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Die Kolonisation Ostdeutschlands und die deutsch-polnische Politik der Gegenwart.
Vortrag, gehalten in der Berliner Ortsgruppe von Herrn Professor Karl Lamprecht.
(Erste Hälfte).
Meine hochverehrten Herren! Ich bin im allgemeinen nicht dafür, dass Historiker Tagespolitiker sind. Es giebt ja Ausnahmen, in denen das Historikern bekommen ist; ich erinnere mit Ehrfurcht an den grossen Namen Heinrich von Treitschke. Im allgemeinen soll der Historiker doch nur der Archivar der grossen Vergangenheit der Nation sein, und er soll infolge dessen politische Strömungen des Tages nur mit allgemeinen, möglichst tief greifenden Bemerkungen begleiten, nicht aber in das Werden der einzelnen Massregeln eingreifen, und ich glaube, dass auch diese Aufgabe des Historikers eigentlich noch eine im Nebenamte, sozusagen, ist. Denn vor allen Dingen ist er Wissenschaftler. Er soll seine Wissenschaft fördern und die Wahrheit und sich um weiter nichts kümmern. Aber Nebenbeschäftigungen sind ja unter Umständen ausserordentlich angenehm, und wenn es dem Historiker möglich ist, grosse Regungen der Volksseele, ich möchte sagen, wie ein Tyrtäos dereinst den Auszug zur Schlacht, mit Rath und Mahnung zu begleiten, so wird er gewiss gern sich dieser Aufgabe unterziehen.
Ich möchte das, was ich zu sagen habe, einleiten mit einigen Worten über die Differenz zwischen kolonial-deutsch d.h. ostelbische und ostalpische Deutsche und mutterländisch-deutsch. Ich glaube, dass der Gegensatz zwischen kolonial-deutsch und
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mutterländisch-deutsch in unserer ganzen Entwickelung auch heute noch eine viel grössere Rolle spielt, als man gewöhnlich annimmt. Wenn sie seit dem XII. Jahrhundert unsere Entwickelung verfolgen an den Zeugnissen, welche noch heute fortleben, an den Dokumenten, welche dem nationalen Boden einverleibt sind, so wird Ihnen ohne weiteres auffallen, dass im Osten, auf kolonialem Gebiete, die Verhältnisse von vornherein grossartiger angelegt sind als im Mutterlande. Wenn Sie z. B. die Hufe des mutterländischen Bauern vergleichen mit der Hufe in den Kolonialgebieten, so ergiebt sich, dass die Hufe des Bauern in den Kolonialgebieten im allgemeinen noch einmal so gross ist, wie die des mutterländischen Bauern, des Bauern, der im Westen sitzt. Wenn Sie weiterhin die Abmessungen unserer ältesten Städte verfolgen, so ergiebt sich, dass z. B. die Ausdehnung von Köln, also der grössesten Stadt des Mutterlandes noch im XII. und XIII. Jahrhundert, so sehr viel nicht grösser war, als die Abmessungen der kleinen Städte, die in Schlesien oder in Brandenburg oder sonstwo seit der Zeit gegründet worden sind. Wenn Sie sich die kolonialen Kirchen ansehen, die grossen berühmten Marienkirchen, die man in einer so schönen Tour in der Nähe Berlins abfahren kann, über Rostock etwa bis Lübeck, so finden Sie da Bauten, die in dieser Monumentalität und Kolossalität im Westen überhaupt nicht wiederkehren. Auch nicht einmal der Kölner Dom fast macht einen so monumentalen Eindruck, wie die Marienkirche in Lübeck, ganz davon abgesehen, dass diese das Pantheon vieler Jahrhunderte lübischer Grösse ist, während dem Kölner Dom eine solche Beziehung fehlt. Wenn Sie an die Burgen denken, so hat der Westen auch nicht entfernt etwas so Grossräumiges und Monumentales aufzuweisen, wie es die Marienburg
ist.
Das also, was dieses ganze koloniale Gebiet auszeichnet gegenüber dem Westen, ist der Sinn für das Grossräumige, eine ganz andere Auffassung der Welt, ein weiterer Blick, wenn ich mich so äussern darf, ein anderer Raumsinn, der sich überall geltend macht.
