Brieven van Julius Röntgen
(1934)–Julius Röntgen– Auteursrecht onbekend
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IX Brieven aan Edvard Grieg
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gegeben, alsob er das beste Orchester vor sich hätte. In diesem Falle war es aber ‘vergebne Liebesmüh.’ Um die SymphonieGa naar voetnoot1 kennen und lieben zu lernen war es ja genügend und ich freue mich nun nur, sie einmal ordentlich und ohne alle möglichen Verstimmungen zum Musikfest in Düsseldorf, wo Brahms sie dirigieren wird, wieder zu hören. Sie klingt übrigens herrlich und ich finde, dasz sie, was Klang betrifft, die beiden andern weit übertrifft. Der Schlusz des letzten Satzes ist ganz neu und für mich von wahrhaft feierlicher Wirkung; nach einem sehr düstern, leidenschaftlichen f-moll Satz wird's am Ende auf einmal Licht, feierliche Posaunenklänge werden vom ganzen Streichquartett mit Sordinen in schnellen Triolenfiguren begleitet, das macht sich herrlich, aber nicht auf dem Papier. Also genug von diesen ‘Worten ohne Lieder’. Das ClavierconcertGa naar voetnoot2, welches das Orchester ja schon gespielt hatte, ging ganz gut. Es war ‘das einzig nette vom Abend’, wie Brahms sagte, und ich hätte gespielt wir ‘eine Photographie von ihm’, was mir grosze Freude machte. Meine Eltern waren zum Concert aus Leipzig gekommen, mein Vater spielte auf Brahms' Wunsch, mit im Orchester, Brahms stand ganz behaglich beim Flügel und lächelte mich bei jeder schweren Stelle so freundlich an - eine ganz schöne Constellation, die ich wohl nie vergessen werde....
....Was unseren Sommerplänen betrifft, sie liegen noch ganz im Unbestimmten, wir wissen noch nicht einmal die Himmelrichtung, ob Nord oder Süd. Hardanger zieht allerdings gewaltig und Ihre freundliche Einladung lockt sehr.... ....Ich habe viel zu thun an unserm neuen Conservatorium und ausserdem habe ich den Gesangverein: ‘Excelsior’ übernommen zu dirigieren, ich freue mich sehr darauf, endlich einmal tüchtig zum Dirigieren zu kommen.... | |||||||||||
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Amsterdam, 11 Juni 1884....Also nach allen Odysseïschen Irrfahrten glücklich wieder in der Heimath angelangt! Sie haben Italien ja auf's Glücklichste genossen! ....Und nun giebt es wieder ruhige Zeit für Sie in dem herrlichen LofthusGa naar voetnoot1, dasz ich leider nur von der allerverregnetsten Seite habe kennen oder vielmehr nicht kennen lernen. Ich habe nun vorläufig den Plan gemacht, die von uns entdeckte Schiffsgelegenheit Rotterdam-Bergen auszuprobiren und hoffe den Hardangerfjord einmal bei Sonnenschein kennen zu lernen. Welche Freude für mich, Sie dann in Lofthus besuchen zu können! Messchaert bekomme ich wahrscheinlich als Reisegefährten. Soll ich noch etwas Thee für Sie aus Holland mitbringen, z.B. ein Paquetchen Blumenthee um den gewöhnlichen Thee etwas ‘geuriger’ (wie man hier sagt) zu machen? Ich hoffe aber, dasz Frau Grieg einmal weitere Thee-ologische ‘Studien’ an der Quelle, d.h. nicht in China, aber hier bei uns in Amsterdam machen wird.... | |||||||||||
Amsterdam, 8 Sept. 1884....Mit wahrer Beschämung schreibe ich das obige Datum, aber unser neues Conservatorium ist an Allem Schuld. Nun hat es angefangen, etwas allein laufen zu lernen, und ich kann wieder an andere und ‘freudenvollere’ Dinge denken. ....Wie soll ich Ihnen auch danken für die herrliche Zeit im Sommer, die wir bei Ihnen verbracht haben! Könnte ich doch noch einmal zu Ihnen hinauf in's Berghäuschen und Ihre neuen Lieder von Ihnen beiden hören! Das war zu hübsch, als wir da oben den Regen wegmusicirten. Und dazwischen das gute Hardanger Bier, das mich bei den vierhändigen Tänzen in solche rythmische Begeisterung versetzte! Nun etwas vom ‘zweiten Akt’ unserer Reise. Sie hatten Recht mit Ihrer Wetterprophezeiung, denn schon am Abend hatten wir den klarsten Himmel und Messchaert'sGa naar voetnoot2 Entzücken von Stahlheim und die Fahrt dorthin können Sie Sich vorstellen. Alles klappte | |||||||||||
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auf's Beste und nirgends brauchten wir auf Schiffe oder Wagen zu warten. Einmal in Vadheim, hatten wir einen Krisis zu überstehen und es galt alle Engländer zu schlagen, es gelang mir schlieszlich und ich bekam für Messchaert wenigstens ein Pferd, ich selbst ging bis zur nächsten Station zu Fusz, und nun hatten wir überall den Vorsprung. Bis Nordfjord bekamen wir vollendete Reisetage bei immer gröszerer Steigerung. Dort hielt Messchaert ein Ruhetag und ich machte eine der schönsten Partieen, mit der ich wirklich nichts vergleichen kann. Es giebt bei Faleide drei grosze Gletscherthäler, Stryn - Olden- und Loenthal - das letzte besuchte ich bei wundervollstem Wetter! Erst 2 Stunden Ruderfahrt, dann über das ‘Eid’ hinauf zum Loenvand, dort fängt die Herrlichkeit an und man fährt über 2 Stunden zwischen den gröszten Gletschern und Felsen, wie man sie selten ähnlich sieht. Von einem Gletscher fielen ununterbrochen Eislawinen, es klang wie ein heftiges Kanonenfeuer, dasz es mir ganz unheimlich zu muthe ward. Einmal fiel eine solche Eislawine gerade in einen Wasserfall, der plötzlich zu einer riesigen Grösze anzuwachsen schien, und als die Geschichte vorbei war, vollkommen versiegte und erst nach einiger Zeit wieder Wasser kam.... Rückwärts fuhren wir mit Laubsegeln und ich lag am Ende des Bootes wie in einem Walde. Ich habe aber nie mir eine solche Einsamkeit in der Natur vorstellen können. Den ganzen Tag, bis wir spät in der Nacht wieder nach Faleide kamen, hatte ich keinen Menschen, überhaupt nichts Lebendes getroffen. Schade dasz Messchaert gerade dieses nicht mit erlebt hat, ich muszte ihn aber etwas schonen wegen seine bedenkliche ‘Pedalbeschaffenheit’! Wir brauchten weiter das Schiff bis Molde. Romsdalshorn und Trolltinder sind das Wildeste und Verrückteste was sich in Felsen denken läszt, es sieht ganz vulkanisch aus, dabei eine ganz unheimliche schwarze Farbe des Gesteins.... In Trondhjem hatten wir nur Zeit ein Paar Stunden im Dom zu sein, der allerdings ganz wunderbar ist. Der blauliche Stein, vermischt mit weissem Marmor giebt eine wunderbare Farbenwirkung. ....Von Trondjhem ging es dann nach Kopenhagen p. Schiff zurück, wo Messchaert von mir Abschied nahm und ich meine | |||||||||||
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Frau traf. Und nun in Amsterd: erinnern wir uns oft an all die Herrlichkeiten vor einigen Wochen.... | |||||||||||
Amsterdam, 3 Nov. 1884....Welche grosze Freude haben wir an Ihre Suite gehabtGa naar voetnoot1. Gleich beim ersten Durchspielen gefiel sie uns so ausserordentlich und gefällt uns mit jedem Male mehr. Ich habe sie gleich auswendig gelernt (etwas so hübsches lernt sich übrigens ganz von selbst), und wer kommt, musz sie hören und ist entzückt davon. Ich werde sie an unsern ersten Kammermusikabend spielen. Gestern spielte ich sie dem alten Verhulst vor, Sie hätten seine Freude sehen sollen! Beim Spielen sehe ich immer das kleine Berghäuschen in Lofthus vor mir, wo die Suite gemacht ist. Jetzt mag es freilich in Lofthus etwas anders als damals aussehen und das Häuschen steht leer, und die Bauern trinken ihr Hardangerbier allein....
....Von uns habe ich nicht viel zu berichten. Ich habe viel mit meiner Requiem-AufführungGa naar voetnoot2 zu thun und studire mit meinem Chor ‘engros’ und ‘en détail’..... Was macht Ihre neue Villa? Ich hoffe dasz Sie ein ebenso gutes Opus wird als die Suite.... | |||||||||||
Amsterdam, 19 Nov. 1884....Die SuiteGa naar voetnoot3 hat neulich im Concert ausserordentlich gefallen. Sie verfolgt mich jetzt übrigens auf Schritt und Tritt, da natürlich alle Schülerinnen, gute und schlechte, darüber hergefallen sind, und ich ‘die Geister die ich rief’ nun nicht mehr ‘los’Ga naar voetnoot4 werde.... Das Brahms'sche Requiem fängt jetzt an zu gehen. Nach unsäglicher Mühe habe ich endlich erreicht dem Chor einen Begriff davon bei zu bringen, dasz es ausser Forte auch noch andere Nuancen gibt. Brahms soll eine 4e Symphonie geschrieben haben, wenigstens so hörte ich von Engelmanns. | |||||||||||
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Amsterdam, 28 Dec. 1884Meine erste Aufführung mit dem Brahms'schen Requiem ist besonders glücklich abgelaufen. Ich hatte mir für Chor, das Orchester und die Solisten von überall her die besten Leute ausgesucht, habe im Ganzen 30 Proben gemacht und das Werk, was hier gar nicht bekannt ist, machte einen mächtigen Eindruck. Das Orchester klingt doch ganz wundervoll darin. ....Wir haben jetzt musikalisch reiche Zeit hier; vor kurzem war Joachim bei uns und hat wieder herrlich gespielt. Einen ganzen Sonntag lang haben wir Streichquartette mit ihm gespielt, wobei ich mich einmal wieder gründlich ‘ausbratschen’ konnte.... ....In Leipzig haben sie ihren neuen Gewandhaussaal mit groszem Glanze eingeweiht; das Programm enthielt nur Werke toter Componisten (nur nichts von Wagner), wodurch Reinecke nichts von BrahmsGa naar voetnoot1 zu machen (und das Publicum nichts von Reinecke zu hören) brauchte.... | |||||||||||
Amsterdam, Ostersonntag 1885....Wir haben in den letzten Wochen in einem wahren musikalischen Rausch gelebt: Rubinstein war hier und zwar volle drei Wochen, hat 4 Concerte gegeben und hat uns alle durch sein wundervolles Spiel, wie durch seine ganze bezaubernde Persönlichkeit auf's Höchste begeistert. Wir haben ihn gründlich genossen und waren täglich mit ihm. Eigentlich ist es eine Verleumdung ihn einen Clavierspieler zu nennen, wenigstens im allgemeinen Sinne des Wortes! Er hat Alles gespielt, von Bach bis Liszt und Alles in der höchsten Vollendung, auch die Beethovensche Concerte g-dur und es-dur - ein abgespieltes Lied ohne Worte von Mendelssohn wird durch ihn eine wahre Offenbarung! Zum Schlusz dirigierte er seine g-moll Symphonie. Auf den Concertabenden spielte er immer drei Stunden hintereinander, mit einer unverwüstlichen Kraft. Am Meisten haben wir ihn aber zu Hause genossen, wo er uns alles mögliche spielte, was er nicht in den Concerten gespielt hatte! Er hat ganz Holland rebellisch gemacht, aus allen Städten kamen die Menschen | |||||||||||
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her und von hier reisten sie mit ihm nach den andern Städten. Jetzt ist er abgereist und der Katzenjammer kommt nach. Ich habe ihm viel von Ihnen und Norwegen erzählt, er hofft einmal zu Ihnen zu kommen.... | |||||||||||
Amsterdam, 10 Juni 1885....Ich weisz noch gar nicht was diesen Sommer aus uns wird. Vor einigen Tagen schickte ich einen gut bearbeiteten norwegischen Plan nach ‘Lehmannsgarten’, dessen Hauptpunkt, gemeinschaftlicher Aufenthalt der alten und jungen Röntgens in Lofthus ist. Nun weisz ich nicht, was die Leipziger darüber denken und ob sie als eingefleischte Landratten die Angst vor der Seereise überwinden!... Nach meiner MagnificatGa naar voetnoot1-Aufführung, die sehr gut gegangen ist, hatte ich in Mai noch eine kleinere Aufführung ohne Orchester. Zu Anfang sang der Chor mich mit einem Holländischen Lied an, das einer der Tenöre componirt und hinter meinem Rücken einstudirt hatte. Nach diesem Lied bekam ich von dem Chor noch die groszen Büsten von Bach und Händel.... Zu Pfingsten war ich in Aachen zum Musikfest, eine Bach- und Händel-feier; aber auch Liszt und Wagner und Beethoven wurden gemacht: Bach kam sogar bedeutend zu kurz, obgleich das Fest ja eine Bach- und Händel-feier sein sollte. Reinecke dirigierte aber und der verträgt sich nicht besonders mit Bach!! Die Chöre am Rhein klingen gar zu schön und dann diese Massen wirken doch ganz unglaublich! 30 Violinen und lauter gute, alles andere im selben Verhältnisz, da klingt eine c-moll Simfonie wie sie klingen musz. Mein Vater war erster Concertmeister und ich ging hauptsächlich hin, um mit ihm zusammen zu sein. Natürlich habe ich mitgebratscht, denn fünf Tage lang Musik zu hören, das halte ich nicht aus. Schreiben Sie uns doch etwas über ‘Troldhaug’Ga naar voetnoot2 und was Sie Alles dort als Grundbesitzer treiben? Es musz doch ein herrliches | |||||||||||
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Gefühl sein, auf eignem Grund und Boden schalten und walten zu können....
