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Plaudereien eines Greises.
I.
Im ersten (Oktober-) Heft der mit Recht durchweg in sogenannten lateinischen Schriftzeichen gedruckten ‘Germania’ schreibt Baron von Ziegesar in seinem trefflichen Aufsatze über Luxemburger Zustände (S. 50): ‘Die Vlamen kämpfen über sechzig Jahre für ihre Sprachrechte mit einer Hartnäckigkeit, die endlich zur Siege führte......, dem germanischen Elemente gehört die Zukunft in diesem Lande.’
Mich hat das ganz besonders erfreut, weil ich vor mehr als fünfzig Jahren wenigstens mittelbar an besagtem Kampfe teilgenommen. Ich hielt nämlich im Winter von 1847 auf 1848, während ich die Bibliothek des Herzogs von Aremberg zu geschichtlichen Studien benutzte, im Cercle artistique et lit- | |
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téraire zu Brüssel vor freilich kleinem Zuhörerkreise Vorlesungen über die Entwickelung des deutschen Drama's und gelangte bei dieser Gelegenheit in nähere Beziehungen zu den dortigen Vorkämpfern der Vlamen, namentlich zu Herrn Delcour, dem damaligen Präsidenten des Tribunals erster Instanz, wie zu einigen Brüsseler Advokaten und Herren aus Gent - Professor Willems war kurz zuvor gestorben.
Obgleich die belgische Verfassung bekanntlich keiner der im Lande gesprochenen Sprachen einen Vorzug zugesteht und die vlämisch sprechenden Einwohner doch weit mehr als die Hälfte der ganzen Bevölkerung ausmachen sollen, waren damals die Aussichten nicht besonders glänzend; wenigstens ging, wenn ich mich recht erinnere, ein in der Rue Neuve versuchsweise errichtetes vlämisches Volkstheater bald wieder ein. Doch kann ich das Letztere nicht behaupten, da der 24. Februari 1848 in Folge der Pariser Revolution und der sich daran knüpfenden belgischen Unruhen meinen Zuhörerkreis sprengte und mich, sobald die Bewegung ihren Wiederhall in Deutschland gefunden, als begeisterten Patrioten nach meinem Vaterlande, speziell nach Berlin zurückrief, wo ich, wie später in Sachsen, der Pfalz und Baden, mit vielen Anderen grosse Reden in's Blaue hinein hielt. Wir waren ja samt und sonders unreif, aber ‘das tolle Jahr’ hat doch Bahn gebrochen.
Doch davon wollte und sollte ich eigentlich nicht sprechen. Vielmehr erinnert mich der Sprachenkampf in Belgien auf's Lebhafteste an den gleichen in Elsass-Lothringen, obgleich hier die Verhältnisse anders liegen. Allerdings ist, dort wie hier, die Sprache des Volkes unter fremdem Drucke zurückgedrängt, für minderwertig erklärt worden, was denn, im Elsass wie in Belgien, zur Folge hatte, dass, was vornehm und gebildet sein wollte, sich des fremden Idioms bediente. Ja, wie die Vlamen einst mit den Holländern tapfer gegen Spanien kämpften und sich doch auf Grund des Katholizismus wieder unter spanische Herrschaft fügten, so wehrten sich seiner Zeit die Elsässer gegen den französischen Gewalthaber, beugten
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sich aber aus verwandten Gründen später doch vor der Fremdherrschaft.
Lassen wir indess den ohnehin etwas hinkenden Vergleich und kommen wir zu unserem Reichslande, in das ich als deutscher Flüchtling 1849 eingezogen bin, um mich bis zur Stunde dort heimisch zu fühlen, denn, was man auch sagen mag, es ist deutsches Blut, was in den Adern der Elsässer und östlichen Lothringer rollt; das muss heute jedem unbefangenen Beobachter in's Auge springen.
