Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDie Kolonisation Ostdeutschlands und die deutsch-polnische Politik der Gegenwart.
| |
[pagina 91]
| |
massen durch natürliche Grenzen. Nichts von alledem ist bei uns vorhanden. Und nun übersehen Sie die Konsequenzen. Im V. und VI. Jahrhundert waren bei uns, wie ich schon ausführte, Doesborg, ein kleiner Ort bei Brüssel, oder Soissons u.s.w. unsere grossen Städte, die Haupteentren unseres politischen Lebens. Im VIII. Jahrhundert ist es anders. Aachen kommt an die Reihe, dann, in der deutschen Kaiserzeit kommen die grossen Rheinstädte, also Mainz, Worms, Speier, Basel u.s.w. daran. Im XIV. Jahrhundert ist es Nürnberg, weiterhin Augsburg, im Norden Lübeck. Im XVI. Jahrhundert ist es theilweise wenigstens schon Wien, im XVII., XVIII. und XIX. Jahrhundert werden es Berlin und Wien. Ja, das ist nun alles wunderschön. Wir sind so zu sagen unter einem herrlichen Streukegel von gewaltigen Städten gross geworden. Wir haben infolge dessen die weitverbreiteste Kultur, wir haben in unseren Territorien, die auch Ausdruck dieser Bewegung sind, eine ganze Reihe von Centren geistigen Lebens. Aber eins haben wir nicht: wir haben niemals die Mittel, die wir zur Verfügung hatten, materiell wie geistig einheitlich unter ganz bestimmten dauernden Voraussetzungen in den Boden investirt, der unsere Heimath ist. Solange wie wir zurückblicken können, ist Paris z. B. das Centrum Frankreichs gewesen. In Frankreich ist niemals ein Kanal, niemals eine Strasse, niemals eine Eisenbahn anders angelegt worden, als mit Rücksicht darauf, dass Paris das Centrum sei. Ganz ähnlich ist es mit England, wo London schon in der Zeit Cäsars anfing, eine grössere Rolle zu spielen. Da ist alles so installirt, da sind die Aufwendungen für die Wohnhaftmachung der Heimath so getroffen im weitesten Sinne des Wortes, dass alles sparsam auf bestimmte, klare Verhältnisse angelegt ist. In Deutschland ist das niemals der Fall gewesen. Wir haben immer gewirthschaftet je nach dem jeweiligen Stande unserer Verhältnisse und unserer Grenzen. Ja, meine Herren, sollen wir denn wirklich in einer solchen Wirthschaft fortfahren, sollen wir denn nicht endlich einmal unsere sicheren, dauernden, klaren, deutlichen, historisch ausgesprochenen Grenzen haben? | |
[pagina 92]
| |
Wir wollen uns doch in dem, was wir haben, wirklich heimisch machen und sparsam und vernünftig einrichten. Das ist nur möglich, wenn wir bleiben, wo wir sind, und wenn wir nicht grosse Partieen unseres Landes aufgeben. Andernfalls würden nicht blos alle Verkehrswege, alle Wege geistigen Daseins, alle Produktions- und Absatzwege, die ganze Kultur, das alles würde ja anders werden, wenn wir irgend etwas verlieren. Wir wollen nicht mehr haben; aber was wir haben, das behalten wir! (Bravo!) Nun wird es sich freilich fragen: wie ist denn eine solche Politik der Erhaltung durchzuführen? - und da glaube ich, dass einige wenige grosse Fingerzeige doch auch durch den ganzen Verlauf der Geschichte gegeben sind. Wir können sehr deutlich sehen, was da zu beobachten ist, wenn wir unterscheiden zwischen dem Süden des Koloniallandes, d.h. den österreichischen Gebieten, und dem Norden. Die Kolonisation im Süden war zunächst einmal eine rein agrarische. Sie ist ursprunglich etwa die Thäler der Donau und der Drau herunter von deutschen Bauern ausgegangen, aber doch nur sehr kurze Zeit. Bald darauf wird sie dadurch fortgesetzt, dass grosse Grundherrschaften des Mutterlandes, weltliche, aber auch geistliche, wie z. B. das Bisthum Freising oder das Bisthum Augsburg oder Brixen, oder grosse Abteien, Altaich und dergleichen mehr, von den Kaisern mit grossen Stücken Landes begabt werden, die sie dann ihrerseits exploitiren, so gut wie sie können; theilweise durch deutsche Bauern, wo das