Zur Begriffsgeschichte des 'Paradoxon'
(1933)–K. Schilder– Auteursrecht onbekendMit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen ‘Paradoxon’
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Kapitel I
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§ 1. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes ‘paradox’ in den klassichen Sprachen.Das Wort παϱάδοξος ist in seiner ältesten Gebrauchsform ein adiectivum, zusammengesetzt aus παϱά und δόξα. Später wurde das Neutrum substantivisch gebraucht. Die Präposition παϱά bedeutet hier: ‘wider’, das Substantivum δόξα: ‘Meinung’ oder ‘Erwartung’. Daraus ergibt sich die allgemein übliche Bedeutung des Adiectivums παϱάδοξος: ‘wider Erwarten’, ‘wider die gewöhnliche Meinung oder Ansicht’; daher: ‘unerwartet’, ‘unglablich’, ‘sonderbar’, ‘wunderbar’, ἀπϱοσδοϰητός, ϑαυμαστός. In diesem Sinne wird das Wort dann auch gebraucht u.a. von Plato, Xenophon, Demosthenes, Plutarch, Arrian.Ga naar voetnoot1) Nun ist δόξα in dem Sinn von ‘Erwartung’ eine vox media und kann sowohl freudigen als traurigen Inhalt haben. Daraus folgt, dass, was παϱὰ δόξαν ist, auch παϱὰ πϱοσδοϰίαν | |||||||||||
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sein kann, und ebenso παϱ᾽ ἐλπίδαGa naar voetnoot1). Παϱάδοξος in dem Sinn von ἀπϱοσδοϰητός, ϑαυμαστός kann also sowohl in bonam partem als in malam partem gebraucht werden.Ga naar voetnoot2) StetsGa naar voetnoot3) dominiert in παϱάδοξος der Gedanke von ‘das Unerwartete, das Ueberraschende’. Anlass zur wissenschaftlichen Fixierung des Wortes παϱάδοξος in der zuletzt angeführten Bedeutung haben wohl die Sophisten gegeben. In ihren Reden und Schriften haben sie es oft so verwendet, und einen terminus technicus daraus gemacht. Philostratus z.B. hat gesagtGa naar voetnoot4) von Gorgias: ‘ὁϱμῆς τε γὰϱ τοῖς σοφισταῖς ἦϱξε ϰαὶ παϱαδοξολογίας ϰαὶ πνεύματος ϰαὶ τοῦ τὰ μέγαλα μεγάλως ἑϱμηνεύειν, ἀποστάσεών τε ϰαὶ πϱοσβολῶν, ὑφ᾽ὧν ὁ λόγος ἡδίων ἑαυτοῦ γίγνεται ϰαὶ σοβαϱώτεϱος, πεϱιεβάλλετο δὲ ϰαὶ ποιητιϰὰ ὀνόματα ὑπὲϱ ϰόσμου ϰαὶ σεμνότητος. Wie verblüffend und die Hörer zur Aufmerksamkeit aufstachelnd die Paradoxologie des Gorgias wirken sollte, | |||||||||||
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zeigt uns Isokrates, wenn er in Beziehung auf Gorgias fragt: ‘Denn wie könnte einer den Gorgias überbieten, der zu behaupten wagte, dass kein Ding existiert (πῶς γὰϱ ἄν τις ὑπεϱβάλοιτο Γοϱγίαν τὸν τολμήσαντα λέγειν, ὡς οὐδὲν τῶν ὄντων ἔστιν)’? Eine solche These (cf. Protagoras, die Sophisten) wird von Isokrates genannt: ὑπόϑεσις ἄτοπος ϰαὶ παϱάδοξος, eine absurde und paradoxe These.Ga naar voetnoot1) ‘Dass Isokrates.... die Schrift des Gorgias wie eine lediglich zum Zwecke der Epideixis, mit dem vollen Bewusstsein ihrer sachlichen Unwahrheit verfasste Deklamation über ein willkürlich gewähltes, ihm wegen seiner Paradoxie und Absurdität zusagendes Thema behandelt, lässt sich “- nach H. Gomperz -” wohl nicht bezweifeln.’Ga naar voetnoot2) Und er fügt hinzu: ‘Der Nährboden der Gorgianischen Gnomie ist die Paradoxie.’Ga naar voetnoot3) Und Philostratus sagt von Kritias: ὁϱῶ τὸν ἄνδϱα ϰαὶ βϱαχυλογοῦντα ἱϰανῶς ϰαὶ δεινῶς ϰαϑαπτόμενον ἐν ἀπολογίας ἤϑει. ἀττιϰίζοντά τε οὐϰ ἀϰϱατῶς, οὐδὲ ἐϰφύλως (τὸ γὰϱ ἀπειϱόϰαλον ἐν τᾷ ἀττιϰίζειν βάϱβαϱον) ἀλλ᾽ ὥσπεϱ ἀϰτίνων αὐγαὶ τὰ Ἀττιϰὰ ὀνόματα διαφαίνεται τοῦ λόγου. ϰαὶ τὸ ἀσυνδέτως δὲ (χωϱίον) χωϱίωι πϱοσβαλε̃ιν Κϱιτίου ὥϱα, ϰαὶ τὸ παϱαδόξως μὲν ἐνϑυμηϑῆναι, παϱαδόξως δ᾽ ἀπαγγεῖλαι Κϱιτίου ἀγών, τὸ δὲ τοῦ λόγου πνεῦμα ἐλλιπέστεϱον μὲν, ἡδὺ δὲ ϰαὶ λεῖον, ὥσπεϱ τοῦ Ζεφύϱου ἡ αὔϱα.Ga naar voetnoot4) So ist es begreiflich, dass später namentlich die ‘wunderlichen Sätze’ auch der Stoiker (z.B. dass alle weisen Menschen reich seien)Ga naar voetnoot5) παϱάδοξα genannt worden sind; um damit auszusagen, nicht, dass diese Paradoxa gegen die Vernunft seien, sondern nur, dass sie etwas anderes sagen, als man im gewöhnlichen Denken sich vor- | |||||||||||
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zustellen pflegt. Auch Cicero kennt diesen terminus technicus in diesem bestimmten Sinne. Er übersetzt das griechische παϱάδοξα durch: mirabilia, admirabilia, contraque opinionem omnium.Ga naar voetnoot1) In der dargelegten Bedeutung hat die antike Wissenschaft und Philosophie das Wort παϱάδοξος auch immer stehen lassen. Es hat für unseren Zweck keinen Sinn, hier Plato anzuführen.Ga naar voetnoot2) Es genügt zu wissen, dass bei ihm παϱάδοξος admirabilis, insolens bedeutet.Ga naar voetnoot3) Streng aber hat Aristoteles das Wort παϱάδοξος (und ἄδοξος) einerseits, unterschieden von ἔνδοξος andererseits. Παϱάδοξος ist bei ihm oft synonym mit ἄδοξοςGa naar voetnoot4) und ist dann oppositum zu ἔνδοξος. Was παϱάδοξον ist, findet sein oppositum in dem, was πϱὸς τὴν ἐμπϱοσϑὲν δόξαν ist. So sagt er: ‘γνώμη δ᾽ἐστὶ μὲν ἐν ϰεφαλαίῳ ϰαϑ᾽ ὅλον τῶν πϱαγμάτων δόγ- | |||||||||||
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ματος ἰδίου δήλωσις, δύο δὲ τϱόποι τῶν γνωμῶν εἰσίν, ὁ μὲν ἔνδοξος ὁ δὲ παϱάδοξος. ὅταν μὲν οὖν ἔνδοξον λέγῃς, οὐδὲν δεῖ τὰς αἰτίας φέϱειν· οὔτε γὰϱ ἀγνοεῖται τὸ λεγόμενον οὖτ᾽ ἀπιστεῖται· ὅταν δὲ παϱάδοξον λέγῃς, χϱὴ φϱάζειν τὰς αἰτίας συντόμως, ἵνα τὴν ἀδολεσχίαν ϰαὶ τὴν ἀπιστίαν διαφύγῃς.’Ga naar voetnoot1) Aehnlicherweise verwendet Aristoteles das Wort, wenn er sagt: ἐλήυϑε δ᾽ ἐνίοις αὕτη ἡ δόξα ὥσπεϱ ϰαὶ ἄλλαι τῶν παϱαδόξων· ὅταν λὰϱ λύειν μὴ δύνωνται λόγους ἐϱιστιϰούς, ἐνδόντες τῷ λόγῳ σύμφασιν ἀληϑὲς εἶναι τὸ συλλογισϑέν.Ga naar voetnoot2) Nicht nur bei Aristoteles freilich ist παϱάδοξος oppositum zu ἔνδοξος, sondern auch bei den lateinischen Rhetoren, wenn sie die genera causarum, die figurae (σχήματα) materiarum oder controversiarum aufzählen. Wenn der Redner ‘einen Gegenstand, der allgemein der Bekämpfung oder Vertheidigung werth scheint’, bekämpft oder verteidigt, dann gehört seine Rede zum genus ἔνδοξον oder honestum. ‘Sein Gegentheil ist das genus ἄδοξον oder humile, wenn nähmlich “der streitige Gegenstand” oder “die besprochene Person” kaum der Beachtung werth erscheinen’. Weiter gibt es das genus ἀμφίδοξον, dubium, oder anceps (‘anständige Person und unanständige Sache, oder umgekehrt’). ‘Der Gegenstand kann viertens der Art sein, dass man sich überhaupt wundert, wie Jemand es wagt ihn vertheidigen zu wollen. Dies gibt das genus παϱάδοξον oder admirabile’.Ga naar voetnoot3) Diese Abgrenzung nun des Begriffes παϱάδοξος gegen ἔνδοξος findet sich bei Aristoteles öfters. So spricht er im OrganonGa naar voetnoot4) über ‘die sophistischen Mittel, wodurch man | |||||||||||
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bei dem Disputieren beweisen kann, dass der andre Theil etwas Falsches oder Paradoxes sagt’. Der betreffende Abschnitt beginnt soGa naar voetnoot1): ‘Um zu zeigen, dass der Andre etwas Falsches sagt (ψευδόμενον), oder um seine Behauptungen als ganz unglaublich darzustellen (τὸν λόγον εἰς ἄδοξον ἀγαγεῖν)...., dazu ist das erste Mittel und das am häufigsten angewendete das Fragen.... Ferner, um Jemanden im Disputieren paradoxe Sätze aussprechen zu machen, muss man darauf achten, aus welcher philosophischen Schule er ist; dann muss man solche paradoxe Sätze durch Fragen zum Vorschein bringen, welche die betreffende Schule im Gegensatz gegen die allgemeine Ansicht der Leute aufstellt; jede Schule hat aber solche Sätze (πάλιν πϱὸς τὸ παϱάδοξα λέγειν σϰοπεῖν ἐϰ τίνος γένους ὁ διαλεγόμενος, εἶτ᾽ επεϱωτᾶν ὃ τοῖς πολλοῖς οὗτοι λέγουσι παϱάδοξον· ἔστι γὰϱ ἑϰάστοις τι τοιοῦτον). Das Hauptmittel um den Gegner dahin zu bringen, dass er Paradoxes (Auffallendes und Unwahrscheinliches) sage (πλεῖστος δὲ τόπος ἐστι τοῦ ποιεῖν παϱάδοξα λέγειν....), besteht in der Benützung des Gegensatzes zwischen dem was der Natur gemäss ist und dem was das Gesetz befiehlt, nach der Art, wie Kallikles in dem Gorgias redend eingeführt wird. Natur und Geist und Gesetz bezeichnet man gewöhnlich als einander entgegengesetzt; desgleichen sagt man, dass Gerechtigkeit zwar nach dem bestehenden Gesetz etwas sittlich Schönes sei, aber nicht von Natur. Gegen denjenigen nun welcher von den Vorstellungen nach dem Gesetz ausgeht, muss man bei dem Disputieren auftreten mit Vorstellungen über die Sache nach der Natur, und umgekehrt Denjenigen welcher von der Natur ausgeht, muss man durch Einwendungen auf den Standpunkt des Gesetzes zu bringen suchen. Was er dann sagen mag, so ist dieses gegen die Wahrscheinlichkeit und paradox (ἀμφοτέϱως γὰϱ εἶναι λέγειν παϱάδοξα). Dabei galt den alten | |||||||||||
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Sophisten (αὐτοῖς) das was von Natur ist als wahr, und das was dem Gesetze gemäss ist, nur als die Meinung des grossen Haufens (τὸ τοῖς πολλοῖς δοϰοῦν). Auf diese Weise versuchten sie, so wie dies auch die jetzigen Sophisten thun, den Gegner zu widerlegen oder zum Aussprechen paradoxer Sätze zu bringen (ἢ ἐλέγξαι ἢ παϱάδοξα λέγειν τὸν ἀποϰϱινόμενον ποιεῖν)’. In diesem wichtigen Abschnitt aus dem Organon hat παϱάδοξος immer noch die ausgesprochene Bedeutung von: ‘contra opinionem des grossen Haufens (τῶν πολλῶν)’. Das Moment der Ueberraschung dominiert im Begriff παϱάδοξος so stark, dass der paradoxe Satz sogar für die disputierenden Parteien selbst verwirrend wirken kann. Παϱάδοξον ist das, was überhaupt unwahrscheinlich ist. Ein typischer Beweis hierfür ist auch die aristotelische Definition der πϱότασις διαλεϰτιϰή: ἔστι δὲ πϱότασις διαλεϰτιϰὴ ἐϱώτησις ἔνδοξος ἢ πᾶσιν ἢ τοῖς πλείστοις ἢ τοῖς σοφοῖς, ϰαὶ τούτοις ἢ πᾶσιν ἢ τοῖς πλείστοις ἢ τοῖς μάλιστα γνωϱίμοις, μὴ παϱάδοξς.Ga naar voetnoot1) Es ist bemerkenswert, dass die dargelegte Verwendung des Begriffs des Paradoxon als terminus technicus in seiner wesentlichen Bedeutung geblieben ist bis weit in die Kaiserzeit hinein. Was die Sophisten in ihren Dialexeis angefangen haben, das haben die Stoiker fortgesetzt und weitergeführt. Obwohl man den in Frage stehenden Begriff in ihrer Literatur als beliebtes Thema in mannigfacher Weise verwendet findet, hat er doch seine Grundbedeutung von ‘contra opinionem plerorumque’ beibehalten. Sie haben ihn so einerseits vor atheoretischer Verwässerung, andrerseits vor fachtheoretischer Erstarrung geschützt. Nicht das παϱάδοξον als solches, sondern nur | |||||||||||
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das παϱάλογον gilt ihnen als verwerflich.Ga naar voetnoot1) Infolgedessen trägt die bekannte paradoxographische Schriftstellerei, in der das Paradoxon die Philosophen als solche beschäftigt, das Merkmal, dass sie die Volksgeschichte, die Naturanschauung, kurz alles, was die Leute auch im praktischen Leben interessiert, in steter Berücksichtigung hält. Nicht nur ist παϱάδοξον ‘in der Philosophie der Stoa im technischen Sinn eine wegen ihres Inhaltes auffallende Lehrmeinung, die sich bei näherer Untersuchung als zutreffend erweist’,Ga naar voetnoot2) sondern ihre Literatur gibt auch eine ‘literarische Darstellung von allerlei Merkwürdigkeiten und wunderbaren Erscheinungen (παϱάδοξα, ϑαυμάσια) aus der Natur, der Geschichte und Sage und dem Menschenleben’.Ga naar voetnoot3) Diese paradoxographische Schriftstellerei, die - was die Hervorgebung dieser ϑαυμάσια und παϱάδοξα anbelangt - ihre Wurzeln in der altionischen Geschichtschreibung hatGa naar voetnoot4), durchläuft die ganze Periode von Antigonos, dem Karystier (etwa 240 a. Chr.), dem Verfasser vom Paradoxenbuch Ἱστοϱιῶν παϱαδόξων συναγωγή,Ga naar voetnoot5) bis tief in die Kaiserepoche hinein. Diese Paradoxographie ist bezeichnet wordenGa naar voetnoot6) als ‘besondere Zweige der Kulturgeschichtschreibung’ und als ein ‘Parasitengewächs am Baum der historischen und naturwissenschaftlichen Literatur’. Was in dieser Literaturart als paradox angesehen wird, geht deutlich aus der Beschreibung hervor, die Zenon vom | |||||||||||
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Begriff der Paradoxa gibt. (χαϱώνεια, ἀμπώτιδες, πηγαὶ ϑεϱμῶν ὑδάτων, πυϱὸς ἀναφυσήματα) und ferner aus den üblichen Kapiteln dieser Paradoxographie (ζῷα, φυτά, χῶϱαι, πόταμοι, ϰϱῆναι, βόταναι).Ga naar voetnoot1) Das eigenartige (ἴδιος) und geheimnisvolle (παϱάδοξος) Walten der Natur wurde ohne weiteres als paradox erklärt und dieses Paradoxe wurde infolgedessen - man denke an die ‘Kategorie’ ἴδιον ϰαὶ παϱάδοξον - als das für den Betrachter des mundus sensibilis eigentliche, die Natur beherrschende Merkmal gekennzeichnet.Ga naar voetnoot2) Das Paradoxale ist wohl ein Objekt der Verwunderung, braucht aber nicht aus der Welt des ‘realen Seins’ ausgeschaltet zu sein. Demzufolge darf das Paradoxale an sich nicht ohne weiteres ein Objekt des Unglaubens sein. So nimmt z.B. Diodor Stellung gegen die ἀπίστως διὰ τὸ παϱάδοξον πϱὸς τὰς ἱστοϱίας διαϰείμενοιGa naar voetnoot3). Wenn also das Wort παϱάδοξος gebraucht wird von mythischen und sagenhaften GebildenGa naar voetnoot4), kommt ihre geschichtliche Faktizität als solche gar nicht in Frage; sie bleibt Nebensache, kann da sein und auch fehlen. Immer behält das Paradoxe den ‘Reiz des Merkwürdigen und Rätselhaften, mit dem sich leicht ein religiös-ehrfürchtiges Gefühl verbindet. In diesem Sinn verwendet dann die rhetorisierende Geschichtschreibung seit Isokrates, deren Theorie sich in hellenistischer Zeit durchgesetzt hat, die Paradoxa als stilistische Würze mit vollem Bewusstsein. Vom 4. Jahrhundert an begann die Philosophie auf die in den Geschichtswerken und sonst aufgezeichneten Paradoxe ihre Aufmerksamkeit zu lenken, sei es um nach Erklärungen für sie zu suchen, oder um in ihnen, wie die Stoa, Zeichen göttlicher Vorsehung und der Wunderbarkeit der φύσις zu erweisen und eine Theodizee auch auf sie zu stützen’.Ga naar voetnoot5) | |||||||||||
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Wenn wir also das Wort παϱάδοξος auf seinem langen Wege von den Sophisten bis zu den Stoikern verfolgen, sehen wir seinen Inhalt sich nicht bedeutend ändern. Möge es nun sein, dass die Stoiker das Wort aus der etwas schwülen Sphäre der sophistischen Denkspielereien und eristischen Silbenstechereien losgelöst haben, um es in den Höhen des Himmels und in den Tiefen der Erde in mysteriöser Schrift geschrieben zu sehen; möge es sein, dass die Stoiker in Geschichte und Mythos lebendig werden sahen, was für die Sophisten nichts anderes war, als eine künstliche Konstruktion, mit deren Hilfe man sich selbst und andere übte in der praktischen Anwendung des Satzes vom Widerspruch und des principium identitatis - dennoch hat bei beiden immer das Wort die Bedeutung beibehalten: auffallend, scheinbar unwahr, unsinnig oder sinnlos, jedoch bei näherer Betrachtung: wahr, wenigstens möglich, jedenfalls sinnvoll. Ebendadurch haben die Stoiker den Realitäten der physischen Welt und den (wirklichen oder sagenhaften) Ereignissen der Geschichte das Prädikat παϱάδοξος beilegen können, weil das Wort selbst in keiner Hinsicht die Wahrheit oder Unwahrheit, die Wirklichkeit oder Unwirklichkeit alles dessen, was παϱάδοξον genannt wurde, absichtlich zur Frage stellen wollte; keinesfalls wollte es den Anspruch erheben, für die Beantwortung solcher Frage ein Praejudiz gegeben zu haben. ‘Man verwirfft’ die seltsamen Sprüche der stoischen Philosophie ‘nicht, sofern sie παϱάδοξα sind, und einem seltsam scheinen; sondern weil (sofern?) sie παϱάλογα oder unvernünfftige Dinge in sich fassen, wie Buddeus in analect. histor. philosoph. pag. 130, wohl davon urtheilet’.Ga naar voetnoot1) Der Gebrauch des Adjektivums oder Substantivums παϱάδοξος(ν) gab zwar dem Hörer eine logische Schwierigkeit auf, aber damit ist noch gar nicht gesagt, | |||||||||||