In der französischen Zeit, also bis 1871, lag der Volksgeist in Ganzen und Grossen darnieder, war fast verstummt. Wohl hielten einzelne Elsässer: die Gebrüder Stoeber und ihre Mitarbeiter in den von ihnen geleiteten Zeitschriften, die deutsch gebildeten Theologen, wie Bruch und Baum, Kalenderschreiber und Volksdichter, wie Hirtz und Hackenschmidt, sogar später in Folge des Krieges deutschfeindlich gewordene Männer, wie der mir einst befreundete Professor Küss, der letzte Maire von Strassburg, das Deutsche hoch; die Mehrzahl der ‘Führenden’ aber war verwälscht, und wenn die Tagesblätter noch zweisprachig erschienen - das Französische vorn, das Deutsche an zweiter Stelle und nicht einmal vollständig - so geschah das bloss aus geschäftlichen Rücksichten. Ein ‘anständiger Mensch’ gab sich wenigstens den Anschein, als lese er nur den französischen Text, wenn er auch nicht selten heimlich den ihm leichter verständlichen deutschen las. Ich habe in dem Kaffeehause, das ich regelmässig besuchte, häufig beobachtet, wie ein Leser, sobald man sich ihm näherte, mit den Augen von der deutschen Seite auf die französische übersprang. Was die Unterhaltung betrifft, so wurde sie in den höheren Kreisen in gutem Französisch geführt, was sich aus den ganz französischen höheren Schulen, den zahlreichen Familien und Geschäftverbindungen mit Frankreich und der Anwesenheit so vieler französischer Beamten und Offiziere erklärt. In den mittleren Schichten sprach man, wo man sich zeigen wollte, ein etwas fragwürdiges Französisch, im Stillen und mit dem Gesinde den alemannischen Dialekt, der unter den niederen
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Ständen, soweit nicht französische Arbeiter in Betracht kamen, ausschliesslich herrschend was. Manche, auch gebildete Elsässer wechselten mitten in demselben Satze zwischen beiden Sprachen, zu Zeiten Dutzende von Malen in Einer Stunde, und wenn Mütter mit ihren kleinen Lieblingen verkehrten, so kamen die Liebesäusserungen im Elsässer Ditsch heraus.
Stand es so in den Städten, so hatte auf dem Lande noch 1849 im Elsass französisches Wesen und französische Sprache so gut wie keinen Eingang gefunden, es sei denn, dass man die jungen Leute, die Soldat gewesen waren und, mit wälschem Baartschnitte sich brüstend, über ein paar französische Brocken im Kasernenton verfügten, als Zeugen für das Gegenteil gelten lassen wollte. Ich wohnte damals als verheimlichter Flüchtling bei dem Maire eines Dorfes in der Nähe von Strassburg, den seine Untergebenen übrigens nur Stawalter-Stabhalter nannten, und sah täglich, wie er sich seine schriftlichen Berichte, weil er selbst des Französischen nicht mächtig war, von einem ‘gelehrten’ Schulmeister der Nachbarschule anfertigen liess. Der Lehrer unsres Dorfes, zugleich Weber, verstand nämlich kein Wort Französisch, und erst damals wurde ihm ein junge Hülfslehrer, ein ‘Aide’, zur Seite gestellt, den nun leider Gottes die Schüler wieder nicht verstanden. Einem geförderteren Lehrer in der Nähe habe ich oft zugehört, wie er sich in der Schule mit beiden Sprachen abzufinden suchte, und zwar indem er Alles erst französisch sagte und es dann sofort in's Deutsche übersetzte, etwa so: Restez assis - sitzen bleiben! Rustre-du Lümmel! Si tu ne fais pas attention -wenn du jetzt nicht aufpassest, je te rosserai - dann hau ich dich, jusqu'à ce que... (hier hörte sein Französisch auf) - dass du nicht weisst, wo du bleiben sollst.’
