Germania. Jaargang 1
(1898-1899)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdHolland und seine Bewohner.
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Von vornherein will ich bemerken, dass die Holländer von heute schon ganz andere Leute geworden sind, als sie vor 30 Jahren waren. Heute sind sie nicht mehr die Chinesen Europa's, als welche man sie damals zu betrachten pflegte. Ihr geistiges Leben ist mächtig entwickelt, seitdem die Holländer zu reisen angefangen, und begriffen haben, dass sie bei ihrer früheren Abgeschlossenheit hinter den Nachbarvölkern in Kunst und Wissenschaft, überhaupt in aller Kultur um mehrere Jahrzehnte zurückgeblieben waren. Ich werde mich bemühen, dieser Veränderung gerecht zu werden. Immerhin ist auch heute noch das Land ein geographisch abseits liegender verlorener Winkel, zu welchem deutsche Reisende nur selten ihre Schritte lenken. Viel Poesie vermag ich meiner Skizze nicht zu geben, dafür ist der Stoff zu rauh und ungefügig. Fehlt doch den Holländern im Allgemeinen der Sinn für das Ideale; sie sind behäbige, praktische Realisten, mitunter von einer ganz trostlosen Nüchternheit. Ueberall richtet sich ihr Sinn mehr nach innen, wie nach aussen; im häuslichen Leben wahre Virtuosen des Comforts und der Familien-Geselligkeit, machen sie im öffentlichen Leben überall geistige Anleihen bei den Franzosen, Deutschen und Engländern, gleichwie sie Meister der Kleinmalerei, aber armselige Historienmaler sind. Sie pflegen eifrig und mit Geschmack eine gute Hausmusik, jeder kleinste Ort hat ein Liebhabertheater oder eine Rednerschule, aber eine holländische Oper, ein holländisches Drama giebt es nichtGa naar voetnoot*. Originell sind die Holländer nur in Allem, was mit dem Wasser, ihrem Lebenselement, zusammenhängt, besonders in der Vertheidigung ihres Grund und Bodens gegen das Wasser, das ihnen ebensosehr Feind, wie Freund ist. Einen zutreffenden Vergleich gebraucht der englische Dichter Butler, der da meint, Holland komme ihm vor, wie ein vor Anker liegendes Schiff, die Holländer lebten wie an Bord eines Schiffes, sie müssten immer befürchten, von den Wellen hinweg gespült zu werden, müssten beständig an den Pumpen stehen, um ihre Planken flott zu erhalten. Das Land hat sich in früheren Zeiten aus den Ablagerungen | |
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des Rheines, der Scheide und der Maas, sowie aus den Anschwemmungen des Meeres gebildet. Es entstanden kleine Inseln, wie im Nil-Delta, nach und nach vereinigten sich diese zu einem compacten Ganzen, bis schliesslich menschliche Bewohner sich darauf ansiedelten. Aber so weit zurück unsere Geschichte reicht, ist dieses aus dem Wasser emporgewachsene Flachland stets bekannt gewesen als ein für Menschen gefährlicher Aufenthalt. Zu allen Zeiten haben diese einen verzweifelten Kampf gegen das feindliche Element zu führen gehabt, mitunter Jahrhunderte hindurch Sieger, dann wieder durch entsetzliche Katastrophen weit zurückgeworfen, einen Kampf führend, der mehr und mehr zu Ungunsten der Menschen sich gestaltet. Hierfür spricht die Thatsache, dass die ganze Küste von Holland, ja das ganze Küstenland westlich bis zum englischen Kanal, östlich bis zur Ostsee in einem beständigen Sinken dem Niveau des Meeres gegenüber begriffen ist. Diese Bodensenkung ist schon lange und sehr genau beobachtet, sie beträgt ungefähr 2 Fuss in 100 Jahren. Beweise dafür sind in Holland vorhanden. So baute der römische Kaiser Caligula ein Castell, die arx britannica, derzeit an der Mündung des Rheines; heute liegt der Trümmerhaufen dieses Castells von Katwijk aus etwa 800 Schritte weit vom Lande entfernt in der See; bei der abnormen Ebbe des Jahres 1768, die den Strand weithin bloslegte, sind noch gut erhaltene Mauer-Ueberreste davon zu Tage getreten. An ähnlichen Erscheinungen hat man berechnet, dass die Insel Walcheren in Zeeland seit der Römerherrschaft um etwa 30 Fuss gesunken ist. Solche Thatsachen bedingen die fortwährende Nothwehr der bedrohten Bevölkerung. Holland muss sich flott zu halten suchen, und wie auf dem Schiffe die Pumpen der letzte Rettungsanker sind, so dienen den Holländern die Dämme und Deiche als solcher, ohne diese wären die Niederlande heute schon wieder ein schiffbares Meer, wie sie es vor Jahrtausenden gewesen sind. Kommt es doch trotz aller Aufmerksamkeit gar nicht selten vor, dass heute der Landmann seine Saat einem fruchtbaren Felde anvertraut, und morgen über dieses Feld hinweg | |