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dass es entweder nach der ontologischen Heimat oder Heimatlosigkeit, nach der philosophischen Legitimierbarkeit oder - um kantisch zu reden - ‘Unmöglichkeit’ des paradoxal Genannten eine Untersuchung anstellen oder eine Antwort darauf im voraus suggerieren wollte, wie es in späterer Zeit der Fall war, wenn Paradoxalität bei vielen ungefähr oder ganz bestimmt, identisch wurde mit Absurdität. Erst wer sich aus den vom paradoxalen Redner gestellten Netzen der logischen Schwierigkeiten herausgearbeitet und das logische Skandalon überwunden hat, kann entscheiden, auf welcher Seite die Wahrheit und auf welcher Seite die Dichtung sei, kann Begriffsinhalte trennen oder verbinden. Mag der paradoxale Satz auch auf den consensus omnium einen impetus machen, immer bleibt es in diesem Moment selbst noch unentschieden, ob mit diesem impetus ein wirklicher Krieg oder ein harmloses Kampfspiel gemeint sei. Er stellt die Legitimation des consensus nur in Frage und eben daraus entnimmt er seine Pikanterie und seinen epigrammatischen Charakter. Ja sogar bei weitem nicht immer ist dieses Infragestellen absichtlich, wie bei den Disputationen der Sophisten; es kann auch ohne jede Absicht geschehen, z.B. in der späteren Paradoxographie, insofern diese die Natur oder die Geschichte als paradoxal kennzeichnet. Und jede Tendenz nach solchem Infragestellen verschwindet ganz und gar, wenn παϱάδοξος am Ende der Antike, wenigstens bei wissenschaftlichen Schriftstellern, nichts mehr sagen will als: wunderbar, erstaunlich. So ist es der Fall nach Phlegon, mit dem die Paradoxographie ‘aufhört, eine besondere Literaturgattung zu bilden’,Ga naar voetnoot1) und sich darauf beschränkt, Stoff zur Unterhaltung zu bieten.Ga naar voetnoot2) Wohl hat noch nachher die Neusophistik und der Neuplatonismus die alte Paradoxographie wieder einigermassen neu belebt,Ga naar voetnoot3) aber an | |||||||||||
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der Abschwächung des Begriffes παϱάδοξος von ‘scheinbar παϱάλογος’ bis ‘ϑαυμάσιος’ hat diese Neubelebung dennoch nichts geändert. Und was nur scheinbar παϱάλογον ist, das ist ohne weiteres noch gar nicht unglaublich. Eine anonyme Schrift aus der Zeit von etwa 100 bis 500 p. Chr., mag sie auch den Titel führen πεϱὶ ἀπιστῶν, hat dieses adiectivum doch wohl hyperbolisch gemeint; es wechselt jedenfalls in jener posthumen paradoxographischen Schriftstellerei mit den schon längst üblichen Adjektiven παϱάδοξος, ϑαυμάσιος und dem Substantiv ϑαῦμα.Ga naar voetnoot1) Ist das dem Damaskios beigelegteGa naar voetnoot2) Prädikat ‘abergläubisch’ in der Tat eine für ihn passende Bezeichnung, dann stellt sich umso mehr heraus, dass seine häufige Verwendung des Adjektivs παϱάδοξος für die von ihm behandelten Themata keinesfalls die Mission hat, das reale oder ideelle oder überwirkliche Sein seiner paradoxen Inhalte zu leugnen oder nur anzweifeln zu lassen. Es ist für das richtige Verständnis des Inhaltes unseres in Frage kommenden Begriffes sehr bezeichnend, dass die erwähnten Mirabilia, wo man sie im Theater, in der ἐϰϰλησία, behandelte, ‘die ganze Stadt etwas angehen’, und dass das παϱάδοξον nicht nur im Sinne der ‘Mirabilia’, sondern auch als das ‘an die Epiphanie einer Gottheit geknüpfte Wunder’ aus der Antike bekannt ist.Ga naar voetnoot3) Auch, dass diese spät-paradoxographische Periode abschliesst mit einem vierbändigen Werk von Damaskios, dessen Inhalt Photios also beschreiben kann: 352 Kapitel πεϱὶ παϱαδόξων ποιημάτων, 52 παϱάδοξα πεϱὶ δαιμονίων διηγήυατα, 63 πεϱὶ τῶν μετὰ ϑάνατον ἐπιφαινομένων ψυχῶν παϱάδοξα διηγήματα, 105 παϱάδοξοι φύσεις, - und dazu mit einem paradoxographisch-zoologischen Lehrgedicht des Timotheus von Gaza πεϱὶ ζῴων τετϱαπόδων ϑηϱίων τῶν παϱ᾽ Ἰνδοις ϰαὶ Ἄϱαψι ϰαὶ | |||||||||||
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Αἰγυπτίοις ϰαὶ ὅσα τϱέφει Λιβύη, ϰαὶ πεϱὶ ὀϱνέων ξένων τε ϰαὶ ἀλλοϰότων ϰαὶ ὄψεων, - und einer Abhandlung des Anthenios πεϱὶ παϱαδόξων μηχανημάτων. Eine aus dieser Epoche stammende lateinische Schrift ‘liber de monstris’ passt in jeder Hinsicht in den Rahmen der erwähnten paradoxographischen Schriftstellerei, und gibt nach ihrem Titel eine richtige Interpretation des Begriffes παϱάδοξος(ν) nach der subjektiven Auffassung ihrer damaligen Verwender.Ga naar voetnoot1) Unsere skizzenhafte Forschung nach der Urbezeichnung, die das Wort παϱάδοξος in seiner geistigen und sprachlichen Heimat hat, kann für unser jetziges Ziel u.E. auf diesem Punkt sehr wohl abgeschlossen werden. Selbstverständlich gibt es noch viel mehr Lebens- und Sprachgebiete, die dem Worte seine besondere Ausprägung und Geschichte gegeben haben können. Aber alle bis jetzt uns bekannt gewordenen Gebrauchsweisen bestätigen nur das bisher Gefundene.Ga naar voetnoot2) Dies ist ja auch der Fall, wenn ‘Paradoxon’ ein Fachterminus wird in der ars rhetorica zur Kennzeichnung einer bestimmten Redefigur: ‘Paradoxon, sive hypomonè, sustentatio vel inopinatum. Hoc schema suspendit sensum; deinde subiicit aliquid eo, contra exspectationem auditoris, sive magnum, sive minus; et ideo sustentatio vel inopinatum dicitur’.Ga naar voetnoot3) Was in dieser Redetechnik das ‘Paradoxon’ bedeutete, wird klar durch die Ausführungen über die communicatio (ἀναϰοίνωσις oder ϰοινωνία), wobei der Redner sich mit einer Frage an die Hörer wendet, ohne in Wirklichkeit eine Antwort abzuwarten - und über die der communicatio verwandte sustentatio. ‘Nach der eigentlichen communicatio nämlich, sagt Quintilian, fügt man wohl noch | |||||||||||
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etwas unerwartetes hinzu, sei dieses nun etwas unerwartet grosses oder kleines. Dies nannte Celsus als besonderes Schema sustentatio. Von dieser Figur aber sprachen andere, auch wenn keine communicatio vorherging.... Es ist dies das παϱάδοξον, oder die ὑπομονή’.Ga naar voetnoot1) ‘Inopinatum’, - das ist doch eben das schon immer gefundene Merkmal des Paradoxes überhaupt. ‘Inopinatum’, - das ist auch der wortbildende Faktor, wenn die antike Sprachgemeinschaft den Ehrentitel von παϱαδοξονίϰης oder παϱάδοξος verleiht dem ‘doppelten Sieger im Kampfspiele’, der an einem Tage in der lucta und dem pancratium gesiegt hatte, oder auch in den vier grossen Spielen, den Olympien, Pythien, Nemeen oder Isthmien zusammenGa naar voetnoot2); wer öfter gesiegt hatte, hiess πλειστόνειϰος παϱάδοξος; und ein Flötenspieler, der in den Pythien Sieger war, wurde αὐλητὴς παϱάδοξος genannt.Ga naar voetnoot3) ‘Inopinatum’, - das ist schliesslich auch das bestimmende Erklärungsmoment, wenn man sich fragt, welchen Sinn es hatte, dass das Ehrenprädikat des olympischen Siegers, ‘paradoxos’, in späterer Zeit auch von den Vereinen der dionysischen Künstler für ihre Mitglieder angefordert worden ist (wodurch also sein Gebrauchsbezirk noch vergrössert wurde),Ga naar voetnoot4) - oder dass sogar die Rezitatoren und Spieler in den Mimen (eine Art von griechischen Komödien) paradoxi genannt wurden, und auf dieses Ehrenprädikat stolz waren, obwohl dieser Name | |||||||||||
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doch eigentlich in diesem Falle nichts weiter sagen wollte, als dass sie sich fremd gebärdeten, dass ihre Mimik und ganze Spielart komisch wirkte, die Lachlust reizte.Ga naar voetnoot1) ‘Inopinatum’, - das war es, was die lateinischen SprichwörterGa naar voetnoot2) ausdrücken möchten, so oft ein allzu billiges paradoxales Aroma das Denkspiel herausfordern sollte, um es alsbald.... wieder aufhören zu lassen. Was den alten Sophisten wenigstens eine wissenschaftliche und ernste Sache war oder sein konnte, das war im paradoxalen Sprichwort jetzt popularisiert und vulgarisiert, d.h. die ‘scheinbaren Unmöglichkeiten und Widersprüche’ waren zum Gemeingut geworden; es war ein Modeschmuck des banalen Menschen, eine pikante, wohlfeilpreziöse ‘Schwierigkeit’, ein beliebtes Skandalon, also ein ‘Ding, das’ im Leben niemals ‘überwunden werden musste’, obwohl der Gedanke des überwunden-werden-müssens, für den Begriff des Paradoxons konstitutiv blieb. Ein zum Gemeinplatz herabgesunkenes Paradox, - das ist zugleich das unverkennbare Zeichen einer Dekadenz, über die man sich um so klarer wird, je mehr man sich die alte poetische Technik, etwa des Sophokles, ins Gedächtnis zurückruft. Ist es doch bekannt, dass die sophokleischen Tragödien für ihre Kontrastwirkungen eben nicht der billigen Beihilfe der Paradoxa bedurften, sondern dass das autarke, rein-dramatische Kompositionsvermögen des Dichters die von ihm beabsichtigten kontrastierenden Effekte spontan aus sich selbst geschaffen hat. ‘Dem Ruf nach Originalität um jeden Preis, wenn er je zu Sophokles' | |||||||||||
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Zeiten schon erklang, hat der Dichter (Sophokles) nicht nachgegeben; es entspricht mehr einem modernen Bestreben, lieber paradox als unoriginal sein zu wollen.’Ga naar voetnoot1) Sophokles' künstlerisches Schaffen war stark genug um ohne Effektverlust seine dramatischen Sentenzen eben aus Gemeinplätzen zu wählen.Ga naar voetnoot2) | |||||||||||
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§ 2. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes ‘Paradox’ im Mittelalter und bis in den Anfang der Neuzeit.Aus den klassischen Sprachen ist das Wort ‘paradox’ in die mittelalterliche Literatur übernommen worden, ohne jedoch seine vorher geprägte Bedeutung zu ändern. Dies ergibt sich schon aus einer einfachen Durchsicht der Lexika. So gibt E.A. Sophocles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods (from B.C. 146 to A.D. 1100), New York, Leipzig 1888, die schon aus der Klassizität bekannten Bedeutungen: παϱαδοξάζω to make wonderful, to render illustrious; παϱαδοξία strangeness, marvellousness; παϱαδοξοείδης = παϱάδοξος; παϱαδοξολογέω to tell of marvels; παϱαδοξόλογος telling marvellous stores; παϱαδοξοπούα the working of wonders: miracles. Und Laurentius Diefenbach hat bekanntlich sein Glossarium aus ‘handschriftlichen und gedruckten lateinisch-deutschen Glossen und Glossarien von der ältesten Zeit bis zur Herstellung der Classizität’ zusammengestellt, und sich bemüht, ‘einestheils in umfassenderem Maasse die Zahl und wechselnde Bedeutung der in jeden Zeiträumen den lateinischen Sprachschatz bildenden Wörter zu verzeichnen, somit auch Urkunden zur Geschichte der Lexikographie zu geben; andrentheils: die lateinischen Neubildungen und Entstellungen (das sog. Mittellatein) darzustellen.’Ga naar voetnoot1) Aber das Ergebnis seiner Forschungen eröffnet uns keine neuen Gesichtspunkte. Er interpretiert in folgender Weise: ‘Pa- | |||||||||||
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radoxum, -duxum, -daxum hd. nd. wunder, hd. wonder; para-doxa i. vana gloria; -duxa i. iuxta gloriam’. Daraus ergibt sich also kein Unterschied von dem bisher Gefundenen. Was die ‘vana gloria’ anlangt, so sei nur erinnert an die schon erwähnten ‘paradoxi’ oder ‘paradoxologi’ der Mimen, deren ‘gloria’ bereits als ‘vana’ bezeichnet wurde in der schon erwähnten Aussage: ‘multa falsa de virtutibus suis praedicantes’; oder an die Kritik, die Augustin übt an dem Ehrenprädikat, das die Olympionicae et ceteri victores verliehen bekamen von ihren Zeitgenossen, die nach seiner Meinung dabei ‘magis consuetudine quam ratione ducti’ waren.Ga naar voetnoot1) Dass solche Ehrenprädikate als das klassische ‘Paradoxos’ jedoch auch noch in der media et infima latinitas möglich waren, zeigt das Beispiel des heiligen Stephanus: ‘paradoxus appellatur,.... quia interfectoribus suis pepercit, quod admirabile est et incredibile.... ave, martyr paradoxe’.Ga naar voetnoot2) Kurz, man wird dem kirchenlateinischen Wörterbuch beistimmen müssen, wenn es folgende Paraphrase von paradoxus (παϱάδοξος) und paradoxa (π-α) gibt: gegen Erwarten, befremdlich, (scheinbar) widersinnig, gegensätzlich; auffallende, sich (scheinbar) widersprechende Sätze.Ga naar voetnoot3) Das Wort hat also seine Bedeutung nicht wesentlich geändert; und das ist um so mehr verständlich, weil auch bei den griechischen christlichen Schriftstellern der ersten drei Jahrhunderte (Gelasius, | |||||||||||
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Philostorgius, Methodius, Eusebius, Apollinarios v. Laodicea usw.) die Worte παϱαδοξοπούα, παϱαδοξοποιῶ, παδάδοξος usw. ihre alte, aus § 1 bekannte Bedeutung beibehalten haben.Ga naar voetnoot1) Dass im mittelalterlichen Sprachgebrauch das griechische Wort παϱάδοξος keine bedeutende Rolle in der wissenschaftlichen Literatur spielt, mag wohl vor allem zu verdanken sein der Neigung, die lateinische Sprache als Vehikel der gedanklichen Inhalte zu bevorzugen dem Griechischen gegenüber. Bekanntlich gab es Zeitperioden, in denen die Verwendung, ja sogar das Studium des Griechischen öffentlich abgelehnt wurde. Das Glossarium von du Fresne-du CangeGa naar voetnoot2) hat das qu. Wort nicht einmal aufgenommen, obwohl es seine Citate zusammenstellt aus den ‘scriptores mediae et infimae graecitatis’. Diese Zurückstellung der griechischen Sprache bzw. Bevorzugung der lateinischen ist - diese Hypothese werde nicht übel genommen - vielleicht die erklärende Ursache der doch wohl einigermassen auffallenden Tatsache, dass unter den unzähligen von F. Ehrle zusammengetragenen Ehrenprädikaten der scholastischen Lehrer des Mittelalters neben den epitheta ornantia des doctor breviloquus, oder difficilis, oder discussivus, oder distinctivus, dulcifluus, expositivus, facilis, imaginativus, ingeniosus, irrefragibilis, irreprehensi- | |||||||||||
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bilis, rarus, scolasticus, speculativus, subtilior, der Ehrentitel eines doctor paradoxus fehltGa naar voetnoot1), obwohl der martyr paradoxus und die ganze Menge der klassischen paradoxi bekannt waren. Vielleicht kommt noch als zweiter Faktor zur Erklärung des allmählichen Zurücktretens des Wortes ‘paradoxos’ und ‘paradoxon’ dies dazu: die Tendenz nach schärferer Begriffsbildung und nach subtilerer Sprachverwendung hat vielleicht das immer ungenaue, etwas dunkle, triviale Wort paradoxos zu umgehen gelernt. Wohl haben sich griechische Wörter, wenn auch oft in verstümmelter Form, ein Plätzlein erobert im Sprachidiom der mittelalterlichen Wissenschaftler, wie z.B. sfera, sinkategoreuma (davon sinkategoreumatice)Ga naar voetnoot2), aber die Kenntnis des Griechischen ist im Mittelalter doch eine grosse Seltenheit gewesen. Die Wissenschaft hat in dieser Zeit nur das Lateinische neubelebt und daraus neue Wörter gebildet, wie substantia, quiditas, identitas, entitas, haecceitas. Bei solcher Sachlage konnte das Wort paradoxos seine Bedeutung als wissenschaftlicher Kunstterminus nur verlieren; in einem Thomas-Lexikon sucht man es vergebens.Ga naar voetnoot3) Zwar hatte einmal bei Sophisten und Stoikern in ihrer Disputierkunst das Paradoxon einigermassen eine (freilich untergeordnete) Rolle gespielt als terminus technicus, aber es war nachher als solcher schon längst in den Hintergrund getreten, und war schliesslich seine wissenschaftliche Bedeutung völlig | |||||||||||
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los geworden. Bedenkt man dabei, dass, was die Rhetorik anlangt (auch sie hatte ja in der klassischen Epoche das Paradoxon gekannt), Robert von Melun, gest. 1167, eben in Zusammenhang mit seiner Befehdung der Rhetorik sich gegen die Einstreuung griechischer Wörter in die lateinische Theologensprache gewendet hat, und dass schon Boethius die aristotelischen termini ins Lateinische übersetzt hatteGa naar voetnoot1), - dann wird durch alle diese Faktoren das Zurücktreten des Wortes paradoxus, wenigstens als eines stehenden Kunstterminus der Logik oder Rhetorik, begreiflich. Die Sache war bekannt genug, aber was das die Sache bezeichnende Wort anlangt, musste das (inhaltlich nur anverwandte) lateinische absurditas oder das wenigstens historisch-rubricierende sophisma (logicale) das griechische und allzu flüssige παϱάδοξος(-ν) substituieren. Ja, die ‘Sache’, die materia des Paradoxes, war bekannt genug. Die Polemik der Antidialektiker gegen die Hyperdialektiker, der Kampf um die Sic-et-non-Methode,Ga naar voetnoot2) die dialektische Gewandtheit, die scholastische Verwendung der aristotelischen Terminologie, der öfters unternommene Versuch, um dem, was Aristoteles in seinen Ἀποϱίαι für das ‘profane’ Denken gegeben hatte, ein christliches Pendant zu geben in einem harmonisierenden Ausgleich patristischer oder biblischer Enantiophanien,Ga naar voetnoot3) und dazu noch viele andere, das scholastische Zeitalter bestimmende Faktoren, waren insgesamt sehr dazu geeignet, eine ähnliche Konstellation (incl. paradoxaler Problemstellungen und Wortklaubereien) herbeizuführen, wie sie für die sophistische und stoische Epoche charakteristisch ist. Immer wieder galt es, die ἀποϱίαι (dubitationes) der Vernunft und des Glaubens zu überwinden.Ga naar voetnoot4) Die Scholastik des 12. und 13. Jahrhunderts hat eine ars disserendi geübt (aber merkwürdigerweise | |||||||||||