Neulich spielte ich Ihre Holberg-Suite der Prinzessin von Meiningen vor, die sich hier bei Dr Metzger aufhält für Massagebehandlung. Sie erzählte mir, dasz Sie einmal bei ihr gewesen sind in Meiningen und ihr vorgespielt haben. Auch sagte sie dasz Brahms eine neue Symphonie vollendet habe. Dem Winter über hat man nichts von ihm gehört.... | |||||||||||
Amsterdam, 22 Sept. 1885....Wir müssen vorläufig noch das Schreiben fortsetzen, um etwas von einander zu erfahren, denn leider ist dieses Jahr aus dem gehofften Wiedersehen nichts geworden.... ....Etwas näher kommen Sie ja uns Holländern diesen Winter und ich hoffe, dasz Sie den Kopenhagener Plan ausführen, denn im Winter, wo man doch ab und zu einmal Lust hat ein gutes Orchester zu hören, finden Sie doch mehr in Kopenhagen als in Ihrem stillen Bergen.... Ich musz Ihnen nun etwas von unserer Reise vorschwärmen. Ein fabelhaftes Wetterglück haben wir die ganze Zeit gehabt: absolute Klarheit wie sonst nur im Spätherbst, dabei immer kühlender Nordwind im Rücken (den schickten Sie uns wohl; bei Ihnen mag es etwas zu kalt gewesen sein)! Erst besuchten wir Herzogenbergs am Königsee in ihrem Häuschen, ‘Lieselei’ getauft. Wir haben viel musiciert à la Lofthus. Dann ging's weiter nach Salzburg, wo die Natur so ganz Mozartisch ist, und nach Innsbruck, wo es schon viel mehr ‘Beethoven’ wird, von dort in das Oetzthal, wo wir grosze Fusztouren machten. Das Gröszte aber was wir sahen, war die Strasze über das Stilfserjoch und den Ortler, den wir von allen Seiten auf den Leib gerückt sind. Das ist wohl das Mächtigste, was es in den Alpen gibt. Viel groszartiger als das Berner Oberland, wo die Berge wirklich etwas ‘abgesehen’ sind. Durch's Engadin reisten wir zurück und besuchten auf dem Rückweg noch Frau v. HolsteinGa naar voetnoot1 die ein ganz entzückendes Häuschen | |||||||||||
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in Oberstdorf (Allgäuer Alpen) bewohnt. Holstein hatte sich dort eine Sennhütte gebaut und sie hat es dann erweitert und wohnt dort im Sommer, stets Touristen und Gäste bei sich habend, die sich dann alle in ein lustiges Fremdenbuch einschreiben. Dann über München und Nürnberg nach ‘Lehmannsgarten’, wo natürlich wieder fleissig musicirt wurde und ich sogar zum componiren kam. Ich machte eine Menge Variationen über ein lustiges Czardàs ThemaGa naar voetnoot1. Ich habe jetzt ein gröszeres Chor- und OrchesterwerkGa naar voetnoot2 fertig, worin ich auch Messchaert verwende. Den Text dazu werde ich Ihnen schicken; er ist sehr schön, geschrieben von einem Wiener Dichter, Lipiner, der vor einigen Jahren grosses Aufsehen mit einem Epos ‘der entfesselte Prometheus’ machte. Er schrieb jetzt für Goldmark einen Operntext ‘Merlin’. Mein Text ist aus einem Buch einzelner Gedichte: ‘Buch der Freude’ heiszt es. Ich werde es bald singen lassen, ausserdem führe ich das Mozart'sche Requiem auf, das hier noch nie gemacht ist. Sie sehen, es hält in Amsterdam nicht all zu schwer Novitätenconcerte zu geben! | |||||||||||
Amsterdam, 7 febr. 1886....Ich komme soeben von Leipzig zurück, wo ich das 2te Brahms'sche Concert und meine Ungarischen VariationenGa naar voetnoot3 gespielt habe. Der neue Gewandhaussaal ist prachtvoll und, was die Hauptsache ist, klingt sehr schön, besonders seit mein Vater das Orchester ganz hat umbauen und anders aufstellen lassen. Ich habe grosze Freude gehabt, wieder mit gutem Orchester zu spielen. In November haben wir Brahms in Amsterdam gehabt mit dem Meininger Orchester und der neuen e-moll Symphonie. Brahms hatte die Symphonie 2 clavierig gemacht und hat sie öfters mit mir gespielt, sodasz ich sie gründlich kenne. Nächste Woche reise ich schon wieder nach Leipzig und spiele das f-moll Quintett von Brahms. Er ist selber auch dort und führt seine neue Symphonie im Gewandhaus auf. | |||||||||||
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Amsterdam, 10 Juli 1886Seit mehreren Monaten habe ich leider jede Spur von Ihnen verloren und wüszte doch so gern wie es Ihnen geht. Seit meinem letzten Brief hat sich hier für mich viel verändert und zwar in herrlichster Weise: Vor einigen Tagen bin ich zum Nachfolger Verhulst's ernannt worden und fange nächsten Winter meine Thätigkeit im neuen Concertsaal an! Man hat Verhulst in Haag entlassen, somit und in Folge davon hat er hier selbst um seine Entlassung gebeten und sie bekommen. Nun habe ich eine grosze Aufgabe vor, die ich mit Freude und Muth beginne. Ich vereinige nun meinen Verein: ‘Excelsior’ mit den übrigen Chorkräften und hoffe etwas Gutes zu stande zu bringen. Wenn sich die Orchesterverhältnisse nur erst etwas gebessert hätten. Da wird es noch viel Kämpfe geben. Dasz es überhaupt daran nicht mangelt, können Sie glauben, wo soviele hier sind, die auf Verhulst's Stelle gerechnet haben. Nun kommt noch dazu, dasz ich Deutscher bin, und dasz dies ein Fehler ist, den ich nie ablegen werde!! Nun auf Alles hoffe ich durch gute Aufführungen zu antworten. An wahren Freunden fehlt es mir nicht, das habe ich in diesen Tagen wieder deutlich gesehen. Nun kann ich Sie nicht nur als Freund zu uns einladen, sondern ganz officiell als ‘Directeur van de Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst’, und bestelle mir zum Anfang und für den nächsten Amsterdammer Besuch wenigstens eine Symphonie von Ihnen! | |||||||||||
Amsterdam, 19 Mai 1887Kommen Sie doch nach Holland! Ich möchte Sie gar zu gern als Amsterdammer Kapellmeister hier sehen! Dann könnte ich Sie selbst überzeugen, wie gut es mir in der neuen Stellung geht, besser als in etwaigen gehässigen Zeitungsartikelen. Ich habe viel derartiges über mich ergehen lassen müssen, da ich auf einmal eine ganze Menge Feinde bekommen habe, vor Allem unter denen, die selbst gerne die Verhulst'sche Erbschaft angetreten hätten. Dabei haben wir aber frisch und lustig diesen Winter musiciert. Ich habe einen sehr groszen Chor, die Proben waren vortrefflich besucht. | |||||||||||
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Wenn nur erst unser neue Saal fertig wird. Im alten klingt es zu scheuszlich und besonders moderne Musik ist gar nicht dort auf zu führen. Die ‘Felix Meritis’Ga naar voetnoot1-Concerte geben mir grosze Freude und sind durch grosze Theilnahme fest gesichert. Ich habe viel Neues gemacht, u.A. ein ganzes Concert nur neu-Russische Musik. Kennen Sie die Sachen von Borodine und Cui? Ich bin ganz begeistert davon. Es ist wirklich eine neue Welt von Musik, in die man da hineinblickt. | |||||||||||
Amsterdam, 11 Nov. 1889....Gestern hatte ich eine grosze Freude, für welche ich Ihnen zu danken habe: Messchaert führte Ihre Sachen für Männerchor und Bar.-SoloGa naar voetnoot2 auf - sie klangen so herrlich und haben mir so gefallen, wie seit langem nichts. Welche neue schöne Klangeffecte sind darin, wie interessant ist alles gemacht, dabei so ganz im Geiste der Volkslieder! Messchaert sang die Solostimme selbst und machte die tiefste Wirkung damit.... | |||||||||||
Amsterdam, 8 Okt. 1891....Habe Dank für die neuen Clavierstücke, die mit meinem Namen in die Welt gehen dürfenGa naar voetnoot3. Und nochmals Dank für Troldhaug, für die Jotunheimreise, für Alles Schöne, was ich im letzten Sommer in Norwegen erlebt und genossen habe!....
....Jetzt aber musz ich Dir von der groszen Freude erzählen, die wir in den letzten Tagen gehabt haben, und zwar durch die Bekanntschaft mit den Sinding'schen Sachen. Das ist ja ein Talent allerhöchsten Ranges und ich kann Dir nicht unsere Verwunderung beschreiben, als wir, ganz unvorbereitet, neulich abends seine 2 clavierigen-Variationen in die Hände bekamen und mit jeder Variation auf neue Schönheiten stiessen. Es ist ein ganz reifes Werk und ich bewundere ebenso sehr die grosze Natur, wie die ganz bewuszte Kunst und | |||||||||||
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Gestaltungskraft darin. Auch am Concert habe ich grosze Freude, es ist aus einem Stücke und ebenso grosz wie eine Norwegische Landschaft seines BrudersGa naar voetnoot1, - wie frisch fängt er an, und wie genial ist die Themaverwandlung im zweiten Satz! Die Sachen haben uns ganz begeistert und wir sind nun sehr gespannt was weiter darauf folgen wird. Entschuldige diesen eiligen Brief, meine Zeit ist augenblicklich sehr besetzt, aber in ruhigen Augenblicken bin ich immer wieder mit Dir und Beyer zusammen in Turtegrö und oben auf Skogadalsböen bei Mondschein und den Bukkehorntönen!.... | |||||||||||
Amsterdam, 20 Dec. 1891....Meine h-moll MesseGa naar voetnoot2 ist glücklich vorüber und auf's Beste abgelaufen. Sie hat mich ganz in Anspruch genommen und alle meine Kräfte angespannt.... Meine StückeGa naar voetnoot3 habe ich bekommen, und sage Dir tausend Dank dafür! Das bleibt nun die Extra Erinnerung an den letzten Sommer und die unvergesslichen Jotunheimer Tage. In jedem Stück ist ja auch ein Stück von Dir selbst und von der Norwegischen Nation, und ich glaube, dasz ich Dir darin ganz folgen kann. Im ersten Stück ist ohne Zweifel ‘Turtegrö-Stimmung’. Es wird Einem ganz einsam dabei zu Muthe. Sehr lustig ist das c-dur-Stück, da sehe ich Dich wieder, wie Du Dich freust an einem Bauer der auf seiner Geige spielt und wenn man sich umschaut, sieht man das Fjeld und athmet die herrliche scharfe Hochgebirgsluft. Die Glocken! - eine wahre Quinten-Apotheose! - sind allerdings sehr toll, so etwas ist nur Stimmungsausdruck und wer keine Stimmung dafür mitbringt, für den bleibt's freilich unverständlich....
....Dieser Tage hatte ich grosze Freude an der wohlgeglückte Aufführung der h-moll Messe, überhaupt ein incommensurables Werk und auch ein Stück Jotunheim gewaltigster Art. An den Chören | |||||||||||
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würdest Du Freude gehabt haben, sie gingen herrlich und es wurde mit gröszter Begeisterung gesungen. Neulich spielte ich hier die Sinding'schen Variationen zum ersten Mal öffentlich: sie haben Alle entzückt und ich werde sie gleich wiederholen. Hat Sinding was Neues geschrieben? Ich warte mit Spannung darauf. Ich bin etwas wüst im Kopf von den letzten Tagen. So eine h-moll Messe spürt man doch noch mehr wie eine Fanarok'sGa naar voetnoot1 Besteigung mit obligater Verirrung!.... | |||||||||||
GjendebudGa naar voetnoot2, 6 Aug. 1892....Schade dasz ich diesmal Jotunheim allein geniessen musz, vor'ges Jahr war's hübscher! - Aber nun etwas von dem Hauptereignisz meiner Reise: dem Besuch bei Björnson in Aulestad: ich habe herrliche Stunden dort verlebt und wurde auf's Freundlichste aufgenommen. Ich habe den gröszten Eindruck von Björnson's Persönlichkeit bekommen: die ist aus einem groszen Stück. Alles was er sagt hat etwas Groszartiges und doch hat sein Pathos etwas ganz natürliches und ungewolltes. Wir sprachen gleich über Euer Oratorium. .... Ich spielte Björnson mehrere Stücke aus meiner Jotunheimsuite vor, das zweite in g-moll gefiel ihm besonders und ich muszte es mehrere Male wiederholen. Dann spielte ich ihm sein ‘til Molde’ von SindingGa naar voetnoot3 vor und das hat ihn so ergriffen, dasz er am Schlusz kein Wort sagen konnte, nur mit groszen Schritten in der Stube umherging, - endlich sagte er: ‘det har grebet mig saa’Ga naar voetnoot4....
