eine Notwendigkeit, denn Metall beschlägt und oxidirt sonst leicht bei dem feuchten Klima, und andere Gegenstände überziehen sich leicht mit Schimmel, wenn sie nicht
| |
| |
immer blitzblank gehalten werden. Blank und sauber ist deshalb Alles, sei es ein Schiff oder Viehstall, eine Strasse oder ein Haus! In den Häusern werden aus dem erwähnten Grunde viel Marmorplatten zur Belkleidung der Böden und Wandflächen benutzt. Als Bel-Etage gilt das Erdgeschoss, da man die meist engen und steilen Treppen Fremde nicht gern steigen lässt. Jedes Zimmer ist mit einem Teppich bedeckt, und die übrige Einrichtung raffinirt praktisch und behaglich. Doch will ich eine Unsitte nicht unerwähnt lassen. Die Frauen bedienen sich nämlich gern eines Fussschemels, der, ein kleiner Holzkasten, in seinem Innern ein irdenes Gefäss mit glühendem Torf birgt. Unsere Marktweiber nennen das Feuerkike, in Holland heisst man es stoofje. Stoofjes findet man überall, in der Kirche, im Theater, auf dem Schiff und im Familienzimmer, überall wird man von dem betäubenden Torfdunst verfolgt, der so specifisch holländisch ist, wie der Steinkohlengeruch in England, der Juchtengeruch in Russland der Moschusduft in Italien und der Asphalt-Geruch in Berlin. Zu den Prachträumen des holländichen Hauses ist unbedenklich die Küche zu zählen, in welcher häufig ein grosser Luxus an Messing, Kupfer und Porzellan entfaltet wird, unter Lezterem viel echt chinesisches und japanisches Fabrikat. Bei Häusern auf dem Lande findet sich bisweilen noch die alte Sitte, dass sich ausser dem gewöhnlichen Eingange noch eine Thür im Erdgeschosse befindet, die sich für die Bewohner nur bei drei Gelegenheiten im Leben öffnet: bei der Taufe, bei der Hochzeit und beim Begräbniss; sonst ist sie stets verschlossen. Dabei fällt mir noch eine andere Sitte ein, die noch jetzt ganz allgemein, auch in den Städten beobachtet wird. In Häusern nämlich, in denen sich Kranke oder
Wöchnerinnen befinden, wird, zur Vermeidung des geräuschvollen Nachfragens von Theilnehmenden, täglich draussen an die Häusthüre ein Zettel geheftet, der über das Befinden des Patienten Auskunft giebt. Wen's interessirt, der kann draussen lesen, was er wissen will, in das Haus begehrt Keiner Einlass, der nicht Geschäfte dort zu verrichten hat. Und wenn dann ein Kranker stirbt, so lassen die Ueberlebenden den Todesfall
| |
| |
bei der ganzen Nachbarschaft und sonstigen Bekannten durch den sogenannten aanspreker ansagen, Lohndiener mit ewig betrübten Gesichtern, ganz schwarz angezogen, Frack, Kniehosen und Schnallenschuhe, bedeckt mit einem scharzen Dreimaster, an dessen Ecken lange Trauerwimpel flattern. Der Volkswitz nennt diese Leute kraaijen, Krähen. Solcher typschen Gestalten giebt es noch viele in Holland, es gehört dazu auch der Angler. Der Angel-Sport wird in ganz Holland, mit Ernst und Leidenschaft betrieben. Einem wohlausgerüsteten Angler kann man häufig begegnen, da die Leute meilenweit, oft die ganze Nacht hindurch wandern, um einen günstigen Fischplatz zu erreichen, um dort mit stoischer Ausdauer den Fang wissenschatlich zu betreiben.
