Brieven van Julius Röntgen
(1934)–Julius Röntgen– Auteursrecht onbekend
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XI Brieven aan Dr Angul Hammerick
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Amsterdam, 13 Febr. 1901Lieber Freund, Deine HartmannGa naar voetnoot1-Arbeit hat mir grosze Freude bereitet, und ich danke Dir vielmals für die Zusendung! Ein groszes Stück Dänischer Musikgeschichte hast Du darin in ebenso bedeutender, wie warmer und überzeugender Weise behandelt. Ich finde Hartmann's künstlerische Charakteristik ganz vortrefflich - dasz der Schwerpunkt auf seine nationale Bedeutung fällt, ist ja ohne Zweifel richtig, und sehr fein ist grade die Parallele zwischen N.W. Gade und ihm. Dasz ich Alles darin so gut verstehe - nicht nur die Sprache! - ist mir ein erfreulicher Beweis, dasz ich die ‘Nordische Kunst’ und was mit ihr zusammen hängt, doch ganz in mich aufgenommen habe. Sie bedeutet für mich einen groszen Theil meines künstlerischen Fühlens und gerade bei dem Hartmann-Artikel fühlte ich wieder auf's Lebhafteste, wie lieb mir Euere Kunst, Musik wie Litteratur, Euere Natur und ganz besonders die Menschen sind! Ich freue mich schon auf die Sommerzeit mit ihren Freuden, die | |
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ich nun schon so manches Jahr den Nordischen Ländern und Menschen danke! Hoffentlich bringt sie uns in alter Weise wieder gesund und glücklich zusammen! Von Eurem Leben höre ich ja viel durch Griegs, die ja bald nach Amsterdam kommen, das wird auch eine grosze Freude für uns! Ich kam kürzlich von groszen Concertreisen mit Messchaert zurück: mehrere Concerte in Wien, Budapest, Graz, Klagenfurt und München, überall mit glänzendstem Erfolg. Lange-Müller und Grieg wurden überall gesungen und gespielt, auch viel Hugo Wolf und Posa. Ich schicke Dir eine interessante Abhandlung über Holl. Musikpflege im 14ten Jahrhundert, sehr merkwürdige Sachen sind darin!.... | |
Fuglsang, 26 Juli 1901....Soeben glücklich im lieben Fuglsang angelangt.... Wir haben eine herrliche Reise in Süd-Tirol gemacht und groszartige Eindrücke gehabt. Vierzehn Tage in den Dolomiten und der Brenta- und Adamello-Gruppe, für mich eine ganz neue Gegend: Hochalpennatur vereint mit südlicher Vegetation. Die anstrengende körperliche Bewegung hat mir gut gethan und ich hoffe jetzt wieder frisch an die Arbeit gehen zu können. Denn diesmal heiszt es in Fuglsang: laboremus! Wie ich Dir wohl schrieb, habe ich eine HerausgabeGa naar voetnoot1 der hauptsächlichsten Clavierwerke von Bach übernommen und habe mich - leider! - contraktlich verpflichtet bis Ende August den gröszten Theil druckfertig zu machen. Die Arbeit ist eine grosze und zeitraubende, und ich hatte schon ganz aufgegeben nach Fuglsang zu gehen, doch der Magnet zog zu stark und wenn ich hier tüchtig arbeite, so erreiche ich ja meinen Zweck, und etwas Zeit bleibt wohl noch übrig für unsere guten alten Fuglsang-Freuden. Ich freue mich auf's Mündliche und auf Näheres über Deine mittelalterlichen Streifzüge und Entdeckungen.... | |
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Hoffentlich kann ich von mir auch bald sagen: ‘sentendo nuova forza!’ Unsre Reise steht vor der Thür und über 4 Tage fahren wir nach Fuglsang! Wir bleiben erst einige Tage dort, installieren die kleinen Kinder, und dann reisen wir, meine Frau und ich, nach Norwegen. Ich betrachte das als eine Freundespflicht Grieg gegenüber, den ich zwei Jahre nicht gesehen habe, und dessen Zustand leider so ist, dasz ich die Gelegenheit ihn zu besuchen nicht länger aufschieben möchte....