....So wurden wir gut bekannt und sprachen über allerlei, auch viel über Wagner. Sein Urteil über den Dichter Wagner war mir sehr interessant. - Später zeigte er mir sein Gut und wir nahmen im Wald ein Sturzbad. Er sah wie ein alter norwegischer Held aus, wie er mit groszen Schritten unter den Wasserfall ging. - Auch über | |||||||||||
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Politik und die neuesten Ereignisze sprach er, da ist er ganz Revolutionär! - Ich bin sehr glücklich Björnson kennen gelernt zu haben!.... | |||||||||||
Leipzig, 2 Juli 1894Ga naar voetnoot1....Ich kann noch nicht viel schreiben. Grade meinen liebsten Menschen gegenüber wird's mir am schwersten. Ich habe jetzt nur das eine trostlose Gefühl von: vorbei! Es ist alsob ich von vorn anfangen musz, ohne zu wissen wie - könnte ich doch in der tiefsten Einsamkeit verschwinden. Statt dessen tritt einem das Leben in seiner Gewöhnlichkeit überall entgegen - man möchte am liebsten in den Wellen versinken und klammert sich doch an das erste elende Stück Holz an, läszt sich an's Land werfen und fängt an zu essen und trinken und sich trockne Kleider an zu thun. Dieser Gegensatz ist fürchterlich und man sollte sich eigentlich für seine Todten schämen.... Habt nur Geduld mit mir, liebste Freunde, und erhaltet mir Eure Freundschaft; laszt mich nur nicht los.... | |||||||||||
Amsterdam, 3 Okt. 1894....Die Zeit, die ich jetzt durchmachen musz, läszt mich schwer dazu entschliessen zu schreiben. Am liebsten wär ich selbst zu Euch gekommen, vielleicht wär es nächstes Jahr möglich. - Dies Jahr ging es nicht. Ich war die Sommerzeit mit den Meinigen zusammen, erst in ‘Lehmannsgarten’, dann bei Hedwig v. Holstein, in Oberstdorf (Bayern). In der Schweiz machte ich ganz allein grosze Bergbesteigungen, das that dem Körper gut und gab mir den verlorenen Schlaf wieder zurück. Ich besuchte auch Herzogenberg, wir hatten uns viel zu sagen. Dort musicirte ich auch wieder und lernte ein neues groszes Werk von ihm kennen, eine Messe, die nächstens in Berlin gemacht wird. Auch blieb ich einige Tage in München, hörte dort in vorzüglicher Aufführung die Meistersinger und dann ging's über Leipzig nach Amsterdam zurück. In's leere Haus! Die Freunde hatten freilich alles gethan um mir den Übergang so leicht | |||||||||||
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und mild wie möglich zu machen, aber wie es mir jetzt zu Muthe ist in meiner Einsamkeit, das weisz nur ich.... Ich sitze tief in der Arbeit, leider nicht in eigener Arbeit - dazu fehlt mir bis jetzt ganz die Zeit, ich kann nicht einmal daran denken, ob es gehen würde etwas zu componieren, obgleich ich ein Gefühl habe, dasz ich darin eine Art Trost und Befriedigung für mich selbst finden könnte. Mit Messchaert habe ich eine sehr grosze Tournée vor, dann 2 grosze Aufführungen, PaulusGa naar voetnoot1 und Béatitudes von César Franck. Was sind Deine Winterpläne? Im Neujahrs-Gewandhaus-Concert dirigire ich meine Jotunheim-Ballade, die Du noch nicht kennst. Vorige Woche hatte ich grosze Freude an der Sinding'schen Symphonie, die mir einen groszen Eindruck gemacht hat, als Ganzes imponirt sie doch im höchsten Grade und er zeigt sich besonders im ersten Satz und im Scherzo als geborener Symphoniker mit der nötigen Löwenkralle. Für mein Gefühl ist der letzte Satz der Schwächste, ich finde nicht soviel Sinding darin als er geben könnte. Sein Trio spielen wir nächstens. Ich freue mich auf jedes neue Werk von ihm, es ist doch wieder mal Jemand, der ‘den Hut trägt wie er will!’ Viele finden freilich diesen Hut zu verwegen und mit der vorgeschriebenen Gewandhaus-Toilette verträgt er sich vorläufig noch nicht. Hier stehen wir auf freiem Boden!.... | |||||||||||
Amsterd., 13 März 1895....Seit Weihnachten habe ich viel gearbeitet, freilich nur fern vom Schreibtisch. Viele Concerte und Reisen hier im Lande und verschiedene grössere Aufführungen u.a. die Béatitudes von Franck, die hier einen groszen Erfolg gehabt haben. Es ist ein Meisterwerk in Erfindung und Arbeit, - man weisz nicht, was man mehr bewundern soll, die Schönheit der Musik oder die Meisterhaftigkeit des Könnens. Seit langem habe ich nicht eine solche Freude an einem neuen groszen Werk gehabt. Und der Componist ist gestorben, ohne es je gehört zu haben. Nur eine Aufführung bei sich zu Hause, am Clavier, mit ein paar Choristen hat er erlebt. Und die hat noch | |||||||||||
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dazu vollständiges Fiasco gemacht! Und das in unserer Zeit der Reklame, die freilich oft nur für die Mittelmässigkeit gemacht wird. Einen Meister wie Franck haben die Franzosen noch nicht gehabt - nach seinem Tode fangen sie an ihn zu würdigen!.... Meine Jotunheim-BalladeGa naar voetnoot1 ist hier ganz populär geworden und hat diesen Winter in verschiedenen Städten mehrere Aufführungen gehabt.... Wir haben jetzt eine gute sorgsame Hülfe für die Kinder im Hause, so geht äusserlich alles weiter, so wie die Jungens es gewohnt waren. Vom Innerlichen, was mich betrifft, will ich schweigen. Was können Worte da auch viel sagen. Ich lebe in vergangenen Tagen, und suche mit dem Glück, das ich genossen habe, auszukommen. Wie unendlich leer ist es aber oft, wenn die äussere Arbeit einmal ruht!.... | |||||||||||
Amsterdam, 3 Juni 1896....Hast Du noch etwas von Brahms gehört? Er schrieb mir vor kurzem sehr lustig, indem er sich entschuldigt, wenn er wiederholt, was gewisz schon längst ein langer Brief gesagt hat - dieser Brief ist natürlich gar nicht vorhanden! Er war kürzlich in Bonn zu Frau Schumann's Begräbnisz. Über eine Norwegische Reise mit uns zusammen hat er nichts verlauten lassen. Bist Du nun in Wien mit den dortigen Agenten im Reinen? Diese Agentenwirtschaft ist geradezu ekelhaft und man ist ganz wehrlos gegen diese Sorte Menschen, die die Künstler nur als Waare oder wie ein Werthpapier betrachten, mit dem sie speculiren. Was macht denn HaugtussaGa naar voetnoot2? Kommt sie bald aus der Verborgenheit heraus und in welchem Gewande? - Nächster Tage schicke ich Dir meine Norwegische BalladeGa naar voetnoot3, Simrock druckt alles in gröszter Schnelligkeit.... | |||||||||||
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Mittag mit Messchaert musicirt, hauptsächlich Deine neuen Lieder, aus denen wir viele, die ihm besonders gut liegen, ausgesucht haben. Das ist doch auch eine Art Zusammensein, wenigstens fühlte ich mich ganz in Deiner Nähe und hatte das Gefühl, dasz ich diese Musik ganz verstehe und im Innersten mitempfinden kann. Dazu musz man aber auch Norwegen kennen und den Abend in Skogadalsböen und Aehnliches erlebt haben....
....Brahms soll allerlei aus der Bibel componirt haben für Bariton, u.a. die schöne Stelle: Wenn ich mit Menschen und Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht.... | |||||||||||
Rooswijk, 17 Aug. 1896....Es kommt mir schon so lange vor, seit wir uns oben auf der ‘Hardanger Vidda’ Lebewohl sagten - alles was ich seitdem erlebt habe, steht so ganz im Gegensatz zu unserm Leben dort oben, dasz mir diese Tage wie längst entschwundene vorkommen! Dieser Sommer besteht nun einmal aus lauter Improvisationen und Alles kommt anders, als gedacht. Bei meinem Rückkehr aus Norwegen fand ich meinen Freund BosmansGa naar voetnoot1 auf dem Sterbebette, er war kaum noch im Stande ein paar Worte mit mir zu reden. Seine arme Frau war in einem bejammernswerten Zustand, sie war ganz von allen Freunden verlassen, die alle verreist waren. Natürlich gab ich meine Reise nach Denemarken auf, um der Frau in den schwersten Tagen etwas nützlich sein zu können. Das Ende liesz noch länger als ich dachte, auf sich warten, - endlich trat der Tod ein, der hier nur eine Erlösung war. Über eine Woche warteten wir Stunde für Stunde darauf! Da ich nicht in meinem Hause wohnen konnte (es war in Händen von verschiedenen Arbeitern gleich einem Chaos) habe ich mir auf einem Landgut in der Nähe von dem Ort wo meine Jungens sind, in einem mitten im Wald gelegenen Försterhäuschen eine Stube gesucht. Jetzt wo das traurige Hin- und Herreisen nach Amst. ein Ende hat, fange ich an, hier zur Ruhe zu kommen und den herrlichen Aufenthalt zu geniessen. Es ist eine zweite Auflage | |||||||||||
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der Hardanger-Hütte, in's Holländische übersetzt. Ringsherum hohe Bäume, herrliche Luft von der nahen See - tiefste Einsamkeit und Stille. Jetzt kann ich in Ruhe an unser Zusammensein und an alles Schöne was es mir wieder gebracht hat, denken. Die Tage, die ich mit Dir verbringen kann, gehören zu den besten, die das Leben für mich hat: damit ist alles gesagt. Ich habe mir ein Klavier in meine Klause kommen lassen, studire etwas für die nächste Zeit und bin auch etwas ins Componiren gekommen! Dein schönes Volkslied von TinholmGa naar voetnoot1 läszt mich nicht los!.... | |||||||||||
Amsterdam, 16 Sept. 1896....Seit dem 1. September bin ich wieder in der Stadt und das Einsiedlerleben in Rooswijk ist leider zu Ende. So gerne hätte ich da draussen im Wald noch eine Zeit gelebt und tüchtig gearbeitet. Mein ‘diesjähriges’ (wie Brahms von d'Albert's Frau sagte) norwegisches Sommerstück ist aber doch fertig geworden. Ich schrieb grade die letzten Takte davon, als Dein lieber Brief kam, mit denselben Tönen, die mich so ganz erfüllt und beschäftigt hatten. Du kannst denken, wie mir diese Gedanken-Gemeinschaft freute! Das Stück besteht aus einer Einleitung, eine Reihe Variationen und ein groszes Finale - das g-moll Lied bildet den Kern, aus dem das Ganze herauswächst. Es ist eine lange Geschichte geworden und leider eine sehr schwere ‘und wer sie just studiret, dem bricht der Finger dabei’ - wenigstens plage ich mich in den letzten Tagen sehr damit, um es in die Finger zu bekommen. Am 7. Oktober will ich es schon in Rotterdam spielen, am 11. November in Wien.... | |||||||||||
Amsterdam, 12 April 1897....Ich habe Dir noch kein Wort geschrieben nach dem groszen traurigen Ereignisz, das uns beide tief bewegt hatGa naar voetnoot2. Wie schön wäre es gewesen, wenn wir unseren Wiener Plan ausgeführt hätten und Brahms noch einmal zusammen gesehen hätten. | |||||||||||
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Unsere gemeinschaftliche Wiener Reise im vorigen Winter bleibt nun eine doppelt liebe und grosze Erinnerung. Leider bekam ich die Zeitangabe des Begräbnisses zu spät um noch hinreisen zu können. Das war mir ein groszer Kummer. Herzogenberg war dort. Er schrieb mir so ergreifend darüber. Bei Brahms war Mensch und Künstler aus einem groszen Gusz. Der Künstler bleibt uns, dasz wir aber den starken groszen Menschen verloren haben, das ist ein groszer Schmerz, ein harter Verlust. - Ich reise morgen nach Straszburg um mit Herzogenberg zusammen zu sein, der dort seine Passion aufführt. Gestern hatte ich einen Brahms-Abend in Memoriam, Kammermusik, c-moll Klavierquartett, erste Cellosonate und b-dur Sextett. Die Sachen machten unter dem Geschehen der letzten Tagen einen tiefen Eindruck.... | |||||||||||
Amsterdam, 26 Juni 1897....Das wird sich ja herrlich einrichten mit unserm Zusammentreffen diesen Sommer. Unsere HochzeitGa naar voetnoot1 ist Anfang Juli. Wir reisen dann via Hamburg per Schiff nach Christiania, dann über Valders, Jotunheim, Lyster nach Laerdal und Voss und können ungefähr 23 Juli bei Euch eintreffen. Ich denke über Tyin, Melkedal, Skogadalsböen, Keisern nach Turtegrö zu Fusz zu gehen, Du siehst, dasz wir Norwegen gleich von seiner gröszten Seite angreifen, und dasz ich meiner Frau das zeigen werde, woran sich für mich meine schönsten Erinnerungen knüpfen. Ja, also statt eines Freundes, bekommt Ihr zwei, die sich nichts Lieberes und Schöneres vorstellen und wünschen können, als Euch, liebste Menschen, auf ihrer ersten Reise begrüssen und mit Euch zusammensein zu können.... | |||||||||||
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uns gehört und doch waren wir so viel bei Euch mit unsern Gedanken. Die Nebelparthie war doch in ihrer Weise etwas ganz besonderes; gerade als Contrast mit dem beinahe langweilig beständigen Sonnenschein-Wetter, das wir auf der ganzen Reise gehabt haben, war das Wandern wie mit einer Binde um die Augen, während die Ohren das Gebraus der Wasserfälle hörten und man ringsherum tiefe Abgründe ahnte und hinabblickte, ohne ein Ende zu sehen: Alles dies war so phantastisch und eigenthümlich, dasz es uns unvergesslich bleiben wird. Und dann abends unten am Fjord alles wieder klar und lieblich - es war alsob wir aus einer andern, unheimlichen Welt herabgestiegen waren!....
