Ingezonden
Offener Brief an die Redaction des ‘Amsterdammer Weekbl. v. Nederland’
Löbliche Redaction,
Ich habe einen guten Freund in Haarlem, der mir öfters die ‘Groene’ einsendet. Da vergnüge ich mich denn an den Bockssprüngen Ihres musikalischen Mitarbeiters. Vor einiger Zeit konnte ich da zu meinem Erstaunen lesen, dass ich eine grosse Erfindung gemacht hätte. Nach jahrelangen in Paris und Wien vollbrachten Studien und vielen zu Experimenten benützten Concert-reisen war es mir endlich gelungen einen bis dahin sehr verachteten, Jargon das ‘Jüdeln’ ins Musikalische zu übersetzen und das Beethovenconcert in diesem Idiom vorzutragen.
Ich war starr vor Staunen, beschloss jedoch auf jeden Fall, sofort ein Patent auf dieses interessante Verfahren zu nehmen, sowie mir Ihr Kritiker das Geheimniss seiner Entdeckung enthüllt haben würde. Leider warte ich noch darauf und so komme ich um die Früchte meiner unbewussten Erfindung.
Mit den nächsten Nummern jedoch die mir mein Haarlemer Freund zusandte vergieng mir das Lachen: Alphons Diepenbrock, der Componist des genialen ‘Te Deum’, unbedingt - mag man seine späteren Werke diesem auch nicht gleichstellen - eine der vornehmsten Figuren des holländischen Musiklebens associiert sich mit Herrn Vermeulen - da geht mir die Sprache aus, und ich muss Göthe im Faust das Wort erteilen: ‘Es tut mir in der Seele weh, dass ich Dich in der Gesellschaft seh.’
Doch als ich heute früh Ihre Nummer vom 16 Juli erhielt mit der Antwort Ihres Kritikers auf das eingesandte Schreiben des Herrn Mossel, da hat es mich übermannt und mir die Feder in die Hand gezwungen. Ich las da: ‘Holländische Componisten, Ihr seid nicht mehr wert als Leierkastenmänner - Ihr seid Hampelmänner, alte Trompeten, vermoderte Trommelhaüte etc.’ so ruft der noch sehr jugendliche (hoffnungs-) grüne Herr Vermeulen wem zu? Etwa den Veteranen aus dem Musikcorps der Schutterij? O nein, er wendet sich an die holländischen Componisten (mit alleiniger Ausnahme des Herrn Diepenbrock) also an Männer wie Bernard Zweers, Dirk Schäfer, Julius Röntgen, von Brucken Fock, Johan Wagenaar, Leander Schlegel - Catharina van Rennes als Frau.
Herr Vermeulen behauptet sehr viel zu wissen. Es giebt aber doch noch einiges, was er nicht weiss. Z.B. er weiss nicht:
I. dass die Symphonie von Zweers ‘Aan mijn Vaderland’ nicht nur ein machtvolles grossartiges Werk, sondern als erster Versuch einer national-holländischen Musik ein bleibendes Culturdocument von hohem musikgeschichtlichen Wert ist.
II. Dass Dirk Schäfer u. A. der Componist 2er Geigensonaten ist, die bei ihrer Aufführung in Berlin als mit zu der allerbesten neueren Kammermusik gehörend anerkannt wurden.
III. Dass Julius Röntgen, ganz abgesehen von seinem hohen Wert als selbständiger Componist der Regenerator der alten holländischen Volks-Musik ist und schon als solcher ein ‘Hut ab’ erfordert.
IV. Dass Brucken Fock u. A. 24 Preludien f. Klavier componiert hat, die als eine würdige Fortsetzung der Chopin'schen gelten können.
V. Dass Johan Wagenaar im selten gepflegten Genre der musikalischen Parodie ein Meister ist.
VI. Dass Leander Schlegel auch im Ausland als ein in der vordersten Reihe erfolgreicher Kämpfer für die Moderne gilt.
VII. Dass Cath. v. Rennes eine Grosse im Reiche der Kleinen ist.
VIII. Dass es in Holland eine junge Generation giebt, die in harten Kämpfen danach ringt, ihrem Lande eine immer höhere Geltung im internationalen Musikleben zu erringen.
Stimmt Alles nicht, entgegnet der noch sehr (hoffnungs-) grüne Herr Vermeulen - sind Alles Hampelmänner, altes Gerümpel, reif für den Lumpensammler.
Ja aber - aber - auf welcher Seite ist da eigentlich der Hampelmann???
Arme holländische Musik, Du bemitleidenswertes Stiefkind unter den Künsten Deines Vaterlandes, wie bedaure ich Dich, dass du Dich derart begeifern lassen musst. Und Ihr, Componisten Hollands, die Ihr gezwungen werdet, Euch von Leuten beurteilen zu lassen, die zwar nichts gelernt haben, dafür jedoch imstande sind in einer Minute hundertundzwanzig Worte niederzu schreiben (‘die Masse macht's’, wie die Devise der modernen Warenhaüser lautet). Ihr tut mir wahrhaft leid. Fünf Jahre habe ich mit Euch gelebt, auch nach Kräften für Euch gewirkt - und eine grosse Bitterkeit steigt in mir auf, wenn ich sehe, wie man mit Euch umgeht. Trotzdem oder gerade desshalb muss ich mit Euch grob werden: lasst Euch von einem Freunde sagen - Ihr seid Alle mitsammt Waschlappen, dass Ihr jeden Sonntag in der Früh zum Kaffee lesen könnt, wie Ihr im Grunde genommen nicht wert seid auf der Welt zu sein - und Nichts in Euch, die Ihr doch auch Eure Ideale habt, regt sich, um gegen derartige Pöpeleien zu protestieren.
Ihr schuftet ruhig weiter und bereitet eine neue Musikergeneration vor, die dem gleichen Schicksal entgegengeht. Wenn man Euch auf die rechte Wange spuckt, so wischt Ihr Euch ruhig ab und haltet die linke hin. Wenn Ihr Euch daran gewöhnt, dass das Beste, was ein Jeder von Euch in sich hat, in den Kot gezerrt wird, so tut es mir um Eure Ideale leid. Denn die halten eine solche Behandlung nicht lange aus - und wenn dies so weiter geht, werdet Ihr eben vollständig die Lust am Schaffen verlieren und in der grossen Musikantenheerde untergehen - nach dem Grössten und Schönsten strebende Künstler, die Ihr gewesen seid.
Der Art und Weise jedoch, Musik zu kritisieren, wie sie durch Herrn Vermeulen betrieben wird, kann ich nur eins zurufen - ein kräftiges Pfui Teufel - Wohl bekomm's!
Carl Flesch