ging, theilweise aber auch durch Slaven. Die ganze Art der Kolonisation im Süden ist mithin ganz überwiegend eine aristokratische. Die Grundlagen, die da gelegt sind, gehen aus vom Adel, vom geistlichen wie vom weltlichen. Der Charakter ist ländlicharistokratisch. Darüber hinaus ist dann keine grosse Entwicklung von Städten erfolgt, und zwar aus doppeltem Grunde nicht. Einmal, weil durch die Landesherren die Entwickelung grosser Bisthümer verhindert wurde. Die Bisthümer in diesen Gegenden sind klein geblieben, darum haben sie nicht dafür sorgen können, dass ihre Bisthumsitze auch grosse Städte ge- | |
[pagina 93]
| |
worden sind. Wer in den Gegenden dort wandert, in diesen herrlichen Ländern, was ich jedem treuen Germanen von Herzen wünsche, damit er einen vollen Einblick in die Dinge kriegt, der wird dort sehr erstaunt sein, wenn er z. B. im Lavantthale, mitten sozusagen unter Gottes freiem Himmel, rein auf dem platten Land im Thal einen grossen Bischofssitz sieht, ohne irgend eine Stadt in der Nähe. Er fährt mit der Bahn auf einmal an Palästen vorbei. Solche Verhältnisse kommen sonst in Deutschland nicht vor. Also die Bischöfe haben hier niemals städtebildend gewirkt. Ausserdem aber war niemals ein grosser Handel da. Ja von Oesterreich aus ist wohl der Versuch gemacht worden, an die Adria zu gelangen. Natürlich, jeder grosse Volkswirth auf dem österreichischen Thron hat die Notwendigkeit hiervon eingesehen. In der Mitte des XIV. Jahrhunderts haben wir einen solchen höchst interessanten Volkswirth auf dem österreichischen Thron gehabt. Das war Rudolf IV., ein sehr energischer Fürst, der kein Mittel scheute, unter Umständen auch nicht Fälschungen, um vorwärts zu kommen. Der hat das ja eingesehen. Er wollte durch das Val di Ferro, da, wo jetzt die Bahn von Villach nach Udine läuft, herunter nach Friaul, Aquileja u.s.w., und von da aus weiter. Aber hier stiess er auf die Politik Venedigs, das alles that, um Oesterreich und die Deutschen nicht nach Italien und an die Adria kommen zu lassen. Da haben sich höchst interessante und beinahe unbekannte Kämpfe in den grossen Pässen abgespielt, die man noch heute an den italienisch-deutschen Namen vieler Orte in der Umgegend dieser Pässe verfolgen kann. Anfangs sind die Deutschen hier machtvoll vorgedrungen, aber schliesslich siegte Venedig, und zwar wesentlich mit dadurch, dass das Patriarchat von Aquileja, das ursprünglich von Deutschen besetzt war, in die Hände der venetianischen Nobili gerieth. Später, nach der Begründung der Ferra ferma durch Venedig, hat dann Oesterreich eine konsequente Handelspolitik hier nicht mehr entwickelt. Die Eröffnung der Donau aber nach Osten ist Oesterreich eigentlich erst im Frieden von Passarowitz, das heist längst post festum im Beginn des vorigen | |
[pagina 94]
| |
Jahrhunderts gelungen. Die Folge davon ist: keine grossen Städte in dem ganzen Gebiete der südostdeutschen Besiedlung. Nehmen wir einmal Graz aus, so sind alle anderen Städte klein. Klagenfurt zum Beispiel, oder Villach oder Laibach, ja unter diesen Namen stellt man sich gewöhnlich etwas grösseres vor, als was man nachher wirklich findet. Klagenfurt ist etwa eine Stadt wie Yperen, obwohl es Landeshauptstadt von Kärnthen ist. So sind auch die anderen Orte im allgemeinen klein. Wenn Sie nun noch bedenken, dass wir hier in einer überaus üppigen Gegend sind, dann begreifen Sie, wie diese ganzen Zusammenhänge auf den Charakter der deutschen Besiedlung wirken mussten. In einem Ort in Oesterreich, den ich nicht nennen will, steht ein Brunnen, den ein Patrizier des XVII. Jahrhunderts geschenkt hat, der sich des Namens Prasser erfreute. An diesem Brunnen ist das Medaillon dieses Prasser angebracht, und um dieses zieht sich folgender Vers: Ich bin der reiche Prasser,
Trink' lieber Wein als Wasser.