....Nimm mit diesem vorläufigen ‘Programm’ vorlieb. Höffentlich giebt es eine gute ‘Aufführung’!....
....In der groszen Freuden-Symphonie die mir am 9ten Mai erklungen istGa naar voetnoot1, war Deine Stimme jedenfalls die ehrwürdigste und feierlichste: ein Quartetto LurisGa naar voetnoot2, die älteste musikalische Huldigung die es gibt! Ich hätte Dir längst darüber geschrieben, wenn es mir den ganzen langen Winter hindurch nicht an der rechten Stimmung dazu gefehlt hätte - Ihr müszt Geduld mit mir haben. - Ich hoffe aber dasz nach der langen Fermate bald wieder ein frisches Allegro folgen wird.... Gestern bekamen wir aus Helsingsfors die Einladung zur silbernen Hochzeit von NeoviusGa naar voetnoot3!! Die können wir leider nicht in persona mitfeiern! Mein Album ist wundervoll und enthält eine grosze Summe von Freundschaft, die mich innig erwärmt und stolz macht: Dänemark und Norwegen sind im reichsten Chor vertreten. Björnson hat auch seine Stimme hören laszen und schreibt aus Rom: | |
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Vi laerte at av Norges Jord
I isens tid til Holland förtes.
Nu Norges aand i tone-kor
Ved dig, ved dig i Holland hörtes.Ga naar voetnoot1
Von Grieg ein Clavierstück: ‘Sehnsucht nach Julius’Ga naar voetnoot2. Auch Lange-MüllerGa naar voetnoot3 schickte ein Clavierstück, ebenso echt dänisch, wie das Andere Norwegisch. Joachim hat mir ein Stück componirt für.... Bratsche, mein ‘Lieblings Instrument’. Carl NielsenGa naar voetnoot4 schickte die Partitur seiner Helios-Ouverture, die er, wie Du weiszt, mir gewidmet hat. Das Werk musz gut klingen und die Idee von der aufgehenden, Alles erwärmenden und wieder versinkenden Sonne ist sehr poëtisch, und musikalisch wirksam ausgedrückt. In Fuglsang hoffe ich Euch einen mir - und vielleicht auch Euch? - bisher unbekannten Dänischen Componisten vor zu stellen, von dem ich sehr bedeutende Peaeludien (durch alle Tonarten) bekommen habe, die ich hier und in andern Städten mit groszem Erfolg gespielt habe. Sein Name ist Thorvald Otterström. Er lebt augenblicklich in Chicago und hat es dort musikalisch schlecht sodasz es ihm leider an jeder Anregung und auch Zeit zum componiren fehlt. Ein echtes Talent mit groszer melodischer Erfindung und bedeutendem Können!.... | |
Amsterdam, 23 Sept. 1906....Um den Klosterbesuch in St. Gallen beneide ich Dich - ich kenne St. Gallen nur aus Scheffel's Ekkehard und aus Notker Balbulus'Ga naar voetnoot5 herrlichem ‘mediam in Vitam sumus’ - eines der schönsten mittelalterlichen Gedichte. Er hat es geschrieben beim | |
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Anblick von Arbeitern, die über einem Abgrunde eine Brücke bauten. Und nun bist Du aus dem Mittelalter mitten in die heutige Kunst versetzt - oder werden in Basel auch ältere Werke vorgeführt? Ich hoffe nur, dasz Du Interlaken nicht verlassen hast, ohne dasz die Jungfrau sich Dir entschleiert hat. Ihren Namen trägt sie eigentlich nicht mehr mit Recht, wo bald die Eisenbahn hinauf geht und der höchste ‘reinste’ Gipfel mit Lift zu erreichen ist. Wo bleibt da das ‘jungfräuliche?’.... | |