Offenbar hatte die französische Regierung auf das Land zu wenig Rücksicht genommen. Verstanden doch bei Ackerbaufesten die elsässischen Landleute fast kein Wort von den prunkenden Reden, die dabei von den Herren Präfekten und Unterpräfekten gehalten wurden, obgleich sich die Redner in Folge
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der unterthänigen Beifallsrufe einbildeten, der ganzen Zuhörerschaft sei kein Wörtchen entgangen. -
Wie ganz anders sehen sich jetzt die Verhältnisse an! Die Volksseele lebt unter dem deutschen Banner förmlich auf, und wäre es selbst teilweise als Opposition. Wie das allenthalben gährt, ausbricht, zu Worte kommt! Man fühlt sich nicht mehr als bedeutungsloses Anhängsel Frankreichs, von dem man sogar als tête carrée verspottet und wegen der mangelhaften Aussprache des Französischen verhöhnt wurde (‘Nos brochets sont des truites’ statt ‘nos projets sont détruits’, sollte ein elsässischer Kammerredner in Paris gesagt haben), sondern als selbstständiges Glied des nun auch mächtigen, durch einen leutseligen, allgemein verstandenen und beliebten Statthalter vertretenen neuen Reiches, mit eigener Volksvertretung und Gesetzgebung, und selbst der stets wiederholte Anspruch auf Gleichstellung mit den andern deutschen Staaten verrät dieses früher nie vorhandene Selbstgefühl.
Fragt man, wie dieser Umschwung zu Stande gekommen, so ist da mancherlei in's Auge zu fassen: die von Deutschland ausgehende geistige Belebung, die immer fortschreitende Verschmelzung der Eingeborenen und Eingewanderten und endlich die materiellen Vorteile, die seit 1871 der Bevölkerung zugewandt worden sind. Natürlich lässt sich eine Sonderung dieser Elemente nicht scharf durchführen, da sie vielfach in einander übergehen.
An der Spitze der Anstalten zur geistigen Belebung steht die Universität. Bei ihrer Gründung sprach Victor von Scheffel:
‘Stosst an, Neustrassburg soll leben,
Soll wachsen und kraftvoll gedeih'n
Als Strasse für geistfrisches Leben,
Als Burg der Weisheit am Rhein!’
und der elsässische Dichter Adolf Stoeber rief ihr mahnend zu:
‘Nicht auf die Höh'n allein, auch in die Thale
Versende deiner Strahlen Gluth und Schein;
Was nicht gelang dem Mörser und dem Stahle,
Nimm unsres Volkes Geist und Herzen ein!’
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Und das thut sie mehr und mehr trotz allen Widerstrebens einer wenn auch noch beträchtlichen Minderheit. Sie strahlt ihr Licht nicht nur in den Collegien aus, in denen sich immer mehr Elsass-Lothringer einfinden, sondern zieht ein immer grösseres Publikum in ihren Wirkungskreis durch Errichtung gemeinnütziger Anstalten, durch Gründung des akademischen Gesangvereins und seiner unentgeltlichen Kirchenconzerte, durch den Verein für ethische Cultur, wie durch Vorträge der Professoren für weitere Kreise und festliche Veranstaltungen zur Verbreitung der gründlichen Bekanntschaft mit den grossen deutschen Dichtern, namentlich mit Schiller und Goethe, für welch letzteren, der ja hier erst zu sich kam und glücklich war, ein grossartiges Denkmal geplant ist.
Der Universität zur Seite stehen die Gymnasien und Lyzeen, von denen freilich einige schon früher bestanden, die Kunstgewerbe- und die technische Schule in Strassburg, die Real-, höheren Mädchen- und Fortbildungsschulen, die von Städten oder Vereinen gebotenen musikalischen oder sonstigen Darbietungen, die städtischen Theater, die den Besucher mehr und mehr mit deutschem Geiste und deutscher Tonkunst vertraut machen, die von Eingebornen ausgehenden Zeitschriften, wie die neue ‘Erwinia’ u.s.w. Ja, in diesem Spätherbste drängt sich eine solche Fülle von anregenden Veranstaltungen zusammen, dass man beinahe ausrufen möchte: Halt' ein, Herr, mit deinem Segen!