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nicht so sehr in den theologischen, als in den artistischen Kreisen),Ga naar voetnoot1) bei der paradoxe Sätze den sonst allzu trockenen Uebungen in der Kasuistik und Logik ein wenig Leben einhauchen sollten.Ga naar voetnoot2) Aber auch die Theologen haben ihre paradoxen Sätze geliefert. Beispiele ihrer sophismata logicalia sind etwa folgende: omnis anima est in te; totus sorte (Socrates) est minus sorte; si sortes necessario est mortalis, necessario est immortalis; omnis homo est animal et econverso; duo patres et duo filii sunt tria et non plura; Sortes desinit esse non desinendo esse; quanto aliquid maius est, tanto minus videtur.Ga naar voetnoot3) Aber diese Sätze weisen doch eine merkwürdige Aehnlichkeit auf mit denen, welche die sophistische Antilogienjagd herausgefunden hatte: Gut und Uebel sind identisch und nicht identisch; Wahr und Falsch sind identisch und nicht identisch; Narren und Gesunde, Weise und Toren reden und tun dasselbe und nicht dasselbe; Weisheit und Tüchtigkeit sind nicht lehrbar und lehrbar.Ga naar voetnoot4) Dennoch wird trotz dieser Aehnlichkeit der Terminus paradoxon nicht wieder eine offiziell-wissenschaftliche Bezeichnung solcher Sätze. Die Frage, ob es zwischen Bejahung und Verneinung ein Mittleres geben kann, ist schon ‘am Vorabend der Scholastik’ von Anselm, dem Peripatetiker, gestellt worden und in seiner Rhetoromachia ist seine Pariser Disputation darüber erwähnt worden.Ga naar voetnoot5) Aber obwohl eben dieselbe Frage den heutigen Diskurs über die dialektische Theologie mit ihrer paradoxalen ‘Einstellung’ und ihrer von einigen verteidigten Methode der ‘via media’Ga naar voetnoot6) beherrscht, wird doch in der Zeit Anselms das ‘paradoxon’ gar kein fester Terminus, wie es bei uns heutzutage der Fall ist. Es kann sogar | |||||||||||
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verwundern, dass die Scholastik oft eben dieselben Probleme angepackt hat, die in späterer Zeit ausdräcklich Probleme der Paradoxalität genannt worden sind, ohne jedoch diesen Terminus absichtlich zu wählen. Bolzanos Paradoxien der Unendlichkeit, die Mengenlehre, und die sehr vielen ausdrücklich so genannten Paradoxa der Mathematik und Geometrie brauchen nur erwähnt zu werden, um klar zu machen, dass es sich im Grunde um eben dieselben Paradoxen handelte, wenn die in den Schulen von Paris aufgegebenen scholastischen sophismata logicalia dem Schüler folgende Probleme stellten: infinitam esse lineam, et nullam lineam esse infinitam, salva pace Aristotelis (!).... pedem hominis esse maiorem mundo, ea videlicet ratione qua centum sunt pauciora duobus, quia pauciora sunt centum ad ducenta quam sunt duo ad tria. Oder, wenn vielleicht dieser letzte Lehrsatz einem allzu possenhaft vorkommen mochte: totus Sortes (Socrates) est minor sorte.... si nullum tempus est, aliquod tempus est.... si tu es ubique non es ubique (Zeit und Raum!).... infinita sunt finita.... decem preter quinque sunt quinque.Ga naar voetnoot1) Dennoch wurde das Wort paradoxos in der scholastischen Dialektik kein konstanter Terminus, wie dies nachher der Fall war in der Mathematik und Geometrie. Dies ist umso mehr auffallend, als schon Menelaos der Kurve den Namen der παϱάδοξος γϱαμμή beigelegt hatte,Ga naar voetnoot2) - umso mehr auch, als die mittelalterliche Theologie und Wissenschaft in ihrer gelegentlichen Ausarbeitung der Theorie von den unendlichen Zahlen bewusst an die klassische, ja sogar an die apokryphe alttestamentliche Chokma-Literatur anzuknüpfen versucht hat.Ga naar voetnoot3) | |||||||||||
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Alle diese Faktoren, die in erster Linie das Zurücktreten unseres Wortes aus der engeren wissenschaftlichen Terminologie verursacht haben, haben eben dadurch in zweiter Linie das Wort der Neuzeit überliefern können in derselben Bedeutung, die es beim Absterben der klassischen Sprache schon hatte: wunderbar, wider Erwarten, au dessus de ce qu'on peut croire, extraordinaire. So enthält die französische Literatur vom 9. bis zum 15. Jahrhundert Beispiele solcher Verwendungsart: un discours paradoxe, des paradoxes vertus, valeurs, si grands et paradoxes faits d'aime, une religion neuve paradoxe et bastarde. Das Wort ist von der Académie ‘donné comme vieilli’ (!), und wird interpretiert als ‘contre l'opinion de tous les antiques’.Ga naar voetnoot1) In Ciceros Paradoxa - so heisst es im XV. Jahrhundert in einer Handschrift - ‘inanibus contra uulgarium opinionem quedam pulchre proposiciones et breues demonstrantur’.Ga naar voetnoot2) Auch die italienische Literatur benützt das Wort in derselben Bedeutung. Nicht nur wird die ciceronianische Schrift ‘Paradoxa Stoicorum ad M. Brutum’ von Dante zitiert als ‘Di paradosso’Ga naar voetnoot3), sondern Ortensio Landi (Milanese) veröffentlichte 1543 seine ‘Paradossi, cioe Sententie fuori del comun parere, nouellemente venute in luce, etc.’.Ga naar voetnoot4) Bezeichnend ist die Unterschrift: Suisnetroh Tabedul | |||||||||||
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(rückwarts gelesen: Ludebat Hortensius). Was die Paradossi des eben erwähnten O. Landi meinten, ist schon ohne weiteres klar aus den verschiedenen Titeln der an ihn anknüpfenden späteren Bearbeitungen seines Buches: z.B. Paradoxes, ce sont propos contre la commune opinion, debatuz en forme de Declamations forenses: pour exerciter les ieunes aduocats (esprits) en causes difficiles. Dieses BuchGa naar voetnoot1) enthält 25 von den 30 Landi'schen Paradoxa.Ga naar voetnoot2) Spätere Modifikationen des Titels sind: a) Paradoxes où sentences, débattues et élegamment déduites contre la commune opinion, traité non moins plein de doctrine que de récréation pour toutes gens; b) Paradoxes, autrement Propos contraires à l'opinion de la plupart des hommes; c) Les déclamations paradoxes, où sont contenues plusieurs questions débattues contre l'opinion du vulgaire: traité utile et | |||||||||||
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récréatif propre à esveiller la subtilité des esprits de ce temps; d) Paradoxes ou les opinions renuersées de la plus part des hommes; livre non moins profitable que facetieux; par le docteur inconnu.Ga naar voetnoot1) Im Jahre 1599 veröffentlichte G. Silver sein ‘Paradox of Defence’, später ‘Brief Instruction upon my Paradox of Defense’.Ga naar voetnoot2) Anno 1653 erschien: ‘Paradoxes, or EncomionsGa naar voetnoot3) in the praise of.... blindnesse etc.’. Und - weitere Ausführungen werden für unser Ziel nicht nötig sein - bekanntlich hat Lambert von Avignon (gest. 1530) sein ‘Programm der evangelischen Lehre und der aufzustellenden Grundsätze’Ga naar voetnoot4) eben unter dem Titel ‘Paradoxa’ (158) vorgelegt.Ga naar voetnoot5) Gerade dies ist für unseren Zweck nicht ohne Wichtigkeit. Denn dadurch wird stark hervorgehoben, dass das alte παϱάδοξος zwar immer noch eine Offensive auf den consensus omnium oder sogar auf die | |||||||||||
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eigene ‘Meinung’ (δόξα) bedeutete, aber doch ohne den Anspruch auf Wahrheitsmöglichkeit aufzugeben. Will ja Lambert v.A. sogar auf Paradoxen eine für seine Zeitgenossen zwar ‘neue’, aber s.E. wahre und wesentlich ‘alte’, d.h. dem apostolischen Kerygma gerecht werdende Lehre fundiert haben. Hier greift das Paradoxon den consensus an, setzt aber dabei voraus und sagt es auch ausdrücklich, dass der consensus der fides apostolica gegenüber falsch geworden sei, dass die δόξα omnium nur insofern seine ‘Paradoxa’ als para-dox empfinden und als heterodox ablehnen wird, als sie selbst der Orthodoxie der Apostelzeit untreu geworden ist und es bleiben wird.Ga naar voetnoot1) Das Paradoxon, wird es auch von dem der fides apostolica ungehorsamen Menschen als παϱάλογον, σϰάνδαλον oder μωϱία empfunden, so ist es doch dem pneumatischen Menschen ϑεοῦ δύναμις ϰαὶ ϑεοῦ σοφία, ein μωϱὸν τοῦ ϑεοῦ σοφώτεϱον τῶν ἀνϑϱώπων (1. Kor. 1, 22-25). Wer es einmal so anerkannt und im Glauben angenommen hat, dem wird sein Inhalt zum Anstoss und sogar zur materia einer neuen Lehre werden. Das παϱά-δοξον ist an sich noch nicht ohne weiteres ein παϱά-λογον. Es kann sogar Anfang neuer loci communes werden, einen reformatorischen consensus schaffen. Ein Beispiel hat man in Luthers Heidelberger Thesen (‘Paradoxa’), 1518, und in ‘Christianissimi VVittenbergensis gymnasij, multarum Disputationum paradoxa & plane enigmata in Papistica illa mendacijs confusissima Ecclesia: uulgaria uero uerae Christi Ecclesiae pronunciata. Atque ex his lector iudicabis, quid agatur in uere Christiana schola quāque haeretica sit Lutecia, & omnes filiae eius. Auctores sunt, Mar- | |||||||||||
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tinus Lutherus./ Andreas Carolostadius./ Philippus Melanchthon. & c. A.E.: Excusae anno Domini/ M.D.XXI mense/ Septembri.’ Dieses Büchlein enthält ganz zeitgemässe ‘themata’ von Luther, oder ‘sub praesidio Lutheri habita’, von Melanchthon, themata circularia, und von einer ‘disputatio circularis N.A.’, oder einer disputatio Dolschi, oder von disputationes And. Carolost., usw. Sie handeln von Fragen der Zeit: opera faciant ad iustificationem?; de sacramento panis, & eius promissione, de votis, de participibus mensae Domini, de delectu operum usw. So hat das Wort παϱάδοξος(-ν) auch in der Uebergangszeit vom Mittelalter zur Reformationszeit seine eigenartige Mission erfüllt. Aber es hat seine klassische Bedeutung beibehalten. Mutatis mutandis konnte der vorhin genannte Lambert für sich unterschreiben, was Cicero im Prooemium der Paradoxa Stoicorum gesagt hatte: ‘ego tibi illa ipsa.... conieci in communes locos. Quae quia sunt admirabilia contraque opinionem omnium.... temptare volui, possentne proferri in lucem id est in forum et ita dici, ut probarentur....; eoque hos locos scripsi libentius, quod mihi ista παϱάδοξα quae appellant maxime videntur esse Socratica’ (apostolica) ‘longeque verissima’. Das gefundene Resultat und namentlich das Beispiel der angeführten tituli hat insofern für uns seine Bedeutung, als es uns auch die Interpretation der Reformatoren erleichtern kann. Auch sie haben das Wort παϱάδοξος(-ν) benützt. Bei Calvin findet es sich z.B. in folgendem Passus: Longius enim respicere nos oportet: ideo oblationum iniquitatem deleri a sacerdote, quia nulla oblatio quatenus est hominis, prorsus omni vitio caret. Dictu hoc asperum est, et fere παϱάδοξον, sed tenendum est, nihil esse tam purum, quod non aliquid labis a nobis contrahat. Auch, wenn er schreibt: Scimus enim nihil magis esse praeclive, quam ut sibi caro quovis praetextu indulgeat: deinde calumnias omnes excogitat Satan, quibus gratiae doctrinam infamet, quod ei non ita difficile est. Nam quum humano sensui παϱαδοξώτατον sit quidquid de Christo praedicatur, nihil novum videri debet, | |||||||||||
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si audita fidei iustificatione caro toties tanquam ad diversos scopulos impingit.Ga naar voetnoot1) Weiterhin benützt er das Wort Paradoxon in seiner Exegese zu der Paulinischen Aussage: ὅ δὲ νῦν ζῶ ἐν σαϱϰί, ἐν πίστει ζῶ τῇ τοῦ υἱοῦ τοῦ ϑεοῦ (Gal. 2, 20). Da sagt er: ‘Quod autem nunc vivo in carne. Nulla est hic fere sententia, quae non fuerit lacerata variis expositionibus. Sicuti carnem hic exponunt quidam pro naturae vitiosae pravitate: Paulus autem simplicius accipit pro vita corporali. Prompta enim alioqui fuisset alia obiectio: Tu vivis tamen vitam corpoream. Ubi autem corpus hoc corruptibile functiones suas exercet, ubi cibo et potu sustinetur: haec non est coelestis Christi vita. Ergo paradoxum est a ratione abhorrens, quod, quum palam vivas communi hominum more, propriam tibi esse vitam negas. Respondet Paulus, id in fide consistere: quo innuit absconditum esse arcanum ab humano sensu. Vita igitur, quam fide obtinemus, non oculis apparet, sed intus percipitur in conscientia per spiritus efficaciam. Ideoque non impedit vita corporalis quin fide possideamus coelestem vitam.... Plenus denique est Paulus talibus testimoniis, quibus asserit, ita nos vivere in mundo, ut in coelo tamen etiam vivamus: non modo quia illic est caput nostrum, sed etiam quod iure unionis vitam habemus cum ipso communem: ut loquitur: Joh. 14, 1. s.’ Besonders die letzte Stelle hat für das richtige Verständnis des Inhaltes von ‘paradoxum’ eine hervorragende Wichtigkeit. Hat doch Peter BrunnerGa naar voetnoot2) in einem verfehltenGa naar voetnoot3) Versuch, seine Auffassung von der Paradoxalität des Glaubens an Calvin anzuschliessen, das ‘paradoxon’ in dieser eben genannten Stelle als vernunftwidrig interpretiert. Aus dem Calvinischen ‘paradoxum a ratione abhorrens’ macht er ‘ein der Vernunft zuwiderlaufendes | |||||||||||
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Paradox’.Ga naar voetnoot1) Und in seiner später verleugnetenGa naar voetnoot2) Zustimmung zur Interpretation Peter Brunners hat Th.L. Haitjema diese Calvinstelle wie folgt übersetzt: een paradox, huiveringwekkend voor de rede.Ga naar voetnoot3) Nun ist gegen diese ‘Calvindeutung’ zunächst anzuführen, dass, wenn man nur richtig liest, eben nicht Calvin selbst, sondern eine von ihm zurückgewiesene hypothetische obiectio sagt: ‘Aber das paulinische ὃ ζῶ ἐν σαϱϰὶ ἐν πίστει ζῶ ist doch paradox?’ Aber dies sei dahingestellt. Hauptsache ist für uns, dass das (adjektivische oder substantivische) ‘paradoxum’ nicht ohne weiteres sagen will: ‘der Vernunft zuwiderlaufend’. Man darf ‘paradoxum’ nicht einfach epexegetisieren mit: ‘a ratione abhorrens’, denn dies letztere ist hier eine neue Bestimmung, ein nicht jedem Paradox zukommendes Prädikat. Und was ‘a ratione abhorrens’ noch selbst anlangt, so ist das noch nicht gleichzusetzen mit: ‘der Vernunft zuwiderlaufend’; es will vielmehr nur sagen, dass der ‘paradoxale’ Satz ὃ ζῶ ἐν σαϱϰὶ ἐν πίστει ζῶ vor einer objektiven logischen Prüfung zurückschaudern zu müssen scheint. Womit noch gar nicht gesagt ist, dass solche Prüfung die logische Absurdität und Illegitimität der als paradox empfundenen Aussage am Schlusse definitiv nachweisen würde. In dieser Hinsicht ist die französische Uebersetzung des ‘a ratione abhorrens’ durch: ‘contraire á toute raison’ auch zu stark.Ga naar voetnoot4) Abstrahieren wir also das Wort paradoxum von ‘a ratione abhorrens’, so ist es - a fortiori - gar nicht ‘der Vernunft zuwider’, sondern nur wie immer ‘dem ersten Eindruck (Meinung, δόξα) | |||||||||||
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zuwider’. Die Richtigkeit dieser unserer Auffassung wird noch mehr dargetan durch die schon erwähnte französische Uebersetzung des Wortes paradoxum: ‘c'est donc un propos estrange.’Ga naar voetnoot1) Noch näher demonstriert wird sie durch Calvins Sermon sur Gal. 2, 20: on trouverait estrange.... il semble donc que ce propos soit comme une speculation vaine,.... mais.... usw. Nicht umsonst glauben wir dies erwähnt zu haben; denn die richtige Interpretation der qu. Calvinstellen weist u.E. nach, dass sie kein Recht geben dem Reformator eine Theorie zuzumuten, die den Glaubensinhalt oder irgend welchen Denkinhalt als vernunftwidrig und dennoch als akzeptierbar, ja sogar vom Geist der Wahrheit eingegeben oder offenbart angesehen haben möchte.Ga naar voetnoot2) Aus den angeführten Stellen kann von der Brunnerschen paradoxalen Struktur des Glaubens bei Calvin nichts herausgelesen werden. Als Resultat unserer bisherigen Untersuchung ergibt sich nur, dass das Wort παϱάδοξος seine klassische, ontologisch-indifferente Bedeutung bewahrt hat. Auch für Calvin und die Reformationszeit ist das Paradox immer ‘ein Ding, das überwunden werden muss’. ‘Semper a paradoxis abhorrui’ sagt Calvin (Corp. Ref. XLII, 230). Eine zweite Bemerkung schliesst sich an das Gesagte an, nämlich dass es nicht erlaubt ist, in das Wort παϱάδοξος bei Calvin eine von ihm angenommene Kluft zwischen dem Glauben und der ‘anschaulichen Gegebenheit’ hineinzuinterpretieren, wie es dem Anschein nach Peter BrunnerGa naar voetnoot3) versucht hat. Redet dieser doch davon, dass der Glaube nach Calvin παϱὰ δόξαν sei, eben dadurch, dass er inhaltlich einen scharfen Gegensatz bilde zu dem, ‘was als anschauliche Gegebenheit aufgewiesen werden kann’. ‘Glaube geht wider den Schein, er ist paradox’, dies gilt für P. Brunner als eine Calvinische These. Παϱὰ δόξαν, - | |||||||||||