Ein anderer auch heute noch wahrzunehmender Zug ist der,
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dass durchweg im Osten der Sinn für Organisation grösser ist, wie im Westen. Wenn wir in unsere ältesten Städte hineinsehen, so lässt sich z. B. ausführen an einer ganzen Reihe von Städten, dass man in den Oststädten früher Pflaster gehabt hat, früher Kanalisation gehabt hat oder deren Anfänge, früher Beleuchtung der Strassen gehabt hat und dergleichen mehr, als im Westen. Denn natürlich, im Westen sind diese Dinge langsam gewachsen. Als man in den Osten kam und ihn besiedelte, übertrug man die westlichen Verhältnisse gleichsam auf eine Tabula rasa. Da war nichts vorhanden, was hinderte gradeaus und systematisch vorzugehen, weder Rechtsgestaltung noch sonst etwas; nichts war vorhanden, was hier in Frage kam und hinderte. So ist denn der Sinn für Organisation und alles, was damit zusammenhängt, gerade dem kolonialen Osten im hohen Grade eigen.
Es handelt sich allerdings bei diesen Dingen nicht blos um Deutchland, sondern um allgemeine Differenzen zwischen mutterländischem und Kolonialboden. Soweit Kolonieen überhaupt gross geworden sind, haben Sie überall dieselben Verhältnisse, in den Vereinigten Staaten z. B. im Verhältniss zu England. Auch da haben Sie dieselbe Grossräumigkeit, auch da haben Sie weiterhin dieselben ausserordentlich stark entwickelten Bedürfnisse und Instinkte für Organisation.
Damit hängt es nun auch zusammen, dass die berühmte norddeutsche Schneidigkeit keineswegs etwa erst ein Produkt unserer letzten Jahrhunderte in der Entwicklung des Ostens ist. Wenn Sie einmal in die Akten der alten Hansestädte hineinsähen, so würden Sie finden: deren Bewohner sind kolossal schneidig gewesen. Da ist schon eine grosse Reihe von Begriffen, freilich in anderen Worten, vorhanden, Begriffe, die wir heute gern als spezifisch preussisch anzusehen pflegen. Ich erinnere nur an das schöne Wort recherchiren, das vielfach mit dem Begriffe der Schneidigkeit zusammenhängt. (Heiterkeit.) Das war bei den alten Hansen vollkommen schon vorhanden.
Das alles giebt also dem Kolonialdeutschen einen besonderen Typ, einen anderen Typ, wie ihn der mutterländische
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Deutsche hat. Man kann vielleicht sagen, das edelste Produkt der kolonialen Verhältnisse in Deutschland ist der Berliner (Heiterkeit), und Sie wissen, dass dieser sehr edle Typ des kolonialen Gebietes doch in den mutterländischen Gebieten nicht immer auf das Verständniss trifft (Heiterkeit), auf das er vielleicht Anspruch hat (Heiterkeit). Wir haben hier einen Gegensatz vor uns, der, meiner Ansicht nach, heute praktischer, wichtiger ist, wie der Gegensatz zwischen Nord- und Süddeutsch. Der Ostdeutsche und der Kölner, der Rheinländer sind unter sich ebenso verschieden beinahe, wie etwa der Ostdeutsche, und, ich will einmal sagen, der Schwabe oder der Elsass-Lothringer. Beim Elsass-Lothringer kommen ja noch andere Dinge hinzu. Ihm geht im allgemeinen ganz Ostdeutschland in dem Begriff ‘preussisch Pommern’ auf, wie er sich auszudrücken pflegt. Er hat also da noch viel weniger Verständniss. Aber im ganzen grossen liegen die Dinge so. Ich verkenne ja nicht, dass zwischen Nord- und Süddeutschland eine Reihe von Unterschieden vorhanden sind, die klimatisch oder sonst irgendwie bedingt sind. Aber wichtiger für unsere Geschichte ist dieser Gegensatz zwischen kolonial-deutsch und mutterländisch-deutsch. Wir sind, soweit ich sehe, die einzige grosse zivilisirte Nation, welche diesen ganz ausserordentlich einschneidenden Gegensatz von kolonialem Gebiet und mutterländischem Gebiet in einem grossen Zusammenhang in sich birgt und diesen Gegensatz in sich verdauen muss, wenigstens jetzt, wo wir im Reiche zusammenwohnen; und da ist es eine der grössten Aufgaben unserer inneren Politik, diesen gegenseitigen Erkenntnisprozess und Amalgamirungsprozess zu beschleunigen und zu vollenden. In diesem Zusammenhang aber liegt es begründet, und das scheint mir eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine stabile innere deutsche Politik zu sein, dass wir nichts
vom Osten einbüssen. Wir müssen behalten, was wir haben, sonst ist gar nicht daran zu denken, dass sich der Amalgamirungsprozess wirklich normal und glücklich vollzieht.