Amst., 24 März 1907....Du hast mir grosze Freude gemacht mit dem schönen Buch über das Musikhistorische Museum. Es ist ein Vergnügen, das Buch zu sehen und darin zu studiren, und Du kannst stolz auf diese Arbeit sehen. Es hat ja einen viel gröszeren Werth als ein gewöhnlicher ‘Catalog’, da es zugleich eine historische Entwickelung der Musikinstrumente in all ihren Formen gibt. Und wie schön sind die Abbildungen ausgefallen - ich habe selten so schöne Reproduktionen gesehen! Alles in Allem ein Werk, das Deinem Wissen und Deinem Fleisz zu hoher Ehre gereicht! Vor einigen Tagen kamen wir aus Wien zurück, und jetzt habe ich bis April fast jeden Abend Concert. Eine anstrengende Zeit! Zu Frankfurt findet ein dreitägiges Männerchorfest statt, auf Anregung des Deutschen Kaisers, wofür ich einen Chor componirt habe der von den verschiedenen Vereinen zur Erreichung des vom Kaiser gestifteten Preis gesungen wird. Man hat mein Stück unter 50 eingesendeten Compositionen gewählt und es ist eine ganz gute Reklame, auszerdem auch ein gutes Geschäft - da der Verleger diesen Preischor sehr gut honorirt. Ich kann dafür eine Italienische Reise machen, hätte ich nur die Zeit dafür! Grieg's QuartettGa naar voetnoot1 hat in Amerika glänzenden Erfolg gehabt, ganz besonders die beiden letzten Sätze.... Und Du glücklicher reist nach Egypten! Das ist etwas für Dich! Es musz herrlich sein die ältesten Culturstätten zu sehen.... | |
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Amst., 22 März 1908....Ich habe eine besonders reiche Zeit hinter mir und auch die nächste Zukunft wird mir Interessantes bringen. In Berlin spielte ich kürzlich mein Clavier-Quintett mit dem Böhmischen Quartett. Das Werk ist vom Wiener Concertverein preisgekrönt worden und hat mir eine schöne Summe (ausser der Ehre!) eingebracht. Letzte Woche war ich wieder in Paris und hatte zwei interessante Concerte. Ich spielte mit Casals meine letzte Cello-SonateGa naar voetnoot1 und Casals führte in einem seiner Concerte mit dem Lamoureux-Orchester meine Norwegische BalladeGa naar voetnoot2 auf. Sie hatte solchen Erfolg, dasz Lamoureux sie für nächsten Winter in sein Repertoire aufgenommen hat. Casals ist ein ganz genialer Dirigent und spielt das Orchester alsob es sein Cello wäre! Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Musik von Emmanuel Moór in Paris einzuführen und es ist ihm auch gelungen, Dank seiner ganz genialen Reproduction. Die Moór'schen Werke sind ungleich, viel schönes, aber auch viel Mosaikwerk. Das Concert für 2 Celli ist eins seiner besten Werke und Casals mit seiner Frau haben es wundervoll gespielt. Ich hoffe, dasz sie beide diesen Sommer nach Fuglsang kommen werden. Zu Ostern reisen wir mit ihnen nach Spanien - ich habe 14 Tage Ferien und freue mich unter Casals' Führung sein Vaterland kennen zu lernen. Wir reisen über Barcelona nach den Balearen, dann nach Madrid und über Burgos, St. Sebastian, Bordeaux, Paris zurück. Meine ‘Grieg-Erinnerungen’ sind beinah fertig - ich habe schon 400 Seiten geschrieben.... | |
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wieder 24 herrliche alt. holl. Lieder bearbeitet, die ich mich freue Dir im Sommer zu zeigen.... | |