Zur Verschmelzung der Alt- und Neudeutschen tragen namentlich die verschiedenen Vereine bei. Da steht dann in erster Reihe der Vogesenklub und dessen historisch-litterarischer Zweigverein, der ein seit 1885 erscheinendes inhaltreiches ‘Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass-Lothringen's’ herausgibt und in diesem das so wichtige Wörterbuch der elsässischen Mundarten und Redeweisen angeregt hat, das unter Leitung des hochverdienten Professors Martin und des eingebornen Dr. Lienhart, wie unter Mitwirkung zahlloser Elsässer herangewachsen ist zum ebenbürtigen Genossen des Schmeller'schen Idiotikon's. Es folgen dann die Krieger-,
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Schützen-, Turn- und Gesang- oder Instrumentalvereine, der vaterländische Frauenverein, die für Kriegs- und Friedenszeiten vorsorgenden Vereine zum rothen Kreuz, und in den Städten, namentlich in Strassburg, die Ruderklubs, die Gesellschaft für Erdkunde und Colonialwesen, die Vereine der Kaufleute, der Luftschiffer, Eisläufer und - last not least - die Carnevalsgesellschaften. Ob die zahlreichen Vereinsfeste, unter denen der Geldbeutel, wie die Arbeitskraft der Mitglieder sicherlich leidet, auch zu loben sind, scheint mir mehr als fraglich.
Wie in aller Welt, so sind auch hier die materiellen Vortheile nicht zu unterschätzen, die die neue Zeit den Bewohnern gebracht und an deren Gewährung die regsam gewordenen Eingebornenen ebenso betheiligt sind, wie die Eingewanderten. Abgesehen von der Einführung des Unterrichts in weiblichen Handarbeiten in den Mädchen-, wie in der Anleitung zu gewerblicher Fertigkeit in den Knabenschulen, von den Knaben- und Mädchenhorten, in denen Kinder bedürftiger Eltern in der schulfreien Zeit mit Spiel und Arbeit beschäftigt werden, wie von den Büreau's für unentgeltliche Rechtsberathung - das Alles könnte man ja in eine der früheren Kategorien einreihen - sind hier zunächst die fast fabelhaft gesteigerten Verkehrsmittel zu erwähnen. Man muss vor 1870 hier gelebt haben, wo nur wenige Eisenbahnen vorhanden waren und der sonstige Verkehr durch elende, schmutzige, nur in grossen Zwischenräumen fahrende Omnibus vermittelt wurde, wo innerhalb der Städte und ihrer nächsten Umgebung eine handvoll schlechter Citadinen zur Verfügung standen, und die heutigen Verbindungen durch zahlreiche Lokal-, elektrische und Dampfstrassenbahnen, in Strassburg durch bequeme Landauer in Hülle und Fülle vergleichen, um den Ausdruck ‘fast fabelhaft’ nicht übertrieben zu finden. Dazu treten in den Städten die zahllosen Neubauten - das grossartig erweiterte Strassburg mit seinen eleganten Palästen, Läden, Wein-, Bier- und Kaffeehäusern lässt das frühere fast als Kleinstadt erscheinen - die billigen Volksbäder, der Bau von anständigen Arbeiterwohnungen, worin freilich Mülhausen schon zu französischer Zeit durch seine Cité ouvrière voran- | |
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gegangen ist, die winterlichen Wärmstuben, die Sorge der städtischen Behörden für
Beschäftigung Arbeitsloser, die Auskunftstellen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Wasserversorgung und Canalisation und in Strassburg die grossartigen Hafenanlagen, die uns in direkte Verbindung mit den Rheinstädten und der Nordsee bringen. Ausserhalb der Städte sorgen die Landwirthschaftsschulen für verständigen Ackerbaubetrieb, suchen die Creditgenossenschaften den Bauern mehr und mehr dem Wucherer zu entreissen, und eine Erleichterung der Grundund Bodensteuer durch stärkere Belastung beweglicher Werthe steht in sicherer Aussicht. Ausserdem ist nicht zu übersehen, dass durch Anlegung bequemer und schattiger Gebirgswege von Seiten des Vogesenklubs, wir durch Curt Münders Vogesenführer eine immer grössere Zahl von Touristen und Luftkurgästen in unsre Berge gezogen wird, die nicht nur den Wirthen, wie man wohl wähnt, sondern auch den Pflanzern, Bäckern, Metzgern, Krämern und Kutschern grosse Vortheile bringen und den Preis des Bodens in der Nähe der Luftkurorte beträchtlich steigern.