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das würde also nach ihm zu übersetzen sein: wider den (An)schein.Ga naar voetnoot1) Aber hier wird u.E. Calvin durch eine Brille vom 20. Jahrhundert angesehen. Wenn nun auch das griechische δόξα die Bedeutung von ‘Anschein’ oder ‘Schein’, ὃ φαινόμενόν ἐστιν, haben kann, dennoch leuchtet aus dem vorher Gesagten ein, dass in dem Kompositum παϱάδοξος das Substantiv δόξα nur ‘Meinung’ oder ‘Erwartung’, ὅ τις γνωϱίζει, sagen will. Und eben deshalb, weil παϱάδοξος oder (το) παςάδοξον kein für Calvin kennzeichnender Terminus geworden ist, darf man die Exegese des Wortes, wenn von ihm gebraucht, nicht von dem allgemein üblichen Inhalt des Wortes loslösen. Weil im scholastischen Zeitalter, wie oben angeführt worden ist, das Wort παϱάδοξον nicht in den streng wissenschaftlichen Apparat aufgenommen worden ist, muss man zur Interpretierung des Wortes, wenn es in der Literatur des Humanismus und der Reformation auftaucht, sich an den allgemein üblichen populären Sprachgebrauch anschliessen. Dieser kümmert sich gar nicht um die Frage nach der Herkunft oder Dignität einer bei einem beliebigen Menschen oder bei einer Gruppe von Menschen vorhandenen, auf ein Paradoxon stossenden Meinung. Falls eine vorhandene ‘Meinung’ sich an den Anschein, an ‘quae ante oculos sunt’, geheftet hat, wird in der Tat was ‘wider die Meinung’ ist, auch als ‘wider den Schein’ empfunden werden. Aber dies ist in den Begriff des Paradoxalen keinesfalls mit aufgenommen. Bei der naiven Verwendung des Wortes ‘paradox’ als blosses Gebilde einer atheoretischen Sprachgewandtheit bleibt jede Abgrenzung des Begriffes ‘Meinung’, wie sie z.B. Plato mit seinem Unterschied zwischen δόξα einerseits und ἐπιστήμη oder γνώμη anderer- | |||||||||||
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seits versucht hat, einfach ausser Betracht. ‘Meinung’ ist in der lebendigen Sprache, was ich für wahr halte, ganz abgesehen von meiner theoretischen Begründung. Nicht nur die anschauliche oder empirische (sachliche oder vermeintliche) Gegebenheit kann der Volkssprache nach eine Meinung aufgebaut haben, sondern auch theoretisches Denken oder der Glaube oder Aberglaube. Je nach der vorhandenen Sachlage also kann, was paradox empfunden wird, kämpfen gegen anschauliche, empirische, pistische oder abergläubische Gegebenheiten. Infolgedessen kann nach Calvin das Paradoxon nicht nur gegen den sensus sondern auch gegen die ratio oder sogar gegen die fides quae creditur sein. Denn auch der Glaubende hat seine persuasio, die paradoxal erschüttert werden kann. In diesem Falle kann z.B. die persuasio (‘Meinung’) in ihrer Sicherheit zerstört werden durch den Anschein; es muss aber dann das glaubende Subjekt seine ursprüngliche ‘Meinung’ wieder gewinnen, nicht durch ein paradoxales Anstürmen auf die anschauliche Gegebenheit, sondern durch eine zielbewusste Handhabung der schon vorhandenen steten Glaubens ‘meinung’ ex autoritate dei, d.h. im Namen des Deus loquens oder des Deus qui dixit. ‘Il y a double sentiment et apprehension en nous: l'un est de nostre sens naturel, l'autre de la foy. Or nostre sens naturel quel obiect a-il et quel regard? Les choses que nous sentons, que nous voyons, et que nous touchons. Quand donc Dieu nous laisse en telle extremité, que nous ne savons que devenir, il semble bien qu'il y ait comme une grosse nuee entre luy et nous, tellement que nous ne soyons plus en sa main ny conduite. Or cependant voicy Dieu qui nous promet que quand nous cuiderons qu'il soit eslogné de nous, il nous est prochain: et quand il nous semblera qu'il a les yeux fermez, il veut que nous regardions, Dieu a-il parlé? Tenons nous hardiment à sa promesse.’Ga naar voetnoot1) Unsere Ablehnung der Uebersetzung von δόξα durch | |||||||||||
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‘Schein’ oder ‘Anschein’ ist kein sinnloses Streiten um Worte. Die Brunnersche Auffassung von παϱὰ δόξαν und die unsrige haben beide ihre Konsequenzen. Die erste lässt die Tür offen für eine Auffassung des Paradoxon als erkenntnistheoretische Methode oder ‘Form’ der Offenbarung, oder sogar Kategorie, wie man gesagt hat;Ga naar voetnoot1) die zweite findet im blossen Wort ‘paradoxon’ hierfür noch durchaus keine Berechtigung. Die erste begünstigt ein Reden von paradoxaler Haltung gegenüber dem einfachen Reden von paradoxalen Ereignissen oder Erlebnissen oder Konflikten; die zweite lässt jede paradoxale Empfindung als ein Sondererlebnis des Subjekts an sich bestehen. Die erste schiebt unvermerkt dem Calvin und überhaupt den Reformatoren die Auffassung unter, dass sie im ‘grossen Moment’ der ‘Entscheidung’ des Glaubens das Paradoxon ergreifen; die zweite dagegen hält die Tür offen für die von anderen vertretene und wenigstens den klassischen Sprachgebrauch nicht vergewaltigende Auffassung, dass sie im Moment der paradoxalen Empfindung selbst zu einer Entscheidung nicht hindurchbrechen können; dass die Entscheidung eben in der Ueberwindung des Paradoxons möglich sein wird. Die erste bietet einen Stützpunkt für die Lehre, dass der lebendige Glaube nach Calvin keine ständige kontinuierliche ‘Meinung’ vertrage, dass er vielmehr ein endgültiges Interdikt enthalte in Bezug auf das ‘Sich auf einen Standpunkt stellen’, worin ja die ‘tragische paradoxale Lage’ der ‘wirklichen Gottesmänner’ durchaus verkannt sein würde;Ga naar voetnoot2) die zweite dagegen lässt noch Raum für die voraussetzungslose Frage, ob nicht für Calvin und die Reformatoren die quies (nicht: Quietismus!) des Glaubens eine ständige Meinung | |||||||||||
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als donum gratiae geniessen könne, eine Meinung, die von dem ϰαινὸς (πνευματιϰὸς) ἄνϑϱωπος geschützt werden muss gegen jede paradoxale Verwicklung, worin der παλαιὸς (ψυΧιϰὸς) ἄνϑϱωποςGa naar voetnoot1) sich allzu oft verwirrt, eben mit Berufung auf die ‘anschauliche Gegebenheit’, den sensus naturalis. Alle diese Fragen sind heute an der Tagesordnung, und deshalb ist es nützlich, schon auf diesem Punkt unserer Untersuchung jedem Vorgreifen einer Beantwortung den Weg abzuschneiden durch die einfache Bemerkung, dass δόξα in παϱάδοξος noch immer nur ‘Meinung’ ist und nicht ‘Anschein’. - | |||||||||||
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§ 3. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes ‘paradox’ in der Neuzeit.A. Das widerspruchlose ‘Paradoxon’.Es kann nicht Wunder nehmen, dass in der Neuzeit das Wort paradox sich öfter vorfindet als im Mittelalter. Die Neuaufnahme des Studiums der griechischen Sprache, der Widerwille gegen Uebersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische, das Wohlgefallen, das der Humanismus an der schönen Form der Sprache und Rede hatte - das alles begünstigte die Wiederbelebung eines so preziösen, unpräzisen Wortes für eine so preziöse, unpräzise Sache. Falls jemand meinen möchte, es sei etwas zu weit ausgeholt gewesen, als wir am Schluss des § 2 in Bezug auf Calvin erinnerten an das contradiktorische, weil antithetische Verhältnis zwischen σάϱξ und πνεῦμα, zwischen παλαιὸς (ψυΧιϰός) und ϰαινὸς (νέος, πνευματιϰὸς) ἄνϑϱωπος, dann sei es vergönnt, hinzuweisen auf eine sehr bekannte spiritualistische SchriftGa naar voetnoot1) aus der Zeit der Reformation, deren Verfasser, Seb. Franck, schon im Titel eben dieselben Begriffe einander gegenüberstellt und den Gegensatz ihrer Inhalte wirksam werden sieht, sobald das Paradox selbst zu einer Auseinandersetzung mit ihm auffordert. Dieser Titel lautet: ‘Paradoxorum ducenta octoginta/ das ist | |||||||||||
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CCLXXX Wunderred und gleichsam Räterschafft aus der H. Schrift, so vor allem fleysch ungleublich und unwar sind/ doch wider der gantzen Welt wohn un achtung/ gewisz und waar. Item aller in Got Philosophierenden̄ Christē/ rechte/ götliche Philosophei/ un̄ Teütsche Theologie/ voller verbogener Wunderred und gehaimnusz/ den verstandt/ allerlay frag/ und gemaine stell der Hailigen Schrifft/ betreffende/ Auch zur Scherpffung des urtails/ überausz dienstlich/ entdeckt/ auszgefürt/ und an den tag geben/ Durch Sebastianū Francken/ vonn Wörd. - Ist iemandt gaystlich/ der urtail was ich sagt. Den Gaist lescht nicht ausz/ die Prophecei veracht nit/ Brüffet aber alles/ und was güt ist/ das behalt. 1 Cor. 14. 1 Thessal. 5.’ Dieses Buch (1534) fasst also seine Paradoxa wohl als eine Offensive gegen den consensus, sogar - hyperbolisch gemeint - der ganzen Welt, fügt aber hinzu, dass ihre Inhalte nur für das ‘fleysch’ ‘ungleublich’ und infolgedessen ‘unwar’Ga naar voetnoot1) sind. Von einer eigentlichen Durchbrechung der Vernunft ist bei ihm also nicht die Rede, auch nicht von einer paradoxalen ‘Lage’ dem anschaulich Gegebenen oder historisch Gewordenen gegenüber. Es fragt sich nur, meint Franck, ob man sich den verschiedenen Seinsregionen mit einem lumen internum nähert oder nicht. Wer dies lumen in sich trägt, dem werden des Verfassers ‘Paradoxa’ geradezu als Ortho-doxa erscheinen, nur dem ‘fleysch’ sind sie stricto sensu Paradoxa. Man hört das Paulinische ϰατ᾽ ἄνϑϱωπον oder ϰατὰ σάϱϰα aus dem folgenden interessanten, wenn auch seinem Inhalt nach unpaulinischen Satz heraus: ‘Paradoxon/ lieben Freünd und Brüder/ haiszt bei den Griechen ain Red/ die gleichwohl gewis und waar ist/ die aber die gantze Welt/ und was nach dem Menschen lebt/ nichts weniger dan̄ fur waar hält/ als das allain die Weysen und frummen reich sindt’ (cf. Cicero, Phil. Stoic.) ‘Das ain Christ nit kan sünden und sterben. Item | |||||||||||
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das gottes gebot leicht/ und zu halten nit schwer sindt.’ ‘Das creutz glück sei/ und der todt der weg unnd Port zum leben/ Ja die recht Artzenei wider den todt. Das man sich im layd und trübsal sol rhümen/ des glücks und benedeiung der menschen unsälig duncken/ und schämen’. etc. - ‘Nu hab ich disz mein Philosophei Paradoxa intituliert/ und Paradoxum ain Wunderred/ oder Wunderwort/ verteütscht/ Weil die Theologei/ der recht sin̄ der Schrifft (so allein gottes Wort ist) nichts ist/ dan̄ ain ewig Paradoxn̄/ wider allen wahn/ schein/ glauben/ und achtung der gantzen welt/ gewisz und waar’. Das lumen internumGa naar voetnoot1) wird nötig sein um den ‘Wahn, Schein, Glauben und Achtung’ (δόξα) von denen zu überwinden, die nur ihre vom Geist nicht erleuchtete Vernunft haben oder den Buchstaben der Schrift, die doch ohne lumen internum ‘ain finster latern’ ist, sich anvertrauen. Wo die Lampe des lumen internum brennt, da werden alle Seinsgebiete, die es gibt, sich den erleuchteten Menschen und seiner Vernunft durch Schau erschliessen, da werden, mit anderen Worten, die Paradoxa als solche überwunden werden und der lebendig machende ‘gaist’ neue Wissenschaft zu treiben und zu bewahren lehren. ‘Der gaist.... macht lebendig/ Das versten alle Väter fur den gaistlichen verstandt/ nit eben fur Origenis auszlegung/ odder Augustini/ sonder fur den sin̄ Christi/ | |||||||||||
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und verstandt des gaistes/ der ain anders in dem eüssern ansehen und schelff hat/ und verwendt ain anders im gaist verstehet’. Und da wird die ‘Wunderred’ vernommen und zwar nicht nur aus der Heiligen Schrift, sondern auch aus dem Heidentum. ‘Hiemit lasz dir mein Leser gedient sein/ dan̄ befinde ich/ das dir diese maine arbait angenem/ nutzen/ und zu guten kommen/ unnd es got zulassen wurt/ so wil ich ains mals/ noch etlich hundert Wunderred ausz der Hailigen Schrifft/ Pythagora/ Platone/ Plotino/ Plutarcho/ Cicerone/ Seneca/ Erasmo Roterodami/ Ludouico Vive/ Ludouico Celio Rhodogino/ etc. hinnach schicken/ und ain Chronica über Germaniam/ das gantz Teütsch Landt/ sonderlich über das Schwaben Landt. Dan̄ wunder ist es/, was ainem die Historien (so eittel gottes Wunderwerck/ unnd ain lebendige exemplificierte leer sindt) nutz bringen/ gehaimnus entdecken/ mit dem das sie der Welt thorhait/ wesen/ und blindthait für die augen stellen’.Ga naar voetnoot1) Aus dieser verwirrendenGa naar voetnoot2) Gedankenreihe geht doch jedenfalls hervor, dass für diesen Verfasser der Inhalt des Paradoxons a) sich mit der Wirklichkeit und der Wahrheit verträgt, b) in Vernunft und Anschauungsobjekten sich immer bestätigt finden wird, sobald nur der Geist durch den Buchstaben hindurchschimmert, c) einen Angriff auf den consensus macht, nicht aus Wohlgefallen am Angriff selbst, sondern um durch die Unruhe den Leser zu beruhigen. Mit anderen Worten: παϱὰ δόξαν heisst auch hier nicht: wider den ScheinGa naar voetnoot3), sondern wider: die Meinung; | |||||||||||
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das Paradoxon ist nicht a ratione abhorrens, sondern es will gelten als rationis remedium. Das Paradoxon will nicht eine ‘tragische Lage’ dessen bezeichnen, der es ausspricht, sondern es ist eine ganz gewöhnliche These, womit derselbe en passant die ‘tragische Lage’ seiner Opponenten verhöhnt. Lambert von Avignon und Seb. Franck stehen einander gegenüber mit Paradoxen, die eben dadurch nur Thesen werden; ihre absurditas kann nur vom Opponenten behauptet werden. Ihre ‘Paradoxa’ sagen nur: entweder - oder, niemals aber: sowohl - als auch. Inhaltlich sind sie keinesfalls eine ‘widerspruchsvolle Verbindung’, sondern sie konstatieren nur eine widerspruchslose Abgrenzung; und ihre Selbstbezeichnung als ‘Paradoxa’ enthält keine Klage über ihre ‘tragisch gewendete, unvollendete und unvollendbare Dialektik’,Ga naar voetnoot1) sondern eine proleptische Anklage gegen jeden Menschen, der nicht aufhören würde sie als Paradoxa zu empfinden. Denn dadurch würde er seine Dialektik als unvollendet, ja vielleicht sogar als noch nicht einmal angefangen aufweisen. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Unterschrift eines Porträt Seb. Franck's: ‘Paradoxus Orthodoxus’.Ga naar voetnoot2) Die paradoxe Ausdrucksform, das Ueberraschende in Wort- oder Gedankenverbindung, wird infolgedessen bei Franck völlig zur Nebensache; Franck verzichtet auf jeden Versuch, ‘d'exerciter les esprits’, und bleibt auch fern von humanistischen Vernunftspielereien; wer seine Paradoxa eben als Paradoxa erklären wollte aus seiner Berührung mit Erasmus, dessen Moriae Encomium er ja übersetzt hat (1534), oder sogar aus den Grundgedanken seines Verbutschierten Buchs (1539), der würde damit irren, obwohl hier ‘Schrift’ und ‘Gegenschrift’ absichtlich einander ent- | |||||||||||
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gegengesetzt werden. Denn in dem Lebensstadium, worin Franck die Paradoxa schreibt (1534), steht er zwischen den beiden extremen Standpunkten von ‘exerciter’ (d.h. die Methode des undurchbrochenen, ‘profanen’, Denkens lehren) einerseits, und die ‘Sigeln’ des ‘verschlossenen Buchs’ zerbrechen, und also darin lesen samt seinen nichtmehr-profanen, sondern von Gott geheilten Schülern andererseits; hier, in den ‘Paradoxa’ will er ausgehen von der Wahrheit, dass zwischen ‘Buchstabe’ und ‘Geist’, zwischen Gott und (böser) Welt, ein unaufhebbarer Gegensatz besteht. Mag er Erasmus oft anführen, sein Spiritualismus zwingt ihn, da, wo Erasmus nur ironisierend und überlegen lächeln kann, Krieg zu erklären. ‘Alcibiades vergleicht bei Plato den Sokrates wegen seiner satyrachtigen, burlesken Hässlichkeit mit.... Silenus, dem Lehrmeister und unzertrennlichen Gefährten des Dionysos’Ga naar voetnoot1); Franck weiss davon, aber lächelt nicht mehr mit Erasmus; er droht: Inversus Silenus omnia; ‘die Wahrheit besteht nur aus Wunderreden die die Welt nicht also hält, tut, redet und glaubt. Hörst du den Pöbel etwas reden, glauben und halten, so halte du, rede und glaube das Gegenteil, so hast du das Evangelium und Gottes Wort gewiss. Das Recht liegt tief. Es ist alle Dinge ein verkehrter Silenus und viel anders, als es scheint’.Ga naar voetnoot2) Nur von hieraus werden paradoxe Ausdrucksformen bei Franck verständlich (z.B. Gott ist der Welt Teufel, Christus der Welt Antichrist, 15; Es ist nichts Stärkeres noch Schwacheres denn Gott, 24; den unüberwindlichen Gott überwindet leicht ein jeder, 25; wenn Gott fern ist, so sieht man ihn; nahend aber nimmer, 42; cf. 40: Gott ist auch ferne nahend, und 41: Gott ist nicht näher, als wenn er fern ist; Die das Gesetz halten, halten es nicht, 158; cf. 159; Christus, d.h. der Eifer um Gott, schlägt Christum tot, 177.) Denn hier ist keine Synthese vond A und non-A, sondern nur Antithese gemeint | |||||||||||