....Wie schön wär's wenn wir uns bald wieder in Amsterdam sehen könnten! Ich höre, dasz es ein brillantes Austernjahr werden soll! Da müszt Ihr uns helfen.... | |||||||||||
Amsterdam, 1 Okt. 1897....Herzlichen Dank für Deine neuen Stücke, die mir ja schon zum Theil liebe Bekannten waren. Eine grosze Freude machtest Du mir damit.... ....Die neuen Sinding'schen Stücke haben mir im Gegentheil gar nicht gefallen. Was soll das ewige Phantasiren mit Wagner'schen Motiven und Harmonieën, wenn man doch, wie Sinding, Talent genug hat, seine eigene Sprache zu reden. Unter den neuen Liedern fand ich eins, das geradezu eine Kopie ist von Isoldes Liebestod. Man könnte darüber schreiben: Stücke zu Tristan - wie in den Wagnerschen Liedern. In den Signora-Liedern ist viel Schönes - ich sang sie neulich mit Messchaert durch - die früheren Lieder erreichen sie aber nicht.... | |||||||||||
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er konnte keine Austern essen und ich konnte ihn auch nicht dazu bekehren, ebenso wenig zu Sinding und zu César Franck!.... | |||||||||||
Amsterdam, 6 April 1898....Mein Brahms-Musikfest ist vorbei und ich habe wieder Zeit an etwas Anderes zu denken. Es war ein 3 tägiges Brahmsfest, der Glanzpunkt war sein Requiem in der Kirche. Ich hatte dafür die besten Chorkräfte ausgewählt, ausgezeichnete Solisten, dazu die Stimmung die eine Aufführung in der Kirche mit sich bringt, die Erinnerung an den Todestag vor einem Jahr: ich habe selten etwas erlebt, das soviel Eindruck hinterlassen hat! Am andern Tag spielte ich das b-dur Clavierconcert und am 3ten Abend gab ich Kammermusik Abend, Clarinettenquintett wofür ich MühlfeldGa naar voetnoot1 engagirt hatte, und dann die Liebeslieder die meine Frau und ich vierhändig begleiteten. Jetzt kann ich mich ein Paar Tage ausruhen; das abwechselende Dirigieren und Clavierspielen strengt doch tüchtig an.... | |||||||||||
Amsterdam, 17 Mai 1898....Gestern hatten wir hier eine vorzügliche Aufführung der Götterdämmerung, ja, man kann sagen, es war vollendet. Es waren die besten Kräfte von Bayreuth, die Dekorationen wundervoll, das Orchester herrlich - der Dirigent war Willem de Haan aus Darmstadt. Das Werk hat uns wieder den gröszten Eindruck gemacht, es ist doch das Gewaltigste, das Wagner geschrieben hat, auch als Drama betrachtet. Sehr überrascht hat mich Frau Gulbranson, ich hätte ihr ausser ihrer wundervollen Stimme nicht soviel Schauspielerische Kraft zugetraut. Ich habe in den letzten Wochen tüchtig für mich gearbeitet, und ein Claviertrio ist dabei fertig geworden. Ein groszes viersätziges Stück in recht glücklicher d-dur-Stimmung! | |||||||||||
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Amsterdam, 1 Juni 1898....Das Musikfest-Programm ist herrlich und es wird etwas werden, wie es Norwegen bis jetzt noch nicht gehört hatGa naar voetnoot1. Dasz ich mit meiner Liebe für Dein Vaterland und Alles was Dich betrifft dabei fehlen musz, ist sehr hart für mich, es ist mir unmöglich, wegen dem Conservatorium ‘Eind-Exämen’. Viele meiner Schüler machen das Examen um ein Diplom zu erhalten. Ausserdem habe ich die Stunde eines meiner Collegen übernehmen müssen, da er schwer krank ist - ich musz verzichten! Wie wirst Du jetzt in voller Arbeit sein für das Fest! Kommen Svendsen und Sinding auch? - Ja, wenn Wünschen etwas helfen könnte, so käme ich nach Bergen und wünschte das Conservatorium zum Teufel!.... | |||||||||||
Amsterdam, 18 Juni 1898....Nun bist Du wohl ganz untergetaucht in Musikfestsorgen und hoffentlich auch Freuden! Ich verfolge alles in Gedanken, trotzdem ich mich nicht gerade in musikfestlicher Stimmung befinde. Seit einer Woche lebe ich in Kampf und Streit um meine Stellung als Musikdirektor - durch verschiedene unangenehme Erfahrungen beim Concert-Comitee, habe ich mich gezwungen gefühlt meine Entlassung zu nehmen. Ich musz recht an Brahms denken, der mir einmal sagte: ‘Nehmen Sie Sich in Acht vor Concert-Comitees, sie taugen alle nichts, und jeder musz einmal daran glauben, der damit zu thun hat!’ Bald werde ich Dir schreiben, wie die Sache sich weiter entwickelt hat. Jetzt aber sage ich: ‘Freunde nicht diese Töne’, und hoffe und wünsche, dasz Ihr in Bergen bald angenehmere anstaunen werdet und dasz das Fest den allerschönsten Verlauf nehmen wird!.... | |||||||||||
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nommen und hast Deinem Vaterland zum ersten Mal und für alle Zeiten gezeigt, was eine künstlerische, ersten Ranges-Leistung ist. Das wird Dir nie vergessen werden; dasz nebenbei alles so gut ablief, und glückte, dafür musz man ja dankbar sein - zum Erfolg gehört ja nicht nur Talent und Energie, sondern auch Glück. Bei Eurem Fest scheint sich aber alles vereinigt zu haben! Die Orchestermitglieder sind im vollsten Enthusiasmus über die Aufnahme, die sie bei Euch gefunden haben, und ganz besonders über Dich als Künstler, Componist, Dirigent, Impressario und Wirth. Übrigens habe ich Deine rein physische Leistungsfähigkeit bewundert! Wo hattest Du Deinen schwachen Magen, Deine Nerven und sonstigen körperlichen Beschwerden?....
....In den letzten Tagen habe ich viel mit Messchaert musicirt, wir sind begeistert von Hugo Wolf. Kennst Du seine Lieder? Es sind wundervolle Sachen darunter, seine Produktivität ist wirklich Schubertisch. Ich bin auch fleissig gewesen, aus meinem Trio sind Zwillinge geworden, no. 2 wurde soeben fertig.... | |||||||||||
Amsterdam, 2 Okt. 1898....Opus 3 ist erschienen, ein kleiner Johannes. Er hat sich vortrefflich aufgeführt und es seiner Mutter nicht allzu schwer gemacht! - Ich ging nicht mehr in die Schweiz, da ich ein sehr verlockendes Gartenhäuschen zum Componiren fand, wo ich fleissig gearbeitet habe. Eine Claviersonate schrieb ich dort und eine Reihe alt-Holländische Boereliedjes habe ich für Violine und Clavier bearbeitet.... Ich fühle mich augenblicklich sehr wohl und frei, da ich durch mein Aufgeben der Directorstelle ganz ausserhalb dem Treiben der neuen Verhältnisse stehe, Du wirst es begreifen können, nach Allem was ich Dir darüber geschrieben habe....
Eine grosze Freude hatte ich dieser Tage an deinem HaugtussaGa naar voetnoot1 oder ‘dem Kind der Berge’: die Übersetzung ist gut, trotzdem gibt sie wenig von dem Reiz des Originals wieder. Die Musik hat mich | |||||||||||
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aber auf's neue getroffen: die ist das Beste und Eigenste von Dir darin. Ich bekomme eine wahre Sehnsucht nach Jotunheim und norwegischer Luft, wenn ich sie durchspiele. Nächsten Sommer müssen wir uns dort treffen, aber vorher hoffentlich der versprochene Austerbesuch in Amsterdam! Wir haben hier eine wunderbare Rembrandt-Ausstellung, könnte sie Euch nicht zu einem Besuch verlocken?.... | |||||||||||
Amsterdam, 13 Dec. 1898....Du dankst mir für die Kopenhagener Tage? Was soll ich dazu sagen? Ihr Beide habt mir wieder einmal so aus dem Vollen Eure Freundschaft gezeigt, dasz ich keine Worte dafür finde, Euch zu danken. Es waren herrliche Tage, und Ihr habt das Beste und Liebste dazu gebracht.... Die Lieder von Lange MüllerGa naar voetnoot1 habe ich mit grosser Freude kennen gelernt. Ich bin ganz überrascht, ich hatte bis jetzt keine Ahnung davon, und ich finde, sie gehören zum Besten, was die Dänen hervorgebracht haben. Sonderbar, dasz ich bis jetzt nichts darüber hörte. Das Haidelied finde ich ganz genial - übrigens ein wunderbares GedichtGa naar voetnoot2, wie phantastisch und unheimlich die Stimmung!.... | |||||||||||
Amsterdam, 1 Februar 1899....Ganz besonders viel waren meine Gedanken bei Euch in den letzten Wiener Tagen, wo alle Erinnerungen an frühere Zeiten wieder lebendig wurden. Ich bewohnte dasselbe Zimmer, wo wir mit Brahms zusammen waren. Nach dem Concert fuhr ich nach dem Semmering, es war dasselbe göttliche Wetter wie damals; ich ging hinauf auf den Sonnwendstein und fand oben im Fremdenbuch Eure Namen, und so war ich fortgesetzt im Geiste mit Euch zusammen! Unsere Messchaert-Concerte waren sehr schön, mit der bekannten Wiener Stimmung. Zwischen den Concerten war ich einige Tage in Leipzig um Abschied zu nehmen von unserm alten | |||||||||||
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‘Lehmannsgarten’, der ja abgebrochen wird! Viele Erinnerungen, die ganze Jugendzeit hängt ja für mich daran.... ....Auch war ich mit Joachim zusammen, der mir Trauriges über Herzogenberg's Befinden mittheilte. Er ist sehr krank, es scheint wieder eine Art Glieder-Lähmung zu sein. Er kann nicht einmal mehr schreiben! Der Aermste, wie wird er darunter leiden!.... | |||||||||||
Amsterdam, 22 Okt. 1899....Heute sollte ich in London sein, befinde mich aber ruhig zu Hause - es ist die alte Geschichte: Messchaert erkältet, wir muszten telegrafiren und St. James Hall steht morgen leer auf unsere Kosten! Es war zu spät, den Saal für andere Zwecke zu vermieten!.... Ich bin gespannt, was Du zu der Symphonie von AlfvenGa naar voetnoot1 sagen wirst, von der man so viel Gutes hört. Ich lernte diesen Sommer Manuscript-Lieder von ihm kennen, in denen sehr viel Schönes war. - Du muszt aber die Lieder von dem neu-entdeckten Wiener Componist Posa kennen lernen, ich stelle sie über Hugo Wolf; es ist mehr gesunde, echte Musik darin.... | |||||||||||
Amsterdam, 15 März 1900....In meinen Gedanken bin ich viel in Kopenhagen, der Tod des alten HartmannGa naar voetnoot2 hat mich sehr gerührt, ich habe Deinen schönen Artikel über ihn gelesen, den Du damals zu seinem 80. Geburtstage schriebst. - Diese allgemeine Trauer und Liebe hat wirklich etwas ergreifendes und ist ein sprechender Beweis dafür, dass Hartmann in seiner Musik zum Volke gesprochen hat und damit im Volksherzen lebt, und das ist doch grosz und beneidenswerth! Ob eine jüngere Generation nicht noch anderer Töne bedarf, das ist eine Frage, aber ‘den Besten seiner Zeit hat er genug gethan’.... Von Herzogenberg hatte ich einen diktierten Brief aus Nervi, in dem trotz des beklagenswerthen Zustandes (er ist jetzt ganz gelähmt) noch immer die alte geistige Frische und der Humor, über das | |||||||||||
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eigene Leben zu spotten, lebt.... ich werde ihn wohl nicht mehr wiedersehen!.... | |||||||||||
Amsterdam, 14 März 1901....Ich bin fleissig mit neuen Claviersachen beschäftigt, die diese Tage hier erschienen sind. Der Componist heiszt: von Brucken Fock und hat sehr viel Talent! Ich möchte so gerne, dasz Du etwas von ihm kennen lerntest, und lasse Dir die Hefte schicken. Es ist echte Claviermusik, sehr fein und distinguiert. Bitte sieh Dir die Stücke einmal an. Von Posa bekam ich eine sehr bedeutende Violinsonate über die ich in ausführlicher Correspondenz mit ihm bin Erfindung überall grosz und echt, aber.... alles zu lang! Ich musz schliessen, ach, könnten wir Euch nur hier haben, in unserm neuen gemütlichen Nest!.... | |||||||||||