Amst., 9 Oct. 1909....Ich bin mitten im Concertiren und habe diese Woche 4 Concerte mit Messchaert gehabt, alle höchst erfolgreich. Nun bald werdet Ihr ihn ja wieder in Kopenhagen hören. Ich spielte meine Fuglsang-Stücke ‘Dolce far Niente’Ga naar voetnoot1, die überall viel Glück machten, besonders der kleine Walzer schmeckt dem Publicum gut. Ich denke diese Stücke auch in Kopenhagen zu spielen. Sie sind auf dänischem Boden gewachsen, ein Nachklang unser schönen Sommertage, die ich wieder so voll genossen habe. Am Sonnabend haben wir ein Festconcert zur Feier des 25 jährigen Jubilaeums unsres Conservatoriums. In diesem Concert wirken nur ehemalige Schüler, die sich einen Namen gemacht haben, mit. EngelbertGa naar voetnoot2 spielt mit einem vortrefflichen GeigerGa naar voetnoot3, seinem Collegen in Zürich, das Doppelconcert von Brahms. Dann kommen wieder meine Concerte mit unsrer herrlichen Sängerin, Frau Noordewier und eine Tournée mit dem Geiger Carl Flesch - ich bleibe also in der Übung! Eine interessante Arbeit habe ich unternommen: die Leidensche Universitätsbibliothek besitzt ein Exemplar sämmtlicher in Amsterdam gedruckter Werke von Locatelli, der längere Zeit in Amsterdam gelebt hat. Ich habe viel wunderschöne Sachen darunter gefunden und verschiedene davon ausgearbeitetGa naar voetnoot4.... | |
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Kopenhagen, reisen abends nach Malmö und besuchen in der Nähe ein altes schwedisches Dienstmädchen, die Amanda bis zum letzten Tage gepflegt hat, gehen nach Lund und am 25ten Aug. hoffen wir wieder in Fuglsang zu sein. Wir waren zusammen mit den zwei ältesten Jungens in Norwegen, machten eine groszartige Fjeldtour - 18 Stunden unterwegs, mit gezwungenem Nachtaufenthalt im Freien auf dem Hardanger JökulGa naar voetnoot1 - und kamen Anfang August in Fuglsang zurück. Carl Nielsen war hier und mit ihm reisen wir nächste Woche nach Kopenhagen. Er hat eine sehr interessante Symphonie geschrieben, die zum Besten gehört, was er gemacht hat.... | |
Amsterd., 6 Nov. 1911....Deine Nachrichten über mein Trio haben mich sehr erfreut, Du weiszt, welche Freude es mir macht, dasz ich in Euerer ‘Kammermusik Forening’ nicht vergessen werde. Heute schrieb mir auch Carl Nielsen über den Trio und theilte mir mit, was Du verschwiegen hast; dasz Du einige Worte über den Trio gesprochen hast. Auch hierfür Dank, wie für all Deine freundschaftliche Theilnahme an meiner Musik. Nächste Woche spiele ich hier zum ersten Mal mein Bläser-Quintett. Es klingt besser, als ich dachte, ja, besser als das Stück selbst ist - ich meine, der Bläserklang hat etwas so einschmeichelendes, dasz Vieles nach mehr klingt, als es werth ist. Morgen ist hier Generalprobe, bei uns, wozu ich viele Freunde eingeladen habe. Vorher haben wir einen ‘dansk Middag’Ga naar voetnoot2 mit allen möglichen Dänischen Gerichten - Ich hoffe, dasz den Freunden das Quintett ebenso gut munden wird! Kürzlich war ich mit Engelbert in Berlin und hatte ein sehr gutes Concert, das wieder groszen Erfolg hatte. Im Frühjahr geben wir ein zweites. Engelbert spielte auf einem wundervollen Stradivarius, der Herrn Rob. v. Mendelssohn gehört. Nächste Woche | |
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werde ich in Zürich mein Clavierquintett spielen. So gibt's genug zu thun, ausser den vielen, zu vielen Stunden. Am 17te Nov. wird also Carl Nielsen's neue Symphonie bei Euch aufgeführt. Ich bin sehr gespannt, welchen Erfolg sie haben wird. Jedenfalls ein sehr bedeutendes und höchst persönliches Werk. Bei den beiden Schlüssen des ersten Satzes und der Finale in der Dominante habe ich ein unbefriedigtes Gefühl - ich kann sie nicht als Tonica einpfinden.... | |