Auch Pferderennen gehören zu den Passionen der Bevölkerung, doch wird stets nur im schnellen Trabe geritten. Die grösseste Rolle aber spielt unter den Vergnügungen das Schlittschuhlaufen. Man bedient sich dabei meistens ganz glatter Eisen, keiner Hohlkehlen, und des alten friesischen Modells, auf dem man zwar nicht so kunstgerecht, wie auf dem modernen Halifax, dafür aber um so schneller laufen kann. In der Provinz Vriesland giebt es Schlittschuhläuferklubs, welche ganz vorzügliche Läufer ausbilden und mit ihnen oft interesante Wettkämpfe veranstalten. Es wird in Holland durchweg gut gelaufen, die vielen Kanäle bieten die herrlichsten Tummelplätze dafür, und es ist ein hübscher Anblick, die Bauern ihre schweren Lasten mit grosser Sicherheit und Schnelligkeit zur Stadt schaffen zu sehen. Malerischer aber noch ist das Bild einer langen Kette von Frauen und Mädchen in den geschilderten National-Trachten, wenn sie auf dem Eise ihre Lasten graziös auf dem Kopfe balanciren und damit in rhytmischen Schwünge pfeilschnell dahin schiessen. Zur Winterszeit herrscht überall auf dem Eise das regste Leben, Buden und Zelte, Eiskaroussels und Rutschbahnen erstehen zahlreich, und für ein gutes Essen und warmes Getränk wird überall ausreichend gesorgt.
Bildet so im Winter die Eisbahn das Hauptvergnügen für das Volk, so ist, oder vielmehr war es damals im Sommer und
| |
| |
Herbst die Kirmess, die jeder Ort in Holland, möge er noch so klein sein, einmal im Jahre feierte. In neuerer Zeit sind diese Kirmessvergnügungen sehr beschränkt, ja, aus den grossen Städten beinahe ganz verschwunden. Früher dauerte sie gewöhnlich mehrere Wochen und meistens war ein Jahrmarkt damit verbunden. Auch dieses Treiben ist originell, aber bei weitem nicht so harmlos, als das Eisvergnügen, denn hierbei kehrt der Pöbel in den grösseren Orten und Städten seine unangenehmsten Seiten heraus. Es wird übermässig viel getrunken und gesungen, wenn man dies bacchantische Geheul noch singen nennen kann. In Schwärmen jagt das angeheiterte Volk sich Abends in den Strassen herum unter wüstem Toben und Geschrei, und wenn ein Fremder in diesen Strudel hineingezogen wird, so mag er von Glück sagen, wenn er heil davon kommt. Nicht, dass die Absicht vorläge, sich an Iemandem ernstlich zu vergreifen, aber die saturnalische Kirmessfröhlichkeit erreicht Abends und Nachts eine solche Höhe, dass es für anständige Leute gefährlich ist, sich dahinein zu begeben. Tags über geht es gesitteter her, und man sieht dann mitunter ganz lustige harmlose Bilder. Dahin rechne ich z. B. das Kirmessvergnügen der Dienstmägde. Für diese giebt es keine grössere Seligkeit auf Erden, als die Kirmess. Der Gedanke daran verlässt sie das ganze Jahr hindurch nicht, und eifrig wird dafür gespart. Ist endlich der berühmte freie ‘Kirmesstag’ erschienen, den sie sich schon beim Kontraktschluss mit der Herrschaft ausbedungen haben, so wird der gut gefüllte Spaartopf hervorgeholt, und mit dem Schatz, d.h. dem Herzallerliebsten, zieht das Mädchen zur Kirmess. Ist ein Liebhaber nicht vorhanden, so geht das Mädchen auf ein für diese Zeit errichtetes
Büreau, und miethet sich dort einen Kirmessburschen für einen halben oder ganzen Tag. Der fungirt dann als ihr Beschützer und wird dafür gut honorirt, wobei das Mädchen noch die ganze Zeche bezahlt. Die Bezahlung des Burschen richtet sich nach seiner äusern Erscheinung. Besitzt er z.B. einen schwarzen Cylinderhut und seidenen Regenschirm oder gar einen modernen neuen Rock, so erhält er mehr, als ein Anderer, der sich nur in Jacke und Mütze, mit baumwollenem Regenschirm zur Verfü- | |
| |
gung stellen kann. Mitunter macht wohl auch ein ganz Feiner so hohe Ansprüche, dass ihn ein Mädchen allein sich nicht leisten kann. Dann thun sich zwei Freundinnen zusammen, miethen gemeinschaftlich den Kirmessburschen, die eine fasst ihn rechts, die andere links unter, und so stürmen sie tanzend und singend in das Kirmessvergnügen hinein.