Amsterdam, 12 Juni 1901....Ich bin sehr beschäftigt mit einer Ausgabe der hauptsächlichsten Bach'schen Clavierwerke um die man mich von Wien aus gefragt hat. Etwas Bergluft musz ich aber diesen Sommer haben, vielleicht gehen wir mit unserm Freund Posa der augenblicklich bei uns wohnt, im Juli einige Zeit in die Alpen. Posa hat in Heidelberg am Tonkünstler-Musikfest, seine Violinsonate gespielt; Messchaert schreibt mir, dasz die Sonate durchgefallen ist. Das liesse sich voraussehen, denn sie ist viel zu bedeutend um den gewöhlichen Dutzend-Componisten-Erfolg zu haben. Du wirst Freude daran haben, das glaube ich bestimmt!.... | |||||||||||
Amsterdam, 21 Okt. 1901....Seit den Sommerferien habe ich viel gearbeitet, die Bach-Ausgabe vollendet, und 2 Hefte Alt-Niederländische Tänze vierhändig bearbeitet. Ich habe sie aus einer alten Ausgabe von 1550 entziffert. Sie sind so frisch und harmonisch interessant, dasz sie für uns vollkommen genieszbar sind. Interessant ist, wie der Vokalstyl, der damals in Blüthe war, in's Instrumentale übertragen ist.... | |||||||||||
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Amsterdam, 30 Nov. 1901....Die neuen lyrischen StückeGa naar voetnoot1 machen mir grosze Freudel Denke Dir, dasz ich eine feste Ahnung hatte, dasz zum Schlusz die Arietta in irgend einer Form wieder kommen würde. Als es dann wirklich so war, freute mich die Bestätigung meines Vorgefühls nicht wenig! In den Kopenhagener Tagen müssen Euch die Ohren oft geklungen haben. Ich habe diesmal den Aufenthalt besonders genossen, da ich mich ganz wohl fühlte und die ConcerteGa naar voetnoot2, das Musicieren ausserdem und das Zusammensein mit den Freunden mit obligaten Austern-Soupers mich gar nicht anstrengte. Wir hatten zwei Concerte mit sehr viel Erfolg. Ausserdem spielten wir in der ‘Kammermusik-forening’ und denke Dir meinen Übermuth, ich trat als Bratschist auf in nichts Geringerem als dem groszen Beethovenschen a-moll-Quartett.... Eine grosze Freude hatte ich an ‘Thryms;kviden’Ga naar voetnoot3, es wirkt doch von der Bühne herab ganz anders als aus dem 4 händ. Clavierauszug, besonders mit einem so genialen Darsteller wie Beck als Loge. Der Erfindungsreichtum ist ganz erstaunlich! Beinahe wünschte man etwas mehr Oekonomie. Das Ganze macht aber einen durchaus originellen Eindruck und ich wüszte es mit nichts zu vergleichen.... | |||||||||||
Amsterdam, 23 Febr. 1902....Seit mehreren Wochen lebe ich in einem wahren Concertrausch: überall wird Messchaert's 25 jähriges Sänger-Jubileum gefeiert und es ist ein wahrer Triumphzug durch's ganze Land, an dem ich natürlich als sein treuer Begleiter auch Theil nehme. Gestern war das Hauptfest in Amsterdam; der grosze Concertsaal festlich geschmückt, bis zum letzten Platz - auch das Podium - mit Menschen gefüllt. Als wir das Podium betraten, stand die ganze grosze Menschenmasse wie ein Mann auf und jubelte Messchaert zu. Es machte einen groszartigen Eindruck und Messchaert war so | |||||||||||
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überwältigt davon, dasz er seine ersten Lieder - es war DichterliebeGa naar voetnoot1 - kaum singen konnte. Am Schlusz des Abends wurde ihm mitgeteilt, dasz aus Beiträgen des ganzen Holländischen Volkes von einem unserer ersten Malern sein Bild gemalt, und dem Reichs Museum übergeben werden solle. Ausserdem bekam er viele Geschenke. SillemGa naar voetnoot2 sprach ihm zu, und dann antwortete er, sehr bewegt, aber auszerordentlich wirkungsvoll. Am Schlusz sagte er, das Reden wurde ihm schwer weil er nur gewohnt wäre dem Publikum die Gedanken der groszen Dichter und Componisten, also nicht seine eigenen, mit zu teilen und dabei fehlte ihm auch noch sein treuer Freund und Begleiter. Das machte sich so ungesucht und rührend, dasz ich zu ihm ging und ihn corampublico umarmte. Groszer Jubel! Und dann ging's zu Van LaerGa naar voetnoot3 und die Austern traten in ihr Recht. Zwischen den Festabenden hatte ich noch allerlei andere Concerte, mit und ohne Orchester, dirigirte in Rotterdam meine Norwegische BalladeGa naar voetnoot4 und habe dazwischen noch 60 Seiten Partitur geschrieben, eine Bearbeitung der Altniederländischen Volkslieder für Chor, Soli und Orchester, die mir bestellt worden ist.... | |||||||||||
Nestun (Norwegen) 12 Mai....Heute morgen kam ich in Bergen an und fuhr im selben Zug mit FrantsGa naar voetnoot5!! Ich sasz wie ein Verschwörer tief in meinen Mantel gehüllt, den Hut tief in 's Gesicht gedrückt, und so sah ich ihm in HopGa naar voetnoot6 aussteigen: eine spannende Situation! Ich hatte eine sehr gute Reise über New Castle, die See war sehr ruhig, wie ich es selten erlebt habe. Wie herrlich ist Norwegen im Frühling, so habe ich es noch nie gesehen!.... | |||||||||||
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Amsterdam, 10 Sept. 1902....Ich musz Dir gleich meine grosze Freude aussprechen über Deine neue Arbeit! Das wird etwas werden!Ga naar voetnoot1 Ich hin auf's Höchste gespannt. Deine Idee, die Originale zugleich mit Deiner Bearbeitung erscheinen zu lassen, finde ich sehr glücklich. Das wird nun etwas für die Geiger, musiker, Etnographen u.s.w. Ich besitze übrigens eine Sammlung Tänze für Violin Solo, die auf der Insel Gotland gesammelt sind. Sie hat das Verdienst der treuen Wiedergabe, aber ohne viel künstlerischen Werth. Anfang November gehe ich nach Wien. Man hat mich eingeladen zu einem Symphonieconcert das g-dur Concert (Beethoven) zu spielen. Meine neue Cellosonate, die dieser Tage erscheint, werde ich in Leipzig mit Julius Klengel spielen. Ich schicke Dir ein Heft Alt-Holl. Tänze, die ich getreu nach dem Original 4 händig bearbeitet habe. Es ist wohl die älteste Instrumental-Musik, die sich in Niederland erhalten hat. Ich entzifferte die Stücke aus vier einzelnen Stimmen und war überrascht, über die meisterhafte Stimmführung, die ja ganz im Geiste der alten Vokalmeister gehalten ist. Die Ausgabe nach der ich arbeitete, ist vom Jahre 1550. Ich habe daraus eine Suite für Orchester gemacht, die ganz lustig klingen wird.... | |||||||||||
Amsterdam, 10 Dec. 1902....Am Montag waren meine Gedanken in Christiania - die Björnson-Feier ist gewisz grosartig verlaufen! In seinen 70 Lebensjahren hat sich allerdings eine ungeheure Summe gebildet, die nun einmal abgerechnet worden ist. Wieviel hat er seinem Volk gegeben, und was bedeutet doch seine Persönlichkeit für die Entwickelung eines ganzen Landes!... Ich habe eine tüchtige Concert-campagne hinter mir, im November hatte ich 20 Concerte, dabei alle meine Stunden und viel Notenschreiberei für mein Festconcert, das am 7. Februar stattfindet: ich bin dann 25 Jahre hier in Amsterdam. Es werden nur Werke von mir gemacht: Serenade für Orchester; | |||||||||||
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Violinconcert mit ElderingGa naar voetnoot1; Een Liedje v.d. Zee (für Orchester); Altniederländische Volkslieder für Solo, Chor und Orchester. Könnte ich Euch nur hier haben an diesem Abend, meine Dänischen Freunde kommen herüber.... | |||||||||||
Amsterdam, 16 Jan. 1903....Jetzt stecke ich tief in Proben mit Chor und Orchester für mein Concert am 7. Febr. Ich hatte die Freude, dasz die neuen Sachen gleich bei der ersten Probe gut gingen und klangen. Eldering spielt das Violinconcert herrlich, ich kann mir keinen besseren Interpreten dafür wünschen. Am 12. Febr. wird das Concert wiederholt in Utrecht mit dem dortigen Orchester. Und am 15. Febr. ein Kammermusik-Concert auch mit eignen Sachen. Die beiden letzten Concerte gehen aber nicht von mir aus. Halte mich also nicht für so unbescheiden!.... | |||||||||||
Amsterdam, 28 Febr. 1903....Endlich ein Lebenszeichen von mir! Wenn ich Dir aber sage, dasz ich in diesem Monat keinen Abend frei hatte, so wirst Du begreifen, dasz auch für die Briefe, die ich am liebsten schreibe, absolut keine Zeit übrig blieb. - Man hat mir ein wundervolles Fest bereitet, und ich habe alles mit mehr Talent als ich dachte, ertragen und geniessen können. Übrigens keine Kleinigkeit solche Tage über sich ergehen zu lassen! Die musikalische Aufgabe war gerade grosz genug, um alle Kräfte zu absorbieren und dann kam alles dazu, was so ein Jubilaeum mit sich bringt, Besuch, Deputationen, Aussprachen, Soupers .... Alles lief aber glänzend ab und ich hatte die grosze Freude, dasz das Concert vollkommen gelang. Die neuen Werke gingen und klangen ausgezeichnet. Eldering spielte das Concert wundervoll und mit gröszter Meisterschaft. Die Serenade, die sehr lyrisch ist, machte sich gut darauf, und die Valerius-Lieder, wofür ich einen Elite Chor von über 100 Sängern hatte, machte gröszten Effekt. Nach dem Concert war eine kleine Nachfeier im kleinen Concertsaal, der ganz mit Freunden gefüllt war. Ich bekam einen | |||||||||||
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groszen Steinwayflügel, die Partituren des RingGa naar voetnoot1, die ich noch nicht besasz, schöne Stühle und Pulten und eine Menge anderer schönen Geschenke. Die Woche darauf war das Concert in Utrecht, wo ich znm Theil dieselben Sachen dirigierte. Ein Paar Tage später den Kammermusikabend hier. Am 12. März habe ich ein Concert in Birmingham. Dann wieder eine Woche Abend für Abend hier im Land mit Messchaert und Eldering; nun lieber Freund, das war eine grausame Salve und ich habe genug von mir gesprochen.... | |||||||||||
Amsterdam, 10 Juli 1903....Ich bin fleissig am Arbeiten und habe deshalb nicht an Dich geschrieben. Ein Stück für einen wundervollen HornistenGa naar voetnoot2 in Wien, der die ganze Jotunheim-SuiteGa naar voetnoot3 geblasen hat (!) ist eben fertig geworden. Es sind Variationen und Finale über ein lustiges altdeutsches Lied ‘Heiliger Nepamuk, Zierde der Prager Bruck.’ Anfang November werde ich es von ihm in Wien hören. Ich gebe dann ein Concert mit Orchester (eigene Sachen).... | |||||||||||
Amsterdam, 20 März 1904....Ich schreibe Dir heute mit wundem Herzen und musz Dir eine traurige Nachricht schicken, dasz wir gestern unsere liebe sonnige AmandaGa naar voetnoot4 verloren haben. Sie starb an einer heftigen Lungenentzündung, die in einer Woche das junge Leben zerstört hat. Das Leiden des lieben Kindes zu sehen, ohne helfen zu könnent war eine fürchterliebe Qual und ich bin ganz zerstört davon. Sie war der Sonnenschein im Hause und hat uns in ihrem kurzen Leben - 4 ½ Jahr - das höchste Glück gebracht. Eine so liebenswürdige Natur, so empfänglich für Alles, und mit dem Talent, sich ganz zu geben - dabei so ungewöhnlich musikalisch - es ist hart, sich davon trennen zu müssen. Ich war für einige Concerte in Stuttgart und fand das Kind krank bei meiner Ankunft, aber glückselig, dasz ich zurück war. Sie hatte | |||||||||||