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ein Segelboot statt des Pfluges seine Furchen in unabsehbarer Wasserfläche zieht, wenn nämlich die Deiche dem mächtigen Wasserdrucke nachgeben, und durch weit klaffende Risse eine Ueberschwemmung das Land vernichtet. Der Holländer kennt diese Gefahr genau, die abgesehen von Zufälligkeiten regelmässig zu ganz bestimmten Zeiten auftritt, nämlich bei der Tag- und Nacht-Gleiche, und dann auch, wenn mit der hohen Fluth des Neu- oder Vollmondes unglücklicherweise ein Nordwest-Sturm sich vereinigt. Dann wälzen sich enorme Wassermassen gegen das tief unter dem Niveau des Meeres liegende Land heran, und wehe dann den Strecken, deren schützende Dämme sich nicht stark genug erweisen - die brausenden wühlenden Fluthen vernichten in Stunden, was Menschenhände mühsam in Jahrzehnten geschaffen haben. Andere Nationen haben eine Geschichte blutiger innerer Kämpfe, weitaus düsterer noch berichtet die Chronik Holland's über die Ueberschwemmungen. Es würde mich zu weit führen, alle Katastrophen, die über das unglückliche Land hereingebrochen sind, zu erwähnen; als eine Probe nur entnehme ich den Ueberlieferungen die furchtbaren Verheerungen des 13. Jahrhunderts. So wurde im Jahre 1214 ganz Friesland überfluthet, und mehr als 100,000 Menschen kamen dabei ums Leben. 13 Jahre später verschlang die See 57 □ Meilen Landes, heute die Zuiderzee genannt; im Jahre 1232 wurde durch Sturmfluth und Dammbruch das Haarlemer Meer geschaffen, das erst nach reichlich 600 Jahren wieder trocken gelegt ist. Noch Schlimmeres passirte am Weihnachtstage des Jahres 1277, wo bei einem grossen Eisgang der Ems das Wasser die Stadt Thorum unwiederbringlich begraben hat nebst 40 Dörfern mit 3 Klöstern und einigen 50 Kirchen. Das blühende Land, das diese Ortschaften trug, verschwand vollständig, und es entstand der heute noch vorhandene drei Meilen lange und eine Meile breite Dollart, der Golf von Emden. Ueberboten wurde diese Katastrophe noch durch die Ueberschwemmung am 19. November 1421, wo an einem Tage 72 Dörfer mit weit über 100,000 Menschen im Wasser versanken. | |
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Man sagt, dass bei dieser Gelegenheit die Stadt Dordrecht mit allem Grund und Boden eine Strecke weit fortgeschwemmt sei bis an den Ort, wo sie sich heute befindet. Gleiches erzählt des Chronist vom Allerheiligentage des Jahres 1570, wo bei einer Ueberschwemmung in Friesland ein hochgelegener Meierhof mit allen zugehörigen Baulichkeiten auf einer Scholle festen Landes unvermerkt eine halbe Meile fortgeschwemmt wurde. Die Hausbewohner waren währenddem im Hause mit Brotbacken beschäftigt, und wunderten sich nicht wenig, als sie beim Heraustreten aus der Thür die Gegend ganz verändert fanden. Die letzte grössere Ueberfluthung ereignete sich im Jahre 1860-61, wo die Maas und Waal austraten, und 14,000 Morgen Land vernichteten. Es wird gewiss nicht unwillkommen sein zu hören, mit welchen Mitteln sich die Holländer dagegen vertheidigen, d.h. wie sie ihre Dämme künstlich construiren. Diese Bauten sind Meisterwerke in ihrer Art. In die See, unmittelbar dicht am Lande werden in Zwischenräumen hinter einander drei Reihen etwa 24 Fuss langer und 1-1 ½ Fuss starker Pfähle, meistens skandinavisches Greinenholz, tief eingerammt, durch Querbalken und eiserne Klammern mit einander verbunden. Die Zwischenräume werden mit Granitblöcken ausgefüllt, der festgestampfte Boden um die Pfahlreihen wird mit Faschinen bedeckt, und auf diese