Einen besonderen Beweis für das Erwachen der eigentlichen Volksseele liefert wohl das neuerstandene, vom Bezirkspräsidium conzessionirte, ständige ‘Elsässische Theater’ zu Strassburg, in dem, wie sonst nur gelegentlich bei Festen verschiedener Vereine, Stücke in heimischer Mundart gegeben werden. Zwar steht es unter Leitung eines Altdeutschen, des früheren Directors des städtischen Theaters, Herrn Alexander Hessler aus Leipzig, aber die Verfasser oder Uebertrager der Stücke - jetzt schon acht bis zehn - sind, wie die sämtlichen Darsteller, Eingeborene und die auf den Lokalpatriotismus gegründete und durch verhältnismässig niedrige Preise gestützte Hoffnung auf zahlreichen Besuch ist nicht nur nicht getäuscht, sondern auch durch die Teilnahme der Eingewanderten weit übertroffen worden. Der schöne grosse Saal der ‘Union’ ist bei jeder Aufführung reich besetzt, wenn nicht gar ausverkauft.
Eröffnet wurde die Anstalt am 2. Oktober 1898 mit einem
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Prologe, dessen erste Strophe das Aufathmen nach langem Drucke kennzeichnet. Sie lautet:
‘Jed's Land wie Stadt, jed's Dörfel noch so klein.
's möcht sin wo's will, hett siner Edelstein.
In jedem Menschekind, ob arm, ob rich,
Er glänzt iehm grad so guet, er glänzt iehm glich.
Ohn' Unterschied vun Stand un Herrlikeite,
Giebt er in Jedem sin's un sini Fraide.
Was isch diess goldig Guet, so hoch un rein? -
's isch d'Muedersprooch, d'r köstli Edelstein.’
Dann folgte eine elsässische Uebertragung des erst als Roman, dann als Drama erschienenen ‘Ami Fritz’ von den beiden seit 1870 zu Deutschenfressern entarteten Elsass-Lothringern Erckmann und Chatrian, die früher in ihrer deutsch-gemütlichen Weise jeden ihrer Stammgenossen und auch uns übrigen Deutschen förmlich anheimelten. Nun, aus dieser früheren Zeit, aus dem Jahre 1864, stammt das Lustspiel, das denn auch in der elsässischen Mundart weit gründlicher einschlug, als das bei früheren Aufführungen von Liebhabern in französischer, wie in hochdeutscher Sprache der Fall war. Der Inhalt ist ja unbedeutend. Der über die erste Jugendblüte weit hinausgelangte Freund Fritz geht mit seinen zweifelsüchtigen Genossen die Wette ein, dass er sich nie und nimmer unter das Ehejoch beugen werde, hat aber die Allmacht eines lieblichen Mädchens ausser Acht gelassen und - verliert natürlich. Aber Charakter, Zustände, Sitte und Ton sind unserem Reichslande so fein abgelauscht, dass man bei der Uebertragung in die elsässische Mundart die baare und doch poetisch veredelte Wirklichkeit vor sich zu haben glaubt. Zum Schlusse der diesjährigen Vorstellungen soll der köstliche Arnold'sche ‘Pfingstmontag’ gegeben werden, den Goethe gewissermassen von den Toten erweckte; ob man mit der beabsichtigten Uebertragung des zerbrochenen Krugs von Heinrich von Kleist Glück haben wird, muss vor der Hand dahingestellt bleiben. Wenn man es aber partikularistisch gescholten hat, dass im Elsässischen Theater nur Stücke in der Mundart auf- | |
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geführt werden sollen, so übersieht man Eins. Der Partikularismus fühlt sich, wie schon das Wort sagt, als Theil eines Ganzen, hier also Deutschland's. Er wird schon hinüberleiten zum nationalliberalen Patriotismus.
Schliesslich noch eine wenn auch selbstverständliche Bemerkung. Ich weiss natürlich sehr wohl, dass seit 1871 auch unter französischer Herrschaft dieses oder jenes besser geworden wäre und habe ja mehrmals gesagt, dass die Eingeborenen selbst manches Gute geschaffen haben; so aber, wie die Zustände heute sind, wären sie, solange das Reichsland eine der milchgebenden Kühe der Pariser Centralregierung blieb, nie und nimmer geworden. -
Strassburg, 16. November 1898.
Albert Grün.
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