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so nach mir verlangt. Und dann hat es noch 6 Tage gedauert, die letzte Nacht wurde sie mit Einspritzungen im Leben erhalten, in der Hoffnung, dasz sie die Krankheit noch überwinden könnte. Morgen begraben wir sie - nun wird sie mit meiner AmandaGa naar voetnoot1 zusammen liegen. Eine grosze Freude ist aus meinem Leben genommen. Meine Frau hält sich stark.... ....Ick kann heute nicht mehr schreiben, mein Kopf ist ganz leer; morgen will ich mich aber zur Arbeit zwingen und hoffe dasz es mir gelingen wird.... | |||||||||||
Amsterdam, 13 Mai 1904....Du hast mir eine so grosze Freude mit Deinem Brief gemacht! Wenn ich auch fühle, dasz Deine Worte über meine ViolinsonateGa naar voetnoot2 viel besser sind, als das Stück, so machen sie mich doch so glücklich und stolz, dasz Du in solcher Weise über meine Art, Musik zu machen, denkst. Wenn mir etwas Lust geben könnte, mich auf's Neue an die Arbeit zu setzen, so müszte es Dein Brief sein. Nun habe ich es freilich schon vor Empfang desselben gethan und war gerade, wie meine Frau in körperlichen NötenGa naar voetnoot3 war, in ähnlichen geistigen. Bei mir ist ein TrioGa naar voetnoot4 herausgekommen und ich sage das zur Entschuldigung, dasz ich Dir nicht eher geschrieben habe. Solange ich aber so eine Arbeit nicht ganz vom Hals habe, bin ich zu nichts anderem fähig und gestern als Alles abgethan war, ging ich den ganzen Tag in's Freie und habe einen unbeschreiblichen Frühlingsgenusz gehabt. Mit jedem Jahr fühlt man doch die Herrlichkeit des Frühlings mehr und stärker, vielleicht kommt doch das dankbare Gefühl von ‘endnu en gang’Ga naar voetnoot5 - woran man in jungen Jahren nicht denkt, dazu. Jetzt musz ich aber tüchtig an den Fingersatz denken. Dienstag habe ich ein Concert in Haarlem und dann kommen ja die Beethoven- | |||||||||||
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Concerte. Wie freue ich mich darauf! Es wird eine ganze Skandinavische Colonie für die Beethovenfeste zu uns kommen. Und Ihr muszt fehlen! Da fehlt sehr viel von der ‘Freude, schöner Götterfunken’, die wir mit Euch haben würden. Briefe sind ja sehr schön, machen aber schlieszlich, wie Dein letzter (!) das Verlangen sich wieder zu sehen, noch stärker.... | |||||||||||
Amsterdam, 2 Dec. 1904....Messchaert ist wieder herrlich bei Stimme nach einer Kur bei Dr Lahmann in Dresden, die ihm sehr gut gethan hat und ihn wiederstandsfähiger und auch heiterer macht. Er sang neue Lieder von Strauss mit so unglaublich schweren Begleitungen, dasz ich beinahe verzweifelt war! Du solltest Dir einmal das Lied von den sieben Zechbrüdern ansehen - da hört doch der Gesangstyl einfach auf! Als Arbeit und Illustration der Worte ist es aber höchst interessant. Er sang auch neue Lieder von mir nach alt-Holl. Liedern bearbeitet, die er zu fabelhafter Wirkung brachte. Das Publikum jubelte, wo er sie sang! Jetzt haben wir wieder schöne Tage mit BauerGa naar voetnoot1 und CasalsGa naar voetnoot2, zwei der besten Künstler, die ich kenne - nicht nur Virtuosen, sondern besonders Musiker von erstem Range. Der Cellist übertrifft für mich Alles, was ich kenne. Eine der Solosonaten von Bach von ihm zu hören, ist ein unbeschreiblicher Genusz. Sie werden auch meine a-moll Cellosonate spielen, warauf ich mich sehr freue. - Das Pariser Streichquartett hat hier gröszten Erfolg. Sie haben Dein Quartett gespielt. Ich konnte es aber leider nicht hören. Ich kann mir übrigens nicht denken, dasz sie es so gut wie die Brüsseler spielen; ich fand sie in Beethoven zu objectiv und vermiszte Kraft und Schwung, und eigenes Persönliches. Dieser Tage bekam ich aus Kopenhagen vier Hefte Praeludien von Th. Otterström. Kennst Du den Komponisten? Ich habe den Namen nie gehört. Es sind wunderschöne Sachen darunter, und alles ist durchaus meisterhaft. Manchmal erinnert es an Neupert'sche Etuden, doch viel moderner, und in den besten Stücken be- | |||||||||||
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deutender. Ein b-moll Praeludium über einen Basso Ostinato in 5/4 Takt ist ein kleines Wunder an Kunst und Inspiration.... | |||||||||||
Amsterdam, 25 Juni 1905....Du hast so oft die Beweise von Deiner trotz allen körperlichen Leiden, so starken, widerstandsfähigen Natur gegeben, dasz ich die feste Überzeugung habe, es wird auch jetzt wieder besser mit Dir werden. Die Wielandflügel müszen kommen! Du hast sie ja in Deiner Kunst, in dem was Du der Welt gegeben hast - das ist so reich, dasz Dich allein dieses Bewusztsein über alle irdischen Beschwerden und Leiden hinwegtragen musz. Wenn Du auch einmal - möge es noch in weitester Ferne sein - von Deiner Arbeit ruhen wirst, ‘so folgen Deine werke Dir nach’, wie es im Brahms'schen Requiem heiszt.... | |||||||||||
Amsterdam, 6 Aug. 1905....Es waren ja nur 2 Tage, sie zählen aber für Wochen, ja für die beiden letzten Jahre, wo ich Euch nicht gesehen habe! Habt Dank, herzlichsten Dank für diese wahren Festtage bei Euch auf Troldhaug! Wir haben nachher noch ein Paar schöne Reisetage mit FrantsGa naar voetnoot1 gehabt. Und dann die Dyrhaugstind-BesteigungGa naar voetnoot2! Frants konnte viel besser steigen als vorher, wir machten es natürlich mit der gröszten Vorsicht und Ruhe. Als wir den Gipfel erreicht hatten, kam seine ganze, alte Jotunheim-Natur und Stimmung zum Durchbruch! Ich kenne nichts ergreifenderes als die Aussicht von diesem TindGa naar voetnoot3 - man steht da gegenüber dem Gewaltigsten, was die Natur zu Wege gebracht hat: der Blick zum Skagastöls Tind hinauf und dann in den Schlucht hinunter ist unbeschreiblich groszartig. Dann eine lange Wanderung über das Sognefjeld bis Bävertunsaeter in Regen und Nebel, recht anstrengend - wir kamen nasz bis auf die Haut im SaeterGa naar voetnoot4 an. Merkwürdig, dasz Alles so etwas ohne Erkältungen abgeht. Das Finale von Jotunheim war ein Besuch | |||||||||||
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bei GjendineGa naar voetnoot1; ich hatte sie seit 8 Jahren nicht gesehen und fand sie äusserlich recht verändert. Sie war sehr erfreut über unsern Besuch, und es war rührend, wie sie mir beim Abschied eine Kette aus ihrem Haar geflochten und meiner Frau eine aus den Haaren Ihres Töchterchens zum Andenken mitgab. Ihr Mann sieht sehr tüchtig aus. Dann ging es über Otta nach Christiania, wo wir Deine Karte fanden: es war alsob die Introduction nochmals zum Schlusz des Stückes kam. Gestern spielte ich Deine SlåtterGa naar voetnoot2 und genosz sie in der Erinnerung an Troldhaug. Auf der Rückreise lasen wir wieder Peer Gynt: auf's Neue kam mir der Wunsch Du möchtest eine Concertbearbeitung von Deiner Peer Gynt-Suite machen. Der innige Verband der Musik mit dem Gedicht würde dann erst zur Geltung kommen. Wenn Du Dich dazu entschliessen könntest; wie muszte das letzte LiedGa naar voetnoot3 wirken, wenn der Zuhörer das ganze Werk schon vorher durchlebt hätte. Und dasz es zu machen wäre, das sehen wir ja am Manfred, obschon hier das Gedicht ja viel mehr ein Monodrama ist. Im Peer Gynt müszte ja eine Art verbindendes Gedicht, das von einem Musikstück zum andern führte, das zu lange Original ersetzen. Eine Art solcher Bearbeitung giebt es ja für den Egmont, den ich öfters so im Concert gehört habe....
....Ich verschlinge jeden Morgen die Skandinavischen Zeitungs-Nachrichten. Nun kommt bald der 13. August - das grosze ‘Ja’.Ga naar voetnoot4 Jeder wahre Norweger wird es wohl aussprechen. Es ist ja auch das erste Wort von Eurem Vaterlandsliede! Und ich als Ausländer, aber als Herzensnorweger sage auch am 13. Aug. mein ‘Ja’ mit Euch Allen. | |||||||||||
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FuglsangGa naar voetnoot1, 27 Aug. 1905Dein Brief traf mich im Bett in Fieberphantasien, worin ich mir die Aufgabe stellte, die Stimmen des ganzen norwegischen Volkes zu zählen und es wollte nie stimmen. Ich hatte einen tüchtigen Anfall von dem berüchtigten ‘Laalandske Feber’, das dieses Jahr sehr viel vorkommt und bin jetzt aber wieder oben auf; nur würde ich den Dyrhaugstind noch nicht besteigen können. Wir musicieren aber wieder fleissig und die Finger gehen besser als die Beine. Ich schrieb mein neues TrioGa naar voetnoot2 ab, das war eine gute mechanische Reconvalescenten-Arbeit. Jetzt haben wir Carl Nielsen hier, der uns heute - einen Regen-Sonntag - seine Holberg-Oper ‘Maskeraden’ vorgespielt hat. Er hat einen sehr dankbaren Stoff gefunden und ich glaube, es wird sich scenisch sehr gut machen. Es ist sehr leicht und durchsichtig gemacht, auch in der Instrumentation. Am 13. Aug. war ich den ganzen Tag mit meinen Gedanken in Norwegen und freute mich Eures groszen Tages. Das Resultat konnte ja nicht glänzender sein, dieses ‘Ja der ganzen Welt’. Nun kommt wohl bald das Endresultat, die definitive Trennung und dann die Lösung der Frage, wer Norwegen regieren wird. Die Hauptsache ist erreicht: Eure vollkommene Selbständigkeit. Ich bin so froh, dasz ich etwas von Eurer groszen Zeit selbst mit im Lande erlebt habe, und kann nun Alles so viel besser verstehen!.... | |||||||||||
Amsterdam, 21 Sept. 1905....In November fangen meine Concerte an. In Januar habe ich eine Tournée von 10 Concerten mit Pablo Casals, dem ausgezeichneten Cellisten, von dem ich Dir erzählte. Ich habe dafür eine Cellosonate geschriebenGa naar voetnoot3, ich glaube sie ist gut gerathen. Jetzt musz ich aber das Componiren lassen und Clavier üben. Ich studire jetzt Variationen über ein Thema von Beethoven van Max Reger (für 2 Claviere) mit meiner Frau. Ein merkwürdiges | |||||||||||
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Werk! Harmonisch und contrapunktisch von höchster Kunst! Du muszt es Dir ansehen, und wirstvor Allem die Schluszfuge bewundern. Das ist moderne Bach'sche Technik. Eine Violinsonate in c-dur (man merkt freilich nicht viel von c-dur) ist mir dagegen vollkommen unverständlich und ungenieszbar. Jetzt hat er sein erstes Orchesterwerk geschrieben, eine Symphonietta, die ich noch nicht kenne.... | |||||||||||
Amsterdam, 19 Oktober 1905....Du schreibst, dasz in den letzten Tagen die politische Spannung so ungeheuer war. Ist das wegen der Frage: Monarchie oder Republik? Mit Schweden ist doch wohl jetzt alles in Ordnung? Ich kann mir noch nicht recht einen Norwegischen König vorstellen - es scheint ja aber doch, dasz der Dänische Prinz es werden wird. Ich hätte Norwegen die Republik gewünscht und habe das Gefühl, dasz die Besten unter Euch das auch am liebsten hätten. Ich für mein Theil fühle sehr wenig für das monarchische Princip. Nun bald kommt auch das wohl zur Entscheidung. Ruhe und geordnete Verhältnisse, danach verlangt Norwegen jetzt gewisz in hohem Grade.... | |||||||||||
Amsterdam, 9 Jan. 1906....Sieben Concerte habe ich mit Pablo Casals gehabt. Du würdest Freude an ihm haben! Für mich übertrifft er alle andern Cellisten. Wir haben Beethoven, Brahms und meine SonateGa naar voetnoot1 gespielt, dazwischen eine Solo-Suite von Bach, die er unvergleichlich spielt, und die c-dur Phantasie von Schumann, als Klaviernummer. Ich habe gröszte Freude an den Abenden gehabt! Jetzt kommt wieder eine Tournée mit Messchaert....