Trotz aller Zügellosigkeit des Treibens bei solchen Gelegenheiten bemerkt man doch selten Polizei, die sich geflissentlich bei allen friedlichen Festlichkeiten, Aufzügen und Versammlungen bescheiden im Hintergrunde hält. Das freie Volk regiert sich in solchen Fällen selbst, und ernstliche Conflicte kommen selten vor.
Ich könnte noch weitere Bilder aus Holland, speciell aus Amsterdam, wo sich des Interessanten so viel findet vorführen. Es sei z.B. daran erinnert, wie jenes nordische Venedig auf 90 Inseln gebaut ist, welche etwa 300 Brücken mit einander verbinden. Alle Gebäude ruhen auf Pfählen, deren Beschaffung ganze Wälder verschlungen hat. Ich möchte auf die schönen breiten Grachten hinweisen, wo auf dem Kanal in der Mitte stattliche Segelschiffe ziehen zwischen den grünen Bäumen am Quai entlang, und den bunten Häuserreihen zur Rechten und Linken. Ich möchte das Judenviertel durchwandern, in dem heute noch über 60,000 Menschen ein abgeschlossenes, interessantes Leben führen. Mitten in diesem Stadtviertel liegt die berühmte Diamantschleiferei von Coster, die grösseste der Welt, mit 600 Arbeitern, lauter Juden. Wir könnten den nahegelegenen Industriepalast, ähnlich dem in Sydenham bei London, besuchen, und die reichhaltigen Kunstsammlungen des Rijksmuseums aufsuchen, in denen die wunderbaren, aus dem fernen Osten stammende Produkte der Mongolen und Malayen in einer Fülle und Mannigfaltigkeit uns geboten werden, wie man es nur noch in London wiederfindet, abgesehen ganz von den einheimischen Kunstschätzen der Holländer, welche, besonders in der Malerei einen der ersten Plätze unter allen europäischen Sammlungen einnehmen. Aber das würde hier zu weit führen. Ich muss aus diesem Grunde auch darauf verzichten, die volkswirtschaftlichen
| |
| |
Zustände zu beleuchten, die Entwickelung des holländischen Welthandels zu schildern, der in seinen verschiedenen Phasen so äusserst interressant ist. Man erinnere sich nur der Thätigkeit der ostindischen Compagnie, und der Verdienste, welche sich dies grossartige Privatunternehmen um die Erschliessung von China und Japan für Europa erworben hat. Ueber 100 Jahre besass die Compagnie vertragsmässig unter allen Nationen das alleinige Recht, direct mit Japan einen Handelsverkehr zu unterhalten. Aus jener Zeit hauptsächlich datirt der grosse Reichthum Hollands, die Mitglieder der Compagnie waren alle Millionäre, und viele ihrer Nachkommen sind es heute noch, wenn auch die Compagnie seit 1795 verstaatlicht ist, und in Folge dessen ihre Bedeutung verloren hat.
Es muss dem Leser überlassen bleiben, sich gelegentlich einmal durch eigene Anschauung ein vollständigeres Bild von Holland und seinen Bewohnern zu verschaffen, als ich es hier in aller Kürze zeichnen konnte.
(Berlin)
Zie volgende nota der redactie.
O. Muhlbrecht.
|
|