Amsterdam, 5 Mai 1913....Welche Freude bereitet mir Dein Brief! Du sprichst darin so herrlich aus was ich bei meiner Arbeit empfunden und gewollt habe - wenn Dein Lob auch viel zu grosz ist, so bin ich doch glücklich über Dein feines und durchdringendes Verständnisz meiner IntentionenGa naar voetnoot1. Ja, Du hast Recht, - es liegt ein eigenartiger Reiz darin, einmal sich von unsrer modernen Dur- und Mollsklaverei frei zu machen und der alten, feierlichen Tonart zu folgen. Die Melodie ist ja gar nicht anders zu behandeln, und sobald ich sie in mich aufgenommen hatte, kam die Behandlung ganz von selbst. Sogar zu dem b bei dem Tritonus konnte ich mich nicht entschlieszen. Ich habe den Tritonus gemildert, indem ich die Melodie in Bass und Oberstimme vertheilte. Sehr interessant im Bau der Melodie sind die 2 Takte die ganz ausserhalb der 4 taktigen Periode stehen, die ich deswegen als eine Art Refrain gebraucht habe. Dadurch gewinnt das Ganze an Abwechselung. Ich fürchte aber, es werden sich Wenige finden, die Dein Verständnisz für das Srück haben. Never mind. Meine Frau sagte auch gleich: es ist unbedingt ein Orgelstück! Nun, ich werde eine Orgelbearbeitung versuchen. Übrigens ist Alles gut für Clavier spielbar, besonders mit dem Steinway'schen Prolongations-Pedal. | |
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Die Melodie hat ganz den Typus des altdeutschen ‘Leich'sGa naar voetnoot1’, der ja bekanntlich an die Sequenzen sich anknüpft. Nur klingt ‘Maria-Leich’ nicht hübsch und jeder wird dabei an eine Maria-Leiche denken....
....Ich bin in voller Arbeit. Meine Oper ‘Agnete’ ist mit allgemeinen Stimmen preisgekrönt worden und ich musz jetzt schleuuigst die Geschichte instrumentiren. Nächsten Winter soll die Aufführung sein. Lebwohl, Lieber und habe Dank für Deinen Brief, der mir mehr Werth ist als ein Orden. Presto requiescat in pacem!.... | |
Amsterdam, 23 Mai 1913....Soeben kam die schöne Abschrift der Maria-Vise. Für Deine freundliche Absicht mir die Copie zu verehren, danke ich Dir vielmals! Sie ist vorzüglich und beinahe fehlerlos geschrieben. Deine Übersetzung ist eine sehr willkommene Zugabe. Ich spielte das Stück dieser Tage meinem Freunde Tovey - ein groszartiger Musiker und Gelehrte - vor, und er war ausserordentlich interessirt für Melodie und Bearbeitung und fand, dasz ich das Dorische noch strenger als Palestrina behandelt habe. Nun gefiel ihm besonders die Überleitung in der Fuge mit der Andeutung des Thema's - vielleicht wirst Du Dich auch daran gewöhnen. Jetzt bin ich fleiszig an der Instrumentation meiner Oper - eine sehr angenehme Arbeit. Ich habe letzter Tage wieder viel Freude an meinen neuen Sachen gehabt - zwei Clavierwerke und einige Lieder sind in Amerika preisgekrönt und in Berlin sind acht MännerchöreGa naar voetnoot2 von mir in die allerengste Wahl gekommen und Bote u. Bock hat mir ein glänzendes Anerbieten zum Verlag gemacht. Und gestern wurde ich als Director des Conservatoriums gewählt (als Nachfolger von Dan. de Lange) - habe aber die Wahl noch nicht angenommen, weil es mir zu viel Zeit nehmen würde. Vielleicht läszt sich aber eine Combination finden, die es mir möglich macht. So weht frischer Wind in den Segeln.... | |