Nun würden sich ja alle diese Dinge zunächst nur auf dem sozialen und psychologischen Gebiete bewegen, wenn sie nicht
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sehr früh ausserordentlich wichtige politische Folgen gehabt hätten. Genau nämlich so, wie die Bauernhufen grösser waren im Osten, als im Westen, und wie die Stadtanlagen im Osten grösser waren, als im Westen, und wie die Burgen mächtiger gebaut waren, weiträumiger, und wie die Menschen weiter dachten und organisirten, so waren auch die Territorien auf dem kolonialen Gebiet grösser, als diejenigen auf dem mutterländischen Boden. Und zwar war das aus demselben Grunde der Fall, wie bei den Hufen. Da die Kultur im Osten entschieden geringer war, als im Westen, so musste grösseres Areal da sein, um gleiche Wirkungen zu erzielen, als im Westen. Nehmen Sie sich nur eine Karte der historisch-politischen Geographie Deutschlands vor aus dem 14. Jahrhundert oder aus dem XIII. Jahrhundert, und sehen Sie sich die Territorien an. Da kann jemand, dem einfach gesagt wird: die Territorien in den Kolonialgebieten sind grösser, als die im Mutterlande, danach die Grenze zwischen Kolonialland und Mutterland ziehen. Was war nun die Folge? In derselben Zeit, in der diese grossen, kolonialen Territorien sich entwickelten, ging bekanntlich das alte Reich zu Grunde mit den Staufern. Es folgten jetzt Könige, die meistens, wenigstens nach fürstlichen Begriffen, minder mit Land begabt und minder reich waren. Von einem der ersten Könige, die damals kamen, hat man in Deutschland gesagt: Was soll nun das Gräfelein, das uns erwählt haben die Pfaffen?
Einige dieser Kleinen, der Graf von Habsburg, der Graf von Luxemburg, waren ja verhältnismässig noch reich oder doch wohlhabend; aber immerhin grosse Fürsten nach den damaligen Begriffen waren sie doch nicht. Gerade so, ja viel schlimmer, war es mit dem Nassauer; so stand es bis auf einen gewissen Grad sogar mit dem Bayern, mit dem Kaiser Ludwig. Alle diese Fürsten haben nun danach gestrebt ihre Gewalt zu erweitern und besser zu begründen dadurch, dass sie sich im Osten festsetzten. Rudolf von Habsburg nahm Oesterreich, Adolf von Nassau nahm Thüringen mit seinem kolonialen Anschluss nach Osten, oder suchte es wenigstens zu nehmen,
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die Luxemburger nahmen Böhmen, und die Bayern haben bekanntlich versucht, Brandenburg zu nehmen. Nun gelang es weder Adolf von Nassau, sich definitiv festzusetzen, noch gelang es dem Bayern. Wohl aber gelang es Habsburg, und es gelang bis zu einem gewissen Grade Luxemburg.
Ehe ich hier fortfahre, meine Herren, gestatten Sie mir, zu Luxemburg eine kleine Parenthese zu machen. Die Luxemburger Herrscher waren bekanntlich halbe Franzosen. Sie sind in Frankreich erzogen worden, sie haben auch sonst nach Frankreich gravitirt. Ein halber Franzose vor allen Dingen war Karl IV., und so hat er das nationale Bedürfniss, in Böhmen sich nicht blos festzusetzen, sondern auch in Böhmen zu germanisiren, nicht empfunden. Auch die ersten Luxemburger haben das nicht gethan, vor allen Dingen aber Karl IV. nicht, der für die Entwickelung massgebend ist. Karl IV. hat vielmehr die einheimische tschechische Entwickelung in hohem Grade gefördert. Er hat Prag z. B. losgelöst von Mainz, das Erzbisthum Prag begründet. Er hat ausserdem jene Keime religiösen Lebens mit legen helfen, aus denen nachher die Hussitenbewegung hervorgegangen ist; kurz er hat Tschechien verselbständigt. Die Folgen geniessen wir heute: Prag ist heute noch die Stadt Karls IV., ist es aber auch so deutsch, wie wir es wünschen möchten? Und was das Land Böhmen angeht, das heute zu so und so vielen Prozenten tchechisch ist, so nehmen Sie, meine Herren, bitte die Karte vor und sehen Sie sich einmal die ausserordentlich enge Taille des Deutschen Reiches an in der Gegend von Eger hinüber nach Luxemburg. Diese enge Taille kann uns noch manche hübsche Gefahr in Zukunft bringen.