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zwischen jedem A und non-A des ‘Fleisches’ einerseits, und jedem A und non-A des ‘Geistes’ andererseits. Das Paradox wird ein widerspruchsloser Satz - aber zum Verstehen muss man ein Eingeweihter sein. Darum ist die paradoxe Ausdrucksweise nebensächlich; in den meisten Fällen fehlt sie. Um nicht mehrGa naar voetnoot1) anzuföhren: dieser Typus der ganz nöchternen, völlig unpikanten Verwendung des Wortes ‘paradox’ hat sich lange gehalten. Der Traktat Spinozas ‘Philosophia Scripturae Interpres, Exercitatio Paradoxa’ ist bekannt; er ist ‘printed anonymously at Eleutheropolis, in 1666. This place was one of several cities in the clouds, to which the cuckoos resorted who were driven away by the other birds; that is, a feigned place of printing, adopted by those, who would have caught it if orthodoxy could have caught them. Thus, in 1656, the works of Socinus could only be printed at Irenopolis’.Ga naar voetnoot2) Es hat sogar eine ganze ‘paradoxale’ Zeitschrift gegeben: ‘Paradoxien - eine Zeitschrift für die Kritik wichtiger Meinungen und Lehrsätze aus allen Fächern der theoretischen und practischen Medizin.’Ga naar voetnoot3) Auch von ‘Paradoxa’, die nichts anderes sind als Thesen, sogar ohne irgendwelchen Anspruch auf irgendeinen Schein von Verletzung der Vernunft oder der Logik, finden wir, mehr als 150 Jahre nach den Paradoxen des Wittenbergschen Gymnasiums, ein Beispiel, jetzt von katholischer Seite. Wir meinen das Buch: Paradoxum controversum de attritione scholastice disputatum, Lovanii in Conventu PP. Augustinianorum die 31. | |||||||||||
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Augusti Anno 1671, horâ 9, ante & post meridiem. Accesserunt Additiones adversus nuperrimum Minimè Paradoxum. Ex S. Concilio Tridentino & Historia Concilii Hebdomadaria Disputatione in eodem Conventu die & horâ consuetis explicandae (Lovanii, Typis Hieronymi Nempaei).Ga naar voetnoot1) Und gerade 100 Jahre nach den Wittenbergschen Paradoxa gibt es als ‘Paradoxa Monetaria’ veröffentlichte Thesen, die ‘sonderbare, jedoch wahrhaffte Schlussreden’ sein wollen, ‘über das itzige zerrütede Muntzwesen’.Ga naar voetnoot2) Im | |||||||||||
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Jahre 1626 wechselt manGa naar voetnoot1) gegenseitig Paradoxe über das Abendmahl. Im Jahre 1702 werden in London gedruckt die ‘Paradoxes of State, relating to the Present Juncture of Affairs in England and the rest of Europe’.Ga naar voetnoot2) Und die ‘Paradoxes politiques’ von 4. Febr. 1778 (Handschrift) enthalten auch Thesen, ‘facile(s) à prouver’.Ga naar voetnoot3) | |||||||||||
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In allen diesen Fällen liegt ein genus von Paradoxen vor, denen jeder Nebengedanke eines Konfliktes mit der Vernunft völlig fremd ist. Man schreibt Paradoxa über ‘l'église de Saint-Nicolas’, und über ‘l'incertitude, vanité et abus des sciences’; über Monsieur le Prince, Mazarin, das Edikt von Nantes, und über ‘la langue des calculs’.Ga naar voetnoot1) Ein Paradox ist ‘the isolated opinion of one or few’.Ga naar voetnoot2) Von diesem genus hat Aug. de Morgan ein ganzes ‘budget’ angelegt.Ga naar voetnoot3) Seine Definition des Begriffs ‘paradox’ wird klar aus der Bemerkung: ‘I use the word in the old sense: a paradox is something which is apart from general opinion, either in subject-matter, method, or conclusion’. Er fügt hinzu: ‘many of the things brought forward, would now | |||||||||||
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be called crotchets, which is the nearest word we have to old paradox. But there is this difference, that by calling a thing a crotchet, we mean to speak lightly of it; which was not the necessary sense of paradox. Thus in the sixteenth century many spoke of the earth's motion as the paradox of Copernicus, who held the ingenuity of that theory in very high esteem, and some, I think, who even inclined towards it’.Ga naar voetnoot1) Als Beispiele dieser paradoxalen ‘opinions’ gibt er u.a.: die Lehre von den Antipoden, des Galilei, Auffassungen von der Zahl π, Aussagen über die ‘quadratura circuli’, bestimmte Ketzereien, z.B. von Giordano Bruno (de Monade, Numero et Figura.... item de Innumerabilibus, Immenso, et Infigurabili),Ga naar voetnoot2) die ethische These ‘that the church(man) is not bound to give his whole counsel in all things, and not bound to say what the things are in which he does not give it’,Ga naar voetnoot3) und dazu noch viele Aussagen über den Magnet und seine Gesetze, die mesures du monde, Kometen, Bacon's novum organum, die Kopernikanische Lehre, eine dissentierende Meinung über Kirche und Staat, die immobilitas terrae, die Philosophensprache (in Zeichen), die Konjunktion von Saturn und Jupiter im Jahre 1682, varia eschatologica, das Gravitationsgesetz, die Lehre der harmonia praestabilita, usw.Ga naar voetnoot4) W.K. StewartGa naar voetnoot5) gibt diese Beispiele: ‘the simian descent of man, Berkeley's idealism, Rousseau's glorification of primitive man, Kant's doctrine of the subjectivity of time and space, Fechner's panpsychism’. Als letztes Beispiel dieser Reihe nennen wir noch die i.J. 1707 unter dem Titel Nova Paradoxa er- | |||||||||||
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schienene ‘Verhandlung von der Seele’, usw.Ga naar voetnoot1) Und, aus der theologischen Fachliteratur: Th. Burchardi, Paradoxa, ein evangelisches Glaubensbekenntnis in hundert Thesen (Wiesbaden 1888). Der Verf. erwartet ‘Tadel’, daher der Titel. Aber im Vorwort lehnt er das ‘sacrificio dell intelletto’ (Aufopferung der besseren Einsicht!) ab; seine Paradoxa sind ganz gewohnte dogmatische Thesen. - | |||||||||||
B. Das scheinbar widerspruchsvolle Paradoxon.In scharfem Gegensatz aber zu der oben erwähnten Gebrauchsart unseres Wortes steht eine zweite; diejenige nämlich, bei der ‘paradox’ in der Tat auf die eine oder andere Weise das Element der vom Subjekt aus gesehenen Absurdität in sich schliesst, eine Absurdität, die scheinbar, oder nur dem ersten Eindruck nach, oder wirklich, oder auch nur soweit wir wissen, für unsere Logik unüberwindbar sein kann, aber jedenfalls als Absurdität angesehen wird. Hier scheint dem denkenden oder erkennenden | |||||||||||
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Verstand auf seinem Wege ein Alogon, ein Antilogon, ein Widerspruch oder eine Antinomie als Skandalon vorzuliegen. Die Frage jedoch, ob faktisch eine "paradoxe" Behauptung oder These einen inneren Widerspruch enthält, ob also ihre Wirklichkeit diesem Schein entspricht, kann nicht durch die einfache Konstatierung ihres paradoxen Charakters abgetan werden, sondern muss durch logisch-wissenschaftliche Prüfung, oder in quasi-wissenschaftlicher Auseinandersetzung, wie z.B. in dem spasshaften Paradoxon von lebendigen Steinen,Ga naar voetnoot1) erörtert werden. | |||||||||||
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Bemerkenswert ist für unseren Zweck, namentlich, wenn man die gegenwärtige Verwendung des Wortes ‘paradox’ verfolgt, die Streitschrift des Utrechtschen Professors Joh. Hoornbeek, der den bekannten Spiritualisten Valentin Weigel bekämpft: ‘De Paradoxis et Heterodoxis VVeigelianis Commentarius, ubi & de Schwenckfeldo aliisque similis indolis, Auctore Joh. Hoornbeek’ (Ultrajecti, ap. Joannem à Waesberge, 1641.) Nicht nur Weigel, sondern auch Schwenckfeld, verschiedene fratres Roseae Crucis, Paracelsus, David George, werden hier besprochen und scharf kritisiert. Weigel ist ein ‘nugator’, ‘qui avida novorum ingenia paradoxis in Theologiâ dogmatibus & libellis circumduxerit.’ Hoornbeek spürt bei ihm und seinen Nachfolgern einen animus, ‘qui dum communia fastidit, nova vult, eaque quando in re non assequitur, in verbis saltem quaerit, & familiam de suo nomine novam; quia ducere, non duci cupit’.Ga naar voetnoot1) Weigel kann ‘ad paradoxa & putida impotentis cerebri somnia divulganda atque extollenda datus videri’ (fol. 1). Denn seine ‘dogmata’ kann man richtiger (‘potius’) ‘paradoxa singularia’ nennen (fol. 19). So werden von Hoornbeek die bekannten Thesen Weigels als Paradoxa qualifiziert und geprüft; dass sie paradox sind genügt nicht, sie zu verwerfen, sondern dass sie bei richtiger Prüfung logisch unhaltbar sind. Und so werden 5 Weigelsche ‘dogmata’, die den orthodoxen calvinistischen Hoornbeek allzu paradox anmuten, nach sorgfältiger Prüfung als absurd abgelehnt. Paradoxum primum, de principio & origine omnis cognitionis & scientiae in homine; paradoxum secundum, de hominis astrologiâ, ejusque renunciatione; paradoxum tertium, de cognitionis ratione, & forma; paradoxum quartum, de regula cognitionis, nimirum de Combinatione contradic- | |||||||||||
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toriorum(!), paradoxum quintum, de saeculo Spiritus Sancti. Die Themata sind alle bekannt aus der Reformationsgeschichte; für die Untersuchung des Inhaltes des Wortes ‘paradox’ in dieser Zeitperiode (und auch für unsere Gegenwart, wie nebenbei bemerkt sei) ist es bezeichnend, dass die These ‘de combinatione contradictoriorum’ als paradox empfunden, und nachher als logisch absurd aufs schärfste zurückgewiesen wird. Doch das Wort ‘paradox’ enthält nur die Behauptung, aber diese auch ganz bestimmt, dass der Verstand bei erster Berührung mit dem paradoxen Gedankeninhalt nicht sofort damit einig werden kann, und dies sich selbst auch eingestehen muss. Diese ‘neue Wendung’ in der Geschichte der Verwendung unseres Begriffs wäre nach De Morgan im 17. Jahrhundert aufgekommen. ‘In the seventeenth century, the depravation of meaning took place, in England at least. Phillips says paradox is “a thing which seemeth strange” - here is the old meaning: after a colon, he proceeds - “and absurd, and is contrary to common opinion”, which is an addition due to his own time’.Ga naar voetnoot1) De Morgan konstatiert also in der zuletzt angeführten Gebrauchsart (Paradox als dem Anschein nach absurd) eine Abweichung von der klassischen Verwendung des Begriffs. Recht hat er damit in den Fällen, in denen eine zweifelsohne als Absurdität festgestellte Meinung dennoch paradoxal genannt wird; haben wir doch gesehen, dass das Paradoxon wohl bei den Klassikern öfters eine Bezeichnung für das noch immer unentschiedene Problem ist, dass aber, ist das Problem entschieden, dann bei den Klassikern der Satz, der das Resultat dieser Entscheidung enthält, sachlich das Recht auf die Qualifikation als paradox immer verloren hat. Unrecht aber hat De Morgan mit seiner Behauptung, falls die Benennung ‘paradox’ nichts anderes als eine nur mögliche, vielleicht sogar gefürchtete Absurdität dem Inhalt des Paradoxon zumutet. In diesem letzten Fall wird | |||||||||||
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keine Abweichung von der klassischen Redeart vorgefunden.Ga naar voetnoot1) Paradoxa dieser zweiten Art nun werden von EislerGa naar voetnoot2) definiert als ‘Urteile, die in schlussfolgender Verknüpfung scheinbar unabweislich und gleich folgerichtig zu einander ausschliessenden und so widerspruchsvollen Ergebnissen führen’. Es ist kein Wunder, dass gerade die Mathematik und die anverwandten Wissenschaften auf solche Paradoxien und Paradoxa gestossen sind, und dass schon der Jesuit Marius BettinusGa naar voetnoot3) in seinem grossen Werke ‘Apiaria vniversae Philosophiae Mathematicae, in quibus Paradoxa et noua pleraque Machinamenta ad vsus eximios traducta.... a Coll. Tridentino Soc. Iesu dicata, Bononiae, 1642’, sich bemüht, die ‘Eurycemi paucula quaedam apud Pappum paradoxa’, ‘eaque in solis Geometricis’, jetzt zu einer unübersehbaren Menge auszuarbeiten: ‘hic tibi, lector, in omni Mathematicarum scientiarum genere si quid inopinati, aut admirandi prae vulgatis est, exponitur’ (Lectori, c3b). Gerade die Mathematik muss auf das Paradoxon immer stossen, und zwar schon aus rein logischen Gründen. Ist doch das Paradoxon immer (sei es in blutigem Ernst, oder in einem koketten und ‘eleganten’ Denkspiel) als logische Schwierigkeit anerkannt, als ein mögliches Skandalon, das entweder zur πτῶσις ohne weiteres, oder zur πτῶσις ϰαὶ ἀνάστασις dem irrenden Verstand vor den Füssen liegt. Und hat nicht geradezu die Mathematik immer mit der Logik sich aufs | |||||||||||
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engste berührt, sogar in dem Masse, dass die Grenzen zwischen beiden Disziplinen oft verwischt sind? Der wiederholte Versuch, die Philosophie (die Logik) nicht nur ‘more geometrico’ denken, sondern auch schreiben zu lassen, wenn er selbst auch ein Paradoxon genannt worden ist,Ga naar voetnoot1) ist doch ein sinnvolles und sprechendes Testimonium für die Affinität der Methode beider Disziplinen. Und so spricht es für sich, dass die Mathematik und überhaupt die Raum-Zeitlehre das Paradoxon kennt in jeder Erscheinungsart, von der Form des tiefsten Problems an (Paradoxien der Unendlichkeit, Mengenlehre) bis zur Form der galanten Neckerei hinab (das Schachbrett, das nicht nur 64, sondern auch 65 Felder hat, eine ‘hübsche Schüleraufgabe’).Ga naar voetnoot2) So sind bekannt geworden: das Galileische ParadoxGa naar voetnoot3), das Paradoxon der WinkelvergleichungGa naar voetnoot4), das Paradoxon der endlichen BeziehungGa naar voetnoot5), das Paradoxon elementareGa naar voetnoot6), das | |||||||||||
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Paradoxon ultrafiniteGa naar voetnoot1), das Russelsche ParadoxGa naar voetnoot2), die Paradoxie der MengeGa naar voetnoot3), das Paradoxon der WinkelflächenGa naar voetnoot4), das Paradoxon von Burali-FortiGa naar voetnoot5), das Paradoxon von den bestimmenden CurvenpunktenGa naar voetnoot6), das Kreisparadox, das UhrenparadoxGa naar voetnoot7), das geometrische Paradox bei Leonardo da VinciGa naar voetnoot8), das geometrische Paradox des SchachbrettsGa naar voetnoot9), Bolzanos Paradoxien der UnendlichkeitGa naar voetnoot10), das Paradoxon | |||||||||||
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von FergusonGa naar voetnoot1), die Paradoxie von J. Wallis, von A. Arnauld, des Konvergenzbereiches einer Reihenentwicklung, der Dichtigkeit rationaler Punktefolgen,Ga naar voetnoot2) das Eulersche (Euler-Cramersche) Paradox, das Paradox von ClairautGa naar voetnoot3), usw. Es ist für unser jetziges Ziel kein Bedürfnis im gegenwärtigen Stadium unserer Untersuchung den Grundfragen nachzuspüren, um die es sich hier handelt. Nur zwei Punkte sind hier anzumerken: a) In allen diesen soeben erwähnten Paradoxen stösst der Verstand auf einen nicht sofort zu beseitigenden Widerspruch von zwei Gedanken oder Gedankenreihen und ergibt sich infolgedessen eine Aporie des Denkens. So sei z.B. hingewiesen auf das Paradoxon der Winkelflächen. Wennin der nebenstehenden Figur QO // SR läuft, dann ‘muss’ ∠ SRP = ∠ QOP sein, kraft der Parallelie von QO und SR, und dennoch ‘muss’ ∠ SRP kleiner sein als ∠ QOP, weil ∠ SRP ein ‘Teil’ ist von dem ‘Ganzen’, das wir ∠ QOP nennen.Ga naar voetnoot4) Oder denken wir an ‘die Paradoxie der endlichen Beziehung’; die Menge der Irrationalzahlen ist abzählbar und nicht abzählbar.Ga naar voetnoot5) Oder an das Uhrenparadox: Eine Uhr sollte nach Berechnung nachgehen gegen eine andere, es lässt sich aber der Vorgang | |||||||||||
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auch umgekehrt auffassen.Ga naar voetnoot1) Oder an das ‘Paradoxon von den bestimmenden Curvenpunkten’: Neun Punkte bestimmen eine Curve 3. Grades und bestimmen sie auch nicht.Ga naar voetnoot2) Oder an das Euler-Cramersche Paradoxon: Zwei Curven 3. Grades schneiden einander in neun Punkten, gehen also beide durch diese neun Punkte hindurch, während doch neun Punkte eine kubische Curve bestimmen sollen, ein Paradoxon, ‘welches bei Curven v ten Grades noch schärfer hervortreten’ wird, ‘sobald sei’Ga naar voetnoot3). Und um auch aus der Kinematik ein Beispiel zu nennen: Das Paradoxon von Ferguson enthält dies: ‘Drei scheinbar gleiche Umlaufräder haben um je 1 abgestufte Zähnezahlen, so dass ihre Zeiger verschieden laufen, während der mittelste, wegen gleicher Zähnezahl mit einem feststehenden Rade sich stets parallel bleibt, wenn man einen Arm (O) um einen Fuss (F) schwenkt’.Ga naar voetnoot4) Von dem nur als Schüleraufgabe gemeinten Schachbrett-Paradoxon können wir hier ganz schweigen.