wälzt man wiederum schwere Granitblöcke. Das ist der Wellenbrecher, hinter dem sich nun erst der eigentliche Deich erhebt. Für diesen füllt man den vertieften und fest gestampften Boden mit Steinen aus, auf diese kommt eine Schicht Lehm, dann wieder Steine, darauf Erde, und dann eine Schicht Weidengeflecht, Alles festgestampft. So wird der Deich auf breiter Basis sich nach oben zu verjüngend aufgebaut, auf beiden Seiten mit Weidengeflecht belegt, mit einer Schicht Erde bedeckt, und diese mit Rasen und Buschwerk dicht bepflanzt, damit die Pflanzenwurzeln der äusseren Rinde die letzte Sicherheit geben. Den Zwischenraum zwischen Deich und Wellenbrecher füllt man mit festgestampftem Lehm aus. | |
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Die Kosten dieser Wasserbauten sind ganz enorm, denn Holland muss die erforderlichen Materialien an Holz und Stein weither, aus Schweden, Norwegen und Deutschland beziehen, das Land selbst bringt sie nicht hervor. Im Staats-Budget wurden zu meiner Zeit alljährlich etwa 10 Millionen Gulden für den sogenannten waterstaat, ein Corps von Ingenieuren, angesetzt, was im Verhältniss Holland ebenso belastet, wie andere Staaten durch stehende Heere bedrückt werden. Der waterstaat ist unausgesetzt in Thätigkeit, das Bestehende zu erhalten, zu beschützen. Um eine Idee von der Grossartigkeit dieser Deichbauten zu geben, führe ich den des sogenannten Helders in Noordholland an; er ist zwei Stunden lang, oben auf dem Kamm 40 Fuss breit, mit einer guten Fahrstrasse versehen, und senkt sich mit einer Neigung von 40 Grad etwa 200 Fuss weit ins Meer hinein. Welche Mühen kostet es, einen solchen Riesenbau zu schaffen, und zu unterhalten. Man sollte es nicht für möglich halten, dass mitunter bei schwerem Sturme die starken Wellenbrecher wie Pfeifenstiele geknickt werden. Geht man bei solchem schweren Wetter dicht am Deiche im Lande, so kann es einem Neuling Grausen erregen, die Brandung deutlich über sich an den Deich anschlagen zu hören, man befindet sich am Land manchmal 10-20 Fuss tiefer als der Meeresspiegel bei hoher Fluth. In den Zeiten der Gefahr entfaltet der waterstaat in seinen Beamten eine glänzende Bravour und rastlose Thätigkeit, und hinter diesen unerschrockenen Männern steht die ganze Bevölkerung des bedrohten Landstrichs, von der jeder Einzelne weiss, dass er für sein Leben zu kämpfen hat, dass er sich dem gemeinsamen Schicksale nicht entziehen kann, dagegen im Verein mit den Andern die Gefahr wohl zu besiegen vermag. So mahnen denn bei bedrohlichen Anzeichen die Kirchenglocken, und rufen Kanonenschüsse die Bevölkerung zur schleunigen Hilfeleistung; dann eilt Alt und Jung, aus Städten und Dörfern, mit Hacke und Schaufel, mit Faschinen und Werg, Lumpen und Erdsäcken, mit Lehm und Stroh an die bedrohte Stelle. Spült die rasende See einen Riss in den Deich, so wird er unter Anleitung der Beamten verstopft; hilft das nicht, so | |
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wird rasch hinter dem bedrohten Punkte im Halbkreise ein neuer Deich aufgeworfen, der mit beiden Endpunkten sich an den alten anschliesst. Hieran findet dann das durchbrechende Wasser Widerstand, und es ist nun Aufgabe Aller, diesen zweiten Deich zu halten. Gelingt das nicht, so ist das ganze nächst-liegende Land, ist Hab' und Gut verloren, und das Leben bedroht. In diesen Stunden äusserster Gefahr muss man die Holländer sehen, um sie hochachten zu lernen. Mit einer eisernen Willensstärke verbinden sie dann eine unglaubliche Kraft des Wesens, kühnen Muth, Ausdauer, Kaltblütigkeit und umsichtige Schnelligkeit. Züge der aufopferndsten Nächstenliebe treten dabei in schlichter Weise zu Tage, und lassen die Nation im hellsten Lichte edler Bürgertugenden erscheinen, ganz im Gegensatz zu dem phlegmatischen Temperament, das den einzelnen Holländer in ruhiger Zeit mehr an seine eigene Bequemlichkeit, als an seinen Nächsten denken lässt. (Fortsetzung folgt). |
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