Nun, damit will ich also von Böhmen Abschied nehmen und wir gehen die übrigen Wege der Entwickelung der kolonialen Territorien weiter. Da ist nun zunächst zu konstatiren, dass diese kolonialen Territorien seit dem XIV. Jahrhundert zusehends mächtiger werden, als die mutterländischen. Natürlich, sie waren mit Rücksicht auf die extensivere Kultur der Kolonialgebiete ursprünglich grösser angelegt worden, als die mutterländischen, um diesen gleich mächtig zu sein. Jetzt wurde
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die koloniale Kultur langsam so intensiv, wie die des Mutterlandes, die Grösse der Territorien aber blieb: also mussten diese durchschnittlich mächtiger werden, als die des Mutterlandes. So kam es seit dem XVI. Jahrhundert dazu, dass überhaupt die grossen politischen Gewalten in den Osten kamen, wenn sie auch das Mutterland von Osten her beherrschen mussten, falls sie für die ganze Nation ausschlaggebend bleiben wollten, Oesterreich einerseits, andrerseits Preussen. Oesterreich und Preussen haben dann ihre Gegensätze im Jahre 1866 ausgefochten. Dass der Kampf 1866 so ausfiel, wie er ausgefallen ist, war seit langem eine politische Notwendigkeit. Denn schon seit sehr langer Zeit, seit dem XVII. Jahrhundert, hat sich Oesterreich dem Mutterlande entfremdet und ist dadurch isolirt geworden, hat Verbindungen gesucht vielmehr nach Süden hin, wie nach Osten, während Preussen den umgekehrten Weg gegangen ist. Preussen ist aus dem Kolonialgebiet in das Mutterland hineingewachsen, und diese Thatsache allein hat Preussen den ausschliesslichen Erfolg garantirt.
Jetzt tritt wohl für uns die Frage auf, meine Herren, ob Preussen denn thatsächlich in das Mutterland so genügend hineingewachsen ist, dass wir uns nach jeder Richtung hin befriedigt erklären können. Ich vertrete den Standpunkt, dass Preussen im Jahre 1866 genommen hat, was absolut nothwendig war, um den Gegensatz zwischen Mutterland und Kolonialgebiet, der das zukünftige Reich doch einmal beherrschen sollte, in seinen eigenen Eingeweiden so weit zu repräsentiren, dass es als Repräsentativstaat des Ganzen überhaupt gelten konnte, und ich bezweifle eher, ob Preussen im Westen genug genommen hat, ob die Lösung namentlich, welche die Frage Elsass-Lothringen gefunden hat, für uns eine endgiltige und glückliche gewesen ist, ob es nicht wünschenswerther gewesen wäre, dass Preussen hier noch viel mehr in das Mutterland hineingewachsen wäre. So, wie die Dinge jetzt liegen ist Preussen mit Rücksicht auf die Frage: Kolonialgebiet und Mutterland, ein paritätischer Staat. Weil es aber ein solcher paritätischer Staat ist und darauf seine Bedeutung innerhalb des Reiches beruht und weil
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nach der Seite hin vom Jahre 1870 an bestimmte Wirkungen eingetreten sind und ein bestimmter Gang der Politik eingeschlagen ist, darum ist es unumgänglich, dass Preussen behält, was es im Osten hat. Sonst kann es, wie einmal die Dinge angefangen sind seine deutsche Aufgabe gar nicht erfüllen. So ergiebt sich hier zunächst ein innerer Gesichtspunkt aus der allergrössesten allgemein deutschen Perspektive der politischen Beobachtung dafür, dass Preussen für den Osten sorgen muss. Es sind die grössesten Gesichtspunkte unserer Zukunft, welche uns veranlassen müssen, im Osten fest zuzugreifen und zu halten, was wir haben. Alles aber, meine Herren, was ich Ihnen bisher erzählt habe, das sind doch wieder nur partikulare Gesichtspunkte innerhalb einer viel grösseren deutschen Bewegung, die wir jetzt ins Auge fassen müssen. Wenn Sie die ganze deutsche Entwickelung soweit sie historisch bekannt ist, ansehen, so werden Sie finden: wir haben im allgemeinen zwei feste Grenzen gehabt, das ist die Nordgrenze und das ist die Südgrenze. Im