....Jetzt sind die Wiener - (Roséquartett) hier. Sie spielen das neue Quartett von Reger, das mir ungeheuer imponirt hat. Es ist vielleicht das interessanteste und complicirteste Quartett, was geschrieben ist. Der 1. Satz dauert allein 20 Minuten und wirkt doch nicht zu lang. Eine durchaus neue Harmonik. Stände seine melodische | |||||||||||
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Erfindung auf der gleichen Höhe, dann bliebe nichts zu wünschen. Letzten Sonnabend hatte ich hier einen schönen Mozart-Abend. Diese Musik wird doch immer schöner, je älter man wird. Hier bleibt nun wirklich ‘nichts zu wünschen’.... | |||||||||||
Amsterdam, 24 Jan. 1906....Was Du über Reger schreibst, ist mir aus der Seele gesprochen. Mein Standpunkt ist nur der, mich vor nichts Neuem zu verschlieszen. Und es ist etwas in Reger, was mir, trotz aller Complicirtheit, sympathisch ist, er will nur mit rein musikalischen Mitteln wirken. Sein Quintett kenne ich nicht, wohl aber andere Werke aus dieser Periode, die mir vollkommen ungenieszbar sind. Seine letzten Sachen, u.a. eine Violinsonate, sind aber viel klarer, auch das neue Streichquartett, von dem ich Dir schrieb. Entschuldige diesen kurzen Brief, ich schreibe in gröszter Eile, habe wieder 4 Concerte vor und reise bald für eine Woche nach Wien. Ich spiele dort mit dem Roséquartett das Quintett von César Franck, das man in Wien noch nicht kennt. Dazwischen hoffe ich auf etwas Semmering.... | |||||||||||
Amsterdam 25 Febr. 1906....In Wien war's wieder herrlich! Wir beideGa naar voetnoot1 haben es sehr genoszen, und hörten eine vollendete Aufführung der EntführungGa naar voetnoot2 unter Gustav Mahler. Wir besuchten Brahms' Wohnung, wo noch alles ganz unverändert ist. Sogar die Kaffeemachine steht noch auf dem Tisch, und Notenpapier liegt auf seinem Pult. Es hat uns sehr ergriffen. Weil das Wetter abscheulich war, konnten wir nicht nach Semmering hinauf.... | |||||||||||
Amsterdam, 19 März 1906....Nun ist alles in Ordnung mit dem Kammermusik-ConcertGa naar voetnoot3. Es findet am 4. Mai statt, und zwar im Theater, da das ‘Concert- | |||||||||||
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gebouw’ nicht zu bekommen war. Es hat den Vorteil, dasz mehr Menschen hinein können und die Akustik ist sehr gut. Messchaert und Casals sind engagirt. Für den Fall, dasz Messchaert absagen sollte (leider musz man immer mit dieser Möglichkeit rechnen!) haben wir eine ausgezeichnete Sängerin, Julia Culp, gefragt. Sie ist hier sehr beliebt, hat eine herrliche Stimme und vollendete Gesangskunst. Sie hatte kürzlich in Wien den gröszten Erfolg. Aber hoffen wir auf Messchaert! Es wird natürlich ein Norwegisches Programm, ich dachte deine Cello-Sonate, Deine Romanze für 2 Claviere, die wirGa naar voetnoot1 Dir vorspielen werden, das Quintett von Sinding, und dann Deine Lieder. Wann kommt Ihr, bitte so früh als möglich! Von Ostern an ist Alles für Dich bereit, auch die Austern, also komme je früher je besser, denn die hören ja mit Ende April auf!.... | |||||||||||
Amsterdam, 11 April 1906....Ich bin dieser Tage wieder sehr beschäftigt: Du ahnst nicht auf welche Weise: Isidora Duncan tanzt hier mit mir, d.h. sie tanzt und ich spiele Chopin und Brahms dazu. Wir haben den gröszten Erfolg, und die Sache macht mir Vergnügen. Ich kann Dir sagen, dasz die zartesten Chopin'schen Walzer im Theater ganz ausgezeichnet klingen. Ich muszte auch eine Solo-Zugabe spielen und wählte natürlich Dein ‘Sie tanzt’Ga naar voetnoot2 und wenn es nächstens wirklich getanzt wird, so kannst Du mich dafür verklagen! Sie will auch meine alt-niederländischen Tänze tanzen, was sehr interessant werden kann. Schade dasz Du sie hier nicht mehr sehen kannst, denn wir werden jetzt ihre letzte Vorstellung haben.... | |||||||||||
Amsterdam, 15 Mai 1906Ga naar voetnoot3....Es ist jetzt sehr leer bei uns und gut war's, dasz ich gleich tüchtig an die Arbeit muszte. Sonst wäre der Katzenjammer noch viel gröszer gewesen! Welche herrliche Tage habt Ihr uns bereitet und wie dankbar sind wir Euch!... | |||||||||||
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Nun bist Du wieder mitten in den Vorbereitungen zum Orchesterconcert in London. Es wird gewiss groszartig werden, wo Du seit Jahren nicht in London dirigirt hast! Hätte ich es mit meinen Stunden einrichten können, so wäre ich noch herübergekommen, ich musz leider darauf verzichten. Wir haben seit einigen Tagen Besuch von dem Ungarischen Componisten Emanuel Moór. Casals zeigte mir ein Celloconcert von ihm, dasz mir so gefiel, dasz ich Moór etwas darüber geschrieben habe. Nun ist er selbst gekommen mit einer Menge, grosze Werke, worunter eine Symphonie, die sehr schön und voll Musik ist. Auch ein Clavierconcert hat mir sehr gefallen. Ich bin ausserdem in meine Bach-Arbeit vertieft. Bis Juli musz der erste Theil des Wohltemp. Claviers fertig werdenGa naar voetnoot1. Sonntag aber waren wir in den Dünen und hatten dort einen herrlichen Abend mit einem wahren Nachtigallen-Orchester, wie wünschten wir Euch dabei! Dasz nun wieder eine lange Zeit vergehen musz, ehe wir ähnliche Tage verleben können, das stimmt mich oft recht traurig. Warum kann man das Beste, was das Leben Einem schenkt, nur so kurz und vorübergehend genieszen?.... | |||||||||||
Amsterdam, 24 Mai 1906....Henrik Ibsen gestorben! Wie wird diese Nachricht Dich getroffen haben, mitten in Deinen Festagen und Triumphen! Es ist ein so merkwürdiges Gefühl, wenn ein so ganz groszer weggeht und ich war ganz ergriffen, als ich das Telegramm las. Und was wirst Du erst fühlen, der Du mit ihm zusammen grosz geworden bist, und durch ihn und Björnson Norwegens grosze Zeit mitdurchlebt hast! Die Beiden haben doch einen unberechenbaren Einflusz auch auf Deine Kunst gehabt.... | |||||||||||
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Popularität bange geworden ist’, wie Du schreibst, aber schön ist es doch, trotz Deiner etwas pessimistischen Auffassung, diese Weltberühmtheit errungen zu haben. Dasz die Mittelmäszigkeit sich ihrer auf ihre weniger künstlerische Weise bemächtigt, das theilst Du ja mit den Besten und Gröszten. Schiller's Glocke wird auch in Mädchenpensionaten verbraucht und die Sonate pathétique spielt jeder Leierkasten .... | |||||||||||
Fuglsang, 27 Aug. 1906....Zur Entschuldigung meines langen Schweigens musz ich aber sagen, dasz ich um so eifriger Noten geschrieben habe. Diesmal waren es keine eignen, sondern Carl Nielsen'sche; der arme musz bis Anfang September Musik schreiben zu Drachmann'sGa naar voetnoot1 neuem Stück: ‘Oluf han ridder’ welches zur Feier von Drachmann's 60. Geburtstag in Kopenhagen aufgeführt werden soll. Ich habe ihm nun dabei geholfen und die Partitur in's Reine geschrieben - es sind schon mehr als 200 Seiten und heute ist der 3te (vorletzte) Akt fertig geworden. Mehrere Stücke habe ich für ihn instrumentirt, u.a. einen Elfentanz nach einem alten Clavierstück von ihm, sodasz die Arbeit nicht nur eine mechanische war. Es hat mich sehr amusirt. Jetzt wird er bequem fertig, da der letzte Akt nicht mehr viel Musik enthält. Das Stück ist sehr musikalisch gedacht, es kommt viel Elfenmusik darin vor, und ich glaube, es war ganz gut, dasz er darauf losschreiben muszte. Dasz Du neue a Capella Chöre schreibst, ist herrlich! Wie wird ‘Apollo’ in Amsterdam (ich meine nicht die Statue im kleinen Concertsaal hier, sondern der Männerchor-Verein.) sich freuen!.... | |||||||||||
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PABLO CASALS
CASALS' laatste bezoek aan RÖNTGEN in 1932
Prof. BRAM ELDERING
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Keilsö, onbew, eilandje bij Laaland (Denemarken)
Fuglsang, Slot op Laaland (Denemarken)
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natürlich auch. Messchaert geht es sehr gut, die vegetarische Lebensweise scheint für ihn doch das Richtige gewesen zu sein.... | |||||||||||
Amst., 22 Nov. 1906....So gerne zeigte ich Dir ein neues viersätziges Orchesterstück, das ich in den letzten Wochen gemacht habeGa naar voetnoot1. Es ist auch wieder ‘alt-Niederländisch’, d.h. alt-nied. Motive sind darin benutzt. Der letzte Satz ist eine sehr contrapunktische Arbeit über das älteste Niederländische Lied, das Halewijn-Lied, das schon im 14. Jahrhundert bekannt war. Es liesz sich viel daraus machen. Vorläufig habe ich es für 2. Claviere aufgeschrieben und gleich mit meiner Frau gespielt. Ich war einige Tage in Düsseldorf um die Salome von R. Strausz zu hören. Ein ausgezeichneter junger Wiener Dirigent, Fröhlich heiszt er (und ist er) steht an der Spitze des Theaters; ich habe Aida und Fidelio ganz vortrefflich unter ihn gehört. - Hast Du gelesen, dasz nächstens Brahms' Briefwechsel mit Herzogenbergs erscheint? Ich darf Dir das auch wohl als Weihnachtsgabe schicken? .... | |||||||||||
Amsterdam, 20 Dec. 1906....Ja, die Herzogenberg-Brahms'sche Briefe sind schön, und das Thema: die Verehrung für Brahms - kommt in immer neuen Variationen. Für die ferner Stehenden bekommen die Briefe dadurch wohl etwas einseitigeres und bei aller Bewunderung und Liebe für die beiden Menschen finde ich doch etwas bedenkliches darin, nur diese eine Farbe zu bekennen, und eigentlich alles andre zu negiren. Das musz zur Überschätzung führen, und zur Ungerechtigkeit! Wenn sieGa naar voetnoot2 z.B. so schön von ‘künstlerischer Überzeugung’ spricht, so läszt sich die doch ganz gut damit verbinden, dasz man auch in Dvoràk, Tschaikowski, César Franck u.s.w. das Schöne finden und geniessen kann. Das Reich der Kunst ist doch unbegrenzt und nicht an einen groszen Namen gebunden! Wenn Joachim neulich ausgesprochen hat, dasz die drei gröszten Componisten: Bach, Mozart | |||||||||||
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und Brahms sind, so kann ich nicht mit, und sage, dasz der entscheidende Schritt weiter durch Beethoven und durch Wagner gethan ist, wenn mir auch persönlich Brahms'sche Musik näher als Wagner'sche steht .... ....Ich danke Dir für Dein Buch, die Björnson'sche Mary, die ich gleich gelesen habe. Ich konnte gar nicht aufhören und kam aus dem Staunen nicht heraus. Das sind ja lauter Explosionen! Die Menschen lieben und hassen sich, verloben, entloben sich, sterben plötzlich, sodasz man oft gar nicht zu Athem kommt. Ich bewundre aber die grosze Frische und Jugendlichkeit, die immer starke Empfindung - wie viel blühender ist Alles, wenn man es vergleicht mit einem Götheschen Werk aus seinem Alter, z.B. die Wahlverwandschaften. Ich verstehe nicht den allerletzten Schlusz, ich habe das Gefühl, alsob wieder eine Explosion erfolgen könnte und ich zweifle etwas, ob die Beiden ‘glücklich mit einander werden’. Ich werde aber das Buch zum zweiten Male lesen, und sehen, ob ich dann die Übergange besser verstehe .... | |||||||||||
Amsterdam, 11 Febr. 1907....Aber nun musz ich Dir sagen, dasz ich begeistert bin von einem neuen Werk von .... Reger! Eine Serenade für Orchester. Es ist gar kein PlumpuddingGa naar voetnoot1. Er hat die geniale Idee gehabt das Streichorchester in zwei Theilen zu gruppiren, die eine Hälfte durchweg mit Sordinen, dazu einige Bläser (keine Posaunen) und ab und zu Harfe. Es klingt fabelhaft fein und durchsichtig. Und was die Hauptsache ist: es ist überall melodisch, das Adagio beinahe Schubertisch. Ich glaube es würde Dir gefallen .... | |||||||||||
Leider nicht Christiania, 12 März 1907....Wenn ich jetzt an die Christianiatage zurückdenkeGa naar voetnoot2, so sage ich mir: es war ein Höhepunkt in meinem Leben, wie er in dieser Weise sich nicht wiederholen wird. Ich fühle in mir eine Dankbarkeit, die man eben nur empfinden, aber nicht in Worten ausdrücken kann. | |||||||||||
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Ich sage wie Florestan: Was hast Du für mich gethan!Ga naar voetnoot1 Es musz aber auch ein herrliches Gefühl sein einem andern so viel Freude bereiten zu können, wie Ihr Beide es mir gethan habt! Das gemeinsame Concert und der Festmittag - das waren die Höhepunkte. Wie gerne hätte ich dem ‘Versammelten Volke’ einmal in Worten gesagt, was Du und Deine Musik von meinen Jugendtagen bis heute mir gewesen seid! | |||||||||||
Amsterdam, 29 April 1907....In Paris haben wir herrliche Tage erlebt, und sind unglaublich fleiszig gewesen, um innerhalb einer Woche soviel wie möglich zu sehen und zu geniessen. Wir waren zum ersten Mal dort, und es hat alle unsre Erwartungen weit übertroffen. Der Louvre und der Blick, die Tuilerien hinunter zum Arc de Triomphe - das findet man doch in keiner anderen Stadt. Die beiden Concerte waren sehr schönGa naar voetnoot2 ein vornehmes, durchaus künstlerisches Publicum, und der Erfolg des Unternehmens war ausserordentlich grosz. Nur waren 8 Sonaten etwas zu viel, und manchmal hatte ich das Gefühl, alsob ein Componist den anderen tot machte. Casals hat bewunderenswerth gespielt, und bis zum Schlusz mit unermüdlicher Ausdauer. Alle 8 Sonaten waren ‘première audition’ in Paris. Ein geniales Werk ist die Sonate von dem Rumänier Enesco, die er mit 17 Jahren componirt hat. Enesco ist einer der besten Geiger und spielte dabei die Clavierpartie seiner Sonate vollendet. | |||||||||||
Amsterdam, 15 Mai 1907....Was Du über SalomeGa naar voetnoot3 sagst, ist mir ganz aus dem Herzen gesprochen. Dein Wort ‘technische Phantasie’ trifft den Nagel auf den Kopf. Welch einen Erfolg hat Salome in Paris gehabt! Wie einfach kommt Einem jetzt Wagner vor - ich studire jetzt eifrig die Tristanpartitur und staune über die Ökonomie seines Orchesters, | |||||||||||
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wenn ich es mit Strausz und Mahler vergleiche. Allerdings ist in der Salome alles concentrirter und die groszen Längen, die Tristan hat, sind vermieden .... | |||||||||||
Amsterd., 10 Juni 1907....Ich habe schon wieder eine Cello-Sonate gemacht und werde nächstens damit nach Paris reisen, um sie mit Casals zu spielen. EngelbertGa naar voetnoot1 ist nun bei ihm und ist höchst begeistert über Casals' Unterricht. Es ist ganz genial, wie er alle Technik vom rein musikalischen Standpunkt aus entwickelt. Die musikalische Phrase bestimmt den Fingersatz. So steht alle Virtuosität im Dienste des Kunstwerkes. Das klingt uns ja ganz selbstverständlich, aber wie wenige thun es jetzt! ....