b) Zugleich aber ist in der Mathematik und anverwandten Disziplinen (auch in der Mechanik) ein energischer Drang vorhanden, ihre Paradoxien von einem logischen Widerspruch zu entlasten. Die Ueberzeugung ist in ihr lebendig, dass ihre Paradoxa eine endgültig festzustellende Absurdität nicht aufweisen können. Vielmehr wird ein Fehler angenommen, eine Lücke in der Beweisführung. Paradoxien ‘lassen die Gedanken vor Beseitigung derselben nicht mehr zu Ruhe kommen.’Ga naar voetnoot5) Auch Bettinus versucht immer, seine Paradoxa zu ‘solvere’. In wissenschaftlicher Hinsicht hat hier auch für unsere Untersuchung grosse Bedeutung das Werk: De paradoxis | |||||||||||
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virium agentium in ratione quavis distantiarum a dato puncto in medio non resistente dissertatio habita in Coll. Braidensi S.J. (Mediolani 1773, apud Joseph. Galeatium Regium Typographum, superiorum permissu). Der Verfasser geht von der These aus, dass zwischen Mathematik und Mechanik keine wesentlichen logischen Widersprüche sein können; wenn sie dem Anschein nach irgendwo auftauchen, muss man sie zu beseitigen wissen. ‘Calculum vera dicere, & eorum rationes, quae ad repraesentandum proponuntur, ita reddere, ut sunt, nemo est qui dubitet; cum autem ad Mechanicam adhibetur, sui mox dissimilem videri, & undequaque paradoxa in unum convehere, ii norunt maxime qui in Physicis uti calculo consuevere. Haec intuentes nonnulli, quorum sane magna est auctoritas, calculum accusant: absolvunt alii: atque ita fit, ut res in medio relinquatur’ (S. 3). Aber hier wird man die ‘paradoxa, quae innuuntur’ (S. 4, Note) nicht ‘in medio relinquere’. Es handelt sich in § III (S. 20. sqq.): de paradoxis, quae contineri videntur in formula Dieser § III fängt dann also an: ‘Pervulgata omnino sunt paradoxa, quae praestiturum creditur mobile attractum in centrum vi in ratione quavis inversa distantiarum. Ex iis enim in calculum criminationes ortae, quae tantopere agitatae sunt. Quid porro ea sint, hic enim vero perquirendum’. Er versucht klar zu machen, ‘unde Euleriana ducantur paradoxa’ (S. 26), und fragt (S. 27): ‘At num geminae Euleri suppositiones supra expositae consistere simul possunt? Id quidem minime fieri posse mihi videor ostendisse (22)’. Von einem ‘Widerspruch im Richtigen’, wie ihn später Dr. W. Dieck seine ‘mathematische Kritik der geltenden Logik’ (1926) beweisen lassen will, darf also hier keine Rede sein, meint der Verfasser, obwohl die Zeitlage auch damals von ‘paradoxorum libido’ zu reden verstand (S. 22, Note, cf. 23/4, Note). Deshalb lautet auch die Konklusion von § III: ‘Quare si haec sunt, quibus accu- | |||||||||||
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satur calculus, nihil est cur ille sui dissimilis interdum videatur. Sui dissimilis profecto habendus esset, si paradoxa sponte occuleret, quae per suppositiones sunt invecta’. Und in ähnlicher Weise werden auch ‘paradoxa reliqua’ beseitigt: ‘dissoluta sunt, aut sponte, quin singillatim excutiantur, ex dictis ibidem dilabuntur’.Ga naar voetnoot1) ‘Paradoxis satisfacere’, - das will freilich die Mathematik in der hier in Betracht kommenden Zeitperiode immer. So bemerkt zu dem oben angeführten Fall der ∠ ∠ SRP und QOP Hessenberg, dass die gesuchte Paradoxie auf Grund seiner Ausführungen von dem Verdacht eines logischen Widerspruchs freigesprochen werden muss.Ga naar voetnoot2) Und auch was die sog. Paradoxie der endlichen Beziehung anlangt, weist Hessenberg den Fehlschluss und seine unzutreffende Begründung auf.Ga naar voetnoot3) Desgleichen bemüht sich Hans Reichenbach dem Uhrenparadox das Recht abzusprechen einen Einwand zu bilden gegen die relativistische Uhrentheorie und beruft sich dafür auf einen in die Berechnung eingeschlichenen Fehler.Ga naar voetnoot4) In ähnlicher Weise werden die übrigen von uns erwähnten Paradoxa abgehandelt. Und der grosse Logiker Bolzano selbst spricht wohl von denjenigen mathematischen Paradoxien, die ‘unsere grösste Beachtung verdienen, weil die Entscheidung hochwichtiger Fragen in mancher anderen Wissenschaft, wie in der Metaphysik und Physik, von einer befriedigenden Widerlegung ihres Scheinwiderspruches abhängt,’ aber um so energischer bemüht er sich, ‘den Schein des Widerspruches.... als das, was er ist, als einen blossen Schein erkennen’ zu lassen.Ga naar voetnoot5) Wir sehen | |||||||||||
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sogar den Begriff des Paradox, nachdem er eben in der Mathematik wieder stärker ausgeprägt worden war, als in den sonst üblichen Sprachgebieten, schon wieder einigermassen verblassen, sobald Bolzano, vom streng mathematischen Gebiet zur allgemein wissenschaftlichen Region übergehend, seine Paradoxa in folgender Weise bezeichnet: Paradoxa in der Rechnung des Unendlichen, im Begriffe der Zeit, in der Lehre vom Raum, auf dem Gebiete der Physik und Metaphysik und das grosse Paradoxon von der Verbindung zwischen den geistigen und materiellen Substanzen.Ga naar voetnoot1) ‘Ein Widerspruch’, sagt er, ‘wird nur erst dann angenommen, wenn man es.... sich unrichtig vorstellt’; was widerspruchsvoll erscheint, ‘wird durch den Verstand erkannt, und erkannt als etwas, das nothwendig so und nicht anders sein kann’.Ga naar voetnoot2) | |||||||||||
Anhang.Ganz so, wie De Morgan ein ‘budget’ hat angelegt von Paradoxa der Klasse A, so hat Joannes Fabricius es getan von Paradoxa der Klasse B, nämlich in ‘Centuria Paradoxorum Theologicorum.... pvblicae disquisitioni exposita’ (Jenae, Lit. Joh. Dav. Wertheri, 6 Sept. 1690). Der Verf. will durchaus nicht den Anschein erwecken von ‘ea, quae in se & revera absurda sunt, aut phrases & locutiones in orthodoxis Ecclesiis non receptas proponere ac defendere’ (4). Nein, der Leser ‘potius in memoriam sibi revocet, alia esse, alia videri absurda, neque vel ἔνδοξα veritatem, vel παραδοξα falsitatem absolute in se continere, sed posse.... aliquid hominum opinionibus esse repugnans seu absurdum, ut tamen sit verum’ (5). In den in seinem Buch angeführten paradoxen Thesen wird der Leser sehen ‘alteram propositionis partem alteri non directe, sed indirecte tantum opponi’ (5). Seine Paradoxa hat er von verschiedenen Autoren zusammengesucht; übrigens ist er mit Chemnitz einverstanden, wenn er sagt: ‘quando mediocriter declaratae sunt causae de modis loquendi, non amemus absurditates & paradoxa’ (7). Er zitiert dann Musaeus, Bajerus, Rauppius, und sehr viel andere. - Beispiele: Theologia est habitus ϑεοσδοτός, & non est (1) (post lapsum, ante lapsum). Eadem est scientia, & non est (2) (natura sua tendit ad docendum, etc.; dennoch in ihr mysteria). Mysteria a nobis sciuntur, & nesciuntur (3). Res Dei sunt obscurae, res Scripturae sunt perspicuae (4). Deus potest, & non potest definiri (8), depingi (9). Solus Deus, & non solus Deus est bonus (10), Deus ubique est, & nusquam (11). Deus novit suc- | |||||||||||
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cessiva, sed non successive (13). Mundus est factus in tempore, & non est factus in tempore (18) (non ab aeterno, - una cum tempore). Diabolus potest facere miracula, & non potest (26). Infantes baptizati credunt, & non credunt (59). Liberum arbitrium per lapsum est amissum, & non est amissum (64). Missa est, & non est sacrificium (88). Numerus praedestinatorum est certus, & non certus (92) (respectu Dei, - quoad homines). | |||||||||||
C. Sonstiges.Haben wir also zwei einander entgegengesetzte Auffassungen unseres Wortes gefunden, so sind weitere Ausführungen überflüssig. Die sonstige Anwendung des Wortes ‘Paradox’ bewegt sich ja doch zwischen diesen beiden Polen. a) Zunächst z.B. die Wissenschaft im allgemeinen. Die Naturwissenschaft kennt die Paradoxien der Wärmelehre oder die ‘Descartes-Leibniz'sche Paradoxie’,Ga naar voetnoot1) oder das hydrostatische Paradox: ‘the principle,.... that any quantity of a perfect liquid, however small, may be made to balance any quantity (or any weight), however great’.Ga naar voetnoot2) Die physiologische Psychologie kennt ‘paradoxe Kälteempfindungen’,Ga naar voetnoot3) und Fechners sog. ‘paradoxen Versuch’.Ga naar voetnoot4) Die Neurologie erwähnt paradoxe Innervation der Antagonisten, paradoxen Patellarreflex.Ga naar voetnoot5) Die Chirurgie spricht von ParadoxskolioseGa naar voetnoot6) usw. Die Zoologie hat etliche Tierarten benannt unter Zuhilfenahme des Wortes ‘paradox’. | |||||||||||
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So finden wir: die Paradoxides, ‘a genus of large trilobitesGa naar voetnoot1) of Middle Cambrien Age’ (tril., d.h. ein fossiles Krustentier), den ParadoxurusGa naar voetnoot2) (παϱάδοξος + οὖϱα) (‘a palmcat’ usw. ‘with remarkable long curving tail’); weiter sind bekannt: paradoxurine, paradoxodon, paradoxides (παϱάδοξος + εἶδος) bohemicus, ornithorhynchus paradoxus usw.Ga naar voetnoot3) Ebenso die Medizin, die Chirurgie, die Biologie: das paradoxe Fussphänomen, (wobei durch plötzliche starke Dorsalflexion des Fusses der passiv verkürzte musculus tibialis anterior in tonische Kontraktion gerät, sodass der Fuss längere Zeit dorsalflektiert bleibt),Ga naar voetnoot4) die paradoxale ZuckungGa naar voetnoot5), die paradoxale ZwerchfellkontraktionGa naar voetnoot6), die gekreuzte oder paradoxe EmbolieGa naar voetnoot7), pulsus paradoxusGa naar voetnoot8), das Paradoxon der Venus Urania,Ga naar voetnoot9) die | |||||||||||
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paradoxia sexualisGa naar voetnoot1), und paradoxale TaubheitGa naar voetnoot2). Auch die voluntas invita sive paradoxa (freie Handlungen bei innerem Widerstreben, Handeln mit Willen und zugleich wider Willen), die paradoxen Symptome (‘Verbindungen solcher Einzelerscheinungen, welche nach den ontologischen Ansichten der dogmatischen Medicin sich wechselsweise ausschliessende Gegensätze darbieten’): Paradoxie des Nervensystems (anaesthesia dolorosa, paralysis agitans, Katalepsie - Wachsein des Gehirns, ekstatische Träume, gelähmter Wille - der Alp - Wachsein des Bewusstseins, der Sinne und des Muskelgefühls bei Unfähigkeit zur Muskelbewegung), Paradoxie des Kreislaufs (Widerspruch des Pulses gegen den Herzschlag), paradoxe Fiebererscheinungen (Durstlosigkeit bei dürrer Zunge usw.), Paradoxien der vegetativen Funktionen, z.B. ischuria paradoxa (fortwährendes unwillkürliches Harnträufeln bei fortwährendem Ueberfülltbleiben der Blase), Paradoxie des Krankheitsverlaufes (anfangs andere allgemeine Charaktere von Krankheiten als später), Paradoxie im Heilversuche, Paradoxien der ursächlichen Einwirkungen (z.B. Hitze und Kälte bringen oft gleiche Wirkung hervor, usw.).Ga naar voetnoot3) - Auch die Navigationslehre ist zu nennen mit ihrem ‘paradoxal sailing’ (‘sailing on the spiral a ship would describe if she continued sailing round the world on any course except east and west, or north and south’; es gibt ‘3 kindes of Sailing, Horizontal, Paradoxall, and Sayling vpon a great Circle’.Ga naar voetnoot4) Erwähnt sei schliesslich noch ‘the pa- | |||||||||||
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radoxology of poisoning’.Ga naar voetnoot1) In allen den eben erwähnten Fällen bedeutet ‘paradox’ nur: verwunderlich, exceptionell, phantastisch, eine Bezeichnung, die auch das Neugriechische aufweist.Ga naar voetnoot2) Vernunftkonflikte oder Widersprüche zu der ‘anschaulichen Gegebenheit’ kommen hier nicht in Betracht. Ueber die von uns angegebenen Pole kommt in der wissenschaftlichen Sprache im allgemeinen das Wort ‘Paradoxon’ nicht hinaus. b) Das nämliche gilt auch, wenn wir uns von dem abgegrenzten Gebiet der Wissenschaft mit ihrem Sprachgebrauch zu dem des allgemeinen Lebens wenden. In den Begriff des Paradoxon ist das Element einer unbedingt vorhandenen Absurdität nicht mit aufgenommen, auch hier nicht. Wohl muss man MurrayGa naar voetnoot3) zustimmen, wenn er Einzelfälle nennt, worin paradox zu bezeichnen ist als ‘a proposition or statement that is actually self-contradictory or contradictory to reason or ascertained truth, and so essentially absurd and false’, aber ein bestimmtes Paradoxon ist noch nicht dasselbe wie ‘das’ Paradoxale überhaupt, das Paradoxale begrifflich gefasst. Haben wir doch schon Beispiele gefunden, bei denen der paradoxale Name für einen bestimmten Lehrsatz beibehalten blieb, auch nachdem kein Mensch mehr zu einer Verwunderung oder zu einer Disputation über das paradoxale Thema geneigt war. Wenn Murray seine Beispiele anführt (the monstruous | |||||||||||
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paradox of trans(s)ubstantiation; the most grosse and massy paradox, that ever did violence to reason and religion), darf man nicht übersehen, a) dass zum Substantiv ‘Paradox’ stark sprechende Adjektiva hinzukommen müssen um zu betonen, dass das Paradox ad absurdum führt in diesem bestimmten Fall; b) dass das ‘to do violence to reason and religion’ nicht ein jedes Paradox bestimmendes Merkmal ist (cf. was wir sagten über das Calvinische ‘paradoxum a ratione abhorrens’). Die von Murray angeführten Beispiele berechtigen also noch nicht, von einer mehr oder weniger scharf umrissenen Wendung in der Geschichte unseres Begriffes zu reden, wie sie schon von De Morgan, neuerdings von Andreas DuhmGa naar voetnoot1) behauptet worden ist. Letztgenannter meint, ‘dass der Begriff “paradox” im 18 Jahrhundert die neue Färbung erhalten hat, und zwar von der französischen Aufklärung her, Esprit und Neigung zur Frivolität vereinigen sich mit dem Gegensatz gegen veraltete Meinungen’.Ga naar voetnoot2) Zunächst aber wird man gegen solcherlei Behauptungen schon ein wenig misstrauisch, wenn man liest, dass De Morgan dem Begriff ‘paradox’ im 17., Duhm dagegen im 18., ein DritterGa naar voetnoot3) sogar im 19. Jahrhundert eine neue ‘Färbung’ zukommen lässt. Zweitens kann man dagegen einwenden, dass eine mehr oder weniger deutlich wahrnehmbare akute Wendung in der Bedeutung unseres Wortes durch die von Duhm beigebrachten Belegstellen u.E. durchaus nicht klar gemacht worden ist. So sagt er: ‘Noch bei Pascal (1623-1662) findet sich das Wort im | |||||||||||
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alten harmlosen Sinne: paradoxe Taten. Dagegen im 19. Jahrhundert ist der Wechsel zum Ende gekommen. Enault (geb. 1824): “Les amis du paradoxe prétendent que les maladies sont nécessaires à la santé”. Also schon eine gewisse Paradoxomanie’.Ga naar voetnoot1) Aber schon lange Zeit vor Pascal - 1555 - erschien die schon erwähnte und vielfach neubearbeitete und übersetzte Schrift: ‘Paradoxes ou sentences debatues’; die daraus in Note 1, S. 27, zitierten Beispiele behandeln ähnliche Motive, von Ciceros ‘paradoxa stoicorum’ und von den Stoikern und Sophisten selbst zu schweigen. Oder, wenn Duhm den Jesuiten Bouhours anführt, der auch das ‘Paradoxe’ unter den Ausdrucksmitteln des ‘esprit’ aufnimmt (z.B. ‘die Stunden sind länger als die Jahre’), - findet sich in der Renaissance, im Mittelalter, unter der Kaiserherrschaft, bei den ByzantinernGa naar voetnoot2), in der Klassizität nicht ähnliche Paradoxologie vor? Und wenn Duhm auf Diderot, den Begründer der Enzyklopädie, hinweist, so betont er zwar mit Recht, dass dieser ‘sich in heftigen Selbstwidersprüchen bewege’, worin dann wieder die typische Frivolität seiner Epoche ‘den ernsten Gegensatz der Weltanschauungen fast zum unterhaltenden Spiel macht und sich an ihrer eigenen Frechheit freut’Ga naar voetnoot3), aber - abgesehen davon, dass solches Verfahren durchaus nicht neu ist - es fragt sich jetzt nur, was das Wort ‘paradox’ für Diderot cum suis bedeutet hat. Hier ist hinzuweisen auf sein ‘Paradoxe sur le Comédien’.Ga naar voetnoot4) Wenn er in dieser Schrift Spielanweisungen gibt für die Schau- | |||||||||||