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Gratuliere zu den neuen Sequenzfunden - mein vivant ‘Sequentes’ ist also in Erfüllung gegangen. Wer weisz, vielleicht giebt es wieder Arbeit für Deinen. Amicus polyphonicus.... | |
Amsterdam, 14 Sept. 1913....Ich habe Deine 10 Sequenzen in's Reine geschrieben und sie noch einmal durchgearbeitet. Jetzt habe ich eine schöne Partitur für Dich, ich habe sie vorläufig an AverkampGa naar voetnoot1 gegeben und höre soeben von ihm, dasz er die Stimmen ausschreiben läszt und es in December aufführen wird. Es interessirt ihm und er meint dasz meine Bearbeitung von groszer Wirkung sein wird. Er wird abwechselnd Chor und Solostimmen singen lassen, um etwas verschiedenen Klang zu bekommen. Willst Du mir bitte gelegentlich einige Notizen über den Pariser Sequenz-Dichter St. Victor geben? Ich habe Averkamp davon gesprochen, er kannte ihn nicht. Jetzt bin ich mitten in meiner Symphonie, 2 Sätze sind in Partitur fertig.... | |
Amsterdam, 25 Januar 1914....Die Première meiner Oper Agnete ist glänzend abgelaufen: eine vollendet schöne Aufführung, volles Haus, groszer, warmer Beifall etc., etc. Im Haag war es noch besser, die Königin war dabei und gab dem Ganzen ein Relief. Nun kommt noch in Rotterdam eine dritte Aufführung. Ein Ereignisz war es, endlich einmal eine Holländische Oper zu hören. Ich hatte ausgezeichnete Sänger, auch das giebt Hoffnung für die Lebensfähigkeit einer Niederländischen Oper. Das Eis ist gebrochen! Jetzt schreibe ich bald eine zweite Oper und suche mir dann selbst den Text der etwa Holl. National werden muszGa naar voetnoot2. Ich habe die Aufführungen unter groszen Schmerzen gemacht - denke Dir, ich bekam vor 14 Tagen einen heftigen Gicht-Anfall, | |
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erst am Fusz, dann im Arm, sodasz ich kaum dirigiren konnte. Der Arm ist noch steif! Ich lebe jetzt in strengster Diät, trinke nur Wasser, und o weh! darf keine Austern mehr essen! Ja, ja, Fuglsang's Küche hat sich an mir gerächt! ‘Farvel’ Aalborg-Hummer, Enten und Gefolge.... Jetzt musz ich mit Wasser, Brod und Früchte leben!.... | |
Amst., 24 März 1915....Die Nachricht von Neruda'sGa naar voetnoot1 Tod hat mich sehr ergriffen. Welch ein Verlust für Euer Musikleben! Du sagst es so schön in Deinem Nachruf und Alle, die Neruda gekannt und verehrt haben, wozu auch ich gehöre, werden Deine Worte unterschreiben. Und nun kommt die Frage: wer wird sein Nachfolger werden? Wird er Carl Nielsen heiszen? Eure Concertverhältnisse sind keine glänzende, und es wäre zu wünschen, dasz sich ein Mann fände, der Kopenhagen in dieser Beziehung das gäbe, was andere Groszstädte besitzen: ersten Ranges Aufführungen von Orchester- und Chorwerken. Ich bin sehr gespannt auf die Lösung und würde als Freund mich natürlich freuen, wenn Carl Nielsen auf diese Weise wieder zu einer Stellung käme. Ihr werdet wohl einen Gedächtniszfeier in der Kön. Kammerm. ‘Forening’ haben und dann eines der schönen Quartette von Neruda spielen, deren ich mich von alter Zeit her erinnere. Die ‘Forening’ sollte sie zu seinem Gedenken herausgeben - sie verdienen bekannt zu werden....