In September van hetzelfde jaar moest Röntgen zijn vriend Grieg door den dood verliezen. Hij schrijft hierover aan Nina Grieg: | |||||||||||
13 Sept. 1907Ich will nicht versuchen Dir in Worten zu sagen, wie es mir zu Muthe ist, und was ich an Edvard verloren habe - es ist auch so egoistisch zu klagen, wenn ich an Dich denke, Du Arme! Lass uns aber für den Rest, der uns bleibt in Erinnerung und Liebe an Edvard fest zusammenhalten. Kannst Du Dich nicht entschlieszen etwas zu uns zu kommen? Dann wollen wir in alten, herrlichen Erinnerungen leben und zusammen seine Briefe lesen. Welch einen Schatz bewahre ich in ihnen seit Edvards erstem Amsterdammer Besuch in 1882, bis zu seinem letzten Brief, den er mir am 23. August schrieb und worin er sagt: ‘jeg gjerne dör, skjönt meget nödig’Ga naar voetnoot2. Weiszt Du, dasz Edvard auf unserm letzten Gang von Troldhaug zur Station mir sagte: ‘wir werden uns nicht wiedersehen, es geht bald mit mir zu Ende!’ Es machte mich so unbeschreiblich traurigGa naar voetnoot3. Gut, dasz ich nicht | |||||||||||
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ahnte, wie bald seine Worte sich erfüllen sollten. Wir haben doch noch herrliche Tagen diesen Sommer zusammen gehabt, und der Gedanke, dasz er in vollster geistiger Kraft von uns geschieden ist, hat doch etwas Herrliches. Die Theilnahme auch hier ist unbeschreiblich. Persönlich empfange ich von allen Seiten so viel Herzliches. Auch die Fernstehenden fühlen, was ich verloren habe ....
Volgens den wensch van Nina Grieg, ontving Röntgen de nagelaten werken van haar man ter beoordeeling, of deze voor een uitgave in aanmerking konden komen; hierover volgen eenige interessante brieven, waaruit de lezer zal zien, met welke liefde en toewijding Röntgen zich van deze taak kweet: | |||||||||||
Amsterdam, 24 Okt. 1907Liebe Nina, Ich habe die Lieder genau durchgesehen und eine Zusammenstellung gemacht, die Du auf beiliegendem Zettel findest. Eine Einteilung in 2 Heften scheint mir am Besten zu sein. Die Lieder folgen dann in chronologischer Reihe .... Von den übrigen Manuscripten scheint mir der Triosatz zur Herausgabe geeignet. Es ist ein herrliches Stück und ganz in Ordnung. Anders verhält es sich mit den beiden Quartettsätzen. Überall sind Stellen, die Edvard verändert haben würde. Er gibt einige Anweisungen dafür, die aber nicht genügend sind, um sie in seinem Sinne auszuführen. Ich bin desshalb vorläufig nicht dafür, die Sätze zu veröffentlichen und könnte keine Verantworung dafür nehmen. Sonst sind nur Skizzen vorhanden, darunter freilich merkwürdige und schöne Sachen. Ich musz sie noch mehr studiren, ehe ich mehr darüber sagen kann. Ich habe vor, über Alles einen ausführlichen Bericht zu schreiben, den ich Dir schicken werde. Sobald die Manuscripte druckfertig sind, schicke ich sie Dir. | |||||||||||
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die geringsten Ansprüche. Die Hauptsache ist ja aber ob mein Aufsatz nichts enthält, was falsch oder nicht ganz in Edvards und Deinem Geiste ist. Hoffentlich fühlst Du aber die Freude heraus, die mir das Studium der Skizzen bereitet hat. Vom Quartett habe ich den 1. Satz ausführlich behandelt. Ich bin ganz verliebt in diesen Satz. Ich werde die Stimmen ausschreiben und dann sollst Du bei der ersten Gelegenheit das Stück hören und Dich daran erfreuen. Warum hat Edvard es nie gezeigt - dann hätten wir ihn doch vielleicht dazu bringen können, das Werk zu vollenden! Wenn Du mit meinem Aufsatz zufrieden bist, hätte ich gedacht, ihn in der ‘Musik’ erscheinen zu lassen.... | |||||||||||
Amsterdam, 5 Nov. 1907....Es macht mich so froh, dasz meine Arbeit in Deinem Sinne geschrieben war, und ich schicke sie nun gerne in die Welt! Es freut mich dasz Du einverstanden bist, dasz ich so unpersönlich, nur sachlich geschrieben, und meine Person ganz aus dem Spiele gelassen habe. Wenn ich einmal die Briefe herausgebe und Erinnerungen dazu schreibe, soll es aber aus einem andern Tone gehen! | |||||||||||
Amsterdam 10 Nov. 1907Eben komme ich von einem herrlichen Ausflug in den Wäldern bei Hilversum zurück, alles in Herbststimmung, und nun will ich Deinen liebevollen Brief beantworten, der ja auch in Herbststimmung war; die Sonne fehlte aber darin, die die Herbstlandschaft vergoldet. Die ist für Dich untergegangen. Dasz Du das immer mehr und tiefer fühlen wirst, das glaube ich Dir und das kann nicht anders sein. Aber bedenke, wie hätte es Edvard je ertragen können, wenn das Geschick es gewollt hätte, dasz Du vor ihm hingegangen wärst? Ein unmöglicher Gedanke! Und darum sagen wir Dir: Du bist ihm Alles gewesen, künstlerisch und menschlich und dieser Gedanke soll wie ein Sonnenstrahl im Herbst leuchten und wärmen! Nun habe ich Dir auch den Triosatz geschickt. Welch tiefwehmütige Stimmung klingt darin! Wie er sich nicht genug thun kann an dem einen Thema, das sogar in Dur seinen Klageton behält, und | |||||||||||
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sich dann so groszartig zur vollen Kraft steigert. Der Schlusz, so warm und innig, bis zum versöhnenden cdur-Akkord, den er erst nachträglich hinzu gefügt hat. Das Stück kann ganz gut für sich allein bestehen und macht nicht den Eindruck eines Fragmentes, da es ein vollkommenes Ganzes für sich bildet. Es hat ja auch mehr die Form eines durchgeführten Liedes als die eines Sonatensatzes. Die 2 Hefte Lieder sind nun vollkommen druckfertig. Mein Aufsatz ist jetzt nach Berlin geschickt und der Herausgeber der ‘Musik’ schrieb mir, dasz der Artikel ‘thunlichst bald’ veröffentlicht werden solle. Ja wenn wir Drei, Du, FrantsGa naar voetnoot1, und ich Edvards Leben schreiben könnten, wie wir es fühlten, eine gewöhnliche Biographie müszte es nicht werden, aber ein voller Ausdruck von dem, was Edvard als Mensch gewesen ist. Man sollte ihn als Solchen aber so kennen und verehren, wie seine Musik. Wir wollen es versuchen und nächsten Sommer viel darüber reden. Hätte ich nur mehr Schreibtalent! Aber seine Briefe sollen reden und zeigen, wie grosz und reich er war an Herz und Geist.... | |||||||||||
Amst., 14 Nov. 1907....Was würdest Du dazu meinen, wenn ich nach Kopenhagen käme und dort einen Abend gäbe mit folgendem Programm: Edvard Grieg (nachgelassene Werke)
Die grosze Frage ist, wer könnte die Lieder singen? Weiszt Du Jemand und würde dieser oder diese Jemand die Lieder unter | |||||||||||
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Deiner Leitung einstudiren können? Sage mir was Du über den Plan denkst, und wenn Du einverstanden bist, werde ich mich an W. HansenGa naar voetnoot1 wenden, wegen Daten und Arrangement. | |||||||||||
Amsterdam, 17 Nov. 1907....Ich bin der Ansicht auf nachgelassene Werke keine Opuszahlen zu setzen. Das führt nur irre. Neulich kam eine Schülerin zu mir, mit einem Stück von Chopin, Op. 69 (!) das ich nicht kannte. Ich war sehr gespannt, es war aber eine Arbeit ganz in Hummelschem Style, also eine später herausgegebene Jugendarbeit. Auf Brahms' einzigem nachgelassenem Werk, die Choral-vorspiele, steht auch keine Opuszahl.... | |||||||||||
Amsterdam, 18 Nov. 1907Gestern abend hättest Du bei uns sein sollen! Wir haben das Quartett gespielt. Es war mir ein eigenthümliches Gefühl, zu denken, dasz es nun zum ersten Mal erklang und dasz Edvard es nie selbst gehört hat. Und wie schön klang es, trotz der unvollkommenen ersten Leseprobe. Alles ist so recht quartettmäszig. Ein Paar kleine technische Veränderungen werde ich in der Weise hinzufügen, dasz man sie sogleich als Zusätze erkennt. Nun sollst Du aber unsere Besetzung hören. Die war originell: Harold Bauer, der grosze Clavierspieler, hatte die 1e Violine und spielte wirklich sehr gut. Casals spielte 2e Violine und hielt sie wie ein Cello zwischen den Beinen, ich Bratsche und Frau Casals - ausgezeichnet - Cello, alle vier mit der gröszten Begeisterung dabei, meine Frau als einziges Publicum! Ich bin jetzt überzeugt, dasz das Quartett gedruckt werden musz; Edvard würde es ganz gewisz herausgegeben haben, wenn die beiden letzten Sätze fertig geworden wären. Die lassen sich aber nicht entziffern, das Finale ist überhaupt nur ein kleines Stück skizziert....
Wie freut es mich, dasz Du mit meinem Plan zu einem Concert einverstanden bist. Ich werde nun an Wilh. Hansen darüber schreiben.... | |||||||||||
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Amst., 25. Nov. 1907Nun habe ich noch ein Klavierstück entziffert: ‘Tusseslåt’, das gewisz auch nicht bekannt ist. Ein drittes Stück macht mir grosze Schwierigkeiten, weil es kaum zu lesen ist. Es heiszt ‘Hvide Skyer’Ga naar voetnoot1 ist sehr grosz und leidenschaftlich. Wenn ich es entziffern kann, wäre es mit den andern Stücken eine gute Nummer. Nun warte ich auf die Antwort von Hansen, wegen Datum. Ich möchte das Concert zum Besten eines Grieg-Denkmals geben. Was meinst Du dazu?
Wir erleben schöne Tage mit Casals und seiner Frau, die bei uns wohnen und die wir sehr lieb gewonnen haben. Er hat jeden Abend Concert. | |||||||||||
Amsterdam, 28 Nov. 1907....Ich bin jetzt fertig mit ‘Hvide Skyer’ und bin etwas stolz darauf, dasz ich es entziffert habe. Es ist ein groszartiges, langes Stück, sehr schwer, und ich studire es nun tüchtig für das Concert. Nächste Woche spiele ich mit dem Scevcik Quartett mein TrioGa naar voetnoot2 in Leipzig. | |||||||||||
Amsterd., 30 Nov. 1907....Für das Grieg-Concert ist der 22. Januar festgestellt. Ich habe an Frl. BeckGa naar voetnoot3 und NerudaGa naar voetnoot4 geschrieben.... Hast Du meinen Artikel in der ‘Musik’ erhalten? Er wird hier in allen Zeitungen besprochen. Was sagt Du zu den drei Klavierstücken, die ich entzifferte? No. 1 ist mein besonderer Liebling! Es hat doch einen ganz andern Charakter als die ‘lyrischen Stücke’. No. 2 ‘Tusseslåt’ ist ja echtester Grieg: Troldmusik-Extrakt! No. 3 ‘Dansen gaar’ macht sich sehr effektvoll. Ich spiele die drei Stücke hier als Vorübung in einem Liederabend mit Messchaert; er singt dann eine Reihe alte Lieder von Edvard. | |||||||||||
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Amsterdam, 10 Dec. 1907....‘Hvide Skyer’ interessiert mich grade, weil es mir Edvard von einer ganz neuen Seite zeigt. Aehnliches hat er im Quintett und im Clavierconcert und doch, wer könnte das Stück sonst geshrieben haben? Meine ‘Bearbeitung’ bezieht sich nur auf die Form und einige Ausfüllungen. Das Stück war nur in Bruchstücken vorhanden, die ich unter einander verbunden habe. Natürlich ist aber keine Note von mir. Du sollst später die Skizze sehen.... | |||||||||||
Amsterdam, 18 Dec. 1907Nur ein eiliges Wort über gestern abend. Die Drei StückeGa naar voetnoot1 hatten sehr groszen Erfolg, mehr als ich eigentlich erwartet hatte. Nach jedem einzelnen Stück grosser Beifall, was hier sonst nicht Sitte ist. Jedenfalls haben sie ihre Wirksamkeit im Concert glänzend erprobt. Messchaert war wundervoll bei Stimme und sang die alten lieben Lieder ganz wundervoll. Der Saal war ausverkauft. Heute in Haarlem, morgen in Haag dasselbe Programm. Für das Grieg-Concert hat Neruda abgeschrieben, er spielt nicht mehr öffentlich, aber SvendsenGa naar voetnoot2 hat zugesagt.... |
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