Tränk' ich lieber Wasser als Wein,
Würd' ich ein reicherer Prasser sein.
(Heiterkeit.) Das ist bis auf einen gewissen Grad für diese ganzen Lande, so tapfer und bewundernswerth sie heute für ihr Deutschthum kämpfen, doch ein charakteristischer Sinnspruch. Nun, meine Herren, Sie alle wissen, das war uns in Norddeutschland nicht beschieden. In Norddeutschland hat sich aber auch die Entwickelung in anderer Beziehung anders vollzogen. Sie ist Ihnen ja bekannt. Grosse Massen von freien Leuten sind in das Kolonialgebiet eingedrungen, die Grundherrschaft hat sich erst später entwickelt. Und neben den freien und selbständigen Bauern trat eine gewaltige städtische Entwickelung, die in den Handelsbeziehungen der Städte, in der üppigen Entwickelung der Hansa, in grossen commerziellen Zusammenhängen von Brügge bis Wisby, von Köln bis Nowgorod den gesundesten Nährboden fand. Aber wenn wir jetzt die südöstliche und die nordöstliche Kolonisation mit Rücksicht auf den Charakter der in dem Lande | |
[pagina 95]
| |
von den Deutschen schon vorgefundenen Bevölkerung vergleichen, so ergiebt sich doch ein verwandtes Resultat. Was überall einzog von Deutschen, das waren Aristokraten, gegenüber den Slaven Herren. Herrengeschlechter sind hier entstanden auch unter den Bauern. Wer den norddeutschen Bauer kennt aus der Brandenburger Mark oder aus der Altmark, oder noch mehr den, ich möchte sagen, potenzirten Typ des Landwirths aus diesen norddeutschen Gegenden, etwa den der baltischen Lande, der weiss, dass er den vollendeten Aristokraten vor sich hat nach jeder Richtung des Lebens, guter wie schlechter. Aber auch in Oesterreich waren die deutschen Landwirthe Aristokraten, ja bei früher und überwiegender Grundherrlichkeit und dem Fehlen grosser Städte war es natürlich, dass in Oesterreich diese aristokratische Entwickelung noch stärker betont war, noch entschiedener auftrat. Das war nun alles für die Jahrhunderte, in denen aristokratische Regungen noch als entscheidend gegolten haben - und sie haben so noch während der ganzen absoluten Monarchie gegolten - sehr schön; aber in unserem Jahrhundert drehte sich die Sache um. Wir leben, was unsere sozialen Einrichtungen, unsere Wirthschaftpolitik angeht, in einem demokratischen Zeitalter, und durch die Entfesselung namentlich auch der politischen Rechte nach demokratischen Gesichtspunkten wurden in den Kolonialgebieten diese Massen alle, die bis dahin beherrscht gelebt hatten, diese slavischen Massen - die wurden mobil, die wurden lebendig und traten namentlich auf dem politischen Gebiet mit denselben Rechten auf, wie die deutschen, die aristokratischen Leute. Und auf dem wirthschaftlichen Gebiet, wo auch die Demokratisirung der Arbeit eingetreten war durch Maschinen und Motoren u.s.w., da wurden die Unterschiede schliesslich noch krasser, da hiess es jetzt nicht mehr: gleiches Recht, sondern grösseres Recht den bis dahin Unterdrückten. Mit ihren geringen Bedürfnissen drangen diese Kreise vorwärts, ein in die deutschen Gebiete, um sie zu unterjochen. Wie ist nun dem gegenüber Hilfe zu finden? Ich glaube, die Lehre wird man doch wohl aus der Geschichte entnehmen | |
[pagina 96]
| |
