Charakteristik des altflandrischen Malers Hans Memling,
geb. zu Mömlingen im Bisthum Mainz gegen 1435, gest. zu Brügge 1495.
Wenngleich der altflandrische Maler Hans Memling nach selbstständiger Auffassung und Composition strebte, so blieb doch auf ihn, wie begreiflich, der Umstand nicht ohne Einfluss, dass es ihm vergönnt war, die in Fussstapfen seiner grossen Vorgänger zu treten, welche er nicht selten bei der Wiederkehr derselben biblischen Stoffe und Gestalten fast unbewusst und in gewisser Wahlverwandtschaft nachahmte. Denn keineswegs hat seine realistische Richtung es darauf abgesehen, von der herrschenden typischen Formenbildung sich völlig zu entfernen; nur in der Art, wie er darstellt und betont, ist er originell und lässt er seinen eigenen Genius sich frei entfalten. Dabei zeichnet sich sein Pinsel aus durch die delikateste, liebevollste und gewissenhafteste Ausführung im coloristischen Detail, verbunden mit ausserordentlichem Schmelz des Vortrages. Durch diese ihm eigenartige, auf Naturstudien sich gründende, mit scharfem Auge das malerisch Stimmungsvolle in der Natur erfassende Kunst weiss der Meister sich in eine nicht sowohl sinnliche, als seelische Beziehung zu dem Beschauer zu setzen, bei welchem indessen weniger der kalte Verstand, als das warme Gefühl angeregt und ergriffen wird. Wenn die religiöse Kunst überhaupt, wie keine andere, das Aufgehen des ganzen Künstlers in ihr, die volle Hingabe des ganzen Menschen und vor Allem Religion verlangt, so erscheint Memling als ein ächter und wahrhafter Jünger derselben. Jedoch vorzüglich ist es die Innigkeit des Gemüths, welche im Verein mit der angeborenen Grazie dieses frommen Malers eine unsagbare Wirkung verleiht; sie ist es, welche seine Gestalten formt, belebt und durchathmet. Mit Recht hat man daher Memling den übrigen Malern der flandrischen Schule gegenüber den ‘innigen’ genannt. Wie kein anderer, zieht er sich zurück in
seine innere Welt, er schliesst sich in ihr ein und erhebt sich und die mit ihm Andächtigen durch sie; nichts von der äusseren Welt dringt in dieses Heiligthum der Seele. Dabei bedarf es nicht erst eines Commentars, um Memlings einfache Kunst und seinen frommen Glauben zu erklären. Er stellt, was er darstellen will, mit der Reinheit der an Geist und Herz Einfältigen, mit dem naiven, unbefangenen Sinne eines Kindes dar. In seiner Seele besteht kein Gegensatz, und die heiligen Stoffe, welche er verkörpert, sind ihm volle Wahrheit, J.A. Crowe und G.B. Cavalcaselle (Geschichte der altniederl. Malerei; deutsche Ausg. von A. Springer) charakterisiren Memling seinen Vorgängern gegenüber treffend dahin ‘Er besitzt nicht den gewaltigen Ernst Huberts van Eyck, auch nicht die gemessene, würdevolle Kraft seines Bruders Jan; in der Tiefe des leidenschaftlichen Ausdrucks erreicht er niemals Roger van der Weyden; dagegen hat er nicht Seinesgleichen in der Wiedergabe holder Gemüthlichkeit und reiner Empfindungen. Es steht dadurch um so höher, als er alle Anregungen allein aus seiner eigenen Brust schöpfte.’ Unter den italienischen Malern steht unserem Meister keiner näher, als der fast derselben Zeitperiode angehörige Fra Angelico da Fiesole. Diesem ist er überhaupt in seiner ganzen Gefühlsweise, vornchmlich in der ächten hingebenden Gläubigkeit und kindlichen Innigkeit der Empfindung sehr verwandt. Daher gelingen ihm auch vor allen die Frauengestalten in keuscher, naiver Anmuth.
Wie es Memling auf solche Weise beschieden war, in mancher Beziehung seine