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spielerGa naar voetnoot1), dann lässt er zwei ‘interlocuteurs’ miteinander disputieren, von denen der erste genannt wird ‘l'homme au paradoxe’,Ga naar voetnoot2) oder ‘l'homme paradoxal’.Ga naar voetnoot3) Bemerkenswert für das Verständnis der Bedeutung dieses Ausdrucks ist folgender Passus: ‘Premier interlocuteur: N'en parlons plus. - Second interlocuteur: Pourquoi? - Le premier: C'est l'ouvrage de votre ami. - Le second: Qu'importe? - Le premier: Beaucoup. A quoi vous mettre dans l'alternative de mépriser ou son talent, ou mon jugement, et de rabattre de la bonne opinion que vous avez de lui ou de celle que vous avez de moi? - Le second: Cela n'arrivera pas; et quand cela arrivait, mon amitié pour tous les deux, fondée sur des qualités plus essentielles, n'en souffrirait pas. - Le premier: Peut-être’. Und am Schluss noch: ‘Ici l'homme au paradoxe se tut.... Puis, s'arrêtant tout à coup, et saisissant son antagoniste fortement par le bras, il lui dit d'un ton dogmatique et tranquille: Mon ami, il y a trois modèles, l'homme de la nature, l'homme du poëte, l'homme de l'acteur’ .... usw.Ga naar voetnoot4) Wenn ‘l'homme paradoxal’ seinen Partner fragt: ‘Ce (dernier) raisonement vous paraît peu solide?’, so fügt er gleich hinzu: ‘Eh bien, soit, mais je n'en conclurai pas moins....’ usw.Ga naar voetnoot5) Was ist hier ‘l'homme au paradoxe’ anders als ein eleganter Widersprecher?Ga naar voetnoot6) Wenn nur die Verwendungsgeschichte des Paradoxons nicht verwechselt wird mit der Begriffsgeschichte des Wor- | |||||||||||
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tes ‘paradox’, dann ist von einer wesentlichen Umwandlung des Begriffs im 18. Jahrhundert keine Spur zu finden. Was als ‘paradox’ empfunden wird, bleibt wie zuvor eine Sache, die den denkenden Verstand anstachelt und ihm eine Aufgabe stellt, die sich nicht durch eine Berufung auf eine incidentelle oder prinzipielle Inkompetenzerklärung dieses Verstandes beseitigen lässt. Mag ein logisch sich selbst widersprechender Gedankeninhalt incidentell paradox heissen, so ist doch dieser Selbstwiderspruch im Worte ‘paradox’ selbst noch nicht affirmiert, nur wird er durch die Bezeichnung als ‘paradox’ für möglich indiciert; der Eindruck eines Selbstwiderspruches kann da sein, aber die Benennung ‘paradox’ bestätigt eben dadurch, dass der Verstand, gegen (παϱά) dessen ‘Meinung’ die paradoxale Behauptung opponiert oder zu opponieren scheint, seine Berechtigung zur richtigen logischen Prüfung prinzipiell aufrecht erhält. Dies möge noch durch einige Beispiele klar gemacht werden: Im Jahre 1679 erschien in London: ‘A Paradox against Liberty. Written by the Lords, during their imprisonment in the Tower, a Poem.’ Ebenso: ‘A Paradox against Life. Written by the Lords in the Tower. An heroick poem, London, 1861’.Ga naar voetnoot1) Kants Verwendung des Wortes ‘paradox’ wird uns aus einem Passus klar in dem er seine Raum-Zeitlehre gegen eventuelle Einwände verteidigt. ‘Diejenigen’, sagt er, ‘welche noch nicht von dem Begriffe loskommen können, als ob Raum und Zeit wirkliche Beschaffenheiten wären, die den Dingen an sich selbst anhingen, können ihre Scharfsinnigkeit an folgendem Paradoxon üben, und wenn sie dessen Auflösung vergebens versucht haben, wenigstens auf einige Augenblicke von Vorurteilen frei, vermuten, dass doch vielleicht die Abwürdigung des Raumes und der Zeit zu blossen Formen unsrer sinnlichen Anschauung Grund haben möge.... Zwei sphärische Triangel von beiden Hemisphären, die einen Bogen des Aequators zur gemeinschaftlichen Basis | |||||||||||
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haben, können völlig gleich sein in Ansehung der Seiten sowohl als Winkel.... und dennoch kann einer nicht an die Stelle des andern (nämlich auf dem entgegengesetzten Hemisphär) gesetzt werden, und hier ist denn doch eine innere Verschiedenheit beider Triangel’. Nachdem er dann noch ein zweites Beispiel gegeben hat, fragt er: ‘Was ist nun die Auflösung? Diese Gegenstände sind....’ usw.Ga naar voetnoot1) Noch ein Beispiel, auch aus wissenschaftlicher Sprache: Michael Weber veröffentlicht im Jahre 1824 seine ‘declamatio senilis’: ‘Paradoxon ὁ ἐν Χϱιστᾷ οὐϰ ἀποϑνήσϰει’ (Halis, ap. Frid. Ruff; Verf. war theol. prof. in Wittenberg-Halle). S. 6 schreibt er: ‘Quod admirabile est, propono. Quod abhorret ab opinione vulgari, παϱάδοξν, quod, codici sacro et doctrinae christianae proprium frustra quaesieris in Stoicis illis et Socraticis a Cicerone tractatis, hoc legentium attentioni etiam atque commendandum censeo. Habet autem ita: Ὁ ἐν Χϱιστῷ οὐϰ ἀποϑνήσϰει.’ Homo vere christianus non moritur. Commemorabo primum locos, quibus hoc παϱάδοξον inest, ejusque sensum explicabo. Deinde colligam alios, unde ejus veritas magis intelligi potest atque illustrari. Denique aliter sentientium rationes diligenter explorabo, idoneisque argumentis convincere studebo’. Diese Schrift verteidigt die ‘mors Christi vicaria’; wie sich der Verfasser das Verhältnis von fides und ratio bei Aufrechterhaltung seines Paradoxons denkt, zeigt S. 57, 58: ‘si doctrina christiana omnino omnis sua natura atque indole ita comparata est, ut divina haberi possit (si habet argumentum possibilitatis, internum), et vero etiam divina ejus auctoritas vaticiniis divinis miraculisque ita comprobata, ut divina haberi debeat, (si habet argumentum veritatis, externum); nae Jesus noster colendus est doctor divinus....’ Und, S. 68: ‘Utinam Cicero noster divinam nostram doctrinam, religionemque christianam cognitam habuisset! Utinam inno- | |||||||||||
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tuisset ei judicium Dei naturalis, quod per Filium de coelo missum de immortalitate animorum tulit! Hic Dei Filius ἐφώτιζε ζωὴν ϰαὶ ἀφϑαϱσίαν διὰ τοῦ εὐαγγελίου. (2. Tim. I, 10). Non Socratis, non Platonis, non Kantii, non Fichtii, non alius philosophi, vel antiquioris, vel recentioris, auctoritas nos frangit. Jesu Christi.... auctoritas divina nos frangit’ (das eine ‘frangit’ interpretiert das andere), ‘cui non insana et caeca, sed sana et recta fide, quam propter argumenta vere divina habemus(!), lubenter nos submittimus’. Auch die Literatur ist zu beachten. Von Shakespeare sind folgende Beispiele bekannt.Ga naar voetnoot1) Wenn jemand schwarz die Farbe seiner Dame nennt, bekommt er die Antwort: ‘O paradox! black is the badge of hell.’ Bekannt ist auch dies: ‘what is or is not, serves as stuff for those two to make paradoxes’. Oder: ‘You undergo too strict a paradox, striving to make an ungly deed look.’ Oder: ‘Die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann’; ‘this was sometimes a paradox, but now the time gives it proof’. Schliesslich: ‘These are old fond paradoxes to make fools laugh i' the alehouse.’ Unserer Meinung nach hat A. Duhm auch hier unrecht, wenn er schreibtGa naar voetnoot2): ‘Also auch hier ist Paradoxie die verirrte Ansicht, die gegenüber einer feststehenden opinio im Unrecht ist und bleibt’; denn schon an dem vierten Beispiel scheitert diese Aussage. Deutlich ist, dass bei Shakespeare ‘Verkehrtheit’, ‘Unsinn’, im Paradox stecken kann, aber ebenso auch eine Wahrheit. KellnerGa naar voetnoot3) interpretiert ‘paradox’ im zweiten und fünften Beispiel als ‘Spass’. | |||||||||||
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Und der ‘Goethe-Wortschatz’ von Paul Fischer bezeichnet das Wort ‘paradox’ bei Goethe als ‘auffallend, sonderbar, ungewöhnlich, (scheinbar) widersinnig’.Ga naar voetnoot1) Bedeutungsvoll ist auch der Passus aus dem ‘Forum der Journal-Literatur, eine antikritische Quartalschrift’ (1831): ‘Sie lieben das Auseinanderzerren.... die neuerdings eingerissene Genialität in paradoxen Antithesen. Alles soll sich nach Ihrer Einsicht in wahren Schlagadern hinschlängeln, und Eines nur des Andern Verneinung seyn’. Wogegen der Angesprochene sich verteidigt, ‘gereizt über den Tadel’ seiner ‘Manier’, ‘dass es nicht so eine formelle Consequenzmacherei ist, wenn’ er ‘die auf entgegengesetzte Ziele sich erstreckenden Tendenzen auseinder’ hält.Ga naar voetnoot2) Und in dem ‘Literarischen Zodiacus’, Juli 1835, schreibt Herder über ‘meine Spässe und Paradoxa’.Ga naar voetnoot3) Elf Jahre später erscheint ein Büchlein von Gust. Ad. Theod. Fechner unter dem Pseudonym Dr. Mises: ‘Vier Paradoxa’.Ga naar voetnoot4) Seine Paradoxa sind: 1. Der Schatten ist lebendig, 2. der Raum hat vier Dimensionen, 3. es giebt Hexerei, 4. die Welt ist nicht durch ein ursprünglich schaffendes, sondern zerstörendes | |||||||||||
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Princip entstanden.Ga naar voetnoot1) Diese spielerisch und spasshaft anmutendeGa naar voetnoot2) Schrift hütet sich im Rahmen ihrer ars demonstrandi jedoch vor dem Schein, das Paradoxale mit sachlich Ungereimtem zu identifizieren; denn der Verfasser weist am Schluss des Aufsatzes über die vierte DimensionGa naar voetnoot3) darauf hin, dass schon Kant mit der Möglichkeit von mehr als drei Dimensionen des Raumes gerechnet hat, dass Mathematiker wie Riemann, Helmholtz, Klein auf Spekulationen über diese Möglichkeit eingegangen sind und dass Zöllner | |||||||||||
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das Wunder erklärt hat durch ein ‘Hineinspielen von Kräften aus einer vierten Dimension’. Und seinen (Fechners) parodierenden Vernünfteleien über die ‘dialektische Methode’ gibt Fechner-Mises doch den Schein des Ernstes, wenn er Hegel den ‘Erfinder dieser Methode’ nenntGa naar voetnoot1) und darauf hinweist, dass Hegel ‘von der absoluten Position des Seins ausgeht, um die zur Negation aufzuheben’.Ga naar voetnoot2) Ganz analog zu Fechners Verwendung des Wortes ‘paradox’ ist es, wenn i.J. 1887 die Revue Internationale (XVI, 512-542) einen Aufsatz von Fréd. Loliée enthält: ‘Le Paradoxe à travers les siècles, essay sur les excentricités de l'esprit humain.’Ga naar voetnoot3) Im Jahre 1878 erschien ‘Paradoxical Philosophy’, ‘a Sequel to the Unseen Universe’, herausgegeben unter anderen mit Hilfe von Mitgliedern einer gewissen ‘Society’, die den Namen führte: ‘The Paradoxical’.Ga naar voetnoot4) Um nicht zu ausführlich zu werden erwähnen wir nur noch: J.A. Knop, Die Paradoxie des Willens 1863,Ga naar voetnoot5) H. Ritter, | |||||||||||
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Phil. Paradoxa 1867,Ga naar voetnoot1) und M. Nordau, Paradoxe 1891.Ga naar voetnoot2) Alle die von uns beigebrachten Beispiele bewegen sich zwischen den beiden von uns am Anfang dieses § einander entgegengesetzten Polen:
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Deshalb ist das Paradoxale, sei es in ernsthafter oder in scherzhafter Weise, immer vorausgesetzt als ein ‘Ding’, das ‘überwunden’ werden muss. Denn das Merkmal der logischen Absurdität ist für den Begriff ‘paradox’ nicht konstitutiv. ‘It has been suggested that the word “paralogism” should be employed for the paradox of illogicality, but that word has won no vogue’. ‘The two definitions (opp. to truism, and to platitude) might be connected’.Ga naar voetnoot1) Und eben deshalb kann das Paradox sowohl Spielzeug als Skandalon werden, man kann nicht nur darauf stossen, sondern auch, wie eine Satire bemerkt, ‘l'inventer’.Ga naar voetnoot2) Schliesslich: man hat hie und da versucht den Begriff ‘paradox’ abzugrenzen gegen ‘orthodox’ und ‘heterodox’. ‘Paradox’ ist wohl als oppositum von ‘orthodox’ angewendet worden. So z.B. von Schopenhauer. Windelband z.B. findet die Sache eines ‘Paradoxon’ in Schopenhauers Philosophie: ‘Weil.... das Ding-an-sich dem Satz vom Grunde nicht unterworfen ist, so kommt das Paradoxon heraus, dass der Mensch sich als Wille unmittelbar frei fühlt, und sich doch in der Vorstellung notwendig als determiniert weiss’.Ga naar voetnoot3) Hier ist zu bemerken, | |||||||||||
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dass Paradoxie nach Schopenhauer an einem Werke ein günstiges, wenngleich kein entscheidendes Symptom ist.Ga naar voetnoot1) So wird erklärlich, dass Schopenhauer selbst die asketischen, von der Kritik paradox genannten Resultate seiner Ethik von Einwänden frei hält, durch die Bemerkung, dass sie ‘nur im nordwestlichen Winkel des alten Kontinents’ und hier wieder ‘nur in protestantischen Landen’ paradox, d.h. nicht orthodox heissen. ‘Ich getröste mich demnach, dass meine Ethik, in Beziehung auf den Upanischad der heiligen Veden, wie auch auf die Weltreligion Buddha's, völlig orthodox ist, ja, selbst mit dem alten, ächten Christentum nicht im Widerspruch steht’.Ga naar voetnoot2) Wenn er spricht über die Weisheit in allen Jahrhunderten (und mit ihr seine eigene - nur für die ‘an ganz anderartige Begründungen der Ethik gewöhnten occidentalisch Gebildeten’ paradoxe - ‘metaphysische Auslegung des ethischen Urphänomens’ in Verbindung setzt) sagt er: ‘In allen Jahrhunderten hat die arme Weisheit darüber erröthen müssen, dass sie paradox war: und es ist doch nicht ihre Schuld. Sie kann nicht die Gestalt des thronenden allgemeinen Irrthums annehmen’.Ga naar voetnoot3) So ist Schopenhauers Philosophie s.E. wohl inzidentellen ‘orthodoxen’ Irrtümern, aber nicht der universalen Wahrheit gegenüber paradox. Hier ist also ‘paradox’ oppositum zu ‘orthodox’, nicht zu ‘heterodox’.Ga naar voetnoot4) | |||||||||||
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Es gibt aber auch Fälle, worin ‘paradox’ und ‘heterodox’ deutlich von einander abgrenzbar sind. So sagt z.B. De Morgan, nachdem er ein Zitat aus Socinus gegeben hat: ‘This is properly paradox, though also heterodox. It supposes, contrary to all opinion, orthodox and heterodox, that philosophy can, with slight changes, explain the Athanasian doctrine so as to be at least compatible with orthodoxy. The author would stand almost alone, if not quite; and this is what he meant’.Ga naar voetnoot1) Scharfe Abgrenzung der drei Begriffe ist also nicht möglich: a) weil das Verhältnis zwischen ‘orthodox’ und ‘heterodox’ nicht stabil ist - kann doch die Orthodoxie, wenn sie z.B. in der Kirchengeschichte die Schwärmer, Enthusiasten, Theosophen usw. abwechselnd als Heterodoxe und Paradoxe bezeichnet, ihren eigenen Namen führen mit oder ohne bewusste Rücksichtnahme auf eine bestimmte heterodoxe Opposition; b) weil der Begriff ‘orthodox’ selbst immer vage ist, - gibt es doch zwei Möglichkeiten, nämlich dass entweder die ‘Doxa’ der ‘Orthodoxie’ sich auf ein Dogma gründet, oder dass ein Dogma ausser Betracht bleibt;Ga naar voetnoot2) c) weil als christlich-orthodox oft galt, | |||||||||||
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was nur reiner Humanismus war, und deshalb später durchaus un-orthodox genannt ist; so kennt man die ‘Paradoxa Lippi Brandolini.... sane christiana, Basileae, 1543; diligendos esse inimicos (3); mortem flagitio anteponendam esse (25); nullam in hac vita felicitatem esse (57); non esse in honoribus (67), in fama & gloria (73), in uirtute (81), in disciplinarum scientia & humanarum rerum contemplatione (96) felicitatem’. Eine scharfe und konsequente Abgrenzung von ‘paradox’ und ‘heterodox’ ist der Theologie ebensowenig gelungen als es dem Humanismus, der in seinen vielen ‘laudes’ oder ‘encomia’ von früheren ‘Adoxa’ (z.B. Erasmus' Laus Stultitiae) die Adoxographie in Paradoxographie umgewandelt hat, gelungen ist, die ursprüngliche Abgrenzung von ‘paradoxos’ gegen ‘adoxos’ durchzuführen.Ga naar voetnoot1) | |||||||||||
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Anhang.Weitere, die Verwendung des Wortes kennzeichnende, Beispiele sind: | |||||||||||