dürfen: nicht durch irgendwelche demokratischen Mittel im weitesten Sinne des Wortes, sondern nur durch Aristokratie und Monarchie können wir hier vorwärts kommen. Und da ist denn auch der eigentliche Unterschied zwischen der österreichischen und der preussischen, beziehungsweise der Reichspolitik sehr klar. Die Anwendung aristokratischer Mittel, Verbreitung grösserer Bildung, Zusammenhalten der aristokratischen Massen kann natürlich nur dann wirklich durchgeführt werden, wenn sich die Regierung, wenn sich die Monarchie der Sache annimmt. Hier liegt die ausserordentliche Schwierigkeit in den österreichischen Verhältnissen: denn in Oesterreich - Sie wissen es - versagt der Appell der Aristokraten an die Monarchie in den verschiedenen slavischen Ländern. Bei uns ist das Gott sei Dank anders, bei uns versagt ein solcher Appell nicht, und wenn auch dieser Appell bisher ein Echo gefunden hat in unserer Politik, das, meiner Ansicht nach, noch lange nicht stark genug ist - denn was sind 200 Millionen Mark - wenn also auch hier dieser Appell noch nicht kräftig genug ein Echo gefunden hat - er hat ein Echo gefunden. Prinzipiell ist bei uns die Lage klar. Aber freilich, da der Impuls von der aristokratischen Seite her ausgeht, aus den Kreisen der sozial führenden Deutschen, die im Osten leben, so muss vor allen Dingen dieser Impuls fortdauern. Es ist ganz falsch, sich etwa der Initiative der Regierung zu überlassen. Jetzt gerade muss in der öffentlichen Meinung Volldampf gegeben werden, damit wir die Regierung festhalten und weiter vorwärts stossen in die grossen Fragen hinein, um die es sich hier handelt. Es handelt sich nicht um Wohl und Wehe blos derjenigen deutschen Bevölkerung, die im äussersten kolonialen Osten sitzt, sondern hier muss man jedem Deutschen sagen: Deine Haut wird mit zu Markte getragen, und wenn Du auch in Mülhausen im Elsass sitzest, Du musst mitwirken, dass die Expansion der Deutschen in Deutschland so bleibt, wie sie ist. Denn ohne das kommen wir nicht zu einer inneren Konsolidation. Dass wir aber, meine Herren, diese Konsolidation dringend brauchen, das ist wohl jetzt klar genug. Wir sind in der | |
[pagina 97]
| |
allgemeinen Politik jetzt so weit, dass die Franzosen mit der ihnen eigenen Uebertreibung nur noch von den quatre grandes puissances sprechen - Italien und Oesterreich ist für sie schon feil gegeben; - und in der That handelt es sich in der Welt jetzt vielfach um noch urn Russland, Deutschland, England und Frankreich. Wo Frankreich in 20 oder 30 Jahren sein wird, wenn die Dinge so weiter gehen wie jetzt, meine Herren, das lässt sich an der Hand der Bevölkerungsstatistik leicht ausrechnen. Dann stehen wir unter den drei verbleibenden Mächten als der linke Flügelmann, und wir müssen dafür sorgen, dass diese Stellung nicht unsere definitive wird. Dazu gilt es, gewaltig vorwärts zu kommen. Vorwärts kommen aber werden wir nur, wenn wir inneren Frieden haben, und den inneren Frieden können wir nur gewinnen, wenn wir uns gegenseitig amalgamiren, wenn die vorwiegend friedliche Produktivität des Mutterlandes und die vorwiegend kriegerischen Mittel des Koloniallandes sich gegenseitig ausgleichen, wenn wirklich ein grosses Deutschland entsteht. Dieses eine grosse Deutschland aber ist nicht denkbar ohne das, was man uns nehmen will. Der Wachtmeister in Wallensteins Lager spricht einmal, als einige Regimenter abgetheilt werden sollen von der Wallensteinsche Armee, um dem Infanten im Westen als Schutzbegleitung nach den Niederlanden beigegeben zu werden: ‘Was man uns nimmt, das ist freilich nur der kleine Finger. Was mache ich aber mit der Hand, wenn ich keinen kleinen Finger mehr habe, ich habe die Hand nicht mehr.’ Es handelt sich hier nicht blos um die kolonialen Dinge, es handelt sich um die deutschen Dinge überhaupt; für die deutschen Dinge, meine Herren, müssen wir auch an dieser Stelle gemeinsam und ganzen Herzens eintreten.Ga naar voetnoot1 |
|