....Leider werden wir diesen Sommer nicht nach Fuglsang kommen können, wenn der Krieg andauert. Ich will nicht wieder diese Reisesorgen haben und habe beschloszen im Lande zu bleiben, bis es Friede wird. Und wie wenig Aussicht ist es bis jetzt dazu! Unsre Reise nach Rom, die ich für dieses Frühjahr geplant hatte, haben wir natürlich auch aufgegeben. Doch das sind alles Kleinigkeiten, in die wir uns gerne finden wollen, wenn wir nur unsre Neutralität bewahren können, und uns das Schicksal des armen | |
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Belgiens erspart bleibt! Es ist ja beinahe ein Wunder, dasz das kleine Holland in mitten des groszen Brandes, bis jetzt verschont geblieben ist. Unser Musikleben blüht wie in Friedenszeiten: jede Woche zwei grosze Orchester- und Solisten Concerte daneben gute Concerte von ersten Ranges Künstlern und glücklicherweise Ausfall der mittelmäszigen Concerte, die doch kein Publikum hatten. Wir haben wieder eine sehr erfolgreiche Röntgen-Trio-Tournée gehabtGa naar voetnoot1: überall volle Säle und glänzenden Beifall. Im Ganzen habe ich diesen Winter hier mehr Concerte als sonst gehabt. Soeben habe ich eine grosze Arbeit abgeschlossen. Ich habe eine Anzahl alt-Niederländischer Volksgedichte componirt für Chor, Solostimmen - wie es das Gedicht mit sich brachte. Hie und da habe ich Volkslieder benutzt, das meiste aber frei componirt. Die Sammlung besteht aus über 30 Stücken. Was kann man Besseres thun in dieser ernsten Zeit, als sich in alte Zeiten zu vertiefen und zu versuchen wieder lebendig zu machen was einmal geblüht und unvergänglichen Werth hat! So wollen wir weiter arbeiten, solange es noch dauert - die Zeit kommt bald genug, wo die Reihe an uns kommt, und wo es auch heiszen wird, wie am Schlusz Deines Artikels: og nu er han borte!Ga naar voetnoot2.... | |
Amsterdam, 11 Januar 1916....Dieser Brief sollte längst geschrieben sein und Dir unsre Weihnachts- und Neujahrsgrüsse gebracht haben! Nun kommt dieses Thema wie in einer Fuge später aber dafür in der Vergröszerung ‘in argumentationem’ und soll dezhalb um so wirkungsvoller sein... Es ist mir immer fast wie eine unaufgelöste Dissonanz, dasz ich Euch Alle noch nicht wiedergesehen habe. Es war ja aber leider unmöglich! Erst jetzt habe ich einen Pasz bekommen, der es mir möglich macht, wieder über die Grenzen zu gehen - seit September 1914 habe ich Holland nicht verlassen können. Nächste Woche aber musz ich wegen drei Concerte mit Messchaert nach Wien gehen. | |
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Meine Jungens dagegen sind noch immer ‘gefangen’; - solange sie nicht einen Entlassungsschein bekommen, sind sie in Deutschland dienstpflichtig, trotzdem sie Holländer sind und sobald sie nach Deutschland kommen, riskiren sie zum Militär einberufen zu werden. Wir sind alle wohl und fleiszig; die Musik blüht in und auszer dem Hause. Ich habe mich ganz in der Rolle eines modernen Tyrtaeus versucht und habe nicht weniger als 60 grosze Gesänge geschrieben, die das allgemein menschliche des Krieges behandeln und, wie ich hoffe, nicht nur in Deutschland verstanden werden können. Die erste Serie - ein Cyklus von 12 Liedern - erscheint jetzt bei Breitk. u. HärtelGa naar voetnoot1 und die andern sollen folgen, wenn Bedürfnisz dazu vorhanden ist. Mir war 's eine schöne Arbeit und eine Art Confession in dieser ernsten Zeit und ich kann wohl sagen: inter arma non silent musae!.... Hoffentlich ist das auch bei Dir der Fall. Ich las zwei gute Artikel über Isländische Musik, durch Deine Isländischen Arbeiten inspirirt. - Wie stand auf einmal Fuglsang vor mir, wenn Du uns das Isländische Lied in Quinten spieltest. Ja, wie sehne ich mich oft dorthin, ich hoffe, dasz es kein verlornes Paradies bleiben wird!.... | |