a. Französisch:Le Parad. sur ce que nul labeur sans récompense, oultre l'opinion du vulgaire, Paris, L. Grandin, 1543. - Paradoxe contre les lettres, Lyon, p. Iean de Tournes, 1545 (Opsimathes). Thema: wie später Rousseau; cf. das 3. Parad. v.Ch. Estienne: pour l'ignorance. - Les P.es du Seigneur de Malestroict.... sur le faict des Monnayes, prés à S. Maiesté, 1566. Avec la response de M. Jean Bodin, aux dicts paradoxes, Paris, chez Mart. le Jeune, 1568. Das P. de Malestr. handelt von ‘l'enchérissement de toutes choses, et le moyen d'y remédier’: (M.... sustient contre l'opinion de tout le monde que rien n'est enchéri depuis trois cens ans (Ex. Schreibmaschinenschrift, Univ. Bibl. Leiden). - Par.s, ou les Opinions renversées des hommes, par le Docteur Inconnu (Neudr. v.P.s ou Sent. deb., etc., erweitert mit no. 27, 28: la folie cause de la génération d. hommes; que la vraye richesse consiste en vertu et en contentement (proverbe: contentement casse richesse), Rouen, J. Cailloué, 1638. - P.es littéraires au sujet de la tragédie d'Ines de Castro, 1723. - P.es métaph. s. le principe des actions hum., ou diss. phil. s. la liberté de l'homme (traduit de l'angl., Eleutheropolis 1754). - P. sur les femmes où l'on tâche de prouver qu'elles ne sont pas de l'espèce humaine, 1766 (Uebers. von Valens Acidalius, Disp. perjucunda, etc.), Verf. Ch. Clapies? - P.es moraux et litt., par Jacq. Mauvillon, Amsterdam & Paris, 1768. - P.es Moraux et littéraires, Amsterdam, Schreuder 1768 (über das Lesenlassen v. Romanen u. Theaterstücken i.d. Erziehung) - P.es, par un citoyen (J.-B.-C. De Lisle de Sales) avec un essai s. la lib. de la presse, Amsterdam, 1775. - Arthur Schopenhauer, P.es s. les femmes et l'amour, Coll. Langham, 1920. - P.es s. le mot de Buffon: ‘Le style, c'est tout l'homme’, presenté à la Sect. scientif. et litt. établie au cercle cath. La Loyauté, Malines, 1868. - Le P. de l'égalité, par Paul Laffite, 1887. - P.es ou vérités (S. Icard, 1895); P.es professionels (J. Destrée, 1893); - P.es (J. Sautarel, 1909); - P.es (C. de Hulewicz, 1911). Vgl. ein MS: Paradoxon, Convivia amicitiam non gignunt, Bordeaux, p. Cam. Couderc (Cat. Gén. d. MS d. bibl. publ. d. France, p. 174. no. 313). - P.es, sophismes, déguisemens, faux principes, pr. dangereux pour la tranquillité de l'État, calomnies, fausses citations, qui sont contenues dans une Instruction Pastorale que M. l'Archev. de Paris a signée & adoptée, etc. (s.l., s.a.): p. 2: P.est une proposition hardiment avancée, qui est fort eloignée de la man. ord. de penser des hommes, & qui n'a point de vraisemblance. - Siehe noch (hier) S. 129, Note 1 (badinage pour se délasser l'esprit, lxj, lxij). - Les Paradoxes de l'esloignement de Mazarin, Paris, 1652. | |||||||||||
b. Deutsch:P.en d. kaiserl. Wahlkapitulation, Fr. a.M., H.L. Brönner, 1790 (über d. Reichsverwaltung; ‘verschiedene Stellen - im Vertrag, K.S. - sind | |||||||||||
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irrig u. widersprechend. Der Verf. nennt sie daher p.’, Vorwort). - Briefe aus Berlin über versch. P.e.d. Zeitalters (Motto: les choses sont bien autres, qu'elles ne paroissent: et l'ignorance qui n'avoit regardé qu'à l'écorce, se detrompe, dès qu'elle va au dedans), Berlin-Wien, 1784. - Paradoxa d. Predigers zu Bergefeld, Menschenfreuden u.M.-leiden betreffend (Verf.: Gerh. Ant. Ibbeken), a.d. Neuen Schlesw. Journale besonders abgedruckt, Schleswig, 1792; idem: 2es Bändchen, Braunschw. 1794; idem: Neue Par.a d. Pr. z.B., Oldenburg, i.s. Schulze'schen Bchhdlg. 1807. (Vorrede I: Je paradoxer eine Schrift ist, desto mehr findet sie Abgang u. Eingang.... allgem. anerk. Wahrheiten.... angetastet; Bon ton u. Mode.... angegriffen, S. 3. 4. - Wahrheiten vortragen...., über die Stillschw. beob. wird, S. 6. die der heutigen Lesewelt auffallend, neu u. sonderbar, oder P.a. sind, 6; Vorr. II: was gegen die Wahrheiten.... ist eingew. w., widerlegt muss es w., 4, cf. III, 7/8. Meine P.a..... Kinder nicht m. Laune, nein, m. gereiften Nachdenkens, 10). - P.ien d. Zeit, Wunderl. Dinge in Rel. Theol. u. Kirchentum (Themata: Jesuiten Spucke. Pol. Curiositäten, das Press-Ungethum, Ungemeines im gem. Leben; Abent. i/d Schriftstellerei, Fratzen beim Erz.-, Unterr.-, u. Univ.- Wesen. Frankf. a.M. Wesché, 1831; Aus d. Inhalt: die toleranten Intoleranten, d. schlafenden Eiferer, die Schiffs-Messe auf trockenem Lande, Ref. d. Reformation, lutherische Jesuiten, usw. - Fr. v. Sallet, Das Zauberglas d. Onkels Holofernes (Kontraste u. P.e), Leipzig, Reclam, geschr. 1838. Die Novelle ist ‘eines d. liebenswürdigsten Erzeugnisse der Nachromantik’. ‘Das Buch war als “grosse Abrechnung mit d. Romantik” gedacht, u. als es nach seiner Vollendung diesem Zwecke nicht zu entspr. schien, gab der Dichter d. Werke den verächtl. ironisierenden Interimstitel’ (K.u. P.e), sagt E. Sander (Nachwort ed. Reclam). - *** (Karl Bleibtreu) P.e.d. conv. Lügen, 1885 (P.e. = ‘neue Wahrheiten’. Vorrede). ‘Das ewig Wahre.... spottet aller “Paradoxe” geistreichelnder Originalitätszucht.’ Die ‘Conv. Lügen sind conv. Wahrheiten’, S. 107. - Militärische Paradoxen Berlin 1888 (im selben Jahre also als Burchardi, s. oben), Verl. v.R. Eisenschmidt; Verf. fordert ‘weniger Exerzirdrill’. u, ‘das Karree i.d. Feldschlacht’, ‘trotzdem es selten zur Anwendung gelangen wird’, S. 7, 16, 33. - Edit Donnerberg, Paradoxa, Verse eines Dekadenten, Berlin, (1911) - R. Silbergleit, Wahres, Absurdes u. P.es, 1914. - Paradoxa von 200 geistl. Betrachtungen. Regensp. Petz. - J.G. Wenter, Die Paradoxie als Stilelement im Drama Hebbels, Diss. Tübingen. - A. Bonus, Vom Paradox (Kunstwart, 25. Jahrg., 2. Viertel, S. 175/6): P. (bei Nietzsche): bewusster Selbstwiderspruch, S. 175. - H. Lachmann, Ueber P.ie u. Originalität, Zittau, 1801. | |||||||||||
c. Englisch:P. against common Opinion, debated in forme of Decl., etc. 1593, 1602, (transl. out of French.) - P. of Beauty (Edm. Gosse, 1909); The P., a play, 1596. - Foure P.es (I: A byshop and a minister is all one) 1604. - H(enry) P(eacham), A P. in the praise of a dunce, to Smectymnuus, 1642; - A usefull P. for the times (E. Browne), 1642. - P. of Art, Law, War and Service; Ternary of P. 1649. - John Hall, P.es, 1653. - Paradoxical assertions and phil. problems (Rob. Health, 1659); - Eleven Pa(ra)- | |||||||||||
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doxes and Wonders, concerning various human characters (a.d. Zeit v. Karl I.) (No. 1382 in Catal. of MS. bequeathed unto the Univ. of Oxf., by El. Ashmole, etc. 1845. p. 297/8. - Essays in P., by the author of ‘Exploded Ideas’, Longmans, London 1901. - W. Hampson, P.es of Nature and Science, 1906. - T. Fitzwilliam, P. and other Poems, 1910. - Thoughts on P. by the author of ‘Stories of the English’. 1911, London. - W.L. Watkinson, Moral Paradoxes of St. Paul, London, 1915, (Hier meint P. nur eine aufstachelnde Ausdrucksweise: In praise of Ambition (2. Cor. V. 9; 1. Thess. IV, 10, 11; 2. Tim. II, 15), in praise of boasting, ecstasy, folly, impotence, rivalry, covetousness (1. Cor. XII, 31), jealousy, guile, revenge (Röm. XII, 1920), anger). - John Oman, The P. of the World, 1921 (Sermons). - Rob. Hugh Benson, Paradoxes of Catholicism, London, 1923 (Bibeltexte: Joh. 10, 30 nebst 14, 20; Mt. 16, 17 u. 23; Mt. 5, 9 u. 10, 34; Lc. 16, 9 u. 13; Jes. 6, 13 u. 1. Tim. 1, 15; Mt. 5, 12 u. 5; Lc. 10, 27; Mc. 10, 15 u. 2. Pt. 3, 16; Joh. 8, 32 u. 2. Kor. 10, 5; Mt. 16, 25 u. 26; Mt. 5, 4 u. 11, 12; Chr. 7 Worte am Kreuz; 2. Cor. 6, 9. - John Donne. P.es and Problems, 1923 (1652). - Harper Leech, The P. of Plenty, 1932. - P.es of a Philistine, W. Shepard Walsh, 1889. - Richard Rothschild, Paradoxy, The Destiny of Modern Thought, New York, 1930 (‘Its reflection of Hegel is suggested by its title, “Paradoxy”’, p.xiv. - ‘The world is struggling in its part for a unity it can never achieve except trough extinction. Like a knot which can be untied simply by pulling the end of the cord, so do the complications of living seem melery the illusions of a world of simple nothingness bent in upon itself.... This paradoxical element pursues us through every phase of life’, p. 117. - ‘The mystic state of Nirvana is a recognition of this very paradox. For it is neither consciousness nor unconsciousness, neither death as a cessation of all activity nor life as a succession of clear-cut ideas. “It is life that is death”, say the Upanishads.... Yet does this paradox leave us with a hollow shell of a world?’, p. 121. | |||||||||||
d. Holländisch:Paradoxaechartulaelusoriae of Bewijs dat het Kaartspel niet alleen onzondig en volkomen geoorloofd, maar zelfs nuttig en noodzakelijk is; en, dat nog verder gaat, dat hetzelve zeer vorderlijk is tot voortplanting van den Christelijken Godsdienst onder de Christenen (Beantw. en Wederl. v.H. de Frein) door een Vriend van de Reeden aan een Vijand van het Twisten, Amsterdam, F.H. Demter (z.j., Juni 1774). Aus d. Vorrede: Paradox.... wonderspreuk of stelsel, welke tegen de gewoone, bekende en altoos staande gehouden' mening der Menigte aanloopt; niet daadlijk in elks bevatting valt, niet gereedelijk elks toestemming verwerft, maar des egter niet nalaat een waarheid te zijn, of het tenminste te kunnen zijn. Es gibt noch een 2es Pamphlet v. dems. Verf.: Paradoxaech.... of Vervolg v.h. Bewys, etc. (anderer Titel; hier wird d. Titel des 1. Pamphl. ‘Wonderspreukig Bewys’, etc. genannt). Utopiaansche Paradoksen (door J.B.D. Wibmer) Amsterdam, H. Martin & Co., 1830 (hierüber: Ned. Spectator, 1872, art. v. Mr. Sautijn Kluit, bl. 125). | |||||||||||
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e. Deutsch-Lateinisch:Paradoxum Musicum, ‘Dasz ist: ein neues Geistliches Lied/ von einer wilden Sau in einem schönen Garten (Ps. 79. v. 14)’ (Luthers Uebers.: Ps. 80, 14!). ‘Jetzt getruckt in disen Jahren/ Da dergleichen Säu vil waren.’ (Mehr als 126 Strophen gegen Luther u.d. Ref.). Beispiele: (101) Luther bekam sein Rest/ = starb anno quadragesimo = sexto, nicht an der Pest/ = in hunc porcum pinguissimum = contor sit mors venabulum, = ein schweinspiesz thät das best. (126) Huss der verbrennte Mann = ein Gansz/ anser Bohemicus, = zu Constantz müszte dran: = sed natus est ex cinere = olor Lutherus (sine re) = vilmehr ein schwein/ als schwan. (110) Man fehle weit vom Zweck/ = magnus docet Pistorius = dem Namen nach ein Beck/ = cur oculos occluditis = qui Ratisbonae vivitis, = ihr Herren von Blindeck. | |||||||||||
f. Italienisch:Paradossie veri contrapposti al libro intitulato Esplicazione di quattro Paradossi, Aquileja 1748. | |||||||||||
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§ 4. Die allgemein übliche Bedeutung des Wortes ‘paradox’ in den kanonischen und apokryphen (Bibel)büchern.Im Neuen Testament findet sich das Wort παϱάδοξος nur einmal vor, und zwar Luk. 5, 26: ϰαὶ ἔϰστασις ἔλαβεν ἅπαντας, ϰαὶ ἐδόξαζον τὸν ϑεόν, ϰαὶ ἐπλήσϑησαν φόβου λέγοντες ὅτι εἴδομεν παϱάδοξα σήμεϱον. Das Voc. of the Greek Test. von Moulton-MilliganGa naar voetnoot1) übersetzt: unexpected, wonderful, admirable. Aus dem ἐδόξαζον τὸν ϑεόν (wobei das Imperfectum zwischen den Aoristen wohl zu bemerken ist) geht klar hervor, dass an der Faktizität des ‘paradoxen’ Wunderzeichens nicht gezweifelt wurde. In der Septuaginta hat das Adjektiv dieselbe Bedeutung. Judith 13, 13: und es liefen zusammen alle, klein und gross, denn es war ihnen unerwartet, dass sie wiederkam. Sap. 5, 2: (ihn) sehend, werden sie.... in Erstaunen geraten über das Unerwartete seiner Rettung. Sap. 16, 17: Denn das Wunderbarste (dabei war), dass das Feuer (das die Feinde verzehrende F.) mitten in dem alles auslöschenden Wasser eine grössere Wirkung hatte; denn die Natur muss für die Gerechten kämpfen (ein Gesetz also in der historia salutis, worauf ein ‘paradoxes’ factum zurückgeführt wird). Sap. 19, 5: damit dein Volk eine ganz unerwartete Wanderung erführe (sc. aus der Trübsal). Sirach 43, 25: Dort (d.h. im Meer) gibt es Wunderdinge, seine staunenswerten Geschöpfe, verschiedene Gattungen von allerlei Lebewesen und die Fischkolosse (Wunderdinge = , wie Ps. 119, 129, Kautzsch; cf. die ‘Para- | |||||||||||
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doxa’ der späteren Paradoxographoi in § 1). 2. Macc. 9, 24: ....damit die Leute im Reiche falls etwas Unerwartetes vorfiele.... wussten, an wen die Regierung gefallen sei und nicht in Unruhe gerieten.Ga naar voetnoot1) In all diesen Citaten ist das Paradoxe wirklich, historisch, sinnlich gegeben. In Bezug hierauf hat auch das Verbum παϱαδοξάζω seine Bedeutung. Deut. 28, 59 LXX: ϰαὶ παϱαδοξάσει ϰύϱιοσ τὰς πληγάς σου ϰαὶ τὰς πληγὰς τοῦ σπέϱματός σου, πληγὰς μεγάλας ϰαὶ ϑαυμαστὰς ϰαὶ νόσους πονηϱὰς ϰαὶ πιστάς. Hebr. Bemerkenswert ist hier, dass das nämliche Wort sowohl mit ϑαυμαστός als mit πιστός übersetzt wird (ϑαυμαστός ist oft aequivalent zu παϱάδοξος). Die Uebersetzung SteuernagelsGa naar voetnoot2) fasst vielleicht den Sinn des hebräischen Textes besser als die Septuaginta (so wird Jahwe die Plagen, die dich und deine Nachkommen treffen, ausserordentlich steigern, grosse und anhaltende Plagen, und schlimme und anhaltende Krankheiten): aber etymologisch hat das πιστός der Septuaginta sein Aequivalent in (!) und deshalb ist eben für uns die Gleichsetzung von ϑαυμαστός und πιστός interessant und bedeutungsvoll. Was παϱαδοξάζω selbst anlangt, sei hingewiesen auf Gesenius' Wtbch.: Hi: ausserordentlich machen, Dt. 28, 59; Ps. 31, 22; 2. Chron. 2, 8; - wundersam umgehn mit, 29, 14; Ri. 13, 19; 2. K. 26, 15: ihm wurde wunderbar geholfen. - Weiter: Ex. 8, 22 (hebr. 8, 18): ϰαὶ παϱαδοξάσω ἐν τᾗ ἡμέϱᾳ ἐϰείνῃ τὴν γὴν Γέσεμ, ἐφ᾽ ἧς ὁ λαός μου ἔστιν ἐπ᾽ αὐτῆς, ἐφ᾽ ᾖ οὐϰ ἔσται ἐϰεῖ ϰυνόμυια. Hebräisch: . BaentschGa naar voetnoot3) übersetzt: Das Land Gosenaber, in dem mein Volk sich aufhält, will ich an dem Tage absondern, dass keine Stechfliege dahin komme; und fügt hinzu: | |||||||||||
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‘das Verbum bedeutet hier nicht: auszeichnen, verherrlichen (παϱαδοξάζω, LXX, faciam mirabilem, Vulg.) wie Ps. 4, 4; 17, 7, sondern: absondern, eine Ausnahme machen mit etwas (Targ. Onq. Peš.). - Dann: Ex. 11, 7, in Gosen sterben die Erstgeborenen nicht ὅπως εἰδῇς ὅσα παϱαδοξάσει ϰύϱιος ἀνὰ μέσον τῶν Αἰγυπτίων ϰαὶ τοῦ Ἰσϱαήλ. Hebr.: . Gesenius übersetzt Hi. durch absondern, Ex. 8, 18, einen Unterschied machen zwischen, Ex. 9, 4; 11, 7, jem. auszeichnen, Ps. 4, 4, dah. gross machen Ps. 17, 7, Schliesslich ist für das Verständnis von
παϱαδοξάζω noch wichtig Sirach 10, 13: Darum hat der Herr wunderbare Heimsuchungen ergehen lassen (eig. ‘macht wunderbar die Heimsuchungen’, παϱαδοξάζω = Dt. 28, 59, LXX, Kautzsch). Auch 2. Macc. 3, 30: Die Juden aber priesen den Herrn, der seinen Ort so verherrlicht hatte.
Das Gesagte genügt, um zu zeigen, dass παϱάδοξος sowohl als Adjektiv als im verbum derivatum die Wirklichkeit des paradoxalen Inhaltes keineswegs disputabel stellt; von Absurdität ist keine Rede. Ueber das alte ‘wider die Erwartung’ (‘Meinung’) kommt das Wort nicht hinaus.Ga naar voetnoot1) Aus diesen Gründen lehnen wir bereits hier mit Nachdruck die Uebersetzung ab, die auch K. Barth in seinem Kommentar zum Römerbrief gegeben hat, wenn er ‘paradox’ übersetzt mit: ‘gegen den Schein’ (Doxa). Diese UebersetzungGa naar voetnoot2) ist wissenschaftlich unhaltbar; sie ist nicht nur, wie wir oben in Bezug auf P. Brunner sagten, uncalvinisch, sondern auch unbiblisch; ‘Exegese’ treibt man mit ihr durchaus nicht.Ga naar voetnoot3) Und wer mit | |||||||||||
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H.E. WeberGa naar voetnoot1) den Ausdruck ‘sich bekennen zum Paradox’ identifizieren will mit ‘sich erheben über den Augenschein’, rückt noch weiter von der neutestamentlichen Sprache, und von der eigentlichen Bedeutung des Wortes ‘paradox’, ab. |
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