Norden hat das Meer uns gedeckt und im Süden die Alpen; aber im Westen und Osten haben unsere Grenzen fortwährend geschwankt. Sehen wir in die Zeiten zurück, die wir prähistorisch eben noch erkennen können und in unsere ältesten Nachrichten aus Tacitus und Caesar und Posidonius u.s.w., so haben wir da den Eindruck, dass die Deutschen ursprünglich gesessen haben um die Weichsel und Oder herum, dass jedenfalls schon der Uebergang von der Oder nach der Elbe ein Fortschritt nach Westen war; und nun können wir durch vier, fünf Jahrhunderte gut beglaubigter Geschichte verfolgen, wie die Germanen immer weiter nach Westen dringen und wie sich allmählig ihr Schwerpunkt ganz nach Westen, ja in den alleräussersten Westen verlegt. Das geschieht in der Zeit der Begründung des
fränkischen Reiches unter Chlodwig. Da liegt eben die Hauptstadt von Germanien, wenn ich mich so ausdrücken darf, da ist der ideale Kulminationspunkt unserer Nationalität gegeben in den Gegenden heute vlämischer Bevölkerung und den südlich anschliessenden Franzosen, in den Orten Doesborg bei Brüssel, Soissons, Paris und dergleichen mehr. Da
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ist also das Pendel absolut nach Westen ausgeschwungen bis an den Aermelkanal. Der Osten ist mittlerweile ganz verloren gegangen. Oestlich der Elbe sass überhaupt kein Deutscher mehr. Das war Maurunga, wie man sich früher ausdrückte, das Land wüster Grasnarbe, in das nun langsam, ohne dass man recht weiss, wie wo und warum - schliesslich sind sie da - die Slaven eindrangen, bis wir sie auf einmal im VII. und VIII. Jahrhundert an der Elbe und an der Saale finden, bis tief hinein in den Thüringer Wald um Ilmenau, wie sie später der heilige Bonifatius zu seinem grössten Erstaunen in einer Fürth der Fulda badend findet. Sie sehen, damit ist eine überaus weite Bewegung der Germanen eingetreten nach Westen; eine Bewegung, die für immer den germanischen Charakter des nördlichen Teils des Aermelcanals gesichert hat. Dann aber erfolgt eine entgegengesetzte Bewegung. Schon die Begründung des Merowingischen Frankenreichs kann man dahin zählen. Aber vor allen Dingen ist hier die centrale Persönlichkeit, von der die erneute Bewegung der Nation nach Osten nachher geführt wird, Karl der Grosse. Es ist das eins der Momente, das uns begreiflich macht, wie Karl der Grosse im ganzen Mittelalter als der König par excellence erschienen ist, als das Ideal aller Könige, das übergegangen ist in tausend Sagen, in tausend Rechtsvorstellungen u.s.w. Denn von dem Augenblick an geht nun die Bewegung nach Osten vor sich. Zunächst durch Uebertragung der königlichen Gewalt in die im engeren Sinne deutschen, jetzt mutterländischen Gebiete, dann, nachdem das geschehen war, durch das Vordringen der Fürsten in die Kolonialgebiete. In dem Momente, wo die Königsgewalt schwach wird, im XII. Jahrhundert, da setzen die grossen Fürsten ein. Albrecht der Bär, Heinrich der Löwe u.s.w. dringen weiter
nach Osten vor. Dazu kommt denn die gewaltige populäre Bewegung der bäuerlichen Besiedelung des XII. und XIII. Jahrhundert, wie sie vom äussersten Westen, von Flandern und Holland ausgeht: die weltgeschichtliche Grossthat unserer niederländischen Brüder, die wir ihnen niemals vergessen wollen. Die bäuerliche Besiedlung dringt dann noch weiter bis ins XIV.
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und XV. Jahrhundert hinein, und erst dann tritt durch die Reaktion der grossen Völker des Ostens, der Slaven u.s.w. eine Gegenbewegung oder eine Stauung ein, und diese Stauung hat im allgemeinen doch angedauert bis heute, und wir sind jetzt gar im Begriff, in eine rückläufige Bewegung nach der anderen Seite hin umzuschlagen.
(Schluss folgt).
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