Amsterdam, 4 Mai 1919....Ja, ich denke oft genug an Dich, und alle lieben Menschen in Dänemark, von denen ich nun schon so lange geschieden bin. Leider hast Du Recht: auch diesen Sommer gibt's noch kein Wiedersehen. Das Reisen in oder durch Deutschland ist beinahe unmöglich, besonders nicht mit einer ganzen Familie. Und bis zum Sommer wird das nicht viel besser werden, wo Alles so langsam vorwärts geht. Wir haben wieder unser Sommerhäuschen in den Dünen gemiethet. Es geht uns Allen sehr gut und wir haben den Winter mit seiner Kohlennot glücklich überstanden. Ich selbst bin fleiszig, habe meine 3 aktige Oper ‘de lachende Cavalier’ (aus der Frans Halszeit) in Partitur vollendet und bin | |
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jetzt mit den Vorbereitungen zur Aufführung beschäftigt. Ausserdem habe ich viel Kammermusik geschrieben, ein StreichtrioGa naar voetnoot1, eine Sonate für Oboe, eine für Violine und Clavier und eine für Cello. Auch ein Paar Orchestersuiten, die ich hier mit groszem Erfolg aufgeführt habe.... Vivat labor!.... | |
Amsterdam, 9 Febr. 1920....Heute habe ich einen besondern Anlasz Dir zu schreiben. Ich möchte Dich nämlich bitten mir einiges biographisches Material über Carl Nielsen zu verschaffen. Er wird hier nächstens seine neue Symphonie dirigiren und ich bin gefragt, einen Artikel über ihn zu schreiben. Nun habe ich im Allgemeinen über seine Persönlichkeit als Componist etwas gesagt, weisz aber zu wenig von seiner Entwickelung als Künstler und wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir darüber etwas mittheilen wolltest. Gern würde ich auch die Symphonie analysiren - es wäre für das Werk so gut, wenn das Publicum vor der Aufführung etwas darüber erführe. Gestern Abend hatten wir ein Gade-Grieg-Sinding Concert (es gibt diesen Winter einen ganzen historischen Cyklus) - ich habe dafür einen Artikel geschrieben: ‘Edvard Grieg und die skand. Volksmusik,’ mit vielen persönlichen Erinnerungen. Aehnliche Artikel schrieb ich auch über Brahms und die Neu-Russen, Cui, Borodine und Rimsky-Korsakoff, deren Werke ich früher hier aufgeführt habe, und mit denen ich damals in Correspondenz war. Du siehst daraus, dasz ich nicht nur Noten schreibe!.... | |
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Musik gemacht, Sequenzen oder dergleichen? Von uns kann ich nur Gutes melden, und ich bin fleiszig gewesen, schrieb diesen Sommer 25 ClavieretudenGa naar voetnoot1, ein Chorstück und 4 Orchesterfugen, die am 1. Nov. in Stuttgart aufgeführt wurden. Auch sind kürzlich 24 geistliche Lieder erschienenGa naar voetnoot2, in der Art wie Carl Nielsen sie geschrieben hat: einstimmig erfunden, später vierstimmig bearbeitet. Ich hörte sie kürzlich in Utrecht bei Gelegenheit des 50 jährigen Jubileums des Protestantenbundes, der sie bei mir bestellt hatte. Also die Arbeit ruht nicht und das ist das gröszte Glück in dieser Zeit, wo man soviel entbehren musz!.... |
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